| |
| Die Klägerin begehrt die staatliche Anerkennung eines von ihr geführten Berufskollegs für Grafikdesign als Ersatzschule, ohne verpflichtet zu sein, Religionsunterricht oder ersatzweise Ethikunterricht anzubieten. |
|
| Mit Urteil vom 02.03.2010 hat das Verwaltungsgericht die hierauf gerichtete Klage abgewiesen. Auf den hiergegen von der Klägerin gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung hat der Senat die Berufung wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache mit Beschluss vom 17.03.2011 zugelassen. Der Beschluss ist dem Bevollmächtigten der Klägerin mit Empfangsbekenntnis am 24.03.2011 zugestellt worden. Mit am 04.05.2011 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung bringt sie vor, sie habe die Berufungsbegründungsfrist unverschuldet versäumt. Obwohl im Büro ihres Bevollmächtigten ein sehr zuverlässiges System hintereinander geschalteter Kontrollen betrieben werde, sei die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender des Bevollmächtigten aufgrund eines einmaligen Fehlers der Mitarbeiter unterblieben. Erst am Abend des 27.04.2011 habe ihr Bevollmächtigter die Akte zum vorliegenden Verfahren in die Hand genommen und den Zulassungsbeschluss sowie den Fristablauf bemerkt. |
|
| Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart in den Rechtssachen 4 K 3747/09, 4 K 3710/09, 4 K 3711/09, des Regierungspräsidiums Tübingen (3 Bände) sowie die Akten des Verwaltungsgerichtshofs aus den mit der vorliegenden Rechtssache in Zusammenhang stehenden Verfahren 9 S 2608/10, 9 S 1888/10 sowie 9 S 1972/10 vor. Darüber hinaus liegen dem Senat Kopien des Fristenkalenders sowie die einschlägige Handakte des Bevollmächtigten der Klägerin im Original (2 Ordner) sowie in Kopie (1 Ordner) vor. |
|
| |
| |
| 1. Die Berufung wurde nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO begründet. Danach ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Der Beschluss über die Zulassung der Berufung wurde hier am 24.03.2011 dem Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt. Damit endete die Frist mit Ablauf des 26.04.2011, dem Dienstag nach den Osterfeiertagen. |
|
| 2. Der Klägerin wird gemäß § 60 Abs. 1 VwGO auf ihren zulässigen Antrag vom 04.05.2011 keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Sie war nicht ohne ihr Verschulden gehindert, die Frist einzuhalten. Ihr ist insoweit das Verschulden ihres Bevollmächtigten nach § 173 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. |
|
| a) Nach den genannten Vorschriften steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden des Beteiligten gleich. Das Verschulden von Hilfspersonen eines Bevollmächtigten ist diesem und dem Beteiligten dagegen nicht zuzurechnen. Den Beteiligten zurechenbar ist jedoch ein Verschulden des Bevollmächtigten bei der Auswahl und Anleitung der Hilfspersonen sowie einer zweckmäßigen Büroorganisation (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 60 Rn. 21 m.w.N.). |
|
| Ein Prozessbevollmächtigter hat durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Dabei kann er zwar die Feststellung, Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen (vgl. BVerwG, Beschluss 23.06.2011 - 1 B 7/11 -, Juris Rn. 5). Dazu zählt jedoch die Frist zur Begründung der Berufung im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof im Allgemeinen nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 12.06.2007 - 9 S 315/07 -, NVwZ-RR 2007, 819, 820; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 02.08.2006 - 4 S 2288/05 -, NVwZ-RR 2007, 137, und vom 07.08.2003 - 11 S 1201/03 -, NVwZ-RR 2004, 222; OVG NRW, Urteil vom 13.06.2012 - 13 A 536/09 -, Juris Rn. 25; Beschluss vom 24.10.2003 - 12 A 5511/00 -, NVwZ-RR 2004, 221; OVG Saarland, Beschluss vom 31.08.2011 - 2 A 272/11 -, NJW 2012, 100). Nur wenn sich die Abwicklung solcher Verfahren nach den konkreten Verhältnissen in der Rechtsanwaltskanzlei als Routineangelegenheit darstellt, sind geringere Anforderungen zu stellen, allerdings nur in dem Sinne, dass der Anwalt die Frist nicht selbst berechnen muss, sondern sich auf eine Überprüfung beschränken kann. Gehören solche Verfahren zur Büroroutine und war die Büroangestellte allein für diese Verfahren zuständig und daher auch routiniert, würde es die Anforderungen an den Prozessbevollmächtigten des Weiteren überspannen, von ihm über die organisatorischen Vorkehrungen und die stichprobenartigen Kontrollen hinaus eine umfassende Überprüfung jeder Fristenübertragung zu verlangen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 3 C 21/11 -, Juris Rn. 23; Beschluss vom 28.02.2002 - 6 C 23/01 -, Juris Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 24.06.2011 - 1 A 1756/09 -, Juris, Rn. 53 bis 55; Nds. OVG, Beschluss vom 29.06.2012 - 2 LA 185/12 -, Juris Rn. 8). |
