Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 03. Sept. 2015 - 5 A 297/15

ECLI: ECLI:DE:VGMAGDE:2015:0903.5A297.15.0A
published on 03/09/2015 00:00
Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 03. Sept. 2015 - 5 A 297/15
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Tatbestand

1

Der Kläger, afghanischer Staatsangehöriger, tadschikischer Volkszugehörigkeit, sunnitischen Glaubens, wendet sich gegen Ablehnung seines Asylantrages und die Anordnung der Abschiebung nach Ungarn.

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Er reiste im September 2014 aus Afghanistan aus und gelangte über Pakistan, Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien nach Ungarn, wo er am 10. März 2015 um die Gewährung internationalen Schutzes nachsuchte, bevor er am 10. April 2015 in die Bundesrepublik einreiste und einen Asylantrag stellte. Auf das Wiederaufnahmegesuch der Beklagten vom 05. Mai 2015 erklärte das ungarische Büro für Immigration und Staatsangehörigkeit mit Schreiben vom 13. Mai 2015 die Bereitschaft zur Übernahme des Klägers und wies darauf hin, dass das dortige Asylverfahren des Klägers am 16. April 2015 eingestellt worden sei, nachdem sich der Kläger nach der Asylantragstellung dem weiteren Verfahren entzogen habe.

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Mit Bescheid vom 08. Juni 2015 lehnte die Beklagte den Asylantrag ab und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an. Der Asylantrag sei unzulässig, weil Ungarn aufgrund des dort gestellten Asylantrages für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnlich humanitäre Gründe, die Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts sein könnte, seien nicht ersichtlich. Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen keine systemischen Mängel auf. Das ungarische Asylsystem stehe im Einklang mit den internationalen und europäischen Standards. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Verhängung einer Asylhaft sei nicht von systemischen Mängeln auszugehen.

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Mit der dagegen erhobenen Klage macht der Kläger geltend, auf der Grundlage der zum 01. Juli 2013 eingeführten Asylhaft seien von Juli bis Dezember 2013 etwa 25 v. H. der Asylsuchenden inhaftiert worden. Die auf der Grundlage der Dublin III-VO rücküberstellten Asylsuchenden würden flächendeckend inhaftiert. Das sei mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 08. Juni 2015 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet, weil die Ablehnung des Asylantrages und die Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Ungarn rechtsmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrages ist § 27 a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht festgestellt, dass Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Auf das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik teilten die ungarischen Behörden mit, sie akzeptierten die Überstellung auf der Grundlage des Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L Nr. 180 v. 29.06.2013 S. 31), weil der Kläger in Ungarn bereits einen Asylantrag gestellt habe.

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Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin III-VO hat grundsätzlich auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge (Art. 7 bis 15 Dublin III-VO) gilt. Stimmt ein Mitgliedstaat – wie hier – der (Wieder-)Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe der in der Dublin III-VO genannten Kriterien zu, so ist dieser verpflichtet, den Asylbewerber aufzunehmen. In einem solchen Fall hat der Asylbewerber keinen Anspruch auf Prüfung, ob die Rangkriterien der Dublin III-VO richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet worden sind.

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Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, die Bundesrepublik sei verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Maßgabe des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen. Eine solche Verpflichtung besteht nur, wenn in dem zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen bestehen, die für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Annahme rechtfertigt, dass sie tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (Europäische Grundrechtecharta - GRCh) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, N.S. u.a., C-411/10 u.a., NVwZ 2012, 417 <419 f., Rdnr. 86>; Urt. v. 10.12.2013, Abdullahi, C-394/12, NVwZ 2014, S. 208 <210, Rdnr. 60, 62>).

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Grundsätzlich darf jeder Mitgliedstaat darauf vertrauen, dass alle Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlagen in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll 1967 sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, N.S. u.a., C-411/10 u.a., NVwZ 2012, 417 <419 f., Rdnr. 78 ff.>). Allerdings können das Asylsystem oder die Aufnahmebedingungen in einem Mitgliedstaat in der Praxis größeren Funktionsstörungen unterworfen sein, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb kann die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der GRCh, der GFK und der EMRK würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden (EuGH, a.a.O., Rdnr. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH, a.a.O., Rdnr. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GRCh zur Folge haben, so ist ein nationales Gericht, dem diese Mängel nicht unbekannt sein können, verpflichtet, die Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat auszusetzen.

