Verwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Juli 2014 - 7 K 4020/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Am 13.10.2010 stellte der Kläger beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – Bundesopiumstelle - einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für den Erwerb von Cannabis (Extrakt und Medizinal-Cannabisblüten) zum Zweck der Eigentherapie. Hierzu erklärte er, er sei zu 50 % schwerbehindert, leide an ADS, Asthma bronchiale, BWS-Syndrom, chronisch- degeneratives LWS-Syndrom, Schulter-Arm-Syndrom. Er habe mit der Justiz immer wieder Probleme gehabt, insbesondere eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt wegen Handels mit Cannabis. Nun sei er zum IT-Systemelektroniker umgeschult worden und nehme diese zweite Chance in seinem Leben sehr ernst. Cannabisblüten seien am besten geeignet, seine Leiden zu mindern.
3Dem Antrag war ein Schreiben der Praxis für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren, Suchttherapie, Dr. E. K. und Dr. H. K. vom 11.10.2010 beigefügt. Darin wird ausgeführt, der Kläger werde zurzeit mit 2 – 3 g THC pro Tag behandelt und sei damit nicht mehr aggressiv. Keine andere Medikation habe sich bislang als tragfähig erwiesen. Der behandelnde Arzt Dr. E. K. bestätigte auf Anfrage des BfArM mit Schreiben vom 15.11.2010 die vom Kläger mitgeteilten Diagnosen. Für die Therapie stünden keine weiteren zugelassenen Arzneimittel zur Verfügung; insbesondere habe das Arzneimittel Ritalin nur die Aggressivität erhöht, und eine langlaufende Verhaltenstherapie im ZI (Zentralinstitut für seelische Gesundheit) in N. habe auch keinen durchgreifenden Erfolg gebracht. Jedoch komme Dronabinol als Alternative in Betracht.
4Ferner legte der Kläger ein Schreiben seiner Krankenkasse, der IKK classic Heidelberg vom 29.11.2010 vor, wonach keine Leistungspflicht für Dronabinol als Fertigarzneimittel oder als Rezepturarzneimittel bestehe. Auf Anfrage des BfArM teilte der Kläger weiter mit, dass die beantragten Cannabisblüten in einem Safe mit Zahlenkombination aufbewahrt würden.
5Mit Bescheid vom 14.12.2010 erteilte das BfArM dem Kläger die Erlaubnis zum Erwerb von Cannabisblüten in der vom Arzt empfohlenen Menge.
6Mit Schreiben vom 09.03.2011 stellte der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabispflanzen. Die Cannabisblüten aus der Apotheke seien gut wirksam, aber sehr teuer. Da die Krankenkasse die Kosten nicht übernehme und er zurzeit auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sei, könne er sich den Bezug aus der Apotheke auf Dauer nicht leisten. Der Jahresbedarf betrage ca. 1 kg getrocknete Blüten pro Jahr. Dies entspreche einer Tagesdosis in Höhe von 2,7 g. Der Anbau solle in einem separaten, abschließbaren Raum seiner Wohnung erfolgen.
7Mit Schreiben vom 22.06.2011 und 24.10.2011 machte der Kläger weitere Angaben zu den Einzelheiten des Anbaus und den Sicherheitsvorkehrungen in seiner Wohnung und bat um eine Auskunft des Amtes, welche Sicherheitsmaßnahmen noch notwendig seien. Ferner stellte er einen Vergleich zwischen den Kosten für den Bezug des Apotheken-Cannabis und den Kosten des Eigenanbaus auf.
8Mit Bescheid vom 09.12.2011 lehnte die Beklagte die Erteilung der Erlaubnis für den Anbau von Cannabis und den Erwerb von Cannabissamen zu medizinischen Zwecken ab. In der Begründung wurde angegeben, der Erlaubnis stehe der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entgegen, weil die nach den Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten (hier Ziff. 1 und 2) geforderten Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen seien. Insbesondere sei eine Raumsicherung während der Anbau- und Wuchsphase erforderlich.
9Der Anbau von Cannabispflanzen für die Eigentherapie sei auch zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung weder geeignet noch notwendig. Wegen des schwankenden Wirkstoffgehalts beim Eigenanbau sei die Einhaltung einer vom Arzt verantworteten Dosierungsempfehlung nicht möglich und unerwünschte Nebenwirkungen könnten nicht vorhergesehen und zielgerichtet bekämpft werden.
10Ferner stehe der Erlaubniserteilung das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 entgegen, das die Errichtung einer staatlichen Cannabisagentur bei einer Genehmigung des Anbaus von Cannabis erfordere. Die Bundesrepublik Deutschland habe jedoch keine nationale Cannabis-Agentur. Die Gefährdung der Kontrolle des internationalen Betäubungsmittelverkehrs und des internationalen Ansehens der Bundesrepublik Deutschland seien höher zu bewerten als das Eigeninteresse des Klägers an einer Erlaubnis für den Anbau. Diesem Eigeninteresse werde bereits durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb von Medizinalhanf aus Holland Rechnung getragen.
11Mit am 29.12.2011 eingegangenen Schreiben bestellte sich der Prozessbevollmächtigte für den Kläger. Mit Schreiben vom 21.02.2011 teilte die Beklagte mit, dass inzwischen ein Ablehnungsbescheid ergangen sei und bat um Klarstellung, ob die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens gewünscht sei und ggfs. um Vorlage einer Widerspruchsbegründung.
12Am 21.03.2012 ging eine Widerspruchsbegründung beim BfArM ein. Darin wurde ausgeführt, dass zwingende Versagungsgründe nicht vorlägen. Insbesondere dürfe die Erlaubnis zum Anbau für die Eigentherapie nicht durch überzogene Anforderungen an die Sicherheit unzumutbar erschwert werden. Die Versorgung mit selbst angebautem Cannabis sei auch gesundheitlich unbedenklich. Beim Kläger gebe es keine konkreten Anhaltspunkte für gesundheitliche Risiken.
13Der Anbau von geringen Mengen zur Selbsttherapie verstoße auch nicht gegen das Einheitsübereinkommen über Suchtstoffe von 1961 (ÜK 1961), weil die Errichtung einer Cannabis-Agentur nach Sinn und Zweck der Vorschriften dafür nicht erforderlich sei. Vielmehr sei eher Art. 2 Abs. 5 Buchstabe b) der Konvention anwendbar, der die Gewinnung von Cannabis für klinische Versuche betreffe.
14Die Beklagte habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Eine Therapiealternative stehe dem Kläger tatsächlich nicht zur Verfügung, weil der Erwerb von Cannabisblüten aus der Apotheke für diesen unerschwinglich sei.
15Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte Auskünfte aus dem Zentralregister ein. Ausweislich der dortigen Eintragungen wurde der Kläger im Zeitraum zwischen 1996 und 2003 mehrfach wegen Verkehrsdelikten und Betäubungsmitteldelikten strafrechtlich verurteilt, zuletzt durch Urteil des Landgerichts I. vom 28.10.2003 zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe. Am 02.08.2005 wurde der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt und am 10.09.2008 erlassen.
16Durch Widerspruchsbescheid vom 23.05.2012 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. In der Begründung wurden im Wesentlichen die Ausführungen des Ausgangsbescheides wiederholt und vertieft.
17Gegen den am 30.05.2012 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 02.07.2012, einem Montag, Klage erhoben. In der Begründung wiederholt und ergänzt er die Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren.
18Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass dem Kläger eine wirksame Behandlungsalternative zur Verfügung stehe. Der Kläger habe 2001 einen Therapieversuch mit Dronabinol durchgeführt, der jedoch keine ausreichenden Ergebnisse gehabt habe. Hierzu legt der Kläger Atteste des seinerzeit behandelnden Arztes Dr. T. vom 25.07.2002 und vom 20.10.2003 sowie einen Arztbericht von Prof. Dr. C. (Zentrum für Schmerztherapie und Palliativmedizin des Universitätsklinikums I. ) vom 19.12.2003 vor. Ferner überreicht der Kläger eine ärztliche Stellungnahme seiner behandelnden Ärzte vom 02.08.2013, wonach sowohl THC als auch die verfügbaren Sorten des Medizinalhanfs aus den Niederlanden nicht die erforderliche spannungslösende Wirkung hätten. Daher sei der Kläger auf den Eigenanbau umgestiegen, um verschiedene Sorten zu mischen und hierdurch die sehr labilen Stimmungsschwankungen auszugleichen (Bl. 82 d. A.).
19Darüber hinaus habe die Krankenkasse des Klägers die Kostenübernahme mit Schreiben vom 29.11.2010 abgelehnt. Ein erneuter Antrag sei nicht erforderlich, weil dieser nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht erfolgversprechend sei. Die Voraussetzung für die Kostenübernahme sei nämlich das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder gleichwertigen gefährlichen Erkrankung, die beim Kläger nicht vorliege. Ergänzend hat der Kläger eine Widerspruchsentscheidung der IKK-Classic vom 30.01.2014 vorgelegt, in der diese die Kostenübernahme für medizinische Cannabisblüten aus den Niederlanden ablehnt.
20Zwingende Versagungsgründe lägen nicht vor, insbesondere sei die Sicherung des Anbaus gewährleistet. Der Anbau solle in dem nur vom Kläger genutzten abschließbaren Schlafzimmer seiner 2-Zimmer-Wohnung erfolgen. Weitere Sicherheitsmaßnahmen könnten eingerichtet werden, sofern sie erforderlich seien.
21Eine ungleichmäßige Verteilung des Wirkstoffgehaltes in Hanfpflanzen stehe einer medizinischen Versorgung mit selbstangebautem Hanf nicht entgegen, weil dies auch bei dem gewerblich angebauten Medizinalhanf aus Holland der Fall sei. Darüber hinaus weise die Beklagte im Aktenvermerk vom 19.04.2012 selbst darauf hin, dass Qualitätserwägungen im BtMG keine Rolle spielten.
22Selbst wenn die Erlaubnis zum Eigenanbau für medizinische Zwecke wegen des Fehlens einer Cannabis-Agentur einen Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 darstellen sollte, sei die Erteilung trotzdem geboten. Denn wegen der günstigen Auswirkungen von Cannabis auf die Gesundheit des Klägers und damit auf die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG und die Menschenwürde aus Art. 1 GG, müssten die Gefahren für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland dahinter zurücktreten. Das gelte auch deshalb, weil das ÜK 1961 in seiner Präambel die Sorge um die Gesundheit und das Wohl der Menschheit in den Mittelpunkt stelle.
23Die Interessen des Klägers seien durch die Erlaubnis zum Erwerb von Cannabisblüten aus Holland nicht gewahrt. Denn der Kläger könne sich den Kauf dieser Blüten nicht leisten.
24Der monatliche Bedarf liege bei 50 – 100 g Gramm Bedrocan, was ausweislich der vorgelegten Apothekenrechnung vom 12.08.2013 monatliche Kosten in Höhe von 800 bis 1600 Euro verursache. Bei einem monatlichen Nettogehalt in Höhe von 1467,66 Euro laut Gehaltsabrechnung vom 04.11.2013 (Bl. 118 d. A.) könne der Kläger diesen Betrag nicht aufbringen.
25Auf Anforderung des Gerichts hat der Kläger eine aktuelle ärztliche Stellungnahme vom 12.12.2013 vorgelegt, in der die Grunderkrankungen (ADS, chronifiziertes Schmerzsyndrom) bestätigt werden und ausgeführt wird, dass der Kläger zurzeit unter der Cannabinoid-Therapie gesund und arbeitsfähig sei.
26Das Gericht hat ferner die Strafakten des Verfahrens LG I. 1 KLS 42 Js 9444/03 (610 VRS) beigezogen und auszugsweise daraus Kopien anfertigen lassen, die als Beiakte 5 angelegt sind. Darunter befindet sich insbesondere ein nervenärztliches (neurologisch-psychiatrisches) Gutachten von Prof. Dr. S. C1. , Arzt für Neurologie und Psychiatrie am Zentrum für Psychiatrie in X. vom 12.09.2003 und ein „Psychologischer Befund“ der Dipl. Psychologin D. O. vom 06.09.2001.
27Der Kläger beantragt,
28die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des BfArM vom 09.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2012 zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Erlaubnis zum Anbau von Cannabis sativa zu therapeutischen Zwecken zu erteilen,
29hilfsweise,
30über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis sativa zu therapeutischen Zwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
31Die Beklagte beantragt
32die Klage abzuweisen.
33Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Bescheide. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Erlaubnis für den Anbau von Cannabis.
34Es sei nicht auszuschließen, dass diesem ein gleich wirksames, verschreibungsfähiges Mittel bzw. ein cannabishaltiges Arzneimittel zur Verfügung stehe. Der in den Jahren 2001 bis 2003 dokumentierte Therapieversuch mit Dronabinol habe nach Einschätzung der seinerzeit behandelnden Ärzte einen ausreichenden Erfolg gezeigt. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Therapieversuch im Jahr 2010 erfolglos gewesen sei. Ein erneuter, mindestens 3-monatiger Therapieversuch müsse ärztlich begleitet und ausführlich dokumentiert sein. Zwar habe die Krankenkasse des Klägers die Kostenübernahme bisher abgelehnt. Das Schreiben vom 29.11.2010 sei jedoch veraltet und ein neuer Antrag müsse gestellt werden vor dem Hintergrund, dass im Parallelverfahren OVG Münster 13 A 414/11 die dort zuständige Krankenkasse eine Kostenzusage abgegeben habe.
35Der Gemeinsame Bundesausschuss habe bisher keine Empfehlung für den Einsatz Cannabis-haltiger Arzneimittel bei „chronischen neuropathischen Schmerzen“ oder „ADS bei Erwachsenen“ gegeben. Das sei auch nicht vorgesehen. Die Wirksamkeit von Cannabis in diesen Anwendungsgebieten sei bisher nicht wissenschaftlich belegt. Geeignete wissenschaftliche Studien hierzu lägen nicht vor.
36Weiterhin hat die Beklagte die „Richtlinien über Maßnahmen zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten bei Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG“ mit Stand vom 01.01.2007 vorgelegt. Nach Auffassung des BfArM sind diese Richtlinien, die der Einheitlichkeit und Transparenz der Sicherungsmaßnahmen dienten, auch beim Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken zu beachten. Die Anforderungen richteten sich nach dem Gefährdungsgrad und der Bestands- oder Jahreshöchstmenge des betreffenden Betäubungsmittels. Da sich Cannabis in der Sicherungsklasse S 3 befinde, erfordere bereits der Anbau einer einzigen Cannabispflanze mit einem Gewicht über 100 g eine Sicherung nach Ziff. 1 und 2 der Richtlinie. Es sei daher eine Raumsicherung nach Ziff. 2 für die Anbau- und Wuchsphase sowie für die Lagerung ein Wertschutzschrank nach Ziff. 1 der Richtlinie erforderlich. Eine Anordnung von Nebenbestimmungen zur Gewährleistung der Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs sei nicht ausreichend.
37Wenn diese Richtlinien keine Anwendung finden sollten, wäre jedenfalls eine weitere Prüfung der Sicherheitslage, ggfs. unter Inaugenscheinnahme der konkreten örtlichen Gegebenheiten durch das BfArM erforderlich. Wegen der Mannigfaltigkeit der hierbei zu beachtenden Kriterien könnten die Anforderungen an die Sicherung des Cannabisanbaus in einer Privatwohnung nicht pauschal definiert werden. Die vom Kläger vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien jedenfalls nicht ausreichend. Es genüge nicht, wenn der Anbauraum durch eine Zimmertür mit einem normalen handelsüblichen Schloss zu betreten sei. Dies sei leicht aufzubrechen.
38Auf Anforderung des Gerichts hat die Beklagte außerdem einen aktuellen Auszug aus dem Zentralregister vom 15.11.2013 vorgelegt. Dieser ist identisch mit dem Auszug aus den Verwaltungsvorgängen und weist als letzte Verurteilung die Entscheidung des Landgerichts I. vom 2003 auf.
39Der Anbau von Cannabis sei zur Eigenversorgung des Klägers nicht notwendig und nicht geeignet, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Der Anbau sei – insbesondere bei Berücksichtigung der Sicherungsmaßnahmen – nicht kostengünstiger als der Medizinalhanf aus der Apotheke. Die Vergleichskostenrechnung des Klägers sei weder nachvollziehbar noch belegt.
40Eine sichere medizinische Versorgung durch selbstangebaute Cannabispflanzen sei wegen des schwankenden Wirkstoffgehalts nicht gewährleistet, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Die Angaben der Samenlieferanten zum Wirkstoffgehalt seien nicht zuverlässig; die Durchführung von Gehaltsprüfungen in einem Labor dürfte zu teuer sein und für eine lückenlose Überwachung nicht geeignet sein. Schließlich genügten die Anwendungserfahrungen nicht für die Annahme, dass ungeachtet des tatsächlichen Wirkstoffgehalts Gesundheitsgefahren nicht zu befürchten seien. Vielmehr sei es unerlässlich, die richtige Dosis zu finden und eine Unter- und Überdosierung zu vermeiden.
41Ferner stehe der Erlaubniserteilung das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 entgegen, das die Errichtung einer staatlichen Cannabisagentur bei einer Genehmigung des Anbaus von Cannabis erfordere. Dies gelte auch für den Anbau im geringen Umfang zum Zweck der Eigentherapie, wie der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) auf eine Anfrage des BfArM im Schreiben vom 30.07.2010 bestätigt habe. Denn die Errichtung der Agentur diene dem Zweck, ausnahmslos alle Ernten zu erfassen und zu kontrollieren mit dem Ziel, der Gefahr einer illegalen Entnahme oder Weitergabe von Teilmengen zu begegnen.
42Im Rahmen der nach § 5 Abs. 2 BtMG zu treffenden Ermessensentscheidung überwiege das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Wahrung ihres internationalen Ansehens die Belange des Klägers. Dem Ansehen werde erheblicher und unvertretbarer Schaden zugefügt, wenn die Bundesrepublik trotz der klaren Feststellung des INCB gegen seine Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstoßen würde. Außerdem seien die Einhaltung der Konvention und die Zusammenarbeit mit den Internationalen Behörden unverzichtbar für eine effiziente Überwachung und Kontrolle im Betäubungsmittelbereich. Hier gehe es nicht um die grundsätzliche Frage des Einsatzes von Cannabis zu therapeutischen Zwecken, sondern speziell um den Anbau, bei dem eine effektive Kontrolle über den Umfang und die Lagerbestände nicht gegeben sei. Bei der Abwägung sei auch die international große drogenpolitische Bedeutung des Themas „Cannabis“ zu berücksichtigen. Demgegenüber würden die Belange des Klägers ausreichend durch die Erlaubnis zum Erwerb von Medizinalhanf gewahrt. Außerdem spreche auch der erwähnte Aspekt der Therapiesicherheit gegen die Erteilung der Erlaubnis.
43Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge und den Auszug aus der Strafakte 1 KLs 42 Js 9444/03 des Landgerichts I. Bezug genommen.
44E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
45Die Klage ist als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO statthaft und nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens gemäß § 68 VwGO zulässig. Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Monatsfrist des § 70 VwGO Widerspruch eingelegt. Der Ablehnungsbescheid vom 09.12.2011 ist dem Kläger am 16.12.2011 zugestellt worden. Das Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 29.12.2011 ist zwar innerhalb der Monatsfrist eingegangen. Es enthält jedoch keinen Widerspruch, sondern lediglich eine Bestellung als Verfahrensbevollmächtigter sowie einen Antrag auf Verlängerung der Frist für die Vorlage von Unterlagen. Die „Widerspruchsbegründung“ vom 21.03.2012 kann zwar konkludent als Einlegung eines Widerspruchs angesehen werden. Sie ist jedoch erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist eingegangen. Da die Beklagte den Widerspruch jedoch durch Widerspruchsbescheid vom 23.05.2012 sachlich beschieden hat, ist die Fristversäumung für das weitere Verfahren unbeachtlich,
46vgl. ständige Rechtsprechung des BVerwG, z.B.: Urteil vom 04.08.1982 – 4 C 42/79 - , NVwZ 1983, 185, juris; abweichend in Fällen des Drittwiderspruchs nach § 80 a VwGO.
47Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Ablehnungsbescheid des BfArM vom 09.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie. Er hat auch keinen Anspruch auf eine erneute Entscheidung über seinen Antrag, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
48Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide ist nach allgemeinen Grundsätzen im Fall der Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend. Aus dem anwendbaren materiellen Recht, also den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, ergeben sich insoweit keine Gründe für die Berücksichtigung eines anderen Zeitpunktes.
49Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erweist sich die Klage als unbegründet. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis, die sich aus § 3 Abs. 2 BtMG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG unter Berücksichtigung einer verfassungskonformen Auslegung ergeben, sind zwar im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erfüllt. Jedoch steht der Erteilung der Erlaubnis derzeit der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entgegen.
50Nach § 3 Abs. 2 BtMG kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Der Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung fällt unter die Anlage I des BtMG und bedarf daher einer Erlaubnis des BfArM.
51Nach der Anlage I zu § 1 Nr. 1 BtMG zählt Cannabis grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln, für die eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur im Ausnahmefall erteilt werden kann. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen offensichtlich nicht vor. Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11.05.2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (Anlage III), ist hier nicht betroffen. Auch sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, nicht „zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“ bestimmt (Anlage II). Denn diese Ausnahme bezieht sich nach der Gesetzesbegründung ausschließlich auf die Herstellung von Zubereitungen mit dem Ziel der Herstellung eines Fertigarzneimittels,
52vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 – 13 A 414/11 – und Beschluss vom 16.11.2011 – 13 B 1199/11 – juris.
53Die für den Anbau von Cannabispflanzen geltende Erlaubnispflicht in Verbindung mit der hieran anknüpfenden Strafbarkeit bei Fehlen der Erlaubnis begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, sofern für die Erteilung der Erlaubnis die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 - geltenden Kriterien berücksichtigt werden. Denn die Gefährlichkeit des Cannabisgenusses ist auch nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere für bestimmte Risikogruppen wie Jugendliche, nicht widerlegt,
54vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.11.2011 – 13 B 1199/11 – und VG Köln, Beschluss vom 13.09.2011 – 7 L 1172/11 - ; vgl. auch Grotenhermen, „Das therapeutische Potential von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498.
55Die angegebenen Voraussetzungen für die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Anbau von Cannabispflanzen liegen unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls vor. Die Erteilung der Erlaubnis liegt im öffentlichen Interesse.
56Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Beschwerden möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
57Dies ergibt sich aus der Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und für die Wahrung der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 GG. Diesen Bestimmungen kommt im Rahmen des Wertehorizontes des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist,
58vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 – juris.
59Der Einsatz von Cannabis ist im vorliegenden Einzelfall zur Linderung der Leiden und Beschwerden des Klägers geeignet und erforderlich. Dies hat die Beklagte bereits dadurch anerkannt, dass sie dem Kläger eine Erlaubnis zum Erwerb von Medizinalhanf aus Holland am 14.12.2010 erteilt hat.
60Die Notwendigkeit der Versorgung des Klägers mit Cannabis ist auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch zu bejahen. Nach den vorliegenden ärztlichen Berichten leidet der Kläger an Asthma bronchiale, chronischen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule (BWS-Syndrom, LWS-Syndrom) sowie im Schulter-Arm-Bereich. Ferner hat er ein ADHS-Syndrom (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom), das mit aggressivem, sozialschädlichen Verhalten verbunden ist (vgl. die ärztlichen Atteste von Dr. E. K. /Dr. H. K. vom 11.10.2010, Bl. 7 Beiakte 1, und vom 15.11.2010, Bl. 18 Beiakte 1; Dr. I1. -I2. T. vom 20.10.2003, Bl. 61 d. A., Universitätsklinikum I. , Prof. Dr. C. vom 19.12.2003, Bl. 62 d. A.; Dipl.-Psychologin D. O. vom 06.09.2001, Bl. 915 Beiakte 5).
61Der gegenteiligen Meinung von Prof. Dr. S. C1. im neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 12.09.2003 (Bl. 865, Beiakte 5) kann nicht gefolgt werden. Dieser bezweifelt das angegebene Schmerzsyndrom sowie das Vorliegen einer Aufmerksamkeitsdefizit-Störung (S. 23, 24 des Gutachtens). Die Begründung ist allerdings nicht nachvollziehbar. Die typischen Folgen eines ADHS-Syndroms sind vorliegend gerade aufgetreten. Der Kläger hatte offensichtliche Probleme in der Schule und an seinen Arbeitsstellen, da er beide ständig gewechselt hat. Hierbei waren nicht nur familiär bedingte Umzüge ursächlich; vielmehr muss es auch Konzentrations- und Leistungsprobleme gegeben haben, wie die Umschulung aus dem Gymnasium in die Realschule und schließlich die Hauptschule zeigen. Ferner lassen auch zahlreiche Verurteilungen seit 1991 wegen Betäubungsmitteldelikten und anderen Straftatbeständen die Probleme des Klägers mit einem sozial adäquaten Verhalten erkennen.
62Überzeugend erscheint dagegen das ausführliche Attest der Dipl. Psychologin D. O. vom 06.09.2001 (vgl. Bl. 915, Beiakte 5), in dem der Kläger seine schulischen und sozialen Schwierigkeiten glaubhaft und nachvollziehbar schildert. Die Diagnose ADHS wird auch von den später behandelnden Ärzten bestätigt. Ferner haben auch tatsächlich Behandlungen der ADHS stattgefunden, beispielsweise am Institut für seelische Gesundheit in N. (vgl. Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 02.08.2005, S. 1541 Beiakte 5). Die Erkrankung beruht nach Auffassung einiger Experten auf einer angeborenen Hirnstoffwechselstörung, die lebenslang erhalten bleibt, wenn auch mit unterschiedlichen sozialen Kompensationen, (vgl. Attest von D. O. vom 06.09.2001, Bl. 915, Beiakte 5). Damit ist von einer chronischen Erkrankung auszugehen, die einer ständigen Behandlung bedarf.
63Soweit Prof. Dr. S. C1. auch das angegebene Schmerzsyndrom in Frage stellt, fällt die Beurteilung nicht in sein Fachgebiet und wird auch von den später behandelnden Ärzten nicht geteilt. Insbesondere erscheint die Begründung, die Annahme eines Schmerzsyndroms im Wirbelsäulen- und Schulterbereich sei nicht mit der Durchführung von Krafttraining vereinbar, nicht überzeugend. Gerade bei Rücken- und Gelenkschmerzen wird im Rahmen von Therapiemaßnahmen häufig ein Bewegungs- und Muskelaufbautraining – auch an Geräten – zur Entlastung der Gelenke und zur besseren Durchblutung durchgeführt.
64Aus den Attesten ergibt sich, dass den Schmerzen im Rücken und im Schulter/Arm-Bereich eine Bandscheibenproblematik sowie arthrotische Gelenkveränderungen zugrunde liegen, die sich chronifiziert haben, sodass von einer Besserung nicht mehr auszugehen ist (vgl. Attest von Prof. Dr. C. , Bl. 62 d. A.). Dasselbe gilt für das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom im Erwachsenenalter, das im Fall des Klägers mit einer aggressiven Verhaltensstörung assoziiert ist, die auf andere medikamentöse und psychologische Behandlungen bisher nicht angeprochen hat. Dementsprechend haben die behandelnden Ärzte Dr. E. und H. K. im aktuellen Attest vom 02.08.2013 (Bl. 82 d. A.) die Fortdauer der Erkrankung bestätigt, wenn diese auch unter Cannabis-Konsum derzeit unter Kontrolle ist.
65Die von Prof. Dr. S. C1. vermutete Abhängigkeit von Cannabis spricht nicht gegen die Therapie mit diesem Stoff. Wenn Cannabis dem Kläger zu einer Bewältigung seiner Schmerzen und seiner Aggressionen verhilft und damit zu einem sozial angepassten Leben, wie er selbst und die ihn behandelnden Ärzte glaubhaft bestätigen, kann der Einsatz dieser Therapie im öffentlichen Interesse liegen.
66Es kommt auch nicht darauf an, ob die therapeutische Wirksamkeit bei chronischen Schmerzen und beim ADHS-Syndrom durch kontrollierte Studien wissenschaftlich erwiesen ist. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine subjektiv-individuelle Betrachtung. Aus verfassungsrechtlichen Gründen muss die Erlaubniserteilung schon bei Bestehen der Möglichkeit einer subjektiv empfundenen Linderung einer schweren Erkrankung möglich sein,
67vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 - ; NJW 2005, 2200 ff., juris.
68Diese Möglichkeit besteht hier; eine therapeutische Wirkung ist bei den Krankheitsbildern des Klägers nicht ausgeschlossen. Die Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen wird auf der Grundlage von einigen kleineren Studien in den Fachkreisen jedenfalls teilweise bejaht (vgl. Grotenhermen, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)).
69In Einzelfallberichten wurde die Wirksamkeit von Cannabis bei ADHS bestätigt. In den Vereinigten Staaten wird Cannabis aktuell in 12 Bundesstaaten zur Behandlung von ADHS verschreibungsplichtig eingesetzt, (vgl. http:// adhspedia.de/wiki/Cannabis, Abruf vom 03.07.2014). Eine aggressionslösende Wirkung scheint nicht ausgeschlossen, da eine Beruhigung, Entspannung und Stimmungsaufhellung gerade zu den typischen akuten Wirkungen von Cannabis gehört (vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., Illegale Drogen, Cannabis, Die Effekte, in: http:// www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014). Die den Kläger behandelnden Ärzte haben diese Wirkung bestätigt. Nicht zuletzt zeigt der Umstand, dass der Kläger nach einer schwierigen Jugendzeit und der letzten Verurteilung durch das Landgericht I. vom 28.10.2003 ausweislich des vorliegenden aktuellen Registerauszuges nicht mehr straffällig geworden ist, erfolgreich eine Umschulung absolviert hat und nun einer normalen Erwerbstätigkeit nachgeht, dass der Kläger seine Affekte nun schon seit einiger Zeit unter Kontrolle hat.
70Dem Kläger steht auch keine schulmedizinische gleich wirksame und erschwingliche Behandlungsalternative zur Verfügung. Nach den Aussagen seiner Ärzte hat die Standardmedikation „Ritalin“ (Methylphenidat) dem Kläger nicht geholfen; auch psychotherapeutische Behandlungskonzepte waren nicht ausreichend, um dem Kläger dauerhaft zu einer ausgeglichenen Stimmung und Bewältigung der Schmerzen zu verhelfen (vgl. Attest Dr. K. vom 15.11.2010, Bl. 18 Beiakte 1).
71Das cannabishaltige Medikament Sativex ist nicht für ADHS und chronische Schmerzen des Bewegungsapparates zugelassen, sondern nur für spastische Schmerzen bei Multipler Sklerose. Aus diesem Grund dürfte das sehr teure Medikament auch für den Kläger nicht erschwinglich sein, denn eine Leistungspflicht der Krankenkasse besteht in diesem Fall nicht.
72Auch kommt das seit Juni 2013 für die Behandlung des ADHS-Syndroms bei Erwachsenen zugelassene „Atomoxetin“ für einen Behandlungsversuch beim Kläger wegen der erheblichen Nebenwirkungen ersichtlich nicht in Betracht (a.A.: Widerspruchsbescheid der IKK classic vom 30.01.2014, Bl. 158, 165 d. A.). Im Internet-Portal „Onmeda.de“ werden als häufige Nebenwirkungen von Atomoxetin genannt: Appetitlosigkeit, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, Schlaflosigkeit, Schwindel, Verstopfung, Verdauungsstörungen, Hautentzündung, Hautausschlag, Müdigkeit, Antriebsarmut, Gewichtsverlust, Blutdruckerhöhung). Als gelegentliche Nebenwirkungen werden aufgeführt: Selbstmordneigung, Selbstmordversuche, Aggression, Feindseligkeit, Gefühlsschwankungen, Schlafstörungen, Ohnmacht, Zittern, Migräne, Pupillenerweiterung, Herzklopfen, Herzrasen, Juckreiz, etc.. Demnach besteht zum einen die Gefahr, dass die mit dem ADHS-Syndrom verbundene Aggressivität sogar erhöht wird, zum anderen ein Selbstmordversuch nicht auszuschließen ist. Auch scheinen die übrigen Nebenwirkungen dieses Medikaments gegenüber den Nebenwirkungen einer Behandlung mit Cannabis deutlich schwerwiegender zu sein. Unter diesen Bedingungen erscheint ein Behandlungsversuch im indiviuellen Fall des Klägers nicht zumutbar.
73Zwar kann nach den widersprüchlichen Aussagen im Klageverfahren nicht ausgeschlossen werden, dass Dronabinol als Rezepturarzneimittel beim Kläger eine vergleichbare Wirksamkeit entfaltet wie Cannabisblüten. Denn der Kläger ist bereits mit Dronabinol behandelt worden und die Wirksamkeit ist in früheren Attesten von den Ärzten bejaht worden. Diese Therapiealternative ist allerdings für den Kläger nicht erschwinglich. Denn seine Krankenkasse hat mit Schreiben vom 29.11.2010 und zuletzt mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2014 die Erstattung der sehr hohen Kosten sowohl für Dronabinol (als auch für Medizinal-Cannabisblüten aus Holland) abgelehnt. Er kann die Behandlungskosten für einen 4-Wochen Bedarf in Höhe von 672,00 Euro auch nicht von seinem Nettogehalt in Höhe von ca. 1400 Euro im Monat (Bl. 123 d.A.) finanzieren. Diese Kosten ergeben sich bei einem angenommenen Maximal-Bedarf von 30 mg THC pro Tag x 28 Tage = 840 mg THC, (vgl. Grotenhermen, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 499), und einem Preis von 0,80 Euro/mg Dronabinol, also 840 mg x 0,80 € = 672,00 €,(vgl. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin zur Anhörung des Gesundheitsausschusses 2012, a.a.O., S. 6). Damit ist diese Behandlungsalternative für den Kläger nicht verfügbar,
74vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - ; NJW 2005, 2200 ff., juris.
75Tatsächlich dürften die tatsächlichen Kosten für Dronabinol noch weit höher liegen, da dem genehmigten 4 Wochen-Bedarf von 56 g Cannabisblüten (Bl. 132 Beiakte 1) eine THC-Menge von 3360 mg im Fall der Cannabis-Sorte mit dem geringsten THC-Gehalt entspricht (Bediol mit 6 % THC: 1 g Blüten der Sorte Bediol = 60 mg THC x 56 g = 3360 mg THC in 4 Wochen, ergibt Kosten in Höhe von 3360 mg x 0,80 € = 2.688,00 €).
76Die Erteilung der Erlaubnis für den Einsatz von Cannabisblüten aus Holland für die Eigentherapie des Klägers liegt somit im öffentlichen Interesse.
77Sie kann jedoch derzeit nicht erteilt werden, weil Versagungsgründe im Sinne des § 5 Abs. 1 BtMG entgegenstehen. Zwar hat die Kammer keine Bedenken im Hinblick auf die Zuverlässigkeit des Klägers, § 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Denn seit der letzten strafrechtlichen Verurteilung im Jahr 2003 wegen eines Betäubungsmitteldeliktes ist er nicht mehr straffällig geworden. Er hat in der Haft sowohl eine Psychotherapie als auch eine Drogentherapie durchgeführt, (vgl. Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 02.08.2005, Beiakte 5, S. 1541) und ist erfolgreich umgeschult worden. Derzeit geht er einer normalen Erwerbstätigkeit nach. Eine Rückfallgefahr wird man daher als gering ansehen können, zumal der Kläger sich dem Risiko einer erneuten Bestrafung und eines Widerrufs der Erlaubnis aussetzt, falls er unerlaubt Teilmengen des angebauten Cannabis abzweigt.
78Jedoch sind im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine geeigneten Räume für den Anbau von Cannabis in der Wohnung des Klägers vorhanden, § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG. In der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sind die Voraussetzungen für die Sicherung eines Cannabisanbaus in einer Privatwohnung bisher nicht geklärt. Zwar hat das OVG NRW im Urteil vom 11.06.2014 – 13 A 414/11 – entschieden, dass die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmitteln für den gewerblichen Anbau im großen Stil konzipiert sind und für den Eigenanbau im geringen Umfang in einer Privatwohnung wegen der unterschiedlichen Gefährdungslage keine Anwendung finden. Dem schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an.
79Aus Sinn und Zweck des Betäubungsmittelgesetzes ergibt sich, dass einerseits dem Gefährdungsgrad des jeweiligen Umgangs mit Betäubungsmitteln angepasste Sicherungen gegen Diebstahl und unbefugte Entnahme vorzunehmen sind und andererseits den persönlichen und grundrechtlich geschützten Bedürfnissen von Patienten, die auf den Einsatz von Cannabis angewiesen sind, Rechnung getragen werden muss. Welche konkreten Sicherungsanforderungen sich daraus ergeben, hat das Oberverwaltungsgericht aber nicht generell definiert. Ebensowenig hat das BfArM sich bisher in der Lage gesehen, derartige Richtlinien zu erlassen. Das OVG hat in dem mit Urteil vom 11.06.2014 entschiedenen Fall einen Anbau im Badezimmer eines Patienten mit relativ weitreichenden schon durchgeführten bzw. noch geplanten Sicherungseinrichtungen für ausreichend gesichert gehalten. Aus dieser Einzelfallentscheidung ergeben sich jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die hier gebotenen Sicherheitsanforderungen.
80Die Kammer ist der Auffassung, dass für einen Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung in jedem Fall eine Raumsicherung vorhanden sein muss. Anders als bei der Aufbewahrung von Medizinal-Cannabisblüten genügt ein Wertschutzschrank für die Ernte nicht. Die Anpflanzung muss auch in der Wuchs- und Blühphase vor Diebstahl oder unberechtigter Entnahme durch Mitbewohner oder Besucher geschützt werden, da sowohl die ganzen Pflanzen als auch nicht getrocknete Blätter und Blüten für einen künftigen Betäubungsmittelmissbrauch benutzt werden können.
81Daraus ist abzuleiten, dass in einer Privatwohnung zunächst ein geeigneter Raum für die Anpflanzung zur Verfügung stehen muss. Der Raum muss sodann durch geeignete und zumutbare Vorkehrungen (stabile Türen, Fenster, Wände und Schlösser) zuverlässig vor dem Zutritt ungebetener oder erwünschter Besucher geschützt werden. Sicherungsvorkehrungen, die schnell und leicht überwunden werden können, reichen nicht aus.
82Diese Anforderungen schließen es aus, dass der Anbau in einem Zimmer durchgeführt wird, das zugleich zu Wohn- oder Schlafzwecken genutzt wird und daher ständig betreten wird. Vielmehr kann der Anbau nur in einem separaten Raum stattfinden, der – bis auf den Zutritt des Erlaubnisinhabers zu Pflegezwecken – ständig abgeschlossen sein muss, zum Beispiel ein Abstellraum oder eine zweite Toilette.
83Der Kläger wohnt in einer Mietwohnung, die aus 2 Zimmern besteht, und hat das nur von ihm genutzte Schlafzimmer für den Anbau vorgesehen. Dieser Raum ist für die Anpflanzung aus Sicherheitsgründen nicht geeignet. Ein Schlafzimmer dient auch dem Privatleben. Er kann daher nicht ständig abgeschlossen sein. Der Kläger wird den Raum auch tagsüber wiederholt betreten, da in Schlafzimmern regelmäßig Kleidung und andere Dinge aufbewahrt werden, und nachts zum Schlafen nutzen. Ein Wohn- oder Schlafraum muss regelmäßig aufgeräumt und gesäubert werden. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Familienmitglieder, Partner oder Besucher den Raum im Einverständnis mit dem Kläger betreten oder benutzen. Beispielsweise kann im Fall einer ernsthaften Erkrankung des Klägers nicht verhindert werden, dass ein Arzt oder Pflegekräfte den Raum betreten. Zudem hat der Kläger eine einjährige Tochter, die nicht bei ihm wohnt, sich aber möglicherweise zukünftig zeitweilig bei ihm aufhält.
84Die Anforderungen an einen separaten, ständig abgeschlossenen Raum können auch nicht durch Auflagen des BfArM gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 BtMG sichergestellt werden. Da der Kläger in einer Mietwohnung wohnt, kann er diese aus rechtlichen Gründen nicht verändern und daher den Raumbedarf nicht durch Maßnahmen innerhalb der Wohnung befriedigen. Vielmehr kann der Kläger dieses Hindernis nur durch einen Umzug in eine andere Wohnung, die einen eigenständigen Raum für die Anpflanzung aufweist, ausräumen. Hierzu kann ihn die Behörde indessen nicht verpflichten, da die Auswahl der „Betriebsstätte“ dem Antragsteller obliegt und Gegenstand seines Antrages ist, § 7 Nr. 3 BtMG.
85Auf die Frage, ob weitere Versagungsgründe bestehen, ob die Behörde bei der Ablehnung der Erlaubnis ermessensfehlerhaft gehandelt hat oder sogar eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, kommt es daher im vorliegenden Verfahren nicht an. Da der Erteilung der Erlaubnis der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entgegensteht, ist auch für eine erneute Ermessensentscheidung der Behörde derzeit kein Raum.
86Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass im Fall des Nachweises eines geeigneten Anbauraums keine weiteren Versagungsgründe bestehen dürften. Die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen können durch den Erlass von Nebenbestimmungen zur Erlaubnis angeordnet werden. Die Anforderungen an die Sachkenntnis im Fall des Anbaus zur Eigentherapie dürften wegen des Fehlens einer Fremdgefährdung nur gering sein, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG und die Cannabistherapie auch in Anbetracht der mit dem Anbau verbundenen begrenzten Gesundheitsgefahren zur medizinischen Versorgung des Klägers geeignet sein, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG,
87vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 – 13 A 414/11 - .
88Auch steht einer Erlaubnis das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 nicht entgegen, da es auf die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau zum Zweck der Eigentherapie in einzelnen Ausnahmefällen nicht anwendbar ist,
89vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 – 13 A 414/11 - .
90Die Ermessensentscheidung ist auch im vorliegenden Fall schon deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte bei der Würdigung der Interessen des Klägers nicht beachtet hat, dass seine Belange durch die erteilte Erlaubnis für den Erwerb von Cannabisblüten aus Holland wegen der fehlenden Finanzierbarkeit nicht gewahrt sind. Dem Kläger würden für den genehmigten 4-Wochen-Bedarf von 56 g Cannabisblüten aus der Apotheke ausweislich der vorgelegten Rechnung Kosten in Höhe von 75,60 € pro 5-Gramm-Packung und demnach in Höhe von insgesamt 845,60 € entstehen, die er von seinem monatlichen Netto-Einkommen in Höhe von ca. 1400 € (Bl. 132 d. A.)nicht decken kann,
91vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 – 13 A 414/11 – .
92Vor dem Hintergrund der schweren Erkrankung des Klägers, insbesondere seines fortbestehenden ADHS-Syndroms mit gravierenden Auswirkungen auf das soziale Leben des Klägers und seines Umfeldes, kommt – bis auf die im Ermessen der Beklagten liegenden Sicherungsanordnungen – auch eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht,
93vgl. insoweit die Urteile der Kammer vom 08.07.2014 in den Parallelverfahren 7 K 5217/12, 7 K 4447/11 und 7 K 4450/11.
94Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
95Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
96Die Berufung wurde zugelassen, da die Entscheidung über die Sicherheitsanforderungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG an die für den Eigen-Anbau vorgesehenen Räumlichkeiten auch für künftige Fälle richtungsweisend sein kann und daher grundsätzliche Bedeutung hat, § 124 a Abs. 1 Satz 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Juli 2014 - 7 K 4020/12
Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Juli 2014 - 7 K 4020/12
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Verwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Juli 2014 - 7 K 4020/12 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Tenor
Die Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1963 geborene Kläger ist seit 1985 an Multipler Sklerose erkrankt, die sich zunächst schubweise mit unvollständigen Remissionen entwickelte und inzwischen in die chronische Verlaufsform übergegangen ist. Bei dem Kläger bestehen unter anderem eine ausgeprägte Gangstörung, eine spastische Tetraparese, eine Rumpf- und Extremitätenataxie, Dysarthrie und eine rezidivierende depressive Störung. Die Ataxie tritt im Wesentlichen als Störung der Grob- und Feinmotorik, des freien Gangs, des Standes und der Sprache in Erscheinung. Seit etwa 1987 behandelt der Kläger die Symptome seiner Erkrankung selbständig durch die regelmäßige Zufuhr von Cannabis und ist deswegen zunächst auch straffällig geworden. Zuletzt hat ihn das Amtsgericht Mannheim mit Urteil vom 19. Januar 2005 (3 Ls 310 Js 5518/02 AK 74/04) vom Vorwurf des Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen, da es sein Handeln als gerechtfertigt im Sinne des § 34 StGB ansah. Maßgeblich sei, dass es für die Behandlung der Ataxie keine zugelassenen Therapiealternativen gebe und die AOK die sehr hohen Kosten für das Medikament „Dronabinol“, bestehend aus THC, dem Hauptwirkstoff des Cannabis, nicht übernehme. Der Kläger, der als Fliesenleger tätig war, ist aufgrund seiner Erkrankung seit 1999 in Frührente und bezieht eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von ca. 890,00 Euro.
3Die - auch vom Kläger - erhobene Verfassungsbeschwerde gegen ein drohendes Strafverfahren und gegen die Strafdrohung wegen unerlaubter Einfuhr, unerlaubten Erwerbs oder Besitzes von Cannabis oder Marihuana nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑ nicht zur Entscheidung an, da die Betroffenen zunächst versuchen müssten, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen.
4Der Kläger stellte am 3. Mai 2000 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa und machte geltend, Cannabis löse bei ihm eine sehr gute (zusätzliche) therapeutische Wirksamkeit aus, die nicht durch andere Medizinprodukte oder Heilmittel zu erreichen sei. Das BfArM lehnte seinen Antrag mit Bescheid vom 31. Juli 2000 unter anderem mit der Begründung ab, die beantragte Erlaubnis liege auch mit Blick auf die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht im öffentlichen Interesse, da beim Kläger eine dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende ärztliche Versorgung mit Delta-9-THC durch die Anwendung eines verschreibungsfähigen Cannabisprodukts („Dronabinol“) möglich sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
5Das Sozialgericht Mannheim wies mit Urteil vom 9. August 2001 - S 8 KR 286/00 ‑ die Klage des Klägers auf Bewilligung von „Dronabinol-Tropfen“ als Sachleistung der Krankenkasse ab. Die hiergegen erhobene Berufung wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg durch Urteil vom 25. April 2003 – L 4 KR 3828/01 – zurück. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde wies das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 6. Januar 2005 ‑ B 1 KR 51/03 B ‑ zurück.
6Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 1023/01) auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zum Erwerb und zur Einfuhr von Cannabis zum Zwecke der medizinischen Behandlung, die - unter Zulassung der Berufung - mit Urteil vom 17. Februar 2004 abgewiesen wurde. Mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, in dem in einem auf die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis gerichteten Verfahren festgestellt wurde, diese könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, eine solche Behandlung liege nicht im öffentlichen Interesse, hob das BfArM den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 28. Juni 2006 auf. Daraufhin erklärten die Beteiligten das vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängige Berufungsverfahren (13 A 1534/04) übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt.
7Der Kläger stellte am 25. August 2006 bei der AOK S. -O. erneut einen Kostenübernahmeantrag für das Arzneimittel „Dronabinol“, den die Krankenkasse mit Schreiben vom 28. September 2006 ablehnte.
8Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 wies das BfArM den Kläger unter anderem auf Folgendes hin: Im Zusammenhang mit der Beantragung einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis verlange das Betäubungsmittelgesetz von dem Antragsteller oder einer für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften zu bestellenden verantwortlichen Person einen Nachweis über die erforderliche Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 6 BtMG). Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Kläger selbst oder eine andere Person die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen wolle. Der Sachkenntnisnachweis könne u. a. dadurch erbracht werden, dass der Kläger als Verantwortlichen einen Humanmediziner benenne.
9Unter dem 30. Mai 2007 machte der Kläger geltend: Sein Hausarzt, Dr. C. , habe sich bereit erklärt, ihn zu unterstützen, und sei Verantwortlicher mit Sachkenntnis. Er überprüfe insbesondere, dass die genehmigte Anbaumenge nicht überschritten werde. Im Übrigen habe das Amtsgericht Mannheim festgestellt, dass sein Verhalten gemäß § 34 StGB gerechtfertigt sei. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung komme daher nur die Erteilung der beantragten Genehmigung in Betracht. Ferner übersandte er eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom 27. April 2007.
10Mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 lehnte das BfArM den Antrag des Klägers vom 3. Mai 2000 ab: Die Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa liege nicht im öffentlichen Interesse. Der Eigenanbau von Cannabis sei nicht erforderlich, da auf Delta-9-THC standardisierte Cannabisextrakte erhältlich seien. Bei einem zugrundegelegten durchschnittlichen Monatsbedarf von 500 mg Delta-9-THC lägen die Behandlungskosten bei nur 150 Euro, während die monatlichen Kosten für „Dronabinol“ 350 Euro betrügen. Auch seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 und 6 BtMG gegeben. Weder seien geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für Anbau, Trocknung und Lagerung der Pflanzenteile nachgewiesen, noch sei eine effektive Kontrolle des Cannabiskonsums bei einem Eigenanbau durchführbar. Auch könne nicht von dem erforderlichen Sachkundenachweis abgesehen werden, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet sei. Ferner könnten bei einem Anbau durch Privatpersonen die Voraussetzungen für eine gleich bleibende Qualität nicht gewährleistet werden.
11Hiergegen erhob der Kläger am 8. Januar 2008 Widerspruch und machte unter anderem geltend: Er sei aus finanziellen Gründen auf den Anbau von Cannabis angewiesen. Er verwende seit Jahren aus medizinischen Gründen 100 g Cannabis im Monat, das 5.000 bis 10.000 mg THC entspreche und nach der Berechnung des BfArM monatliche Kosten in Höhe von 1.500 Euro verursachte. Diese Kosten seien für ihn bei einer monatlichen Erwerbsunfähigkeitsrente von (seinerzeit) 860 Euro nicht tragbar.
12Nachdem das BfArM die vom Kläger gesetzten Fristen zur Entscheidung über seinen Widerspruch hat verstreichen lassen, hat der Kläger am 20. Juni 2009 Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 3889/09) erhoben.
13Mit Schreiben vom 19. März 2010 versagte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Zustimmung zu der seitens des BfArM beabsichtigten Erteilung der beantragten Erlaubnis zum Eigenanbau für den Kläger.
14Das Verwaltungsgericht hat am 31. März 2010 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt.
15Daraufhin führte der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2010 aus: Der Anbau der Cannabispflanzen erfolge im Badezimmer. In der Blühphase stünden die Pflanzen in der gemauerten Duschkabine unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe. Im Blühraum stünden 2 x 8 Pflanzen mit einem Altersunterschied von vier Wochen. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) bewahre er in einem kleinen Schrank auf, in dem auch die geernteten Blüten getrocknet würden. Die Blüten von 8 Pflanzen ergäben etwa 100 g Cannabis, was seinem Monatsbedarf entspreche. Ein etwaiger Überschuss werde in einem Tresor gelagert. Die Pflanzenreste würden in einem speziellen Küchenkomposter zu Kompost und Flüssigdünger für andere Gartenpflanzen verarbeitet. Die monatlichen Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. beliefen sich auf etwa 110 Euro. Da die Pflanzen aus Stecklingen gezogen würden, hätten sie bis zu mehreren Jahren die gleiche Genetik und auch die gleiche Wirksamkeit, so dass eine einmalige Bestimmung des THC-Gehalts ausreichend sei. Er plane unter anderem, die Zimmertür zwischen Badezimmer und zentralem Wohnraum durch ein Fingerprintschloss zu schützen und das Flügelfenster zum Bad zusätzlich mit verschließbaren Griffen zu versehen. Zusätzlich könne es mit einem Stahlgitter geschützt werden. Die Tür zum Badezimmer und das Fenster sollten überdies mit einer IP-Kamera überwacht werden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein signifikant niedriger Gefährdungsgrad bestehe, da er, der Kläger, aufgrund seiner Erkrankung fast ausschließlich zu Hause sei. Publikumsverkehr finde nicht statt. Außer ihm und seiner Lebensgefährtin halte sich in der Wohnung nur die Krankengymnastin für die Dauer der Anwendungen auf.
16Mit Schreiben vom 29. Juni 2010 teilte das BfArM dem BMG mit: Die vom Kläger vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien zur Sicherung des Betäubungsmittelverkehrs geeignet und ausreichend. Eine zusätzliche Installation einer Kamera für die seltenen Fälle der Abwesenheit erscheine unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Auch sei für die Lagerung überschüssiger Blüten mit einer Höchstmenge von 100 g ein zertifizierter Wertschutzschrank nicht erforderlich. Notwendig sei allerdings die Anbringung eines zusätzlichen Gitters vor dem ‑ sich häufig in Kippstellung befindlichen - Badezimmerfenster. Auch dürften die Schwankungen des THC-Gehalts bei der von dem Kläger beschriebenen Kultivierungsmethode eher gering sein. Eine konkrete Bestimmung des THC-Gehalts werde von den Untersuchungseinrichtungen ohne das Vorliegen einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nicht durchgeführt. Ferner sei die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht erforderlich. Eine Gefahr der illegalen Weitergabe durch Groß- und Einzelhändler sei beim Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken nicht gegeben, da der Patient die Substanz selbst benötige. Abgesehen davon müssten bei einer Entscheidung gemäß § 5 Abs. 2 BtMG die mit der Einrichtung einer Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen gegenüber dem Interesse des einzelnen Patienten an einer Ausnahmegenehmigung zu medizinischen Zwecken abgewogen werden.
17Mit an das BfArM gerichtetem Schreiben vom 16. Juli 2010 führte das BMG aus: Das Entschließungsermessen des BfArM sei nicht auf Null reduziert. Die Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes (notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung bzw. des Klägers) geböten nicht die Erlaubniserteilung. Eine Versagung bewirke keine Grundrechtsverletzung des Klägers (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), da Therapiealternativen verfügbar seien. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei mangels Kenntnis des Wirkstoffgehalts, der Qualität und der Menge des vom Kläger angebauten Cannabis nicht gegeben. Auch seien die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten anzuwenden. Ferner stelle der Verstoß gegen Internationales Recht einen Versagungsgrund dar. Deutschland arbeite eng mit dem Internationalen Suchtstoffkontrollrat (INCB) zusammen.
18Das BfArM hat eine Stellungnahme des INCB vom 30. Juli 2010 eingeholt. Danach gibt es im Falle der Zulassung des Anbaus keine Ausnahme von der Pflicht zur Errichtung einer staatlichen Opiumstelle und gilt diese Pflicht auch beim Anbau der Hanfkrautpflanze durch eine Einzelperson zum Zwecke der Eigenbehandlung.
19Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 wies das BfArM den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte aus: Der Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken stünden die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG entgegen. Es seien die Richtlinien des BfArM vom 1. Januar 2007 zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten, wonach u. a. zertifizierte Wertschutzschränke zu verwenden seien, nicht eingehalten worden. Beim Anbau in einem einzigen Badezimmer einer 2-Zimmer-Wohnung sei ein Zugang Dritter unvermeidbar. Auch sei der Eigenanbau zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers nicht notwendig und ungeeignet (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Er sei nicht kostengünstiger als Cannabisextrakt oder „Dronabinol“. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei beim Eigenanbau, anders als beim bereits erlaubten Erwerb niederländischen Medizinalhanfs, nicht gewährleistet. Auch könne die Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BtMG versagt werden, wenn sie der Durchführung des Internationalen Suchtstoffabkommens (hier: Einheits-Übereinkommen von 1961 - ÜK 1961 -) entgegenstehe. So liege der Fall hier, weil Deutschland mangels Einrichtung einer Cannabis-Agentur bei Stattgabe des Erlaubnisantrags gegen seine internationalen Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstieße. Bei der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass Deutschland eng mit dem INCB zusammenarbeite und daher das Interesse des Klägers an einer Versorgung und Behandlung mit Cannabis zurückstehen müsse. Abgesehen davon stehe nach § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubniserteilung im Ermessen der Behörde. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der notwendigen medizinischen Versorgung des Klägers schon durch die zur Verfügung stehende alternative Cannabis-Therapie genüge getan werde.
20Der Kläger hat die Klage nach Erlass des Widerspruchsbescheids fortgeführt und geltend gemacht: Bei einer notwendigen medizinischen Anwendung des Betäubungsmittels durch Privatpersonen sei § 5 Abs. 1 BtMG modifiziert anzuwenden. Die von ihm vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien ausreichend. In seiner Wohnung finde kein Publikumsverkehr statt. Da die angebaute Cannabismenge überschaubar sei, bliebe ein Entwenden von Pflanzen auch nicht unbemerkt. Ferner könnten für das durch Eigenanbau gewonnene Pflanzenmaterial ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis keine Erkenntnisse über den Wirkstoff eingeholt werden. Im Übrigen bedürfe es in seinem Fall keiner Einrichtung einer Cannabis-Agentur. Das Schreiben des INCB vom 30. Juli 2010 sei nicht bindend. Auch habe die Beklagte nicht begründet, warum die geforderte Cannabis-Agentur nicht eingerichtet werde. Die Entscheidung der Beklagten sei auch deshalb fehlerhaft, weil sie die für die Bewilligung sprechenden Gründe ‑ insbesondere, dass für ihn der Cannabis-Eigenanbau die einzige realisierbare Möglichkeit der Linderung seiner Beschwerden sei - nicht in ihre Ermessensentscheidung einbezogen habe.
21Der Kläger hat beantragt,
22die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verpflichten, dem Kläger zu erlauben, Cannabis (Indica-Sativa-Hybriden) in seiner Wohnung C1.----straße 24, N.,anzubauen, zu ernten und zum medizinischen Zweck seiner Behandlung zu verwenden sowie bei Bedarf die entsprechenden Mutterpflanzen dieser Spezies zu erwerben und ggf. einzuführen.
23Die Beklagte hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft sowie ergänzend geltend gemacht: Ihre Ermessensausübung sei nicht fehlerhaft. Die mit der Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen seien gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Ausnahmegenehmigung zum Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken sorgfältig abgewogen worden.
26Das Verwaltungsgericht hat unter Zulassung der Berufung die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die ablehnende Entscheidung des BfArM sei rechtswidrig. Zwingende Versagungsgründe lägen nicht vor, zumal die Vorschrift des § 5 Abs. 1 BtMG in Fallgestaltungen wie der vorliegenden modifiziert anzuwenden sei. Die Sicherungsmaßnahmen des Klägers seien ausreichend. Der jahrelange Eigenanbau belege, dass der Kläger sich durch eine Therapie mit dem eigenangebauten Cannabis nicht selbst schädige. Der mit der Erlaubniserteilung verbundene Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffabkommen müsse nicht zwingend zu einer Versagung der Erlaubnis führen. Das BfArM habe gemäß § 5 Abs. 2 BtMG auch bei einem Verstoß gegen das Abkommen einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen die Interessen des Klägers angemessen zu berücksichtigen seien. Dieses Ermessen habe das BfArM bisher nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil es allein darauf abgestellt habe, dass eine Vertragsverletzung dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schade. Soweit das BfArM die Erlaubnis zum Eigenanbau nach § 3 Abs. 2 BtMG im Rahmen seines Ermessens versagt habe, habe es sein Ermessen ebenfalls fehlerhaft ausgeübt. Das BfArM habe keine Prüfung zur Frage der Verfügbarkeit der alternativen Behandlungsmöglichkeiten vorgenommen, insbesondere nicht deren wirtschaftliche Verfügbarkeit festgestellt. Deshalb sei das BfArM verpflichtet, über den Erlaubnisantrag des Klägers neu zu entscheiden und dabei auch seinen gegenwärtigen Gesundheitszustand zu berücksichtigen, was zu einer anderen Entscheidung führen könne.
27Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, der sich der Kläger angeschlossen hat. Der Kläger hat im Berufungsverfahren bei der AOK S. -O. -P. erneut einen Antrag auf Übernahme der Kosten für „Dronabinol“ gestellt, den diese mit Schreiben vom 15. Juni 2012 abgelehnt hat. Auf den auf Veranlassung des Senats gestellten Antrag des Klägers vom 5. Oktober 2012 auf Übernahme der Kosten für Medizinalhanf hat die AOK S. -O. -P. nach erneuter Prüfung mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Kostenübernahme für „Dronabinol“ erklärt. Mit Schreiben vom 8. November 2012 hat sie mitgeteilt, einen Antrag auf Kostenübernahme von Medizinalhanf würde sie beim jetzigen Stand ablehnen, da die Therapie mit „Dronabinol“ bisher als geeignet gegolten habe und keinerlei Informationen zu Zulassungsstatus, Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis flos Bedrocan vorlägen. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 hat die AOK S. -O. -P. erneut mitgeteilt, dass die Möglichkeiten einer Standardtherapie nicht ausgeschöpft seien und daher keine Kostenzusage für Cannabis flos Bedrocan erteilt werde. Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 hat die AOK S. -O. -P. erklärt, ein erneuter Kostenübernahmeantrag für Medizinalhanf hätte auch jetzt keinen Erfolg.
28Der Senat hat mit Urteil vom 7. Dezember 2012 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen sowie die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe mit „Dronabinol“ ein gleich wirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung. Es sei derzeit davon auszugehen, dass „Dronabinol“ beim Kläger eine mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkung aufweise und eine Behandlung bisher nur an der fehlenden Kostenerstattung gescheitert sei. Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats durch Beschluss vom 24. Mai 2013 - 3 B 14.13 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Es hätte sich ihm aufdrängen müssen, den von den Beteiligten angeregten Therapieversuch mit „Dronabinol“ zu ermöglichen um festzustellen, ob es sich für den Kläger um ein gleich wirksames Mittel handele.
29Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor: Es stehe nicht fest, dass für den Kläger keine finanzierbaren Behandlungsalternativen verfügbar seien. Mit „Dronabinol“, für das die Krankenkasse eine Kostenübernahme erteilt habe, stehe ein gleich wirksames Arzneimittel zur Behandlung der bei dem Kläger bestehenden Symptomatik zur Verfügung. Dass hierfür die Höchstverschreibungsmenge überschritten werden müsse, sei unschädlich. Soweit sich der Kläger auf Stellungnahmen seines Arztes berufe, die nach seiner Auffassung das Gegenteil belegen sollten, bleibe die Frage unbeantwortet, aus welchen Gründen die Dosis von „Dronabinol“ - bei gleichzeitiger Reduktion der Cannabisdosis - nicht langsam bei mehreren Gaben täglich erhöht werden könne. Denn es gelte zu beantworten, ob eine Monotherapie mit „Dronabinol“ - in adäquater Darreichungsform und Dosierung - nach entsprechender Titration des „Dronabinol“ und Ausschleichen des Cannabis - zu einer zufriedenstellenden Symptomkontrolle bei dem Kläger führen könne. Dabei sei Zieldiagnose die Tetraspastik und die Ataxie, nicht aber eine ggf. bestehende Cannabisabhängigkeit. Denn die beim Kläger beschriebenen Symptome könnten auch den Entzugssyndromen einer behandlungsbedürftigen Cannabisabhängigkeit zuzuordnen sein. Auch wenn ein solcher Therapieversuch nur stationär erfolgen könne, sei dies dem Kläger zumutbar und auch ethisch vertretbar. Nach stationärer Umstellung könne die Therapie mit „Dronabinol“ in der Dosis von 4 x 20 Tropfen ambulant weitergeführt werden. Im Übrigen seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau nicht modifiziert anzuwenden. Jeder Anbau bedürfe einer umfangreichen Raumsicherung, die bei Aufzucht und Aufbewahrung der angebauten Pflanzen eine unbefugte Entnahme sicher verhindere. Ferner sehe das Internationale Suchtstoffübereinkommen bei jedem Anbau von Cannabis die Anwendung des Kontrollsystems sowie die Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur vor, die die Ernte unverzüglich aufkaufe und sobald wie möglich körperlich in Besitz nehme.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie
33die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
34Der Kläger beantragt,
35das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und nach dem erstinstanz-lichen Klageantrag zu erkennen,
36sowie
37die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
38Er trägt zur Begründung vor: Es gebe für ihn keine verfügbaren Behandlungsalternativen. Er nutze „Dronabinol“ lediglich ergänzend zu seinem selbstangebauten Cannabis. Eine Monotherapie mit „Dronabinol“ sei nicht möglich, weil sie sich nicht ausreichend auf seine Ataxie auswirke. Mit den von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen habe er - wie im Urteil des Senats gefordert - dargelegt, dass „Dronabinol“ nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit wie Cannabis aufweise. Ein stationärer Therapieversuch mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt sei ihm nicht zumutbar. Den stationären Aufenthalt im Jahr 2011 habe er abgebrochen. Ein Therapieversuch mit ungewissem Ausgang sei auch ethisch bedenklich, da es eine für ihn annehmbare und wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit gebe. Ein Therapieversuch mit „Dronabinol“ könne mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes einhergehen, was insbesondere für einen Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung gefährlich sei, weil es keinerlei Garantie gebe, dass eine solche Verschlechterung je wieder rückgängig gemacht werden könne. Auch eine Höchstdosierung mit 4 x 20 Tropfen Dronabinol mit ca. 66 mg THC decke schon rein rechnerisch nicht seinen Cannabisbedarf von 300 bis 500 mg THC pro Tag. Das Medikament „Sativex“ stelle ebenfalls keine verfügbare Behandlungsalternative dar. Er habe sich bereits ohne Erfolg in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen. Aufgrund der Einnahme von „Sativex“, die zudem außerhalb der zugelassenen Indikationen erfolgt sei, habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Eine Therapie mit „Cannabis flos Bedrocan“ stehe ihm nicht zur Verfügung, da die AOK S. -O. -P. am 7. Juni 2013 die Kostenübernahme für Medizinalhanf abgelehnt habe und er die Behandlungskosten nicht allein mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente bestreiten könnte. Im Übrigen stehe der Erlaubniserteilung nicht das ÜK 1961 entgegen. Art. 28 ÜK 1961 sehe die Gestattung des Anbaus von Cannabispflanzen vor. Der in dieser Vorschrift enthaltene Verweis auf das Kontrollsystem nach Art. 23 ÜK sei mit Blick auf die in Rede stehende Genehmigung von wenigen Pflanzen in einem Teil des Badezimmers ersichtlich unsinnig. Es bestehe ferner angesichts der Schwere der Erkrankung und der fehlenden Behandlungsalternativen ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis.
39Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Ärzte Dr. T. und Dr. H. als sachverständige Zeugen. Wegen des Gegenstandes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
40Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die weiteren beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten, Gerichtsakte des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ‑ L 4 KR 3828/01 - und Strafakten der Staatsanwaltschaft Mannheim - 310 Js 5518/02 ‑).
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
42Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Klägers haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet und im Übrigen die Klage abgewiesen.
43Der Versagungsbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags auf Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis zu therapeutischen Zwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
44Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 2 BtMG. Nach dieser Vorschrift kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Für den Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung bedarf es einer Erlaubnis des BfArM. Nach der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG zählt Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor.
45Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11. Mai 2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (vgl. Anlage III), steht hier nicht in Rede. Ebenso wenig sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt (Anlage II). Ein anderweitiges Verständnis der Regelung in Anlage II widerspräche dem erkennbaren Willen des Verordnungsgebers. Dieser hat in der Begründung des Verordnungsentwurfs (BR-Drs. 130/11 vom 3. März 2011) ausdrücklich ausgeführt, dass die Änderungen betreffend Cannabis in den Anlagen I bis III (allein) dem Zweck dienen, cannabishaltige Fertigarzneimittel in Deutschland herstellen, zulassen und verschreiben zu können.
46Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung A. Allgemeiner Teil, I. Ziel und Gegenstand des Verordnungsentwurfs.
47Mit der Aufhebung des generellen Verkehrsverbots für Cannabis sollen lediglich solche cannabishaltigen Arzneimittel verkehrsfähig werden, die unter den strengen Vorgaben des Arzneimittelrechts als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Ferner soll die Herstellung entsprechender Zubereitungen zu medizinischen Zwecken ermöglicht werden.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung B. Besonderer Teil, Zu Artikel 1 (Änderung der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes), Zu den Nummern 1 bis 3 Buchstabe a.
49Die unter der Position Cannabis in Anlage II angeführte Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken steht danach in untrennbarem Zusammenhang mit der Herstellung eines cannabishaltigen Fertigarzneimittels und betrifft nicht den Eigenanbau von Cannabis zwecks Selbstmedikation.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris.
51Die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung liegt unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls, im öffentlichen Interesse.
52Das öffentliche Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG daran, ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu erteilen, ist im Falle des Klägers gegeben. Danach kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Erkrankung möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris (Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu therapeutischen Zwecken); ferner BVerfG, Beschlüsse vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑, NJW 2000, 3126, und vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1772/02 ‑, PharmR 2005, 374.
54Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieser Bestimmung kommt im Wertehorizont des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Leben und körperliche Unversehrtheit sind in weiten Bereichen elementare Voraussetzung für die Wahrnehmung der übrigen Grundrechtsgewährleistungen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden. Dies gilt insbesondere durch die staatliche Unterbindung des Zugangs zu prinzipiell verfügbaren Therapiemethoden zur nicht unwesentlichen Minderung von Leiden.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, m. w. N., juris.
56Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht in enger Beziehung zur Menschenwürde, die zu achten und zu schützen nach Art. 1 GG Aufgabe aller staatlicher Gewalt ist. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur jeweils deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris.
58Die Behandlung des Klägers mit Cannabis liegt hier im öffentlichen Interesse. Der Kläger ist schwer krank. Er leidet seit 1985 an Multipler Sklerose, die inzwischen in die chronische Form übergegangen ist. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom Zentrum für Nervenheilkunde, N. , vom 17. Januar 2012 besteht bei dem Kläger eine sekundär chronische Multiple Sklerose mit ausgeprägter Gangstörung, Rumpf- und Extremitätenataxie, Tetraspastik und psychischer Veränderung (organische, emotional-labile Störung mit beeinträchtigter Impulskontrolle sowie mit leichter kognitiver Störung). Eine Heilung des Klägers scheidet aus.
59Der Annahme eines für eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG erforderlichen öffentlichen Interesses steht nicht von vornherein entgegen, dass die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis bei Multipler Sklerose bisher nicht allgemein wissenschaftlich nachgewiesen ist. Denn bei der vorliegenden schweren Erkrankung des Klägers stellt schon die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit eine Linderung dar, die im öffentlichen Interesse liegt. Bei schweren Erkrankungen - wie vorliegend - ohne Aussicht auf Heilung gebietet es in diesem Rahmen die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur dann auszuschließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten kann.
60Vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, juris.
61Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist nach den dem Senat verfügbaren Erkenntnissen beim Kläger ein therapeutischer Nutzen zu bejahen. Der Kläger wendet Cannabis seit inzwischen mehr als 25 Jahren an. Dies hat zu einer erheblichen subjektiven Linderung seiner Beschwerden, insbesondere im Bereich der Ataxie, Spastik und seiner psychischen Verfassung geführt. Dies wird durch die ärztlichen Befundberichte sowie die Aussage des behandelnden Arztes Dr. T. als sachverständiger Zeuge in der Berufungsverhandlung bestätigt. Bereits in der ärztlichen Stellungnahme der Klinik Dr. F. , Krankenhaus für Multiple Sklerose und andere Nerven- und Stoffwechselleiden, vom 22. Oktober 1999 wird ausgeführt, dass der Kläger aus subjektivem Empfinden aufgrund des Cannabiskonsums eine deutliche Besserung der Symptomatik der Multiplen Sklerose (Spastik beim Einschlafen, Schmerzen in den Muskeln, Zittern, Depressionen, Appetitlosigkeit, Müdigkeitsgefühl, Blasenfunktion, verwaschene Sprache und Gleichgewichtsstörungen) angeben konnte und sich dies mit der allgemeinen Erfahrung decke, dass sich vor allem Schmerzen, Spastik, psychische Beeinträchtigungen und Ataxie unter medizinisch kontrollierter Einnahme von Cannabis bessern können. Bei der Kenntnis des Krankheitsbildes des Klägers und bei den bisherigen guten Erfahrungen, die er mit dem Einsatz von Cannabis zur Linderung der Symptomatik gemacht habe, werde die weitere kontrollierte medizinische Einnahme von Cannabis nervenärztlicherseits uneingeschränkt empfohlen. Auch bestätigt Dr. T. , in dessen ärztlicher Behandlung sich der Kläger seit 1992 befindet, in seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 27. April 2007, dass das Cannabis ohne Zweifel einen nachweisbaren Effekt auf die Ataxie und die erheblichen Stimmungsschwankungen des Klägers habe, der ohne den Konsum von Cannabis aufbrausend sei und ein für seine Umgebung sehr belastendes Verhalten gezeigt habe. Den ärztlichen Bescheinigungen des Dr. T. vom 17. Januar 2012 und 2. Oktober 2012 ist zu entnehmen, dass der Kläger durch die regelmäßige Einnahme von Cannabis eine Besserung der Ataxie und vor allem auch der Beschwerden durch die Spastik erlebt. Das Gangbild sei unter kontinuierlicher Cannabis-Einnahme deutlich sicherer als ohne und die maximale Gehstrecke habe verlängert werden können. Einschließende Spasmen seien unter der Cannabis-Einnahme kaum vorhanden. Ferner führe das regelmäßige Rauchen von Cannabispflanzen-Extrakt beim Kläger zu einem stimmungsmäßigen Ausgleich und die vor Aufnahme des Cannabis-Konsums stark gestörte Impulskontrolle habe sich reguliert. Nach einer aktuellen Stellungnahme des Dr. T. vom 15. Januar 2014 geht es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut. Die Stimmungslage sei ausgeglichen, es bestehe eine ausreichende Beweglichkeit mit einer Gehdauer (mit Handstock) von etwa 30 Minuten. Es beständen keine Schluckschwierigkeiten, die dysarthrische Sprache sei ausreichend verständlich. Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die glaubhaften Angaben des Dr. T. als sachverständiger Zeuge, der in der Berufungsverhandlung angegeben hat, die psychische Verfassung und das Sozialverhalten hätten sich unter der Wirkung von Cannabis deutlich verbessert.
62Dem Kläger steht gegenwärtig kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel für die Behandlung der im Rahmen der Multiplen Sklerose auftretenden Ataxie und Spastik sowie des Psychosyndroms zur Verfügung.
63Anders als in dem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 25. April 2013 ausgeführt, stellt das zugelassene Arzneimittel „Sativex“ für den Kläger keine mögliche Standardtherapie dar. Das Arzneimittel „Sativex“, ein Pflanzenextrakt der Firma Almirall, das neben den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Delta-9-THC) und Cannabidiol (CBD) auch weitere Bestandteile von Cannabis sativa enthält, hat - ungeachtet der Frage seiner Finanzierbarkeit - schon deshalb nicht die gleiche Wirksamkeit wie das von dem Kläger angebaute Cannabis sativa, weil sein Anwendungsbereich auf die Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose beschränkt ist, während sich das vom Kläger angebaute Cannabis insgesamt positiv auf die Beschwerden Ataxie, Spastik und emotionale Labilität auswirkt. „Sativex“ wird laut Fachinformation als Zusatzbehandlung für eine Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose angewendet, die nicht angemessen auf eine andere anti-spastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen. Dies ist bei dem Kläger (gerade) nicht der Fall. Im Gegenteil hat die Einnahme von „Sativex“ bei ihm sogar zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geführt.
64Der Kläger hat sich bereits in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen, der zu einer Verstärkung seiner Beschwerden geführt hat. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 11. August 2011 hat der Kläger „Sativex“ als Ersatz für Marihuana eingenommen. Es habe ihm aber weder in geringen noch in höheren Dosen (bis zu 6 Hübe) geholfen. Die Einnahme von „Sativex“ habe ihn sehr müde gemacht, seine Bewegungen seien ihm schwer gefallen und nur verlangsamt möglich gewesen. Das Befinden und die Motorik hätten sich durch „Sativex“ verschlechtert. Auch habe er schlecht Luft bekommen und vermehrt das Asthmaspray einsetzen müssen. Nach Auskunft seiner Lebensgefährtin habe der Kläger während der Behandlung mit „Sativex“ überwiegend gelegen. In seiner weiteren fachärztlichen Bescheinigung vom 2. Oktober 2012 stellt Dr. T. fest, dass unter Sativex nicht die vergleichbaren Effekte wie unter Cannabis zu erzielen waren. Dem Einwand der Beklagten, der Therapieversuch sei unbeachtlich, weil er jedenfalls hinsichtlich der Dosierung nicht entsprechend der (klinischen) Vorgaben in der Zulassung durchgeführt worden sei, ist nicht zu folgen. Zwar sieht die Fachinformation der Firma Almirall unter Ziffer 4.2 „Art und Dauer der Anwendung“ eine zweiwöchige Titrationsphase vor, innerhalb derer die Anzahl der Sprühstöße entsprechend eines konkreten Dosierungsschemas täglich von einem auf bis zu 12 Sprühstöße langsam erhöht wird. Auch wird darauf hingewiesen, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis die optimale Dosierung gefunden wird, und dass Nebenwirkungen (etwa Müdigkeit) auftreten können, die aber üblicherweise schwach sind und nach einigen Tagen abklingen. Dem Kläger, bei dem die Nebenwirkungen offenbar gerade nicht in bloß schwacher Form aufgetreten sind, ist es mit Blick auf seine ausgeprägte Ataxie aber nicht zumutbar, die bis zu zwei Wochen dauernde Phase der Nebenwirkungen abzuwarten und in dieser Zeit noch weitere Beeinträchtigungen seiner ohnehin stark eingeschränkten Bewegungsfähigkeit hinzunehmen. Mit Blick auf die elementare Bedeutung des Grundrechts des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und unter Achtung seiner Menschenwürde ist es daher aus ethischen Gründen nicht zu verantworten, den schwer kranken Kläger erneut einem mehrwöchigen Behandlungsversuch mit „Sativex“ auszusetzen, obwohl die Behandlung des bei ihm im Vordergrund stehenden Symptoms der Multiplen Sklerose, der Ataxie, vom Anwendungsbereich von „Sativex“ gar nicht erfasst wird.
65Dem Kläger steht auch mit dem verschreibungsfähigen Wirkstoff „Dronabinol“ keine gleich wirksame Therapiealternative zur Verfügung. Zwar ist „Dronabinol“ für ihn nunmehr grundsätzlich verfügbar, nachdem die AOK S. -O. -P. mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Übernahme der Kosten für diesen Wirkstoff erklärt hat. Im Falle des Klägers ist jedoch derzeit anzunehmen, dass „Dronabinol“ nicht genauso wirkt wie Cannabis. Deshalb kann dahinstehen, ob er überhaupt auf das Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ verwiesen werden kann, das kein für die Erkrankung des Klägers zugelassenes (Fertig-)Arzneimittel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist.
66Der Senat geht dabei davon aus, dass „Dronabinol“, das aus dem Cannabis-Hauptwirkstoff Delta-9-THC besteht, grundsätzlich mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkungen auf die Symptome einer Multiplen Sklerose entfalten kann. So wird „Dronabinol“ vorwiegend gegen chronische/neuropathische Schmerzen und Spastik eingesetzt und kann bei Multipler Sklerose Muskelkrämpfe und Spastiken reduzieren. Der Stellungnahme des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) Dr. H. vom 6. Dezember 1999 ist zu entnehmen, dass Cannabis und THC eine Vielzahl von Wirkungen entfalten, die bei der Multiplen Sklerose therapeutischen Nutzen versprechen. THC bzw. Dronabinol sei der pharmakologisch wichtigste Inhaltsstoff der Hanfpflanze (cannabis sativa L.). Wenn auch die Cannabiswirkungen nicht durch die THC-Effekte allein erklärt würden, so machten diese Effekte doch den weitaus größten Teil der Gesamtwirkung aus. In einer Anzahl von Studien sei ein muskelentspannender Effekt von THC bzw. Cannabis nachgewiesen worden. Auch sei in verschiedenen Tiermodellen sowie klinischen Studien der schmerzhemmende Effekt von THC nachgewiesen und der Wirkungsmechanismus weitgehend aufgeklärt worden. Zu vielen anderen von Patienten geschilderten (positiven) Effekten lägen zwar keine klinischen Daten vor, sie würden jedoch häufig und unabhängig voneinander von den Betroffenen vorgetragen. In seiner - vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren überreichten - Stellungnahme vom 6. Februar 2001 verweist Dr. H. ebenfalls darauf, dass die durchgeführten klinischen Studien in ihrer Gesamtheit die Annahme nahelegen, dass Marihuana, Delta-9-THC und Nabilon (ein synthetisches Cannabinoid) wahrscheinlich nützliche symptomatische Wirkungen auf Spastik und Tremor entfalteten. Danach dürfe angenommen werden, dass THC bei Multipler Sklerose therapeutische Wirkung entfalte.
67Auch in dem vom Amtsgericht Mannheim im Strafverfahren 310 Js 5518/02 eingeholten fachneurologischen Aktengutachten des Universitätsklinikums Heidelberg vom 21. Februar 2003 wird die Einnahme von Cannabis und seinen Derivaten (gleichermaßen) zur Behandlung der Symptome der Multiplen Sklerose befürwortet. Ausweislich der Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. med. N. und Dr. med. T1. belegen verschiedene klinische Untersuchungen die Möglichkeit der therapeutischen Anwendung von Cannabisderivaten in der Medizin und insbesondere bei Erkrankungen des Nervensystems. Typische Wirkungen von Cannabis auf den Organismus seien Wohlbefinden und Entspannung, aber auch unerwünschte psychische Effekte wie Angst- und Panikzustände sowie Herzfrequenzbeschleunigung, Blutdruckveränderungen. Weitere Cannabiseffekte bestünden in einer Schmerzlinderung, Muskelrelaxierung, Krampflösung, Bewegungsharmonisierung, Sedierung, Appetitsteigerung, Entzündungshemmung und Bronchialerweiterung. Die zugelassenen Indikationen des synthetisch hergestellten Cannabisderivats Delta-9-THC „Dronabinol“ mit dem Handelsnamen „N1. ®“ seien in den USA zwar auf Gewichtsverlust bei Aids- und Tumorpatienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapiepatienten beschränkt, die mit anderen Medikamenten nicht zu beherrschen seien. Auch liege in Deutschland derzeit keine zugelassene Indikation für Cannabisderivate vor. Es sei dem Arzt jedoch frei gestellt, Cannabis im Rahmen eines individuellen Heilversuchs in Form von „Dronabinol“ zu verordnen. Potentielle Behandlungsindikationen aus neurologischer Sicht, für die in einzelnen Untersuchungen ein günstiger Effekt von Cannabis gezeigt worden sei, beträfen die Symptome der Spastik und Ataxie, des Schmerzes und der Depressionen, die auch bei der Multiplen Sklerose vorkämen. Es gebe mehrere Fallbeispiele, dass Cannabis bzw. seine Derivate für Symptome der Spastik und Ataxie hilfreich sein könnten.
68Ausgehend von der bei der Frage einer Therapiealternative im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG gebotenen konkret-individuellen Betrachtungsweise kann aber gegenwärtig nicht festgestellt werden, dass „Dronabinol“ auch beim Kläger genauso wirkt wie Cannabis. Hierauf deutet bereits die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vom Kläger vorgelegte Bescheinigung von Dr. T. vom 7. Februar 2013 hin, wonach „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen habe. Die Stimmungslage sei dadurch einigermaßen ausgeglichen, die Effekte auf Ataxie und Spasmen seien deutlich weniger spürbar als bei regelmäßigem oralem und inhalativem Cannabiskonsum von bis zu 3 g. Hintergrund dieser Feststellungen ist der Versuch des Klägers gewesen, sich nach der Kostenübernahme für „Dronabinol“ durch die AOK S. -O. -P. Ende 2012 auf diesen Wirkstoff umzustellen. Im Rahmen dieses (ambulanten) Umstellversuchs konnte der Kläger mit einer Dosis von 20 Tropfen „Dronabinol“ morgens eine gewisse Reduzierung des täglichen Cannabiskonsums erreichen. Hingegen muss der Versuch, den Cannabiskonsum mit „Dronabinol“ zu ersetzen und den Kläger allein damit zu behandeln, mit den Stellungnahmen seiner behandelnden Ärzte als gescheitert angesehen werden. Nach den Äußerungen der sachverständigen Zeugen Dr. T. und Dr. H. bewirkt die erreichte Dosis von derzeit 20 Tropfen „Dronabinol“ beim Kläger keine ausreichende Linderung der spastisch-ataktischen Symptomatik, wohingegen eine dafür erforderliche Dosis nicht erreicht werden kann, weil es durch eine Dosissteigerung zu einer erheblichen Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustands kommt. Die Ärzte haben sich dabei maßgeblich auf ihre bisherigen umfangreichen Erfahrungen bei der Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis gestützt, die sie dem Senat widerspruchsfrei und überzeugend vermittelt haben.
69Im Einzelnen:
70Nach der fachärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 7. Februar 2013 hat „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung beim Kläger keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen. Ausweislich seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli 2013 nimmt der Kläger derzeit morgens 20 Tropfen „Dronabinol“ und raucht im Laufe des Tages mindestens 10 Tütchen Haschisch/Marihuana. Unter dieser hohen Dosis fühle sich der Kläger subjektiv wohl. Im Hinblick auf diese Feststellungen hat der erkennende Senat Dr. T. um ergänzende schriftliche Stellungnahme gebeten, ob der Kläger ausschließlich mit „Dronabinol“ behandelt werden könne. Dr. T. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2014 weiter ausgeführt, dass es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut gehe. Eine Stimmungsaufhellung ist nach der Stellungnahme von Dr. T. vom 28. April 2014 erst bei einer Dosis von 20 Tropfen morgens vorübergehend festzustellen gewesen. Eine Besserung der spastisch-ataktischen Symptomatik sei nicht erkennbar gewesen. Der Versuch, die Einzeldosis auf mehr als 20 Tropfen zu steigern, sei misslungen, da es dadurch zu Unruhe, Fahrigkeit, zu Stimmungsschwankungen und auch Dysphorie gekommen sei. Danach ist davon auszugehen, dass die für eine beim Kläger ausreichende Symptomkontrolle ‑ insbesondere im Hinblick auf die Ataxie und Spastik - erforderliche Dosis „Dronabinol“ nicht erreicht werden kann, ohne dass unerwünschte erhebliche Nebenwirkungen im Bereich seiner psychischen Verfassung auftreten.
71Diese Einschätzung hat die Vernehmung der den Kläger behandelnden bzw. betreuenden Ärzte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der sachverständige Zeuge Dr. T. hat angegeben, dass eine weitere Erhöhung der Dosis ausscheide, weil dann die psychischen Zustände - Unruhe, Panik, Anspannung - beim Kläger eintreten würden. Bei der derzeitigen Dosis mit 20 Tropfen habe sich aber auch keine zufriedenstellende positive Lösung eingestellt, so dass weiterhin Cannabisblüten gegeben würden. Dr. T. kommt zu dem Ergebnis, dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ beim Kläger nur eine unwahrscheinliche Möglichkeit darstellt. Dies ist angesichts der von ihm beschriebenen Nebenwirkungen bei einer versuchten Steigerung der Dronabinoldosis, auf die der Kläger zur Symptomkontrolle der Ataxie und Spastik angewiesen wäre, auch plausibel. Dass die ärztlichen Feststellungen zur psychischen Verfassung des Klägers dabei wesentlich auf dessen Eigenwahrnehmung beruhen, mindert nicht deren Aussagewert und ist letztlich dem besonderen psychischen Krankheitsbild des Klägers geschuldet. Es ist dann Aufgabe des den Patienten behandelnden Arztes, die subjektiv unter der Gabe von „Dronabinol“ empfundenen Nebenwirkungen zu objektivieren. Dies hat Dr. T. in der erforderlichen Weise getan, indem er die Selbsteinschätzung des Untersuchten ärztlicherseits bestätigt und sie als ärztliche Feststellungen dem Senat vermittelt hat.
72Die Bewertung durch Dr. T. , dass eine erfolgreiche Monotherapie mit „Dronabinol“ im Falle des Klägers unwahrscheinlich ist, steht im Einklang mit seinen bisherigen schriftlichen Stellungnahmen. Soweit er in seiner Stellungnahme vom 28. April 2014 ausgeführt hat, es sei zu vermuten, dass mit einer Gesamtmenge von 4 x 20 Tropfen „Dronabinol“ am Tag ein einigermaßen dem bisherigen Cannabiskonsum vergleichbarer Effekt zu erzielen sein dürfte, hat er einen vermeintlich darin begründeten Widerspruch in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt. Dort hat Dr. T. klargestellt, dass es sich bei der Möglichkeit einer Monotherapie um eine rein theoretische Annahme seinerseits gehandelt habe. Dies ist auch angesichts seiner weiteren Feststellungen bei der Anwendung von „Dronabinol“ durch den Kläger ohne weiteres nachvollziehbar, weil danach schon eine Steigerung der Dosis von einmalig 20 Tropfen am Tag zu erheblichen Nebenwirkungen - vor allem im psychischen Bereich - geführt hat. Insoweit überwiegen nach Auskunft von Dr. T. die Aussagen des Klägers, dass er bei mehr als 20 Tropfen „Dronabinol“ hektisch, fahrig und panisch geworden sei und im Übrigen die Effekte auf Ataxie und Spasmen deutlich weniger spürbar als bei einem Cannabiskonsum gewesen seien. Dass nur theoretisch und medizinisch nicht begründet die Möglichkeit einer Monotherapie mit „Dronabinol“ besteht, entspricht auch der in der gleichen Stellungnahme des Dr. T. vom 28. April 2014 getroffenen Aussage, es sei unwahrscheinlich, dass durch ein anderes Medikament dem Cannabiskonsum vergleichbare Effekte im Falle des Untersuchten erzielt werden könnten.
73Dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ mit einer Dosierung von 4 x 20 Tropfen zu einer ausreichenden Symptomkontrolle beim Kläger führt, ist auch angesichts der damit vom Kläger aufgenommenen THC-Menge fernliegend. Wie Dr. H. , der den Kläger seit April 2014 in der Cannabisbehandlung begleitet, in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt hat, entspricht der Konsum von 3,5 g Cannabis täglich bei einer THC-Konzentration von 15 %, die regelmäßig bei der vom Kläger angebauten Sorte „Jack Herrer“ anzunehmen ist, 525 mg THC bzw. „Dronabinol“. Diese THC-Menge wird schon rein rechnerisch durch eine Dosis von 4 x 20 Tropfen täglich nicht ansatzweise erreicht. Dabei kann offen bleiben, ob dies, so die Auffassung der Beklagten, einer THC-Menge von nicht nur 66 mg, sondern 80 mg entspricht. Selbst wenn der tägliche Konsum - wie der Kläger an anderer Stelle ausführt - mit 165 mg THC bzw. „Dronabinol“ niedriger anzunehmen sein sollte, kann auch diese Menge durch die von Dr. T. angenommene Höchstmenge „Dronabinol“ nicht vollständig substituiert werden. Hinzu kommt, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, dass bei Patienten, die - wie der Kläger - sehr hohe Dosen Cannabis konsumierten, ein Ersetzen durch reines THC bzw. „Dronabinol“ nicht möglich sei, weil dann die ungefilterte Wirkung des THC zu stark durschlage und die Nebenstoffe des Cannabis fehlten, die bei hohen Dosen eine modulierende Wirkung entfalteten. Die entsprechende subjektive Wahrnehmung durch den Kläger konnte der sachverständige Zeuge angesichts anderer Patienten, mit denen er ähnliche Erfahrungen gemacht hat, bestätigen. Dr. H. hält deshalb eine Umstellung des Klägers auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ für nicht möglich. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung des in der Hauptverhandlung im Strafverfahren des Klägers angehörten Sachverständigen Prof. Dr. N. , der es nachvollziehbar und auch aus medizinischer Sicht als verständlich ansah, dass die Einnahme von „Dronabinol“ allein nicht dieselbe Linderung verschafft habe. Denn in „Dronabinol“ befände sich der reine Wirkstoff THC, wogegen bei der Einnahme von Cannabis andere pflanzliche Faktoren bei der Linderung eine Rolle spielen könnten, die allerdings in ihrer Zusammensetzung wissenschaftlich und medizinisch noch nicht erforscht seien (vgl. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 19. Januar 2005 - 310 Js 5518/02 -).
74Der Senat hat keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des als sachverständigen Zeugen angehörten Dr. H. zu zweifeln. Für seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht vor allem der persönliche Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von ihm gewinnen konnte. Etwaige Zweifel, die in seiner politischen Arbeit für die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) begründet sein könnten, sind dadurch ausgeräumt worden, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend deutlich gemacht hat, als Wissenschaftler, als politisch Engagierter und als Arzt in unterschiedlichen Funktionen tätig zu sein und zwischen diesen Tätigkeiten trennen zu können.
75Dem (sinngemäßen) Einwand der Beklagten, es fehle weiterhin an einer Beschreibung des Therapieverlaufs und seines Ergebnisses, um die Frage der gleichen therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ beantworten zu können, folgt der Senat nicht. Die ärztliche Einschätzung von Dr. T. , dass der Kläger bei realistischer Betrachtungsweise nicht auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ umgestellt werden kann, beruht auf Erkenntnissen aus seiner jahrzehntelangen Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis, zuletzt auf dem Therapieversuch nach der Kostenübernahmeerklärung für „Dronabinol“ durch die Krankenkasse. Sie wird zudem bestätigt durch die Feststellungen von Dr. H. , der umfangreiche Erfahrungen mit Patienten hat, die - wie der Kläger - mit Cannabis und/oder „Dronabinol“ behandelt werden. Welche Erkenntnisse darüber hinaus aus einer Dokumentation des gesamten Therapieverlaufs und dessen Ergebnis mit „Dronabinol“ gewonnen werden könnten, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Allein aus dem Fehlen einer schriftlichen Dokumentation des Therapieverlaufs mit „Dronabinol“ im Einzelnen ist jedenfalls - auch angesichts der zahlreichen schriftlichen fachärztlichen Bescheinigungen - nicht zu schließen, dass die dem Senat in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend vermittelte Einschätzung beider Ärzte auf einer fehlenden tatsächlichen Grundlage und von daher nicht medizinisch fundiert getroffen worden ist.
76Hiervon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und seiner Menschenwürde ist dem Kläger der von der Beklagten geforderte stationäre Umstellversuch auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ nicht zuzumuten. Der schwer chronisch kranke Kläger, der derzeit nach den Aussagen seiner behandelnden Ärzte auf eine auf ihn subjektiv gut abgestimmte Therapieform eingestellt ist, muss sich nicht auf eine lediglich theoretische und damit für ihn nicht ansatzweise erfolgversprechende Therapiealternative mit ungewissem Ausgang einlassen. Eine medizinische Indikation, einen stationären Umstellversuch zu erzwingen, besteht nach Aussage des behandelnden Arztes beim Kläger ebenfalls nicht. Auch deshalb ist nicht anzunehmen, dass überhaupt eine Einrichtung gefunden werden kann, die einen solchen stationären Therapieversuch mit Dronabinoldosen jenseits der üblichen Mengen durchführt, und nicht ersichtlich, wer die Kosten hierfür übernimmt, was auch schon dem Umstellversuch im Dezember 2012 entgegenstand. Ein stationärer Umstellversuchs ist zudem als Möglichkeit einer zusätzlichen Tatsachengewinnung nicht erforderlich, weil der Senat die Überzeugung von einer im Falle des Klägers nicht mit Cannabis vergleichbaren Wirkung von „Dronabinol“ bereits auf der Grundlage der schriftlichen und mündlichen Aussagen der sachverständigen Zeugen gewinnen konnte.
77Mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnisse sieht sich der Senat nicht veranlasst, zur Frage der fehlenden vergleichbaren therapeutischen Wirkung von „Dronabinol“ beim Kläger ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die aussagekräftigen schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte reichen aus, um dem Senat die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung von der beim Kläger nicht vergleichbaren Wirkung einer Monotherapie mit „Dronabinol“ zu ermöglichen.
78Soweit die Lebensgefährtin des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Kläger mit Medizinalhanf der Sorte Bedrocan gut zurecht käme, weil er diese Sorte selbst angebaut habe, steht ihm diese Therapiealternative aus rechtlichen Gründen sowie im Hinblick auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch aus Kostengründen tatsächlich nicht zur Verfügung. Aufgrund der zwischenzeitlich durch die AOK S. -O. -P. erklärten Kostenübernahme für „Dronabinol“ und der damit nach Auffassung der Beklagten verbundenen Therapiealternative sieht sie sich bereits daran gehindert, dem Kläger eine Erwerbserlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen, die Voraussetzung für den Erwerb von Medizinalhanf aus der Apotheke ist. Außerdem kann der Kläger, der eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente von derzeit ca. 890,00 Euro bezieht, die monatlichen Kosten der von ihm benötigen Monatsdosis Cannabis nicht selbst tragen. Während die von ihm benötigten ca. 100 g „Cannabis flos Bedrocan“ monatliche Kosten von mindestens 400,00 Euro, wenn nicht sogar von 1.600,00 Euro, verursachen würden, entstehen ihm durch den Eigenanbau von Cannabis monatliche Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. in Höhe von ca. 110 Euro.
79Der Kläger bekommt die Kosten für „Cannabis flos Bedrocan“ auch nicht von seiner Krankenkasse erstattet. Dies ergibt sich aus der Ablehnung der Kostenübernahme durch die AOK S. -O. -P. vom 7. Juni 2013, die sie zuletzt auf Nachfrage des Senats am 10. Juni 2014 nochmals bestätigt hat. Dass nach der Beweisaufnahme für den Senat feststeht, dass „Dronabinol“ beim Kläger nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit hat wie Cannabis, rechtfertigt nicht die Annahme, die AOK S. -O. -P. werde nunmehr die Kostenübernahme für Medizinalhanf erklären. Dies folgt schon daraus, dass die Kostenübernahme nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 25. April 2013 nicht mit einer alternativen Therapiemöglichkeit mit dem Wirkstoff „Dronabinol“, sondern damit abgelehnt worden ist, dass zum einen beim Kläger keine schwere, lebensbedrohliche oder dem gleichzustellende Erkrankung vorliege und zum anderen die Möglichkeiten der Standardtherapie - hier mit Sativex - nicht ausgeschöpft seien. Es ist dem schwer kranken Kläger nicht mehr zumutbar, ein weiteres Mal den sozialgerichtlichen Klageweg hiergegen auszuschöpfen. Es liegt nicht in der Hand des Klägers, die rechtlichen Rahmenvorgaben für die Zulassung bzw. die krankenkassenrechtliche Kostenübernahme von Medizinalhanf als weitere Behandlungsalternative zu schaffen. Etwas anderes gilt im Hinblick auf den Ausnahmecharakter einer Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis allerdings dann, wenn dem Kläger in Zukunft eine Kostenübernahme für Medizinalhanf erteilt werden würde.
80Der Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis stehen weiter keine zwingenden Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG entgegen. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken modifiziert anzuwenden sind. § 5 Abs. 1 BtMG ist ‑ ebenso wie §§ 6, 7 BtMG - ersichtlich nicht auf Privatpersonen zugeschnitten, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren. Nachdem aber nach § 3 Abs. 2 BtMG auch für diese Personen die Erteilung einer Erlaubnis in Betracht kommt, ist § 5 Abs. 1 BtMG modifziert anzuwenden. Einerseits ist der Schutzzweck der Vorschrift zu beachten, andererseits darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, dass die Erteilung einer Erlaubnis an Privatpersonen, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren, praktisch ausscheidet oder unzumutbar erschwert wird.
81Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. März 2007
82- 13 E 1542/06 ‑, juris.
83Hiervon ausgehend erweist sich die Annahme des BfArM im Versagungsbescheid vom 6. Dezember 2007, der Erteilung der Erlaubnis stehe der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG entgegen, als rechtwidrig, weil sie die modifizierte Anwendung dieser Vorschrift außer Acht lässt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BtMG wird der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln, die keine Arzneimittel sind, durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln erbracht. Diese (strengen) Voraussetzungen dürfte der Kläger zwar offensichtlich nicht erfüllen. Jedoch ist auch § 6 Abs. 2 BtMG auf die Fallgestaltung des privaten Eigenanbaus von Cannabis aus therapeutischen Gründen modifiziert anzuwenden. Um dem Betroffenen die Erteilung der Erlaubnis nicht unzumutbar zu erschweren, kann eine sachkundige Betreuung auch auf andere Weise sichergestellt werden. Dabei käme zum einen in Betracht, den Hausarzt des Klägers, Dr. C. , als Verantwortlichen zu benennen. Dass eine Bereitschaft des Hausarztes Dr. C. zur Übernahme entsprechender Pflichten nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren. Dort hatte der Kläger bereits mit Schriftsatz vom 30. Mai 2007 darauf hingewiesen, dass sich sein Hausarzt Dr. C. zur Unterstützung bereit erklärt habe. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger aufgrund des jahrelangen - nach § 34 StGB gerechtfertigten - Eigenanbaus von Cannabis selbst bereits weitreichende Sachkenntnis gerade hinsichtlich der von ihm verwendeten Cannabissorte angeeignet hat. Abgesehen davon kann das BfArM gemäß § 6 Abs. 2 BtMG im Einzelfall auch von den in Absatz 1 genannten Anforderungen an die Sachkenntnis abweichen, wenn die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen gewährleistet sind. Das BfArM hat das ihm zustehende Ermessen bislang noch nicht ausgeübt, da es das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BtMG zu Unrecht verneint hat. Es hat in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 ausgeführt, dass eine Abweichung von § 6 Abs. 1 BtMG nicht möglich sei, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet seien, und zur Begründung sinngemäß auf die Ausführungen zum Vorliegen der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG verwiesen. Diese Begründung greift jedoch nicht, da die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG - wie nachfolgend ausgeführt ‑ nicht gegeben sind.
84Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind. Wer am Betäubungsmittelverkehr teilnimmt, hat die Betäubungsmittel, die sich in seinem Besitz befinden, gesondert aufzubewahren und gegen unbefugte Entnahme zu sichern (§ 15 Satz 1 BtMG). Das BfArM kann Sicherungsmaßnahmen anordnen, soweit es nach Art oder Umfang des Betäubungsmittelverkehrs, dem Gefährdungsgrad oder der Menge der Betäubungsmittel erforderlich ist (§ 15 Satz 2 BtMG).
85Die Vorschrift soll verhindern, zumindest erschweren, dass der illegale Betäubungsmittelhandel sich im Wege des Diebstahls, der Unterschlagung oder der unbefugten Entnahme aus legalen Betäubungsmitteldepots versorgt. Um die Diebstahlsgefahr möglichst gering zu halten, wird der Erlaubnisinhaber deshalb je nach Menge und Gefährdungsgrad der Betäubungsmittel zu besonderen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet.
86Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 1.
87Das BfArM hat Richtlinien entwickelt, wie Betäubungsmittelvorräte von Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG besonders gegen unbefugte Wegnahme zu sichern sind. Diese Richtlinien (Stand: 1. Januar 2007) unterscheiden drei Vorkehrungen, und zwar 1. Aufbewahrung in (zertifizierten Wertschutz‑)Schränken, 2. Aufbewahrung in Räumen und 3. zusätzliche elektrische Überwachung.
88Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 2.
89Entgegen der Auffassung der Beklagten finden diese Richtlinien beim Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung zur medizinischen Eigenbehandlung des Wohnungsinhabers aber keine Anwendung. Die Richtlinien sind - ebenso wie die Regelung in § 5 Abs. 1 BtMG selbst - nicht auf diese Fallkonstellation zugeschnitten, weil die darin geforderten Sicherungsmaßnahmen (z. B. zertifizierte Wertschutzschränke und -türen) und die hierfür anfallenden Kosten ersichtlich außer Verhältnis zu dem Gefahrenpotential stehen, das die wenigen für die Eigentherapie benötigten Cannabispflanzen bergen. Von Privatpersonen können daher nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen verlangt werden.
90Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. März 2007 - 13 E 1542/06 - und vom 16. November 2011 ‑ 13 B 1199/11 ‑, jeweils juris.
91Hiervon ausgehend greift die Begründung des BfArM in seinen Bescheiden vom 6. Dezember 2007 und 10. August 2010, wonach bereits mangels Einhaltung der Richtlinien vom 1. Januar 2007, insbesondere zur Aufbewahrung der Cannabisvorräte in einem zertifizierten Wertschutzschrank, der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG gegeben sei, nicht durch. Vielmehr können von dem Kläger nur zumutbare und dem Sicherungszweck angemessene Sicherungsmaßnahmen verlangt werden. Die vom Kläger bereits mit Schriftsatz vom 10. Mai 2010 detailliert benannten ‑ zum Teil noch im Planungsstadium befindlichen - Sicherungsmaßnahmen sind mit Blick auf Art und Umfang des Betäubungsmittelverkehrs (Cannabisanbau ausschließlich zum Eigenkonsum) sowie auf den Gefährdungsgrad (gering frequentierte Wohnung des Klägers) als ausreichend anzusehen. Gegen ein Eindringen Unbefugter von außen schützen zunächst die dreifach verriegelte Wohnungseingangstür und die sicherheitsverglasten, sechsfach verriegelten Fenster, die zudem mit einem Aufhebelschutz versehen sind. Befindet sich das Badezimmerfenster in Kippstellung, sorgt die geplante Anbringung eines Gitters für den erforderlichen Schutz. Die Pflanzen sind auch innerhalb der Wohnung ausreichend gegen eine unbefugte Entwendung geschützt. Die Wohnung des Klägers wird kaum von Dritten frequentiert; der Kläger bewohnt die Wohnung zusammen mit seiner Lebensgefährtin und erhält wenig Besuch. Die Kranken-gymnastin, die eine Zeit lang die Wohnung regelmäßig aufgesucht hat, hat ihre Tätigkeit beendet. Die Frage, ob die Wohnung künftig durch externes Pflege-personal aufgesucht wird, stellt sich noch nicht. Für die fernliegende Möglichkeit, dass ein Dritter das Badezimmer des Klägers aufsucht, ist ebenfalls ausreichend Schutz gewährleistet. Die Pflanzen in der Blühphase (2 x 8 Pflanzen) dürften für einen Dritten nicht ohne Weiteres sichtbar sein, weil sie in der gemauerten Dusche unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe herangezogen werden. Jeden-falls würde dem Kläger angesichts der überschaubaren Menge das Fehlen einer Pflanze sofort auffallen. Im Übrigen hat der Kläger die Anbringung eines Fingerprintschlosses angeboten, so dass er das Aufsuchen seines Badezimmers unter Kontrolle hätte. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) sind in einem Schrank aufbewahrt; ein überschüssiger Ertrag aus den getrockneten Blüten von 8 Pflanzen, der nach Angaben des Klägers in etwa seinen Monatsbedarf an 100 g Cannabis deckt, wird in einem Tresor gelagert. Darüber hinaus hat der Kläger ein erhebliches Eigeninteresse, dass das Cannabis nicht an Dritte gelangt, weil er es zur Behandlung selbst benötigt. Für den ‑ seltenen - Fall seiner Abwesenheit will der Kläger ebenfalls vorsorgen. Er beabsichtigt die Überwachung der Tür zum Badezimmer und des Fensters mit einer IP-Kamera, die aufgrund eines programmierten Bewegungsmelders bei Bewegungen im Raum eine E-Mail mit Bildern an ein Handy schickt. In diesem Fall könnte der Kläger umgehend die Polizei benachrichtigen.
92Dass die dargestellten Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, hat das BfArM auch im Berufungsverfahren nicht substantiiert dargelegt. Entgegen der Auffassung des BfArM kommt - mit Blick auf § 15 Satz 2 BtMG ‑ auch eine Erlaubniserteilung unter Auflagen in Betracht. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BtMG kann die Erlaubnis befristet, mit Bedingungen erlassen oder mit Auflagen versehen werden, wenn dies zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Damit können die Nebenbestimmungen auch zwingende Versagungsgründe des § 5 BtMG ausräumen.
93Vgl. VG Berlin, Urteil vom 27. Juni 1996 - VG 14 A 134/94 -, NJW 1997, 816; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 9, Rn. 9.
94Das BfArM kann daher eine Erlaubnis unter der Auflage, bestimmte Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen, erteilen, und damit auch für eine Umsetzung der bislang nur im Planungsstadium befindlichen Sicherheitsvorkehrungen sorgen.
95Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG ist nicht gegeben. Hiernach ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn durch das beantragte Projekt die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet sind.
96Die Erteilung einer Anbauerlaubnis geringer Cannabismengen zur therapeutischen Behandlung einer schweren Krankheit unter ärztlicher Aufsicht verstößt nicht generell gegen § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG, da eine ärztliche Betreuung die erforderliche Sicherheit und Kontrolle gewährleisten kann.
97Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 5, Rn. 14 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑; Weber, BtMG, Kommentar, 4. Auflage 2013, § 5, Rn. 33 unter Bezugnahme auf OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2012 - 13 A 414/11 -.
98Hiervon ausgehend liegt ein Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das vom Kläger (in einer überschaubaren Menge) angebaute Cannabis dem illegalen Betäubungsmittelverkehr zugeführt werden könnte. Der Kläger hat substantiiert dargelegt, dass er das angebaute Cannabis zur Eigentherapie benötigt und die geernteten Blüten ausschließlich für den Eigenverbrauch weiter verarbeitet bzw. - im Ausnahmefall - nicht benötigte Blüten im Tresor aufbewahrt und die Reste der Pflanzen zu Kompost und Dünger verarbeitet. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des angebauten Cannabis durch den Kläger. Zwar hat das BfArM in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 darauf verwiesen, dass ein Betäubungsmittelverkehr zu therapeutischen Zwecken mit Pflanzenteilen, die hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit in keiner Weise arzneimittelrechtlichen Standards entsprechen könnten, weder sicher sein noch wirksam kontrolliert werden könne. Der Senat geht aber in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich der Wirksamkeit und der Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte verfügt und die von ihm praktizierte Vermehrungsmethode eine relative Gewähr für einen konstanten THC-Gehalt der Cannabispflanzen bietet. Auch hat der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren klargestellt, dass der Eigenanbau unter hausärztlicher Kontrolle erfolge. Abgesehen davon ist dem Kläger die fehlende konkrete Bestimmung des THC-Gehalts des von ihm angebauten Cannabis nicht anzulasten, da diese derzeit aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Das BfArM hat bereits in seinem an das BMG gerichteten Schreiben vom 29. Juni 2010 darauf hingewiesen, dass derartige Untersuchungen von den entsprechenden Einrichtungen nicht ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis durchgeführt werden.
99Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist.
100Angesichts der nunmehr belegten unzureichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf durch die AOK S. -O. -P. ist der vom Kläger beantragte Eigenanbau von Cannabis nach den obigen Ausführungen derzeit für seine medizinische Versorgung notwendig und geeignet. Kann der Kläger deshalb seine notwendige medizinische Versorgung gegenwärtig nur durch den Eigenanbau von Cannabis sicherstellen, ist es auch hinzunehmen, dass bei dem schwer kranken Kläger inzwischen eine Betäubungsmittelabhängigkeit entstanden ist.
101Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 BtMG mit der Begründung versagt werden, die Erlaubniserteilung verlange nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl II, S. 111; im Folgenden: ÜK 1961) die Einrichtung einer Cannabis-Agentur, die aber nicht geplant sei. Gemäß § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis (u. a.) versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen entgegensteht. Einer Entscheidung zu Gunsten des Klägers steht das ÜK 1961 nicht entgegen. Zum einen bringt das ÜK 1961 in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 3, Rn. 77.
103Zum anderen finden - entgegen der im Schreiben vom 30. Juli 2010 vertretenen Auffassung des INCB - Art. 28 Abs. 1, 23 ÜK 1961, die bei einer Erlaubniserteilung für den Anbau von Cannabis die Errichtung einer staatlichen Stelle vorsehen, auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Die Bestimmungen sind nach ihrem Sinn und Zweck auf den Fall der Erlaubniserteilung an eine Einzelperson zu therapeutischen Zwecken nicht anwendbar. Gestattet eine Vertragspartei den Anbau von Cannabis zur Gewinnung von Cannabis oder Cannabisharz, so errichtet sie, wenn dies nicht bereits geschehen ist, und unterhält eine oder mehrere staatliche Stellen zur Wahrnehmung der in diesem Artikel vorgesehenen Aufgaben (Art. 28 Abs. 1 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 ÜK 1961). Ausweislich der in Art. 23 ÜK 1961 geregelten Aufgabenzuteilung spricht aber Überwiegendes dafür, dass der „Stelle“, die in der BRD als Cannabis-Agentur eingerichtet würde, nur die Kontrolle über den großflächigen Anbau von Cannabis obliegt und jedenfalls der vorliegende Einzelfall des Eigenanbaus von maximal 24 Cannabispflanzen, die aus therapeutischen Zwecken zum absehbaren Eigenverbrauch gedacht sind, ersichtlich nicht erfasst ist. So bezeichnet etwa die Stelle die Gebiete und Landparzellen, auf denen der Anbau von Cannabis gestattet wird (Art. 23 Abs. 2 a) ÜK 1961) und kauft, nachdem alle Anbauer von Cannabis die gesamte Ernte abgeliefert haben, die geernteten Mengen und nimmt sie körperlich in Besitz (Art. 23 Abs. 2 d) ÜK 1961). Für eine derartige Vorgehensweise besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung. Der Kläger verbraucht das von ihm ‑ in einer überschaubaren Menge ‑ angebaute Cannabis unmittelbar nach der Ernte zu therapeutischen Zwecken. Abgesehen davon hätte die Einrichtung einer Cannabis-Agentur im vorliegenden Fall die geradezu absurde Folge, dass der schwer kranke Kläger, der mangels Behandlungsalternative auf die ständige Verfügbarkeit des von ihm angebauten Cannabis sativa angewiesen ist, die von ihm geerntete (verhältnismäßig geringe) Cannabisernte an die Cannabis-Agentur verkaufen müsste, um sie sodann zurück zu erwerben. Wie zudem die praktische Abwicklung einer derartigen Prozedur dem in N. wohnhaften und durch seine Krankheit an die Wohnung gebundenen Kläger innerhalb eines zumutbaren zeitlichen Rahmens möglich sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
104Abgesehen davon erweist sich eine - wie vom BfArM im Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 getroffene - Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 BtMG aber auch bei Annahme eines Verstoßes gegen das ÜK 1961 als fehlerhaft. Die Ermessenskontrolle ist zwar ihrer Natur nach eine nachvollziehende Kontrolle, dennoch beschränkt sie sich nicht auf die Suche nach der Berücksichtigung sachwidriger Gesichtspunkte. Eine Ermessensentscheidung ist (auch) fehlerhaft, wenn wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen werden, die zu berücksichtigen gewesen wären.
105Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 19. Auflage 2013, § 114 Rn. 12; Wolf, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Auflage 2014, § 114, Rn. 178.
106So liegt hier der Fall, weil das BfArM ausschließlich auf im öffentlichen Interesse liegende Gesichtspunkte abstellt und geltend macht, dass eine Verletzung der sich aus dem ÜK 1961 ergebenden Pflichten die enge Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit dem INCB belastet. Insoweit lässt es wesentliche Belange des Klägers außer Acht, die für die Erteilung der Erlaubnis sprechen. Das BfArM hätte konkret auch die Schwere der Erkrankung des Klägers, die fehlende alternative Behandlungsmöglichkeit und seine hochrangigen Schutzgüter aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berücksichtigen müssen. Ferner hätte es bei seiner Ermessensausübung mit Blick auf die besondere Notlage des Klägers zu seinen Gunsten beachten müssen, dass der Kläger selbst die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht beeinflussen kann.
107Ebenso erweisen sich angesichts der fehlenden ausreichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf die bislang vom BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG getroffenen Ermessenserwägungen als fehlerhaft. Das BfArM geht insoweit zu Unrecht vom Vorliegen einer verfügbaren konkreten Therapiemöglichkeit mit cannabishaltigen Präparaten aus, da diese für den Kläger angesichts seiner geringen Einkünfte tatsächlich nicht erreichbar sind.
108Das Fehlen zwingender Versagungsgründe rechtfertigt es indes nicht, die Beklagte entsprechend dem Antrag des Klägers zur Erteilung der Erlaubnis zu verpflichten, vielmehr steht die begehrte Erlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 -, juris.
110Bei der Ausübung des Ermessens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats wird das BfArM insbesondere § 6 Abs. 2 BtMG zu prüfen sowie über mögliche Nebenbestimmungen zur Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 BtMG zu entscheiden haben.
111Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
112Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
113Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Hinblick auf die modifizierende Anwendung der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG vorliegen.
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn
- 1.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder - 2.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.
(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.
(1) Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist wird auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, gewahrt.
(2) §§ 58 und 60 Abs. 1 bis 4 gelten entsprechend.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer
- 1.
Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder - 2.
ausgenommene Zubereitungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) herstellen
(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
(1) Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer
- 1.
Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder - 2.
ausgenommene Zubereitungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) herstellen
(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.
(1) Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen.
(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, nach Anhörung von Sachverständigen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III zu ändern oder zu ergänzen, wenn dies
- 1.
nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen der Wirkungsweise eines Stoffes, vor allem im Hinblick auf das Hervorrufen einer Abhängigkeit, - 2.
wegen der Möglichkeit, aus einem Stoff oder unter Verwendung eines Stoffes Betäubungsmittel herstellen zu können, oder - 3.
zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Verkehrs mit Betäubungsmitteln oder anderen Stoffen oder Zubereitungen wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit
(3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt in dringenden Fällen zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Stoffe und Zubereitungen, die nicht Arzneimittel oder Tierarzneimittel sind, in die Anlagen I bis III aufzunehmen, wenn dies wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit erforderlich ist. Eine auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassene Verordnung tritt nach Ablauf eines Jahres außer Kraft.
(4) Das Bundesministerium für Gesundheit (Bundesministerium) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III oder die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zu ändern, soweit das auf Grund von Änderungen der Anhänge zu dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl. II S. 111) und dem Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe (BGBl. 1976 II S. 1477) (Internationale Suchtstoffübereinkommen) oder auf Grund von Änderungen des Anhangs des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. L 335 vom 11.11.2004, S. 8), der durch die Richtlinie (EU) 2017/2103 (ABl. L 305 vom 21.11.2017, S. 12) geändert worden ist, erforderlich ist.
(1) Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer
- 1.
Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder - 2.
ausgenommene Zubereitungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) herstellen
(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.
Tenor
Die Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1963 geborene Kläger ist seit 1985 an Multipler Sklerose erkrankt, die sich zunächst schubweise mit unvollständigen Remissionen entwickelte und inzwischen in die chronische Verlaufsform übergegangen ist. Bei dem Kläger bestehen unter anderem eine ausgeprägte Gangstörung, eine spastische Tetraparese, eine Rumpf- und Extremitätenataxie, Dysarthrie und eine rezidivierende depressive Störung. Die Ataxie tritt im Wesentlichen als Störung der Grob- und Feinmotorik, des freien Gangs, des Standes und der Sprache in Erscheinung. Seit etwa 1987 behandelt der Kläger die Symptome seiner Erkrankung selbständig durch die regelmäßige Zufuhr von Cannabis und ist deswegen zunächst auch straffällig geworden. Zuletzt hat ihn das Amtsgericht Mannheim mit Urteil vom 19. Januar 2005 (3 Ls 310 Js 5518/02 AK 74/04) vom Vorwurf des Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen, da es sein Handeln als gerechtfertigt im Sinne des § 34 StGB ansah. Maßgeblich sei, dass es für die Behandlung der Ataxie keine zugelassenen Therapiealternativen gebe und die AOK die sehr hohen Kosten für das Medikament „Dronabinol“, bestehend aus THC, dem Hauptwirkstoff des Cannabis, nicht übernehme. Der Kläger, der als Fliesenleger tätig war, ist aufgrund seiner Erkrankung seit 1999 in Frührente und bezieht eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von ca. 890,00 Euro.
3Die - auch vom Kläger - erhobene Verfassungsbeschwerde gegen ein drohendes Strafverfahren und gegen die Strafdrohung wegen unerlaubter Einfuhr, unerlaubten Erwerbs oder Besitzes von Cannabis oder Marihuana nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑ nicht zur Entscheidung an, da die Betroffenen zunächst versuchen müssten, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen.
4Der Kläger stellte am 3. Mai 2000 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa und machte geltend, Cannabis löse bei ihm eine sehr gute (zusätzliche) therapeutische Wirksamkeit aus, die nicht durch andere Medizinprodukte oder Heilmittel zu erreichen sei. Das BfArM lehnte seinen Antrag mit Bescheid vom 31. Juli 2000 unter anderem mit der Begründung ab, die beantragte Erlaubnis liege auch mit Blick auf die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht im öffentlichen Interesse, da beim Kläger eine dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende ärztliche Versorgung mit Delta-9-THC durch die Anwendung eines verschreibungsfähigen Cannabisprodukts („Dronabinol“) möglich sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
5Das Sozialgericht Mannheim wies mit Urteil vom 9. August 2001 - S 8 KR 286/00 ‑ die Klage des Klägers auf Bewilligung von „Dronabinol-Tropfen“ als Sachleistung der Krankenkasse ab. Die hiergegen erhobene Berufung wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg durch Urteil vom 25. April 2003 – L 4 KR 3828/01 – zurück. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde wies das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 6. Januar 2005 ‑ B 1 KR 51/03 B ‑ zurück.
6Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 1023/01) auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zum Erwerb und zur Einfuhr von Cannabis zum Zwecke der medizinischen Behandlung, die - unter Zulassung der Berufung - mit Urteil vom 17. Februar 2004 abgewiesen wurde. Mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, in dem in einem auf die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis gerichteten Verfahren festgestellt wurde, diese könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, eine solche Behandlung liege nicht im öffentlichen Interesse, hob das BfArM den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 28. Juni 2006 auf. Daraufhin erklärten die Beteiligten das vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängige Berufungsverfahren (13 A 1534/04) übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt.
7Der Kläger stellte am 25. August 2006 bei der AOK S. -O. erneut einen Kostenübernahmeantrag für das Arzneimittel „Dronabinol“, den die Krankenkasse mit Schreiben vom 28. September 2006 ablehnte.
8Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 wies das BfArM den Kläger unter anderem auf Folgendes hin: Im Zusammenhang mit der Beantragung einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis verlange das Betäubungsmittelgesetz von dem Antragsteller oder einer für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften zu bestellenden verantwortlichen Person einen Nachweis über die erforderliche Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 6 BtMG). Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Kläger selbst oder eine andere Person die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen wolle. Der Sachkenntnisnachweis könne u. a. dadurch erbracht werden, dass der Kläger als Verantwortlichen einen Humanmediziner benenne.
9Unter dem 30. Mai 2007 machte der Kläger geltend: Sein Hausarzt, Dr. C. , habe sich bereit erklärt, ihn zu unterstützen, und sei Verantwortlicher mit Sachkenntnis. Er überprüfe insbesondere, dass die genehmigte Anbaumenge nicht überschritten werde. Im Übrigen habe das Amtsgericht Mannheim festgestellt, dass sein Verhalten gemäß § 34 StGB gerechtfertigt sei. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung komme daher nur die Erteilung der beantragten Genehmigung in Betracht. Ferner übersandte er eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom 27. April 2007.
10Mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 lehnte das BfArM den Antrag des Klägers vom 3. Mai 2000 ab: Die Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa liege nicht im öffentlichen Interesse. Der Eigenanbau von Cannabis sei nicht erforderlich, da auf Delta-9-THC standardisierte Cannabisextrakte erhältlich seien. Bei einem zugrundegelegten durchschnittlichen Monatsbedarf von 500 mg Delta-9-THC lägen die Behandlungskosten bei nur 150 Euro, während die monatlichen Kosten für „Dronabinol“ 350 Euro betrügen. Auch seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 und 6 BtMG gegeben. Weder seien geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für Anbau, Trocknung und Lagerung der Pflanzenteile nachgewiesen, noch sei eine effektive Kontrolle des Cannabiskonsums bei einem Eigenanbau durchführbar. Auch könne nicht von dem erforderlichen Sachkundenachweis abgesehen werden, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet sei. Ferner könnten bei einem Anbau durch Privatpersonen die Voraussetzungen für eine gleich bleibende Qualität nicht gewährleistet werden.
11Hiergegen erhob der Kläger am 8. Januar 2008 Widerspruch und machte unter anderem geltend: Er sei aus finanziellen Gründen auf den Anbau von Cannabis angewiesen. Er verwende seit Jahren aus medizinischen Gründen 100 g Cannabis im Monat, das 5.000 bis 10.000 mg THC entspreche und nach der Berechnung des BfArM monatliche Kosten in Höhe von 1.500 Euro verursachte. Diese Kosten seien für ihn bei einer monatlichen Erwerbsunfähigkeitsrente von (seinerzeit) 860 Euro nicht tragbar.
12Nachdem das BfArM die vom Kläger gesetzten Fristen zur Entscheidung über seinen Widerspruch hat verstreichen lassen, hat der Kläger am 20. Juni 2009 Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 3889/09) erhoben.
13Mit Schreiben vom 19. März 2010 versagte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Zustimmung zu der seitens des BfArM beabsichtigten Erteilung der beantragten Erlaubnis zum Eigenanbau für den Kläger.
14Das Verwaltungsgericht hat am 31. März 2010 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt.
15Daraufhin führte der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2010 aus: Der Anbau der Cannabispflanzen erfolge im Badezimmer. In der Blühphase stünden die Pflanzen in der gemauerten Duschkabine unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe. Im Blühraum stünden 2 x 8 Pflanzen mit einem Altersunterschied von vier Wochen. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) bewahre er in einem kleinen Schrank auf, in dem auch die geernteten Blüten getrocknet würden. Die Blüten von 8 Pflanzen ergäben etwa 100 g Cannabis, was seinem Monatsbedarf entspreche. Ein etwaiger Überschuss werde in einem Tresor gelagert. Die Pflanzenreste würden in einem speziellen Küchenkomposter zu Kompost und Flüssigdünger für andere Gartenpflanzen verarbeitet. Die monatlichen Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. beliefen sich auf etwa 110 Euro. Da die Pflanzen aus Stecklingen gezogen würden, hätten sie bis zu mehreren Jahren die gleiche Genetik und auch die gleiche Wirksamkeit, so dass eine einmalige Bestimmung des THC-Gehalts ausreichend sei. Er plane unter anderem, die Zimmertür zwischen Badezimmer und zentralem Wohnraum durch ein Fingerprintschloss zu schützen und das Flügelfenster zum Bad zusätzlich mit verschließbaren Griffen zu versehen. Zusätzlich könne es mit einem Stahlgitter geschützt werden. Die Tür zum Badezimmer und das Fenster sollten überdies mit einer IP-Kamera überwacht werden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein signifikant niedriger Gefährdungsgrad bestehe, da er, der Kläger, aufgrund seiner Erkrankung fast ausschließlich zu Hause sei. Publikumsverkehr finde nicht statt. Außer ihm und seiner Lebensgefährtin halte sich in der Wohnung nur die Krankengymnastin für die Dauer der Anwendungen auf.
16Mit Schreiben vom 29. Juni 2010 teilte das BfArM dem BMG mit: Die vom Kläger vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien zur Sicherung des Betäubungsmittelverkehrs geeignet und ausreichend. Eine zusätzliche Installation einer Kamera für die seltenen Fälle der Abwesenheit erscheine unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Auch sei für die Lagerung überschüssiger Blüten mit einer Höchstmenge von 100 g ein zertifizierter Wertschutzschrank nicht erforderlich. Notwendig sei allerdings die Anbringung eines zusätzlichen Gitters vor dem ‑ sich häufig in Kippstellung befindlichen - Badezimmerfenster. Auch dürften die Schwankungen des THC-Gehalts bei der von dem Kläger beschriebenen Kultivierungsmethode eher gering sein. Eine konkrete Bestimmung des THC-Gehalts werde von den Untersuchungseinrichtungen ohne das Vorliegen einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nicht durchgeführt. Ferner sei die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht erforderlich. Eine Gefahr der illegalen Weitergabe durch Groß- und Einzelhändler sei beim Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken nicht gegeben, da der Patient die Substanz selbst benötige. Abgesehen davon müssten bei einer Entscheidung gemäß § 5 Abs. 2 BtMG die mit der Einrichtung einer Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen gegenüber dem Interesse des einzelnen Patienten an einer Ausnahmegenehmigung zu medizinischen Zwecken abgewogen werden.
17Mit an das BfArM gerichtetem Schreiben vom 16. Juli 2010 führte das BMG aus: Das Entschließungsermessen des BfArM sei nicht auf Null reduziert. Die Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes (notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung bzw. des Klägers) geböten nicht die Erlaubniserteilung. Eine Versagung bewirke keine Grundrechtsverletzung des Klägers (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), da Therapiealternativen verfügbar seien. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei mangels Kenntnis des Wirkstoffgehalts, der Qualität und der Menge des vom Kläger angebauten Cannabis nicht gegeben. Auch seien die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten anzuwenden. Ferner stelle der Verstoß gegen Internationales Recht einen Versagungsgrund dar. Deutschland arbeite eng mit dem Internationalen Suchtstoffkontrollrat (INCB) zusammen.
18Das BfArM hat eine Stellungnahme des INCB vom 30. Juli 2010 eingeholt. Danach gibt es im Falle der Zulassung des Anbaus keine Ausnahme von der Pflicht zur Errichtung einer staatlichen Opiumstelle und gilt diese Pflicht auch beim Anbau der Hanfkrautpflanze durch eine Einzelperson zum Zwecke der Eigenbehandlung.
19Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 wies das BfArM den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte aus: Der Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken stünden die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG entgegen. Es seien die Richtlinien des BfArM vom 1. Januar 2007 zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten, wonach u. a. zertifizierte Wertschutzschränke zu verwenden seien, nicht eingehalten worden. Beim Anbau in einem einzigen Badezimmer einer 2-Zimmer-Wohnung sei ein Zugang Dritter unvermeidbar. Auch sei der Eigenanbau zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers nicht notwendig und ungeeignet (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Er sei nicht kostengünstiger als Cannabisextrakt oder „Dronabinol“. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei beim Eigenanbau, anders als beim bereits erlaubten Erwerb niederländischen Medizinalhanfs, nicht gewährleistet. Auch könne die Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BtMG versagt werden, wenn sie der Durchführung des Internationalen Suchtstoffabkommens (hier: Einheits-Übereinkommen von 1961 - ÜK 1961 -) entgegenstehe. So liege der Fall hier, weil Deutschland mangels Einrichtung einer Cannabis-Agentur bei Stattgabe des Erlaubnisantrags gegen seine internationalen Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstieße. Bei der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass Deutschland eng mit dem INCB zusammenarbeite und daher das Interesse des Klägers an einer Versorgung und Behandlung mit Cannabis zurückstehen müsse. Abgesehen davon stehe nach § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubniserteilung im Ermessen der Behörde. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der notwendigen medizinischen Versorgung des Klägers schon durch die zur Verfügung stehende alternative Cannabis-Therapie genüge getan werde.
