Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Beschluss, 24. Sept. 2018 - 5 L 1140/18.NW
Gericht
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 13. August 2018 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 25. Juni 2018, mit der die Nutzungsänderung des bisherigen Wohnhauses auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ..., A-Straße ... in Neustadt/Wstr. in ein Bordell bzw. einen bordellähnlichen Betrieb genehmigt wurde, wird angeordnet, soweit die gewerbliche Nutzung den Bereich der drei Meter breiten Abstandsfläche zum Grundstück Flurstück-Nr. ..., A-Straße ... in Neustadt/Wstr. betrifft.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin je zur Hälfte zu tragen. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.750 € festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 13. August 2018 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 25. Juni 2018, mit der die Nutzungsänderung des bisherigen Wohnhauses auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ..., A-Straße ... in Neustadt/Wstr. in ein Bordell bzw. einen bordellähnlichen Betrieb genehmigt wurde, anzuordnen, soweit die gewerbliche Nutzung den Bereich der drei Meter breiten Abstandsfläche zum Nachbargrundstück Flurstück-Nr. ..., A-Straße ... betrifft, ist nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – i.V.m. § 212a Baugesetzbuch – BauGB – statthaft und auch ansonsten zulässig. Er ist ferner auch in der Sache begründet.
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Für die nach § 80a Abs. 3 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung des Gerichts sind die gegenläufigen Interessen des Antragstellers und der Beigeladenen für den Zeitraum bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren gegeneinander abzuwägen. Dabei ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Vorhabens mit nachbarschützenden Vorschriften bestehen. Demgegenüber ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen, wenn die Baugenehmigung offensichtlich nicht gegen nachbarschützende Normen verstößt. Lässt sich auch nach intensiver Prüfung nicht feststellen, ob der Rechtsbehelf des Nachbarn wahrscheinlich zum Erfolg führen wird, sind die Erfolgsaussichten also offen, ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, bei der der Einzelfallbezug gewahrt bleiben muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 – 4 VR 1005/04 –, NVwZ 2005, 689).
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In Anwendung dieser Grundsätze muss hier die Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin ausfallen.
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Die gemäß §§ 70 Abs. 1 Satz 1 Landesbauordnung – LBauO – erteilte Baugenehmigung vom 25. Juni 2018 verstößt gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften, die auch dem Schutz der Antragstellerin als Nachbarin zu dienen bestimmt sind.
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Ein Rechtsbehelf des Nachbarn ist nicht schon dann erfolgreich, wenn der angefochtene Verwaltungsakt gegen objektives Recht verstößt, sondern nur dann, wenn der Nachbar dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 1997 – 4 B 167.96 –, NVwZ-RR 1998, 457; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 8. Februar 2012 – 8 B 10011/12.OVG –, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. November 2016 – 7 A 775/15 –, juris). Dies ist hier der Fall.
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Die Antragstellerin kann sich in bauordnungsrechtlicher Hinsicht auf einen Verstoß gegen die bauordnungsrechtliche Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO berufen. Danach sind vor Außenwänden oberirdischer Gebäude Flächen von Gebäuden freizuhalten. Gemäß § 8 Abs. 6 Satz 1 LBauO beträgt die Tiefe der Abstandsfläche in Gewerbe- und Industriegebieten 0,25 H. In allen Fällen muss die Tiefe der Abstandsfläche jedoch mindestens 3 m betragen (§ 8 Abs. 6 Satz 3 LBauO).
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Hier hält das streitgegenständliche Gebäude der Beigeladenen den Mindestgrenzabstand von drei Metern unzweifelhaft nicht ein. Das in der Vergangenheit zu Wohnzwecken genutzte Gebäude war am 17. Oktober 1963 bauaufsichtlich genehmigt worden. Kurz zuvor war im August 1963 eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Weberei auf dem gleichen Grundstück erteilt worden. Zu einem nach Angaben der Antragsgegnerin nicht mehr bekannten späteren Zeitpunkt (vermutlich in den 70er Jahren) wurde dieses Grundstück geteilt, so dass ab diesem Zeitpunkt das weiterhin zu Wohnzwecken genutzte Gebäude an der südlichen Außenwand auf der Grundstücksgrenze stand. Soweit die Antragsgegnerin vorgetragen hat, das Wohngebäude sei als Betriebsleiterwohnung für die Weberei genehmigt worden, lässt sich dies aus den vorgelegten Verwaltungsakten nicht nachvollziehen. In den Bauplänen, auf denen jeweils ein Genehmigungsstempel mit dem Datum 17. Oktober 1963 angebracht ist, ist stets von einem Wohnhausneubau die Rede. Der in den Bauakten enthaltene Bauschein vom 17. Oktober 1963 enthält keinerlei Einschränkung.