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Wegen der Gefahrenprognose muss sich das Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der GRCh sowie mit der GFK und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 – 10 C 5/09 –, Rdnr. 22). Das ist der Fall, wenn sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6/14 - Rdnr. 9 ).

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Eine Behandlung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschendrechte unmenschlich i. S. d. Art. 4 GRCh, 3 EMRK, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. Erniedrigend ist eine Behandlung, die eine Person demütigt oder erniedrigt, die Ausdruck fehlender Achtung für die Menschenwürde ist oder die eine Person herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, und dadurch geeignet ist, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Dass es gerade der Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist für die Feststellung einer Verletzung von Art. 3 EMRK nicht erforderlich (vgl. EGMR , M.S.S. v. Belgien, Urt. v. 21.01.2011, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413 <414>, Rdnr. 220).

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Im Hinblick auf die Inhaftierungspraxis in Ungarn und die dortigen Haftbedingungen für Asylbewerber ist zunächst davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten wegen ihres Rechts, die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern auf ihrem Staatsgebiet zu regeln, auch das Recht haben, Asylsuchende in Haft zu nehmen (vgl. EGMR, A. v. Griechenland, Urt. v. 22.07.2010, Nr. 12186/08, NVwZ 2011, S. 418 <420, Rdnr. 56>).Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten jedoch, sich zu vergewissern, dass die Haftbedingungen mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Erfordernisse der Haft angemessen sichergestellt werden (vgl. EGMR , M.S.S. v. Belgien, Urt. v. 21.01.2011, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413 <414, Rdnr. 221>).

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Der EGMR nimmt dabei regelmäßig eine Würdigung der Haftbedingungen in ihrer Gesamtheit vor und nimmt dabei auch einen kumulativen Effekt (Strenge, Dauer, das verfolgte Ziel, Auswirkungen auf den Gefangenen) in den Blick. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen zählen beispielsweise die räumliche Unterbringung, eine mögliche Überbelegung, die Möglichkeit, den Raum zeitweise verlassen zu können, Kontaktmöglichkeiten zu Angehörigen, eine hinreichende Ernährung, die hygienischen Verhältnisse, das Vorhandensein sanitärer Einrichtungen und eine angemessene Versorgung bei Erkrankungen. Insoweit hat der EGMR u. a. entschieden, dass es eine erniedrigende Behandlung i. S. v. Art. 3 EMRK ist, wenn e in Asylbewerber zwei Monate in einer vorgefertigten Zelle ohne die Möglichkeit, nach draußen zu gehen oder Telefongespräche zu führen, mit unsauberen Decken und ungenügender Hygiene eingeschlossen wird. Ebenso hat er eine Haft von sechs Tagen in beengtem Raum, ohne die Möglichkeit der Bewegung, ohne Freizeitbereich, mit schmutzigen Matratzen und ohne freien Zugang zu Toiletten als mit Art. 3 EMRK unvereinbar angesehen. Auch die dreimonatige Haft eines Asylbewerbers in der Erwartung des Vollzugs einer Verwaltungsanordnung in einem Polizeigebäude ohne Freizeitaktivitäten und angemessene Mahlzeiten hat er als erniedrigende Behandlung gewertet. Schließlich hat er die Behandlung eines Asylbewerbers als erniedrigend angesehen, der drei Monate in einer überbelegten Abschiebehaftanstalt verbringen musste, in der die Sauberkeit und hygienischen Verhältnisse beklagenswert waren, ohne Einrichtungen für Freizeit oder die Einnahme von Mahlzeiten, wo der Verfall der sanitären Einrichtungen sie quasi unbenutzbar machte und die Gefangenen in außerordentlich schmutzigen und beengten Verhältnissen schlafen mussten (vgl. EGMR , M.S.S. v. Belgien, Urt. v. 21.01.2011, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413 <414, Rdnr. 222>).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen auf der Grundlage des im Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Asylbewerber im Falle einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, aufgrund von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh ausgesetzt zu werden (vgl. EGMR, Mohammadi v. Österreich, Urt. v. 03.07.2014, Nr. 71932/12, UA Rdnr. 74 f., OVG LSA, Beschl. v. 31.05.2013 - 4 L 169/12 -, Rdnr. 21, juris; VGH BW, Beschl. v. 06.08.2013 - 12 S 675/13 – , Rdnr. 5 ff., juris; VG Aachen, Beschl. v. 26.02.2015 - 5 L 54/15.A -, Rdnr. 34 ff., juris; VG Magdeburg, Beschl. v. 13.05.2015 – 6 B 471/15 MD –; a. A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 28.05.2014 - 13 L 172/14.A -, Rdnr. 47 ff, juris; VG Magdeburg, Beschl. v. 11.12.2014 - 9 B 449/14 -, Rdnr. 16 ff. ).

