Verwaltungsgericht Stuttgart Beschluss, 14. Feb. 2006 - 2 K 622/06

published on 14/02/2006 00:00
Verwaltungsgericht Stuttgart Beschluss, 14. Feb. 2006 - 2 K 622/06
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Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Änderungsbaugenehmigung der Antragsgegnerin vom 23.12.2005 wird angeordnet, soweit das nordwestlich gelegene Mehrfamilienhaus „C.“ mit den Wohnungen 4, 5, 6, 16, 17, 32 und 33 betroffen ist.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert des Verfahrens wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Antragstellerin begehrt, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 16.01.2006 gegen die Änderungsbaugenehmigung der Antragsgegnerin vom 23.12.2005 anzuordnen, mit der die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung von 7 Mehrfamilienwohnhäusern mit 43 Wohnungen und 2 Gewerbeeinheiten und Tiefgarage auf dem Grundstück ...-Platz 1-6, Flst. Nr. ... in ... vom 22.08.2005 abgeändert wurde. Bzgl. der ursprünglichen Baugenehmigung hatte die Antragstellerin ebenfalls Widerspruch eingelegt. Auf ihren Eilantrag hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 05.12.2005 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzgl. des Hauses „C“ angeordnet 2 K 3143/05).
Der Antrag ist zulässig. Nach § 212 a Abs. 1 BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. In diesen Fällen kann der betroffene Nachbar gemäß §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO beim zuständigen Gericht die Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung beantragen. Der Antrag ist nicht fristgebunden.
Der Antrag ist auch begründet. Das Interesse der Antragstellerin, vorläufig von vollendeten Tatsachen verschont zu bleiben, überwiegt das Interesse der Beigeladenen, von der baurechtlichen Entscheidung der Antragsgegnerin sofortigen Gebrauch machen zu dürfen. Denn nach summarischer Prüfung im Eilverfahren spricht derzeit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Widerspruch der Antragstellerin erfolgreich sein wird. Die der Beigeladenen erteilte Änderungsbaugenehmigung wurde nämlich von der Antragsgegnerin als unzuständige Behörde erteilt und die Zuständigkeitsverlagerung des § 48 Abs. 2 Satz 1 LBO ist jedenfalls auch dem Schutz der Antragstellerin als Nachbarin zu dienen bestimmt (sog. drittschützende Vorschrift). Dies ergibt sich aus folgendem:
Gem. § 48 Abs. 1 LBO ist für die Erteilung von Baugenehmigungen, soweit nichts anderes bestimmt ist, die untere Baurechtsbehörde sachlich zuständig. Diese ist im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin gem. § 46 Abs. 1 Nr. 3 LBO grundsätzlich die Antragsgegnerin als große Kreisstadt (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 LVG) selbst. Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 LBO wird anstelle einer Gemeinde als Baurechtsbehörde die nächst höhere Baurechtsbehörde zuständig, wenn es sich um ein Vorhaben der Gemeinde selbst handelt, gegen das Einwendungen erhoben wurden. Dabei liegt ein Vorhaben der Gemeinde in diesem Sinne nicht nur dann vor, wenn die Gemeinde selbst als Bauherrin auftritt, sondern auch dann, wenn es sich um ein Bauvorhaben einer juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts handelt, auf dessen Willensentschließung die Gemeinde einen entscheidenden Einfluss auszuüben befugt ist (vgl. Sauter, Kommentar zur LBO, Stand 25. Lieferung Mai 2005, Rn 19 zu § 48). So verhält es sich hier. Eines der Grundstücke des Gesamtvorhabens steht ausweislich des Lageplans im Eigentum der Antragsgegnerin und bei der beigeladenen Bauherrin handelt es sich um die Städtische Wohnbau ... GmbH. Diese ist ausweislich ihrer Homepage im Internet eine 100%ige Tochter der Stadt ... mit Bürgermeister ... als Geschäftsführer und Oberbürgermeister Dr. ... als Aufsichtsratsvorsitzenden. Da somit die Antragsgegnerin von der Gesellschaftstruktur her befugt ist, auf die Willensentschließung der GmbH, auch wenn es sich formal um eine juristische Person handelt, entscheidenden Einfluss zu nehmen und gegen das Bauvorhaben Einwendungen erhoben wurden, hat sich die Zuständigkeit für die Erteilung der Baugenehmigung auf das Regierungspräsidium Stuttgart (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 LBO) verlagert. Es kann für die summarische Prüfung im Eilverfahren dahinstehen, ob die gleichwohl von der Antragsgegnerin als unzuständiger Behörde erteilte Baugenehmigung wegen Handelns der unzuständigen Behörde an einem so offenkundigen schweren Mangel leidet, dass sie sogar gem. § 44 Abs. 1 LVwVfG nichtig ist (so etwa VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 01.04.1982, 3 S 108/82, VBlBW 1983, 25-27). Denn jedenfalls ist die angefochtene Änderungsbaugenehmigung rechtswidrig.