|
| Unabhängig hiervon darf ein Empfangsbekenntnis über die Zustellung einer Gerichtsentscheidung von einem Rechtsanwalt erst dann unterzeichnet und zurückgesandt werden, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 03.12.2002 - 1 B 429/02 -, NVwZ 2003, 868, und vom 29.12.2003 - 5 B 218/02 -, Juris Rn. 3; BGH, Beschlüsse vom 12.01.2010 - VI ZB 64/09 -, MDR 2010, 414, und vom 22.06.2010 - VIII ZB 12/10 -, NJW 2010, 3305; OVG NRW, Urteil vom 13.06.2012, a.a.O., Rn. 27; Beschluss vom 24.06.2011, a.a.O., Rn. 61 ff.; OVG Saarland, Beschlüsse vom 24.11.2009 - 1 D 494/09 -, Juris Rn. 4, und vom 31.08.2011, a.a.O., Rn. 9; Nds. OVG, Beschluss vom 29.06.2012, a.a.O., Rn. 7; Greger, in: Zöller , ZPO, 29. Aufl. 2012, § 233 Rn. 23 „Fristenbehandlung“). |
|
| Der Rechtsanwalt muss ferner dafür sorgen, dass ihm gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Gerichtsentscheidungen - gerade im Hinblick auf etwaige Fristen - vorgelegt werden, damit er besondere Einzelweisungen erteilen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.01.1995 - 11 C 24/94 -, NJW 1995, 1443). Wird dem Prozessbevollmächtigten ein Empfangsbekenntnis - entgegen der allgemeinen Anweisung - ohne das zugestellte Schriftstück und ohne die zugehörige Handakte vorgelegt, trifft ihn ein eigenes Verschulden. Denn in diesem Fall wäre er verpflichtet gewesen, sich bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses, das sich für ihn erkennbar auf eine Gerichtsentscheidung bezog, diese nebst Akten im Hinblick auf etwaige durch die Zustellung ausgelöste Fristen vorlegen zu lassen und eigenständig daraufhin zu prüfen, ob die Zustellung eine Frist auslöst oder nicht. Dies gilt namentlich auch deswegen, weil es für eine ordnungsgemäße Fristsicherung grundsätzlich nicht ausreicht, aufgrund allgemeiner Anweisung die Fristen vor Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses in einem Fristenkalender einzutragen bzw. eintragen zu lassen. Vielmehr ist außerdem erforderlich, dass die Rechtsmittelfrist sowie die Eintragung der Frist im Fristenkalender auch in den Handakten vermerkt werden, insbesondere auf dem zugestellten Schriftstück (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.06.2011, a.a.O, Rn. 69; OVG Saarland; Beschluss vom 31.08.2011, a.a.O., Rn. 9). Abgesehen davon ist bei einer Zustellung mittels Empfangsbekenntnis für den Beginn der Frist nicht das Datum des Eingangsstempels der Kanzlei, sondern das Datum der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses maßgeblich. Dieses Datum muss ebenfalls vermerkt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22.06.2010, a.a.O., und Beschluss vom 12.01.2010). |
|
| b) Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Bevollmächtigte der Klägerin die Einhaltung der Berufungsfrist selbst schuldhaft versäumt. Auf das vom Bevollmächtigten geltend gemachte einmalige, der Klägerin nicht zurechenbare Versagen der Kanzleiangestellten bei der Fristenerfassung und -eintragung in den Fristenkalender kommt es daher nicht an. |
|
| aa) Das Verschulden des Bevollmächtigen der Klägerin ergibt sich zunächst daraus, dass er die Frist für die Begründung der Berufung nicht selbst berechnet hat. Hierzu war er verpflichtet, weil nicht glaubhaft gemacht wurde, dass es sich bei verwaltungsgerichtlichen Berufungsverfahren um eine Routineangelegenheit der Kanzlei des Bevollmächtigten handelt. Vielmehr wird im Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 04.05.2011 schlicht behauptet, verwaltungsprozessuale Berufungen seien „nicht selten“ bzw. kämen „häufiger“ vor (so die eidesstattliche Versicherung der ehemaligen Angestellten S.). Mit konkreten Zahlen wird diese Behauptung jedoch nicht belegt. Auch im Übrigen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass zugelassene verwaltungsprozessuale Berufungen zum Routinegeschäft der Kanzlei des Bevollmächtigten gehören. So ergab eine Recherche über das Verfahrensregister der Fachanwendungssoftware „Justus“ nicht, dass die Kanzlei des Bevollmächtigen zumindest beim vorliegend entscheidenden Verwaltungsgerichtshof routinemäßig Berufungsverfahren betreibt; es fanden sich in den letzten zehn Jahren nur zwei zugelassene Berufungen. |
