Amtsgericht Bonn Urteil, 28. Juni 2016 - 113 C 350/15
Gericht
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 568,48 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszins seit dem 15.01.2016 sowie außergerichtliche Anwaltsgebühren von 101,40 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszins seit dem 15.01.2016 zu zahlen.
Die darüber hinausgehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 19 % und der Beklagte 81 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin klagt auf Ersatz restlicher Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall.
3Der Unfall ereignete sich im Bezirk des Amtsgerichts Bonn. Das beteiligte Kfz war nicht bei dem Beklagten versichert, der jedoch seine Passivlegitimation ausdrücklich nicht rügt, Bl. 33 d. A. Die Haftung dem Grunde nach zu 100 % ist unstreitig.
4Die Geschädigte mietete vom 19. bis 30.03.2012 von der Klägerin einen klassentieferen (Klasse 2) als den beschädigten Pkw (Klasse 3). Die Klägerin finanzierte ihre Leistungen vor. Die Dauer des Mietvertrages war unbestimmt. Es wurde eine Vollkasko- und Teilkaskoversicherung mit 300,- bzw. 150,- € Selbstbeteiligung vereinbart, Bl 18 d. A. Die Klägerin gab die Fahrzeuge ohne Sicherheitsleistung heraus; die Geschädigte setzte keine Kreditkarte ein.
5Die Geschädigte trat ihren Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten an die Klägerin ab, Bl. 19 d. A.
6Die Rechnung der Klägerin vom 04.04.2013 betrug 1.291,58 € und enthält Vergütungen für Winterreifen sowie Zustellen und Abholen des Mietwagens, Bl. 17 d. A. Der Beklagte zahlte 507,- €. Der Restbetrag bildet die Hauptforderung.
7Der Klägervertreter forderte den Beklagten mehrmals vergeblich zur Zahlung auf.
8Im Rechtsstreit berechnet die Klägerin die Grundgebühr nach dem arithmetischen Mittel zwischen der Schwacke-Liste und der Erhebung Fraunhofer. Die Klägerin ist der Ansicht, ein Aufschlag von 20 % auf die Grundgebühr sei angemessen, da sie diverse unfallspezifische Mehrleistungen erbracht habe. Der Pkw sei mit Winterreifen ausgestattet gewesen. Sie habe ihn in die Werkstatt der Geschädigten gebracht und ihn dort wieder abgeholt.
9Sie vertritt die Ansicht, die Geschädigte habe nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen. Die Alternativangebote des Beklagten seien nämlich nicht vergleichbar.
10Die Klägerin beantragt,
11den Beklagten zu verurteilen, an sie 705,59 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszins seit dem 27.04.2012 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren von 101,40 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12Die Klage ist dem Beklagten am 14.01.2016 zugestellt worden.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Einen Zuschlag von 20 % hält er nicht für ersatzfähig, da unfallspezifische Leistungen weder vorgetragen noch ersichtlich seien.
16Für ersparte Eigenaufwendungen sei ein Abzug von 15 % vorzunehmen.
17Der Beklagte ist der Auffassung, die Geschädigte habe gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen. Sie sei verpflichtet gewesen, billigere Angebote anzunehmen, die zugänglich gewesen seien.
18Die Leistungen Winterreifen, Zustellen und Abholen bestreitet der Beklagte mit Nichtwissen.
19Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verweist das Gericht auf den Akteninhalt.
20Entscheidungsgründe:
21Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
22Sie ist zulässig. Das Amtsgericht Bonn ist gem. § 32 ZPO örtlich zuständig, weil sich der Verkehrsunfall in seinem Bezirk ereignete.
23Der Klägerin steht gegen den Beklagten aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf Zahlung von insgesamt weiteren 568,48 € zu. Das erkennende Gericht folgt mit seiner Berechnungsweise der Rechtsprechung des OLG Köln und des LG Bonn.
