Verwaltungsgericht Köln Urteil, 19. Juni 2015 - 9 K 5923/14


Gericht
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2014 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Der Kläger vermittelt seit Januar 2012 in seiner Betriebsstätte in Köln, E. -L. T. 00, Sportwetten an einen in Malta ansässigen Sportwettanbieter. In dem parallel zur E. -L. T. verlaufenden, von der E. -L. T. abzweigenden Abschnitt der F. T. befinden sich das O. -B. -P. -Berufskolleg und das I. -C. -Berufskolleg, in der C1. T. , der vom Betrieb des Klägers aus gesehen zweiten Querstraße, die Fachhochschule Köln. Die Haupteingänge aller drei Einrichtungen befinden sich in weniger als 200 m Luftlinie zum Eingang des Betriebs des Klägers. Alle drei Bildungseinrichtungen befinden sich in öffentlicher Trägerschaft.
3Mit Schreiben vom 17. April 2014 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Untersagung der Sportwettvermittlung an, da seine Wettvermittlungsstelle den Mindestabstand von 200 m Luftlinie zu den drei Bildungseinrichtungen nicht einhalte.
4Mit Ordnungsverfügung vom 21. Oktober 2014 ordnete die Beklagte gegenüber dem Kläger in Nr. I. an, es nach Zustellung der Verfügung zu unterlassen:
5in seinem Betrieb in der E. -L. T. 00 in Köln, der durch das Bekleben der Scheiben nicht gut einsehbar sei und einen Mindestabstand von 200 Metern Luftlinie zur Fachhochschule Köln, C1. T. 2, zum O. -B. -P. Berufskolleg in der F. Straße 00 und zum I. -C. -Berufskolleg in der F. T. 00-00, unterschreite, Sportwetten zu bewerben, zu vermitteln oder in sonstiger Weise – z.B. durch Bereitstellen von Onlinewettautomaten – die Teilnahme an solchen Sportwetten zu ermöglichen (Nr. 1.1 des Tenors) und Dritten seine Betriebsräume ganz oder teilweise zum Zwecke der Vermittlung von Sportwetten miet-, pacht- oder in sonstiger Weise zu überlassen (Nr. 1.2 des Tenors).
6In Nr. 2 des Tenors der Ordnungsverfügung fordert die Beklagte den Kläger auf, zur Umsetzung der Forderungen gemäß Nr. 1.1, in seinen Betriebsräumen bereitgehaltene Informationsunterlagen, Wettprogramme, Wettscheine sowie innerhalb oder außerhalb der Betriebsräume vorhandene Werbung für Sportwetten der in Nr. 1.1 genannten Art sowie die der Vermittlung von oder der Teilnahme an solchen Sportwetten dienenden Einrichtungen/Geräte zu entfernen.
7In Nr. 3 wird dem Kläger für den Fall, dass er Nr. 1.1 i.V.m. Nr. 2 (mit Ausnahme der Entfernung evtl. außen am Betrieb fest montierten Werbeanlagen) der Ordnungsverfügung nicht innerhalb einer Woche nach Zustellung nachkommt (Nr. 3.1), die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht. Ferner wird für den Fall, dass er nicht innerhalb von zwei Wochen eventuell vorhandene, außen am Betrieb fest montierte Werbung entfernt, ein Zwangsgeld i.H.v. 5.000 € (Nr. 3.2) und für den Fall, dass er nach Zustellung der Ordnungsverfügung entgegen Nr. 1.2 seine Betriebsräume einem Dritten zum Betrieb eines Wettbüros für Sportwetten überlässt, für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld i.H.v. 10.000 € (Nr. 3.3) angedroht.
8In Nr. 4 wird eine Verwaltungsgebühr in Höhe von insgesamt 500 € festgesetzt.
9Zur Begründung seiner rechtzeitig erhobenen Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, die Verordnungsermächtigung im Ausführungsgesetz decke die hier einschlägige Abstandsregelung nach § 22 Abs. 1 Glücksspielverordnung nicht. Im Übrigen sei die Entscheidung ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte die Regelung schematisch angewandt habe, indem sie pauschal ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles auf die Luftlinienentfernung abgestellt habe.
