Insolvenzrecht – Insolvenz im EU-Ausland
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Gelangt man finanziell in eine Krise, so bleibt häufig als einziger Ausweg ein Insolvenzverfahren. Die Insolvenz wird gemeinhin von den Schuldnern als der letzte Gnadenstoß empfunden. Das liegt vermutlich an der langen Wohlverhaltensphase von 5 Jahren in Deutschland. Denn erst wenn dieser Zeitraum verstrichen ist, wird dem Schuldner ein finanzieller Neustart ermöglicht. Doch es bestehen Alternativen hierzu.
In der EU besteht grundsätzlich die Möglichkeit in jedem EU-Staat ein Insolvenzverfahren zu eröffnen und in diesem Land die Insolvenz zu durchlaufen. Das ermöglicht die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO). Liegen bestimmte Voraussetzungen vor, so ermöglicht die Verordnung dem Schuldner die Insolvenz im EU-Ausland zu durchlaufen. Das nach der Verordnung zuständige ausländische Insolvenzgericht wendet sein eigenes materielles Recht an. Die nationalen Insolvenzordnungen in den Mitgliedsstaaten unterscheiden sich in erheblicher Weise voneinander. Gerade wegen diesen Unterschieden im Ausland können dem Schuldner Vorteile erwachsen. So wird in England zum Beispiel eine Restschuldbefreiung (automatic discharge) nach einem Jahr erteilt. Der große Vorteil den eine EU-Insolvenz mit sich bringt ist auch, dass sämtliche Entscheidungen in ganz Europa im Grundsatz anzuerkennen sind. Das heißt z.B. dass eine in England bereits nach einem Jahr erteilte Restschuldbefreiung auch in Deutschland anerkannt wird. Forderungen können in solch einem Fall normalerweise gegen den Schuldner nicht durchgesetzt werden.
1. Verfahrensarten
Im Groben kennt die EuInsVO zwei Verfahrensarten: das Hauptinsolvenzverfahren und das Nebenverfahren.
Der grundlegende Unterschied zwischen den beiden Verfahren besteht in den Wirkungen. Das Nebenverfahren erfasst nur das Vermögen, welches in dem Staat vorhanden ist, in dem die Insolvenz eröffnet wird. Befindet sich Vermögen in anderen Staaten, so wird es von dem Nebenverfahren nicht erfasst. Im Gegensatz hierzu fällt unter das Hauptverfahren das gesamt Schuldnervermögen.
Wird sowohl ein Haupt- als auch ein Nebenverfahren eröffnet, so unterfällt grundsätzlich das gesamte Vermögen dem Staat in dem das Hauptverfahren eröffnet wurde. Ausgenommen die Vermögenswerte die sich in dem Staat befinden in dem das Nebenverfahren durchgeführt wird.
Man muss jedoch aufpassen: So kann zwar ein Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens gestellt werden, das Gericht kann diesen Antrag aber in einen Antrag auf Eröffnung eines Hauptverfahrens umdeuten (AG Mönchengladbach, Beschl v. 27.04.2004 – 19 IN 54/04).
2. Hauptinsolvenzverfahren
Ein Hauptverfahren kann dort im EU-Ausland eröffnet werden, wo der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Dieser Interessenmittelpunkt wird gemeinhin als COMI („center of main interests“) bezeichnet. Geregelt ist das in Art.3 I EuInsVO.
Ist der Schuldner eine Gesellschaft oder juristische Person, so gilt die Vermutung, dass der Interessenmittelpunkt am satzungsmäßigen Sitz liegt, Art.3 I 2 EuInsVO.
Der Ort an dem der Schuldner für gewöhnlich seine Interessen wahrnimmt und diese auch verwaltet ist gewöhnlich als Interessenmittelpunkt zu betrachten. Wo der Interessenmittelpunkt liegt, wird zur Zeit der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens beurteilt. Verlegt der Schuldner seinen Interessenmittelpunkt nach Stellung des Antrags aber vor Eröffnung des Verfahrens, so verändert das den Interessenmittelpunkt nicht (EuGH Urt. v. 17.01.2006 – C-1/04).