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Ungarn hat mit der Verabschiedung und Umsetzung von Gesetzesänderungen zum Januar 2013 Vorsorge dafür Sorge getragen, dass Asylgründe von Asylsuchenden auch dann inhaltlich geprüft werden, wenn es sich um Asylsuchende handelt, die im Wege der Rückführung nach Ungarn gelangen (vgl. UNHCR, Note on Dublin transfers to Hungary of people who have transited through Serbia - update, Dezember 2012).

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Aufgrund dieser Veränderungen und der aktuellen Berichtslage hat der EGMR im Jahr 2014 festgestellt, dass für Asylsuchende im Allgemeinen und für sog. Dublin-Rückkehrer im Besonderen keine systemischen Mängel im ungarischen Asylsystem und im (Asyl-)Haftsystem feststellbar sind (vgl. EGMR, Mohammadi v. Österreich, Urteil vom 3. Juli 2014, Nr. 71932/12, UA Rdnr. 74 f.). Zwar lägen ausweislich aktueller Berichte der Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen (u.a. Bericht des UNHCR aus Dezember 2012; Ungarisches Helsinki-Komitee, Statement on the Status of the Asylum-seekers returned under the Dublin II Regulations, 8. April 2013; Ungarisches Helsinki-Komitee, Protection Interrupted - Jesuit Refugee Service Europe, DIASP national Report: Hungary, June 2013; Ungarisches Helsinki-Komitee, Country Report: update 30. April 2014, published on the Asylum Information Database ) Mängel im Hinblick auf die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen für Asylbewerber in Ungarn vor, doch wiesen die vorliegenden Materialien kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe auf. Bei seiner Einschätzung hat der EGMR neben dem UNHCR-Bericht u .a. das zum 01. Juli 2013 in Kraft getretene ungarische Asylgesetz berücksichtigt, das u. a. die Inhaftierung von Asylantragstellern vorsieht, die sich rechtlich gesehen von Abschiebungshaft unterscheidet und bis zu sechs Monaten, bei Familien mit Kindern unter 18 Jahren bis zu 30 Tagen dauern, bei unbegleiteten Minderjährigen aber nicht verhängt werden kann. Eine Inhaftierung ist danach u. a. möglich zur Überprüfung der Identität und Staatsangehörigkeit des Antragstellers, nach dem Untertauchen des Antragstellers oder anderweitiger Behinderung der Durchführung des Asylverfahrens oder wenn dies aus gewichtigen Gründen zu befürchten ist oder wenn der Antragsteller seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, an Verfahrensverhandlungen teilzunehmen, und damit die Durchführung eines Dublin-Verfahrens behindert hat. Die Verhängung der Asylhaft ist dabei nach vorheriger Einzelfallprüfung nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch die Anwendung weniger einschneidender Alternativen zur Inhaftierung erreicht werden kann, etwa durch die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit, die Pflicht, sich an einem zugewiesenen Ort aufzuhalten oder Meldeauflagen. Gegen die Anordnung der asylrechtlichen Haft gibt es kein Rechtsmittel; ihre Rechtmäßigkeit kann nur im Rahmen einer richterlichen Kontrolle erfolgen, die erstmals nach 72 Stunden und in der Folgezeit in 60-Tages-Intervallen zu erfolgen hat (vgl. VG Aachen, Beschluss vom 26. Februar 2015 - 5 L 54/15 A.-, juris, Rdnr. 52 m. w. N.).