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Die Umwandlung des zu Wohnzwecken genutzten grenzständigen Gebäudes in ein Bordell stellt eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar (1.). Diese Nutzungsänderung hat zur Folge, dass die Abstandsregelungen des § 8 LBauO neu behandelt werden müssen (2.). Eine Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudes innerhalb der Abstandsflächen ist nicht nach § 8 Abs. 12 LBauO zulässig (3.). Der Verstoß gegen § 8 LBauO ist hier auch nicht wegen der Möglichkeit der Zulassung einer Abweichung nach § 69 Abs. 1 LBauO unbeachtlich (4.). Es drängt sich nicht auf, dass die Beigeladene einen Anspruch auf Zulassung einer Abweichung hat (5.).
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1. Eine Nutzungsänderung im Sinne des § 29 Satz 1 BauGB ist immer dann anzunehmen, wenn die jeder Art von Nutzung eigene tatsächliche Variationsbreite verlassen wird und durch die Veränderung bodenrechtliche Belange, wie sie insbesondere § 1 Abs. 5 BauGB bestimmt, erneut berührt werden können, und damit die Genehmigungsfrage erneut aufgeworfen wird (s. z.B. BVerwG, Urteil vom 11. November 1988 – 4 C 50/87 –, NVwZ-RR 1989, 340 und Urteil vom 18. November 2010 – 4 C 10/09 –, NVwZ 2011, 748). Dies ist hier der Fall, denn die Nutzung als Bordell – einem in Gewerbegebieten gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 Baunutzungsverordnung – BauNVO – allgemein zulässigen Gewerbebetrieb (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05. Juni 2014 – 4 BN 8/14 –, UPR 2014, 397 und Beschluss vom 02. November 2015 – 4 B 32/15 –, NVwZ 2016, 151; Bay. VGH, Urteil vom 13. Dezember 2017 – 2 B 17.1741 –, juris) ist nicht mehr von der Baugenehmigung zur Errichtung einer Wohnung gedeckt.
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2. Obwohl Gegenstand des Vorhabens allein eine Änderung der Nutzung des hinsichtlich ihrer Außenwände (nahezu) unverändert gebliebenen ehemaligen Wohngebäudes ist, stellt sich die Genehmigungsfrage hinsichtlich der Abstandsregelungen neu (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09. März 2010 – 8 B 10263/10.OVG – und Beschluss vom 22. November 2001 – 8 B 11707/01.OVG –, ESOVG). Geht es um die Änderung einer Nutzung, dürfen Bausubstanz einerseits und Nutzung andererseits nicht getrennt beurteilt werden; sie bilden eine Einheit (BVerwG, Urteil vom 18. November 2010 – 4 C 10/09 –, juris). Aus dem Umstand, dass § 61 LBauO auch die Änderung der Nutzung eines für eine andere Nutzung genehmigten und errichteten Gebäudes grundsätzlich der Genehmigungspflicht unterwirft, soweit in den §§ 62, 67 und 84 LBauO nichts anderes bestimmt ist, und die Erteilung der Baugenehmigung die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften voraussetzt, folgt, dass auch bei der Nutzungsänderung grundsätzlich alle öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zu prüfen sind, sofern sie auch für die Nutzung des Gebäudes Bedeutung haben können. Dies ist aber bei den Abstandsvorschriften der Fall, was sich sowohl aus deren Schutzgütern, zu denen neben der Belichtung und Belüftung des Gebäudes auch nutzungsbezogene Belange wie der Brandschutz und vor allem der Wohnfrieden gehören (s. z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24. Juni 2010 – 1 A 11265/09 –, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Juli 2018 – OVG 10 S 68.17 –, juris; VG Neustadt/Wstr., Urteil vom 17. April 2008 – 4 K 25/08.NW –, juris), als auch aus den Regelungen selbst ergibt, für die hinsichtlich der Bemessung bzw. der ausnahmsweise Entbehrlichkeit der Abstandsflächen in verschiedener Hinsicht auch die Nutzungsfrage von Bedeutung ist (s. z.B. § 8 Abs. 9 LBauO).
