Verwaltungsgericht Münster Beschluss, 16. Feb. 2015 - 9 L 1153/14.A
Gericht
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
1
G r ü n d e
2I. Der Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage 9 K 2779/14.A gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2014 anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Der zulässige – insbesondere fristgerecht erhobene - Antrag ist in der Sache unbegründet. Bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt im vorliegenden Fall das Vollziehungsinteresse. Im Rahmen summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sprechen überwiegende Gründe dafür, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 11. Dezember 2014 rechtmäßig sein und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen dürfte.
6a) Die Feststellung im streitgegenständlichen Bescheid, dass dem Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zusteht, beruht auf § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Norm ist, wenn der Asylantrag nur nach § 26a AsylVfG abgelehnt wird, nur festzustellen, dass dem Ausländer auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht. Der Antragsteller, der aus Italien, einem sicheren Drittstaat i. S. v. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylVfG, in die Bundesrepublik eingereist ist, ohne dass einer der Ausnahmefälle des § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG einschlägig ist, kann sich gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf das in Art. 16a Abs. 1 GG verankerte Asylgrundrecht berufen.
7b) Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass in Bezug auf eine Abschiebungsanordnung (§ 34a AsylVfG) des Antragstellers nach Italien, der in diesem Staat bereits als Flüchtling anerkannt worden ist (vgl. Bl. 57 BA: „…He was granted the refugee status in Italy…“) nicht die Vorschriften der VO (EU) Nr. 604/2013 anzuwenden sind,
8vgl. zur – zu verneinenden – Anwendung der VO (EU) Nr. 604/2013 auf Personen, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte anerkannt worden sind, überzeugend Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 1. Aufl. 2014, K 22 zu Art. 2, unter Argumentation mit dem Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 VO (EU) Nr. 604/2013,
9sondern – einfachrechtlich - die §§ 26a, 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG bzw. – verfassungsrechtlich – Art. 16a Abs. 2 GG (sog. Drittstaatenbescheid).
10c) Tatsächliche Umstände, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
11vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 u.a. -, juris, Rn. 189,
12ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des dem Art. 16a Abs. 2 GG zugrunde liegenden Konzepts normativer Vergewisserung berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich heraus gesetzt sind, hat der Antragsteller nicht dargelegt. Zwar sind auch Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greift, nicht vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat umfasst.
13Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 u.a. -, juris, Rn. 189.
14Auch hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
15vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 -, juris, Rn. 32; BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2333/08 u.a. -, juris, Rn. 88,
16im Urteil vom 21. Januar 2011 – Nummer 30696/09 – („M.S.S. gegen Belgien und Griechenland“) ausgeführt, dass er die Möglichkeit nicht ausgeschlossen hat, dass die Verantwortung eines Staates gemäß Art. 3 EMRK begründet werden kann in Bezug auf eine Behandlung, in deren Rahmen ein Antragsteller, der vollkommen von staatlicher Unterstützung abhängig ist, in einer Lage schwerwiegender Entbehrungen oder Not, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist, mit behördlicher Gleichgültigkeit konfrontiert wird.
17Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – Nummer 30696/09 – M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, Rn. 253: “The Court reiterates that it has not excluded “the possibility that the responsibility of the State may be engaged [under Article 3] in respect of treatment where an applicant, who was wholly dependent on State support, found herself faced with official indifference in a situation of serious deprivation or want incompatible with human dignity”.”
18Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer jedoch nur dann erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen.
19Vgl. BVerfG, BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 u.a. -, juris, Rn. 190.
20Diesen Darlegungsanforderungen hat der volljährige Antragsteller nicht genügt. Nach summarischer Prüfung kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festgestellt werden, dass eine Ausnahmesituation, in der Italien gegenüber dem Antragsteller gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) verstößt, vorliegt.
21aa) Soweit sich dessen Vortrag auf die allgemeinen Lebensumstände von Asylbewerbern/Begünstigten internationalen Schutzes/Aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen in Italien bezieht, ist darauf zu verwiesen, dass das beschließende Gericht bereits mit Beschluss vom 11. Dezember 2014
22vgl. VG Münster, Beschluss vom 11. Dezember 2014 – 9 L 928/14.A -, juris,
23unter eingehender Auseinandersetzung mit der jüngeren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgeführt hat, dass es an seiner bisherigen (in sog. Dublin-Verfahren ergangenen) ständigen Rechtsprechung, dass wesentliche Gründe für die Annahme i. S. v. Art. 3 Abs. 2 UA 2 VO (EU) Nr. 604/2013, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, nach der im Eilverfahren möglichen Prüfungsdichte nicht generell vorliegen dürften, auch unter Berücksichtigung dieser jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festhält. Dem Prüfungsmaßstab des Art. 4 EU-Grundrechtecharta dürfte im vorliegenden Fall – streitgegenständlich ist hier keine Überstellung aufgrund eines sog. Dublin-Verfahrens, sondern ein sog. Drittstaatenbescheid – in der Sache Art. 3 EMRK entsprechen (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EU-Grundrechtecharta). An der bisherigen ständigen Kammerrechtsprechung – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Antragstellers Bl. 2 f. GA und Bl. 19 ff. GA – wird aus diesem Grund auch in der hiesigen Konstellation eines sog. Drittstaatenbescheids festgehalten.
24bb) Anhaltspunkte dafür, dass er sich in einer möglicherweise beachtlich in Erwägung zu ziehenden individuellen Sondersituation befindet, hat der volljährige Antragsteller nicht vorgetragen.
25d) Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruht auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Hinreichende Zweifel daran, dass die Abschiebung nach Italien im Sinne dieser Norm durchgeführt werden kann, bestehen im maßgeblichen Prüfungszeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylVfG) im Hinblick auf das Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 17. November 2014 (Bl. 140 BA) sowie die gesicherte Verwaltungsübung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Italien zur Durchführung entsprechender Überstellungen
26vgl. zu diesem Gesichtspunkt etwa Funke-Kaiser, in: AsylVfG, Band 3, § 34a AsylVfG Rn. 20,
27nicht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der schriftsätzlichen Ausführungen des Antragstellers Bl. 2 GA und Bl. 19 f. GA.
28II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben.
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(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.