24Als Normaltarif ist das arithmetische Mittel zwischen der Schwacke-Liste und der Fraunhofer-Liste in dem Postleitzahlengebiet der Vermieterin anzusetzen, § 287 ZPO. Der tatsächlich erreichten Gesamtmietdauer ist der davon umfasste größte Zeitabschnitt entsprechend den Tabellenwerken zu entnehmen. Daraus ist ein entsprechender Ein-Tages-Wert zu errechnen, den man sodann mit der Anzahl der tatsächlichen Gesamtmiettage multipliziert (OLG Köln, Urteile vom 30.07. und 01.08.2013, 15 U 212/12 und 15 U 9/12; LG Bonn, Urteile vom 15.01.2014 und 17.11.2015, 5 S 48/13 und 8 S 107/15).
25Die Klägerin hat die tatsächliche Mietdauer demgegenüber nicht durchweg nach dem Wochentarif berechnet, sondern für die weiteren Tage den Drei-Tages-Tarif bzw. den Tagestarif zugrunde gelegt. Hieraus ergeben sich Abzüge.
26Der Grundtarif ist um 20 % zu erhöhen.
27Ein pauschaler Aufschlag von 20 % ist zuzubilligen, § 287 ZPO, wenn die Vermietenden Leistungen erbringen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und die infolge dessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind. Als unfallbedingte Besonderheiten sind anerkannt: Das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen; das nicht endgültige Feststehen der Mietzeit; die Vorfinanzierung durch das Mietunternehmen; die Eilbedürftigkeit bzw. Notlage der Kundschaft nach dem Verkehrsunfall; erhöhter Verwaltungsaufwand und Zinsverluste aufgrund von längeren Zahlungsfristen. Dabei müssen diese Merkmale nicht kumulativ vorliegen. Es reicht, wenn eines gegeben ist (OLG Köln, Urteil vom 16.06.2015, 15 U 220/14; LG Bonn, Urteil vom 17.11.2015, 8 S 107/15).
28Es lagen mehrere der oben genannten Merkmale vor, so dass der Aufschlag gerechtfertigt ist. Abschläge gegenüber der geltend gemachten Forderung ergeben sich daraus, dass der Normaltarif - wie oben dargelegt - niedriger anzusetzen ist.
29Abzüge sind entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vorzunehmen.
30Die Geschädigte braucht sich keine ersparten Eigenaufwendungen, die nach der aktuellen Rechtsprechung 4 % vom Normaltarif betragen würden, anrechnen zu lassen.
31Dies lehnen OLG Köln und LG Bonn ab, sofern die Geschädigten klassentiefere Fahrzeuge gemietet haben (OLG Köln, Urteile vom 30.07.2013 und 01.08.2013, 15 U 212/12 und 15 U 9/12; LG Bonn, Beschluss vom 09.01.2012, 8 S 255/11, Urteile vom 18.12.2012 und 15.01.2014, 8 S 158/12 und 5 S 48/13). Dasselbe gilt, wenn die Geschädigten zwar ein Kfz der gleichen Klasse wie das verunfallte angemietet haben, die vermietende Firma jedoch nur ein klassentieferes Fahrzeug abrechnet (LG Bonn, Urteil vom 27.06.2013, 8 S 13/13).
32Die Geschädigte wählte einen Pkw einer tieferen Klasse.
33Sie hat nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen.
34Die Versicherung der Schädigenden hat darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass den Geschädigten ein günstigerer Tarif nach den konkreten Umständen ohne weiteres zugänglich war (LG Bonn, Urteile vom 28.06.2011 und 27.06.2013, 8 S 86/11 und 8 S 13/13).
35Alternativangebote, die Versicherungen unterbreiten, müssen folgende Anforderungen erfüllen: Sie müssen sich auf Zeitpunkt und Ort der Anmietung beziehen. Die Angebote dürfen nicht aus einem Sondermarkt stammen, wozu auch Internetangebote gehören. Es ist ein bestimmtes Fahrzeugmodell und nicht nur Beispiele für bestimmte Fahrzeugklassen anzugeben. Die Höhe des Grundtarifs, gegebenenfalls mit einem Aufschlag für einen Unfallersatztarif muss ersichtlich sein. Daneben sind die Kosten für die Zusatzleistungen gemäß Tabellenwerken anzugeben. Hinsichtlich der Kaskoversicherung ist die Höhe der Selbstbeteiligung zu nennen. Es sind Angaben zur Vorfinanzierung zu machen. Schließlich müssen die Leistungen am Wohnort des Geschädigten im fraglichen Zeitraum tatsächlich verfügbar sein (OLG Köln, Urteil vom 30.07.2013, 15 U 212/12; LG Bonn, Beschlüsse vom 09.01.2012 und 30.07.2012, 8 S 255/11 und 5 S 94/12; LG Bonn, Urteile vom 18.12.2012 und 26.02.2013, 8 S 158/12 und 8 S 280/12 sowie Urteile vom 27.06.2013 und 15.01.2014, 8 S 13/13 und 5 S 48/13).