10Der Kläger beantragt,
11den Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2014 aufzuheben.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie verteidigt die angefochtene Ordnungsverfügung.
15Die Kammer hat mit Beschluss vom 09. Januar 2015 – 9 L 2040/14 – dem Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 29014 stattgegen.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren 9 L 2040/14 sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe
18Die als Anfechtungsklage zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
19Die Anordnungen in Nr. 1 und 2 des Tenors der angefochtenen Ordnungsverfügung finden ihre Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nr. 3 GlüStV. Nach § 9 Abs. 1 S. 1 GlüStV hat die Glücksspielaufsicht die Aufgabe, die Erfüllung der nach dem Glücksspielstaatsvertrag bestehenden oder aufgrund dieses Staatsvertrages begründeten öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu überwachen sowie darauf hinzuwirken, dass unerlaubtes Glücksspiel und die Werbung hierfür unterbleiben. Die Beklagte als zuständige Behörde kann gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 GlüStV die hierfür erforderlichen Anordnungen im Einzelfall erlassen. Sie kann insbesondere die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele und die Werbung hierfür untersagen, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 GlüStV. Die Entscheidung hierüber hat sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.
20Der Kläger hat für die Vermittlung von Sportwetten keine Erlaubnis gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 GlüStV i.V.m. § 10 a Abs. 5 S. 2 GlüStV und § 3 Abs. 4 des Gesetzes zur Ausführung des Glücksspielstaatsvertrages (AG GlüStV NRW) vom 13. November 2012. Das Vermitteln ohne diese Erlaubnis stellt unerlaubtes Glücksspiel dar und ist verboten, § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV. Ermessensfehlerfrei hat die Beklagte jedoch hierauf ihre Anordnungen nicht gestützt, da sie diesbezüglich anerkennt, dass derzeit wegen des noch laufenden Konzessionsverfahrens keine entsprechenden Erlaubnisse erteilt werden können.
21Vielmehr hat die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensausübung darauf abgestellt, dass der Erlaubnisfähigkeit der Wettvermittlungsstelle des Klägers § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW entgegenstehe. Nach dieser Bestimmung darf die Erlaubnis zum Vermitteln von Sportwetten in Wettvermittlungsstellen u.a. nur erteilt werden, wenn die Wettvermittlungsstelle einen Mindestabstand von 200 Metern Luftlinie zur nächstgelegenen Wettvermittlungsstelle und zu öffentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nicht unterschreitet. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil sich in einem Abstand von weniger als 200 Meter Luftlinie die Fachhochschule Köln , C1. T. 2, das O. -B. -P. -Berufskolleg, F. T. 00 sowie das I. -C. -Berufskolleg, F. T. 00-00, befinden.
22Auf diese Bestimmung kann die Beklagte ihre Ordnungsverfügung jedoch nicht stützen, da sie – soweit sie die Abstandsregelungen zu Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betrifft - gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt und damit unwirksam ist.
23Durch die Abstandsregelung zu öffentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nach § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW wird in die Berufsausübungsfreiheit eingegriffen. Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit dürfen gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG jedoch nur durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen und müssen überdies dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Beides ist hier nicht der Fall.
24Denn zum einen beruht § 22 Abs. 1 GlüSpVO, soweit er Mindestabstände von Wettannahmestellen zu Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe regelt, nicht auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage und genügt damit nicht dem Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes.
25Danach bedürfen Eingriffe in Grundrechte einer den Eingriff tragenden gesetzlichen Grundlage. Die gesetzliche Grundlage muss das Wesentliche regeln und hinreichend bestimmt sein. Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmen, vgl. Art. 70 Satz 2 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Auch das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verpflichten den Gesetzgeber, im Bereich der Grundrechtsausübung die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und, sofern Einzelregelungen einer Verordnung überlassen bleiben, die Tendenz und das Programm schon so weit zu umreißen, dass sich der Zweck und der mögliche Inhalt der Verordnung bestimmen lassen. Dabei genügt es allerdings, wenn sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Vorgeschichte des Gesetzes.
26Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 1989 - 1 BvR 1033/82 -, BVerfGE 80, 1, juris, Rn. 58; und vom 05. Mai 1965 – 2 BvL 4/63 – BVerfGE 19, 17, juris Rn.60.
27Diese Anforderungen sind hier bezogen auf das Abstandsgebot zu Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nicht erfüllt. Nach § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW darf die Erlaubnis zum Vermitteln von Sportwetten in Wettvermittlungsstellen nur erteilt werden, wenn die Wettvermittlungsstelle einen Mindestabstand von 200 Metern Luftlinie zur nächstgelegenen Wettvermittlungsstelle und zu öffentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nicht unterschreitet. Die der GlüSpVO NRW zugrundeliegende Verordnungsermächtigung findet sich in § 22 Abs. 1 AG GlüStV NRW. Da § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW anders als die übrigen Absätze des § 22 GlüSpVO keine Verfahrensregelung, sondern eine materielle Genehmigungsvoraussetzung enthält, kommt als mögliche Rechtsverordnungsermächtigung hier nur § 22 Abs. 1 Nr. 3 AG GlüStV NRW in Betracht. Danach wird das für Inneres zuständige Ministerium ermächtigt, im Einvernehmen mit den fachlich zuständigen Ressorts durch Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen über die Zahl, die räumliche Beschaffenheit und das Einzugsgebiet der Wettvermittlungsstellen nach § 13 sowie nähere Bestimmungen zur Nutzung in den zur Wettannahme bestimmten Geschäftsräumen. § 13 Abs. 3 AG GlüStV NRW konkretisiert den Umfang der Rechtsverordnungsermächtigung näher. Danach ist vorgesehen, dass Zahl, Einzugsgebiet und räumliche Beschaffenheit der Wettvermittlungsstellen sowie Bestimmungen zur Nutzung in den dafür bestimmten Geschäftsräumen an den Zielen des § 1 AG GlüStV NRW auszurichten sind. Nach § 1 Abs. 1 AG GlüStV NRW sind Ziele des Gesetzes gleichrangig u.a. das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Spielsuchtbekämpfung zu schaffen (Nr. 1), durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken (Nr. 2) und den Jugend- und den Spielerschutz zu gewährleisten (Nr. 3). – § 13 Abs. 3 S. 3 AG GlüStV NRW bestimmt, dass bei den näheren Festlegungen die unterschiedlichen Gefährdungspotenziale der Glücksspiele, insbesondere auch die erhöhte Gefährdung durch Sportwetten nach § 21 Abs. 4 S. 3 GlüStV, zu berücksichtigen sind.
28Eine Ermächtigung zum Erlass von auf öffentliche Schulen und öffentliche Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bezogene Abstandsregelungen ist diesen Bestimmungen nicht zu entnehmen. Nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 Nr. 3 AG GlüStV NRW wird der Verordnungsgeber u.a. zum Erlass von Vorschriften über das Einzugsgebiet von Wettvermittlungsstellen ermächtigt. Der amtlichen Begründung zu § 13 AG GlüStV NRW, der die Verordnungsermächtigung näher konkretisiert, ist insoweit nur zu entnehmen, dass damit den Behörden die Möglichkeit eröffnet werden sollte, auf eine gleichmäßige Verteilung der Wettannahmestellen hinzuwirken und Abstandsregelungen vorzusehen.
29Vgl. LT-Drucksache16/17, Seite 41.
30Dass damit aber neben Abstandsregelungen für Wettannahmestellen untereinander auch Abstandsregelungen zu öffentlichen Schulen und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen gemeint sein könnten, ergibt sich daraus nicht eindeutig. Vielmehr legt der Zusammenhang zur gleichmäßigen Verteilung der Wettannahmestellen nahe, dass Abstandsregelungen als Mittel zur Sicherung der gleichmäßigen Verteilung angesprochen werden.
