Kündigungsrecht: Falsche Dokumentation der Arbeitszeit eines Berufskraftfahrers

published on 23/02/2012 15:22
Kündigungsrecht: Falsche Dokumentation der Arbeitszeit eines Berufskraftfahrers
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Author’s summary by Anwalt für Arbeitsrecht sowie Handels- und Gesellschaftsrecht

berechtigt den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund, wenn dies vorsätzlich geschah-LAG Berlin-Brandenburg vom 01.12.11–Az:2 Sa 2015/11
Ein Berufskraftfahrer kann aus wichtigem Grunde außerordentlich gekündigt werden, wenn er seine abgeleistete Arbeitszeit vorsätzlich falsch dokumentiert.

So entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg im Fall eines Lastwagenfahrers, der während seiner Arbeitszeit unbegründet eine Tank- und Raststätte anfuhr und sich hier unangemessen lange aufhielt. Diesen Aufenthalt hatte er gegenüber dem Arbeitgeber zunächst geleugnet und die Zeit als Arbeitszeit dokumentiert. Die Richter sahen in diesem Verhalten einen außerordentlichen Kündigungsgrund. Für den Arbeitgeber sei die Arbeitszeit eines Kraftfahrers nur sehr schwer zu kontrollieren. Daher müsse er auf eine ordnungsgemäße Dokumentation der Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer vertrauen können. Fülle der Arbeitnehmer die zum Arbeitszeitnachweis vorgesehenen Formulare aber wissentlich oder vorsätzlich falsch aus, sei dies in aller Regel ein schwerer Vertrauensmissbrauch (LAG Berlin-Brandenburg, 2 Sa 2015/11).


Die Entscheidung im Einzelnen lautet:

LAG Berlin-Brandenburg: Urteil vom 01.12.2011 – Az: 2 Sa 2015/11

Nach der langjährigen Rechtsprechung des 2. Senats des BAG (vgl. noch BAG vom 24.11.2005 - 2 AZR 39/05) kann das Verhalten des Arbeitnehmers nach Begehung einer Pflichtwidrigkeit, aber vor Ausspruch der Kündigung ("Nach-Tat-Verhalten") in die Interessenabwägung einbezogen werden und sich ggf. zu Lasten des Arbeitnehmers auswirken, wenn dieser beispielsweise die Pflichtwidrigkeit beharrlich leugnet und gegenüber dem Arbeitgeber mehrfach die Unwahrheit sagt.

An dieser - das Prognoseprinzip betonenden - Rechtsprechung ist ungeachtet der Entscheidung des 2. Senats vom 10.6.2010 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227) festzuhalten, auch wenn der Senat dort alleine das "Prozess"-Verhalten der Arbeitnehmerin würdigt.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17.08.2011 - 43 Ca 6400/11 - geändert:

Die Klage wird unter Einschluss des Auflösungsantrages abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, die die Beklagte, ein Unternehmen der Backwarenindustrie, am 08.04.2011 gegenüber dem seit dem 13.01.1997 bei ihr als Kraftfahrer beschäftigten Kläger ausgesprochen hat.

Dem lag zugrunde, dass der Kläger, der am 10.07.2010 eine Abmahnung wegen eines unbegründeten Aufenthaltes an einer Tankstelle erhalten hatte und am 05.04.2011 von dem Fuhrparkleiter darauf angesprochen worden war, dass er – wiederum – sich unberechtigt während der Arbeitszeit an einer Tankstelle aufgehalten hat, am 07.04.2011 während seiner Arbeitszeit mit seinem Fahrzeug auf das Gelände der E.-Tankstelle in der R.Straße gefahren war, erst gegen 11:00 Uhr in den Hof am Betriebssitz eingefahren war, dort den Wagen entladen hat und eine Arbeitszeit bis 11:30 Uhr aufgezeichnet hatte, ohne die Pause an der Tankstelle zu erwähnen. In einem am Folgetag stattgefundenen Gespräch mit der Personalleiterin und dem Juniorchef leugnete der Kläger zunächst, am Vortage an jener Tankstelle gewesen zu sein; nachdem er mit einem Zeugen, einem Kollegen, konfrontiert worden war, hat der Kläger seinen Aufenthalt an der Tankstelle bestätigt und diesen mit „Magenproblemen“ begründet.

