Abrenzung der Zahlungsstockung von Zahlungsunfähigkeit
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Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.
Tatbestand:
Der Bekl. ist alleiniger Geschäftsführer und hälftiger Gesellschafter der J. GmbH (fortan: Schuldnerin). Diese wurde von der K. GmbH beauftragt, für ein Entgelt von - zunächst - 1.980.000 DM Konstruktionsleistungen für die Automobilindustrie zu erbringen. Sie schaltete ihrerseits die S. und die SW. GmbH als Subunternehmer ein. Wegen der Abwicklung des Auftrags kam es zu einem Rechtsstreit zwischen der Schuldnerin und K. , der am 9. 9. 1999 vergleichsweise wie folgt beendet wurde: Die Schuldnerin verpflichtete sich, die vertragliche Leistung bis 14. 9. 1999 zur Verfügung zu stellen. K. verpflichtete sich, an die Schuldnerin bis 15. 9. 1999 700.000 DM zu zahlen und bis zum 30. 9. 1999 weitere 700.000 DM, von denen sie allerdings 400.000 DM sollte zurückbehalten dürfen, sofern sie die Leistung für nicht in Ordnung befinden und deswegen eine „qualifizierte Rüge“ erheben sollte. Auf weitergehende Ansprüche von angeblich 2,6 Mio. DM verzichtete die Schuldnerin. K. , die von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machte, zahlte auf den Vergleich insgesamt 1 Mio. DM, davon 305.090,70 DM unmittelbar an eine Gläubigerin der Schuldnerin.
Die Buchhaltung der Schuldnerin ermittelte zum 9. 9. 1999 Verbindlichkeiten in Höhe von 2.659.151,25 DM. Dem standen gegenüber liquide Mittel und kurzfristig einbringliche Forderungen in Höhe von 1.122.323,04 DM. Dabei waren die Zahlungen der K. in Höhe von 1 Mio. DM bereits berücksichtigt. Neben diesen Aktiva waren nur noch Vorräte und Anlagevermögen mit einem Fortführungswert von insgesamt 11.124 DM vorhanden.
Später zahlte der Bekl. an verschiedene Gläubiger 1.175.076,68 DM. Nach seinem Vortrag stellte er für die Schuldnerin Ende Dezember 1999 wegen „drohender Zahlungsunfähigkeit“ Insolvenzantrag. Mit Beschluss vom 1. 3. 2000 wurde das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet. Der Kl. wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Kl., welcher der Auffassung ist, die Schuldnerin sei - wie der Bekl. gewußt habe - bereits mit Abschluß des für sie äußerst nachteiligen Vergleichs zahlungsunfähig und überschuldet gewesen, verlangt von dem Bekl. nach § 64 II GmbHG Schadensersatz in Höhe von 600.807,17 € (= 1.175.076,68 DM). LG und OLG haben der Klage - teilweise Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Forderungen aus Insolvenzanfechtung - stattgegeben. Dagegen wendet sich der Bekl. mit seiner zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Das BerGer. hat sein Urteil darauf gestützt, nach Abschluß des Vergleichs mit K. am 9. 9. 1999 sei die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen. Sie habe über liquide Mittel in Höhe von 1.282.323,04 DM verfügt. Dabei sei nur die später von K. bezahlte Summe von 1 Mio. DM zuzüglich Mehrwertsteuer, nicht jedoch der mit dem Vorbehalt eines Zurückbehaltungsrechts versprochene - und bis heute nicht bezahlte - Betrag von 400.000 DM (netto) zu berücksichtigen gewesen. Diesen liquiden Mitteln hätten nach eigener Darstellung des Bekl. fällige Verbindlichkeiten von 1.411.627,33 DM gegenübergestanden. Die danach vorhandene Unterdeckung von 129.304,29 DM - dies entspreche 9,2 % der Verbindlichkeiten - sei nicht unwesentlich.
Diese Ausführungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung stand.
Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 64 GmbHG kann nicht anders verstanden werden als in § 17 InsO. Denn für den Beginn des den Geschäftsführer treffenden Zahlungsverbots genügt in objektiver Hinsicht die bestehende Insolvenzreife.