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Im Hinblick auf die Beschwerden über das Haftsystem und die Haftbedingungen hat der EGMR maßgeblich darauf abgestellt, dass nach den aktuellen Berichten keine systematische Inhaftierung von Asylsuchenden mehr erfolge, die Alternativen zur Haft gesetzlich vorgesehen seien und die Haftdauer auf sechs Monate begrenzt sei. Darüber hinaus habe der UNHCR die Mitgliedstaaten bislang nicht ersucht, von Überstellungen von Asylsuchenden nach Ungarn auf Grundlage der Dublin II-VO oder der Dublin III-VO abzusehen. Unter diesen Umständen könne gegenwärtig nicht von einem erheblichen Risiko einer Verletzung von Art. 3 EMRK durch Überstellungen von Asylsuchenden nach Ungarn nach dem Dublin-System ausgegangen werden (EGMR, Mohammadi v. Österreich, Urteil vom 3. Juli 2014, Nr. 71932/12, UA Rdnr. 68 ff.).

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Die aktuelle Berichtslage gibt keinen Anlass, von der Einschätzung des EGMR abzuweichen. Insbesondere ist nicht mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass es (wieder) systematisch zu willkürlichen und unverhältnismäßigen Inhaftierungen von Dublin-Rückkehrern kommt. Zwar heißt es im Bericht des UNHCR an das VG Düsseldorf vom 30. September 2014, praktisch alle Dublin-Rückkehrer würden inhaftiert mit Ausnahme von Familien und von besonders schutzbedürftigen Asylsuchenden. Belegt wird diese Annahme allerdings nicht. Vielmehr entspricht die für das 1. Halbjahr des Jahres 2014 genannte Zahl (Inhaftierung von 25 % aller Asylsuchenden, 40 % der männlichen Asylbewerber) in etwa den vom EGMR in dem Urteil vom 3. Juli 2014 - Nr. 71932/12 - zugrunde gelegten Inhaftierungszahlen (26 % aller Asylbewerber, 42 % der männlichen Asylbewerber). Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2013/33 (EU) des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96 vom 29. Juni 2013; sog. Aufnahmerichtlinie) ausdrücklich die Möglichkeit zur Inhaftierung von Asylantragstellern vorsieht (Erwägungsgründe 15 bis 20 sowie Art. 8 bis Art 11 RL 2013/33/EU). Allerdings darf Haft danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat. Vielmehr ist sie nur in Ausnahmefällen zulässig, insbesondere zur Überprüfung der Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr, im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Art. 8 Abs. 3, vgl. auch Art. 31. Abs. 2 Genfer Flüchtlingskonvention, Art. 5 EMRK). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange angeordnet werden, wie die Gründe gemäß Art. 8 Abs. 3 bestehen (Art. 9 Abs. 1 Satz 1). Die Haftanordnung ist zu begründen (Art. 9 Abs. 2); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch eine Gericht herbeizuführen (Art. 9 Abs. 3). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Art. 9 Abs. 6). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Art. 9 Abs. 5). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Art. 10 Abs. 1). Sie haben ein Recht auf Zugang zu frischer Luft (Art. 10 Abs. 2) sowie auf Besuch durch Mitarbeiter des UNHCR, Rechtsbeiständen, Beratern und Familienangehörigen (Art. 10 Abs. 3 und 4). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Art. 11).