31Auch dem Hinweis in der amtlichen Begründung, dass insbesondere die der Konkretisierung der Rechtsverordnungsermächtigung dienende Bestimmung des § 13 Abs. 3 AG GlüStV an die die Annahmestellen betreffende Regelung des § 5 AG GlüStV NRW angelehnt sei, lässt sich eine Ermächtigung zum Erlass von Abstandsregelungen zu öffentlichen Schulen und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen nicht entnehmen. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 AG GlüStV NRW wird das zuständige Ministerium ermächtigt, Vorschriften zu erlassen über die Zahl und das Einzugsgebiet der Annahmestellen nach § 5 Abs. 5 AG GlüStV NRW unter Berücksichtigung der Einwohnerzahlen im Umkreis des jeweiligen Geschäftsraums. Die hierauf beruhende Bestimmung des § 17 Abs. 1 GlüSpVO NRW, die dem § 15 GlüSpVO in der Fassung vom 24. Juni 2009 (GV.NRW.S.395) entspricht, bestimmt hierzu:
32Die Annahmestellen sollen bezogen auf die Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen unter Berücksichtigung der Ziele des § 1 Satz 1 Glücksspielstaatsvertrag bedarfsgerecht verteilt sein. Von einem Bedarf ist in der Regel auszugehen, wenn die Zahl von 3 500 Einwohnerinnen und Einwohnern pro Annahmestelle bezogen auf eine Gemeinde nicht unterschritten wird. Bei Unterschreitung ist der Bedarf gesondert zu belegen. Dabei sind insbesondere
331. die räumliche Entfernung der Annahmestellen zueinander und
342. die unmittelbare Nachbarschaft der Annahmestellen zu öffentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu berücksichtigen.
35Wird im Falle der Nummer 1 eine räumliche Entfernung von 200 Metern Luftlinie unterschritten, ist für die Erteilung einer Erlaubnis der Nachweis der Erforderlichkeit anhand der prognostizierten Kundenströme und der übrigen Versorgung des Einzugsgebietes mit öffentlichen Glücksspielen zu erbringen. Im Falle der Nummer 2 sind zusätzlich zur Gewährleistung des Jugendschutzes gemäß § 1 Satz 1 Nummer 3 Glücksspielstaatsvertrag Vorkehrungen zur Vermeidung von Anreizwirkungen auf Kinder und Jugendliche zu treffen.
36Die vom Gesetzgeber in der amtlichen Begründung in Bezug genommenen, existenten Bestimmungen zu den Annahmestellen im Sinne des § 5 AG GlüStV NRW sehen damit für öffentliche Schulen und öffentliche Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe keine Mindestabstandsregelungen vor. Eine solche existiert allein für die räumliche Entfernung der Annahmestellen zueinander. Die unmittelbare Nachbarschaft zu einer öffentlichen Schule oder zu öffentlichen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen wird hingegen hingenommen und löst nur zusätzlich zum Jugendschutz nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 und § 4 Abs. 1 Nr. 2 a) AG GlüStV NRW i.V.m. § 4 Abs. 3 Glücksspielstaatsvertrag die Verpflichtung zu Vorkehrungen zur Vermeidung von Anreizwirkungen aus, und dies auch nur in den Fällen des § 17 Abs. 1 Satz 2 GlüSpVO NRW, also dann, wenn ein Bedarf wegen Unterschreitens der nach Satz 1 maßgeblichen Zahl von 3500 Einwohnern je Annahmestelle besonders zu begründen ist. Dass der Begriff des Einzugsgebietes seit jeher auch Abstandsregelungen zu Schulen und ähnlichen Einrichtungen umfasst, lässt sich damit aus den vorgefundenen Regelungen betreffend die Annahmestellen hieraus nicht entnehmen.
37Nach alldem ist § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW, soweit er eine Abstandsregelungen zu Schulen enthält, nicht von einer den Grundsätzen des Gesetzesvorbehaltes genügenden gesetzlichen Grundlage gedeckt.
38Unabhängig davon beinhaltet das auf öffentliche Schulen und öffentliche Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bezogene Abstandsgebot aus § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW auch einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit.
39Nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Stufentheorie besteht für Eingriffe in die Berufsfreiheit eine differenzierte Schrankensystematik. Während die Freiheit der Berufswahl nur eingeschränkt werden darf, soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftgüter es zwingend erfordert, kann die Freiheit der Berufsausübung bereits dann beschränkt werden, wenn und soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls dies zweckmäßig erscheinen lassen.