Nach früherem Recht setzte der Konkursgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 102 KO) voraus, dass der Schuldner dauernd unvermögend war, seine Zahlungsverpflichtungen im wesentlichen zu erfüllen. Dabei wurden die verfügbaren Mittel zu den insgesamt fälligen Zahlungsverbindlichkeiten ins Verhältnis gesetzt. Es musste ermittelt werden, ob die Zahlung oder die Nichtzahlung Regel oder Ausnahme war. Im Schrifttum wurde Zahlungsunfähigkeit angenommen, wenn 10 % bis 25 % der fälligen Forderungen ungedeckt waren.
Nach § 17 II Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Auf die Merkmale der „Dauer“ und der „Wesentlichkeit“ hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung bei der Umschreibung der Zahlungsunfähigkeit verzichtet. Nach der Gesetzesbegründung versteht es sich von selbst - und braucht deshalb nicht besonders zum Ausdruck gebracht zu werden -, dass eine vorübergehende Zahlungsstockung keine Zahlungsunfähigkeit begründet. Andererseits hielt man es für untunlich, das Erfordernis der andauernden Unfähigkeit zur Erfüllung der fälligen Zahlungspflichten zu betonen, weil dies als Bestätigung der verbreiteten Neigung hätte verstanden werden können, den Begriff der Zahlungsunfähigkeit stark einzuengen und damit eine etwa auch über Wochen oder sogar Monate fortbestehende Illiquidität zur rechtlich unerheblichen Zahlungsstockung zu erklären. Eine solche Auslegung würde nach der Gesetzesbegründung das Ziel einer rechtzeitigen Verfahrenseröffnung erheblich gefährden. Ferner ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass „ganz geringfügige Liquiditätslücken außer Betracht bleiben müssen“. Es erscheine jedoch „nicht gerechtfertigt, Zahlungsunfähigkeit erst anzunehmen, wenn der Schuldner einen bestimmten Bruchteil der Gesamtsumme seiner Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann“.
Demgemäß wird verbreitet davon ausgegangen, zahlungsunfähig sei ein Schuldner, wenn ihm die Erfüllung der fälligen Zahlungspflichten wegen eines objektiven, kurzfristig nicht zu behebenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht möglich sei. Um dies festzustellen, werden im Rahmen einer Liquiditätsbilanz die aktuell verfügbaren und kurzfristig verfügbar werdenden Mittel in Beziehung gesetzt zu den an demselben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten. Zahlungsunfähig ist danach auch ein Schuldner, der nur einen Gläubiger hat und außerstande ist, diesen zu befriedigen. Eine Quote zum Ausscheiden „ganz geringfügiger Liquiditätslücken“ wird teilweise ganz abgelehnt. Andere halten für „ganz geringfügig“ eine Quote von unter 5 %, unter 10 %, bis zu 20 % oder bis zu 25 %. Vereinzelt wird auch eine Rückkehr zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit nach der Konkursordnung befürwortet. Der BGH hatte bislang keinen Anlass, sich zu diesen Fragen zu äußern.
Nach Auffassung des Senats ist daran festzuhalten, dass eine Zahlungsunfähigkeit, die sich voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit beheben läßt, lediglich als Zahlungsstockung gilt und keinen Insolvenzeröffnungsgrund darstellt.
Der Zeitraum, innerhalb dessen die Zahlungsstockung beseitigt sein muss, andernfalls sie als Zahlungsunfähigkeit behandelt wird, ist unter der Geltung der Konkursordnung und der Gesamtvollstreckungsordnung auf etwa einen Monat begrenzt worden. Der Gesetzgeber der Insolvenzordnung wollte diesen Zeitraum verkürzen. Als Zahlungsstockung ist deshalb nur noch eine Illiquidität anzusehen, die den Zeitraum nicht überschreitet, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Eine Frist von einem Monat oder gar von drei Monaten ist hierfür zu lang. Wieder andere halten eine Zahlungsstockung bereits jenseits einer Frist von ein bis zwei Wochen nicht mehr für gegeben. Dies erscheint zu kurz. Als Zeitraum für die Kreditbeschaffung sind zwei bis drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. Die Vorschrift des § 64 I Satz 1 GmbHG zeigt, dass das Gesetz eine Ungewißheit über die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft längstens drei Wochen hinzunehmen bereit ist.