20Der Kläger hat die Klage nach Erlass des Widerspruchsbescheids fortgeführt und geltend gemacht: Bei einer notwendigen medizinischen Anwendung des Betäubungsmittels durch Privatpersonen sei § 5 Abs. 1 BtMG modifiziert anzuwenden. Die von ihm vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien ausreichend. In seiner Wohnung finde kein Publikumsverkehr statt. Da die angebaute Cannabismenge überschaubar sei, bliebe ein Entwenden von Pflanzen auch nicht unbemerkt. Ferner könnten für das durch Eigenanbau gewonnene Pflanzenmaterial ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis keine Erkenntnisse über den Wirkstoff eingeholt werden. Im Übrigen bedürfe es in seinem Fall keiner Einrichtung einer Cannabis-Agentur. Das Schreiben des INCB vom 30. Juli 2010 sei nicht bindend. Auch habe die Beklagte nicht begründet, warum die geforderte Cannabis-Agentur nicht eingerichtet werde. Die Entscheidung der Beklagten sei auch deshalb fehlerhaft, weil sie die für die Bewilligung sprechenden Gründe ‑ insbesondere, dass für ihn der Cannabis-Eigenanbau die einzige realisierbare Möglichkeit der Linderung seiner Beschwerden sei - nicht in ihre Ermessensentscheidung einbezogen habe.
21Der Kläger hat beantragt,
22die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verpflichten, dem Kläger zu erlauben, Cannabis (Indica-Sativa-Hybriden) in seiner Wohnung C1.----straße 24, N.,anzubauen, zu ernten und zum medizinischen Zweck seiner Behandlung zu verwenden sowie bei Bedarf die entsprechenden Mutterpflanzen dieser Spezies zu erwerben und ggf. einzuführen.
23Die Beklagte hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft sowie ergänzend geltend gemacht: Ihre Ermessensausübung sei nicht fehlerhaft. Die mit der Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen seien gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Ausnahmegenehmigung zum Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken sorgfältig abgewogen worden.
26Das Verwaltungsgericht hat unter Zulassung der Berufung die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die ablehnende Entscheidung des BfArM sei rechtswidrig. Zwingende Versagungsgründe lägen nicht vor, zumal die Vorschrift des § 5 Abs. 1 BtMG in Fallgestaltungen wie der vorliegenden modifiziert anzuwenden sei. Die Sicherungsmaßnahmen des Klägers seien ausreichend. Der jahrelange Eigenanbau belege, dass der Kläger sich durch eine Therapie mit dem eigenangebauten Cannabis nicht selbst schädige. Der mit der Erlaubniserteilung verbundene Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffabkommen müsse nicht zwingend zu einer Versagung der Erlaubnis führen. Das BfArM habe gemäß § 5 Abs. 2 BtMG auch bei einem Verstoß gegen das Abkommen einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen die Interessen des Klägers angemessen zu berücksichtigen seien. Dieses Ermessen habe das BfArM bisher nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil es allein darauf abgestellt habe, dass eine Vertragsverletzung dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schade. Soweit das BfArM die Erlaubnis zum Eigenanbau nach § 3 Abs. 2 BtMG im Rahmen seines Ermessens versagt habe, habe es sein Ermessen ebenfalls fehlerhaft ausgeübt. Das BfArM habe keine Prüfung zur Frage der Verfügbarkeit der alternativen Behandlungsmöglichkeiten vorgenommen, insbesondere nicht deren wirtschaftliche Verfügbarkeit festgestellt. Deshalb sei das BfArM verpflichtet, über den Erlaubnisantrag des Klägers neu zu entscheiden und dabei auch seinen gegenwärtigen Gesundheitszustand zu berücksichtigen, was zu einer anderen Entscheidung führen könne.
27Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, der sich der Kläger angeschlossen hat. Der Kläger hat im Berufungsverfahren bei der AOK S. -O. -P. erneut einen Antrag auf Übernahme der Kosten für „Dronabinol“ gestellt, den diese mit Schreiben vom 15. Juni 2012 abgelehnt hat. Auf den auf Veranlassung des Senats gestellten Antrag des Klägers vom 5. Oktober 2012 auf Übernahme der Kosten für Medizinalhanf hat die AOK S. -O. -P. nach erneuter Prüfung mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Kostenübernahme für „Dronabinol“ erklärt. Mit Schreiben vom 8. November 2012 hat sie mitgeteilt, einen Antrag auf Kostenübernahme von Medizinalhanf würde sie beim jetzigen Stand ablehnen, da die Therapie mit „Dronabinol“ bisher als geeignet gegolten habe und keinerlei Informationen zu Zulassungsstatus, Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis flos Bedrocan vorlägen. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 hat die AOK S. -O. -P. erneut mitgeteilt, dass die Möglichkeiten einer Standardtherapie nicht ausgeschöpft seien und daher keine Kostenzusage für Cannabis flos Bedrocan erteilt werde. Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 hat die AOK S. -O. -P. erklärt, ein erneuter Kostenübernahmeantrag für Medizinalhanf hätte auch jetzt keinen Erfolg.
28Der Senat hat mit Urteil vom 7. Dezember 2012 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen sowie die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe mit „Dronabinol“ ein gleich wirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung. Es sei derzeit davon auszugehen, dass „Dronabinol“ beim Kläger eine mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkung aufweise und eine Behandlung bisher nur an der fehlenden Kostenerstattung gescheitert sei. Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats durch Beschluss vom 24. Mai 2013 - 3 B 14.13 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Es hätte sich ihm aufdrängen müssen, den von den Beteiligten angeregten Therapieversuch mit „Dronabinol“ zu ermöglichen um festzustellen, ob es sich für den Kläger um ein gleich wirksames Mittel handele.
29Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor: Es stehe nicht fest, dass für den Kläger keine finanzierbaren Behandlungsalternativen verfügbar seien. Mit „Dronabinol“, für das die Krankenkasse eine Kostenübernahme erteilt habe, stehe ein gleich wirksames Arzneimittel zur Behandlung der bei dem Kläger bestehenden Symptomatik zur Verfügung. Dass hierfür die Höchstverschreibungsmenge überschritten werden müsse, sei unschädlich. Soweit sich der Kläger auf Stellungnahmen seines Arztes berufe, die nach seiner Auffassung das Gegenteil belegen sollten, bleibe die Frage unbeantwortet, aus welchen Gründen die Dosis von „Dronabinol“ - bei gleichzeitiger Reduktion der Cannabisdosis - nicht langsam bei mehreren Gaben täglich erhöht werden könne. Denn es gelte zu beantworten, ob eine Monotherapie mit „Dronabinol“ - in adäquater Darreichungsform und Dosierung - nach entsprechender Titration des „Dronabinol“ und Ausschleichen des Cannabis - zu einer zufriedenstellenden Symptomkontrolle bei dem Kläger führen könne. Dabei sei Zieldiagnose die Tetraspastik und die Ataxie, nicht aber eine ggf. bestehende Cannabisabhängigkeit. Denn die beim Kläger beschriebenen Symptome könnten auch den Entzugssyndromen einer behandlungsbedürftigen Cannabisabhängigkeit zuzuordnen sein. Auch wenn ein solcher Therapieversuch nur stationär erfolgen könne, sei dies dem Kläger zumutbar und auch ethisch vertretbar. Nach stationärer Umstellung könne die Therapie mit „Dronabinol“ in der Dosis von 4 x 20 Tropfen ambulant weitergeführt werden. Im Übrigen seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau nicht modifiziert anzuwenden. Jeder Anbau bedürfe einer umfangreichen Raumsicherung, die bei Aufzucht und Aufbewahrung der angebauten Pflanzen eine unbefugte Entnahme sicher verhindere. Ferner sehe das Internationale Suchtstoffübereinkommen bei jedem Anbau von Cannabis die Anwendung des Kontrollsystems sowie die Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur vor, die die Ernte unverzüglich aufkaufe und sobald wie möglich körperlich in Besitz nehme.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie
33die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
34Der Kläger beantragt,
35das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und nach dem erstinstanz-lichen Klageantrag zu erkennen,
36sowie
37die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
38Er trägt zur Begründung vor: Es gebe für ihn keine verfügbaren Behandlungsalternativen. Er nutze „Dronabinol“ lediglich ergänzend zu seinem selbstangebauten Cannabis. Eine Monotherapie mit „Dronabinol“ sei nicht möglich, weil sie sich nicht ausreichend auf seine Ataxie auswirke. Mit den von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen habe er - wie im Urteil des Senats gefordert - dargelegt, dass „Dronabinol“ nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit wie Cannabis aufweise. Ein stationärer Therapieversuch mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt sei ihm nicht zumutbar. Den stationären Aufenthalt im Jahr 2011 habe er abgebrochen. Ein Therapieversuch mit ungewissem Ausgang sei auch ethisch bedenklich, da es eine für ihn annehmbare und wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit gebe. Ein Therapieversuch mit „Dronabinol“ könne mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes einhergehen, was insbesondere für einen Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung gefährlich sei, weil es keinerlei Garantie gebe, dass eine solche Verschlechterung je wieder rückgängig gemacht werden könne. Auch eine Höchstdosierung mit 4 x 20 Tropfen Dronabinol mit ca. 66 mg THC decke schon rein rechnerisch nicht seinen Cannabisbedarf von 300 bis 500 mg THC pro Tag. Das Medikament „Sativex“ stelle ebenfalls keine verfügbare Behandlungsalternative dar. Er habe sich bereits ohne Erfolg in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen. Aufgrund der Einnahme von „Sativex“, die zudem außerhalb der zugelassenen Indikationen erfolgt sei, habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Eine Therapie mit „Cannabis flos Bedrocan“ stehe ihm nicht zur Verfügung, da die AOK S. -O. -P. am 7. Juni 2013 die Kostenübernahme für Medizinalhanf abgelehnt habe und er die Behandlungskosten nicht allein mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente bestreiten könnte. Im Übrigen stehe der Erlaubniserteilung nicht das ÜK 1961 entgegen. Art. 28 ÜK 1961 sehe die Gestattung des Anbaus von Cannabispflanzen vor. Der in dieser Vorschrift enthaltene Verweis auf das Kontrollsystem nach Art. 23 ÜK sei mit Blick auf die in Rede stehende Genehmigung von wenigen Pflanzen in einem Teil des Badezimmers ersichtlich unsinnig. Es bestehe ferner angesichts der Schwere der Erkrankung und der fehlenden Behandlungsalternativen ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis.
39Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Ärzte Dr. T. und Dr. H. als sachverständige Zeugen. Wegen des Gegenstandes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
40Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die weiteren beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten, Gerichtsakte des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ‑ L 4 KR 3828/01 - und Strafakten der Staatsanwaltschaft Mannheim - 310 Js 5518/02 ‑).
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
42Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Klägers haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet und im Übrigen die Klage abgewiesen.
43Der Versagungsbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags auf Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis zu therapeutischen Zwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
44Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 2 BtMG. Nach dieser Vorschrift kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Für den Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung bedarf es einer Erlaubnis des BfArM. Nach der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG zählt Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor.
45Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11. Mai 2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (vgl. Anlage III), steht hier nicht in Rede. Ebenso wenig sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt (Anlage II). Ein anderweitiges Verständnis der Regelung in Anlage II widerspräche dem erkennbaren Willen des Verordnungsgebers. Dieser hat in der Begründung des Verordnungsentwurfs (BR-Drs. 130/11 vom 3. März 2011) ausdrücklich ausgeführt, dass die Änderungen betreffend Cannabis in den Anlagen I bis III (allein) dem Zweck dienen, cannabishaltige Fertigarzneimittel in Deutschland herstellen, zulassen und verschreiben zu können.
46Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung A. Allgemeiner Teil, I. Ziel und Gegenstand des Verordnungsentwurfs.
47Mit der Aufhebung des generellen Verkehrsverbots für Cannabis sollen lediglich solche cannabishaltigen Arzneimittel verkehrsfähig werden, die unter den strengen Vorgaben des Arzneimittelrechts als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Ferner soll die Herstellung entsprechender Zubereitungen zu medizinischen Zwecken ermöglicht werden.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung B. Besonderer Teil, Zu Artikel 1 (Änderung der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes), Zu den Nummern 1 bis 3 Buchstabe a.
49Die unter der Position Cannabis in Anlage II angeführte Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken steht danach in untrennbarem Zusammenhang mit der Herstellung eines cannabishaltigen Fertigarzneimittels und betrifft nicht den Eigenanbau von Cannabis zwecks Selbstmedikation.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris.
51Die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung liegt unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls, im öffentlichen Interesse.
52Das öffentliche Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG daran, ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu erteilen, ist im Falle des Klägers gegeben. Danach kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Erkrankung möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris (Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu therapeutischen Zwecken); ferner BVerfG, Beschlüsse vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑, NJW 2000, 3126, und vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1772/02 ‑, PharmR 2005, 374.
54Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieser Bestimmung kommt im Wertehorizont des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Leben und körperliche Unversehrtheit sind in weiten Bereichen elementare Voraussetzung für die Wahrnehmung der übrigen Grundrechtsgewährleistungen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden. Dies gilt insbesondere durch die staatliche Unterbindung des Zugangs zu prinzipiell verfügbaren Therapiemethoden zur nicht unwesentlichen Minderung von Leiden.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, m. w. N., juris.
56Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht in enger Beziehung zur Menschenwürde, die zu achten und zu schützen nach Art. 1 GG Aufgabe aller staatlicher Gewalt ist. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur jeweils deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris.
58Die Behandlung des Klägers mit Cannabis liegt hier im öffentlichen Interesse. Der Kläger ist schwer krank. Er leidet seit 1985 an Multipler Sklerose, die inzwischen in die chronische Form übergegangen ist. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom Zentrum für Nervenheilkunde, N. , vom 17. Januar 2012 besteht bei dem Kläger eine sekundär chronische Multiple Sklerose mit ausgeprägter Gangstörung, Rumpf- und Extremitätenataxie, Tetraspastik und psychischer Veränderung (organische, emotional-labile Störung mit beeinträchtigter Impulskontrolle sowie mit leichter kognitiver Störung). Eine Heilung des Klägers scheidet aus.
59Der Annahme eines für eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG erforderlichen öffentlichen Interesses steht nicht von vornherein entgegen, dass die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis bei Multipler Sklerose bisher nicht allgemein wissenschaftlich nachgewiesen ist. Denn bei der vorliegenden schweren Erkrankung des Klägers stellt schon die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit eine Linderung dar, die im öffentlichen Interesse liegt. Bei schweren Erkrankungen - wie vorliegend - ohne Aussicht auf Heilung gebietet es in diesem Rahmen die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur dann auszuschließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten kann.
60Vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, juris.
61Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist nach den dem Senat verfügbaren Erkenntnissen beim Kläger ein therapeutischer Nutzen zu bejahen. Der Kläger wendet Cannabis seit inzwischen mehr als 25 Jahren an. Dies hat zu einer erheblichen subjektiven Linderung seiner Beschwerden, insbesondere im Bereich der Ataxie, Spastik und seiner psychischen Verfassung geführt. Dies wird durch die ärztlichen Befundberichte sowie die Aussage des behandelnden Arztes Dr. T. als sachverständiger Zeuge in der Berufungsverhandlung bestätigt. Bereits in der ärztlichen Stellungnahme der Klinik Dr. F. , Krankenhaus für Multiple Sklerose und andere Nerven- und Stoffwechselleiden, vom 22. Oktober 1999 wird ausgeführt, dass der Kläger aus subjektivem Empfinden aufgrund des Cannabiskonsums eine deutliche Besserung der Symptomatik der Multiplen Sklerose (Spastik beim Einschlafen, Schmerzen in den Muskeln, Zittern, Depressionen, Appetitlosigkeit, Müdigkeitsgefühl, Blasenfunktion, verwaschene Sprache und Gleichgewichtsstörungen) angeben konnte und sich dies mit der allgemeinen Erfahrung decke, dass sich vor allem Schmerzen, Spastik, psychische Beeinträchtigungen und Ataxie unter medizinisch kontrollierter Einnahme von Cannabis bessern können. Bei der Kenntnis des Krankheitsbildes des Klägers und bei den bisherigen guten Erfahrungen, die er mit dem Einsatz von Cannabis zur Linderung der Symptomatik gemacht habe, werde die weitere kontrollierte medizinische Einnahme von Cannabis nervenärztlicherseits uneingeschränkt empfohlen. Auch bestätigt Dr. T. , in dessen ärztlicher Behandlung sich der Kläger seit 1992 befindet, in seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 27. April 2007, dass das Cannabis ohne Zweifel einen nachweisbaren Effekt auf die Ataxie und die erheblichen Stimmungsschwankungen des Klägers habe, der ohne den Konsum von Cannabis aufbrausend sei und ein für seine Umgebung sehr belastendes Verhalten gezeigt habe. Den ärztlichen Bescheinigungen des Dr. T. vom 17. Januar 2012 und 2. Oktober 2012 ist zu entnehmen, dass der Kläger durch die regelmäßige Einnahme von Cannabis eine Besserung der Ataxie und vor allem auch der Beschwerden durch die Spastik erlebt. Das Gangbild sei unter kontinuierlicher Cannabis-Einnahme deutlich sicherer als ohne und die maximale Gehstrecke habe verlängert werden können. Einschließende Spasmen seien unter der Cannabis-Einnahme kaum vorhanden. Ferner führe das regelmäßige Rauchen von Cannabispflanzen-Extrakt beim Kläger zu einem stimmungsmäßigen Ausgleich und die vor Aufnahme des Cannabis-Konsums stark gestörte Impulskontrolle habe sich reguliert. Nach einer aktuellen Stellungnahme des Dr. T. vom 15. Januar 2014 geht es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut. Die Stimmungslage sei ausgeglichen, es bestehe eine ausreichende Beweglichkeit mit einer Gehdauer (mit Handstock) von etwa 30 Minuten. Es beständen keine Schluckschwierigkeiten, die dysarthrische Sprache sei ausreichend verständlich. Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die glaubhaften Angaben des Dr. T. als sachverständiger Zeuge, der in der Berufungsverhandlung angegeben hat, die psychische Verfassung und das Sozialverhalten hätten sich unter der Wirkung von Cannabis deutlich verbessert.
62Dem Kläger steht gegenwärtig kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel für die Behandlung der im Rahmen der Multiplen Sklerose auftretenden Ataxie und Spastik sowie des Psychosyndroms zur Verfügung.
63Anders als in dem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 25. April 2013 ausgeführt, stellt das zugelassene Arzneimittel „Sativex“ für den Kläger keine mögliche Standardtherapie dar. Das Arzneimittel „Sativex“, ein Pflanzenextrakt der Firma Almirall, das neben den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Delta-9-THC) und Cannabidiol (CBD) auch weitere Bestandteile von Cannabis sativa enthält, hat - ungeachtet der Frage seiner Finanzierbarkeit - schon deshalb nicht die gleiche Wirksamkeit wie das von dem Kläger angebaute Cannabis sativa, weil sein Anwendungsbereich auf die Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose beschränkt ist, während sich das vom Kläger angebaute Cannabis insgesamt positiv auf die Beschwerden Ataxie, Spastik und emotionale Labilität auswirkt. „Sativex“ wird laut Fachinformation als Zusatzbehandlung für eine Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose angewendet, die nicht angemessen auf eine andere anti-spastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen. Dies ist bei dem Kläger (gerade) nicht der Fall. Im Gegenteil hat die Einnahme von „Sativex“ bei ihm sogar zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geführt.
64Der Kläger hat sich bereits in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen, der zu einer Verstärkung seiner Beschwerden geführt hat. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 11. August 2011 hat der Kläger „Sativex“ als Ersatz für Marihuana eingenommen. Es habe ihm aber weder in geringen noch in höheren Dosen (bis zu 6 Hübe) geholfen. Die Einnahme von „Sativex“ habe ihn sehr müde gemacht, seine Bewegungen seien ihm schwer gefallen und nur verlangsamt möglich gewesen. Das Befinden und die Motorik hätten sich durch „Sativex“ verschlechtert. Auch habe er schlecht Luft bekommen und vermehrt das Asthmaspray einsetzen müssen. Nach Auskunft seiner Lebensgefährtin habe der Kläger während der Behandlung mit „Sativex“ überwiegend gelegen. In seiner weiteren fachärztlichen Bescheinigung vom 2. Oktober 2012 stellt Dr. T. fest, dass unter Sativex nicht die vergleichbaren Effekte wie unter Cannabis zu erzielen waren. Dem Einwand der Beklagten, der Therapieversuch sei unbeachtlich, weil er jedenfalls hinsichtlich der Dosierung nicht entsprechend der (klinischen) Vorgaben in der Zulassung durchgeführt worden sei, ist nicht zu folgen. Zwar sieht die Fachinformation der Firma Almirall unter Ziffer 4.2 „Art und Dauer der Anwendung“ eine zweiwöchige Titrationsphase vor, innerhalb derer die Anzahl der Sprühstöße entsprechend eines konkreten Dosierungsschemas täglich von einem auf bis zu 12 Sprühstöße langsam erhöht wird. Auch wird darauf hingewiesen, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis die optimale Dosierung gefunden wird, und dass Nebenwirkungen (etwa Müdigkeit) auftreten können, die aber üblicherweise schwach sind und nach einigen Tagen abklingen. Dem Kläger, bei dem die Nebenwirkungen offenbar gerade nicht in bloß schwacher Form aufgetreten sind, ist es mit Blick auf seine ausgeprägte Ataxie aber nicht zumutbar, die bis zu zwei Wochen dauernde Phase der Nebenwirkungen abzuwarten und in dieser Zeit noch weitere Beeinträchtigungen seiner ohnehin stark eingeschränkten Bewegungsfähigkeit hinzunehmen. Mit Blick auf die elementare Bedeutung des Grundrechts des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und unter Achtung seiner Menschenwürde ist es daher aus ethischen Gründen nicht zu verantworten, den schwer kranken Kläger erneut einem mehrwöchigen Behandlungsversuch mit „Sativex“ auszusetzen, obwohl die Behandlung des bei ihm im Vordergrund stehenden Symptoms der Multiplen Sklerose, der Ataxie, vom Anwendungsbereich von „Sativex“ gar nicht erfasst wird.
65Dem Kläger steht auch mit dem verschreibungsfähigen Wirkstoff „Dronabinol“ keine gleich wirksame Therapiealternative zur Verfügung. Zwar ist „Dronabinol“ für ihn nunmehr grundsätzlich verfügbar, nachdem die AOK S. -O. -P. mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Übernahme der Kosten für diesen Wirkstoff erklärt hat. Im Falle des Klägers ist jedoch derzeit anzunehmen, dass „Dronabinol“ nicht genauso wirkt wie Cannabis. Deshalb kann dahinstehen, ob er überhaupt auf das Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ verwiesen werden kann, das kein für die Erkrankung des Klägers zugelassenes (Fertig-)Arzneimittel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist.
66Der Senat geht dabei davon aus, dass „Dronabinol“, das aus dem Cannabis-Hauptwirkstoff Delta-9-THC besteht, grundsätzlich mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkungen auf die Symptome einer Multiplen Sklerose entfalten kann. So wird „Dronabinol“ vorwiegend gegen chronische/neuropathische Schmerzen und Spastik eingesetzt und kann bei Multipler Sklerose Muskelkrämpfe und Spastiken reduzieren. Der Stellungnahme des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) Dr. H. vom 6. Dezember 1999 ist zu entnehmen, dass Cannabis und THC eine Vielzahl von Wirkungen entfalten, die bei der Multiplen Sklerose therapeutischen Nutzen versprechen. THC bzw. Dronabinol sei der pharmakologisch wichtigste Inhaltsstoff der Hanfpflanze (cannabis sativa L.). Wenn auch die Cannabiswirkungen nicht durch die THC-Effekte allein erklärt würden, so machten diese Effekte doch den weitaus größten Teil der Gesamtwirkung aus. In einer Anzahl von Studien sei ein muskelentspannender Effekt von THC bzw. Cannabis nachgewiesen worden. Auch sei in verschiedenen Tiermodellen sowie klinischen Studien der schmerzhemmende Effekt von THC nachgewiesen und der Wirkungsmechanismus weitgehend aufgeklärt worden. Zu vielen anderen von Patienten geschilderten (positiven) Effekten lägen zwar keine klinischen Daten vor, sie würden jedoch häufig und unabhängig voneinander von den Betroffenen vorgetragen. In seiner - vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren überreichten - Stellungnahme vom 6. Februar 2001 verweist Dr. H. ebenfalls darauf, dass die durchgeführten klinischen Studien in ihrer Gesamtheit die Annahme nahelegen, dass Marihuana, Delta-9-THC und Nabilon (ein synthetisches Cannabinoid) wahrscheinlich nützliche symptomatische Wirkungen auf Spastik und Tremor entfalteten. Danach dürfe angenommen werden, dass THC bei Multipler Sklerose therapeutische Wirkung entfalte.
67Auch in dem vom Amtsgericht Mannheim im Strafverfahren 310 Js 5518/02 eingeholten fachneurologischen Aktengutachten des Universitätsklinikums Heidelberg vom 21. Februar 2003 wird die Einnahme von Cannabis und seinen Derivaten (gleichermaßen) zur Behandlung der Symptome der Multiplen Sklerose befürwortet. Ausweislich der Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. med. N. und Dr. med. T1. belegen verschiedene klinische Untersuchungen die Möglichkeit der therapeutischen Anwendung von Cannabisderivaten in der Medizin und insbesondere bei Erkrankungen des Nervensystems. Typische Wirkungen von Cannabis auf den Organismus seien Wohlbefinden und Entspannung, aber auch unerwünschte psychische Effekte wie Angst- und Panikzustände sowie Herzfrequenzbeschleunigung, Blutdruckveränderungen. Weitere Cannabiseffekte bestünden in einer Schmerzlinderung, Muskelrelaxierung, Krampflösung, Bewegungsharmonisierung, Sedierung, Appetitsteigerung, Entzündungshemmung und Bronchialerweiterung. Die zugelassenen Indikationen des synthetisch hergestellten Cannabisderivats Delta-9-THC „Dronabinol“ mit dem Handelsnamen „N1. ®“ seien in den USA zwar auf Gewichtsverlust bei Aids- und Tumorpatienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapiepatienten beschränkt, die mit anderen Medikamenten nicht zu beherrschen seien. Auch liege in Deutschland derzeit keine zugelassene Indikation für Cannabisderivate vor. Es sei dem Arzt jedoch frei gestellt, Cannabis im Rahmen eines individuellen Heilversuchs in Form von „Dronabinol“ zu verordnen. Potentielle Behandlungsindikationen aus neurologischer Sicht, für die in einzelnen Untersuchungen ein günstiger Effekt von Cannabis gezeigt worden sei, beträfen die Symptome der Spastik und Ataxie, des Schmerzes und der Depressionen, die auch bei der Multiplen Sklerose vorkämen. Es gebe mehrere Fallbeispiele, dass Cannabis bzw. seine Derivate für Symptome der Spastik und Ataxie hilfreich sein könnten.
68Ausgehend von der bei der Frage einer Therapiealternative im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG gebotenen konkret-individuellen Betrachtungsweise kann aber gegenwärtig nicht festgestellt werden, dass „Dronabinol“ auch beim Kläger genauso wirkt wie Cannabis. Hierauf deutet bereits die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vom Kläger vorgelegte Bescheinigung von Dr. T. vom 7. Februar 2013 hin, wonach „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen habe. Die Stimmungslage sei dadurch einigermaßen ausgeglichen, die Effekte auf Ataxie und Spasmen seien deutlich weniger spürbar als bei regelmäßigem oralem und inhalativem Cannabiskonsum von bis zu 3 g. Hintergrund dieser Feststellungen ist der Versuch des Klägers gewesen, sich nach der Kostenübernahme für „Dronabinol“ durch die AOK S. -O. -P. Ende 2012 auf diesen Wirkstoff umzustellen. Im Rahmen dieses (ambulanten) Umstellversuchs konnte der Kläger mit einer Dosis von 20 Tropfen „Dronabinol“ morgens eine gewisse Reduzierung des täglichen Cannabiskonsums erreichen. Hingegen muss der Versuch, den Cannabiskonsum mit „Dronabinol“ zu ersetzen und den Kläger allein damit zu behandeln, mit den Stellungnahmen seiner behandelnden Ärzte als gescheitert angesehen werden. Nach den Äußerungen der sachverständigen Zeugen Dr. T. und Dr. H. bewirkt die erreichte Dosis von derzeit 20 Tropfen „Dronabinol“ beim Kläger keine ausreichende Linderung der spastisch-ataktischen Symptomatik, wohingegen eine dafür erforderliche Dosis nicht erreicht werden kann, weil es durch eine Dosissteigerung zu einer erheblichen Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustands kommt. Die Ärzte haben sich dabei maßgeblich auf ihre bisherigen umfangreichen Erfahrungen bei der Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis gestützt, die sie dem Senat widerspruchsfrei und überzeugend vermittelt haben.
69Im Einzelnen:
70Nach der fachärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 7. Februar 2013 hat „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung beim Kläger keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen. Ausweislich seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli 2013 nimmt der Kläger derzeit morgens 20 Tropfen „Dronabinol“ und raucht im Laufe des Tages mindestens 10 Tütchen Haschisch/Marihuana. Unter dieser hohen Dosis fühle sich der Kläger subjektiv wohl. Im Hinblick auf diese Feststellungen hat der erkennende Senat Dr. T. um ergänzende schriftliche Stellungnahme gebeten, ob der Kläger ausschließlich mit „Dronabinol“ behandelt werden könne. Dr. T. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2014 weiter ausgeführt, dass es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut gehe. Eine Stimmungsaufhellung ist nach der Stellungnahme von Dr. T. vom 28. April 2014 erst bei einer Dosis von 20 Tropfen morgens vorübergehend festzustellen gewesen. Eine Besserung der spastisch-ataktischen Symptomatik sei nicht erkennbar gewesen. Der Versuch, die Einzeldosis auf mehr als 20 Tropfen zu steigern, sei misslungen, da es dadurch zu Unruhe, Fahrigkeit, zu Stimmungsschwankungen und auch Dysphorie gekommen sei. Danach ist davon auszugehen, dass die für eine beim Kläger ausreichende Symptomkontrolle ‑ insbesondere im Hinblick auf die Ataxie und Spastik - erforderliche Dosis „Dronabinol“ nicht erreicht werden kann, ohne dass unerwünschte erhebliche Nebenwirkungen im Bereich seiner psychischen Verfassung auftreten.
71Diese Einschätzung hat die Vernehmung der den Kläger behandelnden bzw. betreuenden Ärzte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der sachverständige Zeuge Dr. T. hat angegeben, dass eine weitere Erhöhung der Dosis ausscheide, weil dann die psychischen Zustände - Unruhe, Panik, Anspannung - beim Kläger eintreten würden. Bei der derzeitigen Dosis mit 20 Tropfen habe sich aber auch keine zufriedenstellende positive Lösung eingestellt, so dass weiterhin Cannabisblüten gegeben würden. Dr. T. kommt zu dem Ergebnis, dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ beim Kläger nur eine unwahrscheinliche Möglichkeit darstellt. Dies ist angesichts der von ihm beschriebenen Nebenwirkungen bei einer versuchten Steigerung der Dronabinoldosis, auf die der Kläger zur Symptomkontrolle der Ataxie und Spastik angewiesen wäre, auch plausibel. Dass die ärztlichen Feststellungen zur psychischen Verfassung des Klägers dabei wesentlich auf dessen Eigenwahrnehmung beruhen, mindert nicht deren Aussagewert und ist letztlich dem besonderen psychischen Krankheitsbild des Klägers geschuldet. Es ist dann Aufgabe des den Patienten behandelnden Arztes, die subjektiv unter der Gabe von „Dronabinol“ empfundenen Nebenwirkungen zu objektivieren. Dies hat Dr. T. in der erforderlichen Weise getan, indem er die Selbsteinschätzung des Untersuchten ärztlicherseits bestätigt und sie als ärztliche Feststellungen dem Senat vermittelt hat.
72Die Bewertung durch Dr. T. , dass eine erfolgreiche Monotherapie mit „Dronabinol“ im Falle des Klägers unwahrscheinlich ist, steht im Einklang mit seinen bisherigen schriftlichen Stellungnahmen. Soweit er in seiner Stellungnahme vom 28. April 2014 ausgeführt hat, es sei zu vermuten, dass mit einer Gesamtmenge von 4 x 20 Tropfen „Dronabinol“ am Tag ein einigermaßen dem bisherigen Cannabiskonsum vergleichbarer Effekt zu erzielen sein dürfte, hat er einen vermeintlich darin begründeten Widerspruch in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt. Dort hat Dr. T. klargestellt, dass es sich bei der Möglichkeit einer Monotherapie um eine rein theoretische Annahme seinerseits gehandelt habe. Dies ist auch angesichts seiner weiteren Feststellungen bei der Anwendung von „Dronabinol“ durch den Kläger ohne weiteres nachvollziehbar, weil danach schon eine Steigerung der Dosis von einmalig 20 Tropfen am Tag zu erheblichen Nebenwirkungen - vor allem im psychischen Bereich - geführt hat. Insoweit überwiegen nach Auskunft von Dr. T. die Aussagen des Klägers, dass er bei mehr als 20 Tropfen „Dronabinol“ hektisch, fahrig und panisch geworden sei und im Übrigen die Effekte auf Ataxie und Spasmen deutlich weniger spürbar als bei einem Cannabiskonsum gewesen seien. Dass nur theoretisch und medizinisch nicht begründet die Möglichkeit einer Monotherapie mit „Dronabinol“ besteht, entspricht auch der in der gleichen Stellungnahme des Dr. T. vom 28. April 2014 getroffenen Aussage, es sei unwahrscheinlich, dass durch ein anderes Medikament dem Cannabiskonsum vergleichbare Effekte im Falle des Untersuchten erzielt werden könnten.
73Dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ mit einer Dosierung von 4 x 20 Tropfen zu einer ausreichenden Symptomkontrolle beim Kläger führt, ist auch angesichts der damit vom Kläger aufgenommenen THC-Menge fernliegend. Wie Dr. H. , der den Kläger seit April 2014 in der Cannabisbehandlung begleitet, in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt hat, entspricht der Konsum von 3,5 g Cannabis täglich bei einer THC-Konzentration von 15 %, die regelmäßig bei der vom Kläger angebauten Sorte „Jack Herrer“ anzunehmen ist, 525 mg THC bzw. „Dronabinol“. Diese THC-Menge wird schon rein rechnerisch durch eine Dosis von 4 x 20 Tropfen täglich nicht ansatzweise erreicht. Dabei kann offen bleiben, ob dies, so die Auffassung der Beklagten, einer THC-Menge von nicht nur 66 mg, sondern 80 mg entspricht. Selbst wenn der tägliche Konsum - wie der Kläger an anderer Stelle ausführt - mit 165 mg THC bzw. „Dronabinol“ niedriger anzunehmen sein sollte, kann auch diese Menge durch die von Dr. T. angenommene Höchstmenge „Dronabinol“ nicht vollständig substituiert werden. Hinzu kommt, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, dass bei Patienten, die - wie der Kläger - sehr hohe Dosen Cannabis konsumierten, ein Ersetzen durch reines THC bzw. „Dronabinol“ nicht möglich sei, weil dann die ungefilterte Wirkung des THC zu stark durschlage und die Nebenstoffe des Cannabis fehlten, die bei hohen Dosen eine modulierende Wirkung entfalteten. Die entsprechende subjektive Wahrnehmung durch den Kläger konnte der sachverständige Zeuge angesichts anderer Patienten, mit denen er ähnliche Erfahrungen gemacht hat, bestätigen. Dr. H. hält deshalb eine Umstellung des Klägers auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ für nicht möglich. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung des in der Hauptverhandlung im Strafverfahren des Klägers angehörten Sachverständigen Prof. Dr. N. , der es nachvollziehbar und auch aus medizinischer Sicht als verständlich ansah, dass die Einnahme von „Dronabinol“ allein nicht dieselbe Linderung verschafft habe. Denn in „Dronabinol“ befände sich der reine Wirkstoff THC, wogegen bei der Einnahme von Cannabis andere pflanzliche Faktoren bei der Linderung eine Rolle spielen könnten, die allerdings in ihrer Zusammensetzung wissenschaftlich und medizinisch noch nicht erforscht seien (vgl. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 19. Januar 2005 - 310 Js 5518/02 -).
74Der Senat hat keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des als sachverständigen Zeugen angehörten Dr. H. zu zweifeln. Für seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht vor allem der persönliche Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von ihm gewinnen konnte. Etwaige Zweifel, die in seiner politischen Arbeit für die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) begründet sein könnten, sind dadurch ausgeräumt worden, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend deutlich gemacht hat, als Wissenschaftler, als politisch Engagierter und als Arzt in unterschiedlichen Funktionen tätig zu sein und zwischen diesen Tätigkeiten trennen zu können.
75Dem (sinngemäßen) Einwand der Beklagten, es fehle weiterhin an einer Beschreibung des Therapieverlaufs und seines Ergebnisses, um die Frage der gleichen therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ beantworten zu können, folgt der Senat nicht. Die ärztliche Einschätzung von Dr. T. , dass der Kläger bei realistischer Betrachtungsweise nicht auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ umgestellt werden kann, beruht auf Erkenntnissen aus seiner jahrzehntelangen Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis, zuletzt auf dem Therapieversuch nach der Kostenübernahmeerklärung für „Dronabinol“ durch die Krankenkasse. Sie wird zudem bestätigt durch die Feststellungen von Dr. H. , der umfangreiche Erfahrungen mit Patienten hat, die - wie der Kläger - mit Cannabis und/oder „Dronabinol“ behandelt werden. Welche Erkenntnisse darüber hinaus aus einer Dokumentation des gesamten Therapieverlaufs und dessen Ergebnis mit „Dronabinol“ gewonnen werden könnten, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Allein aus dem Fehlen einer schriftlichen Dokumentation des Therapieverlaufs mit „Dronabinol“ im Einzelnen ist jedenfalls - auch angesichts der zahlreichen schriftlichen fachärztlichen Bescheinigungen - nicht zu schließen, dass die dem Senat in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend vermittelte Einschätzung beider Ärzte auf einer fehlenden tatsächlichen Grundlage und von daher nicht medizinisch fundiert getroffen worden ist.
76Hiervon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und seiner Menschenwürde ist dem Kläger der von der Beklagten geforderte stationäre Umstellversuch auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ nicht zuzumuten. Der schwer chronisch kranke Kläger, der derzeit nach den Aussagen seiner behandelnden Ärzte auf eine auf ihn subjektiv gut abgestimmte Therapieform eingestellt ist, muss sich nicht auf eine lediglich theoretische und damit für ihn nicht ansatzweise erfolgversprechende Therapiealternative mit ungewissem Ausgang einlassen. Eine medizinische Indikation, einen stationären Umstellversuch zu erzwingen, besteht nach Aussage des behandelnden Arztes beim Kläger ebenfalls nicht. Auch deshalb ist nicht anzunehmen, dass überhaupt eine Einrichtung gefunden werden kann, die einen solchen stationären Therapieversuch mit Dronabinoldosen jenseits der üblichen Mengen durchführt, und nicht ersichtlich, wer die Kosten hierfür übernimmt, was auch schon dem Umstellversuch im Dezember 2012 entgegenstand. Ein stationärer Umstellversuchs ist zudem als Möglichkeit einer zusätzlichen Tatsachengewinnung nicht erforderlich, weil der Senat die Überzeugung von einer im Falle des Klägers nicht mit Cannabis vergleichbaren Wirkung von „Dronabinol“ bereits auf der Grundlage der schriftlichen und mündlichen Aussagen der sachverständigen Zeugen gewinnen konnte.
77Mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnisse sieht sich der Senat nicht veranlasst, zur Frage der fehlenden vergleichbaren therapeutischen Wirkung von „Dronabinol“ beim Kläger ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die aussagekräftigen schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte reichen aus, um dem Senat die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung von der beim Kläger nicht vergleichbaren Wirkung einer Monotherapie mit „Dronabinol“ zu ermöglichen.
78Soweit die Lebensgefährtin des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Kläger mit Medizinalhanf der Sorte Bedrocan gut zurecht käme, weil er diese Sorte selbst angebaut habe, steht ihm diese Therapiealternative aus rechtlichen Gründen sowie im Hinblick auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch aus Kostengründen tatsächlich nicht zur Verfügung. Aufgrund der zwischenzeitlich durch die AOK S. -O. -P. erklärten Kostenübernahme für „Dronabinol“ und der damit nach Auffassung der Beklagten verbundenen Therapiealternative sieht sie sich bereits daran gehindert, dem Kläger eine Erwerbserlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen, die Voraussetzung für den Erwerb von Medizinalhanf aus der Apotheke ist. Außerdem kann der Kläger, der eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente von derzeit ca. 890,00 Euro bezieht, die monatlichen Kosten der von ihm benötigen Monatsdosis Cannabis nicht selbst tragen. Während die von ihm benötigten ca. 100 g „Cannabis flos Bedrocan“ monatliche Kosten von mindestens 400,00 Euro, wenn nicht sogar von 1.600,00 Euro, verursachen würden, entstehen ihm durch den Eigenanbau von Cannabis monatliche Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. in Höhe von ca. 110 Euro.
79Der Kläger bekommt die Kosten für „Cannabis flos Bedrocan“ auch nicht von seiner Krankenkasse erstattet. Dies ergibt sich aus der Ablehnung der Kostenübernahme durch die AOK S. -O. -P. vom 7. Juni 2013, die sie zuletzt auf Nachfrage des Senats am 10. Juni 2014 nochmals bestätigt hat. Dass nach der Beweisaufnahme für den Senat feststeht, dass „Dronabinol“ beim Kläger nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit hat wie Cannabis, rechtfertigt nicht die Annahme, die AOK S. -O. -P. werde nunmehr die Kostenübernahme für Medizinalhanf erklären. Dies folgt schon daraus, dass die Kostenübernahme nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 25. April 2013 nicht mit einer alternativen Therapiemöglichkeit mit dem Wirkstoff „Dronabinol“, sondern damit abgelehnt worden ist, dass zum einen beim Kläger keine schwere, lebensbedrohliche oder dem gleichzustellende Erkrankung vorliege und zum anderen die Möglichkeiten der Standardtherapie - hier mit Sativex - nicht ausgeschöpft seien. Es ist dem schwer kranken Kläger nicht mehr zumutbar, ein weiteres Mal den sozialgerichtlichen Klageweg hiergegen auszuschöpfen. Es liegt nicht in der Hand des Klägers, die rechtlichen Rahmenvorgaben für die Zulassung bzw. die krankenkassenrechtliche Kostenübernahme von Medizinalhanf als weitere Behandlungsalternative zu schaffen. Etwas anderes gilt im Hinblick auf den Ausnahmecharakter einer Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis allerdings dann, wenn dem Kläger in Zukunft eine Kostenübernahme für Medizinalhanf erteilt werden würde.
80Der Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis stehen weiter keine zwingenden Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG entgegen. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken modifiziert anzuwenden sind. § 5 Abs. 1 BtMG ist ‑ ebenso wie §§ 6, 7 BtMG - ersichtlich nicht auf Privatpersonen zugeschnitten, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren. Nachdem aber nach § 3 Abs. 2 BtMG auch für diese Personen die Erteilung einer Erlaubnis in Betracht kommt, ist § 5 Abs. 1 BtMG modifziert anzuwenden. Einerseits ist der Schutzzweck der Vorschrift zu beachten, andererseits darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, dass die Erteilung einer Erlaubnis an Privatpersonen, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren, praktisch ausscheidet oder unzumutbar erschwert wird.
81Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. März 2007
82- 13 E 1542/06 ‑, juris.
83Hiervon ausgehend erweist sich die Annahme des BfArM im Versagungsbescheid vom 6. Dezember 2007, der Erteilung der Erlaubnis stehe der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG entgegen, als rechtwidrig, weil sie die modifizierte Anwendung dieser Vorschrift außer Acht lässt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BtMG wird der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln, die keine Arzneimittel sind, durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln erbracht. Diese (strengen) Voraussetzungen dürfte der Kläger zwar offensichtlich nicht erfüllen. Jedoch ist auch § 6 Abs. 2 BtMG auf die Fallgestaltung des privaten Eigenanbaus von Cannabis aus therapeutischen Gründen modifiziert anzuwenden. Um dem Betroffenen die Erteilung der Erlaubnis nicht unzumutbar zu erschweren, kann eine sachkundige Betreuung auch auf andere Weise sichergestellt werden. Dabei käme zum einen in Betracht, den Hausarzt des Klägers, Dr. C. , als Verantwortlichen zu benennen. Dass eine Bereitschaft des Hausarztes Dr. C. zur Übernahme entsprechender Pflichten nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren. Dort hatte der Kläger bereits mit Schriftsatz vom 30. Mai 2007 darauf hingewiesen, dass sich sein Hausarzt Dr. C. zur Unterstützung bereit erklärt habe. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger aufgrund des jahrelangen - nach § 34 StGB gerechtfertigten - Eigenanbaus von Cannabis selbst bereits weitreichende Sachkenntnis gerade hinsichtlich der von ihm verwendeten Cannabissorte angeeignet hat. Abgesehen davon kann das BfArM gemäß § 6 Abs. 2 BtMG im Einzelfall auch von den in Absatz 1 genannten Anforderungen an die Sachkenntnis abweichen, wenn die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen gewährleistet sind. Das BfArM hat das ihm zustehende Ermessen bislang noch nicht ausgeübt, da es das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BtMG zu Unrecht verneint hat. Es hat in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 ausgeführt, dass eine Abweichung von § 6 Abs. 1 BtMG nicht möglich sei, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet seien, und zur Begründung sinngemäß auf die Ausführungen zum Vorliegen der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG verwiesen. Diese Begründung greift jedoch nicht, da die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG - wie nachfolgend ausgeführt ‑ nicht gegeben sind.
84Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind. Wer am Betäubungsmittelverkehr teilnimmt, hat die Betäubungsmittel, die sich in seinem Besitz befinden, gesondert aufzubewahren und gegen unbefugte Entnahme zu sichern (§ 15 Satz 1 BtMG). Das BfArM kann Sicherungsmaßnahmen anordnen, soweit es nach Art oder Umfang des Betäubungsmittelverkehrs, dem Gefährdungsgrad oder der Menge der Betäubungsmittel erforderlich ist (§ 15 Satz 2 BtMG).
85Die Vorschrift soll verhindern, zumindest erschweren, dass der illegale Betäubungsmittelhandel sich im Wege des Diebstahls, der Unterschlagung oder der unbefugten Entnahme aus legalen Betäubungsmitteldepots versorgt. Um die Diebstahlsgefahr möglichst gering zu halten, wird der Erlaubnisinhaber deshalb je nach Menge und Gefährdungsgrad der Betäubungsmittel zu besonderen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet.
86Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 1.
87Das BfArM hat Richtlinien entwickelt, wie Betäubungsmittelvorräte von Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG besonders gegen unbefugte Wegnahme zu sichern sind. Diese Richtlinien (Stand: 1. Januar 2007) unterscheiden drei Vorkehrungen, und zwar 1. Aufbewahrung in (zertifizierten Wertschutz‑)Schränken, 2. Aufbewahrung in Räumen und 3. zusätzliche elektrische Überwachung.
88Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 2.
89Entgegen der Auffassung der Beklagten finden diese Richtlinien beim Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung zur medizinischen Eigenbehandlung des Wohnungsinhabers aber keine Anwendung. Die Richtlinien sind - ebenso wie die Regelung in § 5 Abs. 1 BtMG selbst - nicht auf diese Fallkonstellation zugeschnitten, weil die darin geforderten Sicherungsmaßnahmen (z. B. zertifizierte Wertschutzschränke und -türen) und die hierfür anfallenden Kosten ersichtlich außer Verhältnis zu dem Gefahrenpotential stehen, das die wenigen für die Eigentherapie benötigten Cannabispflanzen bergen. Von Privatpersonen können daher nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen verlangt werden.
90Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. März 2007 - 13 E 1542/06 - und vom 16. November 2011 ‑ 13 B 1199/11 ‑, jeweils juris.
91Hiervon ausgehend greift die Begründung des BfArM in seinen Bescheiden vom 6. Dezember 2007 und 10. August 2010, wonach bereits mangels Einhaltung der Richtlinien vom 1. Januar 2007, insbesondere zur Aufbewahrung der Cannabisvorräte in einem zertifizierten Wertschutzschrank, der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG gegeben sei, nicht durch. Vielmehr können von dem Kläger nur zumutbare und dem Sicherungszweck angemessene Sicherungsmaßnahmen verlangt werden. Die vom Kläger bereits mit Schriftsatz vom 10. Mai 2010 detailliert benannten ‑ zum Teil noch im Planungsstadium befindlichen - Sicherungsmaßnahmen sind mit Blick auf Art und Umfang des Betäubungsmittelverkehrs (Cannabisanbau ausschließlich zum Eigenkonsum) sowie auf den Gefährdungsgrad (gering frequentierte Wohnung des Klägers) als ausreichend anzusehen. Gegen ein Eindringen Unbefugter von außen schützen zunächst die dreifach verriegelte Wohnungseingangstür und die sicherheitsverglasten, sechsfach verriegelten Fenster, die zudem mit einem Aufhebelschutz versehen sind. Befindet sich das Badezimmerfenster in Kippstellung, sorgt die geplante Anbringung eines Gitters für den erforderlichen Schutz. Die Pflanzen sind auch innerhalb der Wohnung ausreichend gegen eine unbefugte Entwendung geschützt. Die Wohnung des Klägers wird kaum von Dritten frequentiert; der Kläger bewohnt die Wohnung zusammen mit seiner Lebensgefährtin und erhält wenig Besuch. Die Kranken-gymnastin, die eine Zeit lang die Wohnung regelmäßig aufgesucht hat, hat ihre Tätigkeit beendet. Die Frage, ob die Wohnung künftig durch externes Pflege-personal aufgesucht wird, stellt sich noch nicht. Für die fernliegende Möglichkeit, dass ein Dritter das Badezimmer des Klägers aufsucht, ist ebenfalls ausreichend Schutz gewährleistet. Die Pflanzen in der Blühphase (2 x 8 Pflanzen) dürften für einen Dritten nicht ohne Weiteres sichtbar sein, weil sie in der gemauerten Dusche unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe herangezogen werden. Jeden-falls würde dem Kläger angesichts der überschaubaren Menge das Fehlen einer Pflanze sofort auffallen. Im Übrigen hat der Kläger die Anbringung eines Fingerprintschlosses angeboten, so dass er das Aufsuchen seines Badezimmers unter Kontrolle hätte. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) sind in einem Schrank aufbewahrt; ein überschüssiger Ertrag aus den getrockneten Blüten von 8 Pflanzen, der nach Angaben des Klägers in etwa seinen Monatsbedarf an 100 g Cannabis deckt, wird in einem Tresor gelagert. Darüber hinaus hat der Kläger ein erhebliches Eigeninteresse, dass das Cannabis nicht an Dritte gelangt, weil er es zur Behandlung selbst benötigt. Für den ‑ seltenen - Fall seiner Abwesenheit will der Kläger ebenfalls vorsorgen. Er beabsichtigt die Überwachung der Tür zum Badezimmer und des Fensters mit einer IP-Kamera, die aufgrund eines programmierten Bewegungsmelders bei Bewegungen im Raum eine E-Mail mit Bildern an ein Handy schickt. In diesem Fall könnte der Kläger umgehend die Polizei benachrichtigen.
92Dass die dargestellten Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, hat das BfArM auch im Berufungsverfahren nicht substantiiert dargelegt. Entgegen der Auffassung des BfArM kommt - mit Blick auf § 15 Satz 2 BtMG ‑ auch eine Erlaubniserteilung unter Auflagen in Betracht. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BtMG kann die Erlaubnis befristet, mit Bedingungen erlassen oder mit Auflagen versehen werden, wenn dies zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Damit können die Nebenbestimmungen auch zwingende Versagungsgründe des § 5 BtMG ausräumen.
93Vgl. VG Berlin, Urteil vom 27. Juni 1996 - VG 14 A 134/94 -, NJW 1997, 816; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 9, Rn. 9.
94Das BfArM kann daher eine Erlaubnis unter der Auflage, bestimmte Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen, erteilen, und damit auch für eine Umsetzung der bislang nur im Planungsstadium befindlichen Sicherheitsvorkehrungen sorgen.
95Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG ist nicht gegeben. Hiernach ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn durch das beantragte Projekt die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet sind.
96Die Erteilung einer Anbauerlaubnis geringer Cannabismengen zur therapeutischen Behandlung einer schweren Krankheit unter ärztlicher Aufsicht verstößt nicht generell gegen § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG, da eine ärztliche Betreuung die erforderliche Sicherheit und Kontrolle gewährleisten kann.
97Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 5, Rn. 14 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑; Weber, BtMG, Kommentar, 4. Auflage 2013, § 5, Rn. 33 unter Bezugnahme auf OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2012 - 13 A 414/11 -.
98Hiervon ausgehend liegt ein Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das vom Kläger (in einer überschaubaren Menge) angebaute Cannabis dem illegalen Betäubungsmittelverkehr zugeführt werden könnte. Der Kläger hat substantiiert dargelegt, dass er das angebaute Cannabis zur Eigentherapie benötigt und die geernteten Blüten ausschließlich für den Eigenverbrauch weiter verarbeitet bzw. - im Ausnahmefall - nicht benötigte Blüten im Tresor aufbewahrt und die Reste der Pflanzen zu Kompost und Dünger verarbeitet. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des angebauten Cannabis durch den Kläger. Zwar hat das BfArM in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 darauf verwiesen, dass ein Betäubungsmittelverkehr zu therapeutischen Zwecken mit Pflanzenteilen, die hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit in keiner Weise arzneimittelrechtlichen Standards entsprechen könnten, weder sicher sein noch wirksam kontrolliert werden könne. Der Senat geht aber in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich der Wirksamkeit und der Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte verfügt und die von ihm praktizierte Vermehrungsmethode eine relative Gewähr für einen konstanten THC-Gehalt der Cannabispflanzen bietet. Auch hat der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren klargestellt, dass der Eigenanbau unter hausärztlicher Kontrolle erfolge. Abgesehen davon ist dem Kläger die fehlende konkrete Bestimmung des THC-Gehalts des von ihm angebauten Cannabis nicht anzulasten, da diese derzeit aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Das BfArM hat bereits in seinem an das BMG gerichteten Schreiben vom 29. Juni 2010 darauf hingewiesen, dass derartige Untersuchungen von den entsprechenden Einrichtungen nicht ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis durchgeführt werden.
99Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist.
100Angesichts der nunmehr belegten unzureichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf durch die AOK S. -O. -P. ist der vom Kläger beantragte Eigenanbau von Cannabis nach den obigen Ausführungen derzeit für seine medizinische Versorgung notwendig und geeignet. Kann der Kläger deshalb seine notwendige medizinische Versorgung gegenwärtig nur durch den Eigenanbau von Cannabis sicherstellen, ist es auch hinzunehmen, dass bei dem schwer kranken Kläger inzwischen eine Betäubungsmittelabhängigkeit entstanden ist.
101Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 BtMG mit der Begründung versagt werden, die Erlaubniserteilung verlange nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl II, S. 111; im Folgenden: ÜK 1961) die Einrichtung einer Cannabis-Agentur, die aber nicht geplant sei. Gemäß § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis (u. a.) versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen entgegensteht. Einer Entscheidung zu Gunsten des Klägers steht das ÜK 1961 nicht entgegen. Zum einen bringt das ÜK 1961 in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 3, Rn. 77.
103Zum anderen finden - entgegen der im Schreiben vom 30. Juli 2010 vertretenen Auffassung des INCB - Art. 28 Abs. 1, 23 ÜK 1961, die bei einer Erlaubniserteilung für den Anbau von Cannabis die Errichtung einer staatlichen Stelle vorsehen, auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Die Bestimmungen sind nach ihrem Sinn und Zweck auf den Fall der Erlaubniserteilung an eine Einzelperson zu therapeutischen Zwecken nicht anwendbar. Gestattet eine Vertragspartei den Anbau von Cannabis zur Gewinnung von Cannabis oder Cannabisharz, so errichtet sie, wenn dies nicht bereits geschehen ist, und unterhält eine oder mehrere staatliche Stellen zur Wahrnehmung der in diesem Artikel vorgesehenen Aufgaben (Art. 28 Abs. 1 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 ÜK 1961). Ausweislich der in Art. 23 ÜK 1961 geregelten Aufgabenzuteilung spricht aber Überwiegendes dafür, dass der „Stelle“, die in der BRD als Cannabis-Agentur eingerichtet würde, nur die Kontrolle über den großflächigen Anbau von Cannabis obliegt und jedenfalls der vorliegende Einzelfall des Eigenanbaus von maximal 24 Cannabispflanzen, die aus therapeutischen Zwecken zum absehbaren Eigenverbrauch gedacht sind, ersichtlich nicht erfasst ist. So bezeichnet etwa die Stelle die Gebiete und Landparzellen, auf denen der Anbau von Cannabis gestattet wird (Art. 23 Abs. 2 a) ÜK 1961) und kauft, nachdem alle Anbauer von Cannabis die gesamte Ernte abgeliefert haben, die geernteten Mengen und nimmt sie körperlich in Besitz (Art. 23 Abs. 2 d) ÜK 1961). Für eine derartige Vorgehensweise besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung. Der Kläger verbraucht das von ihm ‑ in einer überschaubaren Menge ‑ angebaute Cannabis unmittelbar nach der Ernte zu therapeutischen Zwecken. Abgesehen davon hätte die Einrichtung einer Cannabis-Agentur im vorliegenden Fall die geradezu absurde Folge, dass der schwer kranke Kläger, der mangels Behandlungsalternative auf die ständige Verfügbarkeit des von ihm angebauten Cannabis sativa angewiesen ist, die von ihm geerntete (verhältnismäßig geringe) Cannabisernte an die Cannabis-Agentur verkaufen müsste, um sie sodann zurück zu erwerben. Wie zudem die praktische Abwicklung einer derartigen Prozedur dem in N. wohnhaften und durch seine Krankheit an die Wohnung gebundenen Kläger innerhalb eines zumutbaren zeitlichen Rahmens möglich sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
104Abgesehen davon erweist sich eine - wie vom BfArM im Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 getroffene - Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 BtMG aber auch bei Annahme eines Verstoßes gegen das ÜK 1961 als fehlerhaft. Die Ermessenskontrolle ist zwar ihrer Natur nach eine nachvollziehende Kontrolle, dennoch beschränkt sie sich nicht auf die Suche nach der Berücksichtigung sachwidriger Gesichtspunkte. Eine Ermessensentscheidung ist (auch) fehlerhaft, wenn wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen werden, die zu berücksichtigen gewesen wären.
105Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 19. Auflage 2013, § 114 Rn. 12; Wolf, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Auflage 2014, § 114, Rn. 178.
106So liegt hier der Fall, weil das BfArM ausschließlich auf im öffentlichen Interesse liegende Gesichtspunkte abstellt und geltend macht, dass eine Verletzung der sich aus dem ÜK 1961 ergebenden Pflichten die enge Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit dem INCB belastet. Insoweit lässt es wesentliche Belange des Klägers außer Acht, die für die Erteilung der Erlaubnis sprechen. Das BfArM hätte konkret auch die Schwere der Erkrankung des Klägers, die fehlende alternative Behandlungsmöglichkeit und seine hochrangigen Schutzgüter aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berücksichtigen müssen. Ferner hätte es bei seiner Ermessensausübung mit Blick auf die besondere Notlage des Klägers zu seinen Gunsten beachten müssen, dass der Kläger selbst die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht beeinflussen kann.
107Ebenso erweisen sich angesichts der fehlenden ausreichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf die bislang vom BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG getroffenen Ermessenserwägungen als fehlerhaft. Das BfArM geht insoweit zu Unrecht vom Vorliegen einer verfügbaren konkreten Therapiemöglichkeit mit cannabishaltigen Präparaten aus, da diese für den Kläger angesichts seiner geringen Einkünfte tatsächlich nicht erreichbar sind.
108Das Fehlen zwingender Versagungsgründe rechtfertigt es indes nicht, die Beklagte entsprechend dem Antrag des Klägers zur Erteilung der Erlaubnis zu verpflichten, vielmehr steht die begehrte Erlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 -, juris.
110Bei der Ausübung des Ermessens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats wird das BfArM insbesondere § 6 Abs. 2 BtMG zu prüfen sowie über mögliche Nebenbestimmungen zur Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 BtMG zu entscheiden haben.
111Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
112Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
113Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Hinblick auf die modifizierende Anwendung der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG vorliegen.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
Tenor
Die Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1963 geborene Kläger ist seit 1985 an Multipler Sklerose erkrankt, die sich zunächst schubweise mit unvollständigen Remissionen entwickelte und inzwischen in die chronische Verlaufsform übergegangen ist. Bei dem Kläger bestehen unter anderem eine ausgeprägte Gangstörung, eine spastische Tetraparese, eine Rumpf- und Extremitätenataxie, Dysarthrie und eine rezidivierende depressive Störung. Die Ataxie tritt im Wesentlichen als Störung der Grob- und Feinmotorik, des freien Gangs, des Standes und der Sprache in Erscheinung. Seit etwa 1987 behandelt der Kläger die Symptome seiner Erkrankung selbständig durch die regelmäßige Zufuhr von Cannabis und ist deswegen zunächst auch straffällig geworden. Zuletzt hat ihn das Amtsgericht Mannheim mit Urteil vom 19. Januar 2005 (3 Ls 310 Js 5518/02 AK 74/04) vom Vorwurf des Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen, da es sein Handeln als gerechtfertigt im Sinne des § 34 StGB ansah. Maßgeblich sei, dass es für die Behandlung der Ataxie keine zugelassenen Therapiealternativen gebe und die AOK die sehr hohen Kosten für das Medikament „Dronabinol“, bestehend aus THC, dem Hauptwirkstoff des Cannabis, nicht übernehme. Der Kläger, der als Fliesenleger tätig war, ist aufgrund seiner Erkrankung seit 1999 in Frührente und bezieht eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von ca. 890,00 Euro.
3Die - auch vom Kläger - erhobene Verfassungsbeschwerde gegen ein drohendes Strafverfahren und gegen die Strafdrohung wegen unerlaubter Einfuhr, unerlaubten Erwerbs oder Besitzes von Cannabis oder Marihuana nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑ nicht zur Entscheidung an, da die Betroffenen zunächst versuchen müssten, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen.
4Der Kläger stellte am 3. Mai 2000 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa und machte geltend, Cannabis löse bei ihm eine sehr gute (zusätzliche) therapeutische Wirksamkeit aus, die nicht durch andere Medizinprodukte oder Heilmittel zu erreichen sei. Das BfArM lehnte seinen Antrag mit Bescheid vom 31. Juli 2000 unter anderem mit der Begründung ab, die beantragte Erlaubnis liege auch mit Blick auf die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht im öffentlichen Interesse, da beim Kläger eine dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende ärztliche Versorgung mit Delta-9-THC durch die Anwendung eines verschreibungsfähigen Cannabisprodukts („Dronabinol“) möglich sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
5Das Sozialgericht Mannheim wies mit Urteil vom 9. August 2001 - S 8 KR 286/00 ‑ die Klage des Klägers auf Bewilligung von „Dronabinol-Tropfen“ als Sachleistung der Krankenkasse ab. Die hiergegen erhobene Berufung wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg durch Urteil vom 25. April 2003 – L 4 KR 3828/01 – zurück. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde wies das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 6. Januar 2005 ‑ B 1 KR 51/03 B ‑ zurück.
6Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 1023/01) auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zum Erwerb und zur Einfuhr von Cannabis zum Zwecke der medizinischen Behandlung, die - unter Zulassung der Berufung - mit Urteil vom 17. Februar 2004 abgewiesen wurde. Mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, in dem in einem auf die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis gerichteten Verfahren festgestellt wurde, diese könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, eine solche Behandlung liege nicht im öffentlichen Interesse, hob das BfArM den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 28. Juni 2006 auf. Daraufhin erklärten die Beteiligten das vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängige Berufungsverfahren (13 A 1534/04) übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt.
7Der Kläger stellte am 25. August 2006 bei der AOK S. -O. erneut einen Kostenübernahmeantrag für das Arzneimittel „Dronabinol“, den die Krankenkasse mit Schreiben vom 28. September 2006 ablehnte.
8Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 wies das BfArM den Kläger unter anderem auf Folgendes hin: Im Zusammenhang mit der Beantragung einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis verlange das Betäubungsmittelgesetz von dem Antragsteller oder einer für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften zu bestellenden verantwortlichen Person einen Nachweis über die erforderliche Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 6 BtMG). Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Kläger selbst oder eine andere Person die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen wolle. Der Sachkenntnisnachweis könne u. a. dadurch erbracht werden, dass der Kläger als Verantwortlichen einen Humanmediziner benenne.