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3. Gewinnt der bisher in Bezug auf das Wohngebäude bestandsgeschützte Verstoß gegen § 8 Abs. 1, Abs. 6 Satz 3 LBauO durch die von der Beigeladenen vorgesehene Nutzungsänderung folglich abstandsflächenrechtliche Relevanz, so wäre das Vorhaben ohne Einhaltung von Abstandsflächen nach Maßgabe des § 8 Abs. 12 LBauO zulässig. Wird danach in zulässiger Weise errichteten Gebäuden, deren Außenwände die nach diesem Gesetz erforderlichen Abstandsflächen gegenüber Grundstücksgrenzen nicht einhalten, Raum für die Wohnnutzung oder die Änderung und Entwicklung ansässiger, ortsüblicher Betriebe insbesondere des Weinbaus, Handwerks oder Gastgewerbes durch Ausbau oder Änderung der Nutzung geschaffen, gelten die Absätze 1 bis 4 und 6 nicht für diese Außenwände, wenn
1. die Gebäude in Gebieten liegen, die überwiegend dem Wohnen oder der Innenentwicklung von Städten und Gemeinden dienen,
2. die Gebäude eine erhaltenswerte Bausubstanz haben und
3. die äußere Gestalt des Gebäudes nicht oder nur unwesentlich verändert wird.
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Der 1999 in die Landesbauordnung aufgenommene § 8 Abs. 12 LBauO enthält als Sondervorschrift unter den genannten Voraussetzungen einen Verzicht auf das allgemeine Abstandsflächenerfordernis bei nachträglicher Umnutzung von legal errichteten Gebäuden zu Wohnraum oder gewerblicher Nutzung (s. Jeromin, in: Jeromin, Landesbauordnung RhPf, 4. Auflage 2016 Rn. 153). Diese Vorschrift ist vorliegend jedoch nicht einschlägig, da in dem streitgegenständlichen Gebäude weder neuer Raum für Wohnnutzung noch für die Änderung und Entwicklung ansässiger, ortsüblicher Betriebe geschaffen wird.
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4. Die sich infolge der Nutzungsänderung ergebende Abstandspflichtigkeit des Gebäudes kann mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 8 Abs. 12 LBauO nur durch die im Ermessen der Antragsgegnerin stehende Zulassung einer Abweichung gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO aufgehoben werden. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen nach diesem Gesetz und nach den aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind, soweit in diesem Gesetz oder in den aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften nichts anderes bestimmt ist.
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Nach der Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 20. September 1999 – 1 A 11285/99.OVG –, ESOVG), der die Kammer folgt, wird die Abweichungsregelung in § 69 LBauO nicht durch § 8 Abs. 12 LBauO als Spezialvorschrift verdrängt. Vielmehr besteht der Sinn des § 8 Abs. 12 LBauO darin, dass ein bestimmter im Baurecht häufig vorkommender Lebenssachverhalt, der bis Ende 1998 aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 16. Mai 1991 – 4 C 17.90 –, NJW 1991, 3293) die Erteilung einer Befreiung erforderlich machte, ab 1999 gesetzlich in der Weise geregelt wurde, dass die Anwendung der Abstandsflächenvorschrift in § 8 Abs. 1 bis 4 und 6 LBauO unter den in Abs. 12 genannten Voraussetzungen ausgeschlossen wird, ohne dass es der Erteilung eines Ausnahme-, Befreiungs- oder Abweichungsbescheides bedarf. Daneben gibt es in anderen Fällen, in denen nicht die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind, die Möglichkeit, gemäß § 69 LBauO unter den dort geregelten Voraussetzungen eine Abweichung von bauordnungsrechtlichen Vorschriften und damit auch von § 8 Abs. 1 bis 11 LBauO zuzulassen.
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Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 25. Juni 2018 enthält keine Zulassung einer Abweichung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO. Auch der Bauakte kann nicht entnommen werden, dass sich die Antragsgegnerin der betreffenden Abweichung überhaupt bewusst war und diese mit der Baugenehmigung in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zulassen wollte.