Zwar werden im Hinblick auf die Vorschrift des § 286 III BGB n.F. systematische Bedenken gegen eine derartige Verkürzung der Frist erhoben. Es gehe nicht an, einen Schuldner, der noch nicht einmal in Verzug sei, als zahlungsunfähig zu behandeln mit der Konsequenz, dass der Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen könne (§ 14 InsO) und - falls Schuldnerin eine GmbH sei - deren Geschäftsführung einen solchen stellen müsse (§ 64 I GmbHG). Diese Bedenken erscheinen jedoch nicht stichhaltig. Dass über den Insolvenzantrag eines Gläubigers früher als dreißig Tage nach Fälligkeit seiner Forderung entschieden wird, erscheint bereits wenig lebensnah. Zudem bezeichnet § 286 III BGB n.F. den spätesten Zeitpunkt des Verzugseintritts und läßt eine frühere Herbeiführung durch Mahnung unberührt. Für einen GmbH-Geschäftsführer, der zu prüfen hat, ob er Auszahlungen vornehmen darf, obwohl er für seine Gesellschaft eine kurzfristig nicht zu beseitigende Liquiditätslücke ermittelt hat, muss die Frage, ob sich die Gesellschaft mit der Begleichung der fälligen Verbindlichkeiten bereits in Verzug befindet, ohnehin bedeutungslos sein.
Die Frage, ob noch von einer vorübergehenden Zahlungsstockung oder schon von einer endgültigen Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist, muss allein auf Grund der objektiven Umstände beantwortet werden. Soweit die Haftung des Geschäftsführers für von ihm nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vorgenommene Zahlungen zu beurteilen ist, muss allerdings auf der subjektiven Seite das Verschulden hinzukommen (§ 64 II Satz 2 GmbHG). Entscheidend ist hier, ob im Zeitpunkt der Zahlung bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes die Insolvenzreife der Gesellschaft für den Geschäftsführer nicht erkennbar ist, wobei diesen allerdings die volle Darlegungs- und Beweislast trifft. Wenn dieser erkennt, dass die GmbH zu einem bestimmten Stichtag nicht in der Lage ist, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen, jedoch auf Grund einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung der Meinung sein kann, die GmbH werde vor Erreichen des Zeitpunkts, bei dem eine Zahlungsstockung in eine Zahlungsunfähigkeit umschlägt - also binnen drei Wochen -, sämtliche Gläubiger voll befriedigen können, darf er innerhalb dieses Zeitraums, solange sich seine Prognose nicht vorzeitig als unhaltbar erweist, Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind (vgl. § 64 II Satz 2 GmbHG), an Gläubiger leisten, ohne die Haftung befürchten zu müssen. Müßte er anstehende Zahlungen zurückhalten, bis die Zahlungsfähigkeit insgesamt wieder hergestellt ist, würde er dadurch die Geschäftsbeziehungen zu den betreffenden Gläubigern, auf deren Fortführung der Betrieb der Schuldnerin mehr denn je angewiesen ist, gefährden. Auch läge eine Zahlungseinstellung vor, mit welcher der Geschäftsführer möglicherweise Eröffnungsanträge der Gläubiger (§ 14 InsO) herausfordern würde. Ist die Zahlungsfähigkeit nach Ablauf der Frist noch nicht wieder hergestellt, darf er - weil nunmehr die endgültige Zahlungsunfähigkeit fest steht - nur noch solche Zahlungen leisten, welche die Insolvenzmasse nicht schmälern oder erforderlich sind, um das Unternehmen für die Zwecke des Insolvenzverfahrens zu erhalten.
Für die Prognose, die der Geschäftsführer anstellen muss, sobald bei einer Liquiditätsbilanz eine Unterdeckung festzustellen ist, und die er bei jeder vorzunehmenden Zahlung kontrollieren muss, sind die konkreten Gegebenheiten in bezug auf den Schuldner - insbesondere dessen Außenstände, die Bonität der Drittschuldner und die Kreditwürdigkeit des Schuldners -, auf die Branche und die Art der fälligen Schulden zu berücksichtigen.