Die Beklagte nahm dies zum Anlass, eine außerordentliche Kündigung wegen Arbeitszeitbetruges, zumindest des Tatverdachtes hierauf, auszusprechen. Demgegenüber hat der Kläger erklärt, er habe sich am 07.04.2011 maximal 25 Minuten an der Tankstelle aufgehalten und wegen seiner Magenprobleme eine Toilette aufgesucht. Es sei unüblich, die Pausen oder sonstige Unterbrechungen auf dem Arbeitszettel zu notieren. Er habe den Vorfall in dem Gespräch bestritten, weil er sich geschämt habe, seine Magenprobleme zu offenbaren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die dort gewechselten Schriftsätze sowie auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 17.08.2011 den gegen die Wirksamkeit der Kündigung gerichteten Feststellungsanträgen des Klägers entsprochen. Sowohl die fristlose als auch die fristgemäße Kündigung seien unwirksam. Die Beklagte habe erhebliche Vertragspflichtverletzungen des Klägers nicht hinreichend dargetan. Im Bezugspunkt des vorgeworfenen Arbeitszeitbetruges von 90 Minuten habe die Beklagte nicht hinreichend dargetan, dass der Kläger bereits ab 09:30 Uhr nicht mehr gearbeitet habe. Diesbezüglich seien nur Mutmaßungen unter Bezugnahme auf Üblichkeiten bei anderen Fahrern geäußert worden. Der von der Beklagten genannte Zeuge habe den Kläger erst gegen 10.00 Uhr gesehen, auch ein Mitarbeiter an der Tankstelle habe einen Aufenthalt des Klägers bereits um 09:30 Uhr nicht bestätigt. Es könne dahinstehen, ob der Kläger bereits um 10:00 Uhr an der Tankstelle gewesen sei; er habe sich jedenfalls allenfalls 27 Minuten bis 45 – 50 Minuten dort aufgehalten. Soweit die Beklagte ausführe, die auf dem Arbeitszettel eingetragene Zeit von 03.00 Uhr bis 11:30 Uhr sei reine Arbeitszeit, sei dies nicht nachvollziehbar. Die Beklagte verstoße vielmehr ihrerseits gegen Arbeitszeitgesetze, weil sie keine Ruhepausenregelung wirksam eingeführt habe. Auch wenn der Kläger nach durchgearbeiteten 7 Stunden Arbeitszeit wegen Magenproblemen eine Notdurft verrichtet habe, sei dies kein Kündigungsgrund. Die Magenprobleme seien zwar von der Beklagten bestritten, sie selbst sei aber darlegungs- und beweispflichtig für die Kündigungsgründe. Die Beklagte habe eindeutige Weisungen hinsichtlich der Ausfüllung der Arbeitszettel nicht dargetan; die eingereichten Arbeitszettel dokumentierten auch bei den übrigen Fahrern keine Pausen. Angesichts der klaren Verstöße der Beklagten gegen die Arbeitszeitgesetze sei eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Klägers nicht zu erkennen. Kündigungsgründe hätten nicht vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 49 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses am 07.09.2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 05.10.2011 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und zugleich begründet hat.

