Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Beschluss, 08. Nov. 2017 - 9 C 153/17
Gericht
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
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Der auf vorläufige Zuweisung eines Studienplatzes im Studiengang Humanmedizin im 1. Fachsemester, hilfsweise für den vorklinischen Studienabschnitt, zum Wintersemester 2017/2018 bei der Antragsgegnerin gerichtete Antrag ist gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet.
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Es fehlt an einem Anordnungsanspruch.
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Die Antragstellerin begehrt die Beteiligung an einem vom Gericht anzuordnenden Vergabeverfahren und für den Fall, dass sie ausgewählt wird, die vorläufige Zulassung auf einen solchen Studienplatz. Damit beantragt sie die vorläufige Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität. Ein Anspruch darauf besteht jedoch schon deshalb nicht, weil die Antragstellerin die Zulassung außerhalb der Kapazität nicht entsprechend den Vorgaben des § 23 der Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen durch die Stiftung für Hochschulzulassung (VergabeVO Stiftung) vom 03.05.2010 in der Fassung der „Landesverordnung zur Änderung der Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen durch die Stiftung für Hochschulzulassung und zur Änderung der Hochschulzulassungsverordnung“ vom 22.06.2016 (NBl. HS MSGWG S. 26 - HZVO -) beantragt hat und damit vom Vergabeverfahren hinsichtlich solcher Plätze ausgeschlossen ist.
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Nach dieser seit dem Sommersemester 2017 geltenden Vorschrift müssen Anträge, mit denen ein Anspruch auf Zulassung außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl geltend gemacht wird, für das Sommersemester bis zum 1. April und für das Wintersemester bis zum 1. Oktober bei der Hochschule eingegangen sein (Ausschlussfrist). Voraussetzung für die Zulassung außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen ist außerdem ein form- und fristgerechter Antrag auf Zulassung nach § 3 im zentralen Vergabeverfahren in dem betreffenden Studiengang für den betreffenden Studienort.
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Die Antragstellerin hat zwar mit Schreiben vom 22.09.2017 einen Antrag auf Zulassung außerhalb der Kapazität bei der Antragsgegnerin gestellt; sie war jedoch nicht antragsberechtigt, da sie sich nicht im zentralen Vergabeverfahren form- und fristgerecht bei der Antragsgegnerin beworben hat. Nach den von ihr vorgelegten Unterlagen hat sie Lübeck im zentralen Vergabeverfahren nicht als gewünschten Studienort genannt.
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An der Wirksamkeit der Vorschrift hat die Kammer keine Zweifel.
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Ermächtigungsgrundlage für § 23 VergabeVO Stiftung ist Art. 12 Abs. 1 des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 05.06.2008 (GVOBl. S. 305) – Staatsvertrag – i.V.m. § 3 Abs. 2 des schleswig-holsteinischen Zustimmungs- und Ausführungsgesetzes vom 19.06.2007 (GVOBl. S. 293) i.d.F. vom 19.06.2009 (GVOBl. S. 331). Danach bestimmen die Länder durch Rechtsverordnungen die Einzelheiten des Verfahrens und der dabei anzuwendenden inhaltlichen Kriterien, insbesondere (Nr. 4) den Ablauf des Vergabeverfahrens sowie die Vergabe nicht in Anspruch genommener oder aus anderen Gründen frei gebliebener Plätze.
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Soweit die Kammer in früheren Entscheidungen zur Fristenregelung in der außer Kraft getretenen Auswahlverordnung 1993 (z.B. B. v. 16.12.2010 - 9 C 106/10 -) die Auffassung vertreten hat, dass sich sämtliche die Zulassung zum Studium betreffenden Gesetze sowie der Staatsvertrag nur auf die Zulassung innerhalb der festgesetzten Kapazität beziehen würden und daher keine Ermächtigungsgrundlage für Regelungen zur Vergabe außerkapazitärer Plätze darstellten, hält sie daran im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr fest. In seinem Urteil vom 23.03.2011 (- 6 CN 3.10 -, juris) hat das Bundesverwaltungsgericht Art.12 Abs. 1 Nr. 4 Staatsvertrag (bzw. die damalige gleichlautenden Regelung des Art. 15 Abs. 1 Nr. 6 Staatsvertrag 2006) als hinreichende Ermächtigungsgrundlage für entsprechende Regelungen über außerkapazitäre Anträge in der baden-württembergischen Vergabeverordnung angesehen. Der VGH Baden-Württemberg hatte diese Regelung in seinem Urteil vom 29.10.2009
(- 9 S 1611/09 -, juris) dahingehend ausgelegt, dass unter „aus anderen Gründen freigebliebenen Plätze“ auch solche Studienplätze fielen, die bei der Festsetzung der Zulassungszahlen keine Berücksichtigung gefunden hätten. Eine Beschränkung auf den Erlass von Regelungen für Plätze innerhalb der festgesetzten Kapazität sei weder mit dem Wortlaut der Ermächtigung noch mit der Systematik und dem Zweck des staatsvertraglichen Regelwerkes insgesamt vereinbar. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht auch unter rechtsstaatlichen Erwägungen nicht beanstandet (vgl. z.B. auch OVG Saarlouis, B. v. 12.12.2013 – 2 B 456/13.NC -, juris).