Demgegenüber ist die Ansicht abzulehnen, zahlungsunfähig sei ein Schuldner generell bereits dann, wenn er seine fälligen Verbindlichkeiten nicht - binnen der dreiwöchigen Frist - zu 100 % erfüllen kann.
Zwar spräche für diese strenge Lösung der Vorzug der begrifflichen Klarheit. Sie wäre zudem im Interesse der Rechtssicherheit. So könnte sich der Geschäftsführer der Schuldner-GmbH auf Grund der von ihm aufzustellenden Liquiditätsbilanz und der von ihm zu verlangenden Zukunftsprognose ohne weiteres Klarheit verschaffen, wann er gem. § 64 I Satz 1 GmbHG Insolvenzantrag stellen muss, nämlich in jedem Falle einer länger als drei Wochen währenden, noch so geringen Unterdeckung. Verhindert eine insgesamt gesehen geringfügige Unterdeckungsquote die Annahme der Zahlungsunfähigkeit, kann dies die konkret von der Unterdeckung betroffenen Gläubiger auch erheblich benachteiligen, weil sie nicht mit Aussicht auf Erfolg einen Insolvenzantrag stellen können. Ein Unternehmen, das dauerhaft eine - wenngleich geringfügige - Liquiditätslücke aufweist, erscheint auch nicht erhaltungswürdig.
Indes überwiegen die Gründe, einen Schuldner, der seine Verbindlichkeiten bis auf einen geringfügigen Rest bedienen kann, nicht als zahlungsunfähig anzusehen.
Zum einen wollte - wie bereits dargelegt - auch der Gesetzgeber „ganz geringfügige Liquiditätslücken“ für die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit nicht ausreichen lassen. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass er die zu tolerierende Lücke nicht auch quantitativ, sondern lediglich zeitlich - i.S. einer bloßen Zahlungsstockung - verstanden hat.
Ein Insolvenzverfahren soll immer - aber auch erst - dann eingeleitet werden, wenn die Einzelzwangsvollstreckung keinen Erfolg mehr verspricht und nur noch die schnellsten Gläubiger zum Ziele kommen, die anderen hingegen leer ausgehen, eine gleichmäßige Befriedigung somit nicht mehr erreichbar ist. Je geringer der Umfang der Unterdeckung ist, desto eher ist es den Gläubigern zumutbar, einstweilen zuzuwarten, ob es dem Schuldner gelingen wird, die volle Liquidität wieder zu erlangen. Das Geschäftsleben ist in weiten Teilen dadurch gekennzeichnet, dass Phasen mit guter Umsatz- und Ertragslage und Rückschläge sich abwechseln. Insbesondere mittelständische Unternehmen mit geringer Eigenkapitalausstattung, etwa Handwerksbetriebe, sind oft darauf angewiesen, dass Kundenzahlungen vollständig und zeitnah erfolgen. Wird ein größerer Auftrag nicht bezahlt, kann dies eine Liquiditätskrise auslösen. Je kleiner die Liquiditätslücke ist, desto begründeter ist die Erwartung, dass es dem Schuldner gelingen wird, das Defizit in absehbarer Zeit zu beseitigen - sei es durch eine Belebung seiner Geschäftstätigkeit, sei es durch die anderweitige Beschaffung neuer flüssiger Mittel, sei es durch Einigung mit Gläubigern -, also die Zahlungsfähigkeit wieder zu erlangen. In einem solchen Fall brächte die Insolvenzeröffnung den Gläubigern keinen Vorteil, insbesondere keine schnellere und betragsmäßig höhere Befriedigung.
Zwar wird die Auffassung vertreten, wenn ein Schuldner geringe Forderungen nicht mehr ausgleichen könne, so sei er erst recht außerstande, größere Beträge zu zahlen. Diese Erwägung ist unzutreffend. Ein Schuldner, der - beispielsweise - zu 90 % oder mehr liquide ist, vermag durchaus auch hohe Forderungen zu befriedigen.