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Leidet die Baugenehmigung aber wegen der fehlenden Zulassungsentscheidung an einem rechtlichen Mangel, so kann sich die Antragstellerin hierauf grundsätzlich auch berufen. Denn § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO dient auch dem Schutz des Nachbarn. Dieser hat – jedenfalls wenn wie hier eine Abweichung von nachbarschützenden Normen des Bauordnungsrechts in Rede steht – einen Anspruch darauf, dass diese Abweichung nur in der gesetzlich vorgesehenen Art und Weise zugelassen wird (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22. November 2001 – 8 B 11707/01.OVG –, ESOVG; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2017 – 8 A 10688/16.OVG –, ESOVG zum Anhörungsrecht des Nachbarn nach § 68 Abs. 2 LBauO und OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05. Februar 2010 – 1 B 11356/09.OVG –, juris, wonach das Vorliegen einer Befreiungslage nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht ausreichend ist, um eine ohne Befreiung ergangene Baugenehmigung als rechtmäßig ansehen zu können). Verfahrensrechtlich genügt das bloße Vorliegen einer Abweichungslage nach § 69 Abs. 1 LBauO folglich nicht, die ohne Abweichung ergangene Baugenehmigung als rechtmäßig ansehen zu können, so sie denn für das streitige Vorhaben nur im Wege der Abweichung gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO hätte ergehen dürfen. Für die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung bedarf es vielmehr der tatsächlichen Abweichungserteilung, wenn nur dadurch ein bestimmtes Vorhaben in einem Baugebiet abweichend von einer bestimmten bauordnungsrechtlichen Vorschrift zugelassen werden kann. Eine dieses Erfordernis nicht berücksichtigende Baugenehmigung verletzt dann auch den Nachbarn in seinem Anspruch auf Einhaltung der maßgeblichen bauordnungsrechtlichen Bestimmung (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11.OVG –, ESOVG; VG Neustadt/Wstr., Beschluss vom 09. September 2015 – 3 L 793/15.NW -, ESOVG).
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5. Es drängt sich auch nicht auf, dass die Beigeladene einen Anspruch auf Zulassung einer Abweichung hat.
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Auch wenn, wie ausgeführt, die unter Verstoß gegen Abstandsflächenrecht ergangene Baugenehmigung rechtswidrig bleibt, solange nicht eine Abweichung vom Abstandsflächenrecht ausdrücklich zugelassen worden ist, hält es die Kammer für angezeigt, im Rahmen der Interessenabwägung zu prüfen, ob sich bereits nach summarischer Prüfung im Eilverfahren ein Anspruch der Beigeladenen auf Zulassung einer durch die Antragsgegnerin zu erteilenden Abweichung aufdrängt (s. auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22. November 2001 – 8 B 11707/01.OVG –, ESOVG). Denn die Antragsgegnerin kann die erteilte Baugenehmigung noch im Laufe des von der Antragstellerin eingeleiteten Widerspruchsverfahrens um die Zulassung einer Abweichung ergänzen (vgl. Kerkmann/Schmidt, in: Jeromin, a.a.O., § 69 Rn. 47). Auch wenn sich beim Baunachbarstreit die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Baugenehmigung grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung beurteilt, sind nachträgliche Änderungen, die sich zu Gunsten des Vorhabens des Bauherrn auswirken, zu berücksichtigen (s. z.B. BVerwG, Urteil vom 20. August 2008 – 4 C 11/07 –, NVwZ 2008, 1349; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2015 – 8 S 492/15 –, NVwZ-RR 2015, 637).
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Ein Anspruch der Beigeladenen auf Zulassung einer Abweichung drängt sich allerdings nur dann auf, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO vorliegen und ferner hinreichende Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung gegeben sind.