Die rechtswidrige Änderungsbaugenehmigung verletzt auch die Antragstellerin in ihren Rechten.
Zwar ist in Rechtssprechung und Literatur nicht eindeutig geklärt, ob sich ein betroffener Nachbar grundsätzlich allein auf einen Verstoß gegen die Einhaltung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit berufen kann. Soweit etwa der VGH Baden-Württemberg zu §§ 82, 86 LBO a.F. ausgeführt hatte, dass diese Zuständigkeitsvorschriften ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Verwaltungsverfahren dienten (vgl. Urt. v. 16.11.1979, III S 3858/78) hat es sich um eine andere Fallgestaltung gehandelt, weshalb diese Rechtsprechung nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar ist. Denn damals wurde eine Gemeinde tätig, obwohl sie (per Delegation) die Baurechtszuständigkeit an eine Verwaltungsgemeinschaft abgegeben hatte. Im vorliegenden Fall sieht das Gesetz dagegen einen Zuständigkeitswechsel wegen gesetzlich vermuteter Besorgnis der Befangenheit der handelnden Gemeinde aufgrund wirtschaftlicher Eigeninteressen vor. Schon dieser Gesetzeszweck spricht dafür, die Zuständigkeitsregelung als drittschützend anzusehen. Im übrigen beinhaltet § 48 Abs. 2 Satz 1 LBO als zusätzliche Voraussetzung für die Zuständigkeitsverlagerung, dass Einwendungen gegen ein Bauvorhaben erhoben worden sind. Deshalb ist die Beachtung der Zuständigkeitsverlagerung zumindest gegenüber dem Einwender nachbarschützend, da ihm ansonsten die Möglichkeit einer Prüfung seines Vorbringens von einer unabhängigen Behörde vor Baubeginn wegen der kraft Gesetzes sofortigen Vollziehbarkeit der Baugenehmigung (§ 212a BauGB) genommen würde. Die Antragstellerin ist damit schon allein durch das Handeln der unzuständigen Behörde in eigenen Rechten verletzt.
Darüber hinaus steht im vorliegenden Fall aufgrund des äußeren Ablaufs auch konkret in Frage, ob die Antragsgegnerin die Genehmigungsvoraussetzungen für die hier angefochtene geänderte Ausführung des Gebäudes „C“ gründlich geprüft hat. Nicht allein der Umstand, dass die Pläne zur Änderungsbaugenehmigung bereits am 25.11.2005, also während des laufenden gerichtlichen Eilverfahrens, gefertigt und bereits am 23.12.2005, also wenige Tage nach Zustellung (20.12.2005) der stattgebenden Entscheidung im Eilverfahren vom 08.12.2005, genehmigt wurden, stellt eine ordnungsgemäße Prüfung durch die Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der gerichtlichen Ausführungen ernsthaft in Frage. Dies zeigt sich auch daran, dass die Pläne bzgl. der vorgenommenen Änderungen unklar sind. Da lediglich ein Grundriss zum Dachgeschoss Bestandteil der geänderten Bauvorlagen ist, scheint sich die Zurücksetzung des Gebäudes gegenüber der Antragstellerin allein auf dieses Geschoss zu beziehen. In den üblicherweise mit den Grundrissen korrespondierenden Ansichten sind diese „Änderungen“ aber wegen fehlender farblicher Gestaltung nicht mit der für Bauvorlagen notwendigen Klarheit nachvollziehbar. Dies macht eine gerichtliche Nachprüfung der von der Antragsgegnerin behaupteten nunmehrigen Einhaltung der im ersten Verfahren gerichtlich beanstandeten Abstandsflächen derzeit unmöglich.
Angesichts dieser Gesamtumstände erscheint es allein interessengerecht, dass die Beigeladene so lange von der Änderungsbaugenehmigung keinen Gebrauch machen kann, bis diese von der zuständigen Baurechtsbehörde - hier Regierungspräsidium Stuttgart - nochmals überprüft wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
10 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde 1. auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen,2. auf Ant
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde 1. auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen,2. auf Ant
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published on 25/04/2006 00:00

Tenor Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2006 - 2 K 622/06 - geändert. Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt. Die Antragste
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Annotations

(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde

1.
auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen,
2.
auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.

(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen.

(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens haben keine aufschiebende Wirkung.

(2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Geltendmachung des Kostenerstattungsbetrags nach § 135a Absatz 3 sowie des Ausgleichsbetrags nach § 154 durch die Gemeinde haben keine aufschiebende Wirkung.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.