Einen Insolvenzgrund auch bereits bei sehr kleinen Liquiditätslücken anzunehmen, verbietet sich schließlich im Interesse des Schuldners. Sofern seine Auftragslage gut ist und künftig mit anderen Zahlungseingängen gerechnet werden kann, wäre es unangemessen, wenn er wegen einer vorübergehenden Unterdeckung von wenigen Prozent, die nicht binnen drei Wochen beseitigt werden kann, Insolvenz anmelden müsste. Der damit verbundene Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen wäre unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bedenklich.
Gesamtwirtschaftliche Erwägungen bestätigen dieses Ergebnis. In bestimmten Branchen sind regelmäßig saisonale Flauten zu überbrücken, die teilweise mehrere Monate andauern. Als Beispielsfälle sind insbesondere die Bauwirtschaft, der Fremdenverkehr und die Hersteller typischer Saisonartikel (etwa Bademoden, Wintersportgeräte und - bekleidung) zu nennen. Wer sich auf einem derartigen Wirtschaftssektor als Anbieter betätigt, muss immer wieder mit Liquiditätsengpässen rechnen. Er darf jedoch normalerweise mit einer wirtschaftlichen Erholung rechnen, sobald die Saison wieder angelaufen ist. Müßte er trotzdem, sobald die Grenze der Zahlungsstockung überschritten ist, selbst bei prozentual geringfügiger Liquiditätslücke Insolvenz anmelden, würde dies in manchen Wirtschaftszweigen zu erheblichen Problemen führen.
Um die Praxis in die Lage zu versetzen, den Begriff der „geringfügigen Liquiditätslücke“ zu handhaben, kann auf eine zahlenmäßige Vorgabe nicht völlig verzichtet werden.
Allerdings hat der Gesetzgeber mit Recht davor gewarnt, „Zahlungsunfähigkeit erst anzunehmen, wenn der Schuldner einen bestimmten Bruchteil der Gesamtsumme seiner Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann“. Dies spricht jedoch nur dagegen, eine starre zahlenmäßige Grenze einzuführen, die automatisch über das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit entscheidet. Eine starre Grenze hätte auch der Gesetzgeber einführen können. Da er davon abgesehen hat, wollte er offensichtlich für die Rechtsanwendung eine gewisse Flexibilität ermöglichen.
Würde beispielsweise angenommen, bei einer Unterdeckung von weniger als einem bestimmten Vomhundertsatz läge keine Zahlungsunfähigkeit vor, beim Erreichen dieses Vomhundertsatzes jedoch stets, bliebe unberücksichtigt, dass derartige Quoten für sich allein genommen keine abschließende Bewertung eines wirtschaftlich komplexen Sachverhalts wie der Zahlungsunfähigkeit erlauben. Bei einem Unternehmen, dem im Hinblick auf seine Auftrags- und Ertragslage eine gute Zukunftsprognose gestellt werden kann, hat eine momentane Liquiditätsunterdeckung in Höhe jenes Vomhundertsatzes eine ganz andere Bedeutung als bei einem solchen, dem für die Zukunft ein weiterer geschäftlicher Niedergang prophezeit werden muss.
Daher kommt die Einführung eines prozentualen Schwellenwerts nur in der Form in Betracht, dass sein Erreichen eine widerlegbare Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit begründet.
Der Senat hält es für angemessen, den Schwellenwert bei 10 % anzusetzen. Ein höherer Wert ließe sich mit der Absicht des Gesetzgebers, die Anforderungen an die Annahme der Zahlungsunfähigkeit abzusenken, schwerlich vereinbaren. Andererseits wäre ein niedrigerer Schwellenwert als 10 % - in Betracht kommt dann nur noch 5 % - dem rigorosen „Null-Toleranz-Prinzip“ zu sehr angenähert, um noch praktische Wirkungen entfalten zu können.
Liegt eine Unterdeckung von weniger als 10 % vor, genügt sie allein nicht zum Beleg der Zahlungsunfähigkeit. Wenn diese gleichwohl angenommen werden soll, müssen besondere Umstände vorliegen, die diesen Standpunkt stützen. Ein solcher Umstand kann auch die auf Tatsachen gegründete Erwartung sein, dass sich der Niedergang des Schuldner-Unternehmens fortsetzen wird. Geht es um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, muss das Insolvenzgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 5 I Satz 1 InsO) solche Umstände feststellen. Geht es um die Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG, muss die Gesellschaft, die den Geschäftsführer in Anspruch nimmt, oder deren Insolvenzverwalter die besonderen Umstände vortragen und beweisen.