9Unter dem 30. Mai 2007 machte der Kläger geltend: Sein Hausarzt, Dr. C. , habe sich bereit erklärt, ihn zu unterstützen, und sei Verantwortlicher mit Sachkenntnis. Er überprüfe insbesondere, dass die genehmigte Anbaumenge nicht überschritten werde. Im Übrigen habe das Amtsgericht Mannheim festgestellt, dass sein Verhalten gemäß § 34 StGB gerechtfertigt sei. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung komme daher nur die Erteilung der beantragten Genehmigung in Betracht. Ferner übersandte er eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom 27. April 2007.
10Mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 lehnte das BfArM den Antrag des Klägers vom 3. Mai 2000 ab: Die Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa liege nicht im öffentlichen Interesse. Der Eigenanbau von Cannabis sei nicht erforderlich, da auf Delta-9-THC standardisierte Cannabisextrakte erhältlich seien. Bei einem zugrundegelegten durchschnittlichen Monatsbedarf von 500 mg Delta-9-THC lägen die Behandlungskosten bei nur 150 Euro, während die monatlichen Kosten für „Dronabinol“ 350 Euro betrügen. Auch seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 und 6 BtMG gegeben. Weder seien geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für Anbau, Trocknung und Lagerung der Pflanzenteile nachgewiesen, noch sei eine effektive Kontrolle des Cannabiskonsums bei einem Eigenanbau durchführbar. Auch könne nicht von dem erforderlichen Sachkundenachweis abgesehen werden, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet sei. Ferner könnten bei einem Anbau durch Privatpersonen die Voraussetzungen für eine gleich bleibende Qualität nicht gewährleistet werden.
11Hiergegen erhob der Kläger am 8. Januar 2008 Widerspruch und machte unter anderem geltend: Er sei aus finanziellen Gründen auf den Anbau von Cannabis angewiesen. Er verwende seit Jahren aus medizinischen Gründen 100 g Cannabis im Monat, das 5.000 bis 10.000 mg THC entspreche und nach der Berechnung des BfArM monatliche Kosten in Höhe von 1.500 Euro verursachte. Diese Kosten seien für ihn bei einer monatlichen Erwerbsunfähigkeitsrente von (seinerzeit) 860 Euro nicht tragbar.
12Nachdem das BfArM die vom Kläger gesetzten Fristen zur Entscheidung über seinen Widerspruch hat verstreichen lassen, hat der Kläger am 20. Juni 2009 Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 3889/09) erhoben.
13Mit Schreiben vom 19. März 2010 versagte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Zustimmung zu der seitens des BfArM beabsichtigten Erteilung der beantragten Erlaubnis zum Eigenanbau für den Kläger.
14Das Verwaltungsgericht hat am 31. März 2010 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt.
15Daraufhin führte der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2010 aus: Der Anbau der Cannabispflanzen erfolge im Badezimmer. In der Blühphase stünden die Pflanzen in der gemauerten Duschkabine unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe. Im Blühraum stünden 2 x 8 Pflanzen mit einem Altersunterschied von vier Wochen. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) bewahre er in einem kleinen Schrank auf, in dem auch die geernteten Blüten getrocknet würden. Die Blüten von 8 Pflanzen ergäben etwa 100 g Cannabis, was seinem Monatsbedarf entspreche. Ein etwaiger Überschuss werde in einem Tresor gelagert. Die Pflanzenreste würden in einem speziellen Küchenkomposter zu Kompost und Flüssigdünger für andere Gartenpflanzen verarbeitet. Die monatlichen Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. beliefen sich auf etwa 110 Euro. Da die Pflanzen aus Stecklingen gezogen würden, hätten sie bis zu mehreren Jahren die gleiche Genetik und auch die gleiche Wirksamkeit, so dass eine einmalige Bestimmung des THC-Gehalts ausreichend sei. Er plane unter anderem, die Zimmertür zwischen Badezimmer und zentralem Wohnraum durch ein Fingerprintschloss zu schützen und das Flügelfenster zum Bad zusätzlich mit verschließbaren Griffen zu versehen. Zusätzlich könne es mit einem Stahlgitter geschützt werden. Die Tür zum Badezimmer und das Fenster sollten überdies mit einer IP-Kamera überwacht werden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein signifikant niedriger Gefährdungsgrad bestehe, da er, der Kläger, aufgrund seiner Erkrankung fast ausschließlich zu Hause sei. Publikumsverkehr finde nicht statt. Außer ihm und seiner Lebensgefährtin halte sich in der Wohnung nur die Krankengymnastin für die Dauer der Anwendungen auf.
16Mit Schreiben vom 29. Juni 2010 teilte das BfArM dem BMG mit: Die vom Kläger vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien zur Sicherung des Betäubungsmittelverkehrs geeignet und ausreichend. Eine zusätzliche Installation einer Kamera für die seltenen Fälle der Abwesenheit erscheine unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Auch sei für die Lagerung überschüssiger Blüten mit einer Höchstmenge von 100 g ein zertifizierter Wertschutzschrank nicht erforderlich. Notwendig sei allerdings die Anbringung eines zusätzlichen Gitters vor dem ‑ sich häufig in Kippstellung befindlichen - Badezimmerfenster. Auch dürften die Schwankungen des THC-Gehalts bei der von dem Kläger beschriebenen Kultivierungsmethode eher gering sein. Eine konkrete Bestimmung des THC-Gehalts werde von den Untersuchungseinrichtungen ohne das Vorliegen einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nicht durchgeführt. Ferner sei die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht erforderlich. Eine Gefahr der illegalen Weitergabe durch Groß- und Einzelhändler sei beim Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken nicht gegeben, da der Patient die Substanz selbst benötige. Abgesehen davon müssten bei einer Entscheidung gemäß § 5 Abs. 2 BtMG die mit der Einrichtung einer Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen gegenüber dem Interesse des einzelnen Patienten an einer Ausnahmegenehmigung zu medizinischen Zwecken abgewogen werden.
17Mit an das BfArM gerichtetem Schreiben vom 16. Juli 2010 führte das BMG aus: Das Entschließungsermessen des BfArM sei nicht auf Null reduziert. Die Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes (notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung bzw. des Klägers) geböten nicht die Erlaubniserteilung. Eine Versagung bewirke keine Grundrechtsverletzung des Klägers (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), da Therapiealternativen verfügbar seien. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei mangels Kenntnis des Wirkstoffgehalts, der Qualität und der Menge des vom Kläger angebauten Cannabis nicht gegeben. Auch seien die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten anzuwenden. Ferner stelle der Verstoß gegen Internationales Recht einen Versagungsgrund dar. Deutschland arbeite eng mit dem Internationalen Suchtstoffkontrollrat (INCB) zusammen.
18Das BfArM hat eine Stellungnahme des INCB vom 30. Juli 2010 eingeholt. Danach gibt es im Falle der Zulassung des Anbaus keine Ausnahme von der Pflicht zur Errichtung einer staatlichen Opiumstelle und gilt diese Pflicht auch beim Anbau der Hanfkrautpflanze durch eine Einzelperson zum Zwecke der Eigenbehandlung.
19Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 wies das BfArM den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte aus: Der Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken stünden die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG entgegen. Es seien die Richtlinien des BfArM vom 1. Januar 2007 zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten, wonach u. a. zertifizierte Wertschutzschränke zu verwenden seien, nicht eingehalten worden. Beim Anbau in einem einzigen Badezimmer einer 2-Zimmer-Wohnung sei ein Zugang Dritter unvermeidbar. Auch sei der Eigenanbau zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers nicht notwendig und ungeeignet (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Er sei nicht kostengünstiger als Cannabisextrakt oder „Dronabinol“. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei beim Eigenanbau, anders als beim bereits erlaubten Erwerb niederländischen Medizinalhanfs, nicht gewährleistet. Auch könne die Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BtMG versagt werden, wenn sie der Durchführung des Internationalen Suchtstoffabkommens (hier: Einheits-Übereinkommen von 1961 - ÜK 1961 -) entgegenstehe. So liege der Fall hier, weil Deutschland mangels Einrichtung einer Cannabis-Agentur bei Stattgabe des Erlaubnisantrags gegen seine internationalen Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstieße. Bei der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass Deutschland eng mit dem INCB zusammenarbeite und daher das Interesse des Klägers an einer Versorgung und Behandlung mit Cannabis zurückstehen müsse. Abgesehen davon stehe nach § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubniserteilung im Ermessen der Behörde. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der notwendigen medizinischen Versorgung des Klägers schon durch die zur Verfügung stehende alternative Cannabis-Therapie genüge getan werde.
20Der Kläger hat die Klage nach Erlass des Widerspruchsbescheids fortgeführt und geltend gemacht: Bei einer notwendigen medizinischen Anwendung des Betäubungsmittels durch Privatpersonen sei § 5 Abs. 1 BtMG modifiziert anzuwenden. Die von ihm vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien ausreichend. In seiner Wohnung finde kein Publikumsverkehr statt. Da die angebaute Cannabismenge überschaubar sei, bliebe ein Entwenden von Pflanzen auch nicht unbemerkt. Ferner könnten für das durch Eigenanbau gewonnene Pflanzenmaterial ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis keine Erkenntnisse über den Wirkstoff eingeholt werden. Im Übrigen bedürfe es in seinem Fall keiner Einrichtung einer Cannabis-Agentur. Das Schreiben des INCB vom 30. Juli 2010 sei nicht bindend. Auch habe die Beklagte nicht begründet, warum die geforderte Cannabis-Agentur nicht eingerichtet werde. Die Entscheidung der Beklagten sei auch deshalb fehlerhaft, weil sie die für die Bewilligung sprechenden Gründe ‑ insbesondere, dass für ihn der Cannabis-Eigenanbau die einzige realisierbare Möglichkeit der Linderung seiner Beschwerden sei - nicht in ihre Ermessensentscheidung einbezogen habe.
21Der Kläger hat beantragt,
22die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verpflichten, dem Kläger zu erlauben, Cannabis (Indica-Sativa-Hybriden) in seiner Wohnung C1.----straße 24, N.,anzubauen, zu ernten und zum medizinischen Zweck seiner Behandlung zu verwenden sowie bei Bedarf die entsprechenden Mutterpflanzen dieser Spezies zu erwerben und ggf. einzuführen.
23Die Beklagte hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft sowie ergänzend geltend gemacht: Ihre Ermessensausübung sei nicht fehlerhaft. Die mit der Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen seien gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Ausnahmegenehmigung zum Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken sorgfältig abgewogen worden.
26Das Verwaltungsgericht hat unter Zulassung der Berufung die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die ablehnende Entscheidung des BfArM sei rechtswidrig. Zwingende Versagungsgründe lägen nicht vor, zumal die Vorschrift des § 5 Abs. 1 BtMG in Fallgestaltungen wie der vorliegenden modifiziert anzuwenden sei. Die Sicherungsmaßnahmen des Klägers seien ausreichend. Der jahrelange Eigenanbau belege, dass der Kläger sich durch eine Therapie mit dem eigenangebauten Cannabis nicht selbst schädige. Der mit der Erlaubniserteilung verbundene Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffabkommen müsse nicht zwingend zu einer Versagung der Erlaubnis führen. Das BfArM habe gemäß § 5 Abs. 2 BtMG auch bei einem Verstoß gegen das Abkommen einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen die Interessen des Klägers angemessen zu berücksichtigen seien. Dieses Ermessen habe das BfArM bisher nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil es allein darauf abgestellt habe, dass eine Vertragsverletzung dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schade. Soweit das BfArM die Erlaubnis zum Eigenanbau nach § 3 Abs. 2 BtMG im Rahmen seines Ermessens versagt habe, habe es sein Ermessen ebenfalls fehlerhaft ausgeübt. Das BfArM habe keine Prüfung zur Frage der Verfügbarkeit der alternativen Behandlungsmöglichkeiten vorgenommen, insbesondere nicht deren wirtschaftliche Verfügbarkeit festgestellt. Deshalb sei das BfArM verpflichtet, über den Erlaubnisantrag des Klägers neu zu entscheiden und dabei auch seinen gegenwärtigen Gesundheitszustand zu berücksichtigen, was zu einer anderen Entscheidung führen könne.
27Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, der sich der Kläger angeschlossen hat. Der Kläger hat im Berufungsverfahren bei der AOK S. -O. -P. erneut einen Antrag auf Übernahme der Kosten für „Dronabinol“ gestellt, den diese mit Schreiben vom 15. Juni 2012 abgelehnt hat. Auf den auf Veranlassung des Senats gestellten Antrag des Klägers vom 5. Oktober 2012 auf Übernahme der Kosten für Medizinalhanf hat die AOK S. -O. -P. nach erneuter Prüfung mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Kostenübernahme für „Dronabinol“ erklärt. Mit Schreiben vom 8. November 2012 hat sie mitgeteilt, einen Antrag auf Kostenübernahme von Medizinalhanf würde sie beim jetzigen Stand ablehnen, da die Therapie mit „Dronabinol“ bisher als geeignet gegolten habe und keinerlei Informationen zu Zulassungsstatus, Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis flos Bedrocan vorlägen. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 hat die AOK S. -O. -P. erneut mitgeteilt, dass die Möglichkeiten einer Standardtherapie nicht ausgeschöpft seien und daher keine Kostenzusage für Cannabis flos Bedrocan erteilt werde. Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 hat die AOK S. -O. -P. erklärt, ein erneuter Kostenübernahmeantrag für Medizinalhanf hätte auch jetzt keinen Erfolg.
28Der Senat hat mit Urteil vom 7. Dezember 2012 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen sowie die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe mit „Dronabinol“ ein gleich wirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung. Es sei derzeit davon auszugehen, dass „Dronabinol“ beim Kläger eine mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkung aufweise und eine Behandlung bisher nur an der fehlenden Kostenerstattung gescheitert sei. Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats durch Beschluss vom 24. Mai 2013 - 3 B 14.13 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Es hätte sich ihm aufdrängen müssen, den von den Beteiligten angeregten Therapieversuch mit „Dronabinol“ zu ermöglichen um festzustellen, ob es sich für den Kläger um ein gleich wirksames Mittel handele.
29Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor: Es stehe nicht fest, dass für den Kläger keine finanzierbaren Behandlungsalternativen verfügbar seien. Mit „Dronabinol“, für das die Krankenkasse eine Kostenübernahme erteilt habe, stehe ein gleich wirksames Arzneimittel zur Behandlung der bei dem Kläger bestehenden Symptomatik zur Verfügung. Dass hierfür die Höchstverschreibungsmenge überschritten werden müsse, sei unschädlich. Soweit sich der Kläger auf Stellungnahmen seines Arztes berufe, die nach seiner Auffassung das Gegenteil belegen sollten, bleibe die Frage unbeantwortet, aus welchen Gründen die Dosis von „Dronabinol“ - bei gleichzeitiger Reduktion der Cannabisdosis - nicht langsam bei mehreren Gaben täglich erhöht werden könne. Denn es gelte zu beantworten, ob eine Monotherapie mit „Dronabinol“ - in adäquater Darreichungsform und Dosierung - nach entsprechender Titration des „Dronabinol“ und Ausschleichen des Cannabis - zu einer zufriedenstellenden Symptomkontrolle bei dem Kläger führen könne. Dabei sei Zieldiagnose die Tetraspastik und die Ataxie, nicht aber eine ggf. bestehende Cannabisabhängigkeit. Denn die beim Kläger beschriebenen Symptome könnten auch den Entzugssyndromen einer behandlungsbedürftigen Cannabisabhängigkeit zuzuordnen sein. Auch wenn ein solcher Therapieversuch nur stationär erfolgen könne, sei dies dem Kläger zumutbar und auch ethisch vertretbar. Nach stationärer Umstellung könne die Therapie mit „Dronabinol“ in der Dosis von 4 x 20 Tropfen ambulant weitergeführt werden. Im Übrigen seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau nicht modifiziert anzuwenden. Jeder Anbau bedürfe einer umfangreichen Raumsicherung, die bei Aufzucht und Aufbewahrung der angebauten Pflanzen eine unbefugte Entnahme sicher verhindere. Ferner sehe das Internationale Suchtstoffübereinkommen bei jedem Anbau von Cannabis die Anwendung des Kontrollsystems sowie die Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur vor, die die Ernte unverzüglich aufkaufe und sobald wie möglich körperlich in Besitz nehme.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie
33die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
34Der Kläger beantragt,
35das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und nach dem erstinstanz-lichen Klageantrag zu erkennen,
36sowie
37die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
38Er trägt zur Begründung vor: Es gebe für ihn keine verfügbaren Behandlungsalternativen. Er nutze „Dronabinol“ lediglich ergänzend zu seinem selbstangebauten Cannabis. Eine Monotherapie mit „Dronabinol“ sei nicht möglich, weil sie sich nicht ausreichend auf seine Ataxie auswirke. Mit den von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen habe er - wie im Urteil des Senats gefordert - dargelegt, dass „Dronabinol“ nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit wie Cannabis aufweise. Ein stationärer Therapieversuch mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt sei ihm nicht zumutbar. Den stationären Aufenthalt im Jahr 2011 habe er abgebrochen. Ein Therapieversuch mit ungewissem Ausgang sei auch ethisch bedenklich, da es eine für ihn annehmbare und wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit gebe. Ein Therapieversuch mit „Dronabinol“ könne mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes einhergehen, was insbesondere für einen Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung gefährlich sei, weil es keinerlei Garantie gebe, dass eine solche Verschlechterung je wieder rückgängig gemacht werden könne. Auch eine Höchstdosierung mit 4 x 20 Tropfen Dronabinol mit ca. 66 mg THC decke schon rein rechnerisch nicht seinen Cannabisbedarf von 300 bis 500 mg THC pro Tag. Das Medikament „Sativex“ stelle ebenfalls keine verfügbare Behandlungsalternative dar. Er habe sich bereits ohne Erfolg in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen. Aufgrund der Einnahme von „Sativex“, die zudem außerhalb der zugelassenen Indikationen erfolgt sei, habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Eine Therapie mit „Cannabis flos Bedrocan“ stehe ihm nicht zur Verfügung, da die AOK S. -O. -P. am 7. Juni 2013 die Kostenübernahme für Medizinalhanf abgelehnt habe und er die Behandlungskosten nicht allein mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente bestreiten könnte. Im Übrigen stehe der Erlaubniserteilung nicht das ÜK 1961 entgegen. Art. 28 ÜK 1961 sehe die Gestattung des Anbaus von Cannabispflanzen vor. Der in dieser Vorschrift enthaltene Verweis auf das Kontrollsystem nach Art. 23 ÜK sei mit Blick auf die in Rede stehende Genehmigung von wenigen Pflanzen in einem Teil des Badezimmers ersichtlich unsinnig. Es bestehe ferner angesichts der Schwere der Erkrankung und der fehlenden Behandlungsalternativen ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis.
39Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Ärzte Dr. T. und Dr. H. als sachverständige Zeugen. Wegen des Gegenstandes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
40Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die weiteren beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten, Gerichtsakte des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ‑ L 4 KR 3828/01 - und Strafakten der Staatsanwaltschaft Mannheim - 310 Js 5518/02 ‑).
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
42Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Klägers haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet und im Übrigen die Klage abgewiesen.
43Der Versagungsbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags auf Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis zu therapeutischen Zwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
44Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 2 BtMG. Nach dieser Vorschrift kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Für den Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung bedarf es einer Erlaubnis des BfArM. Nach der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG zählt Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor.
45Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11. Mai 2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (vgl. Anlage III), steht hier nicht in Rede. Ebenso wenig sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt (Anlage II). Ein anderweitiges Verständnis der Regelung in Anlage II widerspräche dem erkennbaren Willen des Verordnungsgebers. Dieser hat in der Begründung des Verordnungsentwurfs (BR-Drs. 130/11 vom 3. März 2011) ausdrücklich ausgeführt, dass die Änderungen betreffend Cannabis in den Anlagen I bis III (allein) dem Zweck dienen, cannabishaltige Fertigarzneimittel in Deutschland herstellen, zulassen und verschreiben zu können.
46Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung A. Allgemeiner Teil, I. Ziel und Gegenstand des Verordnungsentwurfs.
47Mit der Aufhebung des generellen Verkehrsverbots für Cannabis sollen lediglich solche cannabishaltigen Arzneimittel verkehrsfähig werden, die unter den strengen Vorgaben des Arzneimittelrechts als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Ferner soll die Herstellung entsprechender Zubereitungen zu medizinischen Zwecken ermöglicht werden.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung B. Besonderer Teil, Zu Artikel 1 (Änderung der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes), Zu den Nummern 1 bis 3 Buchstabe a.
49Die unter der Position Cannabis in Anlage II angeführte Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken steht danach in untrennbarem Zusammenhang mit der Herstellung eines cannabishaltigen Fertigarzneimittels und betrifft nicht den Eigenanbau von Cannabis zwecks Selbstmedikation.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris.
51Die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung liegt unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls, im öffentlichen Interesse.
52Das öffentliche Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG daran, ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu erteilen, ist im Falle des Klägers gegeben. Danach kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Erkrankung möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris (Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu therapeutischen Zwecken); ferner BVerfG, Beschlüsse vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑, NJW 2000, 3126, und vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1772/02 ‑, PharmR 2005, 374.
54Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieser Bestimmung kommt im Wertehorizont des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Leben und körperliche Unversehrtheit sind in weiten Bereichen elementare Voraussetzung für die Wahrnehmung der übrigen Grundrechtsgewährleistungen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden. Dies gilt insbesondere durch die staatliche Unterbindung des Zugangs zu prinzipiell verfügbaren Therapiemethoden zur nicht unwesentlichen Minderung von Leiden.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, m. w. N., juris.
56Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht in enger Beziehung zur Menschenwürde, die zu achten und zu schützen nach Art. 1 GG Aufgabe aller staatlicher Gewalt ist. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur jeweils deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris.
58Die Behandlung des Klägers mit Cannabis liegt hier im öffentlichen Interesse. Der Kläger ist schwer krank. Er leidet seit 1985 an Multipler Sklerose, die inzwischen in die chronische Form übergegangen ist. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom Zentrum für Nervenheilkunde, N. , vom 17. Januar 2012 besteht bei dem Kläger eine sekundär chronische Multiple Sklerose mit ausgeprägter Gangstörung, Rumpf- und Extremitätenataxie, Tetraspastik und psychischer Veränderung (organische, emotional-labile Störung mit beeinträchtigter Impulskontrolle sowie mit leichter kognitiver Störung). Eine Heilung des Klägers scheidet aus.
59Der Annahme eines für eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG erforderlichen öffentlichen Interesses steht nicht von vornherein entgegen, dass die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis bei Multipler Sklerose bisher nicht allgemein wissenschaftlich nachgewiesen ist. Denn bei der vorliegenden schweren Erkrankung des Klägers stellt schon die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit eine Linderung dar, die im öffentlichen Interesse liegt. Bei schweren Erkrankungen - wie vorliegend - ohne Aussicht auf Heilung gebietet es in diesem Rahmen die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur dann auszuschließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten kann.
60Vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, juris.
61Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist nach den dem Senat verfügbaren Erkenntnissen beim Kläger ein therapeutischer Nutzen zu bejahen. Der Kläger wendet Cannabis seit inzwischen mehr als 25 Jahren an. Dies hat zu einer erheblichen subjektiven Linderung seiner Beschwerden, insbesondere im Bereich der Ataxie, Spastik und seiner psychischen Verfassung geführt. Dies wird durch die ärztlichen Befundberichte sowie die Aussage des behandelnden Arztes Dr. T. als sachverständiger Zeuge in der Berufungsverhandlung bestätigt. Bereits in der ärztlichen Stellungnahme der Klinik Dr. F. , Krankenhaus für Multiple Sklerose und andere Nerven- und Stoffwechselleiden, vom 22. Oktober 1999 wird ausgeführt, dass der Kläger aus subjektivem Empfinden aufgrund des Cannabiskonsums eine deutliche Besserung der Symptomatik der Multiplen Sklerose (Spastik beim Einschlafen, Schmerzen in den Muskeln, Zittern, Depressionen, Appetitlosigkeit, Müdigkeitsgefühl, Blasenfunktion, verwaschene Sprache und Gleichgewichtsstörungen) angeben konnte und sich dies mit der allgemeinen Erfahrung decke, dass sich vor allem Schmerzen, Spastik, psychische Beeinträchtigungen und Ataxie unter medizinisch kontrollierter Einnahme von Cannabis bessern können. Bei der Kenntnis des Krankheitsbildes des Klägers und bei den bisherigen guten Erfahrungen, die er mit dem Einsatz von Cannabis zur Linderung der Symptomatik gemacht habe, werde die weitere kontrollierte medizinische Einnahme von Cannabis nervenärztlicherseits uneingeschränkt empfohlen. Auch bestätigt Dr. T. , in dessen ärztlicher Behandlung sich der Kläger seit 1992 befindet, in seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 27. April 2007, dass das Cannabis ohne Zweifel einen nachweisbaren Effekt auf die Ataxie und die erheblichen Stimmungsschwankungen des Klägers habe, der ohne den Konsum von Cannabis aufbrausend sei und ein für seine Umgebung sehr belastendes Verhalten gezeigt habe. Den ärztlichen Bescheinigungen des Dr. T. vom 17. Januar 2012 und 2. Oktober 2012 ist zu entnehmen, dass der Kläger durch die regelmäßige Einnahme von Cannabis eine Besserung der Ataxie und vor allem auch der Beschwerden durch die Spastik erlebt. Das Gangbild sei unter kontinuierlicher Cannabis-Einnahme deutlich sicherer als ohne und die maximale Gehstrecke habe verlängert werden können. Einschließende Spasmen seien unter der Cannabis-Einnahme kaum vorhanden. Ferner führe das regelmäßige Rauchen von Cannabispflanzen-Extrakt beim Kläger zu einem stimmungsmäßigen Ausgleich und die vor Aufnahme des Cannabis-Konsums stark gestörte Impulskontrolle habe sich reguliert. Nach einer aktuellen Stellungnahme des Dr. T. vom 15. Januar 2014 geht es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut. Die Stimmungslage sei ausgeglichen, es bestehe eine ausreichende Beweglichkeit mit einer Gehdauer (mit Handstock) von etwa 30 Minuten. Es beständen keine Schluckschwierigkeiten, die dysarthrische Sprache sei ausreichend verständlich. Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die glaubhaften Angaben des Dr. T. als sachverständiger Zeuge, der in der Berufungsverhandlung angegeben hat, die psychische Verfassung und das Sozialverhalten hätten sich unter der Wirkung von Cannabis deutlich verbessert.
62Dem Kläger steht gegenwärtig kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel für die Behandlung der im Rahmen der Multiplen Sklerose auftretenden Ataxie und Spastik sowie des Psychosyndroms zur Verfügung.
63Anders als in dem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 25. April 2013 ausgeführt, stellt das zugelassene Arzneimittel „Sativex“ für den Kläger keine mögliche Standardtherapie dar. Das Arzneimittel „Sativex“, ein Pflanzenextrakt der Firma Almirall, das neben den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Delta-9-THC) und Cannabidiol (CBD) auch weitere Bestandteile von Cannabis sativa enthält, hat - ungeachtet der Frage seiner Finanzierbarkeit - schon deshalb nicht die gleiche Wirksamkeit wie das von dem Kläger angebaute Cannabis sativa, weil sein Anwendungsbereich auf die Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose beschränkt ist, während sich das vom Kläger angebaute Cannabis insgesamt positiv auf die Beschwerden Ataxie, Spastik und emotionale Labilität auswirkt. „Sativex“ wird laut Fachinformation als Zusatzbehandlung für eine Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose angewendet, die nicht angemessen auf eine andere anti-spastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen. Dies ist bei dem Kläger (gerade) nicht der Fall. Im Gegenteil hat die Einnahme von „Sativex“ bei ihm sogar zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geführt.
64Der Kläger hat sich bereits in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen, der zu einer Verstärkung seiner Beschwerden geführt hat. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 11. August 2011 hat der Kläger „Sativex“ als Ersatz für Marihuana eingenommen. Es habe ihm aber weder in geringen noch in höheren Dosen (bis zu 6 Hübe) geholfen. Die Einnahme von „Sativex“ habe ihn sehr müde gemacht, seine Bewegungen seien ihm schwer gefallen und nur verlangsamt möglich gewesen. Das Befinden und die Motorik hätten sich durch „Sativex“ verschlechtert. Auch habe er schlecht Luft bekommen und vermehrt das Asthmaspray einsetzen müssen. Nach Auskunft seiner Lebensgefährtin habe der Kläger während der Behandlung mit „Sativex“ überwiegend gelegen. In seiner weiteren fachärztlichen Bescheinigung vom 2. Oktober 2012 stellt Dr. T. fest, dass unter Sativex nicht die vergleichbaren Effekte wie unter Cannabis zu erzielen waren. Dem Einwand der Beklagten, der Therapieversuch sei unbeachtlich, weil er jedenfalls hinsichtlich der Dosierung nicht entsprechend der (klinischen) Vorgaben in der Zulassung durchgeführt worden sei, ist nicht zu folgen. Zwar sieht die Fachinformation der Firma Almirall unter Ziffer 4.2 „Art und Dauer der Anwendung“ eine zweiwöchige Titrationsphase vor, innerhalb derer die Anzahl der Sprühstöße entsprechend eines konkreten Dosierungsschemas täglich von einem auf bis zu 12 Sprühstöße langsam erhöht wird. Auch wird darauf hingewiesen, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis die optimale Dosierung gefunden wird, und dass Nebenwirkungen (etwa Müdigkeit) auftreten können, die aber üblicherweise schwach sind und nach einigen Tagen abklingen. Dem Kläger, bei dem die Nebenwirkungen offenbar gerade nicht in bloß schwacher Form aufgetreten sind, ist es mit Blick auf seine ausgeprägte Ataxie aber nicht zumutbar, die bis zu zwei Wochen dauernde Phase der Nebenwirkungen abzuwarten und in dieser Zeit noch weitere Beeinträchtigungen seiner ohnehin stark eingeschränkten Bewegungsfähigkeit hinzunehmen. Mit Blick auf die elementare Bedeutung des Grundrechts des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und unter Achtung seiner Menschenwürde ist es daher aus ethischen Gründen nicht zu verantworten, den schwer kranken Kläger erneut einem mehrwöchigen Behandlungsversuch mit „Sativex“ auszusetzen, obwohl die Behandlung des bei ihm im Vordergrund stehenden Symptoms der Multiplen Sklerose, der Ataxie, vom Anwendungsbereich von „Sativex“ gar nicht erfasst wird.
65Dem Kläger steht auch mit dem verschreibungsfähigen Wirkstoff „Dronabinol“ keine gleich wirksame Therapiealternative zur Verfügung. Zwar ist „Dronabinol“ für ihn nunmehr grundsätzlich verfügbar, nachdem die AOK S. -O. -P. mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Übernahme der Kosten für diesen Wirkstoff erklärt hat. Im Falle des Klägers ist jedoch derzeit anzunehmen, dass „Dronabinol“ nicht genauso wirkt wie Cannabis. Deshalb kann dahinstehen, ob er überhaupt auf das Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ verwiesen werden kann, das kein für die Erkrankung des Klägers zugelassenes (Fertig-)Arzneimittel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist.
66Der Senat geht dabei davon aus, dass „Dronabinol“, das aus dem Cannabis-Hauptwirkstoff Delta-9-THC besteht, grundsätzlich mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkungen auf die Symptome einer Multiplen Sklerose entfalten kann. So wird „Dronabinol“ vorwiegend gegen chronische/neuropathische Schmerzen und Spastik eingesetzt und kann bei Multipler Sklerose Muskelkrämpfe und Spastiken reduzieren. Der Stellungnahme des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) Dr. H. vom 6. Dezember 1999 ist zu entnehmen, dass Cannabis und THC eine Vielzahl von Wirkungen entfalten, die bei der Multiplen Sklerose therapeutischen Nutzen versprechen. THC bzw. Dronabinol sei der pharmakologisch wichtigste Inhaltsstoff der Hanfpflanze (cannabis sativa L.). Wenn auch die Cannabiswirkungen nicht durch die THC-Effekte allein erklärt würden, so machten diese Effekte doch den weitaus größten Teil der Gesamtwirkung aus. In einer Anzahl von Studien sei ein muskelentspannender Effekt von THC bzw. Cannabis nachgewiesen worden. Auch sei in verschiedenen Tiermodellen sowie klinischen Studien der schmerzhemmende Effekt von THC nachgewiesen und der Wirkungsmechanismus weitgehend aufgeklärt worden. Zu vielen anderen von Patienten geschilderten (positiven) Effekten lägen zwar keine klinischen Daten vor, sie würden jedoch häufig und unabhängig voneinander von den Betroffenen vorgetragen. In seiner - vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren überreichten - Stellungnahme vom 6. Februar 2001 verweist Dr. H. ebenfalls darauf, dass die durchgeführten klinischen Studien in ihrer Gesamtheit die Annahme nahelegen, dass Marihuana, Delta-9-THC und Nabilon (ein synthetisches Cannabinoid) wahrscheinlich nützliche symptomatische Wirkungen auf Spastik und Tremor entfalteten. Danach dürfe angenommen werden, dass THC bei Multipler Sklerose therapeutische Wirkung entfalte.
67Auch in dem vom Amtsgericht Mannheim im Strafverfahren 310 Js 5518/02 eingeholten fachneurologischen Aktengutachten des Universitätsklinikums Heidelberg vom 21. Februar 2003 wird die Einnahme von Cannabis und seinen Derivaten (gleichermaßen) zur Behandlung der Symptome der Multiplen Sklerose befürwortet. Ausweislich der Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. med. N. und Dr. med. T1. belegen verschiedene klinische Untersuchungen die Möglichkeit der therapeutischen Anwendung von Cannabisderivaten in der Medizin und insbesondere bei Erkrankungen des Nervensystems. Typische Wirkungen von Cannabis auf den Organismus seien Wohlbefinden und Entspannung, aber auch unerwünschte psychische Effekte wie Angst- und Panikzustände sowie Herzfrequenzbeschleunigung, Blutdruckveränderungen. Weitere Cannabiseffekte bestünden in einer Schmerzlinderung, Muskelrelaxierung, Krampflösung, Bewegungsharmonisierung, Sedierung, Appetitsteigerung, Entzündungshemmung und Bronchialerweiterung. Die zugelassenen Indikationen des synthetisch hergestellten Cannabisderivats Delta-9-THC „Dronabinol“ mit dem Handelsnamen „N1. ®“ seien in den USA zwar auf Gewichtsverlust bei Aids- und Tumorpatienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapiepatienten beschränkt, die mit anderen Medikamenten nicht zu beherrschen seien. Auch liege in Deutschland derzeit keine zugelassene Indikation für Cannabisderivate vor. Es sei dem Arzt jedoch frei gestellt, Cannabis im Rahmen eines individuellen Heilversuchs in Form von „Dronabinol“ zu verordnen. Potentielle Behandlungsindikationen aus neurologischer Sicht, für die in einzelnen Untersuchungen ein günstiger Effekt von Cannabis gezeigt worden sei, beträfen die Symptome der Spastik und Ataxie, des Schmerzes und der Depressionen, die auch bei der Multiplen Sklerose vorkämen. Es gebe mehrere Fallbeispiele, dass Cannabis bzw. seine Derivate für Symptome der Spastik und Ataxie hilfreich sein könnten.
68Ausgehend von der bei der Frage einer Therapiealternative im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG gebotenen konkret-individuellen Betrachtungsweise kann aber gegenwärtig nicht festgestellt werden, dass „Dronabinol“ auch beim Kläger genauso wirkt wie Cannabis. Hierauf deutet bereits die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vom Kläger vorgelegte Bescheinigung von Dr. T. vom 7. Februar 2013 hin, wonach „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen habe. Die Stimmungslage sei dadurch einigermaßen ausgeglichen, die Effekte auf Ataxie und Spasmen seien deutlich weniger spürbar als bei regelmäßigem oralem und inhalativem Cannabiskonsum von bis zu 3 g. Hintergrund dieser Feststellungen ist der Versuch des Klägers gewesen, sich nach der Kostenübernahme für „Dronabinol“ durch die AOK S. -O. -P. Ende 2012 auf diesen Wirkstoff umzustellen. Im Rahmen dieses (ambulanten) Umstellversuchs konnte der Kläger mit einer Dosis von 20 Tropfen „Dronabinol“ morgens eine gewisse Reduzierung des täglichen Cannabiskonsums erreichen. Hingegen muss der Versuch, den Cannabiskonsum mit „Dronabinol“ zu ersetzen und den Kläger allein damit zu behandeln, mit den Stellungnahmen seiner behandelnden Ärzte als gescheitert angesehen werden. Nach den Äußerungen der sachverständigen Zeugen Dr. T. und Dr. H. bewirkt die erreichte Dosis von derzeit 20 Tropfen „Dronabinol“ beim Kläger keine ausreichende Linderung der spastisch-ataktischen Symptomatik, wohingegen eine dafür erforderliche Dosis nicht erreicht werden kann, weil es durch eine Dosissteigerung zu einer erheblichen Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustands kommt. Die Ärzte haben sich dabei maßgeblich auf ihre bisherigen umfangreichen Erfahrungen bei der Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis gestützt, die sie dem Senat widerspruchsfrei und überzeugend vermittelt haben.
69Im Einzelnen:
70Nach der fachärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 7. Februar 2013 hat „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung beim Kläger keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen. Ausweislich seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli 2013 nimmt der Kläger derzeit morgens 20 Tropfen „Dronabinol“ und raucht im Laufe des Tages mindestens 10 Tütchen Haschisch/Marihuana. Unter dieser hohen Dosis fühle sich der Kläger subjektiv wohl. Im Hinblick auf diese Feststellungen hat der erkennende Senat Dr. T. um ergänzende schriftliche Stellungnahme gebeten, ob der Kläger ausschließlich mit „Dronabinol“ behandelt werden könne. Dr. T. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2014 weiter ausgeführt, dass es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut gehe. Eine Stimmungsaufhellung ist nach der Stellungnahme von Dr. T. vom 28. April 2014 erst bei einer Dosis von 20 Tropfen morgens vorübergehend festzustellen gewesen. Eine Besserung der spastisch-ataktischen Symptomatik sei nicht erkennbar gewesen. Der Versuch, die Einzeldosis auf mehr als 20 Tropfen zu steigern, sei misslungen, da es dadurch zu Unruhe, Fahrigkeit, zu Stimmungsschwankungen und auch Dysphorie gekommen sei. Danach ist davon auszugehen, dass die für eine beim Kläger ausreichende Symptomkontrolle ‑ insbesondere im Hinblick auf die Ataxie und Spastik - erforderliche Dosis „Dronabinol“ nicht erreicht werden kann, ohne dass unerwünschte erhebliche Nebenwirkungen im Bereich seiner psychischen Verfassung auftreten.
71Diese Einschätzung hat die Vernehmung der den Kläger behandelnden bzw. betreuenden Ärzte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der sachverständige Zeuge Dr. T. hat angegeben, dass eine weitere Erhöhung der Dosis ausscheide, weil dann die psychischen Zustände - Unruhe, Panik, Anspannung - beim Kläger eintreten würden. Bei der derzeitigen Dosis mit 20 Tropfen habe sich aber auch keine zufriedenstellende positive Lösung eingestellt, so dass weiterhin Cannabisblüten gegeben würden. Dr. T. kommt zu dem Ergebnis, dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ beim Kläger nur eine unwahrscheinliche Möglichkeit darstellt. Dies ist angesichts der von ihm beschriebenen Nebenwirkungen bei einer versuchten Steigerung der Dronabinoldosis, auf die der Kläger zur Symptomkontrolle der Ataxie und Spastik angewiesen wäre, auch plausibel. Dass die ärztlichen Feststellungen zur psychischen Verfassung des Klägers dabei wesentlich auf dessen Eigenwahrnehmung beruhen, mindert nicht deren Aussagewert und ist letztlich dem besonderen psychischen Krankheitsbild des Klägers geschuldet. Es ist dann Aufgabe des den Patienten behandelnden Arztes, die subjektiv unter der Gabe von „Dronabinol“ empfundenen Nebenwirkungen zu objektivieren. Dies hat Dr. T. in der erforderlichen Weise getan, indem er die Selbsteinschätzung des Untersuchten ärztlicherseits bestätigt und sie als ärztliche Feststellungen dem Senat vermittelt hat.
72Die Bewertung durch Dr. T. , dass eine erfolgreiche Monotherapie mit „Dronabinol“ im Falle des Klägers unwahrscheinlich ist, steht im Einklang mit seinen bisherigen schriftlichen Stellungnahmen. Soweit er in seiner Stellungnahme vom 28. April 2014 ausgeführt hat, es sei zu vermuten, dass mit einer Gesamtmenge von 4 x 20 Tropfen „Dronabinol“ am Tag ein einigermaßen dem bisherigen Cannabiskonsum vergleichbarer Effekt zu erzielen sein dürfte, hat er einen vermeintlich darin begründeten Widerspruch in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt. Dort hat Dr. T. klargestellt, dass es sich bei der Möglichkeit einer Monotherapie um eine rein theoretische Annahme seinerseits gehandelt habe. Dies ist auch angesichts seiner weiteren Feststellungen bei der Anwendung von „Dronabinol“ durch den Kläger ohne weiteres nachvollziehbar, weil danach schon eine Steigerung der Dosis von einmalig 20 Tropfen am Tag zu erheblichen Nebenwirkungen - vor allem im psychischen Bereich - geführt hat. Insoweit überwiegen nach Auskunft von Dr. T. die Aussagen des Klägers, dass er bei mehr als 20 Tropfen „Dronabinol“ hektisch, fahrig und panisch geworden sei und im Übrigen die Effekte auf Ataxie und Spasmen deutlich weniger spürbar als bei einem Cannabiskonsum gewesen seien. Dass nur theoretisch und medizinisch nicht begründet die Möglichkeit einer Monotherapie mit „Dronabinol“ besteht, entspricht auch der in der gleichen Stellungnahme des Dr. T. vom 28. April 2014 getroffenen Aussage, es sei unwahrscheinlich, dass durch ein anderes Medikament dem Cannabiskonsum vergleichbare Effekte im Falle des Untersuchten erzielt werden könnten.
73Dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ mit einer Dosierung von 4 x 20 Tropfen zu einer ausreichenden Symptomkontrolle beim Kläger führt, ist auch angesichts der damit vom Kläger aufgenommenen THC-Menge fernliegend. Wie Dr. H. , der den Kläger seit April 2014 in der Cannabisbehandlung begleitet, in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt hat, entspricht der Konsum von 3,5 g Cannabis täglich bei einer THC-Konzentration von 15 %, die regelmäßig bei der vom Kläger angebauten Sorte „Jack Herrer“ anzunehmen ist, 525 mg THC bzw. „Dronabinol“. Diese THC-Menge wird schon rein rechnerisch durch eine Dosis von 4 x 20 Tropfen täglich nicht ansatzweise erreicht. Dabei kann offen bleiben, ob dies, so die Auffassung der Beklagten, einer THC-Menge von nicht nur 66 mg, sondern 80 mg entspricht. Selbst wenn der tägliche Konsum - wie der Kläger an anderer Stelle ausführt - mit 165 mg THC bzw. „Dronabinol“ niedriger anzunehmen sein sollte, kann auch diese Menge durch die von Dr. T. angenommene Höchstmenge „Dronabinol“ nicht vollständig substituiert werden. Hinzu kommt, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, dass bei Patienten, die - wie der Kläger - sehr hohe Dosen Cannabis konsumierten, ein Ersetzen durch reines THC bzw. „Dronabinol“ nicht möglich sei, weil dann die ungefilterte Wirkung des THC zu stark durschlage und die Nebenstoffe des Cannabis fehlten, die bei hohen Dosen eine modulierende Wirkung entfalteten. Die entsprechende subjektive Wahrnehmung durch den Kläger konnte der sachverständige Zeuge angesichts anderer Patienten, mit denen er ähnliche Erfahrungen gemacht hat, bestätigen. Dr. H. hält deshalb eine Umstellung des Klägers auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ für nicht möglich. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung des in der Hauptverhandlung im Strafverfahren des Klägers angehörten Sachverständigen Prof. Dr. N. , der es nachvollziehbar und auch aus medizinischer Sicht als verständlich ansah, dass die Einnahme von „Dronabinol“ allein nicht dieselbe Linderung verschafft habe. Denn in „Dronabinol“ befände sich der reine Wirkstoff THC, wogegen bei der Einnahme von Cannabis andere pflanzliche Faktoren bei der Linderung eine Rolle spielen könnten, die allerdings in ihrer Zusammensetzung wissenschaftlich und medizinisch noch nicht erforscht seien (vgl. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 19. Januar 2005 - 310 Js 5518/02 -).
74Der Senat hat keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des als sachverständigen Zeugen angehörten Dr. H. zu zweifeln. Für seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht vor allem der persönliche Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von ihm gewinnen konnte. Etwaige Zweifel, die in seiner politischen Arbeit für die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) begründet sein könnten, sind dadurch ausgeräumt worden, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend deutlich gemacht hat, als Wissenschaftler, als politisch Engagierter und als Arzt in unterschiedlichen Funktionen tätig zu sein und zwischen diesen Tätigkeiten trennen zu können.
75Dem (sinngemäßen) Einwand der Beklagten, es fehle weiterhin an einer Beschreibung des Therapieverlaufs und seines Ergebnisses, um die Frage der gleichen therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ beantworten zu können, folgt der Senat nicht. Die ärztliche Einschätzung von Dr. T. , dass der Kläger bei realistischer Betrachtungsweise nicht auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ umgestellt werden kann, beruht auf Erkenntnissen aus seiner jahrzehntelangen Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis, zuletzt auf dem Therapieversuch nach der Kostenübernahmeerklärung für „Dronabinol“ durch die Krankenkasse. Sie wird zudem bestätigt durch die Feststellungen von Dr. H. , der umfangreiche Erfahrungen mit Patienten hat, die - wie der Kläger - mit Cannabis und/oder „Dronabinol“ behandelt werden. Welche Erkenntnisse darüber hinaus aus einer Dokumentation des gesamten Therapieverlaufs und dessen Ergebnis mit „Dronabinol“ gewonnen werden könnten, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Allein aus dem Fehlen einer schriftlichen Dokumentation des Therapieverlaufs mit „Dronabinol“ im Einzelnen ist jedenfalls - auch angesichts der zahlreichen schriftlichen fachärztlichen Bescheinigungen - nicht zu schließen, dass die dem Senat in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend vermittelte Einschätzung beider Ärzte auf einer fehlenden tatsächlichen Grundlage und von daher nicht medizinisch fundiert getroffen worden ist.
76Hiervon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und seiner Menschenwürde ist dem Kläger der von der Beklagten geforderte stationäre Umstellversuch auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ nicht zuzumuten. Der schwer chronisch kranke Kläger, der derzeit nach den Aussagen seiner behandelnden Ärzte auf eine auf ihn subjektiv gut abgestimmte Therapieform eingestellt ist, muss sich nicht auf eine lediglich theoretische und damit für ihn nicht ansatzweise erfolgversprechende Therapiealternative mit ungewissem Ausgang einlassen. Eine medizinische Indikation, einen stationären Umstellversuch zu erzwingen, besteht nach Aussage des behandelnden Arztes beim Kläger ebenfalls nicht. Auch deshalb ist nicht anzunehmen, dass überhaupt eine Einrichtung gefunden werden kann, die einen solchen stationären Therapieversuch mit Dronabinoldosen jenseits der üblichen Mengen durchführt, und nicht ersichtlich, wer die Kosten hierfür übernimmt, was auch schon dem Umstellversuch im Dezember 2012 entgegenstand. Ein stationärer Umstellversuchs ist zudem als Möglichkeit einer zusätzlichen Tatsachengewinnung nicht erforderlich, weil der Senat die Überzeugung von einer im Falle des Klägers nicht mit Cannabis vergleichbaren Wirkung von „Dronabinol“ bereits auf der Grundlage der schriftlichen und mündlichen Aussagen der sachverständigen Zeugen gewinnen konnte.
77Mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnisse sieht sich der Senat nicht veranlasst, zur Frage der fehlenden vergleichbaren therapeutischen Wirkung von „Dronabinol“ beim Kläger ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die aussagekräftigen schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte reichen aus, um dem Senat die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung von der beim Kläger nicht vergleichbaren Wirkung einer Monotherapie mit „Dronabinol“ zu ermöglichen.
78Soweit die Lebensgefährtin des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Kläger mit Medizinalhanf der Sorte Bedrocan gut zurecht käme, weil er diese Sorte selbst angebaut habe, steht ihm diese Therapiealternative aus rechtlichen Gründen sowie im Hinblick auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch aus Kostengründen tatsächlich nicht zur Verfügung. Aufgrund der zwischenzeitlich durch die AOK S. -O. -P. erklärten Kostenübernahme für „Dronabinol“ und der damit nach Auffassung der Beklagten verbundenen Therapiealternative sieht sie sich bereits daran gehindert, dem Kläger eine Erwerbserlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen, die Voraussetzung für den Erwerb von Medizinalhanf aus der Apotheke ist. Außerdem kann der Kläger, der eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente von derzeit ca. 890,00 Euro bezieht, die monatlichen Kosten der von ihm benötigen Monatsdosis Cannabis nicht selbst tragen. Während die von ihm benötigten ca. 100 g „Cannabis flos Bedrocan“ monatliche Kosten von mindestens 400,00 Euro, wenn nicht sogar von 1.600,00 Euro, verursachen würden, entstehen ihm durch den Eigenanbau von Cannabis monatliche Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. in Höhe von ca. 110 Euro.
79Der Kläger bekommt die Kosten für „Cannabis flos Bedrocan“ auch nicht von seiner Krankenkasse erstattet. Dies ergibt sich aus der Ablehnung der Kostenübernahme durch die AOK S. -O. -P. vom 7. Juni 2013, die sie zuletzt auf Nachfrage des Senats am 10. Juni 2014 nochmals bestätigt hat. Dass nach der Beweisaufnahme für den Senat feststeht, dass „Dronabinol“ beim Kläger nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit hat wie Cannabis, rechtfertigt nicht die Annahme, die AOK S. -O. -P. werde nunmehr die Kostenübernahme für Medizinalhanf erklären. Dies folgt schon daraus, dass die Kostenübernahme nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 25. April 2013 nicht mit einer alternativen Therapiemöglichkeit mit dem Wirkstoff „Dronabinol“, sondern damit abgelehnt worden ist, dass zum einen beim Kläger keine schwere, lebensbedrohliche oder dem gleichzustellende Erkrankung vorliege und zum anderen die Möglichkeiten der Standardtherapie - hier mit Sativex - nicht ausgeschöpft seien. Es ist dem schwer kranken Kläger nicht mehr zumutbar, ein weiteres Mal den sozialgerichtlichen Klageweg hiergegen auszuschöpfen. Es liegt nicht in der Hand des Klägers, die rechtlichen Rahmenvorgaben für die Zulassung bzw. die krankenkassenrechtliche Kostenübernahme von Medizinalhanf als weitere Behandlungsalternative zu schaffen. Etwas anderes gilt im Hinblick auf den Ausnahmecharakter einer Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis allerdings dann, wenn dem Kläger in Zukunft eine Kostenübernahme für Medizinalhanf erteilt werden würde.
80Der Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis stehen weiter keine zwingenden Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG entgegen. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken modifiziert anzuwenden sind. § 5 Abs. 1 BtMG ist ‑ ebenso wie §§ 6, 7 BtMG - ersichtlich nicht auf Privatpersonen zugeschnitten, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren. Nachdem aber nach § 3 Abs. 2 BtMG auch für diese Personen die Erteilung einer Erlaubnis in Betracht kommt, ist § 5 Abs. 1 BtMG modifziert anzuwenden. Einerseits ist der Schutzzweck der Vorschrift zu beachten, andererseits darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, dass die Erteilung einer Erlaubnis an Privatpersonen, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren, praktisch ausscheidet oder unzumutbar erschwert wird.
81Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. März 2007
82- 13 E 1542/06 ‑, juris.
83Hiervon ausgehend erweist sich die Annahme des BfArM im Versagungsbescheid vom 6. Dezember 2007, der Erteilung der Erlaubnis stehe der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG entgegen, als rechtwidrig, weil sie die modifizierte Anwendung dieser Vorschrift außer Acht lässt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BtMG wird der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln, die keine Arzneimittel sind, durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln erbracht. Diese (strengen) Voraussetzungen dürfte der Kläger zwar offensichtlich nicht erfüllen. Jedoch ist auch § 6 Abs. 2 BtMG auf die Fallgestaltung des privaten Eigenanbaus von Cannabis aus therapeutischen Gründen modifiziert anzuwenden. Um dem Betroffenen die Erteilung der Erlaubnis nicht unzumutbar zu erschweren, kann eine sachkundige Betreuung auch auf andere Weise sichergestellt werden. Dabei käme zum einen in Betracht, den Hausarzt des Klägers, Dr. C. , als Verantwortlichen zu benennen. Dass eine Bereitschaft des Hausarztes Dr. C. zur Übernahme entsprechender Pflichten nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren. Dort hatte der Kläger bereits mit Schriftsatz vom 30. Mai 2007 darauf hingewiesen, dass sich sein Hausarzt Dr. C. zur Unterstützung bereit erklärt habe. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger aufgrund des jahrelangen - nach § 34 StGB gerechtfertigten - Eigenanbaus von Cannabis selbst bereits weitreichende Sachkenntnis gerade hinsichtlich der von ihm verwendeten Cannabissorte angeeignet hat. Abgesehen davon kann das BfArM gemäß § 6 Abs. 2 BtMG im Einzelfall auch von den in Absatz 1 genannten Anforderungen an die Sachkenntnis abweichen, wenn die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen gewährleistet sind. Das BfArM hat das ihm zustehende Ermessen bislang noch nicht ausgeübt, da es das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BtMG zu Unrecht verneint hat. Es hat in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 ausgeführt, dass eine Abweichung von § 6 Abs. 1 BtMG nicht möglich sei, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet seien, und zur Begründung sinngemäß auf die Ausführungen zum Vorliegen der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG verwiesen. Diese Begründung greift jedoch nicht, da die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG - wie nachfolgend ausgeführt ‑ nicht gegeben sind.
84Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind. Wer am Betäubungsmittelverkehr teilnimmt, hat die Betäubungsmittel, die sich in seinem Besitz befinden, gesondert aufzubewahren und gegen unbefugte Entnahme zu sichern (§ 15 Satz 1 BtMG). Das BfArM kann Sicherungsmaßnahmen anordnen, soweit es nach Art oder Umfang des Betäubungsmittelverkehrs, dem Gefährdungsgrad oder der Menge der Betäubungsmittel erforderlich ist (§ 15 Satz 2 BtMG).
85Die Vorschrift soll verhindern, zumindest erschweren, dass der illegale Betäubungsmittelhandel sich im Wege des Diebstahls, der Unterschlagung oder der unbefugten Entnahme aus legalen Betäubungsmitteldepots versorgt. Um die Diebstahlsgefahr möglichst gering zu halten, wird der Erlaubnisinhaber deshalb je nach Menge und Gefährdungsgrad der Betäubungsmittel zu besonderen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet.
86Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 1.
87Das BfArM hat Richtlinien entwickelt, wie Betäubungsmittelvorräte von Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG besonders gegen unbefugte Wegnahme zu sichern sind. Diese Richtlinien (Stand: 1. Januar 2007) unterscheiden drei Vorkehrungen, und zwar 1. Aufbewahrung in (zertifizierten Wertschutz‑)Schränken, 2. Aufbewahrung in Räumen und 3. zusätzliche elektrische Überwachung.
88Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 2.
89Entgegen der Auffassung der Beklagten finden diese Richtlinien beim Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung zur medizinischen Eigenbehandlung des Wohnungsinhabers aber keine Anwendung. Die Richtlinien sind - ebenso wie die Regelung in § 5 Abs. 1 BtMG selbst - nicht auf diese Fallkonstellation zugeschnitten, weil die darin geforderten Sicherungsmaßnahmen (z. B. zertifizierte Wertschutzschränke und -türen) und die hierfür anfallenden Kosten ersichtlich außer Verhältnis zu dem Gefahrenpotential stehen, das die wenigen für die Eigentherapie benötigten Cannabispflanzen bergen. Von Privatpersonen können daher nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen verlangt werden.
90Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. März 2007 - 13 E 1542/06 - und vom 16. November 2011 ‑ 13 B 1199/11 ‑, jeweils juris.
91Hiervon ausgehend greift die Begründung des BfArM in seinen Bescheiden vom 6. Dezember 2007 und 10. August 2010, wonach bereits mangels Einhaltung der Richtlinien vom 1. Januar 2007, insbesondere zur Aufbewahrung der Cannabisvorräte in einem zertifizierten Wertschutzschrank, der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG gegeben sei, nicht durch. Vielmehr können von dem Kläger nur zumutbare und dem Sicherungszweck angemessene Sicherungsmaßnahmen verlangt werden. Die vom Kläger bereits mit Schriftsatz vom 10. Mai 2010 detailliert benannten ‑ zum Teil noch im Planungsstadium befindlichen - Sicherungsmaßnahmen sind mit Blick auf Art und Umfang des Betäubungsmittelverkehrs (Cannabisanbau ausschließlich zum Eigenkonsum) sowie auf den Gefährdungsgrad (gering frequentierte Wohnung des Klägers) als ausreichend anzusehen. Gegen ein Eindringen Unbefugter von außen schützen zunächst die dreifach verriegelte Wohnungseingangstür und die sicherheitsverglasten, sechsfach verriegelten Fenster, die zudem mit einem Aufhebelschutz versehen sind. Befindet sich das Badezimmerfenster in Kippstellung, sorgt die geplante Anbringung eines Gitters für den erforderlichen Schutz. Die Pflanzen sind auch innerhalb der Wohnung ausreichend gegen eine unbefugte Entwendung geschützt. Die Wohnung des Klägers wird kaum von Dritten frequentiert; der Kläger bewohnt die Wohnung zusammen mit seiner Lebensgefährtin und erhält wenig Besuch. Die Kranken-gymnastin, die eine Zeit lang die Wohnung regelmäßig aufgesucht hat, hat ihre Tätigkeit beendet. Die Frage, ob die Wohnung künftig durch externes Pflege-personal aufgesucht wird, stellt sich noch nicht. Für die fernliegende Möglichkeit, dass ein Dritter das Badezimmer des Klägers aufsucht, ist ebenfalls ausreichend Schutz gewährleistet. Die Pflanzen in der Blühphase (2 x 8 Pflanzen) dürften für einen Dritten nicht ohne Weiteres sichtbar sein, weil sie in der gemauerten Dusche unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe herangezogen werden. Jeden-falls würde dem Kläger angesichts der überschaubaren Menge das Fehlen einer Pflanze sofort auffallen. Im Übrigen hat der Kläger die Anbringung eines Fingerprintschlosses angeboten, so dass er das Aufsuchen seines Badezimmers unter Kontrolle hätte. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) sind in einem Schrank aufbewahrt; ein überschüssiger Ertrag aus den getrockneten Blüten von 8 Pflanzen, der nach Angaben des Klägers in etwa seinen Monatsbedarf an 100 g Cannabis deckt, wird in einem Tresor gelagert. Darüber hinaus hat der Kläger ein erhebliches Eigeninteresse, dass das Cannabis nicht an Dritte gelangt, weil er es zur Behandlung selbst benötigt. Für den ‑ seltenen - Fall seiner Abwesenheit will der Kläger ebenfalls vorsorgen. Er beabsichtigt die Überwachung der Tür zum Badezimmer und des Fensters mit einer IP-Kamera, die aufgrund eines programmierten Bewegungsmelders bei Bewegungen im Raum eine E-Mail mit Bildern an ein Handy schickt. In diesem Fall könnte der Kläger umgehend die Polizei benachrichtigen.
92Dass die dargestellten Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, hat das BfArM auch im Berufungsverfahren nicht substantiiert dargelegt. Entgegen der Auffassung des BfArM kommt - mit Blick auf § 15 Satz 2 BtMG ‑ auch eine Erlaubniserteilung unter Auflagen in Betracht. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BtMG kann die Erlaubnis befristet, mit Bedingungen erlassen oder mit Auflagen versehen werden, wenn dies zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Damit können die Nebenbestimmungen auch zwingende Versagungsgründe des § 5 BtMG ausräumen.
93Vgl. VG Berlin, Urteil vom 27. Juni 1996 - VG 14 A 134/94 -, NJW 1997, 816; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 9, Rn. 9.
94Das BfArM kann daher eine Erlaubnis unter der Auflage, bestimmte Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen, erteilen, und damit auch für eine Umsetzung der bislang nur im Planungsstadium befindlichen Sicherheitsvorkehrungen sorgen.
95Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG ist nicht gegeben. Hiernach ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn durch das beantragte Projekt die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet sind.
96Die Erteilung einer Anbauerlaubnis geringer Cannabismengen zur therapeutischen Behandlung einer schweren Krankheit unter ärztlicher Aufsicht verstößt nicht generell gegen § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG, da eine ärztliche Betreuung die erforderliche Sicherheit und Kontrolle gewährleisten kann.
97Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 5, Rn. 14 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑; Weber, BtMG, Kommentar, 4. Auflage 2013, § 5, Rn. 33 unter Bezugnahme auf OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2012 - 13 A 414/11 -.
98Hiervon ausgehend liegt ein Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das vom Kläger (in einer überschaubaren Menge) angebaute Cannabis dem illegalen Betäubungsmittelverkehr zugeführt werden könnte. Der Kläger hat substantiiert dargelegt, dass er das angebaute Cannabis zur Eigentherapie benötigt und die geernteten Blüten ausschließlich für den Eigenverbrauch weiter verarbeitet bzw. - im Ausnahmefall - nicht benötigte Blüten im Tresor aufbewahrt und die Reste der Pflanzen zu Kompost und Dünger verarbeitet. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des angebauten Cannabis durch den Kläger. Zwar hat das BfArM in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 darauf verwiesen, dass ein Betäubungsmittelverkehr zu therapeutischen Zwecken mit Pflanzenteilen, die hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit in keiner Weise arzneimittelrechtlichen Standards entsprechen könnten, weder sicher sein noch wirksam kontrolliert werden könne. Der Senat geht aber in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich der Wirksamkeit und der Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte verfügt und die von ihm praktizierte Vermehrungsmethode eine relative Gewähr für einen konstanten THC-Gehalt der Cannabispflanzen bietet. Auch hat der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren klargestellt, dass der Eigenanbau unter hausärztlicher Kontrolle erfolge. Abgesehen davon ist dem Kläger die fehlende konkrete Bestimmung des THC-Gehalts des von ihm angebauten Cannabis nicht anzulasten, da diese derzeit aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Das BfArM hat bereits in seinem an das BMG gerichteten Schreiben vom 29. Juni 2010 darauf hingewiesen, dass derartige Untersuchungen von den entsprechenden Einrichtungen nicht ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis durchgeführt werden.
99Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist.
100Angesichts der nunmehr belegten unzureichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf durch die AOK S. -O. -P. ist der vom Kläger beantragte Eigenanbau von Cannabis nach den obigen Ausführungen derzeit für seine medizinische Versorgung notwendig und geeignet. Kann der Kläger deshalb seine notwendige medizinische Versorgung gegenwärtig nur durch den Eigenanbau von Cannabis sicherstellen, ist es auch hinzunehmen, dass bei dem schwer kranken Kläger inzwischen eine Betäubungsmittelabhängigkeit entstanden ist.
101Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 BtMG mit der Begründung versagt werden, die Erlaubniserteilung verlange nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl II, S. 111; im Folgenden: ÜK 1961) die Einrichtung einer Cannabis-Agentur, die aber nicht geplant sei. Gemäß § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis (u. a.) versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen entgegensteht. Einer Entscheidung zu Gunsten des Klägers steht das ÜK 1961 nicht entgegen. Zum einen bringt das ÜK 1961 in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 3, Rn. 77.