36Die Angebote, die der Beklagte vorgelegt hat, sind mit dem der Klägerin nicht vergleichbar.
37Sie stammen aus 2016 und wohl aus dem Internet. Das Angebot der Firma T sieht vor, dass die Miete schon beim Abholen des Fahrzeugs gezahlt wird. Die Selbstbeteiligung liegt höher als bei der Klägerin, die Kilometerleistung ist beschränkt. Der Pkw der Firma F hätte dort abgeholt werden müssen. Außer 3.300 Freikilometern enthält das Angebot keine Leistungen und gegebenenfalls deren Preise. Von der Firma B liegt nur ein Screenshot ohne Details vor.
38Sämtliche Zusatzleistungen, die die Rechnungen der Klägerin enthalten, sind dem Grunde nach ersatzfähig.
39Das Bestreiten des Beklagten ist unerheblich, da es unsubstantiiert ist. Die Klägerin hat in ihrer Replik umfassend zu den Positionen Winterreifen, Zustellen und Abholen vorgetragen und Beweis für ihre Behauptungen angeboten. Hierauf hat der Beklagte nicht reagiert. Das Landgericht Bonn sieht das Bestreiten in einem gleichgelagerten Fall als unsubstantiiert und damit unbeachtlich an (LG Bonn, Hinweisbeschluss vom 28.05.2013, 8 S 59/13). Das erkennende Gericht schließt sich dieser Auffassung an.
40Die weiteren Leistungen sind in Höhe des arithmetischen Mittels der Schwacke-Liste abzurechnen, da die Fraunhofer-Liste keine Nebenleistungen enthält (OLG Köln, Urteile vom 30.07. und 01.08.2013, 15 U 212/12 und 15 U 9/12; LG Bonn, Urteile vom 19.11.2013 und 17.11.2015, 8 S 311/12 und 8 S 107/15 sowie Urteil vom 15.01.2014, 5 S 48/13). Sind die aus dem konkreten Mietvertrag ersichtlichen tatsächlichen Kosten für die betreffende Nebenleistung niedriger, sind diese maßgeblich (LG Bonn, Urteil vom 19.11.2013, 8 S 311/12).
41Es ergibt sich folgende Abrechnung:
42
Grundtarif |
638,33 € |
20 % Aufschlag |
127,67 € |
Zustellen/Abholen |
34,48 € |
Winterreifen |
104,28 € |
Kaskoversicherung |
170,72 € |
Summe |
1.075,48 € |
abzüglich Zahlung |
507,00 € |
offener Restbetrag |
568,48 € |
Der Zinsanspruch ist erst ab Rechtshängigkeit zuzusprechen, § 291 BGB. Wann der Beklagte bzw. die Versicherung vor diesem Zeitpunkt in Verzug geriet, lässt sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen.
44Der Anspruch auf Ersatz von Anwaltskosten besteht unabhängig von dieser Frage. Nach Verkehrsunfällen dürfen Geschädigte sich anwaltlicher Hilfe bedienen, ohne die Gegner zunächst selbst zur Zahlung aufzufordern. Die Anwaltskosten sind gemäß § 291 BGB ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
45Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Ziff. 11, 709 Satz 1 und 2, 711 ZPO. Der Streitwert wird auf 705,59 EUR festgesetzt.
46Rechtsbehelfsbelehrung:
47Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
481. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
492. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
50Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Bonn, Wilhelmstr. 21, 53111 Bonn, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
51Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Bonn zu begründen.
52Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Bonn durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
53Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
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Annotations
Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.
(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.