Die Beklagte und Berufungsklägerin begründet ihre Berufung damit, dass der Kläger einen Arbeitszeitbetrug begangen habe. Er habe eine Stunde Arbeitszeit aufgeschrieben, ohne hierfür gearbeitet zu haben. Der Kläger habe die Tankstelle jedenfalls um 10:00 Uhr aufgesucht und den Betriebshof erst um 11:00 Uhr erreicht. Wenn er Magenprobleme gehabt habe, so habe er die sich gegenüber der Tankstelle befindliche Filiale der Beklagten aufsuchen können; dies wäre jedenfalls naheliegend gewesen. Die Darstellung des Klägers sei deswegen unglaubwürdig, insoweit sei eine Beweislastumkehr eingetreten. Die Unglaubwürdigkeit der Ausführung des Klägers ergebe sich auch daraus, dass er in seiner Anhörung am 08.04.2011 sowohl den Aufenthalt an der Tankstelle bestritten und schließlich von einer Notdurft nichts erwähnt habe. Es sei richtig, dass bei der Beklagten keine schriftlichen Vorgaben für die Fahrer im Hinblick auf die Eintragung von Pausen bestünden. Mündlich seien diese aber bei der Einstellung auf die Notwendigkeit der Aufzeichnung hingewiesen worden. Einige Fahrer hätten auch offenbar gar keine Pausen gemacht, um mehr Geld zu verdienen. Teilweise seien auch gesonderte Zettel im Hinblick auf die Einlegung von Pausen an das Büro gegeben worden. Die Beklagte sei sich bewusst geworden, dass hier auf ihrer Seite eine ausgiebige Aufarbeitung stattzufinden habe. Das bedeute aber andererseits nicht, dass sich der Kläger auf Kosten der Beklagten habe bereichern dürfen. Das Verhalten des Klägers wiege schwer, weil er nur neun Monate vorher eine Abmahnung wegen eines gleichartigen Vorfalles erhalten habe. Auch sei er nur drei Tage vor dem Kündigungsvorfall noch einmal auf einen ähnlichen Vorfall angesprochen worden. Der Beklagten sei im Nachhinein ohnehin bekannt geworden, dass der Kläger täglich in einer der Filialen sich Kaffee und Brötchen genommen und Zeitung gelesen habe. Zumindest die fristgemäße Kündigung sei gerechtfertigt.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 17.08.2011 die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, die Berufungsschrift enthalte nur diverse Vermutungen ohne Beweisantritte. Der Vorwurf des Arbeitszeitbetruges sei weder zutreffend noch durch die Beklagte belegt. Die hier fragliche Donnerstagstour sei für ihn jedenfalls länger gewesen, dies insbesondere auch deswegen, weil sein Fahrzeug als eines der letzten beladen worden sei. Er habe in den Filialen noch warten müssen, bis Leergut wieder auf den Transporter verbracht worden sei. Die Beklagte habe keinen Beweis über die Dauer seines Aufenthaltes an der Tankstelle; er habe keine falschen Eintragungen zu seinen Gunsten vorgenommen. Es sei richtig, dass in der Filiale gegenüber der Tankstelle eine Toilette vorhanden sei, diese sei jedoch nicht vollständig abgeschlossen, so dass er davon abgesehen habe, im Hinblick auf seine Magenprobleme dorthin zu gehen. Ihm sei bei seiner Einstellung gerade nicht gesagt worden, dass Pausenzeiten auf die Arbeitszettel zu notieren seien. Es habe gar kein Einstellungsgespräch mit der Personalleiterin gegeben.

Er werde nunmehr von Kollegen gemobbt, beispielsweise von dem Kollegen, der als Zeuge gegen ihn aufgetreten sei. Die Beklagte habe auch mehrfach erklärt, er werde bei ihr nicht mehr arbeiten.

Der Kläger beantragt deswegen weiter, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber die Summe von 15.000,00 € nicht unterschreiten solle.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Schriftsatz der Beklagten und Berufungsklägerin vom 05.10.2011 (Bl. 64 ff. d. A.) und auf denjenigen des Klägers und Berufungsbeklagten vom 11.11.2011 (Bl. 86 ff. d. A.) Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, 511 ZPO statthafte Berufung ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO eingelegt und begründet worden. Die Berufung ist daher zulässig.

Die Berufung hatte in der Sache Erfolg.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 08.04.2011 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Der Beklagten stand ein wichtiger Grund zur Seite, der ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist als unzumutbar erscheinen lassen durfte.

Es ist im Grundsatz davon auszugehen, dass gemäß § 626 Abs. 1 BGB das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ist nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist (BAG vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10).

Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzliche falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit von am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmern vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung stehenden Formulare wissentlich oder vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar.

Gemessen an diesen vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätzen erwies sich die streitgegenständliche fristlose Kündigung als gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass – wie es das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat – der Kläger am 07.04.2011 mindestens für einen Zeitraum von 27 Minuten. möglicherweise aber für einen Zeitraum von 45 – 50 Minuten während der Arbeitszeit sich an der E.-Tankstelle in der R.Straße aufgehalten hat. Er hat in dieser Zeit nicht gearbeitet, sondern ist erst gegen 11:00 Uhr in den Betriebshof eingefahren, hat seinen Wagen entladen und seine Arbeitszeit um 11:30 Uhr beendet und entsprechendes auf den Arbeitszettel geschrieben. Er hat damit dokumentiert, in dieser Zeit ausschließlich Arbeitsleistung erbracht zu haben, obgleich er für den genannten Zeitraum an der Tankstelle in der R.Straße aufhältig war und dort gerade keine Arbeitsleistung erbrachte.