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Dahingestellt bleiben kann, wann ein Verstoß gegen diese Mindeststandards die Annahme systemischer Mängel indiziert, da die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern den vorstehend genannten Vorgaben im Wesentlichen gerecht werden. Dies gilt auch und insbesondere für die zum 01.08.2015 in Kraft getretene Gesetzesfassung (Act LXXX of 2007 on Asylum, zuletzt geändert durch den am 01.08.2015 in Kraft getretenen Act CXXXVII vom 06.07.2015, im Folgenden: Asylum Act Hungary, abrufbar unter http://www.refworld.org).

25

Gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary darf eine Inhaftierung nicht allein deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Artikel 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstaben c und f). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 2 und Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden. Nach § 31/B Absatz 3 Asylum Act Hungary dürfen Familien mit Minderjährigen dürfen nur als ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Gericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Gericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch („objection“) einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht in der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist.

26

Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden die Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern - speziell Dublin-Rückkehrern - nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt, liegen nicht vor (dem unter Hinweis auf zahlreiche Fundstellen weiter nachgehend etwa VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.07.2015 – 13 L 1802/15.A – juris). In ihrer Handhabung erfolgt die Inhaftierung nicht wegen der Stellung eines Asylantrags, sondern wegen solcher Umstände, die das individuelle Verhalten des Drittstaatsangehörigen vor und bei der Antragstellung kennzeichnen. Immerhin hat ein Dublin-Rückkehrer bereits durch seine Weiterreise in die Bundesrepublik belegt, dass er sich nach seiner erkennungsdienstlichen Behandlung/Erfassung in Ungarn dem ungarischen Asylverfahren und seinen Mitwirkungspflichten in dem Verfahren entzogen hat, weil er offensichtlich nicht dort verbleiben wollte.

27

Der Bericht des UNHCR an das VG Düsseldorf vom 25. November 2014 ergibt nichts anderes. Darin begrüßt der UNHCR die Veränderungen im ungarischen Asylsystem ab dem Jahr 2014 und dass Dublin-Rückkehrer von staatlicher wie auch nichtstaatlicher Seite Hilfe erfahren, zumal es in Ungarn ein neu aufgelegtes Unterstützungsprogramm gebe. Der UNHCR befürchtet indes, dass Personen, die den subsidiären oder internationalen Schutz erhalten haben, nicht an den ansonsten eingetretenen Verbesserungen für Schutz suchende Drittstaatsangehörige teilhaben. Eine flächendeckende Inhaftierungspraxis wird aber auch hierin nicht belegt. Die insoweit zusammengetragenen kritischen Berichte erfassen zumeist einen Zeitraum vor dem Jahr 2014, namentlich die Jahre 2012 und 2013, die auch der EGMR beurteilt hat, ohne insoweit eine beachtliche Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung von Asylantragstellern festzustellen. Das Auswärtige Amt hat die regelmäßige Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in Ungarn ausdrücklich nicht bestätigt (Schreiben an das VG Düsseldorf vom 19. November 2014). Nach alldem ist zumindest davon auszugehen, dass im Einzelfall von der Asylhaft abgesehen werden kann und auch abgesehen wird, mithin die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles bei der Haftanordnung berücksichtigt werden.

28

Auch die Haftbedingungen von Asylbewerbern in Ungarn verstoßen trotz einzelner Mängel und Verbesserungsmöglichkeiten, die in den Berichten des UNHCR und von PRO ASYL aufgezeigt werden, nicht gegen Art. 3 EMRK (vgl. VG Aachen, Beschluss vom 26. Februar 2015 - 5 L 54/15 A.-, juris, Rdnr. 60 ff. m. w. N). Auch in einem Bericht des European Council on Refugees und Exiles (ecre) vom 17.02.2015 („Asylum Information Database (aida), Länderreport Ungarn, abrufbar unter ecoi.net) wird auf bestehende Mängel im ungarischen Asylverfahren hingewiesen. Eine systematische Missachtung der gesetzlichen Vorgaben und eine sich hieraus ergebende unmenschliche und erniedrigende Behandlung lässt sich dem Bericht indes nicht entnehmen. So heißt es, dass im Jahr 2014 insgesamt 4.829 Asylbewerber inhaftiert worden seien; am 31.12.2004 seien noch 98 Asylbewerber inhaftiert gewesen (Seite 51). Als Haftgrund werde regelmäßig Fluchtgefahr angegeben (Seite 54). Die jeweilige Haftdauer hänge von den Umständen des Einzelfalles ab, betrage allerdings im Durchschnitt mehrere Wochen (S. 52). Häftlinge hätten auch in der Praxis grundsätzlich Zugang zu ärztlicher Hilfe, der Besuch von Familienmitgliedern, Anwälten und Hilfsorganisationen sei möglich (Seite 56). Über die Haftgründe würden sie zumindest mündlich in einer ihnen verständlichen Sprache informiert (Seite 61).