Eine natürliche Person hat ihren Interessenmittelpunkt in der Regel dort, wo sie wohnt oder gewerbliche Tätigkeiten ausführt (OLG Hamm v. 15.09.2011 – 18 U 226/10). Ist es dem Gericht nicht möglich den Interessenmittelpunkt des Schuldners festzustellen, so muss der Schuldner beweisen dass sein Interessenmittelpunkt im EU-Ausland liegt (AG Köln, Beschl. v. 19.01.2012 – 74 IN 180/10). Selbstständige haben den Mittelpunkt der Interessen am Ort der beruflichen Tätigkeit (AG Köln Beschl. v. 12.11.2010 – 71 IN 343/10).
Juristische Personen und Gesellschaften haben, abgesehen von dem vermuteten Interessenmittelpunkt am satzungsmäßigen Sitz, ihren Interessenmittelpunkt am Ort der Hauptverwaltung, sofern er für Dritte erkennbar ist (EuGH Urt. v. 20.10.2011 – C-396/09). Von der Vermutung muss abgewichen werden, wenn eine Gesamtbetrachtung ergibt, dass der Mittelpunkt der Verwaltung und Kontrolle der Gesellschaft sich in einem anderen EU-Staat befindet (EuGH Urt. v. 20.10.2011 – C-396/09).
3. Nebenverfahren
Neben dem Hauptverfahren kann auch ein Nebenverfahren im EU-Ausland durchgeführt werden. Es gibt zwei Arten von Nebenverfahren die durchlaufen werden können: das Sekundärverfahren und das Partikularverfahren.
Wurde ein Hauptverfahren über das Vermögen des Schuldners bereits eröffnet, so kann parallel hierzu ein Sekundärverfahren eröffnet werden. In Frage kommt das Sekundärverfahren, sofern der Schuldner eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat hat, als in dem das Hauptverfahren eröffnet wurde, Art. 3 II 1, III, 2 lit. h EuInsVO.
Wurde kein Hauptverfahren eröffnet, so kann ein Partikularverfahren eröffnet werden, Art.3 IV EuInsVO. Das Verfahren wird eröffnet, wenn der Schuldner seinen COMI in einem Mitgliedsstaat hat, eine Niederlassung hingegen in einem anderen EU-Staat, Art. 3 IV, II EuInsVO. Eröffnet wird das Partikularverfahren aber nur, wenn ein Hauptverfahren nicht zulässig ist oder der Gläubiger bzw. die Forderung des Gläubigers einen Bezug zu der Niederlassung des Schuldners hat.
4. Europaweite Entscheidungsanerkennung
Im Grundsatz entfalten Insolvenzentscheidungen die im EU-Ausland ergehen europaweit Wirkung.
Das folgt aus der europaweiten Anerkennung der Entscheidungen, welche auf Grundlage der EuInsVO ergehen.
Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird ohne weitere Prozedur in ganz Europa anerkannt, Art.16 I EuInsVO. Anerkannt werden können auch sonstige Entscheidungen und Sicherungsmaßnahmen, Art. 25 EuInsVO. Sonstige Entscheidungen sind z.B. die Insolvenzanfechtung, die Entscheidung über eine Restschuldbefreiung und die Haftung des Verwalters.
Es gibt zwei Ausnahmen, bei denen die Entscheidungen keine europaweite Wirkung erlangen. Eine im EU-Ausland ergangene Entscheidung entfaltet über die Grenzen hinaus keine Wirkung, wenn sie die persönliche Freiheit oder das Postgeheimnis beeinträchtigen würde, Art. 25 III EuInsVO. Verstößt eine im EU-Ausland ergangene Entscheidung gegen die öffentliche Ordnung des Staates (ordre public) in dem sie anerkannt werden soll, so kann der Mitgliedsstaat es verweigern der Entscheidung Wirkung zu verleihen. Beruht die Insolvenzeröffnung auf einem vorgetäuschten Wohnsitz des Schuldners, so liegt ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung vor (LG Köln Urt. v. 14.10.2011 - 82 O 15/08).
5. Fazit
Die Insolvenz im EU-Ausland bietet dem Schuldner die Möglichkeit in einer finanziellen Krise das Land in dem die Insolvenz durchlaufen werden soll, zu wählen. Dabei kann der für ihn günstigste und auch schnellste finanzielle Entlastungsweg im Ausland gewählt werden. Das ist natürlich nicht grenzenlos möglich, sondern nur in dem von der EuInsVO eng vorgegebenen Rahmen.
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