Auch wenn das Berufungsgericht – wie bereits das Arbeitsgericht – davon ausgeht, dass der Beklagten erhebliche Versäumnisse bei der Erfassung der Arbeits- und insbesondere der Pausenzeiten vorzuhalten sind, steht doch im Ergebnis fest, dass der Kläger seinerseits die Beklagte darüber getäuscht hat, dass er in der Zeit von 10:00 Uhr bis mindestens 10:27 Uhr, möglicherweise darüber hinausgehend Arbeitsleistungen erbracht hat, obwohl dies in Wirklichkeit nicht der Fall war.

Legt ein Arbeitnehmer, der seine Arbeit außerhalb der Betriebsstätte zu erbringen hat, Pausen ein, die er nicht dokumentiert, so dass aus vom Grundsatz her unbezahlten Pausen bezahlte Pausen werden, so täuscht er den Arbeitgeber über die tatsächlich geleistete Arbeit und über die Vergütungspflicht, die den Arbeitgeber nur für diese Arbeit trifft. Der Sache nach ist diese Fallgestaltung vergleichbar mit derjenigen, die das Bundesarbeitsgericht in seinen genannten Entscheidungen zugrunde gelegt hat, nämlich der falschen Aufzeichnung von Arbeitszeiten auf einem Gleitzeitbogen.

Dass der Kläger die auf dem Gelände der Tankstelle R.Straße verbrachte Zeit zulässigerweise als „Pause“ genutzt hätte, ist nicht zu erkennen. Der Kläger hat sich hierauf in seiner eigenen Einlassung am Folgetag jedenfalls nicht bezogen. Der Kläger hat in seiner Einlassung am Folgetag vielmehr zunächst bestritten, sich überhaupt an der Tankstelle R.Straße aufgehalten zu haben. Erst als ihm ein Tatzeuge entgegengestellt worden ist, hat er den Umstand schließlich eingeräumt und sich in diesem Zusammenhang auf „Magenprobleme“ berufen. Dieser Darstellung des Klägers ist das Berufungsgericht unter Berücksichtigung von § 286 ZPO nicht nahegetreten. Hätte der Kläger tatsächlich „Magenprobleme“ gehabt, hätte er dies ohne Weiteres bei dem Gespräch einräumen können. Dass er sich dafür „geschämt“ haben will, ist nicht naheliegend. Insbesondere ist seine diesbezügliche Einlassung nicht schlüssig, weil er sich in diesem Falle unmittelbar und sofort hätte darauf berufen können.

Das Berufungsgericht ist insoweit vom Vorliegen eines Arbeitszeitbetruges durch den Kläger im Umfange von mindestens 27, möglicherweise jedoch 45 – 50 Minuten ausgegangen. Dies stellt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen Kündigungsgrund „an sich“ dar.

Die sodann vorzunehmende Interessenabwägung im Einzelfall fällt zulasten des Klägers aus. Dabei ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen, dass für die Arbeitszeitunterbrechung am 07.04.2011 kein erkennbarer Grund vorhanden war. Der Kläger hat sich diesbezüglich zwar auf „Magenprobleme“ berufen; aus den soeben dargelegten Gründen vermochte die Kammer dem jedoch nicht näherzutreten. Ein derartiges Fehlverhalten im Bereich der Arbeitszeitdokumentation wiegt schwer, weil der Arbeitgeber gerade dann, wenn die Arbeitstätigkeit nicht in der Betriebsstätte ausgeführt wird, auf die unbedingte Zuverlässigkeit der Arbeitnehmer und der von ihnen veranlassten Dokumentation der Arbeitszeit angewiesen ist. Der Arbeitgeber kann die Einhaltung der Arbeitszeit in solchen Fällen eben nicht „in eigener Regie“, also durch Maßnahmen an und in der Betriebsstätte kontrollieren. Er ist auf die unbedingte Ehrlichkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen, die ihre Arbeitszeit außerhalb des Betriebsgeländes erbringen. Eine Täuschungshandlung eines Arbeitnehmers in diesem Bereich führt zu einem schweren Vertrauensverlust.