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Es kann im vorliegenden Eilverfahren bereits nicht festgestellt werden, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO vorliegen. Danach setzt die Zulassung einer Abweichung deren Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen voraus. Diese Voraussetzungen sind restriktiv zu handhaben (s. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03. November 1999 – 8 A 10951/99 –, NVwZ-RR 2000, 580). Dies gebietet allein schon der Umstand, dass durch die baurechtlichen Vorschriften die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Belange und Interessen regelmäßig schon in einen gerechten Ausgleich gebracht worden sind und die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs ein mehr oder minder beliebiges Abweichen von den Vorschriften der Landesbauordnung nicht gestattet. Angesichts dessen lässt das Merkmal der „Berücksichtigung des Zwecks der gesetzlichen Anforderung“ eine Abweichung nur dann zu, wenn im konkreten Einzelfall eine besondere Situation vorliegt, die sich vom gesetzlichen Regelfall derart unterscheidet, dass die Nichtberücksichtigung oder Unterschreitung des normativ festgelegten Standards gerechtfertigt ist. Eine derartige Lage ist gegeben, wenn aufgrund der besonderen Umstände der Zweck, der mit einer Vorschrift verfolgt wird, die Einhaltung der Norm nicht erfordert oder wenn deren Einhaltung aus objektiven Gründen außer Verhältnis zu der Beschränkung steht, die mit einer Versagung der Abweichung verbunden wäre. Um dies sachgerecht beurteilen zu können, sind stets die mit der gesetzlichen Anforderung verfolgten Ziele zu bestimmen und den Gründen gegenüberzustellen, die im Einzelfall für die Abweichung streiten. Daneben sind die betroffenen nachbarlichen Interessen zu gewichten und angemessen zu würdigen. Je stärker die Interessen des Nachbarn berührt sind, um so gewichtiger müssen die für die Abweichung sprechenden Gründe sein. Soll von einer nachbarschützenden Vorschrift abgewichen werden, sind die entgegenstehenden Rechte des Nachbarn materiell mitentscheidend (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03. November 1999 – 8 A 10951/99 –, NVwZ-RR 2000, 580). Eine Abweichung kommt in einer derartigen Situation nur in Betracht, wenn aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles der Nachbar nicht schutzbedürftig ist oder die Gründe, die für eine Abweichung streiten, objektiv derart gewichtig sind, dass die Interessen des Nachbarn ausnahmsweise zurücktreten müssen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 15. Februar 2017 – 8 A 10688/16.OVG –, juris). Stehen weder der Zweck der gesetzlichen Anforderung noch die nachbarlichen Interessen unüberwindbar entgegen, ist zu prüfen, ob die Abweichung mit den konkret betroffenen öffentlichen Belangen, also allen im öffentlichen Interesse liegenden Anliegen, zu vereinbaren ist (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03. November 1999 – 8 A 10951/99 –, NVwZ-RR 2000, 580). Eine unter Abweichung von einer nachbarschützenden Vorschrift ergangene Baugenehmigung ist auf den Rechtsbehelf des Nachbarn hin aufzuheben, wenn die Abweichung objektiv rechtswidrig erteilt wurde. Eine solche objektive rechtswidrige Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften verletzt nämlich den Nachbarn stets in seinen Rechten (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02. August 2007 – 1 A 10230/07 –, ESOVG; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 08. Juli 1998 – 4 B 64/98 –, NVwZ-RR 1999, 8 und VG Mainz, Urteil vom 11. November 2009 – 3 K 101/09.MZ –, juris zur Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB).
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Nach diesen Grundsätzen liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO jedenfalls nicht evident vor.
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Zwar bestehen erhebliche Zweifel an der Schutzbedürftigkeit der Antragstellerin in Bezug auf die Abstandsvorschriften. Wie oben bereits dargelegt, sollen die Abstandsflächen eine Brandübertragung verhindern, eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung in den Räumen der Gebäude und der Gebäude zueinander gewährleisten und nach dem überkommenen Verständnis der Abstandsvorschriften auch sozialen Zwecken, nämlich der Sicherung der „Privatheit“ und der Wahrung des Wohnfriedens dienen. Zentraler Zweck ist es auch, unzumutbare Belästigungen zu verhüten und die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu verwirklichen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Januar 2006 – 1 A 10845/05 –, NVwZ-RR 2006, 768. Da das streitgegenständliche Gebäude seit der Grundstücksteilung in den 70er Jahren auf der Grenze steht, ergeben sich hinsichtlich der Schutzgüter Belichtung und Belüftung des Gebäudes sowie Brandschutz keine nachteiligen Veränderungen für die Antragstellerin. Im Gegenteil wird das bisher in der Grenzwand vorhandene Fenster verschlossen, so dass eine Einsicht in das Grundstück der Antragstellerin künftig nicht mehr möglich sein wird.