Beträgt die Unterdeckung 10 % oder mehr, muss umgekehrt im Rahmen des § 64 GmbHG der Geschäftsführer der Gesellschaft - falls er meint, es sei doch von einer Zahlungsfähigkeit auszugehen - entsprechende Indizien vortragen und beweisen. Dazu ist in der Regel die Benennung konkreter Umstände erforderlich, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die Liquiditätslücke zwar nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen - dann läge nur eine Zahlungsstockung vor -, jedoch immerhin in überschaubarer Zeit beseitigt werden wird. Im Zusammenhang mit einem Gläubigerantrag (§ 14 InsO) muss sich der Schuldner auf diese Umstände berufen, und das Insolvenzgericht hat sie festzustellen (§ 5 I Satz 1 InsO).
Je näher die konkret festgestellte Unterdeckung dem Schwellenwert kommt, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu richten, mit denen die Vermutung entkräftet werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerer wiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung von dem Schwellenwert ist.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Ergebnis des BerGer. nicht zu beanstanden. Die mindestens 9,2 %-ige Unterdeckung und eine auf unstreitige Tatsachen gegründete schlechte Zukunftsprognose rechtfertigen zusammen die Annahme, dass die Schuldnerin bereits mit Abschluß des für sie ruinösen Vergleichs am 9. 9. 1999 zahlungsunfähig war. Dies war für den Bekl. erkennbar; zumindest hat er das Gegenteil nicht bewiesen.
Die Zukunftsaussichten für die Schuldnerin waren bereits am 9. 9. 1999 sehr schlecht. In diesem Zusammenhang rügt die Revision vergeblich die Nichterhebung des angebotenen Sachverständigenbeweises. Der Beweis war für die Vertretbarkeit einer von dem Bekl. vorgenommenen positiven Fortführungsprognose angetreten und betraf die Frage der Überschuldung. Darauf hat das BerGer. seine Entscheidung jedoch nicht gestützt.
Der Kl. hat geltend gemacht, der Bekl. habe überhaupt keine positive Zukunftsprognose erstellt. Dabei gewinnt die unstreitige Tatsache Bedeutung, dass der Bekl. Ende September 1999 Kunden der Schuldnerin angedroht hat, wenn sie nicht mit einer Reduzierung ihrer Forderungen um 35 % einverstanden seien, müsse die Schuldnerin „schließen“ und „Konkurs“ anmelden. Nicht vorgetragen ist - was Sache des Bekl. gewesen wäre -, dass sich bis zu dem Tage im Dezember 1999, an dem der Bekl. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hat, eine der Schuldnerin nachteilige Entwicklung ergeben hat, die nicht bereits am 9. 9. 1999 abgeschlossen oder zumindest deutlich erkennbar war.
Auf der Passivseite war damit zu rechnen, dass zu den Verbindlichkeiten, die nach der Berechnung des BerGer. zu einer Unterdeckung von 9,2 % geführt haben, zumindest noch eine solche gegenüber SW. hinzukommen würde. Deren Rechnungen hatte die Schuldnerin in ihrer Summen- und Saldenliste per 31. 8. 1999 berücksichtigt. In der an den Mitgesellschafter B. gerichteten Prüfbitte vom 14. 9. 1999 hatte der Bekl. vorgesehen, dass etwa noch verfügbare Mittel im Verhältnis 2/3 zu 1/3 auf SW. und S. aufgeteilt werden sollten. Noch im Januar 2000 - also nach dem von ihm gestellten Insolvenzantrag, der angeblich durch die schlechte Arbeit der Subunternehmer verursacht sein soll - hat der Bekl. erklärt, die Forderungen der SW. seien wenigstens in Höhe von 350.000 DM berechtigt. Der Kl. hat die Forderungen der SW. in Höhe von über 800.000 DM zur Tabelle anerkannt. Ferner war damit zu rechnen, dass auch S. , dessen Rechnungen am 9. 9. 1999 noch nicht vollständig vorlagen, nicht ohne weiteres auf seine Forderungen verzichten würde. Diese haben inzwischen in Höhe von ca. 953.000 DM Aufnahme in die Tabelle gefunden.