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Im Übrigen hat der Landesgesetzgeber eine entsprechende Formulierung in das für die nicht zentral vergebenen Studiengänge geltende Hochschulzulassungsgesetz übernommen und in der Begründung dazu ausdrücklich ausgeführt, der Wortlaut solle an die inhaltsgleiche Ermächtigung im Staatsvertrag angepasst werden. Damit werde im Hinblick auf die frühere Rechtsprechung der Kammer klargestellt, dass diese Ermächtigungsgrundlage auch für Verordnungsregelungen über die Vergabe außerkapazitärer Studienplätze gelte (LT-Drs. 18/3156, S. 76).
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Auch materiell bestehen gegen die in § 23 VergabeVO Stiftung enthaltenen Regelungen für außerkapazitäre Anträge keine Bedenken. Das Teilhaberecht der Studienplatzbewerber aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip wird dadurch nicht unzumutbar erschwert. Es begegnet zunächst keinen Bedenken, dass überhaupt eine Frist für solche Anträge festgesetzt wird; solche Fristen bestehen soweit ersichtlich in allen Bundesländern und sollen gewährleisten, dass jedenfalls zu Semesterbeginn ein Überblick über die Zahl der außerkapazitären Bewerber besteht und auch die gerichtlichen Verfahren auf Zulassung außerhalb der Kapazität so rechtzeitig entschieden werden können, dass noch eine Aufnahme des Studiums zum beantragten Semester möglich ist. Der in § 23 VergabeVO jetzt gewählte Fristablauf jeweils zu Beginn des entsprechenden Semesters zum 01.04. und zum 01.10. ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Dies ermöglicht die Antragstellung zu einem Zeitpunkt, in dem die Zulassungszahlenverordnung bereits längere Zeit veröffentlicht ist und für die Antragsteller für Kapazitätsprüfungen und Überlegungen hinreichend Zeit besteht (vgl. VGH Mannheim, U. v. 22.06.2006 - 9 S 1840/05 -, juris Rn. 40).
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Die Ausschlussregelung ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil für den Antrag auf Zulassung außerhalb der Kapazität ein form- und fristgerechter Antrag auf Zulassung nach § 3 im zentralen Vergabeverfahren in dem betreffenden Studiengang für den betreffenden Studienort erforderlich ist. Auch in Fällen, in denen eine innerkapazitäre Bewerbung bei der Stiftung von vornherein aussichtlos erscheint, erschwert das Erfordernis eines solchen Antrages die Möglichkeit einer Bewerbung auf einen außerkapazitären Studienplatz nicht derart, dass deshalb Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sein könnte. Es ist den Bewerbern zuzumuten, alles ihnen Mögliche zu tun, um den begehrten Studienplatz zu erhalten, dazu gehört auch die innerkapazitäre Bewerbung. Dies gilt auch dann, wenn absehbar ist, dass diese voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die Verknüpfung des regulären Vergabeverfahrens mit dem außerkapazitären Verfahren ist der Sache nach gerechtfertigt. Es handelt sich zwar um verschiedene Streitgegenstände, so dass die Kammer bislang - ohne eine entsprechende normative Vorgabe - eine innerkapazitäre Antragstellung nicht für erforderlich gehalten hat. Dies ändert aber nichts daran, dass beide Anträge letztlich auf das gleiche Ziel, nämlich die Zulassung zu einem bestimmten Studiengang bei einer bestimmten Hochschule, gerichtet sind. Beide Verfahrenswege stehen in einem rechtlichen Zusammenhang, denn Restkapazitäten sind ausschließlich denkbar, wenn die Aufnahmekapazität in der Zulassungszahlenverordnung für die bestimmte Hochschule unzutreffend berechnet worden ist. Der Verordnungsgeber ist deshalb nicht gehindert, den Antrag auf Zuweisung eines zusätzlichen Studienplatzes von der vorherigen regulären Bewerbung auf den entsprechenden Studienplatz abhängig zu machen und damit zu gewährleisten, dass sich die Hochschulen nicht mehr mit Kapazitätsrügen solcher Antragsteller beschäftigen müssen, die bei ihnen zunächst gar keinen Studienplatz angestrebt haben. Dies liegt im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes bei der Ausgestaltung der Vergabeverfahren (vgl. zu alledem VGH Mannheim, U. v. 29.10.2009 - 9 S 1611/09 -, juris Rn. 60 ff.; OVG Hamburg, B. v. 23.01.2012 - 3 Bs 224/11 -, juris Rn. 35; auch VGH Kassel U v. 16.09.2014 - 10 C 1528/13.N - und OVG Münster B. v. 24.02.2017 - 13 C 6/17 -, alle juris).
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Allerdings wird dadurch die Möglichkeit eingeschränkt, Anträge auf Zulassung außerhalb der Kapazität zu stellen, da dies nur noch hinsichtlich der im zentralen Vergabeverfahren gewählten Studienorte zulässig ist. Darin liegt jedoch keine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG, denn auch die Bewerber im zentralen Vergabeverfahren sind in ihrer Wahl des Studienortes eingeschränkt. Das Teilhaberecht in Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen außerhalb der Kapazität kann nicht weiter reichen als im ordentlichen Vergabeverfahren (VGH Mannheim a.a.O. juris Rn. 74; dem folgend BVerwG a.a.O. juris Rn. 27).
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Da damit die Vergabe eines zusätzlichen Studienplatzes über die festgesetzte Kapazität hinaus an die Antragstellerin schon nach § 23 VergabeVO Stiftung ausscheidet, kann offen bleiben, ob die Antragsgegnerin die Kapazität für das 1. Fachsemester zutreffend berechnet hat.
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Der Antrag ist mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 52 Abs. 2 GKG.
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Annotations
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.
(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.
(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.