Von besonderem Gewicht zulasten des Klägers war für das Berufungsgericht insbesondere der Umstand, dass er den Aufenthalt an der Tankstelle in dem Gespräch mit der Personalleiterin und dem Juniorchef am Folgetage zunächst gänzlich geleugnet und erst auf Vorhalt einer Zeugenaussage eingeräumt hat.

Nach der früheren langjährigen Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts war das „Nach-Tat-Verhalten“ des Arbeitnehmers, also seine Einlassungen nach der Pflichtverletzung und vor Ausspruch der Kündigung, von hohem Gewicht für die vorzunehmende Interessenabwägung. Insbesondere das Verhalten im Zusammenhang mit arbeitgeberseitigen Aufklärungsmaßnahmen konnte sich durchaus und in erheblichem Umfang belastend im Rahmen der Interessenabwägung auswirken. So hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts noch in der Entscheidung vom 24.11.2005 (2 AZR 39/05) ausgeführt, dass das Landesarbeitsgericht in dem dortigen Fall zutreffend berücksichtigt habe, dass der Kläger seinen Pflichtenverstoß zunächst geleugnet und dann mehrfach vorsätzlich die Unwahrheit gesagt habe. Es halte sich im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz, wenn das Landesarbeitsgericht angesichts solcher Umstände davon ausgegangen sei, das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiege das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Allerdings hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 10.06.2010 (BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Pfandbon) den Umstand, dass auch die dortige Klägerin bei den Aufklärungsmaßnahmen des Arbeitgebers mehrfach und beharrlich gelogen hatte, nicht in die von ihm als Revisionsgericht dann selbst vorgenommene Interessenabwägung einbezogen. Er hat dort – unter Berufung auf eine Entscheidung aus dem Jahre 1955 – nur festgestellt, dass das Prozessvorbringen der dortigen Klägerin nicht auf den Kündigungsgrund zurückwirken könne. Darum geht es aber in Fallgestaltungen wie den vorliegenden nicht. Denn das hier in Rede stehende Verhalten spielt sich nach Begehung der Pflichtwidrigkeit, aber gerade vor Ausspruch der Kündigung ab; es hat also mit „prozessualem Verteidigungsvorbringen“ gar nichts zu tun, wohl aber mit den Umständen, die einen Arbeitgeber, der ein Verhalten des Arbeitnehmers nach Pflichtwidrigkeit bei der Aufklärung derselben zu würdigen hat, in seinen Kündigungsentschluss einstellen muss. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts seine diesbezüglichen Ausführungen in der entsprechenden Entscheidung vom 10.06.2010 auf die speziellen und besonderen Umstände des dort entschiedenen Falles bezogen hat. Das Berufungsgericht geht jedenfalls davon aus, dass das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Pflichtwidrigkeit, insbesondere das Verhalten im Zusammenhang mit vom Arbeitgeber vorgenommenen Aufklärungsmaßnahmen, nach wie vor Gegenstand der Interessenabwägung im Einzelfall sein können, und dass sie sich hier in erheblichem Maße und besonders schwerwiegend zulasten des Klägers auswirken.

Die fristlose Kündigung erweist sich auch nicht deswegen als unwirksam, weil dem Arbeitgeber mildere Reaktionsmöglichkeiten zumutbar gewesen wären. Mildere Reaktionen, insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung, kommen dann als alternative Gestaltungsmittel in Betracht, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung jedenfalls nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gegeben hat, eine Vertragsstörung für die Zukunft zu beseitigen. Diese Aussage des Zweiten Senats des Bundsarbeitsgerichts ist missverständlich: Es geht nicht darum, eine Vertragsstörung zukünftig zu „beseitigen“, vielmehr geht es darum, einer Vertragsstörung für die Zukunft „vorzubeugen“. In diesem Sinne kann eine Abmahnung als milderes Mittel im Zusammenhang mit dem das Kündigungsrecht prägenden Prognoseprinzip angesehen werden.