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Die zur Genehmigung gestellte Nutzung als Bordell hat auch keine nachteiligeren Auswirkungen als die bisherige Wohnnutzung auf den Schutz des Wohnfriedens. Dieser umfasst sowohl die Sicherung der Privatheit durch Schutz vor Einsichtnahme als auch die Abwendung von Gesundheitsgefahren, insbesondere die Abschirmung von akustischen Störungen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. Mai 1997 – 11 A 7224/95 –, NVwZ-RR 1998, 614). Diese Belange werden durch die neue Nutzung nicht stärker beeinträchtigt. So findet auf dem Grundstück der Antragstellerin bereits keine Wohnnutzung statt. Vielmehr wird darauf eine „Event-Location“ betrieben. Ausweislich der Homepage https://www..... können dort Firmenveranstaltungen, Geburtstagsfeiern, Theaterveranstaltungen, Hochzeiten und sonstige Privatveranstaltungen für bis zu 200 Personen durchgeführt werden. Die Antragstellerin ist vor diesem Hintergrund unter dem Gesichtspunkt „Wohnfriede“ daher nur in einer so geringfügigen Art und Weise beeinträchtigt, dass von einem Wegfall der Schutzbedürftigkeit auszugehen sein dürfte. Jedenfalls wirkt sich die gewerbliche Nutzung durch die Beigeladene auch unter Immissionsgesichtspunkten nicht nachteiliger aus, zumal das Bordell der Beigeladenen, in dem lediglich drei Damen arbeiten werden, „nur“ von 10 – 23 Uhr betrieben werden soll. Dass von der Nutzung als Bordell keine unzumutbaren Belästigungen ausgehen, wurde bereits oben im Rahmen der Prüfung, ob das Bauvorhaben gegenüber der Antragstellerin rücksichtslos ist, verneint.
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Allerdings ist nach Auffassung der Kammer das Merkmal der „Berücksichtigung des Zwecks der gesetzlichen Anforderung“ nicht evident erfüllt.
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Die Problematik der Nichteinhaltung von Abstandsflächen resultiert vorliegend aus dem Umstand, dass das im Jahre 1963 genehmigte Wohngebäude erst nachträglich durch die Grundstücksteilung in den 70er Jahren die Eigenschaft eines grenzständigen Gebäudes erhielt. In dem später in Kraft getretenen Bebauungsplan „... Straße“ der Antragsgegnerin wurde das Wohngebäude als Bestand wiedergegeben. Nach den Festsetzungen des Bebauungsplans lag es nunmehr in einem Gewerbegebiet, in dem nur bestimmte Einzelhandelsnutzungen und je Gewerbegrundstück nur eine Betriebsinhaberwohnung zugelassen waren. Ferner setzte der genannte Bebauungsplan für das Gewerbegebiet, in dessen Geltungsbereich das hier streitgegenständliche Wohngebäude lag und auch heute noch liegt, offene Bauweise, bei der Baukörperlängen und -tiefen innerhalb des Grundstücks über 50 m zulässig sind, fest.
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Ungeachtet der entgegenstehenden Festsetzungen des Bebauungsplan „A-Straße“ genießt das Wohngebäude jedoch Bestandsschutz; dieses kann auch in Zukunft weiterhin zu Wohnzwecken genutzt werden. Der bestehende Bestandsschutz entfällt allerdings dann, wenn – wie hier vorgesehen – eine Nutzungsänderung erfolgt, die qualitativ wesentliche Veränderungen im Sinne einer Funktionsänderung zur Folge hat. Vor dem Hintergrund, dass das Vertrauen des Grundeigentümers auf eine anderweitige Verwertung der einmal geschaffenen Bausubstanz nicht in gleicher Weise schützenswert ist wie das Vertrauen des Grundeigentümers in den Fortbestand der bisherigen Nutzungsweise (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 – 4 C 17/90 –, NJW 1991, 3293), hat der rheinland-pfälzische Gesetzgeber mit § 8 Abs. 12 LBauO eine Regelung geschaffen, nach der unter bestimmten Voraussetzungen die nachträgliche Umnutzung von legal errichteten Gebäuden, die die Abstandsflächen nicht einhalten, zulässig sein soll. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Abs. 12 LBauO vor, hat der Bauherr einen Anspruch auf Zulassung der Grenzbebauung, der nicht durch Zweckmäßigkeitserwägungen der Bauaufsichtsbehörde eingeschränkt werden kann. Auch wenn § 8 Abs. 12 LBauO die Anwendbarkeit des § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO nicht ausschließt (s.o.), muss doch im Rahmen der Prüfung des Merkmals der „Berücksichtigung des Zwecks der gesetzlichen Anforderung“ beachtet werden, dass der nach § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO zu beurteilende Sachverhalt strenger zu beurteilen sein muss als ein im Baurecht häufig vorkommender Lebenssachverhalt, der dem § 8 Abs. 12 LBauO zugrunde liegt.