103Zum anderen finden - entgegen der im Schreiben vom 30. Juli 2010 vertretenen Auffassung des INCB - Art. 28 Abs. 1, 23 ÜK 1961, die bei einer Erlaubniserteilung für den Anbau von Cannabis die Errichtung einer staatlichen Stelle vorsehen, auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Die Bestimmungen sind nach ihrem Sinn und Zweck auf den Fall der Erlaubniserteilung an eine Einzelperson zu therapeutischen Zwecken nicht anwendbar. Gestattet eine Vertragspartei den Anbau von Cannabis zur Gewinnung von Cannabis oder Cannabisharz, so errichtet sie, wenn dies nicht bereits geschehen ist, und unterhält eine oder mehrere staatliche Stellen zur Wahrnehmung der in diesem Artikel vorgesehenen Aufgaben (Art. 28 Abs. 1 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 ÜK 1961). Ausweislich der in Art. 23 ÜK 1961 geregelten Aufgabenzuteilung spricht aber Überwiegendes dafür, dass der „Stelle“, die in der BRD als Cannabis-Agentur eingerichtet würde, nur die Kontrolle über den großflächigen Anbau von Cannabis obliegt und jedenfalls der vorliegende Einzelfall des Eigenanbaus von maximal 24 Cannabispflanzen, die aus therapeutischen Zwecken zum absehbaren Eigenverbrauch gedacht sind, ersichtlich nicht erfasst ist. So bezeichnet etwa die Stelle die Gebiete und Landparzellen, auf denen der Anbau von Cannabis gestattet wird (Art. 23 Abs. 2 a) ÜK 1961) und kauft, nachdem alle Anbauer von Cannabis die gesamte Ernte abgeliefert haben, die geernteten Mengen und nimmt sie körperlich in Besitz (Art. 23 Abs. 2 d) ÜK 1961). Für eine derartige Vorgehensweise besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung. Der Kläger verbraucht das von ihm ‑ in einer überschaubaren Menge ‑ angebaute Cannabis unmittelbar nach der Ernte zu therapeutischen Zwecken. Abgesehen davon hätte die Einrichtung einer Cannabis-Agentur im vorliegenden Fall die geradezu absurde Folge, dass der schwer kranke Kläger, der mangels Behandlungsalternative auf die ständige Verfügbarkeit des von ihm angebauten Cannabis sativa angewiesen ist, die von ihm geerntete (verhältnismäßig geringe) Cannabisernte an die Cannabis-Agentur verkaufen müsste, um sie sodann zurück zu erwerben. Wie zudem die praktische Abwicklung einer derartigen Prozedur dem in N. wohnhaften und durch seine Krankheit an die Wohnung gebundenen Kläger innerhalb eines zumutbaren zeitlichen Rahmens möglich sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
104Abgesehen davon erweist sich eine - wie vom BfArM im Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 getroffene - Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 BtMG aber auch bei Annahme eines Verstoßes gegen das ÜK 1961 als fehlerhaft. Die Ermessenskontrolle ist zwar ihrer Natur nach eine nachvollziehende Kontrolle, dennoch beschränkt sie sich nicht auf die Suche nach der Berücksichtigung sachwidriger Gesichtspunkte. Eine Ermessensentscheidung ist (auch) fehlerhaft, wenn wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen werden, die zu berücksichtigen gewesen wären.
105Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 19. Auflage 2013, § 114 Rn. 12; Wolf, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Auflage 2014, § 114, Rn. 178.
106So liegt hier der Fall, weil das BfArM ausschließlich auf im öffentlichen Interesse liegende Gesichtspunkte abstellt und geltend macht, dass eine Verletzung der sich aus dem ÜK 1961 ergebenden Pflichten die enge Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit dem INCB belastet. Insoweit lässt es wesentliche Belange des Klägers außer Acht, die für die Erteilung der Erlaubnis sprechen. Das BfArM hätte konkret auch die Schwere der Erkrankung des Klägers, die fehlende alternative Behandlungsmöglichkeit und seine hochrangigen Schutzgüter aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berücksichtigen müssen. Ferner hätte es bei seiner Ermessensausübung mit Blick auf die besondere Notlage des Klägers zu seinen Gunsten beachten müssen, dass der Kläger selbst die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht beeinflussen kann.
107Ebenso erweisen sich angesichts der fehlenden ausreichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf die bislang vom BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG getroffenen Ermessenserwägungen als fehlerhaft. Das BfArM geht insoweit zu Unrecht vom Vorliegen einer verfügbaren konkreten Therapiemöglichkeit mit cannabishaltigen Präparaten aus, da diese für den Kläger angesichts seiner geringen Einkünfte tatsächlich nicht erreichbar sind.
108Das Fehlen zwingender Versagungsgründe rechtfertigt es indes nicht, die Beklagte entsprechend dem Antrag des Klägers zur Erteilung der Erlaubnis zu verpflichten, vielmehr steht die begehrte Erlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 -, juris.
110Bei der Ausübung des Ermessens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats wird das BfArM insbesondere § 6 Abs. 2 BtMG zu prüfen sowie über mögliche Nebenbestimmungen zur Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 BtMG zu entscheiden haben.
111Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
112Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
113Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Hinblick auf die modifizierende Anwendung der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG vorliegen.
(1) Die Erlaubnis ist zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen auf den jeweils notwendigen Umfang zu beschränken. Sie muß insbesondere regeln:
- 1.
die Art der Betäubungsmittel und des Betäubungsmittelverkehrs, - 2.
die voraussichtliche Jahresmenge und den Bestand an Betäubungsmitteln, - 3.
die Lage der Betriebstätten und - 4.
den Herstellungsgang und die dabei anfallenden Ausgangs-, Zwischen- und Endprodukte, auch wenn sie keine Betäubungsmittel sind.
(2) Die Erlaubnis kann
wenn dies zur Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen erforderlich ist oder die Erlaubnis der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder von Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.Der Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 ist in doppelter Ausfertigung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu stellen, das eine Ausfertigung der zuständigen obersten Landesbehörde übersendet. Dem Antrag müssen folgende Angaben und Unterlagen beigefügt werden:
- 1.
die Namen, Vornamen oder die Firma und die Anschriften des Antragstellers und der Verantwortlichen, - 2.
für die Verantwortlichen die Nachweise über die erforderliche Sachkenntnis und Erklärungen darüber, ob und auf Grund welcher Umstände sie die ihnen obliegenden Verpflichtungen ständig erfüllen können, - 3.
eine Beschreibung der Lage der Betriebsstätten nach Ort (gegebenenfalls Flurbezeichnung), Straße, Hausnummer, Gebäude und Gebäudeteil sowie der Bauweise des Gebäudes, - 4.
eine Beschreibung der vorhandenen Sicherungen gegen die Entnahme von Betäubungsmitteln durch unbefugte Personen, - 5.
die Art des Betäubungsmittelverkehrs (§ 3 Abs. 1), - 6.
die Art und die voraussichtliche Jahresmenge der herzustellenden oder benötigten Betäubungsmittel, - 7.
im Falle des Herstellens (§ 2 Abs. 1 Nr. 4) von Betäubungsmitteln oder ausgenommenen Zubereitungen eine kurzgefaßte Beschreibung des Herstellungsganges unter Angabe von Art und Menge der Ausgangsstoffe oder -zubereitungen, der Zwischen- und Endprodukte, auch wenn Ausgangsstoffe oder -zubereitungen, Zwischen- oder Endprodukte keine Betäubungsmittel sind; bei nicht abgeteilten Zubereitungen zusätzlich die Gewichtsvomhundertsätze, bei abgeteilten Zubereitungen die Gewichtsmengen der je abgeteilte Form enthaltenen Betäubungsmittel und - 8.
im Falle des Verwendens zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken eine Erläuterung des verfolgten Zwecks unter Bezugnahme auf einschlägige wissenschaftliche Literatur.
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
Tenor
Die Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1963 geborene Kläger ist seit 1985 an Multipler Sklerose erkrankt, die sich zunächst schubweise mit unvollständigen Remissionen entwickelte und inzwischen in die chronische Verlaufsform übergegangen ist. Bei dem Kläger bestehen unter anderem eine ausgeprägte Gangstörung, eine spastische Tetraparese, eine Rumpf- und Extremitätenataxie, Dysarthrie und eine rezidivierende depressive Störung. Die Ataxie tritt im Wesentlichen als Störung der Grob- und Feinmotorik, des freien Gangs, des Standes und der Sprache in Erscheinung. Seit etwa 1987 behandelt der Kläger die Symptome seiner Erkrankung selbständig durch die regelmäßige Zufuhr von Cannabis und ist deswegen zunächst auch straffällig geworden. Zuletzt hat ihn das Amtsgericht Mannheim mit Urteil vom 19. Januar 2005 (3 Ls 310 Js 5518/02 AK 74/04) vom Vorwurf des Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen, da es sein Handeln als gerechtfertigt im Sinne des § 34 StGB ansah. Maßgeblich sei, dass es für die Behandlung der Ataxie keine zugelassenen Therapiealternativen gebe und die AOK die sehr hohen Kosten für das Medikament „Dronabinol“, bestehend aus THC, dem Hauptwirkstoff des Cannabis, nicht übernehme. Der Kläger, der als Fliesenleger tätig war, ist aufgrund seiner Erkrankung seit 1999 in Frührente und bezieht eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von ca. 890,00 Euro.
3Die - auch vom Kläger - erhobene Verfassungsbeschwerde gegen ein drohendes Strafverfahren und gegen die Strafdrohung wegen unerlaubter Einfuhr, unerlaubten Erwerbs oder Besitzes von Cannabis oder Marihuana nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑ nicht zur Entscheidung an, da die Betroffenen zunächst versuchen müssten, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen.
4Der Kläger stellte am 3. Mai 2000 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa und machte geltend, Cannabis löse bei ihm eine sehr gute (zusätzliche) therapeutische Wirksamkeit aus, die nicht durch andere Medizinprodukte oder Heilmittel zu erreichen sei. Das BfArM lehnte seinen Antrag mit Bescheid vom 31. Juli 2000 unter anderem mit der Begründung ab, die beantragte Erlaubnis liege auch mit Blick auf die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht im öffentlichen Interesse, da beim Kläger eine dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende ärztliche Versorgung mit Delta-9-THC durch die Anwendung eines verschreibungsfähigen Cannabisprodukts („Dronabinol“) möglich sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
5Das Sozialgericht Mannheim wies mit Urteil vom 9. August 2001 - S 8 KR 286/00 ‑ die Klage des Klägers auf Bewilligung von „Dronabinol-Tropfen“ als Sachleistung der Krankenkasse ab. Die hiergegen erhobene Berufung wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg durch Urteil vom 25. April 2003 – L 4 KR 3828/01 – zurück. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde wies das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 6. Januar 2005 ‑ B 1 KR 51/03 B ‑ zurück.
6Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 1023/01) auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zum Erwerb und zur Einfuhr von Cannabis zum Zwecke der medizinischen Behandlung, die - unter Zulassung der Berufung - mit Urteil vom 17. Februar 2004 abgewiesen wurde. Mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, in dem in einem auf die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis gerichteten Verfahren festgestellt wurde, diese könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, eine solche Behandlung liege nicht im öffentlichen Interesse, hob das BfArM den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 28. Juni 2006 auf. Daraufhin erklärten die Beteiligten das vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängige Berufungsverfahren (13 A 1534/04) übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt.
7Der Kläger stellte am 25. August 2006 bei der AOK S. -O. erneut einen Kostenübernahmeantrag für das Arzneimittel „Dronabinol“, den die Krankenkasse mit Schreiben vom 28. September 2006 ablehnte.
8Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 wies das BfArM den Kläger unter anderem auf Folgendes hin: Im Zusammenhang mit der Beantragung einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis verlange das Betäubungsmittelgesetz von dem Antragsteller oder einer für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften zu bestellenden verantwortlichen Person einen Nachweis über die erforderliche Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 6 BtMG). Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Kläger selbst oder eine andere Person die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen wolle. Der Sachkenntnisnachweis könne u. a. dadurch erbracht werden, dass der Kläger als Verantwortlichen einen Humanmediziner benenne.
9Unter dem 30. Mai 2007 machte der Kläger geltend: Sein Hausarzt, Dr. C. , habe sich bereit erklärt, ihn zu unterstützen, und sei Verantwortlicher mit Sachkenntnis. Er überprüfe insbesondere, dass die genehmigte Anbaumenge nicht überschritten werde. Im Übrigen habe das Amtsgericht Mannheim festgestellt, dass sein Verhalten gemäß § 34 StGB gerechtfertigt sei. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung komme daher nur die Erteilung der beantragten Genehmigung in Betracht. Ferner übersandte er eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom 27. April 2007.
10Mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 lehnte das BfArM den Antrag des Klägers vom 3. Mai 2000 ab: Die Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa liege nicht im öffentlichen Interesse. Der Eigenanbau von Cannabis sei nicht erforderlich, da auf Delta-9-THC standardisierte Cannabisextrakte erhältlich seien. Bei einem zugrundegelegten durchschnittlichen Monatsbedarf von 500 mg Delta-9-THC lägen die Behandlungskosten bei nur 150 Euro, während die monatlichen Kosten für „Dronabinol“ 350 Euro betrügen. Auch seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 und 6 BtMG gegeben. Weder seien geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für Anbau, Trocknung und Lagerung der Pflanzenteile nachgewiesen, noch sei eine effektive Kontrolle des Cannabiskonsums bei einem Eigenanbau durchführbar. Auch könne nicht von dem erforderlichen Sachkundenachweis abgesehen werden, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet sei. Ferner könnten bei einem Anbau durch Privatpersonen die Voraussetzungen für eine gleich bleibende Qualität nicht gewährleistet werden.
11Hiergegen erhob der Kläger am 8. Januar 2008 Widerspruch und machte unter anderem geltend: Er sei aus finanziellen Gründen auf den Anbau von Cannabis angewiesen. Er verwende seit Jahren aus medizinischen Gründen 100 g Cannabis im Monat, das 5.000 bis 10.000 mg THC entspreche und nach der Berechnung des BfArM monatliche Kosten in Höhe von 1.500 Euro verursachte. Diese Kosten seien für ihn bei einer monatlichen Erwerbsunfähigkeitsrente von (seinerzeit) 860 Euro nicht tragbar.
12Nachdem das BfArM die vom Kläger gesetzten Fristen zur Entscheidung über seinen Widerspruch hat verstreichen lassen, hat der Kläger am 20. Juni 2009 Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 3889/09) erhoben.
13Mit Schreiben vom 19. März 2010 versagte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Zustimmung zu der seitens des BfArM beabsichtigten Erteilung der beantragten Erlaubnis zum Eigenanbau für den Kläger.
14Das Verwaltungsgericht hat am 31. März 2010 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt.
15Daraufhin führte der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2010 aus: Der Anbau der Cannabispflanzen erfolge im Badezimmer. In der Blühphase stünden die Pflanzen in der gemauerten Duschkabine unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe. Im Blühraum stünden 2 x 8 Pflanzen mit einem Altersunterschied von vier Wochen. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) bewahre er in einem kleinen Schrank auf, in dem auch die geernteten Blüten getrocknet würden. Die Blüten von 8 Pflanzen ergäben etwa 100 g Cannabis, was seinem Monatsbedarf entspreche. Ein etwaiger Überschuss werde in einem Tresor gelagert. Die Pflanzenreste würden in einem speziellen Küchenkomposter zu Kompost und Flüssigdünger für andere Gartenpflanzen verarbeitet. Die monatlichen Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. beliefen sich auf etwa 110 Euro. Da die Pflanzen aus Stecklingen gezogen würden, hätten sie bis zu mehreren Jahren die gleiche Genetik und auch die gleiche Wirksamkeit, so dass eine einmalige Bestimmung des THC-Gehalts ausreichend sei. Er plane unter anderem, die Zimmertür zwischen Badezimmer und zentralem Wohnraum durch ein Fingerprintschloss zu schützen und das Flügelfenster zum Bad zusätzlich mit verschließbaren Griffen zu versehen. Zusätzlich könne es mit einem Stahlgitter geschützt werden. Die Tür zum Badezimmer und das Fenster sollten überdies mit einer IP-Kamera überwacht werden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein signifikant niedriger Gefährdungsgrad bestehe, da er, der Kläger, aufgrund seiner Erkrankung fast ausschließlich zu Hause sei. Publikumsverkehr finde nicht statt. Außer ihm und seiner Lebensgefährtin halte sich in der Wohnung nur die Krankengymnastin für die Dauer der Anwendungen auf.
16Mit Schreiben vom 29. Juni 2010 teilte das BfArM dem BMG mit: Die vom Kläger vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien zur Sicherung des Betäubungsmittelverkehrs geeignet und ausreichend. Eine zusätzliche Installation einer Kamera für die seltenen Fälle der Abwesenheit erscheine unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Auch sei für die Lagerung überschüssiger Blüten mit einer Höchstmenge von 100 g ein zertifizierter Wertschutzschrank nicht erforderlich. Notwendig sei allerdings die Anbringung eines zusätzlichen Gitters vor dem ‑ sich häufig in Kippstellung befindlichen - Badezimmerfenster. Auch dürften die Schwankungen des THC-Gehalts bei der von dem Kläger beschriebenen Kultivierungsmethode eher gering sein. Eine konkrete Bestimmung des THC-Gehalts werde von den Untersuchungseinrichtungen ohne das Vorliegen einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nicht durchgeführt. Ferner sei die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht erforderlich. Eine Gefahr der illegalen Weitergabe durch Groß- und Einzelhändler sei beim Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken nicht gegeben, da der Patient die Substanz selbst benötige. Abgesehen davon müssten bei einer Entscheidung gemäß § 5 Abs. 2 BtMG die mit der Einrichtung einer Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen gegenüber dem Interesse des einzelnen Patienten an einer Ausnahmegenehmigung zu medizinischen Zwecken abgewogen werden.
17Mit an das BfArM gerichtetem Schreiben vom 16. Juli 2010 führte das BMG aus: Das Entschließungsermessen des BfArM sei nicht auf Null reduziert. Die Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes (notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung bzw. des Klägers) geböten nicht die Erlaubniserteilung. Eine Versagung bewirke keine Grundrechtsverletzung des Klägers (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), da Therapiealternativen verfügbar seien. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei mangels Kenntnis des Wirkstoffgehalts, der Qualität und der Menge des vom Kläger angebauten Cannabis nicht gegeben. Auch seien die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten anzuwenden. Ferner stelle der Verstoß gegen Internationales Recht einen Versagungsgrund dar. Deutschland arbeite eng mit dem Internationalen Suchtstoffkontrollrat (INCB) zusammen.
18Das BfArM hat eine Stellungnahme des INCB vom 30. Juli 2010 eingeholt. Danach gibt es im Falle der Zulassung des Anbaus keine Ausnahme von der Pflicht zur Errichtung einer staatlichen Opiumstelle und gilt diese Pflicht auch beim Anbau der Hanfkrautpflanze durch eine Einzelperson zum Zwecke der Eigenbehandlung.
19Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 wies das BfArM den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte aus: Der Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken stünden die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG entgegen. Es seien die Richtlinien des BfArM vom 1. Januar 2007 zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten, wonach u. a. zertifizierte Wertschutzschränke zu verwenden seien, nicht eingehalten worden. Beim Anbau in einem einzigen Badezimmer einer 2-Zimmer-Wohnung sei ein Zugang Dritter unvermeidbar. Auch sei der Eigenanbau zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers nicht notwendig und ungeeignet (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Er sei nicht kostengünstiger als Cannabisextrakt oder „Dronabinol“. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei beim Eigenanbau, anders als beim bereits erlaubten Erwerb niederländischen Medizinalhanfs, nicht gewährleistet. Auch könne die Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BtMG versagt werden, wenn sie der Durchführung des Internationalen Suchtstoffabkommens (hier: Einheits-Übereinkommen von 1961 - ÜK 1961 -) entgegenstehe. So liege der Fall hier, weil Deutschland mangels Einrichtung einer Cannabis-Agentur bei Stattgabe des Erlaubnisantrags gegen seine internationalen Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstieße. Bei der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass Deutschland eng mit dem INCB zusammenarbeite und daher das Interesse des Klägers an einer Versorgung und Behandlung mit Cannabis zurückstehen müsse. Abgesehen davon stehe nach § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubniserteilung im Ermessen der Behörde. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der notwendigen medizinischen Versorgung des Klägers schon durch die zur Verfügung stehende alternative Cannabis-Therapie genüge getan werde.
20Der Kläger hat die Klage nach Erlass des Widerspruchsbescheids fortgeführt und geltend gemacht: Bei einer notwendigen medizinischen Anwendung des Betäubungsmittels durch Privatpersonen sei § 5 Abs. 1 BtMG modifiziert anzuwenden. Die von ihm vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien ausreichend. In seiner Wohnung finde kein Publikumsverkehr statt. Da die angebaute Cannabismenge überschaubar sei, bliebe ein Entwenden von Pflanzen auch nicht unbemerkt. Ferner könnten für das durch Eigenanbau gewonnene Pflanzenmaterial ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis keine Erkenntnisse über den Wirkstoff eingeholt werden. Im Übrigen bedürfe es in seinem Fall keiner Einrichtung einer Cannabis-Agentur. Das Schreiben des INCB vom 30. Juli 2010 sei nicht bindend. Auch habe die Beklagte nicht begründet, warum die geforderte Cannabis-Agentur nicht eingerichtet werde. Die Entscheidung der Beklagten sei auch deshalb fehlerhaft, weil sie die für die Bewilligung sprechenden Gründe ‑ insbesondere, dass für ihn der Cannabis-Eigenanbau die einzige realisierbare Möglichkeit der Linderung seiner Beschwerden sei - nicht in ihre Ermessensentscheidung einbezogen habe.
21Der Kläger hat beantragt,
22die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verpflichten, dem Kläger zu erlauben, Cannabis (Indica-Sativa-Hybriden) in seiner Wohnung C1.----straße 24, N.,anzubauen, zu ernten und zum medizinischen Zweck seiner Behandlung zu verwenden sowie bei Bedarf die entsprechenden Mutterpflanzen dieser Spezies zu erwerben und ggf. einzuführen.
23Die Beklagte hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft sowie ergänzend geltend gemacht: Ihre Ermessensausübung sei nicht fehlerhaft. Die mit der Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen seien gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Ausnahmegenehmigung zum Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken sorgfältig abgewogen worden.
26Das Verwaltungsgericht hat unter Zulassung der Berufung die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die ablehnende Entscheidung des BfArM sei rechtswidrig. Zwingende Versagungsgründe lägen nicht vor, zumal die Vorschrift des § 5 Abs. 1 BtMG in Fallgestaltungen wie der vorliegenden modifiziert anzuwenden sei. Die Sicherungsmaßnahmen des Klägers seien ausreichend. Der jahrelange Eigenanbau belege, dass der Kläger sich durch eine Therapie mit dem eigenangebauten Cannabis nicht selbst schädige. Der mit der Erlaubniserteilung verbundene Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffabkommen müsse nicht zwingend zu einer Versagung der Erlaubnis führen. Das BfArM habe gemäß § 5 Abs. 2 BtMG auch bei einem Verstoß gegen das Abkommen einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen die Interessen des Klägers angemessen zu berücksichtigen seien. Dieses Ermessen habe das BfArM bisher nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil es allein darauf abgestellt habe, dass eine Vertragsverletzung dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schade. Soweit das BfArM die Erlaubnis zum Eigenanbau nach § 3 Abs. 2 BtMG im Rahmen seines Ermessens versagt habe, habe es sein Ermessen ebenfalls fehlerhaft ausgeübt. Das BfArM habe keine Prüfung zur Frage der Verfügbarkeit der alternativen Behandlungsmöglichkeiten vorgenommen, insbesondere nicht deren wirtschaftliche Verfügbarkeit festgestellt. Deshalb sei das BfArM verpflichtet, über den Erlaubnisantrag des Klägers neu zu entscheiden und dabei auch seinen gegenwärtigen Gesundheitszustand zu berücksichtigen, was zu einer anderen Entscheidung führen könne.
27Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, der sich der Kläger angeschlossen hat. Der Kläger hat im Berufungsverfahren bei der AOK S. -O. -P. erneut einen Antrag auf Übernahme der Kosten für „Dronabinol“ gestellt, den diese mit Schreiben vom 15. Juni 2012 abgelehnt hat. Auf den auf Veranlassung des Senats gestellten Antrag des Klägers vom 5. Oktober 2012 auf Übernahme der Kosten für Medizinalhanf hat die AOK S. -O. -P. nach erneuter Prüfung mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Kostenübernahme für „Dronabinol“ erklärt. Mit Schreiben vom 8. November 2012 hat sie mitgeteilt, einen Antrag auf Kostenübernahme von Medizinalhanf würde sie beim jetzigen Stand ablehnen, da die Therapie mit „Dronabinol“ bisher als geeignet gegolten habe und keinerlei Informationen zu Zulassungsstatus, Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis flos Bedrocan vorlägen. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 hat die AOK S. -O. -P. erneut mitgeteilt, dass die Möglichkeiten einer Standardtherapie nicht ausgeschöpft seien und daher keine Kostenzusage für Cannabis flos Bedrocan erteilt werde. Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 hat die AOK S. -O. -P. erklärt, ein erneuter Kostenübernahmeantrag für Medizinalhanf hätte auch jetzt keinen Erfolg.
28Der Senat hat mit Urteil vom 7. Dezember 2012 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen sowie die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe mit „Dronabinol“ ein gleich wirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung. Es sei derzeit davon auszugehen, dass „Dronabinol“ beim Kläger eine mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkung aufweise und eine Behandlung bisher nur an der fehlenden Kostenerstattung gescheitert sei. Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats durch Beschluss vom 24. Mai 2013 - 3 B 14.13 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Es hätte sich ihm aufdrängen müssen, den von den Beteiligten angeregten Therapieversuch mit „Dronabinol“ zu ermöglichen um festzustellen, ob es sich für den Kläger um ein gleich wirksames Mittel handele.
29Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor: Es stehe nicht fest, dass für den Kläger keine finanzierbaren Behandlungsalternativen verfügbar seien. Mit „Dronabinol“, für das die Krankenkasse eine Kostenübernahme erteilt habe, stehe ein gleich wirksames Arzneimittel zur Behandlung der bei dem Kläger bestehenden Symptomatik zur Verfügung. Dass hierfür die Höchstverschreibungsmenge überschritten werden müsse, sei unschädlich. Soweit sich der Kläger auf Stellungnahmen seines Arztes berufe, die nach seiner Auffassung das Gegenteil belegen sollten, bleibe die Frage unbeantwortet, aus welchen Gründen die Dosis von „Dronabinol“ - bei gleichzeitiger Reduktion der Cannabisdosis - nicht langsam bei mehreren Gaben täglich erhöht werden könne. Denn es gelte zu beantworten, ob eine Monotherapie mit „Dronabinol“ - in adäquater Darreichungsform und Dosierung - nach entsprechender Titration des „Dronabinol“ und Ausschleichen des Cannabis - zu einer zufriedenstellenden Symptomkontrolle bei dem Kläger führen könne. Dabei sei Zieldiagnose die Tetraspastik und die Ataxie, nicht aber eine ggf. bestehende Cannabisabhängigkeit. Denn die beim Kläger beschriebenen Symptome könnten auch den Entzugssyndromen einer behandlungsbedürftigen Cannabisabhängigkeit zuzuordnen sein. Auch wenn ein solcher Therapieversuch nur stationär erfolgen könne, sei dies dem Kläger zumutbar und auch ethisch vertretbar. Nach stationärer Umstellung könne die Therapie mit „Dronabinol“ in der Dosis von 4 x 20 Tropfen ambulant weitergeführt werden. Im Übrigen seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau nicht modifiziert anzuwenden. Jeder Anbau bedürfe einer umfangreichen Raumsicherung, die bei Aufzucht und Aufbewahrung der angebauten Pflanzen eine unbefugte Entnahme sicher verhindere. Ferner sehe das Internationale Suchtstoffübereinkommen bei jedem Anbau von Cannabis die Anwendung des Kontrollsystems sowie die Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur vor, die die Ernte unverzüglich aufkaufe und sobald wie möglich körperlich in Besitz nehme.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie
33die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
34Der Kläger beantragt,
35das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und nach dem erstinstanz-lichen Klageantrag zu erkennen,
36sowie
37die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
38Er trägt zur Begründung vor: Es gebe für ihn keine verfügbaren Behandlungsalternativen. Er nutze „Dronabinol“ lediglich ergänzend zu seinem selbstangebauten Cannabis. Eine Monotherapie mit „Dronabinol“ sei nicht möglich, weil sie sich nicht ausreichend auf seine Ataxie auswirke. Mit den von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen habe er - wie im Urteil des Senats gefordert - dargelegt, dass „Dronabinol“ nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit wie Cannabis aufweise. Ein stationärer Therapieversuch mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt sei ihm nicht zumutbar. Den stationären Aufenthalt im Jahr 2011 habe er abgebrochen. Ein Therapieversuch mit ungewissem Ausgang sei auch ethisch bedenklich, da es eine für ihn annehmbare und wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit gebe. Ein Therapieversuch mit „Dronabinol“ könne mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes einhergehen, was insbesondere für einen Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung gefährlich sei, weil es keinerlei Garantie gebe, dass eine solche Verschlechterung je wieder rückgängig gemacht werden könne. Auch eine Höchstdosierung mit 4 x 20 Tropfen Dronabinol mit ca. 66 mg THC decke schon rein rechnerisch nicht seinen Cannabisbedarf von 300 bis 500 mg THC pro Tag. Das Medikament „Sativex“ stelle ebenfalls keine verfügbare Behandlungsalternative dar. Er habe sich bereits ohne Erfolg in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen. Aufgrund der Einnahme von „Sativex“, die zudem außerhalb der zugelassenen Indikationen erfolgt sei, habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Eine Therapie mit „Cannabis flos Bedrocan“ stehe ihm nicht zur Verfügung, da die AOK S. -O. -P. am 7. Juni 2013 die Kostenübernahme für Medizinalhanf abgelehnt habe und er die Behandlungskosten nicht allein mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente bestreiten könnte. Im Übrigen stehe der Erlaubniserteilung nicht das ÜK 1961 entgegen. Art. 28 ÜK 1961 sehe die Gestattung des Anbaus von Cannabispflanzen vor. Der in dieser Vorschrift enthaltene Verweis auf das Kontrollsystem nach Art. 23 ÜK sei mit Blick auf die in Rede stehende Genehmigung von wenigen Pflanzen in einem Teil des Badezimmers ersichtlich unsinnig. Es bestehe ferner angesichts der Schwere der Erkrankung und der fehlenden Behandlungsalternativen ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis.
39Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Ärzte Dr. T. und Dr. H. als sachverständige Zeugen. Wegen des Gegenstandes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
40Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die weiteren beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten, Gerichtsakte des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ‑ L 4 KR 3828/01 - und Strafakten der Staatsanwaltschaft Mannheim - 310 Js 5518/02 ‑).
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
42Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Klägers haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet und im Übrigen die Klage abgewiesen.
43Der Versagungsbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags auf Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis zu therapeutischen Zwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
44Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 2 BtMG. Nach dieser Vorschrift kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Für den Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung bedarf es einer Erlaubnis des BfArM. Nach der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG zählt Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor.
45Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11. Mai 2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (vgl. Anlage III), steht hier nicht in Rede. Ebenso wenig sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt (Anlage II). Ein anderweitiges Verständnis der Regelung in Anlage II widerspräche dem erkennbaren Willen des Verordnungsgebers. Dieser hat in der Begründung des Verordnungsentwurfs (BR-Drs. 130/11 vom 3. März 2011) ausdrücklich ausgeführt, dass die Änderungen betreffend Cannabis in den Anlagen I bis III (allein) dem Zweck dienen, cannabishaltige Fertigarzneimittel in Deutschland herstellen, zulassen und verschreiben zu können.
46Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung A. Allgemeiner Teil, I. Ziel und Gegenstand des Verordnungsentwurfs.
47Mit der Aufhebung des generellen Verkehrsverbots für Cannabis sollen lediglich solche cannabishaltigen Arzneimittel verkehrsfähig werden, die unter den strengen Vorgaben des Arzneimittelrechts als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Ferner soll die Herstellung entsprechender Zubereitungen zu medizinischen Zwecken ermöglicht werden.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung B. Besonderer Teil, Zu Artikel 1 (Änderung der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes), Zu den Nummern 1 bis 3 Buchstabe a.
49Die unter der Position Cannabis in Anlage II angeführte Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken steht danach in untrennbarem Zusammenhang mit der Herstellung eines cannabishaltigen Fertigarzneimittels und betrifft nicht den Eigenanbau von Cannabis zwecks Selbstmedikation.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris.
51Die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung liegt unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls, im öffentlichen Interesse.
52Das öffentliche Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG daran, ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu erteilen, ist im Falle des Klägers gegeben. Danach kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Erkrankung möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris (Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu therapeutischen Zwecken); ferner BVerfG, Beschlüsse vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑, NJW 2000, 3126, und vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1772/02 ‑, PharmR 2005, 374.
54Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieser Bestimmung kommt im Wertehorizont des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Leben und körperliche Unversehrtheit sind in weiten Bereichen elementare Voraussetzung für die Wahrnehmung der übrigen Grundrechtsgewährleistungen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden. Dies gilt insbesondere durch die staatliche Unterbindung des Zugangs zu prinzipiell verfügbaren Therapiemethoden zur nicht unwesentlichen Minderung von Leiden.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, m. w. N., juris.
56Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht in enger Beziehung zur Menschenwürde, die zu achten und zu schützen nach Art. 1 GG Aufgabe aller staatlicher Gewalt ist. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur jeweils deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris.
58Die Behandlung des Klägers mit Cannabis liegt hier im öffentlichen Interesse. Der Kläger ist schwer krank. Er leidet seit 1985 an Multipler Sklerose, die inzwischen in die chronische Form übergegangen ist. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom Zentrum für Nervenheilkunde, N. , vom 17. Januar 2012 besteht bei dem Kläger eine sekundär chronische Multiple Sklerose mit ausgeprägter Gangstörung, Rumpf- und Extremitätenataxie, Tetraspastik und psychischer Veränderung (organische, emotional-labile Störung mit beeinträchtigter Impulskontrolle sowie mit leichter kognitiver Störung). Eine Heilung des Klägers scheidet aus.
59Der Annahme eines für eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG erforderlichen öffentlichen Interesses steht nicht von vornherein entgegen, dass die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis bei Multipler Sklerose bisher nicht allgemein wissenschaftlich nachgewiesen ist. Denn bei der vorliegenden schweren Erkrankung des Klägers stellt schon die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit eine Linderung dar, die im öffentlichen Interesse liegt. Bei schweren Erkrankungen - wie vorliegend - ohne Aussicht auf Heilung gebietet es in diesem Rahmen die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur dann auszuschließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten kann.
60Vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, juris.
61Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist nach den dem Senat verfügbaren Erkenntnissen beim Kläger ein therapeutischer Nutzen zu bejahen. Der Kläger wendet Cannabis seit inzwischen mehr als 25 Jahren an. Dies hat zu einer erheblichen subjektiven Linderung seiner Beschwerden, insbesondere im Bereich der Ataxie, Spastik und seiner psychischen Verfassung geführt. Dies wird durch die ärztlichen Befundberichte sowie die Aussage des behandelnden Arztes Dr. T. als sachverständiger Zeuge in der Berufungsverhandlung bestätigt. Bereits in der ärztlichen Stellungnahme der Klinik Dr. F. , Krankenhaus für Multiple Sklerose und andere Nerven- und Stoffwechselleiden, vom 22. Oktober 1999 wird ausgeführt, dass der Kläger aus subjektivem Empfinden aufgrund des Cannabiskonsums eine deutliche Besserung der Symptomatik der Multiplen Sklerose (Spastik beim Einschlafen, Schmerzen in den Muskeln, Zittern, Depressionen, Appetitlosigkeit, Müdigkeitsgefühl, Blasenfunktion, verwaschene Sprache und Gleichgewichtsstörungen) angeben konnte und sich dies mit der allgemeinen Erfahrung decke, dass sich vor allem Schmerzen, Spastik, psychische Beeinträchtigungen und Ataxie unter medizinisch kontrollierter Einnahme von Cannabis bessern können. Bei der Kenntnis des Krankheitsbildes des Klägers und bei den bisherigen guten Erfahrungen, die er mit dem Einsatz von Cannabis zur Linderung der Symptomatik gemacht habe, werde die weitere kontrollierte medizinische Einnahme von Cannabis nervenärztlicherseits uneingeschränkt empfohlen. Auch bestätigt Dr. T. , in dessen ärztlicher Behandlung sich der Kläger seit 1992 befindet, in seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 27. April 2007, dass das Cannabis ohne Zweifel einen nachweisbaren Effekt auf die Ataxie und die erheblichen Stimmungsschwankungen des Klägers habe, der ohne den Konsum von Cannabis aufbrausend sei und ein für seine Umgebung sehr belastendes Verhalten gezeigt habe. Den ärztlichen Bescheinigungen des Dr. T. vom 17. Januar 2012 und 2. Oktober 2012 ist zu entnehmen, dass der Kläger durch die regelmäßige Einnahme von Cannabis eine Besserung der Ataxie und vor allem auch der Beschwerden durch die Spastik erlebt. Das Gangbild sei unter kontinuierlicher Cannabis-Einnahme deutlich sicherer als ohne und die maximale Gehstrecke habe verlängert werden können. Einschließende Spasmen seien unter der Cannabis-Einnahme kaum vorhanden. Ferner führe das regelmäßige Rauchen von Cannabispflanzen-Extrakt beim Kläger zu einem stimmungsmäßigen Ausgleich und die vor Aufnahme des Cannabis-Konsums stark gestörte Impulskontrolle habe sich reguliert. Nach einer aktuellen Stellungnahme des Dr. T. vom 15. Januar 2014 geht es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut. Die Stimmungslage sei ausgeglichen, es bestehe eine ausreichende Beweglichkeit mit einer Gehdauer (mit Handstock) von etwa 30 Minuten. Es beständen keine Schluckschwierigkeiten, die dysarthrische Sprache sei ausreichend verständlich. Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die glaubhaften Angaben des Dr. T. als sachverständiger Zeuge, der in der Berufungsverhandlung angegeben hat, die psychische Verfassung und das Sozialverhalten hätten sich unter der Wirkung von Cannabis deutlich verbessert.
62Dem Kläger steht gegenwärtig kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel für die Behandlung der im Rahmen der Multiplen Sklerose auftretenden Ataxie und Spastik sowie des Psychosyndroms zur Verfügung.
63Anders als in dem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 25. April 2013 ausgeführt, stellt das zugelassene Arzneimittel „Sativex“ für den Kläger keine mögliche Standardtherapie dar. Das Arzneimittel „Sativex“, ein Pflanzenextrakt der Firma Almirall, das neben den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Delta-9-THC) und Cannabidiol (CBD) auch weitere Bestandteile von Cannabis sativa enthält, hat - ungeachtet der Frage seiner Finanzierbarkeit - schon deshalb nicht die gleiche Wirksamkeit wie das von dem Kläger angebaute Cannabis sativa, weil sein Anwendungsbereich auf die Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose beschränkt ist, während sich das vom Kläger angebaute Cannabis insgesamt positiv auf die Beschwerden Ataxie, Spastik und emotionale Labilität auswirkt. „Sativex“ wird laut Fachinformation als Zusatzbehandlung für eine Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose angewendet, die nicht angemessen auf eine andere anti-spastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen. Dies ist bei dem Kläger (gerade) nicht der Fall. Im Gegenteil hat die Einnahme von „Sativex“ bei ihm sogar zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geführt.
64Der Kläger hat sich bereits in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen, der zu einer Verstärkung seiner Beschwerden geführt hat. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 11. August 2011 hat der Kläger „Sativex“ als Ersatz für Marihuana eingenommen. Es habe ihm aber weder in geringen noch in höheren Dosen (bis zu 6 Hübe) geholfen. Die Einnahme von „Sativex“ habe ihn sehr müde gemacht, seine Bewegungen seien ihm schwer gefallen und nur verlangsamt möglich gewesen. Das Befinden und die Motorik hätten sich durch „Sativex“ verschlechtert. Auch habe er schlecht Luft bekommen und vermehrt das Asthmaspray einsetzen müssen. Nach Auskunft seiner Lebensgefährtin habe der Kläger während der Behandlung mit „Sativex“ überwiegend gelegen. In seiner weiteren fachärztlichen Bescheinigung vom 2. Oktober 2012 stellt Dr. T. fest, dass unter Sativex nicht die vergleichbaren Effekte wie unter Cannabis zu erzielen waren. Dem Einwand der Beklagten, der Therapieversuch sei unbeachtlich, weil er jedenfalls hinsichtlich der Dosierung nicht entsprechend der (klinischen) Vorgaben in der Zulassung durchgeführt worden sei, ist nicht zu folgen. Zwar sieht die Fachinformation der Firma Almirall unter Ziffer 4.2 „Art und Dauer der Anwendung“ eine zweiwöchige Titrationsphase vor, innerhalb derer die Anzahl der Sprühstöße entsprechend eines konkreten Dosierungsschemas täglich von einem auf bis zu 12 Sprühstöße langsam erhöht wird. Auch wird darauf hingewiesen, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis die optimale Dosierung gefunden wird, und dass Nebenwirkungen (etwa Müdigkeit) auftreten können, die aber üblicherweise schwach sind und nach einigen Tagen abklingen. Dem Kläger, bei dem die Nebenwirkungen offenbar gerade nicht in bloß schwacher Form aufgetreten sind, ist es mit Blick auf seine ausgeprägte Ataxie aber nicht zumutbar, die bis zu zwei Wochen dauernde Phase der Nebenwirkungen abzuwarten und in dieser Zeit noch weitere Beeinträchtigungen seiner ohnehin stark eingeschränkten Bewegungsfähigkeit hinzunehmen. Mit Blick auf die elementare Bedeutung des Grundrechts des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und unter Achtung seiner Menschenwürde ist es daher aus ethischen Gründen nicht zu verantworten, den schwer kranken Kläger erneut einem mehrwöchigen Behandlungsversuch mit „Sativex“ auszusetzen, obwohl die Behandlung des bei ihm im Vordergrund stehenden Symptoms der Multiplen Sklerose, der Ataxie, vom Anwendungsbereich von „Sativex“ gar nicht erfasst wird.
65Dem Kläger steht auch mit dem verschreibungsfähigen Wirkstoff „Dronabinol“ keine gleich wirksame Therapiealternative zur Verfügung. Zwar ist „Dronabinol“ für ihn nunmehr grundsätzlich verfügbar, nachdem die AOK S. -O. -P. mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Übernahme der Kosten für diesen Wirkstoff erklärt hat. Im Falle des Klägers ist jedoch derzeit anzunehmen, dass „Dronabinol“ nicht genauso wirkt wie Cannabis. Deshalb kann dahinstehen, ob er überhaupt auf das Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ verwiesen werden kann, das kein für die Erkrankung des Klägers zugelassenes (Fertig-)Arzneimittel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist.
66Der Senat geht dabei davon aus, dass „Dronabinol“, das aus dem Cannabis-Hauptwirkstoff Delta-9-THC besteht, grundsätzlich mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkungen auf die Symptome einer Multiplen Sklerose entfalten kann. So wird „Dronabinol“ vorwiegend gegen chronische/neuropathische Schmerzen und Spastik eingesetzt und kann bei Multipler Sklerose Muskelkrämpfe und Spastiken reduzieren. Der Stellungnahme des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) Dr. H. vom 6. Dezember 1999 ist zu entnehmen, dass Cannabis und THC eine Vielzahl von Wirkungen entfalten, die bei der Multiplen Sklerose therapeutischen Nutzen versprechen. THC bzw. Dronabinol sei der pharmakologisch wichtigste Inhaltsstoff der Hanfpflanze (cannabis sativa L.). Wenn auch die Cannabiswirkungen nicht durch die THC-Effekte allein erklärt würden, so machten diese Effekte doch den weitaus größten Teil der Gesamtwirkung aus. In einer Anzahl von Studien sei ein muskelentspannender Effekt von THC bzw. Cannabis nachgewiesen worden. Auch sei in verschiedenen Tiermodellen sowie klinischen Studien der schmerzhemmende Effekt von THC nachgewiesen und der Wirkungsmechanismus weitgehend aufgeklärt worden. Zu vielen anderen von Patienten geschilderten (positiven) Effekten lägen zwar keine klinischen Daten vor, sie würden jedoch häufig und unabhängig voneinander von den Betroffenen vorgetragen. In seiner - vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren überreichten - Stellungnahme vom 6. Februar 2001 verweist Dr. H. ebenfalls darauf, dass die durchgeführten klinischen Studien in ihrer Gesamtheit die Annahme nahelegen, dass Marihuana, Delta-9-THC und Nabilon (ein synthetisches Cannabinoid) wahrscheinlich nützliche symptomatische Wirkungen auf Spastik und Tremor entfalteten. Danach dürfe angenommen werden, dass THC bei Multipler Sklerose therapeutische Wirkung entfalte.
67Auch in dem vom Amtsgericht Mannheim im Strafverfahren 310 Js 5518/02 eingeholten fachneurologischen Aktengutachten des Universitätsklinikums Heidelberg vom 21. Februar 2003 wird die Einnahme von Cannabis und seinen Derivaten (gleichermaßen) zur Behandlung der Symptome der Multiplen Sklerose befürwortet. Ausweislich der Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. med. N. und Dr. med. T1. belegen verschiedene klinische Untersuchungen die Möglichkeit der therapeutischen Anwendung von Cannabisderivaten in der Medizin und insbesondere bei Erkrankungen des Nervensystems. Typische Wirkungen von Cannabis auf den Organismus seien Wohlbefinden und Entspannung, aber auch unerwünschte psychische Effekte wie Angst- und Panikzustände sowie Herzfrequenzbeschleunigung, Blutdruckveränderungen. Weitere Cannabiseffekte bestünden in einer Schmerzlinderung, Muskelrelaxierung, Krampflösung, Bewegungsharmonisierung, Sedierung, Appetitsteigerung, Entzündungshemmung und Bronchialerweiterung. Die zugelassenen Indikationen des synthetisch hergestellten Cannabisderivats Delta-9-THC „Dronabinol“ mit dem Handelsnamen „N1. ®“ seien in den USA zwar auf Gewichtsverlust bei Aids- und Tumorpatienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapiepatienten beschränkt, die mit anderen Medikamenten nicht zu beherrschen seien. Auch liege in Deutschland derzeit keine zugelassene Indikation für Cannabisderivate vor. Es sei dem Arzt jedoch frei gestellt, Cannabis im Rahmen eines individuellen Heilversuchs in Form von „Dronabinol“ zu verordnen. Potentielle Behandlungsindikationen aus neurologischer Sicht, für die in einzelnen Untersuchungen ein günstiger Effekt von Cannabis gezeigt worden sei, beträfen die Symptome der Spastik und Ataxie, des Schmerzes und der Depressionen, die auch bei der Multiplen Sklerose vorkämen. Es gebe mehrere Fallbeispiele, dass Cannabis bzw. seine Derivate für Symptome der Spastik und Ataxie hilfreich sein könnten.
68Ausgehend von der bei der Frage einer Therapiealternative im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG gebotenen konkret-individuellen Betrachtungsweise kann aber gegenwärtig nicht festgestellt werden, dass „Dronabinol“ auch beim Kläger genauso wirkt wie Cannabis. Hierauf deutet bereits die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vom Kläger vorgelegte Bescheinigung von Dr. T. vom 7. Februar 2013 hin, wonach „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen habe. Die Stimmungslage sei dadurch einigermaßen ausgeglichen, die Effekte auf Ataxie und Spasmen seien deutlich weniger spürbar als bei regelmäßigem oralem und inhalativem Cannabiskonsum von bis zu 3 g. Hintergrund dieser Feststellungen ist der Versuch des Klägers gewesen, sich nach der Kostenübernahme für „Dronabinol“ durch die AOK S. -O. -P. Ende 2012 auf diesen Wirkstoff umzustellen. Im Rahmen dieses (ambulanten) Umstellversuchs konnte der Kläger mit einer Dosis von 20 Tropfen „Dronabinol“ morgens eine gewisse Reduzierung des täglichen Cannabiskonsums erreichen. Hingegen muss der Versuch, den Cannabiskonsum mit „Dronabinol“ zu ersetzen und den Kläger allein damit zu behandeln, mit den Stellungnahmen seiner behandelnden Ärzte als gescheitert angesehen werden. Nach den Äußerungen der sachverständigen Zeugen Dr. T. und Dr. H. bewirkt die erreichte Dosis von derzeit 20 Tropfen „Dronabinol“ beim Kläger keine ausreichende Linderung der spastisch-ataktischen Symptomatik, wohingegen eine dafür erforderliche Dosis nicht erreicht werden kann, weil es durch eine Dosissteigerung zu einer erheblichen Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustands kommt. Die Ärzte haben sich dabei maßgeblich auf ihre bisherigen umfangreichen Erfahrungen bei der Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis gestützt, die sie dem Senat widerspruchsfrei und überzeugend vermittelt haben.
69Im Einzelnen:
70Nach der fachärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 7. Februar 2013 hat „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung beim Kläger keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen. Ausweislich seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli 2013 nimmt der Kläger derzeit morgens 20 Tropfen „Dronabinol“ und raucht im Laufe des Tages mindestens 10 Tütchen Haschisch/Marihuana. Unter dieser hohen Dosis fühle sich der Kläger subjektiv wohl. Im Hinblick auf diese Feststellungen hat der erkennende Senat Dr. T. um ergänzende schriftliche Stellungnahme gebeten, ob der Kläger ausschließlich mit „Dronabinol“ behandelt werden könne. Dr. T. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2014 weiter ausgeführt, dass es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut gehe. Eine Stimmungsaufhellung ist nach der Stellungnahme von Dr. T. vom 28. April 2014 erst bei einer Dosis von 20 Tropfen morgens vorübergehend festzustellen gewesen. Eine Besserung der spastisch-ataktischen Symptomatik sei nicht erkennbar gewesen. Der Versuch, die Einzeldosis auf mehr als 20 Tropfen zu steigern, sei misslungen, da es dadurch zu Unruhe, Fahrigkeit, zu Stimmungsschwankungen und auch Dysphorie gekommen sei. Danach ist davon auszugehen, dass die für eine beim Kläger ausreichende Symptomkontrolle ‑ insbesondere im Hinblick auf die Ataxie und Spastik - erforderliche Dosis „Dronabinol“ nicht erreicht werden kann, ohne dass unerwünschte erhebliche Nebenwirkungen im Bereich seiner psychischen Verfassung auftreten.
71Diese Einschätzung hat die Vernehmung der den Kläger behandelnden bzw. betreuenden Ärzte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der sachverständige Zeuge Dr. T. hat angegeben, dass eine weitere Erhöhung der Dosis ausscheide, weil dann die psychischen Zustände - Unruhe, Panik, Anspannung - beim Kläger eintreten würden. Bei der derzeitigen Dosis mit 20 Tropfen habe sich aber auch keine zufriedenstellende positive Lösung eingestellt, so dass weiterhin Cannabisblüten gegeben würden. Dr. T. kommt zu dem Ergebnis, dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ beim Kläger nur eine unwahrscheinliche Möglichkeit darstellt. Dies ist angesichts der von ihm beschriebenen Nebenwirkungen bei einer versuchten Steigerung der Dronabinoldosis, auf die der Kläger zur Symptomkontrolle der Ataxie und Spastik angewiesen wäre, auch plausibel. Dass die ärztlichen Feststellungen zur psychischen Verfassung des Klägers dabei wesentlich auf dessen Eigenwahrnehmung beruhen, mindert nicht deren Aussagewert und ist letztlich dem besonderen psychischen Krankheitsbild des Klägers geschuldet. Es ist dann Aufgabe des den Patienten behandelnden Arztes, die subjektiv unter der Gabe von „Dronabinol“ empfundenen Nebenwirkungen zu objektivieren. Dies hat Dr. T. in der erforderlichen Weise getan, indem er die Selbsteinschätzung des Untersuchten ärztlicherseits bestätigt und sie als ärztliche Feststellungen dem Senat vermittelt hat.
72Die Bewertung durch Dr. T. , dass eine erfolgreiche Monotherapie mit „Dronabinol“ im Falle des Klägers unwahrscheinlich ist, steht im Einklang mit seinen bisherigen schriftlichen Stellungnahmen. Soweit er in seiner Stellungnahme vom 28. April 2014 ausgeführt hat, es sei zu vermuten, dass mit einer Gesamtmenge von 4 x 20 Tropfen „Dronabinol“ am Tag ein einigermaßen dem bisherigen Cannabiskonsum vergleichbarer Effekt zu erzielen sein dürfte, hat er einen vermeintlich darin begründeten Widerspruch in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt. Dort hat Dr. T. klargestellt, dass es sich bei der Möglichkeit einer Monotherapie um eine rein theoretische Annahme seinerseits gehandelt habe. Dies ist auch angesichts seiner weiteren Feststellungen bei der Anwendung von „Dronabinol“ durch den Kläger ohne weiteres nachvollziehbar, weil danach schon eine Steigerung der Dosis von einmalig 20 Tropfen am Tag zu erheblichen Nebenwirkungen - vor allem im psychischen Bereich - geführt hat. Insoweit überwiegen nach Auskunft von Dr. T. die Aussagen des Klägers, dass er bei mehr als 20 Tropfen „Dronabinol“ hektisch, fahrig und panisch geworden sei und im Übrigen die Effekte auf Ataxie und Spasmen deutlich weniger spürbar als bei einem Cannabiskonsum gewesen seien. Dass nur theoretisch und medizinisch nicht begründet die Möglichkeit einer Monotherapie mit „Dronabinol“ besteht, entspricht auch der in der gleichen Stellungnahme des Dr. T. vom 28. April 2014 getroffenen Aussage, es sei unwahrscheinlich, dass durch ein anderes Medikament dem Cannabiskonsum vergleichbare Effekte im Falle des Untersuchten erzielt werden könnten.
73Dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ mit einer Dosierung von 4 x 20 Tropfen zu einer ausreichenden Symptomkontrolle beim Kläger führt, ist auch angesichts der damit vom Kläger aufgenommenen THC-Menge fernliegend. Wie Dr. H. , der den Kläger seit April 2014 in der Cannabisbehandlung begleitet, in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt hat, entspricht der Konsum von 3,5 g Cannabis täglich bei einer THC-Konzentration von 15 %, die regelmäßig bei der vom Kläger angebauten Sorte „Jack Herrer“ anzunehmen ist, 525 mg THC bzw. „Dronabinol“. Diese THC-Menge wird schon rein rechnerisch durch eine Dosis von 4 x 20 Tropfen täglich nicht ansatzweise erreicht. Dabei kann offen bleiben, ob dies, so die Auffassung der Beklagten, einer THC-Menge von nicht nur 66 mg, sondern 80 mg entspricht. Selbst wenn der tägliche Konsum - wie der Kläger an anderer Stelle ausführt - mit 165 mg THC bzw. „Dronabinol“ niedriger anzunehmen sein sollte, kann auch diese Menge durch die von Dr. T. angenommene Höchstmenge „Dronabinol“ nicht vollständig substituiert werden. Hinzu kommt, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, dass bei Patienten, die - wie der Kläger - sehr hohe Dosen Cannabis konsumierten, ein Ersetzen durch reines THC bzw. „Dronabinol“ nicht möglich sei, weil dann die ungefilterte Wirkung des THC zu stark durschlage und die Nebenstoffe des Cannabis fehlten, die bei hohen Dosen eine modulierende Wirkung entfalteten. Die entsprechende subjektive Wahrnehmung durch den Kläger konnte der sachverständige Zeuge angesichts anderer Patienten, mit denen er ähnliche Erfahrungen gemacht hat, bestätigen. Dr. H. hält deshalb eine Umstellung des Klägers auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ für nicht möglich. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung des in der Hauptverhandlung im Strafverfahren des Klägers angehörten Sachverständigen Prof. Dr. N. , der es nachvollziehbar und auch aus medizinischer Sicht als verständlich ansah, dass die Einnahme von „Dronabinol“ allein nicht dieselbe Linderung verschafft habe. Denn in „Dronabinol“ befände sich der reine Wirkstoff THC, wogegen bei der Einnahme von Cannabis andere pflanzliche Faktoren bei der Linderung eine Rolle spielen könnten, die allerdings in ihrer Zusammensetzung wissenschaftlich und medizinisch noch nicht erforscht seien (vgl. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 19. Januar 2005 - 310 Js 5518/02 -).
74Der Senat hat keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des als sachverständigen Zeugen angehörten Dr. H. zu zweifeln. Für seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht vor allem der persönliche Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von ihm gewinnen konnte. Etwaige Zweifel, die in seiner politischen Arbeit für die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) begründet sein könnten, sind dadurch ausgeräumt worden, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend deutlich gemacht hat, als Wissenschaftler, als politisch Engagierter und als Arzt in unterschiedlichen Funktionen tätig zu sein und zwischen diesen Tätigkeiten trennen zu können.
75Dem (sinngemäßen) Einwand der Beklagten, es fehle weiterhin an einer Beschreibung des Therapieverlaufs und seines Ergebnisses, um die Frage der gleichen therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ beantworten zu können, folgt der Senat nicht. Die ärztliche Einschätzung von Dr. T. , dass der Kläger bei realistischer Betrachtungsweise nicht auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ umgestellt werden kann, beruht auf Erkenntnissen aus seiner jahrzehntelangen Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis, zuletzt auf dem Therapieversuch nach der Kostenübernahmeerklärung für „Dronabinol“ durch die Krankenkasse. Sie wird zudem bestätigt durch die Feststellungen von Dr. H. , der umfangreiche Erfahrungen mit Patienten hat, die - wie der Kläger - mit Cannabis und/oder „Dronabinol“ behandelt werden. Welche Erkenntnisse darüber hinaus aus einer Dokumentation des gesamten Therapieverlaufs und dessen Ergebnis mit „Dronabinol“ gewonnen werden könnten, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Allein aus dem Fehlen einer schriftlichen Dokumentation des Therapieverlaufs mit „Dronabinol“ im Einzelnen ist jedenfalls - auch angesichts der zahlreichen schriftlichen fachärztlichen Bescheinigungen - nicht zu schließen, dass die dem Senat in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend vermittelte Einschätzung beider Ärzte auf einer fehlenden tatsächlichen Grundlage und von daher nicht medizinisch fundiert getroffen worden ist.
76Hiervon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und seiner Menschenwürde ist dem Kläger der von der Beklagten geforderte stationäre Umstellversuch auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ nicht zuzumuten. Der schwer chronisch kranke Kläger, der derzeit nach den Aussagen seiner behandelnden Ärzte auf eine auf ihn subjektiv gut abgestimmte Therapieform eingestellt ist, muss sich nicht auf eine lediglich theoretische und damit für ihn nicht ansatzweise erfolgversprechende Therapiealternative mit ungewissem Ausgang einlassen. Eine medizinische Indikation, einen stationären Umstellversuch zu erzwingen, besteht nach Aussage des behandelnden Arztes beim Kläger ebenfalls nicht. Auch deshalb ist nicht anzunehmen, dass überhaupt eine Einrichtung gefunden werden kann, die einen solchen stationären Therapieversuch mit Dronabinoldosen jenseits der üblichen Mengen durchführt, und nicht ersichtlich, wer die Kosten hierfür übernimmt, was auch schon dem Umstellversuch im Dezember 2012 entgegenstand. Ein stationärer Umstellversuchs ist zudem als Möglichkeit einer zusätzlichen Tatsachengewinnung nicht erforderlich, weil der Senat die Überzeugung von einer im Falle des Klägers nicht mit Cannabis vergleichbaren Wirkung von „Dronabinol“ bereits auf der Grundlage der schriftlichen und mündlichen Aussagen der sachverständigen Zeugen gewinnen konnte.
77Mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnisse sieht sich der Senat nicht veranlasst, zur Frage der fehlenden vergleichbaren therapeutischen Wirkung von „Dronabinol“ beim Kläger ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die aussagekräftigen schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte reichen aus, um dem Senat die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung von der beim Kläger nicht vergleichbaren Wirkung einer Monotherapie mit „Dronabinol“ zu ermöglichen.
78Soweit die Lebensgefährtin des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Kläger mit Medizinalhanf der Sorte Bedrocan gut zurecht käme, weil er diese Sorte selbst angebaut habe, steht ihm diese Therapiealternative aus rechtlichen Gründen sowie im Hinblick auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch aus Kostengründen tatsächlich nicht zur Verfügung. Aufgrund der zwischenzeitlich durch die AOK S. -O. -P. erklärten Kostenübernahme für „Dronabinol“ und der damit nach Auffassung der Beklagten verbundenen Therapiealternative sieht sie sich bereits daran gehindert, dem Kläger eine Erwerbserlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen, die Voraussetzung für den Erwerb von Medizinalhanf aus der Apotheke ist. Außerdem kann der Kläger, der eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente von derzeit ca. 890,00 Euro bezieht, die monatlichen Kosten der von ihm benötigen Monatsdosis Cannabis nicht selbst tragen. Während die von ihm benötigten ca. 100 g „Cannabis flos Bedrocan“ monatliche Kosten von mindestens 400,00 Euro, wenn nicht sogar von 1.600,00 Euro, verursachen würden, entstehen ihm durch den Eigenanbau von Cannabis monatliche Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. in Höhe von ca. 110 Euro.
79Der Kläger bekommt die Kosten für „Cannabis flos Bedrocan“ auch nicht von seiner Krankenkasse erstattet. Dies ergibt sich aus der Ablehnung der Kostenübernahme durch die AOK S. -O. -P. vom 7. Juni 2013, die sie zuletzt auf Nachfrage des Senats am 10. Juni 2014 nochmals bestätigt hat. Dass nach der Beweisaufnahme für den Senat feststeht, dass „Dronabinol“ beim Kläger nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit hat wie Cannabis, rechtfertigt nicht die Annahme, die AOK S. -O. -P. werde nunmehr die Kostenübernahme für Medizinalhanf erklären. Dies folgt schon daraus, dass die Kostenübernahme nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 25. April 2013 nicht mit einer alternativen Therapiemöglichkeit mit dem Wirkstoff „Dronabinol“, sondern damit abgelehnt worden ist, dass zum einen beim Kläger keine schwere, lebensbedrohliche oder dem gleichzustellende Erkrankung vorliege und zum anderen die Möglichkeiten der Standardtherapie - hier mit Sativex - nicht ausgeschöpft seien. Es ist dem schwer kranken Kläger nicht mehr zumutbar, ein weiteres Mal den sozialgerichtlichen Klageweg hiergegen auszuschöpfen. Es liegt nicht in der Hand des Klägers, die rechtlichen Rahmenvorgaben für die Zulassung bzw. die krankenkassenrechtliche Kostenübernahme von Medizinalhanf als weitere Behandlungsalternative zu schaffen. Etwas anderes gilt im Hinblick auf den Ausnahmecharakter einer Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis allerdings dann, wenn dem Kläger in Zukunft eine Kostenübernahme für Medizinalhanf erteilt werden würde.
80Der Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis stehen weiter keine zwingenden Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG entgegen. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken modifiziert anzuwenden sind. § 5 Abs. 1 BtMG ist ‑ ebenso wie §§ 6, 7 BtMG - ersichtlich nicht auf Privatpersonen zugeschnitten, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren. Nachdem aber nach § 3 Abs. 2 BtMG auch für diese Personen die Erteilung einer Erlaubnis in Betracht kommt, ist § 5 Abs. 1 BtMG modifziert anzuwenden. Einerseits ist der Schutzzweck der Vorschrift zu beachten, andererseits darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, dass die Erteilung einer Erlaubnis an Privatpersonen, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren, praktisch ausscheidet oder unzumutbar erschwert wird.
81Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. März 2007
82- 13 E 1542/06 ‑, juris.
83Hiervon ausgehend erweist sich die Annahme des BfArM im Versagungsbescheid vom 6. Dezember 2007, der Erteilung der Erlaubnis stehe der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG entgegen, als rechtwidrig, weil sie die modifizierte Anwendung dieser Vorschrift außer Acht lässt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BtMG wird der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln, die keine Arzneimittel sind, durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln erbracht. Diese (strengen) Voraussetzungen dürfte der Kläger zwar offensichtlich nicht erfüllen. Jedoch ist auch § 6 Abs. 2 BtMG auf die Fallgestaltung des privaten Eigenanbaus von Cannabis aus therapeutischen Gründen modifiziert anzuwenden. Um dem Betroffenen die Erteilung der Erlaubnis nicht unzumutbar zu erschweren, kann eine sachkundige Betreuung auch auf andere Weise sichergestellt werden. Dabei käme zum einen in Betracht, den Hausarzt des Klägers, Dr. C. , als Verantwortlichen zu benennen. Dass eine Bereitschaft des Hausarztes Dr. C. zur Übernahme entsprechender Pflichten nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren. Dort hatte der Kläger bereits mit Schriftsatz vom 30. Mai 2007 darauf hingewiesen, dass sich sein Hausarzt Dr. C. zur Unterstützung bereit erklärt habe. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger aufgrund des jahrelangen - nach § 34 StGB gerechtfertigten - Eigenanbaus von Cannabis selbst bereits weitreichende Sachkenntnis gerade hinsichtlich der von ihm verwendeten Cannabissorte angeeignet hat. Abgesehen davon kann das BfArM gemäß § 6 Abs. 2 BtMG im Einzelfall auch von den in Absatz 1 genannten Anforderungen an die Sachkenntnis abweichen, wenn die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen gewährleistet sind. Das BfArM hat das ihm zustehende Ermessen bislang noch nicht ausgeübt, da es das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BtMG zu Unrecht verneint hat. Es hat in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 ausgeführt, dass eine Abweichung von § 6 Abs. 1 BtMG nicht möglich sei, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet seien, und zur Begründung sinngemäß auf die Ausführungen zum Vorliegen der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG verwiesen. Diese Begründung greift jedoch nicht, da die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG - wie nachfolgend ausgeführt ‑ nicht gegeben sind.
84Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind. Wer am Betäubungsmittelverkehr teilnimmt, hat die Betäubungsmittel, die sich in seinem Besitz befinden, gesondert aufzubewahren und gegen unbefugte Entnahme zu sichern (§ 15 Satz 1 BtMG). Das BfArM kann Sicherungsmaßnahmen anordnen, soweit es nach Art oder Umfang des Betäubungsmittelverkehrs, dem Gefährdungsgrad oder der Menge der Betäubungsmittel erforderlich ist (§ 15 Satz 2 BtMG).