Des Ausspruchs einer entsprechenden Abmahnung im Streitfalle bedurfte es indes nicht. Denn der Kläger war bereits am 10.07.2010 einschlägig abgemahnt worden; insbesondere ist zu berücksichtigen, dass er nur zwei Tage vor dem Vorfall von dem Fuhrparkleiter exakt auf einen Vorfall angesprochen worden ist, der dem Kündigungsvorfall gleichzusetzen ist. Wiederum ging es darum, dass der Kläger während der Arbeitszeit an der auch den Kündigungsvorfall kennzeichnenden E.-Tankstelle in der R.Straße angetroffen worden war und hierüber dem Arbeitgeber keine Mitteilung gemacht hatte. Insofern musste davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger diese Umstände nicht als Warnung hat dienen lassen; ungeachtet der Ansprache durch den Fuhrparkleiter hat er zwei Tage später exakt dasjenige Verhalten erneut gezeigt, was dieses Mal zur Kündigung geführt hat. Das Berufungsgericht ist daher davon ausgegangen, dass sich der Kläger hier nicht hat „belehren“ lassen und dass auch die jeweiligen Vorhalte durch den Arbeitgeber gerade nicht dazu geführt haben, dass der Kläger in der Zukunft sein Verhalten geändert hätte. Dass dies im konkreten Fall anders wäre, ist nicht zu erkennen.

Auch die zugunsten des Klägers in die Interessenabwägung einzubeziehenden Umstände vermochten dabei das Übergewicht der Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu überspielen. Sicher ist richtig, dass die familiären Verhältnisse des Klägers zu seinen Gunsten zu berücksichtigen waren; ebenso der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis mittlerweile mehr als 14 Jahre bestanden hat. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der schon erwähnten Entscheidung vom 10.06.2010 (BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09) davon gesprochen, dass sich mit zunehmender Dauer des Arbeitsverhältnisses ein „Vertrauenskapital“ ansammeln könnte; in folgenden Entscheidungen, beispielsweise in der Entscheidung vom 16.12.2010 (BAG vom 16.12.2010 – 2 AZR 485/08) hat es diesen Gedanken aber nicht mehr aufgegriffen, obwohl auch die dortige Klägerin eine Betriebszugehörigkeit von rund 13 Jahren aufgewiesen hatte. Angesichts der schwerwiegenden Pflichtverletzung des Klägers im Streitfalle vermochten die zu seinen Gunsten sprechenden Umstände das Gewicht nicht auf seine Seite zu verlagern.

Erwies sich die fristlose Kündigung als wirksam, so musste das arbeitsgerichtliche Urteil auf die Berufung der Beklagten hin entsprechend abgeändert werden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen bei dem vorliegenden Einzelfall nicht gegeben waren.


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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.
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published on 09/06/2011 00:00

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. Januar 2010 - 9 Sa 1913/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
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(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Im ersten Rechtszug sind die Arbeitsgerichte zuständig, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet die Berufung an die Landesarbeitsgerichte nach Maßgabe des § 64 Abs. 1 statt.

(3) Gegen die Urteile der Landesarbeitsgerichte findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht nach Maßgabe des § 72 Abs. 1 statt.

(4) Gegen die Beschlüsse der Arbeitsgerichte und ihrer Vorsitzenden im Beschlußverfahren findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht nach Maßgabe des § 87 statt.

(5) Gegen die Beschlüsse der Landesarbeitsgerichte im Beschlußverfahren findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht nach Maßgabe des § 92 statt.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. Januar 2010 - 9 Sa 1913/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten seit September 2001 als Verwaltungsfachangestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung und des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 15. Oktober 1991 (MDK-T) Anwendung. Die Beklagte rechnete der Klägerin nach § 14 MDK-T eine Vorbeschäftigungszeit seit Januar 1991 an. Die Klägerin war deshalb gem. § 34 Abs. 1 MDK-T nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Bei der Beklagten besteht eine Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit. Die Mitarbeiter, die an der Gleitzeit teilnehmen, können danach in der Zeit von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen. Nach Nr. VII der Dienstvereinbarung sind von jedem Mitarbeiter Beginn und Ende der Anwesenheitszeit minutengenau zu dokumentieren. Dies geschieht durch Eingabe in ein elektronisches Zeiterfassungssystem mit Hilfe des PCs am Arbeitsplatz. Nach § 12 Abs. 9 MDK-T beginnt und endet die Arbeitszeit „an der Arbeitsstelle“. Unter Nr. IX der Dienstvereinbarung heißt es zu „Unregelmäßigkeiten und Missbrauch“:

        

„Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die in dieser Dienstvereinbarung und den Verwaltungsanordnungen enthaltenen Grundsätze und Bestimmungen nicht einhalten, können mit Zustimmung der Personalvertretung von der GLAZ ausgeschlossen werden.

