Verwaltungsgericht München Beschluss, 03. Sept. 2015 - M 7 S 15.50719
Gericht
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben am
Bei seinen Befragungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge München (im Folgenden: Bundesamt) am 9. Juni und
Eine EURODAC-Recherche am
Mit Bescheid vom
Mit Schreiben vom
Am
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vom
Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V. m. § 75 Abs. 1 AsylVfG) keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen. Bei der vom Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu treffenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen, die ein wesentliches, wenn auch nicht das alleinige Indiz für und gegen die Begründetheit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens sind.
Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Anordnung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Denn nach der gebotenen summarischen Prüfung auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ist davon auszugehen, dass der Antragsteller durch die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung nach Italien nicht in subjektiven Rechten verletzt wird.
Nach § 27 a AsylVfG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gem. § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Italien ist aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Nach Art. 18 Abs. 1 b) bis d) der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
Das Bundesamt hat das Wiederaufnahmegesuch am
Die Antragsgegnerin hat einen Selbsteintritt gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ermessensfehlerfrei abgelehnt. Insbesondere ist derzeit (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) nicht ersichtlich, dass eine Überstellung nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO unmöglich ist. Das ist dann der Fall, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller im zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EUGRCh - mit sich bringen. Nach der zur Rechtslage unter der Dublin-II-VO ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 21. Dezember 2011 - C-411/10
Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials durch verschiedene Obergerichte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an (VGH BW, U. v. 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 - juris Rn. 43 ff.; OVG Nds., U. v. 25. Juni 2015 - juris - Rn. 47 ff., B. v. 18. März 2014 - 13 LA 75/13 - juris Rn. 15 ff.; OVG NW, U. v. 24. April 2015 - 14 A 2356/12.A - juris Rn. 20 ff. u.
Dublin-Rückkehrer müssen während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben "auf der Straße" oder in "Elendsquartieren" zugemutet wird oder dass sie im Allgemeinen keine ausreichende Verpflegung und Versorgung, einschließlich der medizinischen, erhalten (OVG NW, U. v. 7. März 2014 - 1 A 21/12.A - juris, Rn. 146 ff., Rn. 179 ff.; OVG RP, a. a. O., 49, 52; VGH BW, a. a. O., Rn. 53 f.). Grundsätzlich werden alle Dublin-Rückkehrer in eine Unterkunft verteilt, sofern sie einen Asylantrag stellen bzw. ihr Asylverfahren in Italien weiterführen. Seit 2012 sind mit Hilfe europäischer Mittel speziell für sie - derzeit elf - vorübergehende Aufnahmezentren geschaffen worden (vgl. Asylum Information Database, Country Report Italy, Dezember 2014, S. 59 allg. zugänglich im Internet). Nach der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11. September 2013 an das OVG Nordrhein-Westfalen wird nach ihrer Ankunft am Flughafen der Verfahrensstand eruiert und sie einer Questura zugeteilt, von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation betreut und über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet. Die temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstroms aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen wurden, haben Engpässe bei den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen kompensiert (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt). Neben den staatlichen Unterbringungszentren gibt es zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen, die die Asylsuchenden versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA ebenda). Diese Organisationen stellen medizinischen, rechtlichen und psychologischen Beistand zur Verfügung und bereiten die Betroffenen auf den Arbeitsmarkt vor (AA ebenda). Mit der Anerkennung erhalten Schutzsuchende ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht und freien Zugang zum Arbeitsmarkt; sie genießen die gleichen Rechte wie italienische Staatsangehörige und müssen sich wie diese selbst um eine Wohnung und einen Arbeitsplatz kümmern (AA ebenda). Unterstützung können sie von Hilfsorganisationen wie Caritas und CIR und der staatlichen Arbeitsvermittlung auf regionaler Ebene erlangen (AA ebenda). Es werden Integrationsmaßnahmen angeboten; die Aufnahme eines Gewerbes oder Handwerks ist erlaubt und wird nach Möglichkeit gefördert (AA ebenda).
Der Antragsteller gehört auch nicht zu einem besonders benachteiligten oder schutzbedürftigen Personenkreis wie Familien mit Kleinkindern oder Minderjährige, deren Rücküberstellung eine individuelle Zusage einer gesicherten Unterkunft durch die italienischen Behörden erfordert (BVerfG, B. v. 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 - juris Rn. 15 f.; EGMR vom 4. November 2014 - Nr. 292117/12 - Tarakhel ./. Schweiz).
Insbesondere hat er in Italien Zugang zu den für seine Diabetes-Erkrankung erforderlichen Medikamenten und Behandlungen. Abgesehen davon, dass er Gegenteiliges nicht vorgetragen hat, wird dies bereits durch die Tatsache belegt, dass der auf regelmäßige Insulingaben angewiesene Antragsteller vor seiner Ausreise knapp vier Jahre in Italien gelebt hat. Sofern er in Deutschland behandlungsbedürftige gesundheitliche Probleme (Hyperglykämie) hatte, spricht vieles dafür, dass er diese durch mangelnde Sorgfalt selbst herbeigeführt oder verschlechtert hat. Aus dem Arztbrief der Internistischen Klinik vom 24. April 2015 geht hervor, dass er sich hinsichtlich der einzuhaltenden medizinischen Vorkehrungen zum Teil nicht sehr kooperativ verhalten hat. Zur Gesundheitsvorsorge in Italien wird im Übrigen auf den angefochtenen Bescheid, Seite 4 f., Bezug genommen.
Die Abschiebungsanordnung ist ebenfalls rechtmäßig. Gem. § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote hinsichtlich Italiens bestehen nicht. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe, die im Rahmen des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vom Bundesamt zu prüfen sind (BayVGH, B. v. 12. März 2014 - 10 CE 14.427- juris Ls), sind ebenfalls nicht ersichtlich. Der Antragsteller ist insbesondere reisefähig. Es ist ihm offensichtlich gelungen, trotz seiner Erkrankung ins Bundesgebiet einzureisen, und im Falle der Rücküberstellung kann er einige Zeit ohne Zugang zu einem Arzt oder einer Apotheke durch Mitführung des erforderlichen Medikamentenvorrats überbrücken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.