|
| bb) Unabhängig hiervon liegt ein Verschulden des Bevollmächtigten der Klägerin mit Blick auf die Fristversäumung auch darin, dass er bei der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses, mit dem die Zustellung des Beschlusses vom 17.03.2011 nachgewiesen wurde, nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet hat. So wurde - entgegen den oben dargestellten Vorgaben der Rechtsprechung - das Empfangsbekenntnis unterschrieben und zurückgesandt, ohne dass dem Bevollmächtigten der Klägerin die Handakte vorgelegen hätte und ohne dass in der Handakte die Rechtsmittelfrist und der Eintrag der Frist in den Fristenkalender vermerkt gewesen wäre. Als Empfangsdatum enthielt das Empfangsbekenntnis lediglich das Datum des Eingangsstempels der Kanzlei in Form des entsprechenden Stempelaufdrucks. Hätte sich der Bevollmächtigte der Klägerin die Handakte und den zugestellten Beschluss in Papierform vorlegen lassen, hätte er feststellen können, dass die nach der Rechtsprechung gebotenen Vermerke fehlen. Gleiches gilt, wenn er einen Blick in die elektronische Handakte geworfen hätte. |
|
| Die Vermerke - etwa auf dem zugestellten Beschluss oder dem im Original in der Kanzlei verbliebenen Empfangsbekenntnis - fehlen in der Handakte tatsächlich. Davon hat sich der Senat durch Einsichtnahme in das Original der Handakte überzeugt. |
|
| Dass dem Bevollmächtigten der Klägerin bei der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses die Handakte nicht vorgelegen hat, ergibt sich aus seiner Antwort auf die schriftliche Anfrage des Senats vom 20.07.2012. Der Senat hat den Bevollmächtigten um Mitteilung gebeten, ob ihm der zugestellte Senatsbeschluss vom 17.03.2011 über die Zulassung der Berufung, das Empfangsbekenntnis sowie die Handakten hierzu am 24.03.2011 - dem Tag der Zustellung - persönlich vorgelegen haben. Hierauf hat der Bevollmächtigte der Klägerin am 27.07.2012 erklärt, der fragliche Beschluss sei ihm am 24.03.2011 eingescannt vom Sekretariat übermittelt worden. In dieser eingescannten Forum habe er ihn der Klägerin weitergeleitet. Dies sei geschehen, weil er an der Postverteilung wegen mehrerer aufeinander folgender Telefonkonferenzen nicht habe teilnehmen und die Post nicht selbst habe entgegennehmen können. Dies sei von seiner Sekretärin besorgt worden. Die Sekretärin des Bevollmächtigten hat an Eides Statt am 29.04.2011 versichert, dass der Bevollmächtigte der Klägerin am 24.03.2011 erst am Nachmittag nach einem Termin ins Büro gekommen sei. Zu dieser Zeit sei die Postverteilung und -bearbeitung durch sie bereits beendet gewesen. |
|
| Diesen Stellungnahmen ist weiter zu entnehmen, dass dem Bevollmächtigten an dem fraglichen Tag der Beschluss lediglich in elektronischer Form vorgelegen hat. Dieser wurde - so eine in der Handakte befindliche E-Mail des Bevollmächtigten der Klägerin vom 24.03.2011 - um 15:52 Uhr an die Klägerin weitergeleitet. Unklar bleibt nach den Stellungnahmen, wann dem Bevollmächtigten das von ihm unterschriebene Empfangsbekenntnis persönlich vorgelegen hat. Denn eine Antwort auf diese Frage wurde dem Senat nicht gegeben. Allerdings wurde das Empfangsbekenntnis bereits um 13:35 Uhr mit der Unterschrift des Bevollmächtigten an den Verwaltungsgerichtshof per Fax zurückgesandt. Damit ist noch nicht einmal glaubhaft gemacht, dass dem Bevollmächtigten bei der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses überhaupt der zugestellte Beschluss vorlegen hat. |
|
| |
| Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. |
|
| Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nummer II.38.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, S. 1327). |
|
| |