Der Kl. hat dargetan, dass auf der Aktivseite in absehbarer Zeit nicht mit erheblichen zusätzlichen Einnahmen zu rechnen war.
Das BerGer. hat mit näherer Begründung ausgeführt, am 9. 9. 1999 sei nicht zu erwarten gewesen, dass K. den Teilbetrag von 400.000 DM nebst Mehrwertsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt 30. 9. 1999 zahlen werde. Dies wird von der Revision nicht angegriffen und läßt auch keinen Rechtsfehler erkennen. Dass die Aussichten auf Erhalt des Teilbetrages besser zu beurteilen gewesen seien, wenn der Prognosezeitraum über den 30. 9. 1999 hinaus erstreckt worden wäre, macht die Revision - zu Recht - nicht geltend.
Der Vortrag des Bekl., es hätten noch Bestellungen der V. vom 22. 8. und 22. 9. 1999 im Umfang von 1,4 Mio. DM vorgelegen, ist nicht erheblich. Es kann allenfalls vom Abschluß einer Rahmenvereinbarung ausgegangen werden. Ob sich dieser Kontakt durch Abruf bestimmter Leistungen zu einem vergütungspflichtigen Auftrag verdichten würde, war damals nicht abzusehen. Dazu fehlt auch jeder Vortrag.
Die Behauptung des Bekl., die Schuldnerin habe während der gesamten Zeit zwischen dem 9. 9. und dem 31. 12. 1999 ihre Konten durchgängig im Haben geführt, die Einzahlungen hätten die Auszahlungen überstiegen und es seien nie irgendwelche Bankdarlehen in Anspruch genommen worden, besagt nichts über eine objektiv begründete Aussicht, die fehlende Liquidität durch zusätzliche Geldmittel wiederzugewinnen. Der Bekl. hat nicht dargelegt, dass er sich um Kredite bemüht habe, bevor er Insolvenzantrag gestellt hat. Dies läßt vermuten, dass er nach der selbst als „desaströs“ eingeschätzten Abwicklung des Auftrags der K. von Kreditunwürdigkeit ausgegangen ist.
Nicht substantiiert dargelegt hat der Bekl., der Vergleichsschluß habe für die Schuldnerin einen Vorsteuererstattungsanspruch in Höhe von 345.000 DM begründet. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn die Schuldnerin vor dem Vergleichsschluß nicht nur offene Forderungen gegen K. in
Höhe von ca. 4 Mio. DM gebucht, sondern darauf auch bereits Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt gehabt hätte. Dies hat der Bekl. selbst nicht behauptet.
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Annotations
(1) Der Antrag eines Gläubigers ist zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Der Antrag wird nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt wird.
(2) Ist der Antrag zulässig, so hat das Insolvenzgericht den Schuldner zu hören.
(3) Wird die Forderung des Gläubigers nach Antragstellung erfüllt, so hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens zu tragen, wenn der Antrag als unbegründet abgewiesen wird. Der Schuldner hat die Kosten auch dann zu tragen, wenn der Antrag eines Gläubigers wegen einer zum Zeitpunkt der Antragstellung wirksamen nichtöffentlichen Stabilisierungsanordnung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz abgewiesen wird und der Gläubiger von der Stabilisierungsanordnung keine Kenntnis haben konnte.
(1) Der Antrag eines Gläubigers ist zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Der Antrag wird nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt wird.
(2) Ist der Antrag zulässig, so hat das Insolvenzgericht den Schuldner zu hören.
(3) Wird die Forderung des Gläubigers nach Antragstellung erfüllt, so hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens zu tragen, wenn der Antrag als unbegründet abgewiesen wird. Der Schuldner hat die Kosten auch dann zu tragen, wenn der Antrag eines Gläubigers wegen einer zum Zeitpunkt der Antragstellung wirksamen nichtöffentlichen Stabilisierungsanordnung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz abgewiesen wird und der Gläubiger von der Stabilisierungsanordnung keine Kenntnis haben konnte.