        

Jedes bewusste Unterlassen der Zeiterfassung oder jede sonstige Manipulation des Zeiterfassungsverfahrens stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die mit dieser Vereinbarung getroffenen Regelungen dar. Der Missbrauch hat grundsätzlich disziplinarische bzw. arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Folge.“

4

Mit Schreiben vom 17. Juni 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen „Arbeitszeitbetrugs“ im Zeitraum vom 26. Mai bis 2. Juni 2008, zumindest wegen eines entsprechenden Verdachts außerordentlich.

5

Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, die Arbeitszeit beginne jeweils bereits dann, wenn sie die Parkplatzeinfahrt durchfahren habe. Sie hat behauptet, es habe keine Anweisung bestanden, dass maßgeblich die Uhr im Eingangsbereich sei. Sie habe häufig viel Zeit mit der Suche nach einem Parkplatz verbracht, für 50 Mitarbeiter hätten nur 27 Parkplätze zur Verfügung gestanden.

6

Die Klägerin hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 nicht beendet wird;

        

2.    

im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verwaltungsangestellte weiterzubeschäftigen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat in den Rechtsstreit weitere fehlerhafte Arbeitszeitabrechnungen der Klägerin für den 3. und 4. Juni 2008 eingeführt. Sie hat behauptet, die Klägerin habe an der gleitenden Arbeitszeit teilgenommen und an insgesamt sieben Arbeitstagen jeweils mindestens 13 Minuten, an einigen Tagen sogar mehr als 20 Minuten als Arbeitszeiten dokumentiert, obwohl sie noch nicht im Betrieb gewesen sei oder den Betrieb bereits verlassen hätte.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.

10

I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst.

11

1. Ein wichtiger Grund iSv. § 34 Abs. 1 MDK-T, § 626 Abs. 1 BGB liegt vor.

12

a) Das Arbeitsverhältnis eines nach § 34 Abs. 1 MDK-T ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Der Begriff des wichtigen Grundes iSv. § 34 Abs. 1 MDK-T ist inhaltsgleich mit dem des § 626 Abs. 1 BGB(BAG 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 16, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16). Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, NZA 2010, 1227; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist. Bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer ist dabei auf die „fiktive“ Kündigungsfrist abzustellen (BAG 18. September 2008 - 2 AZR 827/06 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 24).

13

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, das Verhalten der Klägerin rechtfertige an sich eine außerordentliche Kündigung.

14

aa) Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264). Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare (vgl. BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - aaO). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53). Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar (BAG 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - aaO). Nicht anders zu bewerten ist es, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren, und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben macht. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB).

15

bb) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, die Klägerin habe für den 26., 27., 28. und 29. Mai, sowie den 2., 3. und 4. Juni 2008 jeweils mindestens 13 Minuten, einmal 28 Minuten - insgesamt 135 Minuten - vorsätzlich fehlerhaft zu Lasten der Beklagten als Arbeitszeiten in der Zeiterfassung dokumentiert. Angesichts der nicht unerheblichen Abweichungen zwischen den angegebenen Arbeitszeiten und dem tatsächlichen Betreten des Dienstgebäudes könne es sich bei den Falschangaben nicht nur um fahrlässiges Handeln oder ein Versehen gehandelt haben. Die Klägerin habe im Zeitraum der Beobachtung täglich und damit systematisch fehlerhafte Angaben gemacht. Dabei sei zu ihren Gunsten berücksichtigt, dass die Uhr im Eingangsbereich im Einzelfall um einige Minuten falsch gegangen sein könnte. Ihr Vorbringen zu einer rechtlichen Information von dritter Seite über Beginn und Ende der zu dokumentierenden Anwesenheitszeit sei nicht geeignet, ihren Vorsatz in Frage zu stellen. So erklärten sich die Arbeitszeitdifferenzen von 15 bis zu 28 Minuten selbst dann nicht, wenn man mit der Klägerin das Durchfahren der Parkplatzeinfahrt zu Tagesbeginn und -ende als maßgeblich zugrunde lege.