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Gemessen daran dürfte es hier an einer atypischen Sondersituation fehlen, die ein Abweichen von der gesetzlichen Regel des § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO rechtfertigt. Weder dürfte es der besondere Grundstückszuschnitt des Grundstücks der Beigeladenen noch die besondere städtebauliche Situation erfordern, dass die gewerbliche Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudes auch den Bereich der drei Meter breiten Abstandsfläche zum angrenzenden Grundstück der Antragstellerin umfassen muss. Einer näheren Prüfung dieser Frage bedarf es hier jedoch nicht, denn jedenfalls drängt sich die Zulassung einer Abweichung vorliegend nicht auf.
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Zuletzt kann zugunsten der Beigeladenen nicht ins Feld geführt werden, dass infolge des Verschließens des Fensters in der Grenzwand die Beeinträchtigungen geringer seien als zuvor. Die Regelung des § 8 LBauO, die auch im Falle von nachträglichen Nutzungsänderungen neu zu prüfen ist, räumt dem Grundstücksnachbarn ein subjektiv-öffentliches Abwehrrecht gegen die rechtswidrige Zulassung eines Vorhabens unter Verletzung des § 8 LBauO ein. Dabei kommt es auf die Frage, ob der Grundstücksnachbar spürbar und merklich durch den Abstandsflächenverstoß beeinträchtigt wird, nicht an. Die Abstandsvorschriften nehmen den Ausgleich der nachbarlichen Interessen in abstrakt - genereller Weise vor und legen zentimeterscharf fest, was dem Nachbarn an heranrückender Bebauung zuzumuten ist, ohne auf die Verhältnisse im Einzelfall abzustellen, insbesondere ohne nach Lage und Zuschnitt der einzelnen Grundstücke zu differenzieren (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 09. November 2016 – 2 L 10/15 –, juris). Derartige Besonderheiten können nur bei der Erteilung einer Abweichung nach § 69 LBauO im Einzelfall eine Rolle spielen. Die Zulassung einer Abweichung drängt sich vorliegend jedoch nicht auf.
- 29
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt hat, war sie an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen.
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Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes beruht auf den §§ 52, 53 Gerichtskostengesetz – GKG –. Dabei hält es die Kammer für angezeigt, den für baurechtliche Nachbarklagen in Betracht kommenden Mindeststreitwert von 7.500 € zugrunde zu legen (vgl. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ Beilage 2014, Seite 58) und im Hinblick auf die Ziffer 1.5 des genannten Streitwertkatalogs 2013 auf die Hälfte zu reduzieren.
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Annotations
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens haben keine aufschiebende Wirkung.
(2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Geltendmachung des Kostenerstattungsbetrags nach § 135a Absatz 3 sowie des Ausgleichsbetrags nach § 154 durch die Gemeinde haben keine aufschiebende Wirkung.
(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde
- 1.
auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen, - 2.
auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.
(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen.
(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.
(1) Für Vorhaben, die die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt haben, und für Aufschüttungen und Abgrabungen größeren Umfangs sowie für Ausschachtungen, Ablagerungen einschließlich Lagerstätten gelten die §§ 30 bis 37.
(2) Die Vorschriften des Bauordnungsrechts und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften bleiben unberührt.
(1) Aufgabe der Bauleitplanung ist es, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe dieses Gesetzbuchs vorzubereiten und zu leiten.
(2) Bauleitpläne sind der Flächennutzungsplan (vorbereitender Bauleitplan) und der Bebauungsplan (verbindlicher Bauleitplan).