29

Ebenso lässt die Stellungnahme des European Asylum Support Office (EASO) vom 04.06.2015 zur Beschreibung des ungarischen Asylsystems („Description of the Hungarian asylum system“, abrufbar unter ecoi.net) systemische Mängel des ungarischen Asylsystems im oben beschriebenen Sinne nicht erkennen. Ausweislich dieses Berichts, der auf der Grundlage eines Besuchs vom 16.03. bis 20.03.2015 erstellt wurde, gibt es derzeit drei Hafteinrichtungen (Debrecen, 192 Plätze; Bekescsabe 159 Plätze, Nyirbator, 105 Plätze 105); in Nyirbator werden nur männliche Asylbewerber, in Bekescsabe meist nur Familien untergebracht (Seite 11). Im Jahr 2014 seien 4.806 Asylbewerber in Haft gewesen, Ende Februar 2015 insgesamt 86 (Seite 12). In allen drei Einrichtungen seien Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden, auch würden Sprachkurse angeboten. Alle Häftlinge würden über Aushänge und anwesende Sozialarbeiter über ihre Rechte und Pflichten informiert. Auch die medizinische Versorgung sei gewährleistet. So verfüge jede Hafteinrichtung über eine Krankenstation und einen Untersuchungsraum. Zwar sei die Behandlung psychischer Beschwerden gesetzlich nicht vorgesehen. Die Basisbehandlung sei allerdings durch den Einsatz von Hilfsorganisationen in den meisten Einrichtungen gewährleistet (Ausnahme: Nyirbator). Erwachsene bekämen drei und Kinder fünf Mahlzeiten am Tag. Alle erhielten ein monatliches Taschengeld (2.850 HUF für Erwachsene und 7.125 HUF für Minderjährige und alleinerziehende Eltern). Alle zwei Wochen sei eine zufällige Überprüfung der Haftbedingungen vorgesehen (S. 13). Regelhafte Funktionsstörungen von erheblichem Gewicht lassen sich damit nicht feststellen.