85Die Vorschrift soll verhindern, zumindest erschweren, dass der illegale Betäubungsmittelhandel sich im Wege des Diebstahls, der Unterschlagung oder der unbefugten Entnahme aus legalen Betäubungsmitteldepots versorgt. Um die Diebstahlsgefahr möglichst gering zu halten, wird der Erlaubnisinhaber deshalb je nach Menge und Gefährdungsgrad der Betäubungsmittel zu besonderen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet.
86Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 1.
87Das BfArM hat Richtlinien entwickelt, wie Betäubungsmittelvorräte von Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG besonders gegen unbefugte Wegnahme zu sichern sind. Diese Richtlinien (Stand: 1. Januar 2007) unterscheiden drei Vorkehrungen, und zwar 1. Aufbewahrung in (zertifizierten Wertschutz‑)Schränken, 2. Aufbewahrung in Räumen und 3. zusätzliche elektrische Überwachung.
88Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 2.
89Entgegen der Auffassung der Beklagten finden diese Richtlinien beim Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung zur medizinischen Eigenbehandlung des Wohnungsinhabers aber keine Anwendung. Die Richtlinien sind - ebenso wie die Regelung in § 5 Abs. 1 BtMG selbst - nicht auf diese Fallkonstellation zugeschnitten, weil die darin geforderten Sicherungsmaßnahmen (z. B. zertifizierte Wertschutzschränke und -türen) und die hierfür anfallenden Kosten ersichtlich außer Verhältnis zu dem Gefahrenpotential stehen, das die wenigen für die Eigentherapie benötigten Cannabispflanzen bergen. Von Privatpersonen können daher nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen verlangt werden.
90Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. März 2007 - 13 E 1542/06 - und vom 16. November 2011 ‑ 13 B 1199/11 ‑, jeweils juris.
91Hiervon ausgehend greift die Begründung des BfArM in seinen Bescheiden vom 6. Dezember 2007 und 10. August 2010, wonach bereits mangels Einhaltung der Richtlinien vom 1. Januar 2007, insbesondere zur Aufbewahrung der Cannabisvorräte in einem zertifizierten Wertschutzschrank, der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG gegeben sei, nicht durch. Vielmehr können von dem Kläger nur zumutbare und dem Sicherungszweck angemessene Sicherungsmaßnahmen verlangt werden. Die vom Kläger bereits mit Schriftsatz vom 10. Mai 2010 detailliert benannten ‑ zum Teil noch im Planungsstadium befindlichen - Sicherungsmaßnahmen sind mit Blick auf Art und Umfang des Betäubungsmittelverkehrs (Cannabisanbau ausschließlich zum Eigenkonsum) sowie auf den Gefährdungsgrad (gering frequentierte Wohnung des Klägers) als ausreichend anzusehen. Gegen ein Eindringen Unbefugter von außen schützen zunächst die dreifach verriegelte Wohnungseingangstür und die sicherheitsverglasten, sechsfach verriegelten Fenster, die zudem mit einem Aufhebelschutz versehen sind. Befindet sich das Badezimmerfenster in Kippstellung, sorgt die geplante Anbringung eines Gitters für den erforderlichen Schutz. Die Pflanzen sind auch innerhalb der Wohnung ausreichend gegen eine unbefugte Entwendung geschützt. Die Wohnung des Klägers wird kaum von Dritten frequentiert; der Kläger bewohnt die Wohnung zusammen mit seiner Lebensgefährtin und erhält wenig Besuch. Die Kranken-gymnastin, die eine Zeit lang die Wohnung regelmäßig aufgesucht hat, hat ihre Tätigkeit beendet. Die Frage, ob die Wohnung künftig durch externes Pflege-personal aufgesucht wird, stellt sich noch nicht. Für die fernliegende Möglichkeit, dass ein Dritter das Badezimmer des Klägers aufsucht, ist ebenfalls ausreichend Schutz gewährleistet. Die Pflanzen in der Blühphase (2 x 8 Pflanzen) dürften für einen Dritten nicht ohne Weiteres sichtbar sein, weil sie in der gemauerten Dusche unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe herangezogen werden. Jeden-falls würde dem Kläger angesichts der überschaubaren Menge das Fehlen einer Pflanze sofort auffallen. Im Übrigen hat der Kläger die Anbringung eines Fingerprintschlosses angeboten, so dass er das Aufsuchen seines Badezimmers unter Kontrolle hätte. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) sind in einem Schrank aufbewahrt; ein überschüssiger Ertrag aus den getrockneten Blüten von 8 Pflanzen, der nach Angaben des Klägers in etwa seinen Monatsbedarf an 100 g Cannabis deckt, wird in einem Tresor gelagert. Darüber hinaus hat der Kläger ein erhebliches Eigeninteresse, dass das Cannabis nicht an Dritte gelangt, weil er es zur Behandlung selbst benötigt. Für den ‑ seltenen - Fall seiner Abwesenheit will der Kläger ebenfalls vorsorgen. Er beabsichtigt die Überwachung der Tür zum Badezimmer und des Fensters mit einer IP-Kamera, die aufgrund eines programmierten Bewegungsmelders bei Bewegungen im Raum eine E-Mail mit Bildern an ein Handy schickt. In diesem Fall könnte der Kläger umgehend die Polizei benachrichtigen.
92Dass die dargestellten Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, hat das BfArM auch im Berufungsverfahren nicht substantiiert dargelegt. Entgegen der Auffassung des BfArM kommt - mit Blick auf § 15 Satz 2 BtMG ‑ auch eine Erlaubniserteilung unter Auflagen in Betracht. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BtMG kann die Erlaubnis befristet, mit Bedingungen erlassen oder mit Auflagen versehen werden, wenn dies zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Damit können die Nebenbestimmungen auch zwingende Versagungsgründe des § 5 BtMG ausräumen.
93Vgl. VG Berlin, Urteil vom 27. Juni 1996 - VG 14 A 134/94 -, NJW 1997, 816; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 9, Rn. 9.
94Das BfArM kann daher eine Erlaubnis unter der Auflage, bestimmte Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen, erteilen, und damit auch für eine Umsetzung der bislang nur im Planungsstadium befindlichen Sicherheitsvorkehrungen sorgen.
95Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG ist nicht gegeben. Hiernach ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn durch das beantragte Projekt die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet sind.
96Die Erteilung einer Anbauerlaubnis geringer Cannabismengen zur therapeutischen Behandlung einer schweren Krankheit unter ärztlicher Aufsicht verstößt nicht generell gegen § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG, da eine ärztliche Betreuung die erforderliche Sicherheit und Kontrolle gewährleisten kann.
97Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 5, Rn. 14 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑; Weber, BtMG, Kommentar, 4. Auflage 2013, § 5, Rn. 33 unter Bezugnahme auf OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2012 - 13 A 414/11 -.
98Hiervon ausgehend liegt ein Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das vom Kläger (in einer überschaubaren Menge) angebaute Cannabis dem illegalen Betäubungsmittelverkehr zugeführt werden könnte. Der Kläger hat substantiiert dargelegt, dass er das angebaute Cannabis zur Eigentherapie benötigt und die geernteten Blüten ausschließlich für den Eigenverbrauch weiter verarbeitet bzw. - im Ausnahmefall - nicht benötigte Blüten im Tresor aufbewahrt und die Reste der Pflanzen zu Kompost und Dünger verarbeitet. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des angebauten Cannabis durch den Kläger. Zwar hat das BfArM in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 darauf verwiesen, dass ein Betäubungsmittelverkehr zu therapeutischen Zwecken mit Pflanzenteilen, die hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit in keiner Weise arzneimittelrechtlichen Standards entsprechen könnten, weder sicher sein noch wirksam kontrolliert werden könne. Der Senat geht aber in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich der Wirksamkeit und der Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte verfügt und die von ihm praktizierte Vermehrungsmethode eine relative Gewähr für einen konstanten THC-Gehalt der Cannabispflanzen bietet. Auch hat der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren klargestellt, dass der Eigenanbau unter hausärztlicher Kontrolle erfolge. Abgesehen davon ist dem Kläger die fehlende konkrete Bestimmung des THC-Gehalts des von ihm angebauten Cannabis nicht anzulasten, da diese derzeit aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Das BfArM hat bereits in seinem an das BMG gerichteten Schreiben vom 29. Juni 2010 darauf hingewiesen, dass derartige Untersuchungen von den entsprechenden Einrichtungen nicht ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis durchgeführt werden.
99Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist.
100Angesichts der nunmehr belegten unzureichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf durch die AOK S. -O. -P. ist der vom Kläger beantragte Eigenanbau von Cannabis nach den obigen Ausführungen derzeit für seine medizinische Versorgung notwendig und geeignet. Kann der Kläger deshalb seine notwendige medizinische Versorgung gegenwärtig nur durch den Eigenanbau von Cannabis sicherstellen, ist es auch hinzunehmen, dass bei dem schwer kranken Kläger inzwischen eine Betäubungsmittelabhängigkeit entstanden ist.
101Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 BtMG mit der Begründung versagt werden, die Erlaubniserteilung verlange nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl II, S. 111; im Folgenden: ÜK 1961) die Einrichtung einer Cannabis-Agentur, die aber nicht geplant sei. Gemäß § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis (u. a.) versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen entgegensteht. Einer Entscheidung zu Gunsten des Klägers steht das ÜK 1961 nicht entgegen. Zum einen bringt das ÜK 1961 in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 3, Rn. 77.
103Zum anderen finden - entgegen der im Schreiben vom 30. Juli 2010 vertretenen Auffassung des INCB - Art. 28 Abs. 1, 23 ÜK 1961, die bei einer Erlaubniserteilung für den Anbau von Cannabis die Errichtung einer staatlichen Stelle vorsehen, auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Die Bestimmungen sind nach ihrem Sinn und Zweck auf den Fall der Erlaubniserteilung an eine Einzelperson zu therapeutischen Zwecken nicht anwendbar. Gestattet eine Vertragspartei den Anbau von Cannabis zur Gewinnung von Cannabis oder Cannabisharz, so errichtet sie, wenn dies nicht bereits geschehen ist, und unterhält eine oder mehrere staatliche Stellen zur Wahrnehmung der in diesem Artikel vorgesehenen Aufgaben (Art. 28 Abs. 1 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 ÜK 1961). Ausweislich der in Art. 23 ÜK 1961 geregelten Aufgabenzuteilung spricht aber Überwiegendes dafür, dass der „Stelle“, die in der BRD als Cannabis-Agentur eingerichtet würde, nur die Kontrolle über den großflächigen Anbau von Cannabis obliegt und jedenfalls der vorliegende Einzelfall des Eigenanbaus von maximal 24 Cannabispflanzen, die aus therapeutischen Zwecken zum absehbaren Eigenverbrauch gedacht sind, ersichtlich nicht erfasst ist. So bezeichnet etwa die Stelle die Gebiete und Landparzellen, auf denen der Anbau von Cannabis gestattet wird (Art. 23 Abs. 2 a) ÜK 1961) und kauft, nachdem alle Anbauer von Cannabis die gesamte Ernte abgeliefert haben, die geernteten Mengen und nimmt sie körperlich in Besitz (Art. 23 Abs. 2 d) ÜK 1961). Für eine derartige Vorgehensweise besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung. Der Kläger verbraucht das von ihm ‑ in einer überschaubaren Menge ‑ angebaute Cannabis unmittelbar nach der Ernte zu therapeutischen Zwecken. Abgesehen davon hätte die Einrichtung einer Cannabis-Agentur im vorliegenden Fall die geradezu absurde Folge, dass der schwer kranke Kläger, der mangels Behandlungsalternative auf die ständige Verfügbarkeit des von ihm angebauten Cannabis sativa angewiesen ist, die von ihm geerntete (verhältnismäßig geringe) Cannabisernte an die Cannabis-Agentur verkaufen müsste, um sie sodann zurück zu erwerben. Wie zudem die praktische Abwicklung einer derartigen Prozedur dem in N. wohnhaften und durch seine Krankheit an die Wohnung gebundenen Kläger innerhalb eines zumutbaren zeitlichen Rahmens möglich sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
104Abgesehen davon erweist sich eine - wie vom BfArM im Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 getroffene - Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 BtMG aber auch bei Annahme eines Verstoßes gegen das ÜK 1961 als fehlerhaft. Die Ermessenskontrolle ist zwar ihrer Natur nach eine nachvollziehende Kontrolle, dennoch beschränkt sie sich nicht auf die Suche nach der Berücksichtigung sachwidriger Gesichtspunkte. Eine Ermessensentscheidung ist (auch) fehlerhaft, wenn wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen werden, die zu berücksichtigen gewesen wären.
105Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 19. Auflage 2013, § 114 Rn. 12; Wolf, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Auflage 2014, § 114, Rn. 178.
106So liegt hier der Fall, weil das BfArM ausschließlich auf im öffentlichen Interesse liegende Gesichtspunkte abstellt und geltend macht, dass eine Verletzung der sich aus dem ÜK 1961 ergebenden Pflichten die enge Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit dem INCB belastet. Insoweit lässt es wesentliche Belange des Klägers außer Acht, die für die Erteilung der Erlaubnis sprechen. Das BfArM hätte konkret auch die Schwere der Erkrankung des Klägers, die fehlende alternative Behandlungsmöglichkeit und seine hochrangigen Schutzgüter aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berücksichtigen müssen. Ferner hätte es bei seiner Ermessensausübung mit Blick auf die besondere Notlage des Klägers zu seinen Gunsten beachten müssen, dass der Kläger selbst die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht beeinflussen kann.
107Ebenso erweisen sich angesichts der fehlenden ausreichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf die bislang vom BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG getroffenen Ermessenserwägungen als fehlerhaft. Das BfArM geht insoweit zu Unrecht vom Vorliegen einer verfügbaren konkreten Therapiemöglichkeit mit cannabishaltigen Präparaten aus, da diese für den Kläger angesichts seiner geringen Einkünfte tatsächlich nicht erreichbar sind.
108Das Fehlen zwingender Versagungsgründe rechtfertigt es indes nicht, die Beklagte entsprechend dem Antrag des Klägers zur Erteilung der Erlaubnis zu verpflichten, vielmehr steht die begehrte Erlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 -, juris.
110Bei der Ausübung des Ermessens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats wird das BfArM insbesondere § 6 Abs. 2 BtMG zu prüfen sowie über mögliche Nebenbestimmungen zur Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 BtMG zu entscheiden haben.
111Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
112Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
113Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Hinblick auf die modifizierende Anwendung der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG vorliegen.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des BfArM vom 04.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2012 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Anbau von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Mit Schreiben vom 27.01.2011 und vom 03.05. 2011 beantragte der Kläger die Erteilung einer Erlaubnis für den Erwerb bzw. den Anbau von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – Bundesopiumstelle –. Zur Begründung gab er an, er sei seit März 2007 in Schmerztherapie wegen Migräne mit und ohne Aura, eines LWS-Syndroms, eines Karpaltunnelsyndroms an beiden Händen und diabetischer Polyneuropathie. Im Rahmen der Therapie seien ihm verschiedene Schmerzmittel, Antiepileptika und Antidepressiva verordnet worden. Bei den Antiepileptika sei es zu erheblichen Nebenwirkungen wie Gleichgewichtsstörungen, Konzentrations- und Reaktionsverminderung gekommen, weswegen sie wieder abgesetzt worden seien. Bei einigen Schmerzmitteln seien allergische Reaktionen oder Magenschmerzen aufgetreten. Andere Schmerzpatienten hätten über positive Wirkungen von Cannabis berichtet.
3Den Schreiben war eine Mitteilung der DAK Hamburg vom 25.01.2011 beigefügt, in dem diese die Kostenübernahme für eine Behandlung mit „Cannabis“ ablehnt. Ferner legte der Kläger Arztberichte des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vom 14.08.2007 (Privatdozent Dr. med. B. N. ) und des Schmerz- und Palliativzentrums Hamburg vom 18.12.2009 (Dr. med. D. M. ) vor.
4Auf Anforderung der Beklagten reichte der Kläger mit Schreiben vom 23.12.2011 weitere Unterlagen ein, insbesondere ein ärztliches Attest von Dr. med. C. L. (Schmerztherapie, Zentrum am Rothenbaum, Hamburg) vom 22.12.2011 sowie Fotos von bereits vorgenommenen Sicherheitsmaßnahmen (Bl. 40 ff. VV). Im Arztbericht wird bestätigt, dass der Kläger seit seiner Jugend an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und zahlreichen Begleiterkrankungen leide. Im Vordergrund der Beschwerden stünden derzeit die neuropathischen Schmerzen in beiden Beinen, verbunden mit Krämpfen und Schlaflosigkeit, ferner rechtsseitige Rückenschmerzen mit radikulärer Ausstrahlung und Läsion des Spinalnerven im Bereich L5/S1 R. Ferner bestehe bei dem Patienten eine unberechenbare Sturzneigung und eingeschränkte Gehstrecke. Diese Beschwerden beeinträchtigten den Patienten so stark, dass er als Folge unter einer ausgeprägten depressiven Störung mit suizidalen Anwandlungen leide.
5Durch die angewandte multimodale Behandlung einschließlich einer medikamentösen Opiat-Therapie mit Targin und Oxycodon hätten die Schmerzen reduziert werden können, nicht aber die Krämpfe und die Fallneigung. Durch eine probeweise Medikation mit Bedica sei es innerhalb von wenigen Tagen zu einer deutlichen Reduktion der nächtlichen Krämpfe, einer radikalen Schlafverbesserung, einer Verminderung der Schmerzen und Reduzierung des Depressionswertes gekommen. Gleichzeitig habe die Opiatmedikation erheblich reduziert werden können. Es werde eine tägliche Dosis von 2 g Bedica empfohlen, mithin ein 4-Wochen-Bedarf von 56 g.
6Ferner legte der Kläger ein Schreiben der DAK vom 11.01.2012 vor, mit dem ein Antrag auf Kostenübernahme für „Dronabinol“ oder „Bedica THC“ abgelehnt wurde.
7Am 20.01.2012 wurde dem Kläger die Erlaubnis zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten in der vom Arzt empfohlenen Menge über eine Apotheke erteilt.
8Mit Schreiben vom 08.01.2012 beantragte der Kläger erneut die Erlaubnis zum Eigenanbau in seiner Wohnung und erläuterte die Einzelheiten des Anbaus und der vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen.
9Auf Anforderung des BfArM machte der Kläger mit Schreiben vom 29.02.2012 weitere Angaben zur Sicherung des Anbaus in seiner Wohnung und legte zusätzliche Fotos vor. Der vorgesehene Raum habe einen separaten Eingang, der abgeschlossen sei. Die gesamte Wohnung sei videoüberwacht. Die Türschlösser entsprächen der Sicherheitsstufe 3. Der Raum für den Anbau sei zusätzlich gesichert. Fenster und Balkontür seien abschließbar und mit einem Stahlbügel zusätzlich verschlossen. Die Ernte werde in einem Stahlschrank aufbewahrt, in dem sich ein Tresor befinde.
10Ferner wurde eine Berechnung über die Kosten des Anbaus im Vergleich zu den Kosten des Erwerbs der Cannabisblüten aus der Apotheke vorgelegt. Demnach fielen beim Kauf der Cannabisblüten in der Apotheke bei einem Bedarf von 672 g jährlich Kosten in Höhe von 9.504,00 Euro an; demgegenüber seien beim Anbau einmalig Anschaffungskosten in Höhe von 570,55 Euro und jährliche Verbrauchskosten in Höhe von 503,50 aufzubringen.
11Mit Bescheid vom 04.05.2012 lehnte das BfArM die Erteilung der Erlaubnis für den Anbau von Cannabisblüten für die Eigentherapie ab. In der Begründung wurde angegeben, der Erlaubnis stehe der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entgegen, weil die nach den Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten (hier Ziff. 1 und 2) geforderten Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen seien.
12Der Anbau von Cannabispflanzen für die Eigentherapie sei auch zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung weder geeignet noch notwendig. Wegen des schwankenden Wirkstoffgehalts beim Eigenanbau sei die Einhaltung einer vom Arzt verantworteten Dosierungsempfehlung nicht möglich und unerwünschte Nebenwirkungen könnten nicht vorhergesehen und zielgerichtet bekämpft werden.
13Ferner stehe der Erlaubniserteilung das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 entgegen, das die Errichtung einer staatlichen Cannabisagentur bei einer Genehmigung des Anbaus von Cannabis erfordere. Eine nationale Cannabisagentur bestehe in Deutschland nicht.
14Bei einem Verstoß gegen die Konvention sei das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland und die effiziente Kontrolle im Betäubungsmittelbereich gefährdet. Diese Gesichtspunkte überwögen gegenüber dem Interesse an der Erteilung einer Erlaubnis zum Eigenanbau. Die Erlaubniserteilung sei nicht geboten, da dem Kläger die Cannabis-Therapie grundsätzlich aufgrund der Genehmigung zum Erwerb des Medizinalhanfs aus der Apotheke zur Verfügung stehe.
15Am 18.05.2012 legte der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch ein. In seiner ausführlichen Widerspruchsbegründung vom 13.05.2012 und 20.05.2012 bezieht sich der Kläger zunächst auf das Urteil des VG Köln vom 11.01.2011 – 7 K 3889/09 - und auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005. Danach sei eine Einzelfallprüfung erforderlich, die die Behörde nicht getroffen habe. Der Erlaubniserteilung stünden weder Sicherheitsaspekte noch internationale Abkommen entgegen. Die Therapiealternative mit Cannabisblüten aus der Apotheke sei nicht erschwinglich.
16Durch Widerspruchsbescheid vom 28.08.2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. In der Begründung werden die Ausführungen des Ablehnungsbescheides vom 04.05.2012 wiederholt.
17Am 06.09.2012 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er seinen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für den Cannabisanbau zum Zweck der Eigentherapie weiterverfolgt.
18Er macht geltend, dass er einen Anspruch auf die Erlaubnis zum Anbau habe, da er Cannabis vor allem zur Schmerzlinderung benötige. Entgegen der Behauptung der Beklagten gebe es durchaus wissenschaftliche Forschung zum Einsatz von Cannabis für Schmerzpatienten in Schweden, Holland und der Schweiz sowie einigen außereuropäischen Ländern. Hierzu hat der Kläger verschiedene Unterlagen vorgelegt (Beiakte 4). Cannabis sei in neurologischen Fachkliniken bei Migräne, unter der er ebenfalls leide, erfolgreich getestet worden. Die deutsche Schmerzliga und die Bundesärztekammer hätten eine Freigabe von Cannabis in ihrer Stellungnahme zur Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages am 09.05.2012 empfohlen.
19Eine erschwingliche Therapiealternative mit einem zugelassenen Arzneimittel bestehe nicht. Seine Krankenkasse lehne die Kostenübernahme ausweislich des vorgelegten Schreibens der Bergischen Krankenkasse vom 08.03.2013 weiterhin ab, weil die Behandlung mit Dronabinol vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht genehmigt worden sei. Bei einer chronischen Schmerzerkrankung liege auch kein notstandsähnlicher Ausnahmefall vor.
20Zwingende Versagungsgründe seien nicht gegeben. Insbesondere seien die Sicherungsmaßnahmen in seiner Wohnung ausreichend. Hierzu legt der Kläger erneut Fotos vor (Bl. 23 ff., 55, 56 d. A. und Beiakte 4). Die Beklagte könne die Sicherheitsvorkehrungen in seiner Wohnung jederzeit selbst überprüfen. Die Beklagte erhebe Anforderungen an die Sicherheit in einer Privatwohnung, die nicht zu erfüllen seien. Die Richtlinien des BfArM für die Sicherung von Betäubungsmittelvorräten könnten nur bei Unternehmen, nicht aber bei Privatpersonen Anwendung finden. Es sei Aufgabe des BfArM, die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen durch Nebenbestimmungen anzuordnen.
21Wirkstoffschwankungen beim Eigenanbau stünden der Erlaubnis nicht entgegen. Diese bestünden auch bei den Blüten aus der Apotheke. Die Zucht der Pflanze und Wiederverwendung der Samen biete eine ausreichende Stabilität bei gleichbleibender Qualität.
22Die Entscheidung des BfArM, die Erlaubnis zu verweigern, sei ermessensfehlerhaft. Insbesondere könne er nicht auf den Erwerb von niederländischem Medizinalhanf verwiesen werden, da dessen Bezug für ihn unerschwinglich sei. Bei einem monatlichen Bedarf von 60 g Cannabisblüten entstünden Kosten in Höhe von 864,48 €. Dieser Betrag könne von ihm, als Frührentner, nicht aufgebracht werden.
23Nach den Angaben im Prozesskostenhilfeantrag bezieht der Kläger derzeit eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 292,80 € zuzüglich Leistungen der Grundsicherung nach SGB XII in Höhe von 902,10 € monatlich. Die Folge der unzureichenden Versorgung mit Cannabis seien erneute starke Schmerzen, Ataxien, fehlender Schlaf und die fehlende Möglichkeit, außerhalb der Wohnung etwas zu unternehmen.
24Die Beklagte habe im Rahmen der Ermessensausübung auch keine Feststellungen zur Schwere der Erkrankung des Klägers getroffen, die sich fortlaufend verschlechtere und zu immer größeren Einschränkungen aufgrund der Ataxie führe, einhergehend mit starken Depressionen. Unter Beachtung der Wertentscheidung des Grundgesetzes sei selbst ein Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffübereinkommen hinzunehmen. Im Übrigen liege ein Verstoß gegen das ÜK 1961 nicht vor. Eine Cannabisagentur sei bei dem Anbau für die Eigentherapie nicht unbedingt notwendig. Insoweit wird Bezug genommen auf ein Gutachten von Prof. Dr. Lorenz Böllinger vom 15.02.2009.
25Auf Anforderung des Gerichts hat der Kläger außerdem eine ärztliche Stellungnahme seines behandelnden Schmerztherapeuten Dr. med. B. L. vom 11.12.2013 (Bl. 104 d.A.) vorgelegt, in der dieser bestätigt, dass der Zustand gegenüber dem Befund vom 22.12.2011 unverändert sei. Eine Kombination aus Targin, Antikonvulsiva und Antidepressiva sei keine Therapiealternative, da der Kläger die Antikonvulsiva wegen zentraler Nebenwirkungen nicht vertrage und die Antidepressiva zwar zu einer Schmerzverminderung führten, aber keine Wirkungen auf die Krämpfe hätten. Eine Kombinationstherapie aus Bedica (Cannabisblüten), Targin und Antidepressiva lasse dagegen eine Besserung der Schmerz- und Lebensqualität erwarten.
26Ferner hat der Kläger ein neurologisches Gutachten von Dr. med. M1. I. vom 18.06.2012, Lieferscheine und Rechnungen der S. -Apotheke Hamburg über die Lieferung von Cannabis flos Bedica aus dem Jahr 2012, weitere Fotos aus seiner Wohnung, ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Hamburg zu einem Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln vom 07.09.2012 (6001 Js 295/12) und weitere Unterlagen vorgelegt (Beiakten 3 und 4).
27Der Kläger beantragt,
28die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 04.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2012 zu verpflichten, ihm eine Erlaubnis für den Anbau von Cannabispflanzen zum Zweck der Eigentherapie zu erteilen,
29hilfsweise,
30über den Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
31Die Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Sie wiederholt im Wesentlichen die Begründung der angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor, das OVG NRW habe im Urteil vom 07.12.2012 – 13 A 414/11 – in einem Parallelverfahren bestätigt, dass ein Anspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis jedenfalls dann nicht bestehe, wenn dem Antragsteller eine gleichwirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung stehe. Bis heute habe der Kläger keinen Therapieversuch mit dem Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ unternommen. Zwar habe ihm diese Therapiealternative bisher nicht zur Verfügung gestanden, da seine Krankenkasse die Kostenübernahme abgelehnt habe. Vor dem Hintergrund, dass in dem Verfahren OVG NRW - 13 A 414/11 - eine Kostenzusage der Krankenkasse erfolgt sei, sei anzuregen, dass der Kläger erneut einen Antrag auf Kostenerstattung bei seiner Krankenkasse stelle und einen ärztlich überwachten, mindestens dreimonatigen Therapieversuch mit Dronabinol unternehme.
34Auf Anfrage des Gerichts hat die Beklagte mitgeteilt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Empfehlung für den Einsatz cannabishaltiger Arzneimittel bei den Indikationen „chronische neuropathische Schmerzen“ oder „diabetischer Neuropathie“ gegeben habe. Dies sei aktuell auch nicht vorgesehen. Die Anwendung von Cannabis in diesen Anwendungsgebieten sei nicht wissenschaftlich anerkannt. Kontrollierte Studien, die die Sicherheit und Wirksamkeit von Cannabis insoweit belegten, lägen nicht vor.
35Weiterhin hat die Beklagte die „Richtlinien über Maßnahmen zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten bei Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG“ mit Stand vom 01.01.2007 vorgelegt. Nach Auffassung des BfArM sind diese Richtlinien, die der Einheitlichkeit und Transparenz der Sicherungsmaßnahmen dienten, auch beim Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken zu beachten. Die Anforderungen richteten sich nach dem Gefährdungsgrad und der Bestands- oder Jahreshöchstmenge des betreffenden Betäubungsmittels. Da sich Cannabis in der Sicherungsklasse S 3 befinde, erfordere bereits der Anbau einer einzigen Cannabispflanze mit einem Gewicht über 100 g eine Sicherung nach Ziff. 1 und 2 der Richtlinie. Es sei daher eine Raumsicherung nach Ziff. 2 sowie für die Lagerung ein Wertschutzschrank nach Ziff. 1 der Richtlinie erforderlich.
36Wenn diese Richtlinien keine Anwendung finden sollten, wäre jedenfalls eine weitere Prüfung der Sicherheitslage, ggfs. unter Inaugenscheinnahme der konkreten örtlichen Gegebenheiten durch das BfArM, erforderlich. Wegen der Mannigfaltigkeit der hierbei zu beachtenden Kriterien könnten die Anforderungen an die Sicherung des Cannabisanbaus in einer Privatwohnung nicht pauschal definiert werden.
37Die vorgetragenen Sicherheitsvorkehrungen in der Wohnung des Klägers seien nach wie vor nicht ausreichend. Die nunmehr eingereichten Fotos ließen eine Beurteilung der konkreten Beschaffenheit des Schlosses nicht zu. Zudem sei nicht erkennbar, ob es sich überhaupt um Fotos aus der Wohnung des Klägers handele.
38Ferner stehe der Erlaubniserteilung das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 entgegen, das die Errichtung einer staatlichen Cannabisagentur bei einer Genehmigung des Anbaus von Cannabis erfordere. Dies gelte auch für den Anbau im geringen Umfang zum Zweck der Eigentherapie, wie der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) auf eine Anfrage des BfArM im Schreiben vom 30.07.2010 bestätigt habe. Denn die Errichtung der Agentur diene dem Zweck, ausnahmslos alle Ernten zu erfassen und zu kontrollieren mit dem Ziel, der Gefahr einer illegalen Entnahme oder Weitergabe von Teilmengen zu begegnen.
39Im Rahmen der nach § 5 Abs. 2 BtMG zu treffenden Ermessensentscheidung überwiege das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Wahrung ihres internationalen Ansehens die Belange des Klägers. Dem Ansehen werde erheblicher und unvertretbarer Schaden zugefügt, wenn die Bundesrepublik trotz der klaren Feststellung des INCB gegen seine Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstoßen würde. Außerdem seien die Einhaltung der Konvention und die Zusammenarbeit mit den Internationalen Behörden unverzichtbar für eine effiziente Überwachung und Kontrolle im Betäubungsmittelbereich. Hier gehe es nicht um die grundsätzliche Frage des Einsatzes von Cannabis zu therapeutischen Zwecken, sondern speziell um den Anbau, bei dem eine effektive Kontrolle über den Umfang und die Lagerbestände nicht gegeben sei. Bei der Abwägung sei auch die international große drogenpolitische Bedeutung des Themas „Cannabis“ zu berücksichtigen. Demgegenüber würden die Belange des Klägers ausreichend durch die Erlaubnis zum Erwerb von Medizinal-Hanf gewahrt. Außerdem spreche auch der erwähnte Aspekt der Therapiesicherheit gegen die Erteilung der Erlaubnis.
40Auf Anforderung des Gerichts hat die Beklagte im Verfahren 7 K 4450/11 mit Schriftsatz vom 03.07.2014 eine Auskunft zur internationalen Handhabung des Cannabisanbaus zu medizinischen Zwecken einschließlich entsprechender Unterlagen vorgelegt, auf die Bezug genommen wird. Eine Kopie des Schriftsatzes mit den Unterlagen wurde dem Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgehändigt.
41Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie in den Verfahren 7 K 4447/11 und 7 K 4450/11, auf die von der Beklagten eingereichten Verwaltungsvorgänge und die vom Kläger vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
42E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
43Die Klage ist zulässig und in überwiegendem Umfang begründet.
44Soweit der Kläger hilfsweise die Neubescheidung seines Antrages auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zur Eigentherapie und Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide des BfArM beantragt hat, hat die Klage Erfolg. Der Bescheid des BfArM vom 16.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis, vorbehaltlich einer noch vom BfArM zu treffenden Ermessensentscheidung über die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen in Form einer Nebenbestimmung zur Erlaubnis. Da diese Ermessensentscheidung noch nicht vorliegt, ist der Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Erlaubnis noch nicht spruchreif, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, und war daher als unbegründet abzuweisen.
45Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide ist nach allgemeinen Grundsätzen im Fall der Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend. Aus dem anwendbaren materiellen Recht, also den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, ergeben sich keine Gründe für die Berücksichtigung eines anderen Zeitpunktes.
46Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist die Klage hinsichtlich des Hilfsantrages begründet. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis, die sich aus § 3 Abs. 2 BtMG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG unter Berücksichtigung einer verfassungskonformen Auslegung ergeben, sind erfüllt. Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 BtMG stehen der Erlaubniserteilung nicht entgegen bzw. können durch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis beseitigt werden. Die Kammer ist auch zu der Auffassung gelangt, dass das in § 3 Abs. 2 BtMG eingeräumte Ermessen der Beklagten im vorliegenden Verfahren auf Null reduziert ist, weil nur die Erteilung der Erlaubnis den grundrechtlich geschützten Interessen des Klägers gerecht werden kann und damit allein rechtmäßig ist. Lediglich hinsichtlich der Auswahl der noch anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen steht dem BfArM noch Ermessen zu.
47Nach § 3 Abs. 2 BtMG kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Der Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung fällt unter die Anlage I des BtMG und bedarf daher einer Erlaubnis des BfArM.
48Nach der Anlage I zu § 1 Nr. 1 BtMG zählt Cannabis grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln, für die eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur im Ausnahmefall erteilt werden kann. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen offensichtlich nicht vor. Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11.05.2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (Anlage III), ist hier nicht betroffen. Auch sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, nicht „zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“ bestimmt (Anlage II). Denn diese Ausnahme bezieht sich nach der Gesetzesbegründung ausschließlich auf die Herstellung von Zubereitungen mit dem Ziel der Herstellung eines Fertigarzneimittels,
49vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - und Beschluss vom 16.11.2011 - 13 B 1199/11 - juris.
50Die für den Anbau von Cannabispflanzen geltende Erlaubnispflicht in Verbindung mit der hieran anknüpfenden Strafbarkeit bei Fehlen der Erlaubnis begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, sofern für die Erteilung der Erlaubnis die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - geltenden Kriterien berücksichtigt werden. Denn die Gefährlichkeit des Cannabisgenusses ist auch nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere für bestimmte Risikogruppen wie Jugendliche, nicht widerlegt, und rechtfertigt daher nach wie vor das grundsätzliche Verkehrsverbot,
51vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.11.2011 - 13 B 1199/11 - und VG Köln, Beschluss vom 13.09.2011 - 7 L 1172/11 - .
52Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 - u. a., BVerfGE 90, 145, 187 die Verfassungsmäßigkeit des strafbewehrten Cannabisverbots bejaht und ausgeführt, dass nach dem seinerzeitigen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand mit dem Cannabisgenuss beträchtliche Gefahren und Risiken für die Gesundheit des einzelnen und der Bevölkerung, vor allem der jugendlichen Bevölkerung, verbunden seien. Insbesondere könne ein Dauergenuss in hoher Dosierung – eventuell im Zusammenwirken mit anderen Ursachen – zu Toleranzbildung, psychischer Abhängigkeit und weiteren psychischen Störungen führen und damit die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen beeinträchtigen. Ein „Umsteigeeffekt“ auf härtere Drogen sei in Einzelfällen nicht auszuschließen. Ein akuter Cannabisrausch beeinträchtige in erheblichem Maß die Fahrtüchtigkeit und damit die Sicherheit des Straßenverkehrs. Die generelle Ungefährlichkeit von Cannabis sei wissenschaftlich nicht gesichert.
53An dieser Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen vom 29.06.2004 - 2 BvL 8/02 - , DVBl. 2004, 1108, vom 30.06.2005 - 2 BvR 1772/02 - , PharmR 2005, 374 und vom 15.08.2006 - 2 BvR 1441/06 - , juris, festgehalten.
54Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 21.12.2000 - 3 C 20/00 - , NJW 2001, 1365, dieser Rechtsprechung angeschlossen und ausgeführt, dass auch die nach dem Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994 erzielten Forschungsergebnisse bisher nicht den Beweis einer generellen Unbedenklichkeit von Cannabis erbracht hätten. Diese Auffassung wurde im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.10.2006 - 3 B 109.06 - bestätigt.
55Im vorliegenden Verfahren wurden keine aktuellen Forschungsergebnisse benannt, die eine günstigere Einschätzung des Risikopotentials von Cannabis rechtfertigen würden. Sogar von den Befürwortern einer allgemeinen Freigabe des Cannabiskonsums oder zumindest einer Freigabe für medizinische Zwecke wird eingeräumt, dass insbesondere der hochdosierte Dauergenuss nicht unerhebliche Risiken für bestimmte Bevölkerungsgruppen, insbesondere für Jugendliche oder Personen mit einer instabilen Psyche birgt,
56vgl. Krumdiek, „Cannabis sativa L. und das Aufleben alter Vorurteile“, NStZ 2008, 437, 444; Grotenhermen/Müller-Vahl, „Das therapeutische Potenzial von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498 f..
57Ein Gelegenheitskonsum wird zwar, insbesondere bei erwachsenen Konsumenten, in der Regel als gesundheitlich unproblematisch angesehen. Jedoch können die erwünschten psychischen Wirkungen des akuten Cannabisrausches, z. B. Entspannung, Gelassenheit, Leichtigkeit, Euphorie, Intensivierung von Wahrnehmung und Gemeinschaftserleben, auch in seltenen Fällen in das Gegenteil umschlagen und zu vorübergehenden Angstzuständen, Verwirrung, Halluzinationen, Erinnerungslücken, Übelkeit und Schwindel führen.
58Bedeutsamer sind aber die dauerhaften Folgen eines Cannabiskonsums. Trotz teilweise widersprüchlicher Forschungsergebnisse ist heute anerkannt, dass ein dauerhafter und hochdosierter Cannabiskonsum mit psychischen, sozialen und körperlichen Risiken, insbesondere bei dafür anfälligen Personen, verbunden sein kann.
59Es kann sich bei ca. 4 – 7 % der Konsumenten eine psychische und eine milde körperliche Abhängigkeit entwickeln. Bei einem Entzug können daher leichte Symptome wie innere Unruhe, Reizbarkeit, Angst, Schlafstörungen, Schweißausbrüche entstehen, die den Symptomen eines Nikotinentzuges ähnlich sind und eine Beendigung des Konsums erschweren. Die Sicherstellung des Konsums kann daher im Alltagsleben eine erhebliche Bedeutung gewinnen und andere Aufgaben in den Hintergrund drängen.
60Cannabisabhängigkeit kann insbesondere bei Jugendlichen und bei Vorliegen persönlicher und sozialer Risikofaktoren in Zusammenhang mit Leistungsproblemen in Schule und Beruf sowie familiären und finanziellen Schwierigkeiten stehen, wobei die Kausalität von Cannabis nicht eindeutig geklärt ist. Es spricht einiges dafür, dass dauerhafter Cannabiskonsum, insbesondere bei Jugendlichen oder bei Personen mit entsprechender Disposition den Ausbruch einer Schizophrenie auslösen oder beschleunigen kann.
61Derartige Fälle sind allerdings selten.
62Hochdosierter regelmäßiger Cannabiskonsum schädigt die Lungenfunktion und erhöht das Krebsrisiko, jedenfalls in der verbreiteten Verbindung mit Tabakrauch. Zu den akuten Wirkungen von Cannabis gehört auch eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Der Cannabisgenuss kann daher für Herz/Kreislauf-Patienten gefährlich sein. Ferner hat Cannabiskonsum eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit zur Folge (Aufmerksamkeit, Konzentration, Lernfähigkeit, Gedächtnis), wobei noch ungeklärt ist, ob diese Folgen bei Beendigung des Genusses reversibel sind. Einige Studien weisen darauf hin, dass das nicht ausgereifte Gehirn von Jugendlichen durch die Wirkungen von Cannabis dauerhaft geschädigt werden kann. Nicht auszuschließen ist ein Einfluss auf das Hormon- und Immunsystem, was in der Pubertät zu Entwicklungsverzögerungen führen kann,
63vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, „Das therapeutische Potential von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; „Cannabis-Wirkung, Nebenwirkungen und Risiken“; http:// hanfverband.de, Abruf vom 25.06.2014; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., „Illegale Drogen“, Cannabis, http:// www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Sonnenmoser, „Cannabiskonsum: Für Jugendliche besonders riskant“, 2008, http:// www.aerzteblatt.de, Abruf vom 23.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. für Suchtforschung und Suchttherapie und der Dt. Ges. f. Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, „Cannabisbezogene Störungen“, AWMF online, http://www.uni-duesseldorf.de, eingestellt am 18.12.2006; Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Drugcom: Drogenlexikon: Cannabis, http://www.drugcom.de, Abruf vom 18.06.2014.
64Das Risikopotential von Cannabis wird bestätigt durch die Inanspruchnahme von Drogenberatungsstellen und Therapieangeboten. Cannabis war im Jahr 2012 europaweit unter den Drogenkonsumenten, die sich erstmalig einer Behandlung unterzogen, die am häufigsten gemeldete Droge. In Deutschland gaben 54,5 % der Drogenkonsumenten (11.431 Personen), die erstmalig eine Therapie antraten, Cannabis als Primärdroge an,
65vgl. Europäischer Drogenbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, 2014, S. 13, 36 und 77.
66Vor diesem Hintergrund kann von einer Ungefährlichkeit des Cannabiskonsums nach wie vor nicht ausgegangen werden. Demnach ist das allgemeine, strafrechtlich bewehrte Verkehrsverbot mit Erlaubnisvorbehalt keine unverhältnismäßige Einschränkung des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG. Die von Cannabis ausgehenden Gefahren sind aber anders zu beurteilen, wenn es um den Einsatz des Betäubungsmittels zur Bekämpfung einer Krankheit geht und damit um ein sehr viel höheres Rechtsgut als die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Beschränkung des Zugangs zu Cannabis hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung im Hinblick auf den Eingriff in die Grundrechte von Menschen mit schweren Erkrankungen aus Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 GG nur dann stand, wenn im Einzelfall schon die Möglichkeit einer Linderung der schweren Erkrankung oder die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit die Erlaubnisfähigkeit eröffnet,
67vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - juris.
68Die vom Bundesverwaltungsgericht in der o. g. Entscheidung angegebenen Kriterien für die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Erwerb und sogar für den Anbau von Cannabispflanzen liegen unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls vor. Die Erteilung der Erlaubnis liegt im öffentlichen Interesse.
69Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Beschwerden möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
70Dies ergibt sich aus der Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und für die Wahrung der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 GG. Diesen Bestimmungen kommt im Rahmen des Wertehorizontes des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist,
71vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - juris.
72Der Einsatz von Cannabis ist im vorliegenden Einzelfall zur Linderung der Leiden und Beschwerden des Klägers geeignet und erforderlich. Dies hat die Beklagte bereits dadurch anerkannt, dass sie dem Kläger eine Erlaubnis zum Erwerb von Medizinalhanf aus Holland am 20.01.2012 erteilt hat.
73Die Notwendigkeit der Versorgung des Klägers mit Cannabis liegt auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch vor. Nach den vorliegenden ärztlichen Berichten leidet der Kläger an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und zahlreichen Begleiterkrankungen. Hierzu gehören neuropathische Schmerzen in beiden Beinen, verbunden mit Krämpfen (diabetische Neuropathie), Migräne, chronische Spannungskopfschmerzen, Herzinsuffizienz und Schlaflosigkeit, rechtsseitige Rückenschmerzen mit radikulärer Ausstrahlung und Läsion des Spinalnerven im Bereich L5/S1 aufgrund degenerativer Wirbelsäulenveränderungen, Coxarthrose, Adipositas, Schlafapnoe, Schulter-Nacken-Beschwerden, Paraparese der unteren Beine mit Sturzneigung und einer ausgeprägten depressiven Störung mit Suizidgedanken. Dies ergibt sich aus den ärztlichen Attesten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, Dr. A. N. , vom 14.08.2007, Bl. 10, 11 Beiakte 2, des Schmerz- und Palliativzentrums Hamburg, Dr. D. M. , vom 18.12.2009, Bl. 12, 13 Beiakte 2, des Schmerztherapie-Zentrums Hamburg, Dr. C. L. vom 22.12.2011, Bl. 31 – 33 Beiakte 2 und vom 11.12.2013, Bl. 104 d. A. sowie aus dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. M1. I. vom 18.06.2012. Seit 2010 benutzt der Kläger einen Rollstuhl.
74Dr. L. betont in seiner aktuellen Stellungnahme vom 11.12.2013, dass die Beschwerden chronisch seien und von einer Heilung nicht ausgegangen werden könne. Ziel der Therapie könne nur eine Schmerzlinderung sein. Demnach bedarf der Kläger einer Dauermedikation seiner multiplen Beschwerden mit Cannabis, nachdem andere Behandlungskonzepte fehlgeschlagen sind.
75Es kommt nicht darauf an, ob die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis bei chronischen Schmerzen und den übrigen Beschwerden des Klägers durch kontrollierte Studien wissenschaftlich erwiesen ist. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine subjektiv-individuelle Betrachtung. Aus verfassungsrechtlichen Gründen muss die Erlaubniserteilung schon bei Bestehen der Möglichkeit einer subjektiv empfundenen Linderung einer schweren Erkrankung möglich sein,
76vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - , juris.
77Diese Möglichkeit besteht hier; eine therapeutische Wirkung ist bei den Krankheitsbildern des Klägers nicht ausgeschlossen. Die Wirksamkeit von Cannabis bei einzelnen Patienten, die an chronischen Schmerzen und weiteren Begleitsymptomen leiden, wird in den Fachkreisen überwiegend bejaht (vgl. Grotenhermen, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. vom 07.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)); Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 03.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(6)). Die Wirksamkeit von Cannabisblüten bei Muskelkrämpfen ist im Rahmen der Zulassung von Sativex für das Anwendungsgebiet der spastischen Schmerzen bei Multiple-Sklerose-Patienten nachgewiesen worden. Demnach besteht Grund zu der Annahme, dass Cannabis auch bei den durch die diabetische Polyneuropathie ausgelösten Krämpfen wirksam sein kann.
78Zur Behandlung seiner dauerhaften Schmerzen und Krämpfe steht dem Kläger keine gleich wirksame Behandlungsalternative mit einem zugelassenen und finanzierbaren Arzneimittel zur Verfügung. Die schulmedizinisch angezeigten Schmerzmittel (nicht-steroidale Antirheumatika – NSAR - und Opioide), Antidepressiva und Antikonvulsiva haben nach den glaubhaften Attesten der Ärzte keine befriedigende Besserung der Schmerzen erbracht und waren mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Insbesondere hat der Kläger die Antikonvulsiva wegen der Nebenwirkungen nicht toleriert. Antidepressive Medikamente konnten die durch die Polyneuropathie bedingten Krämpfe und Schlafstörungen nicht bessern. Demgegenüber kann durch den Einsatz von Cannabisblüten die Dosierung des Schmerzmittels Targin reduziert und in der Kombination mit einem Antidepressivum eine deutliche Symptomverbesserung erzielt werden, vgl. das Attest von Dr. B. L. vom 11.12.2013.
79Das sehr teure, cannabishaltige Medikament Sativex ist nur für spastische Schmerzen bei multipler Sklerose zugelassen. Es ist für den Kläger nicht erschwinglich, weil es von den gesetzlichen Krankenkassen nicht erstattet werden kann. Die Voraussetzungen einer Kostenübernahme für einen off-label-use liegen nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte nicht vor, da der Kläger nicht an einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden oder einer wertungsmäßig vergleichbaren Krankheit leidet.
80Das THC-haltige Importarzneimittel bzw. Rezepturarzneimittel Dronabinol ist ebenfalls keine verfügbare Behandlungsalternative, da die Krankenkassen des Klägers die Kostenerstattung mit Schreiben vom 25.01.2011 und vom 08.03.2013 abgelehnt haben.
81Es kann dem Kläger auch nicht immer wieder nahegelegt werden, einen erneuten Kostenerstattungsantrag für Dronabinol bei seiner Krankenkasse zu stellen. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Kostenerstattung liegen nicht vor, da es sich bei Dronabinol nicht um ein in Deutschland zugelassenes Arzneimittel handelt und der Gemeinsame Bundesausschuss für einen „neue Behandlungsmethode“ bisher keine Empfehlung nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausgesprochen hat. Eine Übernahme der Kosten kommt nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung daher nur ausnahmsweise bei Vorliegen bestimmter, eng beschriebener Voraussetzungen in Betracht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Nach der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Kostenerstattung von Dronabinol liegt weder ein sogenanntes „Systemversagen“ hinsichtlich des Verfahrens beim Gemeinsamen Bundesausschuss, noch ein sogenannter „Seltenheitsfall“, also der Fall einer seltenen, nicht erforschten Krankheit vor. Schließlich ist die Kostenerstattung – jedenfalls nach Auffassung der Sozialgerichte - auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Das ist nur bei lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen – wie bei Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion – anzunehmen und liegt im Fall eines chronischen Schmerzsyndroms nicht vor,
82vgl. BSG, Urteile vom 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R -, juris, und vom 27.03.2007 - B 1 KR 30/06 R -, juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2011 - L 4 KR 4903/10 -, juris; Landessozialgericht NRW, Urteile vom 14.02.2008 - L 5 KR 25/06 - und vom 04.01.2012 - L 11 KA 110/10 -, juris; a.A. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19.06.2013 - L 5 KR 91/13 B ER -, juris: bei drohendem Verlust der Fortbewegungsfähigkeit einer MS-Patientin.
83Vor diesem Hintergrund ist es dem Kläger daher nicht zuzumuten, erneut eine Erstattung der Kosten bei seiner Krankenkasse zu beantragen oder einen langwierigen und wenig aussichtsreichen Prozess um die Kostenerstattung vor den Sozialgerichten zu führen.
84Der Kläger kann die Behandlungskosten für einen 4-Wochen Bedarf in Höhe von 672,00 Euro auch nicht von seinem Einkommen aufbringen. Diese Kosten ergeben sich bei einem angenommenen Maximal-Bedarf von 30 mg THC pro Tag x 28 Tage = 840 mg THC, (vgl. Grotenhermen, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 499), und einem Preis von 0,80 Euro/mg Dronabinol, also 840 mg x 0,80 € = 672,00 €, (vgl. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin zur Anhörung des Gesundheitsausschusses 2012, a.a.O., S. 6). Der Kläger bezieht nach seinen Angaben im Prozesskostenhilfeverfahren derzeit eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 292,80 € und zuzüglich Leistungen der Grundsicherung nach SGB XII in Höhe von 902,10 € monatlich, also insgesamt 1194,90 €. Davon können Medikamentenkosten in Höhe von 672,00 Euro nicht finanziert werden, sodass diese Behandlungsalternative für den Kläger nicht verfügbar ist,
85vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - ; NJW 2005, 2200 ff., juris.
86Da dem Kläger somit zur Behandlung seiner starken Schmerzen und der Begleitsymptome keine Therapiealternative zur Verfügung steht, liegt die Erteilung einer Erlaubnis für den Zugang zu Cannabisblüten im öffentlichen Interesse.
87Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 BtMG stehen der Erlaubniserteilung nicht entgegen. Im Fall der Erlaubnis für eine Eigentherapie sind die Versagungsgründe modifiziert auszulegen. Denn diese sind nach der Konzeption des Gesetzes nicht auf die Eigentherapie mit einem nicht verkehrsfähigen Betäubungsmittel der Anlage I zugeschnitten. Vielmehr dient die Erlaubniserteilung regelmäßig gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken, wie beispielsweise die Vorschrift des § 6 BtMG über die erforderliche Sachkenntnis zeigt. Bei der Erteilung der Erlaubnis für die medizinische Selbstversorgung handelt es sich dagegen um einen aus dem Grundrechtsschutz der betroffenen Patienten entwickelten Ausnahmefall, in dem einerseits dem geringeren Gefährdungspotential eines Kleinanbaus in einer Privatwohnung und andererseits den Bedürfnissen und Möglichkeiten einer Privatperson Rechnung getragen werden muss, damit die Möglichkeit der Gewährung des Zugangs nicht völlig leerläuft oder unzumutbar erschwert wird,
88vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
89Nach diesem Maßstab kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, dass er nicht die erforderliche Sachkenntnis hat, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BtMG, der im Fall der Herstellung von Betäubungsmitteln, die Arzneimittel sind, den Nachweis der Sachkunde nach § 15 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes verlangt, ist vorliegend nicht anwendbar. Die Vorschrift geht ersichtlich davon aus, dass es sich um Arzneimittel handelt, die dazu bestimmt sind, später angewendet zu werden und von denen somit eine Gefährdung anderer Menschen ausgehen kann. Die Sachkenntnis als approbierter Apotheker dient dazu, Gefahren abzuwehren, die von einer unsachgemäßen Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln für andere Menschen ausgehen.
90Im vorliegenden Fall der Eigentherapie durch selbstangebautes Cannabis treffen die Gefahren einer unsachgemäßen Herstellung allein den Kläger selbst, der diese Gefahren jedoch wegen der erwünschten, schmerzlindernden Wirkung der Cannabisblüten in Kauf nimmt. Es obliegt daher dem Kläger selbst, sich die erforderliche Sachkenntnis zu verschaffen, um Gesundheitsgefahren aus einer fehlerhaften Qualität des selbst erzeugten Produkts abzuwehren. Die Kammer hat im Hinblick auf die Persönlichkeit des Klägers keine Zweifel daran, dass dieser in der Lage ist, sich die erforderlichen Informationen für einen Kleinanbau zu beschaffen. Diese sind in den einschlägigen Veröffentlichungen der Interessenverbände im Internet ohne Mühe erhältlich.
91Ein Versagungsgrund ergibt sich auch nicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Es liegen keine Tatsachen vor, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Klägers als verantwortliche Person für den Betäubungsmittelverkehr ergeben. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger unerlaubt Teilmengen aus dem Anbau abzweigt und hierdurch einen Betäubungsmittelmissbrauch durch Dritte ermöglichen könnte. Zum einen benötigt der Kläger die angebauten Pflanzen selbst für seine regelmäßige Behandlung. Zum anderen kann die Bundesopiumstelle den Anbau des Klägers hinsichtlich der Zahl der zugelassenen Pflanzen begrenzen, § 9 Abs. 1 Nr. 2 BtMG, und nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BtMG kontrollieren. Eine unerlaubte Weitergabe nicht benötigter Cannabismengen dürfte schon deshalb nicht zu befürchten sein, weil der Kläger sich in diesem Fall strafbar macht und damit rechnen muss, dass die erteilte Erlaubnis wegen Fehlens der Zuverlässigkeit widerrufen wird.
92Die Beklagte kann sich auch nicht auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG berufen. Dem Kläger kann nicht entgegengehalten werden, dass geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr nicht vorhanden sind.
93In der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sind die Voraussetzungen für den Cannabisanbau in einer Privatwohnung bisher nicht geklärt. Zwar hat das OVG NRW im Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - entschieden, dass die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten für den gewerblichen Anbau im großen Stil konzipiert sind und für den Eigenanbau im geringen Umfang in einer Privatwohnung wegen der unterschiedlichen Gefährdungslage keine Anwendung finden. Dem schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an.
94Aus Sinn und Zweck des Betäubungsmittelgesetzes, einen Missbrauch zu verhindern und die medizinische Versorgung sicherzustellen, ergibt sich, dass einerseits dem Gefährdungsgrad des jeweiligen Umgangs mit Betäubungsmitteln angepasste Sicherungen gegen Diebstahl und unbefugte Entnahme vorzunehmen sind, § 15 Satz 1 BtMG, und andererseits den persönlichen und grundrechtlich geschützten Bedürfnissen von Patienten, die auf den Einsatz von Cannabis angewiesen sind, Rechnung getragen werden muss. Welche konkreten Sicherheitsanforderungen sich daraus ergeben, hat das Oberverwaltungsgericht aber nicht generell definiert. Ebensowenig hat sich das BfArM bisher in der Lage gesehen, derartige Richtlinien zu formulieren oder im vorliegenden Fall eine substantiierte Prüfung der Sicherheitsvorkehrungen vorzunehmen. Aus der mit Urteil des OVG NRW vom 11.06.2014 getroffenen Einzelfallentscheidung ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die hier gebotenen Sicherheitsvorkehrungen.
95Die Kammer ist der Auffassung, dass für einen Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung in jedem Fall eine Raumsicherung vorhanden sein muss. Anders als bei der Aufbewahrung von Medizinal-Cannabisblüten genügt ein Wertschutzschrank für die Ernte nicht. Die Anpflanzung muss auch in der Wuchs- und Blühphase vor Diebstahl oder unberechtigter Entnahme durch Mitbewohner oder Besucher geschützt werden, da sowohl die ganzen Pflanzen als auch nicht getrocknete Blätter und Blüten für einen künftigen Betäubungsmittelmissbrauch benutzt werden können.
96Daraus ist abzuleiten, dass in einer Privatwohnung zunächst ein geeigneter Raum für die Anpflanzung zur Verfügung stehen muss. Der Raum muss sodann durch geeignete und zumutbare Vorkehrungen (stabile Türen, Fenster, Wände und Schlösser) zuverlässig vor dem Zutritt ungebetener oder erwünschter Besucher geschützt werden. Sicherungsvorkehrungen, die schnell und leicht überwunden werden können, reichen nicht aus.
97Diese Anforderungen schließen es aus, dass der Anbau in einem Zimmer durchgeführt wird, das zugleich zu Wohn- oder Schlafzwecken genutzt wird und daher ständig betreten wird. Vielmehr kann der Anbau nur in einem separaten Raum stattfinden, der – bis auf den Zutritt des Erlaubnisinhabers zu Pflegezwecken – ständig abgeschlossen sein muss, zum Beispiel ein Abstellraum oder eine zweite Toilette.
98Der Kläger hat für den Anbau einen separaten, fensterlosen Abstellraum in einer 2-Zimmer-Mietwohnung im Erdgeschoss vorgesehen. Zwar sind die vom Kläger eingereichten Privatfotos nicht wirklich aussagekräftig, weil sie nur Bildausschnitte zeigen. Jedoch ergibt sich aus den von der Polizei angefertigten Fotos in der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hamburg - 6001 Js 295/12 - (Bl. 162, Bl. 175 ff. Beiakte 6), dass der Anbau in einem separaten, nicht für Wohnzwecke vorgesehenen Nebenraum seiner Mietwohnung möglich ist. Dieses Foto stimmt mit dem vom Kläger vorgelegten Bild von der Tür des Anbauraums auf Bl. 40 des Verwaltungsvorgangs überein. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung angegebene Raumgröße von 8 – 10 qm bietet ausreichend Platz für die vom Kläger geplante Cannabiskultur.
99Ob die Beschaffenheit der Zimmertür und der Wohnungstür sowie der Fenster und der Balkontür der im Erdgeschloss liegenden Wohnung und die vom Kläger angegebenen Schließeinrichtungen als Diebstahlssicherung ausreichend sind, kann seitens des Gerichts anhand der vorgelegten Fotos nicht abschließend beurteilt werden. Sofern die Angaben des Klägers zur Lagerung der Blüten in einem Waffenschrank mit Tresor, zur Ausrüstung aller Türen mit Schlössern der Sicherheitsstufe 3, zur Sicherung der Fenster und der Balkontür mit Schlössern und Stahlbügeln sowie einer kompletten Videoüberwachung zutreffend sind, dürften diese Vorkehrungen zur Sicherung des Cannabisanbaus nach vorläufiger Einschätzung des Gerichts ausreichend sein.
100Jedoch obliegt es der Behörde, diese Angaben zu prüfen und gegebenenfalls ergänzende weitere Sicherheitsvorkehrungen, eventuell mit Unterstützung der Polizei, festzulegen und hierdurch den Versagungsgrund der ungenügenden räumlichen Sicherung beseitigen. Da eine entsprechende Nebenbestimmung zur Erlaubnis gegenüber der Versagung das mildere Mittel ist, ist die Behörde auf der Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu diesem Vorgehen verpflichtet,
101vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
102Schließlich kann dem BfArM auch nicht in seiner Annahme zugestimmt werden, dass der Anbau in einer Privatwohnung zur Eigentherapie mit den Schutzzwecken des Gesetzes nicht vereinbar ist, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG.
103Der Cannabisanbau in einer Privatwohnung ist zur medizinischen Selbstversorgung des Klägers erforderlich und auch geeignet. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass der Selbstanbau nicht günstiger ist als der Bezug der Blüten aus Holland. Sie hat gegen die vorgelegte Vergleichsrechnung des Klägers keine substantiierten Einwendungen erhoben. Soweit sie darauf hinweist, dass noch aufwändige Sicherungsmaßnahmen für den Anbau erforderlich seien, die den Anbau gegenüber dem Erwerb aus der Apotheke erheblich verteuerten, ist der Einwand unberechtigt. Die Behörde darf nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen anordnen, also solche, die auch von einer Privatperson mit geringem Einkommen, ggfs. unter Inanspruchnahme eines Ratenkredites, finanziert werden können. Im Übrigen sind diese Aufwendungen auch nur einmalig erforderlich. Im Hinblick auf die bereits vom Kläger vorgenommenen Sicherungsmaßnahmen dürften gerade im vorliegenden Fall keine umfangreichen weiteren Vorkehrungen erforderlich sein.
104Schließlich hat die Beklagte auch nicht überzeugend vorgetragen, dass die Therapiesicherheit wegen schwankender Wirkstoffgehalte ernsthaft gefährdet sein könnte. Hierbei verkennt die Beklagte, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Zulassung eines Fertigarzneimittels geht, bei dem die Bundesoberbehörde – neben dem pharmazeutischen Unternehmer – die Verantwortung für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels übernimmt. Auch geht es nicht um die ärztliche Verschreibung eines Betäubungsmittels gemäß § 13 BtMG, bei der der Arzt die Verantwortung für die verordnete Dosierung übernimmt. Vorliegend ist allein zu prüfen, ob eine medizinische Versorgung des Klägers im Wege einer Selbsttherapie mit Cannabis zur Linderung der Beschwerden des Klägers geeignet und im Hinblick auf die Nebenwirkungen vertretbar ist. Hierbei ist sich der Patient bewusst, dass weder die Beklagte noch der begleitende Arzt eine Garantie für die therapeutische Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit des selbst erzeugten Arzneimittels übernehmen. Vielmehr nimmt der Patient das Risiko schwankender Wirkstoffgehalte, die für Cannabis typisch sind, und der damit eventuell verbundenen Nebenwirkungen bewusst in Kauf.
105Die hierbei möglicherweise eintretende Selbstgefährdung des Klägers hält sich in einem vertretbaren Rahmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seit mindestens zwei Jahren Erfahrung mit dem Konsum von Cannabis hat. Auch die bisher konsumierten Cannabisblüten aus der Apotheke weisen innerhalb der Spezifikation gewisse Schwankungen im Wirkstoffgehalt auf. Aus dem Vortrag im Klageverfahren ist zu entnehmen, dass der Kläger sich mit der Problematik befasst hat und durch genetisch identische Pflanzen den Wirkstoffgehalt stabil halten will. Im Verwaltungsverfahren hat er konkrete Angaben zu den Anbaubedingungen gemacht und erklärt, dass durch einheitliche Bedingungen die Reproduzierbarkeit des Wirkstoffgehaltes gesichert werden soll (Bl. 56 und 59 des Verwaltungsvorgangs). Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die vom Kläger geplanten Anbaubedingungen generell ungeeignet sind und damit zu völlig unberechenbaren Gesundheitsgefahren führen können.
106Es ist weder von der Beklagten substantiiert vorgetragen noch aufgrund der Drogeneigenschaften ersichtlich, dass beim Kläger erhebliche und unvertretbare Nebenwirkungen als Folge einer schwankenden Menge der Inhaltsstoffe auftreten könnten. Dies ist im Verlauf des bisherigen Konsums nicht der Fall gewesen. Darüber hinaus steht der Kläger unter ärztlicher Kontrolle und kann daher beim Auftreten von Nebenwirkungen Rat und Hilfe einholen. Überdies sind die schädlichen Nebenwirkungen beim Cannabiskonsum von der Verfassung des jeweiligen Konsumenten abhängig und in der Regel bei erwachsenen Konsumenten nicht schwerwiegend.