16

cc) Gegen diese Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben. Sie sind damit für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Bewertung des Fehlverhaltens der Klägerin als vorsätzlich lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Sie liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Beweiswürdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann bezüglich der Feststellung innerer Tatsachen nur prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21, NZA 2011, 571; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 27 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17). Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Zwar war in der Dienstvereinbarung keine Definition enthalten, wann die zu dokumentierende Anwesenheitszeit beginnt bzw. endet, und auch der Begriff der „Arbeitsstelle“ in § 12 Abs. 9 MDK-T ist auslegungsfähig. Hierauf kam es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts aber nicht an, da die Angaben der Klägerin selbst bei weitest möglichem Begriffsverständnis nicht zu erklären seien.

17

c) Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung sei im Streitfall entbehrlich gewesen, und seine weitere Interessenabwägung sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.

18

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, NZA 2010, 1227). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, NZA 2011, 571; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 29, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33 mwN, aaO).

19

bb) Eine Abmahnung war demnach im Streitfall entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht schon deswegen entbehrlich, weil das Fehlverhalten der Klägerin den Vertrauensbereich betrifft. Seine Entscheidung erweist sich im Ergebnis aber als richtig, da eine Hinnahme des Fehlverhaltens durch die Beklagte offensichtlich - auch für die Klägerin erkennbar - ausgeschlossen war.

20

Die Klägerin hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu Lasten der Beklagten an mehreren Tagen hintereinander systematisch und vorsätzlich um jeweils mindestens 13 Minuten - insgesamt 135 Minuten - falsche Arbeitszeiten angegeben und damit in beträchtlichem Umfang über die erbrachte Arbeitszeit zu täuschen versucht. Dieses auf Heimlichkeit angelegte, vorsätzliche und systematische Fehlverhalten wiegt besonders schwer. Soweit sich die Klägerin darauf berufen hat, andere Mitarbeiter hätten sie ohne Weiteres beobachten können, wenn sie noch in ihrem Pkw saß, um zu rauchen oder auf ihre Tochter zu warten, ändert dies nichts daran, dass ihre Falschangaben bei der Arbeitszeiterfassung nicht offen erfolgten. Aus den angegeben Arbeitszeiten als solchen ließ sich nicht ersehen, dass sie nicht korrekt waren. Die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage erscheint angesichts dessen auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht mehr wiederherstellbar. Eine Hinnahme des vorsätzlichen und systematischen Fehlverhaltens durch die Beklagte war - auch für die Klägerin erkennbar - aufgrund der Schwere ihrer Pflichtverletzung unabhängig von einer Wiederholungsgefahr ausgeschlossen.

21

cc) Auch im Übrigen hält die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

22

(1) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, NZA 2010, 1227; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39).

23

(2) Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung und des durch sie bewirkten Vertrauensverlusts war es der Beklagten nicht zumutbar, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf einer „fiktiven“ Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Die längste ordentliche Kündigungsfrist hätte nach § 33 MDK-T zwölf Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres betragen. Auch die langjährige unbeanstandete Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut 17 Jahren, ihr Alter sowie die von ihr angegebene Unterhaltspflicht für eine Person führen angesichts des mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruchs nicht zu einer Interessenabwägung zu ihren Gunsten. Die Klägerin hat nicht nur einmal in etwa nur geringem Umfang, sondern an sieben Arbeitstagen hintereinander systematisch und vorsätzlich ihre Arbeitszeit im Umfang von jeweils 13 bis 28 Minuten zu Lasten der Beklagten falsch angegeben. Die Störung des Vertrauensverhältnisses durch ihren Täuschungsversuch wiegt besonders schwer, und zwar unabhängig davon, ob eine Wiederholungsgefahr dadurch ausgeschlossen werden könnte, dass die Klägerin aus der Gleitzeit herausgenommen würde. Das Verschulden der Klägerin ist so erheblich, dass es der Beklagten nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist fortzusetzen. Aus Nr. IX der Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit lässt sich nicht etwa die Abrede entnehmen, ein Missbrauch könne allenfalls zu einer Herausnahme des Arbeitnehmers aus der gleitenden Arbeitszeit führen. Dort ist vielmehr für diesen Fall ausdrücklich auf die Möglichkeit arbeitsrechtlicher Schritte hingewiesen.

24

2. Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt und den Personalrat ordnungsgemäß angehört. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

25

II. Der Weiterbeschäftigungsantrag für die Dauer des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Der Rechtsstreit ist abgeschlossen.

26

III. Als unterlegene Partei hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Roeckl    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.