30

Hinsichtlich der Praxis, Inhaftierte in Handschellen und an einer Leine zu Terminen außerhalb der Hafteinrichtungen etwa zur Vorstellung bei der Behörde, dem Gericht oder einem Arzt geführt werden, ist nicht erkennbar, dass diese Verfahrensweise landesweit und systematisch praktiziert. Erkenntnismittel, die auf diese Praxis Bezug nehmen (vgl. European Council on Refugees und Exiles (ecre), „Asylum Information Database (aida), Länderreport Ungarn“, vom 17.02.2015, S. 59 sowie vom 30.04.2014, S. 55; Hungarian Helsinki Committee (HHC), Bericht zum Asylsystem Haft in Ungarn vom 01.05.2014, S. 17; UNHCR, “Hungary as a country of asylum. Observations on the situation of asylum-seekers and refugees in Hungary”, April 2012, Seite 17) lassen sich zurückführen auf einen Bericht des UNHCR aus dem Jahr 2010 („Being a refugee; How refugees and asylum-seekers experience life in Central Europe“). Dort heißt es auf Seite 31: “The use of a leash when escorting detainees to court hearings, hospital, banks or post office outside of the perimeters of the detention facility (i.e. public areas) was considered inhumane and degrading, particularly by Afghan asylumseekers.” Der UNHCR zeigt sich besorgt und empfiehlt, von dieser Praxis Abstand zu nehmen. Im Bericht des HHC vom 01.05.2014 (Seite 17) heißt es hierzu, dass die Polizeibehörde im Einzelfall von einer derartigen „gesicherten Begleitung“ („secured escorting“) Gebrauch machen könne, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Asylbewerber fliehen oder die Polizeikraft attackieren könne. Allerdings lässt auch dieser Bericht einen systematischen Gebrauch dieser Verfahrensweise nicht erkennen. Sofern die „gesicherte Begleitung“ auch derzeit noch Praxis wäre, hätte es zudem nahe gelegen, dies in den aktuellen Erkenntnismitteln zum Ausdruck zu bringen. Dies ist allerdings nicht der Fall. Zwar wird etwa in der Stellungnahme vom „ecre“ vom 17.02.2015 (Seite 59) auf diese Praxis ausdrücklich hingewiesen. Während allerdings auf der gleichen Seite dieses Berichts hinsichtlich anderer im Sommer 2013 festgestellter Missstände ausdrücklich festgestellt wird, dass sich diese Praxis auch während verschiedener Besuche im Jahr 2014 bestätigt habe, ist dies hinsichtlich der Feststellung, dass die Inhaftierten in Handschellen und an einer Leine geführt werden, gerade nicht der Fall. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es sich hierbei um keine aktuellen Feststellungen handelt, zumal sich der entsprechende Absatz im Vorjahresbericht von „ecre“ (vom 30.04.2014) wortgleich wiederfindet.

31

Auch im Übrigen gibt es hinsichtlich der Aufnahmebedingungen keinen begründeten Anlass für die Annahme, Ungarn sei angesichts der stark angestiegenen Zahl von Asylsuchenden im ersten Halbjahr 2015 nicht Willens oder in der Lage, Asylsuchenden in den (offenen oder geschlossenen) Einrichtungen aufzunehmen. Aus dem Umstand, dass Ungarn am 23.06.2015 durch den Regierungssprecher hat verlautbaren lassen, es werde vorerst Migranten, die in Drittländer wie die Bundesrepublik weitergereist seien, vorerst nicht wieder zurücknehmen (FAZ v. 24.06.2015), kann nicht der Schluss gezogen werden, die Aufnahmekapazität sei erschöpft (a. A. wohl: VG Saarlouis, Beschl. v. 06.08.2015 – 3 L 773/15 – Rdnr. 16 ). Denn von dieser Position rückte Ungarn auf Proteste aus andern Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission am Folgetag wieder ab (FAZ v. 25.06.2015). Bisher sind keine Fälle bekannt geworden, in denen Asylsuchende wegen einer Verknappung der Plätze in den Aufnahmeeinrichtungen der Obdachlosigkeit überlassen geblieben wären (ecre, asylum information database , country report hungary v. 17.02.2015, S. 43). Zwar sind die Einrichtungen normalerweise voll. Ihre Kapazität ist aber nicht überschritten worden, so dass es keine Probleme einer Überbelegung gibt (ecre, a. a. O., S. 59).