40Die Regelung, dass eine Wettannahmestelle nur erlaubnisfähig ist, wenn sie einen Abstand von mindestens 200 Metern zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe einhält, regelt nicht den Zugang zu einem Beruf, sondern ist eine Berufsausübungsregelung.
41Vgl. VG Arnsberg, Beschluss vom 21. Oktober 2013 – 1 L 395/13 -, juris, Rz. 8.
42Sie dient dem Jugendschutz und damit dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter, indem Kinder- und Jugendliche vor den Reizen des Sportwettgeschäfts und dem mit diesem verbundenen Suchtpotential ferngehalten werden sollen. Die Regelung ist jedoch zur Wahrung der Belange des Jugendschutzes nicht erforderlich. Denn § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW knüpft die fehlende Erlaubnisfähigkeit einer Wettannahmestelle ausschließlich an die Unterschreitung von 200 m Luftlinie zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Sie fragt weder nach der Art der sich in der Nähe befindenden Schule oder Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe noch nach den örtlichen Gegebenheiten. So erscheint es fernliegend, dass bereits Kindergartenkinder oder Kinder im Grundschulalter von Sportwettgeschäften angezogen werden. Eine ausnahmslos auf die Luftlinienentfernung abstellende Regelung erfasst zudem auch solche Fälle, in denen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten, beispielsweise wegen trennender Verkehrswege, die Nutzer der Einrichtung mit der Wettannahmestelle regelmäßig nicht in Kontakt kommen.
43Vgl. VG Arnsberg, Beschluss vom 21. Oktober 2013 – 1 L 395/13 -, juris, Rz 11 ff.
44Hinzu kommt, dass § 16 Abs. 3 Satz 2 AG GlüStV NRW, der die räumliche Nähe von Spielhallen zu Schulen regelt, eine weniger strikte, die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zulassende Regelung enthält. Auch dies spricht letztlich gegen die Erforderlichkeit der strikten Regelung des § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW.
45Angesichts des Wortlauts der Regelung (darf nicht erteilt werden, wenn ....) ist eine verfassungskonforme Auslegung dahin gehend, dass die Regelung auch Raum zur Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles lässt, nach Auffassung der Kammer nicht möglich.
46Nach alledem kann der angegriffene Bescheid nicht auf § 22 Abs. 1 GlüSpVO gestützt werden, da diese Bestimmung nicht auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht.
47Auf den von der Beklagten angeführten verbotenen Sichtschutz (vgl. § 20 Abs. 3 Satz 1 GlüSpVO NRW) kann die Ordnungsverfügung ebenfalls nicht gestützt werden. Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist insofern zunächst nur ein Vorgehen gerechtfertigt, das auf die Beseitigung des Verstoßes abzielt, nicht aber eine Untersagung der Sportwettvermittlung insgesamt.
48Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
49Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
50Die Berufung war gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache mit Blick auf die Frage der Wirksamkeit des § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW grundsätzliche, über den vorliegenden Einzelfall hinausgreifende Bedeutung hat.

moreResultsText

Annotations
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Durch Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden. Die Rechtsgrundlage ist in der Verordnung anzugeben. Ist durch Gesetz vorgesehen, daß eine Ermächtigung weiter übertragen werden kann, so bedarf es zur Übertragung der Ermächtigung einer Rechtsverordnung.
(2) Der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, vorbehaltlich anderweitiger bundesgesetzlicher Regelung, Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder eines Bundesministers über Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Einrichtungen des Postwesens und der Telekommunikation, über die Grundsätze der Erhebung des Entgelts für die Benutzung der Einrichtungen der Eisenbahnen des Bundes, über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen, sowie Rechtsverordnungen auf Grund von Bundesgesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen oder die von den Ländern im Auftrage des Bundes oder als eigene Angelegenheit ausgeführt werden.
(3) Der Bundesrat kann der Bundesregierung Vorlagen für den Erlaß von Rechtsverordnungen zuleiten, die seiner Zustimmung bedürfen.
(4) Soweit durch Bundesgesetz oder auf Grund von Bundesgesetzen Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, sind die Länder zu einer Regelung auch durch Gesetz befugt.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.