(3) Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist; die Aufstellung kann insbesondere bei der Ausweisung von Flächen für den Wohnungsbau in Betracht kommen. Auf die Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen besteht kein Anspruch; ein Anspruch kann auch nicht durch Vertrag begründet werden.
(4) Die Bauleitpläne sind den Zielen der Raumordnung anzupassen.
(5) Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung gewährleisten. Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern, sowie die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln. Hierzu soll die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen.
(6) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind insbesondere zu berücksichtigen:
- 1.
die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung, - 2.
die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere auch von Familien mit mehreren Kindern, die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen, die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung und die Anforderungen kostensparenden Bauens sowie die Bevölkerungsentwicklung, - 3.
die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere die Bedürfnisse der Familien, der jungen, alten und behinderten Menschen, unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer sowie die Belange des Bildungswesens und von Sport, Freizeit und Erholung, - 4.
die Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und der Umbau vorhandener Ortsteile sowie die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche, - 5.
die Belange der Baukultur, des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege, die erhaltenswerten Ortsteile, Straßen und Plätze von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung und die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes, - 6.
die von den Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts festgestellten Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge, - 7.
die Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege, insbesondere - a)
die Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen, Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und das Wirkungsgefüge zwischen ihnen sowie die Landschaft und die biologische Vielfalt, - b)
die Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Natura 2000-Gebiete im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes, - c)
umweltbezogene Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit sowie die Bevölkerung insgesamt, - d)
umweltbezogene Auswirkungen auf Kulturgüter und sonstige Sachgüter, - e)
die Vermeidung von Emissionen sowie der sachgerechte Umgang mit Abfällen und Abwässern, - f)
die Nutzung erneuerbarer Energien sowie die sparsame und effiziente Nutzung von Energie, - g)
die Darstellungen von Landschaftsplänen sowie von sonstigen Plänen, insbesondere des Wasser-, Abfall- und Immissionsschutzrechts, - h)
die Erhaltung der bestmöglichen Luftqualität in Gebieten, in denen die durch Rechtsverordnung zur Erfüllung von Rechtsakten der Europäischen Union festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden, - i)
die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Belangen des Umweltschutzes nach den Buchstaben a bis d, - j)
unbeschadet des § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die Auswirkungen, die aufgrund der Anfälligkeit der nach dem Bebauungsplan zulässigen Vorhaben für schwere Unfälle oder Katastrophen zu erwarten sind, auf die Belange nach den Buchstaben a bis d und i,
- 8.
die Belange - a)
der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung, - b)
der Land- und Forstwirtschaft, - c)
der Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, - d)
des Post- und Telekommunikationswesens, insbesondere des Mobilfunkausbaus, - e)
der Versorgung, insbesondere mit Energie und Wasser, einschließlich der Versorgungssicherheit, - f)
der Sicherung von Rohstoffvorkommen,
- 9.
die Belange des Personen- und Güterverkehrs und der Mobilität der Bevölkerung, auch im Hinblick auf die Entwicklungen beim Betrieb von Kraftfahrzeugen, etwa der Elektromobilität, einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs und des nicht motorisierten Verkehrs, unter besonderer Berücksichtigung einer auf Vermeidung und Verringerung von Verkehr ausgerichteten städtebaulichen Entwicklung, - 10.
die Belange der Verteidigung und des Zivilschutzes sowie der zivilen Anschlussnutzung von Militärliegenschaften, - 11.
die Ergebnisse eines von der Gemeinde beschlossenen städtebaulichen Entwicklungskonzeptes oder einer von ihr beschlossenen sonstigen städtebaulichen Planung, - 12.
die Belange des Küsten- oder Hochwasserschutzes und der Hochwasservorsorge, insbesondere die Vermeidung und Verringerung von Hochwasserschäden, - 13.
die Belange von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung, - 14.
die ausreichende Versorgung mit Grün- und Freiflächen.
(7) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.
(8) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs über die Aufstellung von Bauleitplänen gelten auch für ihre Änderung, Ergänzung und Aufhebung.
(1) Gewerbegebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben.
(2) Zulässig sind
- 1.
Gewerbebetriebe aller Art einschließlich Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus solarer Strahlungsenergie oder Windenergie, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe, - 2.
Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude, - 3.
Tankstellen, - 4.
Anlagen für sportliche Zwecke.
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.