32

Anhaltspunkte dafür, dass Asylsuchende in Ungarn aufgrund systemischer Mängel im Asylverfahren keine effektive Möglichkeit hätten, ihr Asylverfahren wirksam zu betreiben, liegen nicht vor. Auch neuere Berichte verschiedener Stellen, wonach die zuständigen Behörden Asylanträge künftig einstellen dürfen, wenn ein Antragsteller die zugewiesene Unterkunft länger als 48 Stunden ohne Genehmigung verlassen habe (vgl. die Nachweise bei VG Saarlouis, a.a.O. Rn. 17) vermag systemische Mängel im o.g. Sinne nicht zu begründen. Zum einen ist eine solche Entscheidung gemäß § 66 Absatz 2 Buchst. d) Asylum Act Hungary nur möglich, wenn der Antragsteller seine Unterkunft für 48 Stunden mit unbekanntem Zielort verlässt und er für seine Abwesenheit keine angemessene Erklärung hat („left the designated accommodation or residence without permission for a period of more than 48 hours, for an unknown destination and failed to submit an appropriate explanation for his/her absence”). Zum anderen kann der Antragsteller in diesen Fällen gemäß § 66 Absatz 6 Satz 1 Asylum Act Hungary bei der zuständigen Asylbehörde innerhalb von neun Monaten seit der Bekanntgabe der Einstellungsentscheidung die Fortführung des eingestellten Verfahrens beantragen („The applicant may request the continuation of the procedure terminated under Subsections (2) b) - d) for 9 months following the communication of the termination resolution.“). In diesen Fällen soll die Asylbehörde das (Erst-)Verfahren fortsetzen (§ 66 Absatz 6 Satz 3 Asylum Act Hungary). Diese Regelung ähnelt der in § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG enthaltenen Bestimmung, wonach der Asylantrag als zurückgenommen gilt, wenn der Ausländer das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamtes länger als einen Monat nicht betreibt. Im Gegensatz zu den ungarischen Regelungen kennt das AsylVfG allerdings keine Regelungen zur Fortführung eines auf der Grundlage des § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG eingestellten Verfahrens. Ist dem Antragsteller eine Fortsetzung des eingestellten Verfahrens wegen Ablaufs der neunmonatigen Frist in Ungarn nicht mehr möglich, so kann er sein Asylgesuch im Übrigen gemäß § 54 Abs. 1 Asylum Act Hungary aufgrund neuer Umstände anbringen. Dies entspricht im Wesentlichen der Regelung in Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 (Asylverfahrensrichtlinie).

33

Auch die durch die Asylrechtrechtsnovelle bewirkte Aufnahme (insbesondere) Serbiens in den Kreis der aus Sicht des ungarischen Staates sicheren Drittstaaten führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Zwar mag zweifelhaft sein, ob das serbische Asylverfahren den europäischen Mindestmindestanforderungen entspricht und sicherstellt, dass Abschiebungen in andere nicht sichere Drittstaaten oder Rückführungen in das Herkunftsland des Schutzsuchenden unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgeschlossen sind (so etwa VG Düsseldorf, Beschluss vom 20.08.2015 – 15 L 2556/15.A – juris. Die Kammer kann indes schon nicht erkennen, dass Ungarn derzeit von dieser Möglichkeit systematisch und routinemäßig Gebrauch macht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass Ungarn die verschärften Asylregelungen auch für Dublin-Rückkehrer zur Anwendung bringt, die ihren Asylantrag – wie der Antragsteller – vor dem Inkrafttreten der letzten Asylrechtsnovelle gestellt haben.

34

Die Abschiebungsanordnung der Beklagten beruht auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat i. S. d. § 27 a AsylVfG abgeschoben werden, so ordnet das Bundesamt gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die einer Rückführung des Antragstellers nach Ungarn gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entgegenstehen könnten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.09.2014 - 2 BvR 939/14 - ), sind nicht ersichtlich.

35

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
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published on 20/08/2015 00:00

Tenor Die aufschiebende Wirkung der Klage 15 K 5237/15.A gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 20. Juli 2015 wird angeordnet, soweit dort unter Ziffer 2 die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn angeor
published on 30/07/2015 00:00

Tenor Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. 1Gründe: 2Der am 15. Mai 2015 bei Gericht gestellte Antrag, 3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 3710/15.A gegen d
published on 26/02/2015 00:00

Tenor 1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. 2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.     Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden. 1G
published on 11/12/2014 00:00

Gründe 1 Der Antragsteller wendet sich mit seinem – gleichzeitig mit der Klage (9 A 448/14 MD) – am 18.11.2014 beim Gericht eingegangenen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.11.2014, mit we
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published on 06/03/2018 00:00

Tatbestand 1 Der Kläger, afghanischer Staatsbürger und dem Volk der Paschtunen zugehörig, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig und die Anordnung seiner Abschiebung nach Ungarn. 2 Nachdem der Kläger am 02.01.2015 übe
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Annotations

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.