107Tödliche Intoxikationen durch eine Überdosis Cannabis sind nicht bekannt. Notfallbehandlungen wegen des Auftretens von Panikzuständen oder Psychosen im akuten Cannabisrausch treten nur gelegentlich bei einem Missbrauch von Cannabis und insbesondere in Verbindung mit Alkohol oder anderen Drogen auf,
108vgl. Wikipedia, „Cannabis als Rauschmittel“, Wirkung , http://de.wikipedia.org, Abruf vom 24.06.2014; Europäischer Drogenbericht 2014, 36; . Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O. Ziff. 3.4.5 und 3.4.11.
109Körperliche Dauerschäden durch den Konsum sind bei Erwachsenen – abgesehen von den Gefahren des Rauches für die Atmungsorgane, die durch Nutzung anderer Konsumformen vermieden werden können (Verdampfung, Kekse) – bisher nicht bekannt,
110vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, „Illegale Drogen“, Cannabis, www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung, a.a.O., Ziff. 3.4.11.
111Die Auslösung einer Schizophrenie oder einer anderen psychischen Erkrankung ist selten und wird vor allem im Zusammenhang mit einer Prädisposition des Patienten und bei Jugendlichen diskutiert. Beim Kläger bestehen hierfür keine Anhaltspunkte,
112vgl. Drugcom, Drogenlexikon, „Macht Kiffen verrückt ?“, www.drugcom.de/häufig -gestellte-fragen, Abruf vom 18.06.2014; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, „Illegale Drogen, Cannabis, www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O. Ziff. 3.4.6.
113.
114Eine irreversible Verminderung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei einem Dauerkonsum ist umstritten, aber nach dem derzeitigen Erkenntnisstand im Rahmen von therapeutischen Dosierungen nicht zu befürchten,
115vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498.
116Demnach ist eine Selbsttherapie des Klägers mit Cannabis aus dem Eigenanbau zu seiner medizinischen Versorgung geeignet und erforderlich.
117Auch die anderen Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes sind durch die Erteilung der Anbauerlaubnis nicht gefährdet, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Ein Missbrauch durch den Kläger liegt nicht vor, da der Kläger das Betäubungsmittel nicht zu Rauschzwecken, sondern zur Linderung seiner Schmerzen einsetzt. Ein Missbrauch durch Dritte kann durch entsprechende Sicherungsmaßnahmen und Kontrollen weitgehend verhindert werden. Auch die mögliche Entstehung einer Abhängigkeit steht dem medizinischen Einsatz von Cannabis nicht entgegen.
118Das Entstehen einer Betäubungsmittelabhängigkeit wäre jedenfalls ausnahmsweise mit dem Gesetzeszweck zu vereinbaren, weil sie im Hinblick auf die Schmerzlinderung das geringere Übel und damit hinzunehmen ist,
119vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
120Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 2 BtMG berufen. Die Erteilung der Anbau-Erlaubnis kann nicht mit der Begründung versagt werden, dass nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 04.02.1977 (BGBl. II, S. 111) – ÜK 1961 – die Einrichtung einer Cannabis-Agentur zum Aufkauf und zur Verteilung der Ernte erforderlich sei, die aber in Deutschland nicht existiere und auch nicht geplant sei. Vielmehr steht das ÜK 1961 der Erteilung einer Anbauerlaubnis für einzelne Privatpersonen zur therapeutischen Selbstversorgung nicht entgegen. Zum einen bringt das Übereinkommen in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll,
121vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - , mit weiteren Nachweisen.
122Zum anderen finden die Vorschriften, die für den Anbau von Cannabis die Einrichtung einer staatlichen Stelle vorschreiben, Art. 28 Abs. 1, Art. 23 ÜK 1961, - entgegen der im Schreiben vom 30.07.2010 geäußerten Rechtsauffassung des INCB - auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Denn diese Vorschriften gehen von einem großflächigen Anbau im Außenbereich aus und schreiben einen Aufkauf der gesamten Erntemenge durch die Agentur vor, um eine illegale Entnahme von Teilmengen zum Zweck des Rauschgiftmissbrauchs zu verhindern.
123Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
124Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Vorgehensweise im Fall eines geringfügigen Anbaus zum sofortigen Verbrauch keinerlei Sinn ergibt, da der Kläger seine Ernte zunächst an die staatliche Stelle aushändigen und dann wiedererwerben müsste. Eine gleichmäßige Versorgung wäre bei diesem Verfahren nicht gesichert.
125Ferner wurde bereits im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG darauf hingewiesen, dass die Gefahren, die von einem Anbau zum Zweck der Eigentherapie in einer Privatwohnung in medizinisch begründeten Ausnahmefällen ausgehen, mit den Gefahren, die bei einem großflächigen gewerblichen Anbau im Außenbereich entstehen, schon im Hinblick auf den Umfang der im Einzelfall anfallenden Betäubungsmittelmenge nicht vergleichbar sind. Darüberhinaus sind Anbauflächen in Privatwohnungen nicht ohne weiteres sichtbar und nur wenigen Personen zugänglich. Eine unerlaubte Abzweigung oder Entnahme von Teilmengen, die durch die staatliche Kontrollstelle verhindert werden soll, ist daher im Fall des geringfügigen Eigenanbaus zu Therapiezwecken nicht im nennenswerten Umfang zu befürchten. Demnach spricht alles dafür, dass das ÜK 1961 der medizinischen Versorgung von Patienten im Wege des Anbaus nicht entgegensteht.
126Da somit die besonderen Voraussetzungen für die Versorgung von schwer kranken Patienten im vorliegenden Verfahren gegeben sind und Versagungsgründe nicht entgegenstehen, steht die Entscheidung über die Erlaubniserteilung grundsätzlich nach § 3 Abs. 2 BtMG im Ermessen der Bundesopiumstelle. Gleichwohl erweist sich die Ablehnung der Erlaubnis als rechtswidrig, weil die Behörde ermessensfehlerhaft gehandelt hat, § 114 VwGO. Sie hat nicht nur wesentliche Elemente außer Acht gelassen, die bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden müssen. Sie hat darüberhinaus nicht erkannt, dass in der vorliegenden Fallkonstellation eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, weil sich hier allein die positive Entscheidung über die Erlaubniserteilung als rechtmäßig erweist.
127Die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung weist einen offensichtlichen und schwerwiegenden Mangel auf. Die Beklagte hat nämlich im Endeffekt die persönlichen Interessen des Klägers am Zugang zu einem Betäubungsmittel, das ihm allein zu einer Linderung seiner Schmerzen verhilft, gar nicht in die Betrachtung eingestellt. Sie ist unzutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen des Klägers dadurch gewahrt werden, dass ihm eine Erwerbserlaubnis für Medizinalhanf aus Holland erteilt worden ist. Sie hat hierbei jedoch nicht zur Kenntnis genommen, dass diese Therapiealternative dem Kläger tatsächlich nicht zur Verfügung steht, weil er sich die hohen Kosten von seinem geringen Einkommen nicht leisten kann und seine Krankenkasse die Erstattung ablehnt,
128vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
129Nach dem ärztlichen Attest vom 19.12.2011 (Bl. 45 des Verwaltungsvorgangs) hat der Kläger einen 4-Wochen-Bedarf von 56 g Cannabisblüten. Eine Veränderung des Bedarfs wurde nicht geltend gemacht. Dafür entstehen ausweislich der vorgelegten Rechnungen der Apotheke Kosten in Höhe von 806,40 Euro (56 g x 14,4 Euro/g = 806,40 Euro, vgl. Bl. 15 – 22 Beiakte 3). Wie bereits ausgeführt, verfügt der Kläger nach den Angaben im Prozesskostenhilfeverfahren über ein monatliches Einkommen in Höhe von 1194,90 €. Es liegt auf der Hand, dass dieser Betrag für eine Finanzierung der erforderlichen Cannabisblüten aus der Apotheke nicht ausreichend ist.
130Diese Behandlungsmöglichkeit steht dem Kläger somit tatsächlich nicht zur Verfügung, wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 – ausdrücklich festgestellt hat. Daraus folgt, dass den privaten Interessen des Klägers durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb gerade nicht Rechnung getragen worden und das Ermessen daher unvollständig und fehlerhaft ausgeübt worden ist.
131Bei sachgerechter Berücksichtigung der Interessen des Klägers an einer Linderung seines Schmerzzustandes hat sich darüber hinaus das Ermessen im vorliegenden Verfahren zugunsten einer Erteilung der Erlaubnis verdichtet, sodass eine Versagung nicht mehr in Betracht kommt. Denn nach Auffassung der Kammer haben die Interessen des Klägers an einer Behandlung seiner Dauerschmerzen ein ganz überragendes Gewicht, während die öffentlichen Interessen an einer Versagung der Erlaubnis eine so geringe Bedeutung haben, dass sie zwingend zurücktreten müssen.
132Die Beklagte hat durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie selbst eingeräumt, dass das Interesse des Klägers am Zugang zu diesem Betäubungsmittel - in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 - Verfassungsrang hat, weil es Ausfluss seines Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG ist. Bringt die Erkrankung derart schwere Beeinträchtigungen mit sich, dass die Entfaltung der Persönlichkeit und die Führung eines selbstbestimmten Lebens bedroht ist, wie dies im Fall starker, lang andauernder Schmerzen der Fall ist, ist auch das oberste Schutzgut der Verfassung, die Menschenwürde, betroffen. Daraus folgt, dass der Zugang zu Cannabis, der hier aus finanziellen Gründen allein in Form eines Eigenanbaus in Betracht kommt, nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt. Im vorliegenden Fall fordert auch das Sozialstaatsprinzip, dass dem Kläger nicht wegen seiner geringen finanziellen Leistungsfähigkeit, die auch Folge seines Gesundheitszustandes ist, der Zugang zu Cannabis verwehrt wird.
133Demgegenüber sind keine öffentlichen Interessen ersichtlich, die von gleichem oder überwiegendem Gewicht wären. Insbesondere kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, die Erlaubniserteilung werde vom Internationalen Suchtstoffkontrollrat als Verstoß gegen das Suchtstoffübereinkommen von 1961 angesehen und daher sei die effektive Zusammenarbeit mit dem INCB bei der Bekämpfung des illegalen Betäubungsmittelhandels und das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.
134Zwar handelt es sich bei der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels und bei der Wahrung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik ebenfalls um wichtige Rechtsgüter. Jedoch hat die Erfüllung der völkervertraglichen Verpflichtungen zum einen keinen Verfassungsrang; zum anderen ist nicht erkennbar, dass diese Rechtgüter durch die Erteilung einer Anbauerlaubnis in eng umgrenzten Ausnahmefällen zur medizinischen Versorgung schwer kranker Patienten ernsthaft bedroht wären.
135Völkerrechtliche Verträge wie das Suchtstoffübereinkommen 1961 werden durch das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG in nationales Recht konvertiert und genießen hierdurch den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Sie entfalten trotz der vom Grundgesetz intendierten Völkerrechtsfreundlichkeit eine Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes. Es ist daher ausnahmsweise zulässig, Völkervertragsrecht nicht zu beachten, sofern nur auf diesem Wege ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abgewendet werden kann,
136vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307 ff. -, juris, Rn. 35, 36, 47, 48 zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
137Dieser Rechtslage wird durch die Regelung in § 5 Abs. 2 BtMG Rechnung getragen, wonach bei einem Verstoß gegen ein internationales Suchtstoffübereinkommen die Erlaubnis versagt werden kann, aber nicht muss. Liegt ein Verstoß gegen ein derartiges Abkommen, wie bereits ausgeführt, nach seinem Schutzzweck gar nicht vor und stehen Grundrechte mit einem hohen Rang einem engen Wortlautverständnis des Abkommens, wie es vom INCB vertreten wird, entgegen, überschreitet eine „schematische Vollstreckung“ dieses Abkommens die Grenzen des Ermessens.
138Hierbei wird vor allem außer Acht gelassen, dass sich die Bewertung von Cannabis als Betäubungsmittel und als Arzneimittel seit dem Abschluss des Suchtstoffübereinkommens von 1961 bedeutend gewandelt hat. Wie sich schon aus dem Grundsatz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 – 2 BvL 43/92 – NJW 1994, 1577, 1579, 1581 ergibt, stellen sich die Gesundheitsrisiken, die der Gesetzgeber noch 1971 bei Erlass des Betäubungsmittelgesetzes mit der Droge Cannabis verbunden hat, inzwischen als geringer dar als ursprünglich angenommen. Insbesondere hat sich das psychische Abhängigkeitspotential als gering erwiesen und die Annahmen, dass Cannabiskonsum allein ursächlich für Psychosen („Cannabispsychose“), Flashbacks (Nachhallpsychosen ohne Konsum), ein „amotivationales Syndrom“ oder den Einstieg in härtere Drogen sein kann, konnten nicht wissenschaftlich belegt werden,
139vgl. Krumdiek, a.a.O. NStZ 2008, 437, 440 ff.; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, Illegale Drogen, Cannabis, a.a.O.; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O., Ziff. 3.4.3, 3.4.4, 3.4.6, 3.4.7, 3.4.8; Drugcom, Drogenlexikon, a.a.O..
140Demgegenüber wurde seinerzeit davon ausgegangen, dass Cannabis für die medizinische Anwendung keine Bedeutung habe, sondern lediglich als Massengenussmittel Verwendung finde. Auch diese Einschätzung ist mittlerweile überholt. Vielmehr kommt ein therapeutischer Einsatz von Cannabis wegen seiner antispastischen, analgetischen, antiemetischen, neuroprotektiven, antiinflammatorischen und antidepressiven Wirkungen bei einer Reihe von Erkrankungen in Betracht, auch wenn ein eindeutiger wissenschaftlicher Beleg für den Nutzen bisher nur teilweise erbracht werden konnte,
141vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt, 2012, 495, 497; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. vom 07.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)); Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 03.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(6)).
142Zugelassen sind bereits Arzneimittel für die Indikationen Spastik (Sativex), Übelkeit und Erbrechen durch Zytostatika (Dronabinol) sowie Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust (Dronabinol).
143Die gewandelte Beurteilung von Cannabis als Heilmittel zeigt sich auch in dem erheblichen Umfang der klinischen Forschung, wie er beispielsweise in der Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin“ vom 27.04.2012/02.05.2012 zur Anhörung des Gesundheitsausschusses am 09.05.2012 (Ausschussdrucksache 17(14)0265(4) zum Ausdruck kommt. Im dortigen Anhang werden mit Stand 31. Dezember 2011 insgesamt 110 kontrollierte Studien mit Cannabis oder Cannabinoiden genannt.
144Demnach kann bezweifelt werden, ob die strengen Regelungen des Suchtstoffübereinkommens von 1961, das für Cannabis die gleichen Kriterien anwendet wie für Opiummohn oder den Kokastrauch, noch dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen.
145In der Konsequenz unterliegt das strikte Verkehrsverbot für Cannabis inzwischen auch international gewissen Auflösungserscheinungen. Dies wird darin deutlich, dass nach der Auskunft der Beklagten vom 03.07.2014 eine Reihe von Staaten den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken mittlerweile erlaubt. Dies gilt für Israel, Kanada, Niederlande, Österreich, Tschechische Republik, das Vereinigte Königreich und 21 von 50 Bundesstaaten der USA. Hierbei konnte von der Bundesopiumstelle nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob in diesen Staaten – mit Ausnahme von den Niederlanden – eine Cannabis-Agentur existiert, ob diese Aufgabe von anderen Behörden wahrgenommen wird und wie die vorgeschriebene Kontrolle des Anbaus, insbesondere der Aufkauf der Ernte organisiert ist.
146Diese Situation macht deutlich, dass auch in anderen Staaten der veränderten Beurteilung von Cannabis als Sucht- und Heilmittel Rechnung getragen und die Regelungen der über 50 Jahre alten Suchtstoffkonvention von 1961 nicht mehr in vollem Umfang eingehalten werden. Dies wird im Jahresbericht 2013 des International Narcotics Control Board - INCB - , den die Beklagte mit Schriftsatz vom 03.07.2014 im Verfahren 7 K 4450/11 vorgelegt hat, auch bestätigt (vgl. Report 2013, S. 93, Ziff. 701). Die Annahme, dass die Erteilung von Erlaubnissen zum Eigenanbau für einzelne schwer kranke, austherapierte Patienten – ohne Cannabisagentur - zu einer Beeinträchtigung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik führen könnte, kann vor diesem Hintergrund nicht nachvollzogen werden. Noch weniger ist ersichtlich, warum durch eine solche Praxis die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Bekämpfung des Drogenhandels und Drogenmissbrauchs gefährdet werden könnte. Denn die begrenzte und überwachte Gewährung des Zugangs zu Cannabis als Heilmittel ist eine Ausnahme vom Verkehrsverbot, die die generelle Bekämpfung des Cannabiskonsums zu Rausch- und Genusszwecken und den hiermit verbundenen kriminellen Drogenhandel nicht in Frage stellt.
147Aus der Auskunft der Beklagten vom 03.07.2014 lässt sich auch nicht entnehmen, dass im Fall der Genehmigung des Anbaus ohne Einrichtung einer Cannabis-Agentur mit einer „Rüge“ des Internationalen Suchtstoffkontrollamtes - INCB - zu rechnen wäre, die das Ansehen der Bundesrepublik ernsthaft schädigen könnte. Vielmehr hat der INCB ausweislich des letzten Jahresberichtes vor allem die Staaten gerügt, die den Konsum zu Genusszwecken freigegeben haben (Uruguay, Colorado, Washington) und auf den wahrscheinlichen Anstieg eines Drogenmissbrauchs hingewiesen, vgl. Report 2013, S. 93, Ziff. 700. Im Übrigen hat der Kontrollrat festgestellt, dass die staatlichen Programme zur medizinischen Anwendung von Cannabis vielfach nicht voll mit den Anforderungen der Konvention übereinstimmten und dazu aufgerufen, diese Übereinstimmung herzustellen (vgl. Report 2013, S. 49 Ziff. 374 und S. 93 Ziff. 701). Er hat allerdings auch die Weltgesundheitsorganisation – WHO- dazu aufgefordert, den medizinischen Nutzen von Cannabis sowie die Gesundheitsgefahren neu zu bewerten (vgl. Report 2013, S. 94, Ziff. 701). Damit hat auch der INCB in Betracht gezogen, dass die Regelungen des ÜK 1961 für Cannabis nicht mehr zeitgemäß sind.
148Auch die von der Beklagten angesprochene international hohe drogenpolitische Bedeutung des „Themas Cannabis“ kann nicht gegen die Erlaubniserteilung ins Feld geführt werden. Es ist zwar zutreffend, dass Cannabis in Deutschland, aber auch weltweit die am häufigsten konsumierte illegale Droge ist, die im Fall einer Abhängigkeitsentwicklung mit nicht unerheblichen psycho-sozialen Folgen verknüpft ist und daher eine breite Aufmerksamkeit in den nationalen und internationalen Drogenberichten findet,
149vgl. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung: Drogen- und Suchtbericht 2013, S. 33, 187, 193; Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht: Europäischer Drogenbericht 2014, S. 13, 18, 34 ff.
150Wie bereits ausgeführt, steht die Erteilung einer Anbauerlaubnis für schwer kranke Patienten aber der weiteren Bekämpfung des Cannabismissbrauchs für Rauschzwecke nicht entgegen. Im Übrigen kann bei der drogenpolitischen Bedeutung des Stoffes „Cannabis“ auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Gefahren der Droge gegenüber den früheren Befürchtungen weit geringer sind als angenommen und deutlich geringer als diejenigen anderer Rauschdrogen wie Alkohol, Nikotin, Heroin, Kokain oder der neuerdings verbreiteten synthetischen Drogen (z.B. Amphetamine, Metamphetamine, Ecstasy, Cathinone, etc.). Insbesondere ist, wie bereits ausgeführt, selbst der Dauerkonsum nicht mit Todesfällen oder einem zunehmenden körperlichen, geistigen und psychischen Verfall verbunden.
151Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 19.05.2005 betont hat, rechtfertigen die verbleibenden Gefahren des Cannabiskonsums für die Gesamtbevölkerung bzw. für die Gruppe der Jugendlichen es nicht, schwer kranken Menschen den legalen Zugang zu Cannabis zu verweigern.
152Selbst wenn Teilmengen aus dem Eigenanbau für die illegale Weitergabe an Dritte abgezweigt oder entwendet werden könnten, wäre das Gesundheitsrisiko der Gesamtbevölkerung bzw. der jugendlichen Gesamtbevölkerung nur in geringem Umfang erhöht. Denn die Drogenmengen, die auf diesem Wege möglicherweise in den Verkehr gelangen, hätten im Verhältnis zu den Drogenmengen, die in Deutschland und in Europa illegal angebaut und gehandelt werden, nur eine geringfügige Bedeutung. Der Jahreskonsum von Cannabis in Europa wurde im Jahr 2012 auf 2000 Tonnen geschätzt. Im Rahmen einer Drogenaffinitätsstudie in Deutschland wurde im Jahr 2011 festgestellt, dass jeder vierte Erwachsenen schon einmal Erfahrung mit Cannabis gemacht hat. Insbesondere in der Gruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren ist der gelegentliche Cannabiskonsum sehr verbreitet, nämlich bei 13,5 %. Die große Menge an beschlagnahmten Drogen bzw. Pflanzen bestätigt eine hohe Konsumprävalenz,
153vgl. Drogen- und Suchtbericht 2013, S. 33 und 42; Europäischer Drogenbericht 2014, S. 18: 80 % aller Sicherstellungen in Europa betreffen Cannabis; in Deutschland wurden 2012 ca. 7.327 kg Haschisch und Marihuana sowie ca. 98.000 Cannabispflanzen sichergestellt.
154Angesichts dieser Mengen ist mit einer nennenswerten Ausweitung des illegalen Drogenkonsums durch privaten Eigenanbau durch einzelne Patienten nicht zu rechnen. Im Gegenteil dürfte die Erteilung von Anbauerlaubnissen den illegalen Drogenhandel schwächen, weil diese Personen nicht mehr auf die Inanspruchnahme des illegalen Marktes angewiesen sind.
155Schließlich können den berechtigten Interessen des Klägers an der Erteilung der Anbauerlaubnis im Rahmen der Ermessensabwägung weder die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs noch die Therapiesicherheit für den Erlaubnisinhaber entgegengehalten werden. Hierbei handelt es sich um Versagungsgründe, die aus den genannten Gründen nicht vorliegen bzw. durch Sicherungs-Maßnahmen der Behörde beseitigt werden können.
156Es ist zwar einzuräumen, dass im Hinblick auf die Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen in einer Privatwohnung möglicherweise Abstriche an der Sicherung der Anpflanzung hingenommen werden müssen. Auch bleibt die medizinische Versorgung mit selbstangebauten Pflanzen hinter einer qualitativ hochwertigen Versorgung mit geprüften Arzneimitteln offenkundig zurück. Jedoch haben diese verbleibenden Risiken des Eigenanbaus von Cannabis im Verhältnis zu dem vitalen Interesse des Klägers an einer Schmerzlinderung und erträglichen Lebenssituation nur ein geringes Gewicht.
157Diese Restrisiken des Eigenanbaus müssen nach Auffassung der Kammer jedenfalls für einen Übergangszeitraum hingenommen werden, da es derzeit für die betroffenen Patienten mit geringem Einkommen keine andere Möglichkeit des Zugangs zu dem für sie erforderlichen Heilmittel gibt. Der medizinische Hanf aus Holland ist nicht finanzierbar und ein Zuwarten auf die künftige Zulassung eines Fertigarzneimittels für die Schmerztherapie nicht zumutbar. Nach Auskunft des BfArM ist derzeit kein Zulassungsantrag anhängig.
158Es sind zwar deutlich bessere Lösungsansätze für die Versorgung von einzelnen Patienten mit Cannabis erkennbar, die eine Überwachung der im Verkehr befindlichen Drogenmengen und die Überwachung der Gesundheit des Patienten effektiver gewährleisten könnten, wie beispielsweise eine Erstattung der Kosten von Medizinal-Cannabisblüten durch die Krankenkassen oder die Zulassung eines gewerblichen Anbaus zu medizinischen Zwecken unter der Kontrolle einer staatlichen Stelle. Solange jedoch hierfür die gesetzlichen Grundlagen nicht geschaffen sind, muss den betroffenen Personen der Anbau von Cannabis nach § 3 Abs. 2 BtMG gestattet werden, damit ihre Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG gewahrt werden. Demnach hat die beklagte Behörde die Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen.
159Da jedoch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bisher nicht durch eine entsprechende Anordnung von Sicherheitsvorkehrungen durch die Bundesopiumstelle ausgeräumt ist, liegen derzeit noch nicht alle Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung vor. Die Sache ist somit nicht spruchreif. Daher war der Hauptantrag des Klägers, das BfArM zu einer Erteilung der Anbauerlaubnis zu verpflichten, unbegründet.
160Die Behörde konnte somit nur zu einer neuen Entscheidung über den Erlaubnisantrag verpflichtet werden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Hierbei steht der Bundesopiumstelle nur noch ein Ermessensspielraum hinsichtlich der erforderlichen Sicherheitsanordnungen und der inhaltlichen Ausgestaltung der Erlaubnis nach § 9 BtMG (z.B. hinsichtlich der Zahl der erforderlichen Pflanzen) zu.
161Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Da die Klage nur in einem geringen Umfang abgewiesen wurde, nämlich nur hinsichtlich der noch zu treffenden Nebenbestimmungen bezüglich der Sicherungsmaßnahmen und anderer Einzelheiten, ist es gerechtfertigt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang aufzuerlegen. Hierbei war auch von Bedeutung, dass die Beklagte es unterlassen hat, Vorgaben für die Sicherung eines Cannabisanbaus in einer Privatwohnung zu erarbeiten und die Einhaltung substantiiert zu prüfen. Hierdurch hat sie dazu beigetragen, dass die Spruchreife nicht hergestellt und damit die Klage zu einem Teil abgewiesen werden musste, § 155 Abs. 4 VwGO.
162Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
163Die Berufung wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, insbesondere wegen der angenommenen Ermessensreduzierung auf null im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG, zugelassen, § 124 a Abs. 1 Nr. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des BfArM vom 14.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2011 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Anbau von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Mit Schreiben vom 05.09.2009 beantragte der Kläger beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) – Bundesopiumstelle - eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten zur Behandlung seiner Schmerzen. Aus den vorgelegten Klinikberichten ergibt sich, dass der Kläger im Jahr 2002 einen schweren Motorradunfall erlitt, der u. a. zu multiplen Frakturen an der Hüfte, den Beinen, dem linken Arm und dem Unterkiefer führte.
3Mit dem Antrag wurde eine Bescheinigung der praktischen Ärztin Dr. med. E. Q. -T. vom 04.09.2009 vorgelegt. Hierin wurde dem Antragsteller das Vorliegen eines chronischen Schmerzsyndroms als Folge der Unfallverletzungen bescheinigt. Mit nichtsteroidalen Antiphlogistika sowie Gabe von Antidepressiva habe sich keine befriedigende Schmerzreduktion erzielen lassen. Ferner habe das starke Nebenwirkungsspektrum von Opiaten und Opioiden die Lebensqualität stark beeinträchtigt.
4In einer ergänzenden Stellungnahme vom 16.11.2009 machte Frau Dr. Q. -T. weitere Angaben zur bisherigen Schmerzmedikation und Schmerztherapie und stellte fest, der Antragsteller gelte als schulmedizinisch austherapiert. Mit den Antragsunterlagen wurde eine Dosierungsempfehlung der behandelnden Ärztin vom 04.09.2009 vorgelegt, in der ein 4-Wochen-Bedarf von 6 g Medizinal-Cannabisblüten angegeben wurde.
5Ferner wurde ein Schreiben der Krankenkasse des Klägers vom 17.07.2007 eingereicht, in dem die Erstattung der Kosten für Dronabinol abgelehnt wurde.
6Unter dem 17.12.2009 wurde dem Kläger eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten bis zur vorgegebenen 4-Wochen Höchstmenge entsprechend der ärztlichen Dosierungsvorgabe im Rahmen einer medizinisch betreuten Selbsttherapie erteilt.
7Mit Schreiben vom 14.07.2010 beantragte der Kläger eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG für den Eigenanbau von Cannabis in seiner Privatwohnung zur medizinischen Anwendung.
8Zur Begründung wurde ausgeführt, der Eigenanbau sei zur Senkung der Kosten in Höhe von gegenwärtig 72,00 Euro monatlich für den Medizinalhanf erforderlich. Bei einem Eigenanbau entstünden lediglich monatliche Kosten in Höhe von 10,00 Euro.
9Mit Bescheid vom 14.10.2010 wurde der Antrag abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Erlaubnis stünden zwingende Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG entgegen. Insbesondere sei die Sicherung einer Cannabispflanzung in einer Privatwohnung gegen den unbefugten Zugriff Dritter nicht möglich, § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG. Auch durch Auflagen könne eine effektive Kontrolle über den Umfang des Anbaus und der Lagerbestände nicht gewährleistet werden.
10Der Anbau sei aber auch zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung weder notwendig noch geeignet, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Der Selbstanbau sei - insbesondere unter Berücksichtigung der Sicherungsmaßnahmen - nicht preisgünstiger als der Bezug von Medizinalhanf aus Holland. Außerdem sei die Therapiesicherheit wegen eines unbekannten Wirkstoffgehalts bei Eigenanbau nicht gewährleistet. Schließlich seien schwerwiegende Nebenwirkungen, z. B. epileptische Anfälle, möglich.
11Selbst wenn diese Versagungsgründe ausgeräumt wären, könne die Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BtMG versagt werden, weil diese mit Art. 28 i.V.m. Art. 23 des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe (ÜK 1961) nicht vereinbar sei. Danach sei auch im Fall eines Anbaus zu medizinischen Zwecken die Einrichtung einer staatlichen Cannabis-Agentur vorgeschrieben, die in Deutschland nicht bestehe. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtungen würde eine effiziente Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs gefährden und dem Ansehen der BRD in der internationalen Staatengemeinschaft einen erheblichen Schaden zufügen. Diese Gesichtspunkte – und auch die beim Eigenanbau problematischen Sicherungsaspekte und gesundheitlichen Risiken - seien höher zu bewerten als das Eigeninteresse des Antragstellers an einer Erlaubnis für den Eigenanbau. Diesem Eigeninteresse werde bereits durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb von Medizinalhanf aus Holland Rechnung getragen.
12Hiergegen legte der Kläger durch ein Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten am 08.11.2010 Widerspruch ein, den er ausführlich begründete.
13Mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 19.05.2011 führte der Kläger weitere Einzelheiten zur Durchführung und Sicherung des Anbaus in der abschließbaren Zweittoilette seiner Eigentumswohnung im 6. Stock aus. Ferner legte er eine Vollkostenrechnung für den ersten Anbau und darauf folgende Anbauperioden vor.
14Der Jahresbedarf betrage derzeit 420 g (= monatlich: 35 g). Die derzeit genehmigte Menge von 5 g pro Monat sei aus Kostengründen gewählt worden und für die Schmerztherapie des Klägers nicht auskömmlich. Demnach entstünden für den Medizinalhanf jährliche Kosten in Höhe von 5.048 €. Diese Kosten könne der Kläger nicht tragen.
15Am 11.08.2011 hat der Kläger Untätigkeitsklage mit dem Antrag erhoben, die Beklagte zu verpflichten, über den Widerspruch des Antragstellers vom 08.11.2010 gegen den Bescheid vom 14.10.2010 zu entscheiden.
16Gleichzeitig hat er den Antrag gestellt, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu erlauben, in seiner Wohnung Hybride der Pflanze Hanf (Cannabis Sativa) anzubauen, zu ernten und zur Behandlung der Schmerzsymptome zu verwenden (7 L 1172/11).
17Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde durch Beschluss der Einzelrichterin vom 13.09.2011 – 7 L 1172/11 – abgelehnt. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung glaubhaft gemacht habe. Denn er habe derzeit eine zumutbare Alternative zur Behandlung seiner Schmerzen, weil er die erforderliche Cannabismenge aufgrund der erteilten Erlaubnis des BfArM über die Apotheke aus Holland beziehen könne. Er habe bisher nicht glaubhaft gemacht, dass die ihm zur Verfügung gestellten Cannabissorten aufgrund ihrer Zusammensetzung oder Menge zur Schmerzbekämpfung nicht ausreichend seien oder für ihn nicht finanziell erschwinglich seien. Insbesondere sei die plötzliche Dosissteigerung von 6 g Cannabisblüten pro Monat auf 35 g pro Monat weder nachvollziehbar noch belegt.
18Gegen den Beschluss legte der Kläger am 27.09.2011 Beschwerde ein, die ausführlich begründet wurde. Ferner wurde ein Arztbericht der behandelnden Ärztin Dr. D. Q. -T. vom 25.10.2011 vorgelegt (Bl. 59 d. A.), in dem bestätigt wurde, dass der Kläger unverändert an den Folgen eines Verkehrsunfalls im Jahr 2002 leide. Daraus resultierten ein chronisches Schmerzsyndrom des Bewegungsapparates bei Beinverkürzung, Fehlstellung der Wirbelsäule, Muskelverkürzung, Myalgien, neuropathische Schmerzen links bei Läsion des Nervus ulnaris. Seit 2010 sei eine schrittweise Anhebung des Tagesbedarfs auf 1 g Cannabisblüten wegen Toleranzentwicklung erforderlich gewesen. Diese sei unter engmaschiger medizinischer Kontrolle erfolgt. Die erhöhte Dosis habe nicht zu einer Änderung der Nebenwirkungen oder zu einer Störung von kognitiver Leistung, Aufmerksamkeit, Konzentration oder zu einer psychischen Fehlentwicklung geführt.
19Durch Beschluss des OVG NRW vom 16.11.2011 – 13 B 1198/11 wurde die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen. In der Begründung führte das Gericht aus, der Kläger habe nach summarischer Prüfung einen Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis nicht glaubhaft gemacht. Es sei keine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen, weil dem Kläger eine zumutbare und erschwingliche Behandlungsalternative aufgrund der Erlaubnis zum Erwerb von Cannabisblüten in der Apotheke zur Verfügung stehe.
20Der Widerspruch des Klägers gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 14.10.2010 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2011 zurückgewiesen.
21Der Kläger erklärte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 07.11.2011, dass sich die Klage nunmehr auch gegen den Widerspruchsbescheid vom 26.09.2011 richte.
22Zur Begründung seiner Klage stützt sich der Kläger im Wesentlichen auf den Vortrag aus dem Eilverfahren. Im Einzelnen trägt er vor, die Verwendung von Cannabis zu medizinischen Zwecken sei nach der Änderung der Anlagen zum BtMG durch die 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11.05.2011 nicht mehr erlaubnispflichtig. Denn der Kläger benötige den Stoff ausschließlich „zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“ und damit falle auch der Anbau für die Eigentherapie unter die Ausnahmebestimmung der neugefassten Anlage II zum BtMG. Selbst wenn diese Ausnahmebestimmung nicht anwendbar sei, verstoße das Umgangsverbot bei Schmerzpatienten gegen die Menschenwürde und sei eindeutig verfassungswidrig, zumal es keine validen Belege für die Gefährlichkeit des Hanfkonsums gebe.
23Der Kläger habe einen Anspruch auf die medizinische Behandlung seiner Schmerzen mit Cannabisblüten. Hierzu legt er einen Arztbericht vom 07.12.2013 des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. S. Q1. über seinen aktuellen Gesundheitszustand vor. Darin wird das Vorliegen von zahlreichen schmerzempfindlichen Narben im Bereich von Kopf, Hals, Becken sowie linkem Arm und Oberschenkel sowie einer erheblichen Verkürzung des linken Beines festgestellt. Hierdurch seien bereits schwere sekundäre Schäden an beiden Kniegelenken eingetreten, die ohne die Anwendung von Cannabis lediglich eine Gehstrecke von 30 – 40 m zuließen. Mit Anwendung von Cannabis erhöhe sich die Gehstrecke auf 500 m bis 1 km. Der Schlaf werde mehrfach durch Schmerzattacken gestört, die auf Applikation von Cannabis per Inhalation deutlich besser würden. Schließlich liege im Bereich des Beckens eine degenerative spinale Stenose vor, die ebenfalls zu schweren schmerzhaften Verläufen führen könne. Der 4-Wochen-Bedarf betrage derzeit 56 g Cannabisblüten.
24Ein vergleichbar wirksames Mittel gegen die Dauerschmerzen gebe es nicht. Der unsichere Bezug von überteuerter Apothekenware sei nicht zumutbar und auch finanziell nicht mehr möglich. Der Kläger habe seine selbständige Berufstätigkeit als Pizzafahrer Ende 2013 aufgegeben. Die Ehefrau habe nur einen durchschnittlichen monatlichen Verdienst (in Höhe von 3.128,11 € brutto). Vermögen sei – bis auf die 82 qm große Eigentumswohnung – nicht vorhanden. Von dem Einkommen der Ehefrau sei der derzeitige monatige Bedarf von 56 g Cannabisblüten zu einem Preis von insgesamt 812 Euro nicht zu decken. Zu den finanziellen Schwierigkeiten träten Lieferengpässe des einzigen Cannabis-Lieferanten „Fagron“. Hierzu wird eine Mitteilung von „Fagron“ vom 25.11.2013 vorgelegt, wonach derzeit die Sorte „Bedrocan“ nicht lieferbar sei.
25Die Krankenkasse des Klägers habe ausweislich der vorgelegten Bescheinigungen vom 08.02.2013 und vom 19.06.2013 die Erstattung der Kosten für Cannabisblüten sowie für Dronabinol abgelehnt. Chemisch hergestellte THC-Präparate (Dronabinol, Marinol) hätten außerdem beim Kläger keine schmerzlindernde Wirkung. Der Kläger habe Dronabinol als Apothekenzubereitung unter Betreuung seiner behandelnden Ärztin zwei Wochen lang getestet und keine wirksame Schmerzdämpfung erzielt.
26Im Übrigen sei eine Kostenübernahme der Krankenkasse des Klägers für Dronabinol oder Sativex nicht zu erwarten, da beide Arzneimittel für die beim Kläger bestehende Indikation, nämlich die Schmerztherapie, nicht zugelassen seien.
27Versagungsgründe stünden der Erlaubnis nicht entgegen. Insbesondere könne die Sicherheit und Kontrolle des Anbaus gewährleistet werden. Die vom BfArM herangezogenen Richtlinien zu den Sicherheitsanforderungen beim Anbau von Cannabis seien ersichtlich für den gewerbsmäßigen Betäubungsmittelverkehr bestimmt und auf den kleinteiligen, vollständig kontrollierbaren Eigenanbau nicht anwendbar. Im Übrigen sei der Kläger bereit, alle vom BfArM vorgeschriebenen Sicherungsmaßnahmen ergreifen.
28Der Eigenanbau sei auch zur medizinischen Selbstversorgung des Klägers geeignet und erforderlich. Dieser sei deutlich günstiger als der Erwerb aus der Apotheke. Der Wirkstoffgehalt sei ebenso wie beim gewerblichen Anbau auch beim privaten Anbau bestimmbar. Es würden genetisch identische Pflanzen verwendet, die unter definierten Bedingungen (Licht, Wasser, Dünger) wüchsen. Dass jederzeit schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten könnten, sei wissenschaftlich nicht belegt.
29Das internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 stehe der Erlaubniserteilung nicht entgegen. Der Anbau geringer Mengen für die Eigentherapie falle nicht unter dieses Übereinkommen. Dies ergebe sich auch aus dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten Kurzgutachten von Prof. Dr. Lorenz Böllinger vom 28.04.2010. Jedenfalls müsse der Ansehensverlust der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Verletzung von Grundrechten des Klägers zurücktreten, denn das Übereinkommen könne nicht zur Einschränkung verfassungsmäßiger Grundrechte führen. Im Übrigen zeige die Handhabung in anderen Vertragsstaaten, dass eine grundrechtskonforme Auslegung möglich sei.
30Der Kläger beantragt,
31die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2011 zu verpflichten, dem Kläger eine Erlaubnis für den Anbau von Cannabispflanzen zum Zweck der Eigentherapie zu erteilen,
32hilfsweise,
33über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabispflanzen zum Zweck der Eigentherapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
34Die Beklagte beantragt,
35die Klage abzuweisen.
36Sie beruft sich auf die Begründung der während des Verfahrens ergangenen Bescheide und trägt ergänzend vor, das öffentliche Interesse an der Versorgung des Klägers mit Cannabis aus eigenem Anbau liege nicht vor. Der Kläger habe bisher keinen aussagekräftigen Therapieversuch mit dem Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ unternommen. Zwar habe die Krankenkasse des Klägers die Erstattung von Dronabinol bisher abgelehnt (Schreiben vom 12.10.2012). Im Hinblick auf die Kostenzusage der Krankenkasse im Parallelverfahren 13 A 414/11 sei es dem Kläger aber zuzumuten, erneut einen Antrag auf Kostenübernahme zu stellen.
37Auf Anfrage des Gerichts hat das BfArM mitgeteilt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Empfehlung für den Einsatz Cannabis-haltiger Arzneimittel bei „chronischen neuropathischen Schmerzen“ gegeben habe. Diese Indikation sei nicht wissenschaftlich anerkannt. Klinische Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis bei diesen Anwendungsgebieten belegten, lägen nicht vor.
38Der Anbau von Cannabis sei auch nach der Änderung der Anlagen zum BtMG durch die 25. Änderungsverordnung vom 11.05.2011 erlaubnispflichtig. Denn die Ausnahme vom Verkehrsverbot in der Anlage II zum BtMG betreffe nur die „Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“, nicht aber den Anbau. Im Übrigen sei mit der „Herstellung von Zubereitungen“ nach den Motiven des Gesetzgebers nur die Herstellung von Fertigarzneimitteln gemeint.
39Eine offenkundige Verfassungswidrigkeit des Verkehrsverbotes für Cannabis sei nicht gegeben. Vielmehr beruhe die Entscheidung des Gesetzgebers auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die der Kläger nicht widerlegt habe.
40Der Erlaubnis für den Anbau stünden zwingende Versagungsgründe entgegen. Insbesondere seien die erforderlichen räumlichen Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen worden, § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG. Auf Anforderung des Gerichts hat das BfArM die „Richtlinien über Maßnahmen zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten bei Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG“ mit Stand vom 01.01.2007 vorgelegt (Bl. 84 d. A.). Nach Auffassung des BfArM sind diese Richtlinien, die der Einheitlichkeit und Transparenz der Sicherungsmaßnahmen dienten, auch beim Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken zu beachten. Die Anforderungen richteten sich nach dem Gefährdungsgrad und der Bestands- oder Jahreshöchstmenge des betreffenden Betäubungsmittels. Da sich Cannabis in der Sicherungsklasse S 3 befinde, erfordere bereits der Anbau einer einzigen Cannabispflanze mit einem Gewicht über 100 g eine Sicherung nach Ziff. 1 und 2 der Richtlinie. Es sei daher für die Anbau- und Wuchsphase eine Raumsicherung nach Ziff. 2 sowie für die Lagerung ein Wertschutzschrank nach Ziff. 1 der Richtlinie erforderlich.
41Wenn diese Richtlinien keine Anwendung finden sollten, wäre jedenfalls eine weitere Prüfung der Sicherheitslage, ggfs. unter Inaugenscheinnahme der konkreten örtlichen Gegebenheiten durch das BfArM erforderlich. Wegen der Mannigfaltigkeit der hierbei zu beachtenden Kriterien könnten die Anforderungen an die Sicherung des Cannabisanbaus in einer Privatwohnung nicht pauschal definiert werden. Eine Anordnung von Nebenbestimmungen zur Gewährleistung der Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs sei nicht ausreichend.
42Der Eigenanbau von Cannabis sei auch zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers weder geeignet noch notwendig, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Wegen des schwankenden Wirkstoffgehalts beim Eigenanbau sei die Einhaltung einer vom Arzt verordneten Dosierungsempfehlung nicht möglich und damit die erforderliche Therapiesicherheit nicht gewährleistet. Der Eigenanbau sei daher keine gleichwertige Alternative zum genehmigten Erwerb von Apothekencannabis.
43Ferner stehe der Erlaubniserteilung das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 entgegen, das die Errichtung einer staatlichen Cannabisagentur bei einer Genehmigung des Anbaus von Cannabis erfordere. Dies gelte auch für den Anbau im geringen Umfang zum Zweck der Eigentherapie, wie der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) auf eine Anfrage des BfArM im Schreiben vom 30.07.2010 bestätigt habe. Eine Erlaubniserteilung ohne die Existenz einer Cannabis-Agentur würde dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik Deutschland erheblichen und unvertretbaren Schaden zufügen. Hierbei sei auch die international große drogenpolitische Bedeutung des Themas „Cannabis“ zu berücksichtigen. Diese Gesichtspunkte überwögen gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Erlaubnis zum Eigenanbau. Hierbei gehe es nicht grundsätzlich um die Frage des Einsatzes von Cannabis zu medizinischen Zwecken, sondern um die spezielle Art des Betäubungsmittelverkehrs, nämlich den Anbau, bei dem eine effektive Kontrolle über den Umfang des Anbaus und der Lagerbestände nicht gegeben sei.
44Die Interessen des Klägers seien dagegen gewahrt, weil dem Kläger die Cannabis-Therapie grundsätzlich und auch tatsächlich aufgrund der Genehmigung zum Erwerb des Medizinalhanfs aus der Apotheke zur Verfügung stehe. Die beanstandeten Lieferengpässe bei dem Lieferanten Fagron könnten aufgrund der von Mitarbeitern des BfArM geführten Gespräche als behoben gelten. Schließlich stünden auch die erwähnten Aspekte der Therapiesicherheit sowie der Sicherheit der Kontrolle der Cannabispflanzen während der Blühphase der Erteilung der Erlaubnis entgegen.
45Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens, des Verfahrens 7 K 4500/11 und der Eilverfahren 7 L 1172/11 und 7 L 1173/11 Bezug genommen.
46E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
47Die Klage war vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens als Untätigkeitsklage nach § 75 Satz 1 VwGO zulässig, da die Beklagte ohne zureichenden Grund nicht innerhalb angemessener Frist über den Widerspruch des Klägers vom 08.11.2010 gegen den Bescheid vom 14.10.2010 entschieden hat. Der Widerspruchsbescheid erging erst am 26.09.2011 und damit mehr als 10 Monate nach der Einlegung des Widerspruchs. Bei Erhebung der Untätigkeitsklage am 11.08.2011 waren auch bereits mehr als drei Monate nach Eingang des Widerspruchs verstrichen, § 75 Satz 2 VwGO. Ein zureichender Grund für die lange Bearbeitungszeit ist weder vorgetragen noch aus dem Verwaltungsvorgang ersichtlich.
48Soweit der Kläger hilfsweise die Neubescheidung seines Antrages auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zur Eigentherapie und Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide des BfArM beantragt hat, ist die Klage begründet. Der Bescheid des BfArM vom 14.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis, vorbehaltlich einer noch vom BfArM zu treffenden Ermessensentscheidung über die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen in Form einer Nebenbestimmung zur Erlaubnis. Da diese Ermessensentscheidung noch nicht vorliegt, ist der Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Erlaubnis noch nicht spruchreif, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, und war daher als unbegründet abzuweisen.
49Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide ist nach allgemeinen Grundsätzen im Fall der Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend. Aus dem anwendbaren materiellen Recht, also den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, ergeben sich keine Gründe für die Berücksichtigung eines anderen Zeitpunktes.
50Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist sich die Klage hinsichtlich des Hilfsantrages begründet. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis, die sich aus § 3 Abs. 2 BtMG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG unter Berücksichtigung einer verfassungskonformen Auslegung ergeben, sind erfüllt. Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 BtMG stehen der Erlaubniserteilung nicht entgegen bzw. können durch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis beseitigt werden. Die Kammer ist auch zu der Auffassung gelangt, dass das in § 3 Abs. 2 BtMG eingeräumte Ermessen der Beklagten im vorliegenden Verfahren auf Null reduziert ist, weil nur die Erteilung der Erlaubnis den grundrechtlich geschützten Interessen des Klägers gerecht werden kann und damit allein rechtmäßig ist. Lediglich hinsichtlich der Auswahl der noch anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen steht dem BfArM noch Ermessen zu.
51Nach § 3 Abs. 2 BtMG kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Der Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung fällt unter die Anlage I des BtMG und bedarf daher einer Erlaubnis des BfArM.
52Nach der Anlage I zu § 1 Nr. 1 BtMG zählt Cannabis grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln, für die eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur im Ausnahmefall erteilt werden kann. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen offensichtlich nicht vor. Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11.05.2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (Anlage III), ist hier nicht betroffen. Auch sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, nicht „zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“ bestimmt (Anlage II). Denn diese Ausnahme bezieht sich nach der Gesetzesbegründung ausschließlich auf die Herstellung von Zubereitungen mit dem Ziel der Herstellung eines Fertigarzneimittels,
53vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 – 13 A 414/11 – und Beschluss vom 16.11.2011 – 13 B 1199/11 – juris.
54Die für den Anbau von Cannabispflanzen geltende Erlaubnispflicht in Verbindung mit der hieran anknüpfenden Strafbarkeit bei Fehlen der Erlaubnis begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, sofern für die Erteilung der Erlaubnis die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - geltenden Kriterien berücksichtigt werden. Denn die Gefährlichkeit des Cannabisgenusses ist auch nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere für bestimmte Risikogruppen wie Jugendliche, nicht widerlegt, und rechtfertigt daher nach wie vor das grundsätzliche Verkehrsverbot,
55vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.11.2011 – 13 B 1199/11 – und VG Köln, Beschluss vom 13.09.2011 – 7 L 1172/11 - .
56Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 09.03.1994 – 2 BvL 43/92 – u. a., BVerfGE 90, 145, 187 die Verfassungsmäßigkeit des strafbewehrten Cannabisverbots bejaht und ausgeführt, dass nach dem seinerzeitigen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand mit dem Cannabisgenuss beträchtliche Gefahren und Risiken für die Gesundheit des einzelnen und der Bevölkerung, vor allem der jugendlichen Bevölkerung, verbunden seien. Insbesondere könne ein Dauergenuss in hoher Dosierung – eventuell im Zusammenwirken mit anderen Ursachen – zu Toleranzbildung, psychischer Abhängigkeit und weiteren psychischen Störungen führen und damit die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen beeinträchtigen. Ein „Umsteigeeffekt“ auf härtere Drogen sei in Einzelfällen nicht auszuschließen. Ein akuter Cannabisrausch beeinträchtige in erheblichem Maß die Fahrtüchtigkeit und damit die Sicherheit des Straßenverkehrs. Die generelle Ungefährlichkeit von Cannabis sei wissenschaftlich nicht gesichert.
57An dieser Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen vom 29.06.2004 – 2 BvL 8/02 - , DVBl. 2004, 1108, vom 30.06.2005 – 2 BvR 1772/02 - , PharmR 2005, 374 und vom 15.08.2006 – 2 BvR 1441/06 – juris, festgehalten.
58Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 21.12.2000 – 3 C 20/00 - , NJW 2001, 1365, dieser Rechtsprechung angeschlossen und ausgeführt, dass auch die nach dem Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994 erzielten Forschungsergebnisse bisher nicht den Beweis einer generellen Unbedenklichkeit von Cannabis erbracht hätten. Diese Auffassung wurde im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.10.2006 – 3 B 109.06 – bestätigt.
59Im vorliegenden Verfahren wurden keine aktuellen Forschungsergebnisse benannt, die eine günstigere Einschätzung des Risikopotentials von Cannabis rechtfertigen würden. Sogar von den Befürwortern einer allgemeinen Freigabe des Cannabiskonsums oder zumindest einer Freigabe für medizinische Zwecke wird eingeräumt, dass insbesondere der hochdosierte Dauergenuss nicht unerhebliche Risiken für bestimmte Bevölkerungsgruppen, insbesondere für Jugendliche oder Personen mit einer instabilen Psyche birgt,
60vgl. Krumdiek, „Cannabis sativa L. und das Aufleben alter Vorurteile“, NStZ 2008, 437, 444; Grotenhermen/Müller-Vahl, „Das therapeutische Potenzial von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498 f..
61Ein Gelegenheitskonsum wird zwar, insbesondere bei erwachsenen Konsumenten, in der Regel als gesundheitlich unproblematisch angesehen. Jedoch können die erwünschten psychischen Wirkungen des akuten Cannabisrausches, z. B. Entspannung, Gelassenheit, Leichtigkeit, Euphorie, Intensivierung von Wahrnehmung und Gemeinschaftserleben, auch in seltenen Fällen in das Gegenteil umschlagen und zu vorübergehenden Angstzuständen, Verwirrung, Halluzinationen, Erinnerungslücken, Übelkeit und Schwindel führen.
62Bedeutsamer sind aber die dauerhaften Folgen eines Cannabiskonsums. Trotz teilweise widersprüchlicher Forschungsergebnisse ist heute anerkannt, dass ein dauerhafter und hochdosierter Cannabiskonsum mit psychischen, sozialen und körperlichen Risiken, insbesondere bei dafür anfälligen Personen, verbunden sein kann.
63Es kann sich bei ca. 4 – 7 % der Konsumenten eine psychische und eine milde körperliche Abhängigkeit entwickeln. Bei einem Entzug können daher leichte Symptome wie innere Unruhe, Reizbarkeit, Angst, Schlafstörungen, Schweißausbrüche entstehen, die den Symptomen eines Nikotinentzuges ähnlich sind und eine Beendigung des Konsums erschweren. Die Sicherstellung des Konsums kann daher im Alltagsleben eine erhebliche Bedeutung gewinnen und andere Aufgaben in den Hintergrund drängen.
64Cannabisabhängigkeit kann insbesondere bei Jugendlichen und bei Vorliegen persönlicher und sozialer Risikofaktoren in Zusammenhang mit Leistungsproblemen in Schule und Beruf sowie familiären und finanziellen Schwierigkeiten stehen, wobei die Kausalität von Cannabis nicht eindeutig geklärt ist. Es spricht einiges dafür, dass dauerhafter Cannabiskonsum, insbesondere bei Jugendlichen oder bei Personen mit entsprechender Disposition den Ausbruch einer Schizophrenie auslösen oder beschleunigen kann.
65Derartige Fälle sind allerdings selten.
66Hochdosierter regelmäßiger Cannabiskonsum schädigt die Lungenfunktion und erhöht das Krebsrisiko, jedenfalls in der verbreiteten Verbindung mit Tabakrauch. Zu den akuten Wirkungen von Cannabis gehört auch eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Der Cannabisgenuss kann daher für Herz/Kreislauf-Patienten gefährlich sein. Ferner hat Cannabiskonsum eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit zur Folge (Aufmerksamkeit, Konzentration, Lernfähigkeit, Gedächtnis), wobei noch ungeklärt ist, ob diese Folgen bei Beendigung des Genusses reversibel sind. Einige Studien weisen darauf hin, dass das nicht ausgereifte Gehirn von Jugendlichen durch die Wirkungen von Cannabis dauerhaft geschädigt werden kann. Nicht auszuschließen ist ein Einfluss auf das Hormon- und Immunsystem, was in der Pubertät zu Entwicklungsverzögerungen führen kann,
67vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, „Das therapeutische Potential von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; „Cannabis-Wirkung, Nebenwirkungen und Risiken“; http:// hanfverband.de, Abruf vom 25.06.2014; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., „Illegale Drogen“, Cannabis, http:// www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Sonnenmoser, „Cannabiskonsum: Für Jugendliche besonders riskant“, 2008, http:// www.aerzteblatt.de, Abruf vom 23.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. für Suchtforschung und Suchttherapie und der Dt. Ges. f. Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, „Cannabisbezogene Störungen“, AWMF online, http://www.uni-duesseldorf.de, eingestellt am 18.12.2006; Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Drugcom: Drogenlexikon: Cannabis, http://www.drugcom.de, Abruf vom 18.06.2014.
68Das Risikopotential von Cannabis wird bestätigt durch die Inanspruchnahme von Drogenberatungsstellen und Therapieangeboten. Cannabis war im Jahr 2012 europaweit unter den Drogenkonsumenten, die sich erstmalig einer Behandlung unterzogen, die am häufigsten gemeldete Droge. In Deutschland gaben 54,5 % der Drogenkonsumenten (11.431 Personen), die erstmalig eine Therapie antraten, Cannabis als Primärdroge an,
69vgl. Europäischer Drogenbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, 2014, S. 13, 36 und 77.
70Vor diesem Hintergrund kann von einer Ungefährlichkeit des Cannabiskonsums nach wie vor nicht ausgegangen werden. Demnach ist das allgemeine, strafrechtlich bewehrte Verkehrsverbot mit Erlaubnisvorbehalt keine unverhältnismäßige Einschränkung des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG. Die von Cannabis ausgehenden Gefahren sind aber anders zu beurteilen, wenn es um den Einsatz des Betäubungsmittels zur Bekämpfung einer Krankheit geht und damit um ein sehr viel höheres Rechtsgut als die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Beschränkung des Zugangs zu Cannabis hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung im Hinblick auf den Eingriff in die Grundrechte von Menschen mit schweren Erkrankungen aus Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 GG nur dann stand, wenn im Einzelfall schon die Möglichkeit einer Linderung der schweren Erkrankung oder die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit die Erlaubnisfähigkeit eröffnet,
71vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 - juris.
72Die vom Bundesverwaltungsgericht in der o. g. Entscheidung angegebenen Kriterien für die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Erwerb und sogar für den Anbau von Cannabispflanzen liegen unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls vor. Die Erteilung der Erlaubnis liegt im öffentlichen Interesse.
73Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Beschwerden möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
74Dies ergibt sich aus der Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und für die Wahrung der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 GG. Diesen Bestimmungen kommt im Rahmen des Wertehorizontes des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist,
75vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 – juris.
76Der Einsatz von Cannabis ist im vorliegenden Einzelfall zur Linderung der Leiden und Beschwerden des Klägers geeignet und erforderlich. Dies hat die Beklagte bereits dadurch anerkannt, dass sie dem Kläger eine Erlaubnis zum Erwerb von Medizinalhanf aus Holland am 17.12.2009 erteilt hat.
77Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung mit Cannabis besteht auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch fort. Laut den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen leidet der Kläger seit einem schweren Motorradunfall im Jahr 2002 mit multiplen Verletzungen und Frakturen an der Hüfte, den Beinen, dem linken Arm und dem Unterkiefer an einem chronischen Schmerzsyndrom mit Belastungsschmerzen und Ruheschmerzen nachts. Dieses resultiert aus den nicht behobenen Verletzungsfolgen, nämlich Beinverkürzung (4 cm), Fehlstellung der Wirbelsäule, Muskelverkürzung, Myalgien, neuropathische Schmerzen links bei Läsion des Nervus ulnaris, Fehlstellung beider Kiefer, Fehlfunktionen der Gelenke in den oberen und unteren Extremitäten, sekundäre Schäden in beiden Kniegelenken und der rechten Hüfte (Arthrose), Degeneration des gesamten Beckenbereichs (Atteste der praktischen Ärztin Dr. E. Q. -T. vom 04.09.2009, Bl. 8-15 Beiakte 2 zu 7 L 1172/11; vom 16.11.2009, Bl. 21-22 Beiakte 2 zu 7 L 1172/11, und vom 25.10.2011, Bl. 59 d. A. in 7 L 1172/11; des Arztes für Allgemeinmedizin S. Q1. vom 07.12.2013, Bl. 83-85 d. A.).
78Es kommt auch nicht darauf an, ob die therapeutische Wirksamkeit bei chronischen Schmerzen durch kontrollierte Studien wissenschaftlich erwiesen ist. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine subjektiv-individuelle Betrachtung. Aus verfassungsrechtlichen Gründen muss die Erlaubniserteilung schon bei Bestehen der Möglichkeit einer subjektiv empfundenen Linderung einer schweren Erkrankung möglich sein,
79vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 - , juris.
80Diese Möglichkeit besteht hier; eine therapeutische Wirkung ist bei den Krankheitsbildern des Klägers nicht ausgeschlossen. Die Wirksamkeit von Cannabis bei einzelnen Patienten, die an chronischen Schmerzen leiden, wird in den Fachkreisen überwiegend bejaht (vgl. Grotenhermen, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. vom 07.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)); Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 03.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(6)).
81Zur Behandlung seiner Dauerschmerzen steht dem Kläger keine gleich wirksame Behandlungsalternative mit einem zugelassenen und finanzierbaren Arzneimittel zur Verfügung. Die schulmedizinisch angezeigten Schmerzmittel (nicht-steroidale Antirheumatika – NSAR - und Opioide) haben nach den glaubhaften Attesten der Ärzte keine befriedigende Besserung der Schmerzen erbracht und waren mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden.
82Das cannabishaltige Medikament Sativex ist nicht für chronische Schmerzen zugelassen, die aus einer verletzungsbedingten Erkrankung des Bewegungsapparates resultieren. Die zugelassene Indikation umfasst nur spastische Schmerzen bei multipler Sklerose. Aus diesem Grund dürfte das sehr teure Medikament auch für den Kläger nicht erschwinglich sein, denn eine Leistungspflicht der Krankenkasse besteht bei einem off-label-use in der Regel nicht, § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V.
83Es kann dahinstehen, ob das THC-haltige Importarzneimittel bzw. Rezepturarzneimittel Dronabinol bei dem Kläger die gleiche Wirksamkeit hat wie die von ihm beantragten Cannabisblüten. Jedenfalls hat die Krankenkasse des Klägers die Kostenerstattung mit Schreiben vom 17.07.2007 und mit 19.06.2013 abgelehnt, sodass diese Behandlungsoption für den Kläger nicht erschwinglich ist.
84Es kann dem Kläger auch nicht immer wieder nahegelegt werden, einen erneuten Kostenerstattungsantrag bei seiner Krankenkasse für Dronabinol zu stellen. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Kostenerstattung liegen nicht vor, da es sich nicht um ein in Deutschland zugelassenes Arzneimittel handelt und der Gemeinsame Bundesausschuss für diese „neue Behandlungsmethode“ bisher keine Empfehlung nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausgesprochen hat. Eine Übernahme der Kosten kommt nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung daher nur ausnahmsweise bei Vorliegen bestimmter, eng beschriebener Voraussetzungen in Betracht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Nach der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Kostenerstattung von Dronabinol liegt weder ein sogenanntes „Systemversagen“ hinsichtlich des Verfahrens beim Gemeinsamen Bundesausschuss, noch ein sogenannter „Seltenheitsfall“, also der Fall einer seltenen, nicht erforschten Krankheit vor. Schließlich ist die Kostenerstattung – jedenfalls nach Auffassung der Sozialgerichte - auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Das ist nur bei lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen – wie bei Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion – anzunehmen und liegt im Fall eines chronischen Schmerzsyndroms nicht vor,
85vgl. BSG, Urteile vom 13.10.2010 – B 6 KA 48/09 R – juris und vom 27.03.2007 – B 1 KR 30/06 R - juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2011 – L 4 KR 4903/10 – juris; Landessozialgericht NRW, Urteile vom 14.02.2008 – L 5 KR 25/06 – und vom 04.01.2012 – L 11 KA 110/10 – juris; a.A. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19.06.2013 – L 5 KR 91/13 B ER – juris: bei drohendem Verlust der Fortbewegungsfähigkeit einer MS-Patientin.
86Vor diesem Hintergrund ist es dem Kläger daher nicht zuzumuten, erneut eine Erstattung der Kosten bei seiner Krankenkasse zu beantragen oder einen langwierigen und wenig aussichtsreichen Prozess um die Kostenerstattung vor den Sozialgerichten zu führen. Somit ist eine Therapie mit Dronabinol für den Kläger unerschwinglich.
87Denn er kann die Behandlungskosten für einen 4-Wochen Bedarf in Höhe von 672,00 Euro auch nicht von den Unterhaltsleistungen seiner Ehefrau aufbringen, die mit einem Nettogehalt in Höhe von 2.366 € derzeit die Familie, also den Kläger und das gemeinsame Kind, versorgt (vgl. PKH-Heft, Bl. 5). Diese Kosten ergeben sich bei einem angenommenen Maximal-Bedarf von 30 mg THC pro Tag x 28 Tage = 840 mg THC, (vgl. Grotenhermen, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 499), und einem Preis von 0,80 Euro/mg Dronabinol, also 840 mg x 0,80 € = 672,00 €,(vgl. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin zur Anhörung des Gesundheitsausschusses 2012, a.a.O., S. 6). Damit ist diese Behandlungsalternative für den Kläger nicht verfügbar,
88vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - ; NJW 2005, 2200 ff., juris.
89Da dem Kläger somit zur Behandlung seiner starken Schmerzen keine Therapiealternative zur Verfügung steht, liegt die Erteilung einer Erlaubnis für den Zugang zu Cannabisblüten im öffentlichen Interesse.
90Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 BtMG stehen der Erlaubniserteilung nicht entgegen. Im Fall der Erlaubnis für eine Eigentherapie sind die Versagungsgründe modifiziert auszulegen. Denn diese sind nach der Konzeption des Gesetzes nicht auf die Eigentherapie mit einem nicht verkehrsfähigen Betäubungsmittel der Anlage I zugeschnitten. Vielmehr dient die Erlaubniserteilung regelmäßig gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken, wie beispielsweise die Vorschrift des § 6 BtMG über die erforderliche Sachkenntnis zeigt. Bei der Erteilung der Erlaubnis für die medizinische Selbstversorgung handelt es sich dagegen um einen aus dem Grundrechtsschutz der betroffenen Patienten entwickelten Ausnahmefall, in dem einerseits dem geringeren Gefährdungspotential eines Kleinanbaus in einer Privatwohnung und andererseits den Bedürfnissen und Möglichkeiten einer Privatperson Rechnung getragen werden muss, damit die Möglichkeit der Gewährung des Zugangs nicht völlig leerläuft oder unzumutbar erschwert wird,
91vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 – 13 A 414/11 - .
92Nach diesem Maßstab kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, dass er nicht die erforderliche Sachkenntnis hat, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BtMG, der im Fall der Herstellung von Betäubungsmitteln, die Arzneimittel sind, den Nachweis der Sachkunde nach § 15 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes verlangt, ist vorliegend nicht anwendbar. Die Vorschrift geht ersichtlich davon aus, dass es sich um Arzneimittel handelt, die dazu bestimmt sind, später angewendet zu werden und von denen somit eine Gefährdung anderer Menschen ausgehen kann. Die Sachkenntnis als approbierter Apotheker dient dazu, Gefahren abzuwehren, die von einer unsachgemäßen Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln für andere Menschen ausgehen.
93Im vorliegenden Fall der Eigentherapie durch selbstangebautes Cannabis treffen die Gefahren einer unsachgemäßen Herstellung allein den Kläger selbst, der diese Gefahren jedoch wegen der erwünschten, schmerzlindernden Wirkung der Cannabisblüten in Kauf nimmt. Es obliegt daher dem Kläger selbst, sich die erforderliche Sachkenntnis zu verschaffen, um Gesundheitsgefahren aus einer fehlerhaften Qualität des selbst erzeugten Produkts abzuwehren. Die Kammer hat im Hinblick auf die Persönlichkeit des Klägers keine Zweifel daran, dass er in der Lage ist, sich die erforderlichen Informationen für einen Kleinanbau zu beschaffen. Diese sind in den einschlägigen Veröffentlichungen der Interessenverbände im Internet ohne Mühe erhältlich.
94Ein Versagungsgrund ergibt sich auch nicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Es liegen keine Tatsachen vor, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Klägers als verantwortliche Person für den Betäubungsmittelverkehr ergeben. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger unerlaubt Teilmengen aus dem Anbau abzweigt und hierdurch einen Betäubungsmittelmissbrauch durch Dritte ermöglichen könnte. Zum einen benötigt der Kläger die angebauten Pflanzen selbst für seine regelmäßige Behandlung. Zum anderen kann die Bundesopiumstelle den Anbau des Klägers hinsichtlich der Zahl der zugelassenen Pflanzen begrenzen, § 9 Abs. 1 Nr. 2 BtMG, und nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BtMG kontrollieren. Eine unerlaubte Weitergabe nicht benötigter Cannabismengen dürfte schon deshalb nicht zu befürchten sein, weil der Kläger sich in diesem Fall strafbar macht und damit rechnen muss, dass die erteilte Erlaubnis wegen Fehlens der Zuverlässigkeit widerrufen wird.
95Die Beklagte kann sich auch nicht auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG berufen. Dem Kläger kann nicht entgegengehalten werden, dass geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr nicht vorhanden sind.
96In der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sind die Voraussetzungen für den Cannabisanbau in einer Privatwohnung bisher nicht geklärt. Zwar hat das OVG NRW im Urteil vom 11.06.2014 – 13 A 414/11 – entschieden, dass die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten für den gewerblichen Anbau im großen Stil konzipiert sind und für den Eigenanbau im geringen Umfang in einer Privatwohnung wegen der unterschiedlichen Gefährdungslage keine Anwendung finden. Dem schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an.
97Aus Sinn und Zweck des Betäubungsmittelgesetzes, einen Missbrauch zu verhindern und die medizinische Versorgung sicherzustellen, ergibt sich, dass einerseits dem Gefährdungsgrad des jeweiligen Umgangs mit Betäubungsmitteln angepasste Sicherungen gegen Diebstahl und unbefugte Entnahme vorzunehmen sind, § 15 Satz 1 BtMG, und andererseits den persönlichen und grundrechtlich geschützten Bedürfnissen von Patienten, die auf den Einsatz von Cannabis angewiesen sind, Rechnung getragen werden muss. Welche konkreten Sicherheitsanforderungen sich daraus ergeben, hat das Oberverwaltungsgericht aber nicht generell definiert. Ebensowenig hat sich das BfArM bisher in der Lage gesehen, derartige Richtlinien zu formulieren oder im vorliegenden Fall eine substantiierte Prüfung der Sicherheitsvorkehrungen vorzunehmen. Aus der mit Urteil des OVG NRW vom 11.06.2014 getroffenen Einzelfallentscheidung ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die hier gebotenen Sicherheitsvorkehrungen.
98Die Kammer ist der Auffassung, dass für einen Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung in jedem Fall eine Raumsicherung vorhanden sein muss. Anders als bei der Aufbewahrung von Medizinal-Cannabisblüten genügt ein Wertschutzschrank für die Ernte nicht. Die Anpflanzung muss auch in der Wuchs- und Blühphase vor Diebstahl oder unberechtigter Entnahme durch Mitbewohner oder Besucher geschützt werden, da sowohl die ganzen Pflanzen als auch nicht getrocknete Blätter und Blüten für einen künftigen Betäubungsmittelmissbrauch benutzt werden können.
99Daraus ist abzuleiten, dass in einer Privatwohnung zunächst ein geeigneter Raum für die Anpflanzung zur Verfügung stehen muss. Der Raum muss sodann durch geeignete und zumutbare Vorkehrungen (stabile Türen, Fenster, Wände und Schlösser) zuverlässig vor dem Zutritt ungebetener oder erwünschter Besucher geschützt werden. Sicherungsvorkehrungen, die schnell und leicht überwunden werden können, reichen nicht aus.
100Diese Anforderungen schließen es aus, dass der Anbau in einem Zimmer durchgeführt wird, das zugleich zu Wohn- oder Schlafzwecken genutzt wird und daher ständig betreten wird. Vielmehr kann der Anbau nur in einem separaten Raum stattfinden, der – bis auf den Zutritt des Erlaubnisinhabers zu Pflegezwecken – ständig abgeschlossen sein muss, zum Beispiel ein Abstellraum oder eine zweite Toilette.
101Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger für den Anbau die Gästetoilette mit Fenster in einer 3-Zimmer-Eigentumswohnung im 6. Stock vorgesehen. Dieser Raum ist grundsätzlich für einen Anbau geeignet, da er nicht für andere Wohnzwecke genutzt werden muss und daher ständig abgeschlossen sein kann. Die Beklagte hat bisher auch nicht überzeugend dargelegt, dass die Raumgröße, 3,43 qm, für einen Anbau nicht ausreichend ist. Im Verwaltungsverfahren hat der Kläger die Abbildung eines „Anbauschrankes“ mit den Abmessungen 176 x 118 x 78 cm vorgelegt, der getrennte Abteilungen für die Mutterpflanze, die Stecklinge und die Blühphase enthält (Bl. 51 Beiakte 2 zu 7 L 1172/11), der in dem vorgesehenen Zimmer ohne weiteres aufgestellt werden kann.
102Ob die Beschaffenheit der Zimmertür und Wohnungstür, die nach den Angaben des Klägers aus Vollholz bestehen und mit einem Sicherheitsschließzylinder und –beschlag versehen sind, als Diebstahlssicherung ausreichend sind, kann seitens des Gerichts nicht abschließend beurteilt werden. Vielmehr obliegt es der Behörde aufgrund ihrer Sachkenntnis, geeignete und zumutbare weitere Vorkehrungen für den Privatanbau, gegebenenfalls mit Unterstützung der Polizei, zu ermitteln und festzulegen. Hierbei kommen insbesondere weitere Vorrichtungen, die das Öffnen von verschlossenen Türen (Fenstern) verhindern, in Betracht. Der Kläger hat zugesichert, bei Bedarf weitere Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen. Demnach kann die Beklagte durch eine entsprechende Nebenbestimmung zur Erlaubnis, mit der die noch erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen angeordnet werden, den Versagungsgrund der ungenügenden räumlichen Sicherung beseitigen. Da eine entsprechende Nebenbestimmung zur Erlaubnis gegenüber der Versagung das mildere Mittel ist, ist die Behörde auf der Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu diesem Vorgehen verpflichtet,
103vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
104Schließlich kann dem BfArM auch nicht in seiner Annahme zugestimmt werden, dass der Anbau in einer Privatwohnung zur Eigentherapie mit den Schutzzwecken des Gesetzes nicht vereinbar ist, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG.
105Der Cannabisanbau in einer Privatwohnung ist zur medizinischen Selbstversorgung des Klägers erforderlich und auch geeignet. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass der Selbstanbau nicht günstiger ist als der Bezug der Blüten aus Holland. Sie hat gegen die vorgelegte Vergleichsrechnung des Klägers keine substantiierten Einwendungen erhoben. Soweit sie darauf hinweist, dass noch aufwändige Sicherungsmaßnahmen für den Anbau erforderlich seien, die den Anbau gegenüber dem Erwerb aus der Apotheke erheblich verteuerten, ist der Einwand unberechtigt. Die Behörde darf nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen anordnen, also solche, die auch von einer Privatperson mit geringem Einkommen, ggfs. unter Inanspruchnahme eines Ratenkredites, finanziert werden können. Im Übrigen sind diese Aufwendungen auch nur einmalig erforderlich.
106Schließlich hat die Beklagte auch nicht überzeugend vorgetragen, dass die Therapiesicherheit wegen schwankender Wirkstoffgehalte ernsthaft gefährdet sein könnte. Hierbei verkennt die Beklagte, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Zulassung eines Fertigarzneimittels geht, bei dem die Bundesoberbehörde – neben dem pharmazeutischen Unternehmer - die Verantwortung für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels übernimmt. Auch geht es nicht um die ärztliche Verschreibung eines Betäubungsmittels gemäß § 13 BtMG, bei der der Arzt die Verantwortung für die verordnete Dosierung übernimmt. Vorliegend ist allein zu prüfen, ob eine medizinische Versorgung des Klägers im Wege einer Selbsttherapie mit Cannabis zur Linderung der Beschwerden des Klägers geeignet und im Hinblick auf die Nebenwirkungen vertretbar ist. Hierbei ist sich der Patient bewusst, dass weder die Beklagte noch der begleitende Arzt eine Garantie für die therapeutische Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit des selbst erzeugten Arzneimittels übernehmen. Vielmehr nimmt der Patient das Risiko schwankender Wirkstoffgehalte, die für Cannabis typisch sind, und damit eventuell verbundenen Nebenwirkungen bewusst in Kauf.
107Die hierbei eventuell eintretende Selbstgefährdung des Klägers hält sich in einem vertretbaren Rahmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine langjährige Erfahrung mit dem Konsum von Cannabis hat und das Risiko schwankender Wirkstoffgehalte vermutlich kennt und einschätzen kann. Aus dem Vortrag im Klageverfahren ist zu entnehmen, dass er sich mit der Problematik befasst hat und durch genetisch identische Pflanzen und gleichbleibende Anbaubedingungen (Licht, Wasser, Dünger) den Wirkstoffgehalt stabil halten will. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass dieses Verfahren generell ungeeignet ist und damit zu völlig unberechenbaren Gesundheitsgefahren führen kann.
108Es ist weder von der Beklagten substantiiert vorgetragen noch aufgrund der Drogeneigenschaften ersichtlich, dass beim Kläger erhebliche und unvertretbare Nebenwirkungen als Folge einer schwankenden Menge der Inhaltsstoffe auftreten könnten. Dies ist im Verlauf des bisherigen Konsums nicht der Fall gewesen. Darüber hinaus steht der Kläger unter ärztlicher Kontrolle und kann daher beim Auftreten von Nebenwirkungen Rat und Hilfe einholen. Überdies sind die schädlichen Nebenwirkungen beim Cannabiskonsum von der Verfassung des jeweiligen Konsumenten abhängig und in der Regel bei erwachsenen Konsumenten nicht schwerwiegend.
109Tödliche Intoxikationen durch eine Überdosis Cannabis sind nicht bekannt. Notfallbehandlungen wegen des Auftretens von Panikzuständen oder Psychosen im akuten Cannabisrausch treten nur gelegentlich bei einem Missbrauch von Cannabis und insbesondere in Verbindung mit Alkohol oder anderen Drogen auf,
110vgl. Wikipedia, „Cannabis als Rauschmittel“, Wirkung , http://de.wikipedia.org, Abruf vom 24.06.2014; Europäischer Drogenbericht 2014, 36; . Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O. Ziff. 3.4.5 und 3.4.11.
111Körperliche Dauerschäden durch den Konsum sind bei Erwachsenen – abgesehen von den Gefahren des Rauches für die Atmungsorgane, die durch Nutzung anderer Konsumformen vermieden werden können (Verdampfung, Kekse) – bisher nicht bekannt,
112vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, „Illegale Drogen“, Cannabis, www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung, a.a.O., Ziff. 3.4.11.
113Die Auslösung einer Schizophrenie oder einer anderen psychischen Erkrankung ist selten und wird vor allem im Zusammenhang mit einer Prädisposition des Patienten und bei Jugendlichen diskutiert. Beim Kläger bestehen hierfür keine Anhaltspunkte,
114vgl. Drugcom, Drogenlexikon, „Macht Kiffen verrückt ?“, www.drugcom.de/häufig -gestellte-fragen, Abruf vom 18.06.2014; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, „Illegale Drogen, Cannabis, www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O. Ziff. 3.4.6.
115.
116Eine irreversible Verminderung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei einem Dauerkonsum ist umstritten, aber nach dem derzeitigen Erkenntnisstand im Rahmen von therapeutischen Dosierungen nicht zu befürchten,
117vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498.
118Soweit die Beklagte sich auf Einzelfälle von epileptischen Anfällen beruft, hat sie hierfür keine wissenschaftlichen Belege angeführt. Es bestehen auch keine Hinweise darauf, dass der Kläger für eine derartige Wirkung anfällig sein könnte. Demnach ist eine Selbsttherapie des Klägers mit Cannabis aus dem Eigenanbau zu seiner medizinischen Versorgung geeignet und erforderlich.
119Auch die anderen Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes sind durch die Erteilung der Anbauerlaubnis nicht gefährdet, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Ein Missbrauch durch den Kläger liegt nicht vor, da der Kläger das Betäubungsmittel nicht zu Rauschzwecken, sondern zur Linderung seiner Schmerzen einsetzt. Ein Missbrauch durch Dritte kann durch entsprechende Sicherungsmaßnahmen und Kontrollen weitgehend verhindert werden. Auch die mögliche Entstehung einer Abhängigkeit steht dem medizinischen Einsatz von Cannabis nicht entgegen.
120Das Entstehen einer Betäubungsmittelabhängigkeit wäre jedenfalls ausnahmsweise mit dem Gesetzeszweck zu vereinbaren, weil sie im Hinblick auf die Schmerzlinderung das geringere Übel und damit hinzunehmen ist,
121vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
122Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 2 BtMG berufen. Die Erteilung der Anbau-Erlaubnis kann nicht mit der Begründung versagt werden, dass nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 04.02.1977 (BGBl. II, S. 111) – ÜK 1961 – die Einrichtung einer Cannabis-Agentur zum Aufkauf und zur Verteilung der Ernte erforderlich sei, die aber in Deutschland nicht existiere und auch nicht geplant sei. Vielmehr steht das ÜK 1961 der Erteilung einer Anbauerlaubnis für einzelne Privatpersonen zur therapeutischen Selbstversorgung nicht entgegen. Zum einen bringt das Übereinkommen in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll,
123vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - , mit weiteren Nachweisen.
124Zum anderen finden die Vorschriften, die für den Anbau von Cannabis die Einrichtung einer staatlichen Stelle vorschreiben, Art. 28 Abs. 1, Art. 23 ÜK 1961, - entgegen der im Schreiben vom 30.07.2010 geäußerten Rechtsauffassung des INCB - auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Denn diese Vorschriften gehen von einem großflächigen Anbau im Außenbereich aus und schreiben einen Aufkauf der gesamten Erntemenge durch die Agentur vor, um eine illegale Entnahme von Teilmengen zum Zweck des Rauschgiftmissbrauchs zu verhindern.
125Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
126Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Vorgehensweise im Fall eines geringfügigen Anbaus zum sofortigen Verbrauch keinerlei Sinn ergibt, da der Kläger seine Ernte zunächst an die staatliche Stelle aushändigen und dann wiedererwerben müsste. Eine gleichmäßige Versorgung wäre bei diesem Verfahren nicht gesichert.
127Ferner wurde bereits deutlich gemacht, dass die Gefahren, die von einem Anbau zum Zweck der Eigentherapie in einer Privatwohnung in medizinisch begründeten Ausnahmefällen ausgehen, mit den Gefahren, die bei einem großflächigen gewerblichen Anbau im Außenbereich entstehen, schon im Hinblick auf den Umfang der im Einzelfall anfallenden Betäubungsmittelmenge nicht vergleichbar sind. Darüberhinaus sind Anbauflächen in Privatwohnungen nicht ohne weiteres sichtbar und nur wenigen Personen zugänglich. Eine unerlaubte Abzweigung oder Entnahme von Teilmengen, die durch die staatliche Kontrollstelle verhindert werden soll, ist daher im Fall des geringfügigen Eigenanbaus zu Therapiezwecken nicht im nennenswerten Umfang zu befürchten. Demnach spricht alles dafür, dass das ÜK 1961 der medizinischen Versorgung von Patienten im Wege des Anbaus nicht entgegensteht.
128Da somit die besonderen Voraussetzungen für die Versorgung von schwer kranken Patienten im vorliegenden Verfahren gegeben sind und Versagungsgründe nicht entgegenstehen, steht die Entscheidung über die Erlaubniserteilung grundsätzlich nach § 3 Abs. 2 BtMG im Ermessen der Bundesopiumstelle. Gleichwohl erweist sich die Ablehnung der Erlaubnis als rechtswidrig, weil die Behörde ermessensfehlerhaft gehandelt hat, § 114 VwGO. Sie hat nicht nur wesentliche Elemente außer Acht gelassen, die bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden müssen. Sie hat darüberhinaus nicht erkannt, dass in der vorliegenden Fallkonstellation eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, weil sich hier allein die positive Entscheidung über die Erlaubniserteilung als rechtmäßig erweist.
129Die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung weist einen offensichtlichen und schwerwiegenden Mangel auf. Die Beklagte hat nämlich im Endeffekt die persönlichen Interessen des Klägers am Zugang zu einem Betäubungsmittel, das ihm allein zu einer Linderung seiner Schmerzen verhilft, gar nicht in die Betrachtung eingestellt. Sie ist unzutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen des Klägers dadurch gewahrt werden, dass ihm eine Erwerbserlaubnis für Medizinalhanf aus Holland erteilt worden ist. Sie hat hierbei jedoch nicht zur Kenntnis genommen, dass diese Therapiealternative dem Kläger tatsächlich nicht zur Verfügung steht, weil er sich die hohen Kosten von seinem geringen Einkommen nicht leisten kann und seine Krankenkasse die Erstattung ablehnt,
130vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
131Der Kläger hat durch Vorlage einer ärztlichen Verordnung (Bl. 86 d.A.) glaubhaft gemacht, dass derzeit ein 4-Wochen-Bedarf in Höhe von 56 g Cannabisblüten besteht. Die im Eilverfahren insoweit geltend gemachten Bedenken werden nicht mehr aufrechterhalten. Dafür entstehen ausweislich der vorgelegten Rechnungen der Apotheke Kosten in Höhe von 812,00 Euro (56 g x 14,5 Euro/g = 812,00 Euro). Es liegt auf der Hand, dass diese Kosten vom Netto-Einkommen der unterhaltspflichtigen Ehefrau in Höhe von 2.366 Euro (PKH-Heft, Bl. 5), die derzeit allein für die Familie aufkommt, nicht getragen werden können.
132Ist eine Behandlungsalternative für einen Patienten somit nicht finanzierbar, steht sie ihm tatsächlich auch nicht zur Verfügung, wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 – ausdrücklich festgestellt hat. Daraus folgt, dass den privaten Interessen des Klägers durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb gerade nicht Rechnung getragen worden und das Ermessen daher unvollständig und fehlerhaft ausgeübt worden ist.
133Bei sachgerechter Berücksichtigung der Interessen des Klägers an einer Linderung seines Schmerzzustandes hat sich darüber hinaus das Ermessen im vorliegenden Verfahren zugunsten einer Erteilung der Erlaubnis verdichtet, sodass eine Versagung nicht mehr in Betracht kommt. Denn nach Auffassung der Kammer haben die Interessen des Klägers an einer Behandlung seiner Dauerschmerzen ein ganz überragendes Gewicht, während die öffentlichen Interessen an einer Versagung der Erlaubnis eine so geringe Bedeutung haben, dass sie zwingend zurücktreten müssen.
134Die Beklagte hat durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie selbst eingeräumt, dass das Interesse des Klägers am Zugang zu diesem Betäubungsmittel - in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 - Verfassungsrang hat, weil es Ausfluss seines Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG ist. Bringt die Erkrankung derart schwere Beeinträchtigungen mit sich, dass die Entfaltung der Persönlichkeit und die Führung eines selbstbestimmten Lebens bedroht ist, wie dies im Fall starker, lang andauernder Schmerzen der Fall ist, ist auch das oberste Schutzgut der Verfassung, die Menschenwürde, betroffen. Daraus folgt, dass der Zugang zu Cannabis, der hier aus finanziellen Gründen allein in Form eines Eigenanbaus in Betracht kommt, nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt. Im vorliegenden Fall fordert auch das Sozialstaatsprinzip, dass dem Kläger nicht wegen seiner geringen finanziellen Leistungsfähigkeit, die auch Folge seines Gesundheitszustandes ist, der Zugang zu Cannabis verwehrt wird.
135Demgegenüber sind keine öffentlichen Interessen ersichtlich, die von gleichem oder überwiegendem Gewicht wären. Insbesondere kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, die Erlaubniserteilung werde vom Internationalen Suchtstoffkontrollrat als Verstoß gegen das Suchtstoffübereinkommen von 1961 angesehen und daher sei die effektive Zusammenarbeit mit dem INCB bei der Bekämpfung des illegalen Betäubungsmittelhandels und das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.
136Zwar handelt es sich bei der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels und bei der Wahrung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik ebenfalls um wichtige Rechtsgüter. Jedoch hat die Erfüllung der völkervertraglichen Verpflichtungen zum einen keinen Verfassungsrang; zum anderen ist nicht erkennbar, dass diese Rechtgüter durch die Erteilung einer Anbauerlaubnis in eng umgrenzten Ausnahmefällen zur medizinischen Versorgung schwer kranker Patienten ernsthaft bedroht wären.
137Völkerrechtliche Verträge wie das Suchtstoffübereinkommen 1961 werden durch das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG in nationales Recht konvertiert und genießen hierdurch den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Sie entfalten trotz der vom Grundgesetz intendierten Völkerrechtsfreundlichkeit eine Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes. Es ist daher ausnahmsweise zulässig, Völkervertragsrecht nicht zu beachten, sofern nur auf diesem Wege ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abgewendet werden kann,
138vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – BVerfGE 111, 307 ff. juris, Rn. 35, 36, 47, 48 zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
139Dieser Rechtslage wird durch die Regelung in § 5 Abs. 2 BtMG Rechnung getragen, wonach bei einem Verstoß gegen ein internationales Suchtstoffübereinkommen die Erlaubnis versagt werden kann, aber nicht muss. Liegt ein Verstoß gegen ein derartiges Abkommen, wie bereits ausgeführt, nach seinem Schutzzweck gar nicht vor und stehen Grundrechte mit einem hohen Rang einem engen Wortlautverständnis des Abkommens, wie es vom INCB vertreten wird, entgegen, überschreitet eine „schematische Vollstreckung“ dieses Abkommens die Grenzen des Ermessens.
140Hierbei wird vor allem außer Acht gelassen, dass sich die Bewertung von Cannabis als Betäubungsmittel und als Arzneimittel seit dem Abschluss des Suchtstoffübereinkommens von 1961 bedeutend gewandelt hat. Wie sich schon aus dem Grundsatz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 – 2 BvL 43/92 – NJW 1994, 1577, 1579, 1581 ergibt, stellen sich die Gesundheitsrisiken, die der Gesetzgeber noch 1971 bei Erlass des Betäubungsmittelgesetzes mit der Droge Cannabis verbunden hat, inzwischen als geringer dar als ursprünglich angenommen. Insbesondere hat sich das psychische Abhängigkeitspotential als gering erwiesen und die Annahmen, dass Cannabiskonsum allein ursächlich für Psychosen („Cannabispsychose“), Flashbacks (Nachhallpsychosen ohne Konsum), ein „amotivationales Syndrom“ oder den Einstieg in härtere Drogen sein kann, konnten nicht wissenschaftlich belegt werden,
141vgl. Krumdiek, a.a.O. NStZ 2008, 437, 440 ff.; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, Illegale Drogen, Cannabis, a.a.O.; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O., Ziff. 3.4.3, 3.4.4, 3.4.6, 3.4.7, 3.4.8; Drugcom, Drogenlexikon, a.a.O..
142Demgegenüber wurde seinerzeit davon ausgegangen, dass Cannabis für die medizinische Anwendung keine Bedeutung habe, sondern lediglich als Massengenussmittel Verwendung finde. Auch diese Einschätzung ist mittlerweile überholt. Vielmehr kommt ein therapeutischer Einsatz von Cannabis wegen seiner antispastischen, analgetischen, antiemetischen, neuroprotektiven, antiinflammatorischen und antidepressiven Wirkungen bei einer Reihe von Erkrankungen in Betracht, auch wenn ein eindeutiger wissenschaftlicher Beleg für den Nutzen bisher nur teilweise erbracht werden konnte,
143vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt, 2012, 495, 497; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. vom 07.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)); Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 03.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(6)).
144Zugelassen sind bereits Arzneimittel für die Indikationen Spastik (Sativex), Übelkeit und Erbrechen durch Zytostatika (Dronabinol) sowie Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust (Dronabinol).
145Die gewandelte Beurteilung von Cannabis als Heilmittel zeigt sich auch in dem erheblichen Umfang der klinischen Forschung, wie er beispielsweise in der Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin“ vom 27.04.2012/02.05.2012 zur Anhörung des Gesundheitsausschusses am 09.05.2012 (Ausschussdrucksache 17(14)0265(4) zum Ausdruck kommt. Im dortigen Anhang werden mit Stand 31. Dezember 2011 insgesamt 110 kontrollierte Studien mit Cannabis oder Cannabinoiden genannt.
146Demnach kann bezweifelt werden, ob die strengen Regelungen des Suchtstoffübereinkommens von 1961, das für Cannabis die gleichen Kriterien anwendet wie für Opiummohn oder den Kokastrauch, noch dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen.
147In der Konsequenz unterliegt das strikte Verkehrsverbot für Cannabis inzwischen auch international gewissen Auflösungserscheinungen. Dies wird darin deutlich, dass nach der Auskunft der Beklagten vom 03.07.2014 eine Reihe von Staaten den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken mittlerweile erlaubt. Dies gilt für Israel, Kanada, Niederlande, Österreich, Tschechische Republik, das Vereinigte Königreich und 21 von 50 Bundesstaaten der USA. Hierbei konnte von der Bundesopiumstelle nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob in diesen Staaten – mit Ausnahme von den Niederlanden – eine Cannabis-Agentur existiert, ob diese Aufgabe von anderen Behörden wahrgenommen wird und wie die vorgeschriebene Kontrolle des Anbaus, insbesondere der Aufkauf der Ernte organisiert ist.
148Diese Situation macht deutlich, dass auch in anderen Staaten der veränderten Beurteilung von Cannabis als Sucht- und Heilmittel Rechnung getragen und die Regelungen der über 50 Jahre alten Suchtstoffkonvention von 1961 nicht mehr in vollem Umfang eingehalten werden. Dies wird im Jahresbericht 2013 des International Narcotics Control Board – INCB - , den die Beklagte mit Schriftsatz vom 03.07.2014 vorgelegt hat, auch bestätigt (vgl. Report 2013, S. 93). Die Annahme, dass die Erteilung von Erlaubnissen zum Eigenanbau für einzelne schwer kranke, austherapierte Patienten – ohne Cannabisagentur – zu einer Beeinträchtigung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik führen könnte, kann vor diesem Hintergrund nicht nachvollzogen werden. Noch weniger ist ersichtlich, warum durch eine solche Praxis die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Bekämpfung des Drogenhandels und Drogenmissbrauchs gefährdet werden könnte. Denn die begrenzte und überwachte Gewährung des Zugangs zu Cannabis als Heilmittel ist eine Ausnahme vom Verkehrsverbot, die die generelle Bekämpfung des Cannabiskonsums zu Rausch- und Genusszwecken und den hiermit verbundenen kriminellen Drogenhandel nicht in Frage stellt.
149Aus der Auskunft der Beklagten vom 03.07.2014 lässt sich auch nicht entnehmen, dass im Fall der Genehmigung des Anbaus ohne Einrichtung einer Cannabis-Agentur mit einer „Rüge“ des Internationalen Suchtstoffkontrollamtes – INCB – zu rechnen wäre, die das Ansehen der Bundesrepublik ernsthaft schädigen könnte. Vielmehr hat der INCB ausweislich des letzten Jahresberichtes vor allem die Staaten gerügt, die den Konsum zu Genusszwecken freigegeben haben (Uruguay, Colorado, Washington) und auf den wahrscheinlichen Anstieg eines Drogenmissbrauchs hingewiesen, vgl. Report 2013, S. 93, Ziff. 700. Im Übrigen hat der Kontrollrat festgestellt, dass die staatlichen Programme zur medizinischen Anwendung von Cannabis vielfach nicht voll mit den Anforderungen der Konvention übereinstimmten und dazu aufgerufen, diese Übereinstimmung herzustellen (vgl. Report 2013, S. 49 Ziff. 374 und S. 93 Ziff. 701). Er hat allerdings auch die Weltgesundheitsorganisation – WHO- dazu aufgefordert, den medizinischen Nutzen von Cannabis sowie die Gesundheitsgefahren neu zu bewerten (vgl. Report 2013, S. 94, Ziff. 701). Damit hat auch der INCB in Betracht gezogen, dass die Regelungen des ÜK 1961 für Cannabis nicht mehr zeitgemäß sind.
150Auch die von der Beklagten angesprochene international hohe drogenpolitische Bedeutung des „Themas Cannabis“ kann nicht gegen die Erlaubniserteilung ins Feld geführt werden. Es ist zwar zutreffend, dass Cannabis in Deutschland, aber auch weltweit die am häufigsten konsumierte illegale Droge ist, die im Fall einer Abhängigkeitsentwicklung mit nicht unerheblichen psycho-sozialen Folgen verknüpft ist und daher eine breite Aufmerksamkeit in den nationalen und internationalen Drogenberichten findet,
151vgl. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung: Drogen- und Suchtbericht 2013, S. 33, 187, 193; Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht: Europäischer Drogenbericht 2014, S. 13, 18, 34 ff.
152Wie bereits ausgeführt, steht die Erteilung einer Anbauerlaubnis für schwer kranke Patienten aber der weiteren Bekämpfung des Cannabismissbrauchs für Rauschzwecke nicht entgegen. Im Übrigen kann bei der drogenpolitischen Bedeutung des Stoffes „Cannabis“ auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Gefahren der Droge gegenüber den früheren Befürchtungen weit geringer sind als angenommen und deutlich geringer als diejenigen anderer Rauschdrogen wie Alkohol, Nikotin, Heroin, Kokain oder der neuerdings verbreiteten synthetischen Drogen (z.B. Amphetamine, Metamphetamine, Ecstasy, Cathinone, etc.). Insbesondere ist, wie bereits ausgeführt, selbst der Dauerkonsum nicht mit Todesfällen oder einem zunehmenden körperlichen, geistigen und psychischen Verfall verbunden.
153Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 19.05.2005 betont hat, rechtfertigen die verbleibenden Gefahren des Cannabiskonsums für die Gesamtbevölkerung es nicht, schwer kranken Menschen den legalen Zugang zu Cannabis zu verweigern.
154Selbst wenn Teilmengen aus dem Eigenanbau für die illegale Weitergabe an Dritte abgezweigt oder entwendet werden könnten, wäre das Gesundheitsrisiko der Gesamtbevölkerung bzw. der jugendlichen Gesamtbevölkerung nur in geringem Umfang erhöht. Denn die Drogenmengen, die auf diesem Wege möglicherweise in den Verkehr gelangen, hätten im Verhältnis zu den Drogenmengen, die in Deutschland und in Europa illegal angebaut und gehandelt werden, nur eine geringfügige Bedeutung. Der Jahreskonsum von Cannabis in Europa wurde im Jahr 2012 auf 2000 Tonnen geschätzt. Im Rahmen einer Drogenaffinitätsstudie in Deutschland wurde im Jahr 2011 festgestellt, dass jeder vierte Erwachsenen schon einmal Erfahrung mit Cannabis gemacht hat. Insbesondere in der Gruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren ist der gelegentliche Cannabiskonsum sehr verbreitet, nämlich bei 13,5 %. Die große Menge an beschlagnahmten Drogen bzw. Pflanzen bestätigt eine hohe Konsumprävalenz,
155vgl. Drogen- und Suchtbericht 2013, S. 33 und 42; Europäischer Drogenbericht 2014, S. 18: 80 % aller Sicherstellungen in Europa betreffen Cannabis; in Deutschland wurden 2012 ca. 7.327 kg Haschisch und Marihuana sowie ca. 98.000 Cannabispflanzen sichergestellt.
156Angesichts dieser Mengen ist mit einer nennenswerten Ausweitung des illegalen Drogenkonsums durch privaten Eigenanbau durch einzelne Patienten nicht zu rechnen. Im Gegenteil dürfte die Erteilung von Anbauerlaubnissen den illegalen Drogenhandel schwächen, weil diese Personen nicht mehr auf die Inanspruchnahme des illegalen Marktes angewiesen sind.
157Schließlich können den berechtigten Interessen des Klägers an der Erteilung der Anbauerlaubnis im Rahmen der Ermessensabwägung weder die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs noch die Therapiesicherheit für den Erlaubnisinhaber entgegengehalten werden. Hierbei handelt es sich um Versagungsgründe, die aus den genannten Gründen nicht vorliegen bzw. durch Sicherungs-Maßnahmen der Behörde beseitigt werden können.
158Es ist zwar einzuräumen, dass im Hinblick auf die Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen in einer Privatwohnung möglicherweise Abstriche an der Sicherung der Anpflanzung hingenommen werden müssen. Auch bleibt die medizinische Versorgung mit selbstangebauten Pflanzen hinter einer qualitativ hochwertigen Versorgung mit geprüften Arzneimitteln offenkundig zurück. Jedoch haben diese verbleibenden Risiken des Eigenanbaus von Cannabis im Verhältnis zu dem vitalen Interesse des Klägers an einer Schmerzlinderung und erträglichen Lebenssituation nur ein geringes Gewicht.
159Diese Restrisiken des Eigenanbaus müssen nach Auffassung der Kammer jedenfalls für einen Übergangszeitraum hingenommen werden, da es derzeit für die betroffenen Patienten mit geringem Einkommen keine andere Möglichkeit des Zugangs zu dem für sie erforderlichen Heilmittel gibt. Der medizinische Hanf aus Holland ist nicht finanzierbar und ein Zuwarten auf die künftige Zulassung eines Fertigarzneimittels für die Schmerztherapie nicht zumutbar. Nach Auskunft des BfArM ist derzeit kein Zulassungsantrag anhängig.
160Es sind zwar deutlich bessere Lösungsansätze für die Versorgung von einzelnen Patienten mit Cannabis erkennbar, die eine Überwachung der im Verkehr befindlichen Drogenmengen und die Überwachung der Gesundheit des Patienten effektiver gewährleisten könnten, wie beispielsweise eine Erstattung der Kosten von Medizinal-Cannabisblüten durch die Krankenkassen oder die Zulassung eines gewerblichen Anbaus zu medizinischen Zwecken unter der Kontrolle einer staatlichen Stelle. Solange jedoch hierfür die gesetzlichen Grundlagen nicht geschaffen sind, muss den betroffenen Personen der Anbau von Cannabis nach § 3 Abs. 2 BtMG gestattet werden, damit ihre Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG gewahrt werden. Demnach hat die beklagte Behörde die Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen.
161Da jedoch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bisher nicht durch eine entsprechende Anordnung von Sicherheitsvorkehrungen durch die Bundesopiumstelle ausgeräumt ist, liegen derzeit noch nicht alle Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung vor. Die Sache ist somit nicht spruchreif. Daher war der Hauptantrag des Klägers, das BfArM zu einer Erteilung der Anbauerlaubnis zu verpflichten, unbegründet.
162Die Behörde konnte somit nur zu einer neuen Entscheidung über den Erlaubnisantrag verpflichtet werden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Hierbei steht der Bundesopiumstelle nur noch ein Ermessensspielraum hinsichtlich der erforderlichen Sicherheitsanordnungen und der inhaltlichen Ausgestaltung der Erlaubnis nach § 9 BtMG (z.B. hinsichtlich der Zahl der erforderlichen Pflanzen) zu.
163Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Da die Klage nur in einem geringen Umfang abgewiesen wurde, nämlich nur hinsichtlich der noch zu treffenden Nebenbestimmungen bezüglich der Sicherungsmaßnahmen und anderer Einzelheiten, ist es gerechtfertigt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang aufzuerlegen. Hierbei war auch von Bedeutung, dass die Beklagte es unterlassen hat, Vorgaben für die Sicherung eines Cannabisanbaus in einer Privatwohnung zu erarbeiten und die Einhaltung substantiiert zu prüfen. Hierdurch hat sie dazu beigetragen, dass die Spruchreife nicht hergestellt und damit die Klage zu einem Teil abgewiesen werden musste, § 155 Abs. 4 VwGO.
164Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
165Die Berufung wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, insbesondere wegen der angenommenen Ermessensreduzierung auf null im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG, zugelassen, § 124 a Abs. 1 Nr. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des BfArM vom 16.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Anbau von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Am 26.01.2010 stellte der Kläger bei dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – Bundesopiumstelle – einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten über eine Apotheke.
3Beigefügt war eine ärztliche Stellungnahme des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. med. U. N. vom 30.11.2009. Darin war ausgeführt, der Kläger leide seit über 20 Jahren an einem chronischen multiplen Schmerzsyndrom mit Übelkeit, Erbrechen, vegetativer Begleitsymptomatik, reaktiver Depression, Schlafstörungen und Facialisparese (Gesichtslähmung). Weder die bisher durchgeführten medikamentösen Therapien noch mehrere stationäre Aufenthalte in Schmerzkliniken inklusive operativer Eingriffe hätten eine wesentliche Besserung erbracht bzw. seien mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden gewesen. Beschwerdefreiheit habe nur bezüglich der Spannungskopfschmerzen erzielt werden können. Im Hinblick auf die übrigen Beschwerden habe nur die Kombination von verdampftem Cannabis mit einem Opioid in geringer Dosis (Oxycodon) eine hinreichende Schmerzreduktion bei tolerablen Nebenwirkungen erbracht. Als Dosierung wurde eine Tagesdosis von 0,3 – 0,6 g Cannabisblüten, also monatlich eine Menge von ca. 18 g empfohlen.
4Ferner wurden Schreiben der Krankenkasse des Antragstellers vom 22.06.2009 und vom 05.02.2010 eingereicht, wonach die Kosten für das Arzneimittel „Marinol“ nicht übernommen werden könnten.
5Auf Anforderung des BfArM legte der Antragsteller außerdem Arztberichte über stationäre Aufenthalte in der Schmerzklinik Bad Mergentheim vom 08.04.1999, des Facharztes für Schmerztherapie Dr. L. T. vom 20.06.2000, des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie vom 03.12.2004 und der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 07.08.1998 vor.
6Unter dem 10.03.2010 erteilte das BfArM dem Kläger eine Erlaubnis für den Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten bis zu einer 4-Wochen-Höchstmenge von Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) von 3240 mg über eine Apotheke.
7Mit Schreiben vom 09.06.2010 beantragte der Kläger eine Erlaubnis zum Anbau und zur Einfuhr von Cannabis sowie zur Einfuhr der Samen. Zur Begründung gab er an, die bisher aus der Apotheke bezogenen Cannabisblüten seien gut wirksam, aber zu teuer, so dass er sich diese auf Dauer nicht leisten könne. Ferner reichte er eine neue Dosierungsempfehlung seines Arztes vom 10.08.2010 ein, wonach der monatliche Bedarf an Cannabisblüten je nach Sorte zwischen 18 g und 54 g liege.
8Mit Verfügung vom 15.03.2011 wurde der Antragsteller aufgefordert, detaillierte Angaben zu den vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen sowie eine vergleichende Vollkostenrechnung hinsichtlich der Kosten des Anbaus und der Kosten des Erwerbs aus der Apotheke vorzulegen.
9Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 08.05.2011 reduzierte der Kläger seinen Antrag vom 09.06.2010 auf den Anbau von Cannabis und präzisierte seine Angaben zu den Sicherungsmaßnahmen für den Anbau in einem abschließbaren Raum seiner Wohnung. Ferner wurde ein Vergleich der Kosten vorgelegt. Danach sollten die Kosten für den „genehmigten Jahresbedarf von 420 g“ beim Erstanbau 886,20 Euro, für die folgenden Anbauphasen höchstens 340,20 Euro betragen. Demgegenüber verlange die jetzige Bezugsapotheke 70 € für eine 5-g-Packung, woraus sich für den Jahresbedarf von 420 g ein Betrag von 5.880,00 Euro ergebe.
10Der Kläger sei nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, diese Kosten aufzubringen. Außerdem sei die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet. Der Monopollieferant, der die Ware aus Holland importiere, habe in dem kurzen Zeitraum zwischen Dezember 2009 und Februar 2011 mehrfach wochenlange Lieferausfälle gehabt. Ferner seien teilweise Mindermengen abgepackt gewesen.
11Am 11.08.2011 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, den Antrag des Klägers vom 09.06.2010 auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zu bescheiden. Gleichzeitig hat der Kläger beantragt, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung der Hauptsache zu erlauben, in seiner Wohnung Hanf (Cannabis sativa) anzubauen, zu ernten und zur Behandlung seiner Schmerzsymptome zu verwenden (7 L 1173/11).
12Mit Bescheid vom 16.08.2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Erlaubniserteilung stünden zwingende Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG entgegen. Die erforderliche Sicherung der Pflanzen während der Anbau- und Wuchsphase gemäß den BfArM-Richtlinien sei in einer Privatwohnung im vorliegenden Fall nicht möglich, § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG.
13Der beantragte Anbau sei auch zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung nicht geeignet, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Aufgrund von Schwankungen bei Wirkstoffgehalt und Qualität des Pflanzenmaterials bei einem Eigenanbau sei eine Dosierungsempfehlung nicht möglich und Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen, auf die nicht zielgerichtet reagiert werden könne.
14Schließlich stehe die beantragte Erlaubnis in Widerspruch zu Art. 28 i.V.m. Art. 23 des Einheitsübereinkommens von 1961 über Suchtstoffe (ÜK 1961), da der Anbau auch zu medizinischen Zwecken der Anwendung des Kontrollsystems und der Einrichtung einer Cannabisagentur zum Aufkauf der Ernte bedürfe. Die Bundesrepublik verfüge aber nicht über eine staatliche Cannabis-Agentur.
15Im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung müssten die Interessen des Klägers gegenüber dem Interesse Deutschlands an der Einhaltung der internationalen Verpflichtungen und der Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs zurücktreten. Ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis für den Anbau bestehe schon deshalb nicht, weil der Kläger die grundsätzliche Möglichkeit zum Erwerb von niederländischem Medizinalhanf habe. Darüber hinaus bestünden bei der Therapie mit selbst angebautem Cannabis gesundheitliche Risiken wegen des schwankenden Wirkstoffgehalts, die gegen die Erteilung der Anbauerlaubnis sprächen.
16Mit Beschluss der Einzelrichterin vom 13.09.2011 – 7 L 1173/11 – wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung glaubhaft gemacht habe. Denn er habe derzeit eine zumutbare Alternative zur Behandlung seiner Schmerzen, weil er die erforderliche Cannabismenge aufgrund der erteilten Erlaubnis des BfArM über die Apotheke aus Holland beziehen könne. Er habe bisher nicht glaubhaft gemacht, dass seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Erwerb des Medizinalhanfs nicht ausreichend sei.
17Gegen den Beschluss legte der Kläger am 27.09.2011 Beschwerde ein. Im Beschwerdeverfahren wurde ein Arztbericht des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. med. U. N. vom 30.11.2011 vorgelegt (Bl. 76 d.A.). Danach sei der gesundheitliche Zustand des Klägers gegenüber dem Facharztbericht vom 30.11.2009 unverändert. Die zur Schmerzbekämpfung erforderliche Dosis an Cannabisblüten sei anhand des klinischen Schmerzverlaufs bestimmt worden. Jedoch könne der Kläger sich derzeit von seinen Ersparnissen nur eine nicht ausreichende Menge von 2-5 mal 5 g Cannabisblüten aus der Apotheke leisten. Daher benutze er Tabak zur Verstärkung der Wirkung.
18Durch Beschluss des OVG NRW vom 16.11.2011 – 13 B 1199/11 – wurde die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen. In der Begründung führte das Gericht u.a. aus, der Kläger habe nach summarischer Prüfung einen Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis nicht glaubhaft gemacht. Es sei keine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen, weil dem Kläger eine zumutbare und erschwingliche Behandlungsalternative in der Form des Erwerbes von Medizinalhanf aus der Apotheke zur Verfügung stehe.
19Der Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung der Erlaubnis zum Anbau von Cannabis vom 06.09.2011 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2011 zurückgewiesen. Der Kläger erklärte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 10.12.2011, dass sich die Klage nunmehr auch gegen den Widerspruchsbescheid vom 30.11.2011 richte.
20Zur Begründung seiner Klage stützt sich der Kläger im Wesentlichen auf den Vortrag aus dem Eilverfahren. Im Einzelnen trägt er vor, die Verwendung von Cannabis zu medizinischen Zwecken sei nach der gesetzlichen Änderung der Anlagen zum BtMG nicht mehr erlaubnispflichtig. Denn der Kläger benötige den Stoff ausschließlich „zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“ und damit falle auch der Anbau zur Eigentherapie unter die Ausnahmebestimmung der Anlage II zum BtMG. Selbst wenn diese Ausnahmebestimmung nicht anwendbar sei, verstoße das Umgangsverbot bei Schmerzpatienten gegen die Menschenwürde und sei eindeutig verfassungswidrig, zumal es keine validen Belege für die Gefährlichkeit des Hanfkonsums gebe.
21Der Kläger habe einen Anspruch auf die medizinische Behandlung seiner Schmerzen mit Cannabisblüten. Der Einsatz von Cannabis bei der Indikation „chronische neuropathische Schmerzen“ sei wissenschaftlich anerkannt, beispielsweise in den Niederlanden durch das Gesundheitsministerium akzeptiert. Auch in Deutschland gebe es kontrollierte klinische Studien zur Verwendung von Cannabis bei dieser Indikation. Ein vergleichbar wirksames Mittel gegen seine Dauerschmerzen gebe es nicht.
22In einem aktuellen Arztbrief vom 05.12.2013 bestätigte der behandelnde Arzt des Klägers, dass die bereits 2009 und 2012 diagnostizierten Symptome (chronisches Schmerzsyndrom, Arthritis beider Knie und anderer Gelenke, Osteopathie, Posttraumatische Belastungsstörung – PTBS - und Tinnitus) unverändert vorlägen und eine medizinische Nutzung von Cannabis indizierten. Der aktuelle Bedarf liege bei ca. 45 g Medizinalhanf. Jedoch könne der Kläger nur 15 g finanzieren und dies nicht dauerhaft. Die PTBS erfordere nach internationalen Studien eine höhere Cannabinoid-Dosierung als das Schmerzsyndrom.
23Versagungsgründe stünden der Erlaubnis nicht entgegen. Insbesondere könne die Sicherheit und Kontrolle des Anbaus gewährleistet werden. Die vom BfArM herangezogenen Richtlinien zu den Sicherheitsanforderungen beim Anbau von Cannabis seien ersichtlich für den gewerbsmäßigen Betäubungsmittelverkehr bestimmt und auf den kleinteiligen, vollständig kontrollierbaren Eigenanbau nicht anwendbar. Im Übrigen sei der Kläger bereit, alle vom BfArM vorgeschriebenen Sicherungsmaßnahmen ergreifen.
24Auch die Therapiesicherheit spreche nicht gegen die Erteilung der Erlaubnis. Die Behauptung des BfArM, dass selbst gezogene Hanfblüten undefinierte Qualitäten und Wirkstoffgehalte hätten, sei unzutreffend. Vielmehr entstünden bei dem vorgesehenen Anbau in einem klimatisierten Raum aus Stecklingen einer Mutterpflanze unter gleichen Anbaubedingungen (Substrat, Licht, Temperatur) immer gleiche Mengen mit gleichen Wirkstoffgehalten.
25Das Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe von 1961 stehe einer Erlaubniserteilung nicht entgegen. Der Anbau für die Eigentherapie falle nicht unter dieses Übereinkommen. Dies ergebe sich auch aus dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten Kurzgutachten von Prof. Dr. Lorenz Böllinger vom 28.04.2010.
26Jedenfalls müsse der Ansehensverlust der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Verletzung von Grundrechten des Klägers zurücktreten. Es verstoße gegen die Menschenwürde des Klägers, wenn ihm die Beklagte den einzigen Ausweg, nämlich den Eigenanbau des benötigten Schmerzmedikamentes vorenthalte. Demgegenüber könne der Kläger nicht auf den unsicheren und unerschwinglichen Bezug von Cannabisblüten aus der Apotheke verwiesen werden. Der derzeitige Monatsbedarf liege laut Arztbericht vom 05.12.2013 bei 45 g, sodass monatliche Kosten in Höhe von 652,50 Euro anfielen. Diesen Betrag könne der Kläger nur teilweise aufbringen. Im Übrigen sei er gezwungen, die Hanfblüten mit Tabak zu strecken bzw. seine Schmerzen mangels ausreichender Medikation zu ertragen.
27Die Einkommens- und Vermögenslage des Klägers habe sich deutlich verschlechtert. Aus der selbständigen Tätigkeit als Informatiker habe der Kläger keine nennenswerten Einkünfte erzielen können. Die Ersparnisse und Wertpapiere seien weitgehend verbraucht. Erst nach vollständiger Aufzehrung dieser Rücklagen könne der Kläger mit Aussicht auf Erfolg Leistungen der Grundsicherung beantragen. Zu diesen Angaben hat der Kläger entsprechende Unterlagen im PKH-Verfahren vorgelegt.
28Die Cannabisblüten aus der Apotheke seien auch nicht immer verfügbar. Laut Mitteilung des Lieferanten „Fagron“ vom 25.11.2013 sei seinerzeit die Sorte „Bedrocan“ nicht lieferbar gewesen.
29Mit Schreiben vom 31.01.2013 erklärte die Krankenkasse des Klägers, dass sie befristet bis zum 31.12.2014 die Kosten für eine private Verordnung des Arzneimittels „Marinol“ übernehme. Mit Schreiben vom 07.11.2013 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage eines Arztberichtes vom 29.04.2013 mit, dass die Behandlung mit Marinol mangels Erfolges habe abgebrochen werden müssen. Aus dem Arztbrief von Dr. U. N. vom 29.04.2013 geht hervor, dass mit Marinol trotz Dosissteigerung auf 7,5 mg Einzeldosis keine vergleichbare Schmerzlinderung und Konzentrationsverbesserung sowie Linderung der Schlafstörungen erreicht werden konnten. Weitere Dosissteigerungen seien wegen einer Zunahme der Nebenwirkungen nicht möglich gewesen.
30Ferner wurde ein Schreiben der Krankenkasse des Klägers vom 27.05.2013 vorgelegt, mit dem diese erklärte, dass eine Umstellung von „Marinol“ auf „Sativex“ nicht erfolgen könne, da es zurzeit keine Daten aus klinischen Studien der Phase III gebe, die die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Sativex bestätigten.
31Mit Schreiben vom 02.01.2014 bestätigte die Krankenkasse des Klägers weiterhin, dass sie die Kosten für den Erwerb von Medizinalhanf (Cannabis Flos) nicht übernehmen könne.
32Der Kläger beantragt,
33die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011 zu verpflichten, dem Kläger eine Erlaubnis für den Anbau von Cannabispflanzen zu erteilen,
34hilfsweise,
35über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabispflanzen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
36Die Beklagte beantragt,
37die Klage abzuweisen.
38Sie beruft sich auf die Begründung der während des Verfahrens ergangenen Bescheide und trägt ergänzend vor, der Therapieversuch mit Marinol im April 2013 werde inhaltlich vom BfArM nicht beanstandet. Da dem Kläger auch weiterhin keine Therapiealternativen zur Verfügung stünden, werde die bestehende Erlaubnis für den Erwerb von Medizinalhanf nicht in Frage gestellt. Der Kläger habe jedoch, wie ausgeführt, keinen Anspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau.
39Der Anbau von Cannabis sei auch nach der Änderung der Anlagen zum BtMG erlaubnispflichtig. Denn die Ausnahme vom Verkehrsverbot in der Anlage II zum BtMG betreffe nur die „Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“, nicht aber den Anbau. Im Übrigen sei mit der „Herstellung von Zubereitungen“ nach den Motiven des Gesetzgebers nur die Herstellung von Fertigarzneimitteln gemeint.
40Eine offenkundige Verfassungswidrigkeit des Verkehrsverbotes für Cannabis sei nicht gegeben. Vielmehr beruhe die Entscheidung des Gesetzgebers auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die der Kläger nicht widerlegt habe.
41Der Erlaubnis für den Anbau stünden zwingende Versagungsgründe entgegen. Insbesondere seien die erforderlichen räumlichen Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen worden, § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG. Auf Anforderung des Gerichts hat das BfArM die „Richtlinien über Maßnahmen zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten bei Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG“ mit Stand vom 01.01.2007 vorgelegt (Bl. 84 d.A.). Nach Auffassung des BfArM sind diese Richtlinien, die der Einheitlichkeit und Transparenz der Sicherungsmaßnahmen dienten, auch beim Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken zu beachten. Die Anforderungen richteten sich nach dem Gefährdungsgrad und der Bestands- oder Jahreshöchstmenge des betreffenden Betäubungsmittels. Da sich Cannabis in der Sicherungsklasse S 3 befinde, erfordere bereits der Anbau einer einzigen Cannabispflanze mit einem Gewicht über 100 g eine Sicherung nach Ziff. 1 und 2 der Richtlinie. Es sei daher für die Anbau- und Wuchsphase eine Raumsicherung nach Ziff. 2 sowie für die Lagerung ein Wertschutzschrank nach Ziff. 1 der Richtlinie erforderlich.
42Wenn diese Richtlinien keine Anwendung finden sollten, wäre jedenfalls eine weitere Prüfung der Sicherheitslage, ggfs. unter Inaugenscheinnahme der konkreten örtlichen Gegebenheiten durch das BfArM erforderlich. Wegen der Mannigfaltigkeit der hierbei zu beachtenden Kriterien könnten die Anforderungen an die Sicherung des Cannabisanbaus in einer Privatwohnung nicht pauschal definiert werden. Eine Anordnung von Nebenbestimmungen zur Gewährleistung der Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs sei nicht ausreichend.
43Der Eigenanbau von Cannabis sei auch zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers weder geeignet noch notwendig, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Wegen des schwankenden Wirkstoffgehalts beim Eigenanbau sei die Einhaltung einer vom Arzt verordneten Dosierungsempfehlung nicht möglich und damit die erforderliche Therapiesicherheit nicht gewährleistet. Der Wirkstoffgehalt von selbst angebautem Cannabis werde nicht nur durch die Klimatisierung des Raums und die Wahl der Stecklinge bestimmt, sondern durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Zwar schwanke auch der Wirkstoffgehalt des Apothekencannabis. Diese Schwankungen hielten sich aber innerhalb zulässiger und bekannter Spezifikationen, die von dem holländischen Lieferanten regelmäßig geprüft und eingehalten würden. Der Eigenanbau sei daher keine gleichwertige Alternative zum genehmigten Erwerb von Apothekencannabis.
44Ferner stehe der Erlaubniserteilung das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 entgegen, das die Errichtung einer staatlichen Cannabisagentur bei einer Genehmigung des Anbaus von Cannabis erfordere. Dies gelte auch für den Anbau im geringen Umfang zum Zweck der Eigentherapie, wie der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) auf eine Anfrage des BfArM im Schreiben vom 30.07.2010 bestätigt habe. Eine Erlaubniserteilung ohne die Existenz einer Cannabis-Agentur würde dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik Deutschland erheblichen und unvertretbaren Schaden zufügen. Hierbei sei auch die international große drogenpolitische Bedeutung des Themas „Cannabis“ zu berücksichtigen. Diese Gesichtspunkte überwögen gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Erlaubnis zum Eigenanbau. Hierbei gehe es nicht grundsätzlich um die Frage des Einsatzes von Cannabis zu medizinischen Zwecken, sondern um die spezielle Art des Betäubungsmittelverkehrs, nämlich den Anbau, bei dem eine effektive Kontrolle über den Umfang des Anbaus und der Lagerbestände nicht gegeben sei.
45Die Interessen des Klägers seien dagegen gewahrt, weil dem Kläger die Cannabis-Therapie grundsätzlich und auch tatsächlich aufgrund der Genehmigung zum Erwerb des Medizinalhanfs aus der Apotheke zur Verfügung stehe. Die beanstandeten Lieferengpässe bei dem Lieferanten Fagron könnten aufgrund der von Mitarbeitern des BfArM geführten Gespräche als behoben gelten. Schließlich stünden auch die erwähnten Aspekte der Therapiesicherheit sowie der Sicherheit der Kontrolle der Cannabispflanzen während der Blühphase der Erteilung der Erlaubnis entgegen.
46Auf Anfrage des Gerichts hat das BfArM zur internationalen Handhabung des Cannabisanbaus mitgeteilt, dass lediglich die Gesetzeslage in Uruguay und in den US-Bundesstaaten Colorado (2013) und Washington (2012) den Anbau und Gebrauch von Cannabis zu Genusszwecken erlaubten. Dies habe der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) in seinem Jahresbericht 2013 mehrfach gerügt. Hierbei obliege die Kontrolle in Uruguay einer neu einzurichtenden Cannabisagentur; in den US-Bundesstaaten erfolge der Vertrieb über lizensierte Verkaufsstellen.
47Einen behördlich erlaubten Anbau zu medizinischen Zwecken gebe es in den folgenden Ländern: Israel, Kanada, Niederlande, Österreich, Tschechische Republik, USA (21 von 50 Bundesstaaten) und Vereinigtes Königreich. Die Niederlande verfügten über eine staatlich eingerichtete Cannabis-Agentur. Ob die anderen Länder ebenfalls über eine staatliche Cannabis-Agentur verfügten, sei nicht bekannt.
48Jedoch sei anzunehmen, dass die Kontrollaufgaben nach dem ÜK 1961 dort von bereits bestehenden Behörden ausgeübt würden. In welcher Form diese Kontrolle erfolge, sei nicht bekannt und scheine auch zu divergieren. Jedenfalls sei in diesen Ländern anscheinend kein Eigenanbau durch Privatpersonen erlaubt, sondern lediglich durch staatlich kontrollierte Stellen bzw. Unternehmen. Das INCB fordere in seinem Bericht 2013 mehrfach, dass auch die Nutzung von Cannabis zu medizinischen Zwecken mit dem ÜK in Einklang stehen müsse.
49Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 sei insgesamt 299 Personen eine Erlaubnis zum Erwerb von Medizinalhanf erteilt worden. Derzeit verfügten noch 270 Patienten über eine solche Erlaubnis. Anträge auf Zulassung von Fertigarzneimitteln mit einem cannabishaltigen Wirkstoff lägen dem BfArM aktuell nicht vor. Der Stellungnahme des BfArM waren Auszüge aus dem Jahresbericht 2013 des INCB und weitere Unterlagen und Presseberichte über die Rechtslage in der Tschechischen Republik, in den Niederlanden, in Uruguay, in Österreich, in Israel und Colorado beigefügt.
50Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens, des Verfahrens 7 K 4447/11 und der Eilverfahren 7 L 1172/11 und 7 L 1173/11 Bezug genommen.
51E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
52Die Klage war ohne die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens als Untätigkeitsklage nach § 75 Satz 1 VwGO zulässig, da die Beklagte ohne zureichenden Grund nicht innerhalb angemessener Frist über den Antrag des Klägers vom 09.06.2010 entschieden hat. Der Ablehnungsbescheid erging erst am 16.08.2011 und damit mehr als 14 Monate nach der Antragstellung. Bei Erhebung der Untätigkeitsklage am 11.08.2011 waren bereits mehr als drei Monate nach Antragstellung verstrichen, § 75 Satz 2 VwGO. Auch wenn man auf den Eingang des Schreibens des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit den nachgeforderten Angaben am 10.05.2011 abstellt, mit dem der Antrag ergänzt wurde, waren bei Klageerhebung am 11.08.2011 mehr als 3 Monate vergangen. Ein zureichender Grund für die lange Bearbeitungszeit ist weder vorgetragen noch aus dem Verwaltungsvorgang ersichtlich.
53Soweit der Kläger hilfsweise die Neubescheidung seines Antrages auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zur Eigentherapie und Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide des BfArM beantragt hat, ist die Klage begründet. Der Bescheid des BfArM vom 16.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis, vorbehaltlich einer noch vom BfArM zu treffenden Ermessensentscheidung über die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen in Form einer Nebenbestimmung zur Erlaubnis. Da diese Ermessensentscheidung noch nicht vorliegt, ist der Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Erlaubnis noch nicht spruchreif, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, und war daher als unbegründet abzuweisen.
54Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide ist nach allgemeinen Grundsätzen im Fall der Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend. Aus dem anwendbaren materiellen Recht, also den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, ergeben sich keine Gründe für die Berücksichtigung eines anderen Zeitpunktes.
55Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist die Klage hinsichtlich des Hilfsantrages begründet. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis, die sich aus § 3 Abs. 2 BtMG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG unter Berücksichtigung einer verfassungskonformen Auslegung ergeben, sind erfüllt. Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 BtMG stehen der Erlaubniserteilung nicht entgegen bzw. können durch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis beseitigt werden. Die Kammer ist auch zu der Auffassung gelangt, dass das in § 3 Abs. 2 BtMG eingeräumte Ermessen der Beklagten im vorliegenden Verfahren auf Null reduziert ist, weil nur die Erteilung der Erlaubnis den grundrechtlich geschützten Interessen des Klägers gerecht werden kann und damit allein rechtmäßig ist. Lediglich hinsichtlich der Auswahl der noch anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen steht dem BfArM noch Ermessen zu.
56Nach § 3 Abs. 2 BtMG kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Der Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung fällt unter die Anlage I des BtMG und bedarf daher einer Erlaubnis des BfArM.
57Nach der Anlage I zu § 1 Nr. 1 BtMG zählt Cannabis grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln, für die eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur im Ausnahmefall erteilt werden kann. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen offensichtlich nicht vor. Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11.05.2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (Anlage III), ist hier nicht betroffen. Auch sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, nicht „zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“ bestimmt (Anlage II). Denn diese Ausnahme bezieht sich nach der Gesetzesbegründung ausschließlich auf die Herstellung von Zubereitungen mit dem Ziel der Herstellung eines Fertigarzneimittels,
58vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 – 13 A 414/11 – und Beschluss vom 16.11.2011 – 13 B 1199/11 – juris.
59Die für den Anbau von Cannabispflanzen geltende Erlaubnispflicht in Verbindung mit der hieran anknüpfenden Strafbarkeit bei Fehlen der Erlaubnis begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, sofern für die Erteilung der Erlaubnis die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - geltenden Kriterien berücksichtigt werden. Denn die Gefährlichkeit des Cannabisgenusses ist auch nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere für bestimmte Risikogruppen wie Jugendliche, nicht widerlegt, und rechtfertigt daher nach wie vor das grundsätzliche Verkehrsverbot,
60vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.11.2011 - 13 B 1199/11 - und VG Köln, Beschluss vom 13.09.2011 - 7 L 1172/11 - .
61Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 09.03.1994 – 2 BvL 43/92 – u. a., BVerfGE 90, 145, 187 die Verfassungsmäßigkeit des strafbewehrten Cannabisverbots bejaht und ausgeführt, dass nach dem seinerzeitigen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand mit dem Cannabisgenuss beträchtliche Gefahren und Risiken für die Gesundheit des einzelnen und der Bevölkerung, vor allem der jugendlichen Bevölkerung, verbunden seien. Insbesondere könne ein Dauergenuss in hoher Dosierung – eventuell im Zusammenwirken mit anderen Ursachen – zu Toleranzbildung, psychischer Abhängigkeit und weiteren psychischen Störungen führen und damit die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen beeinträchtigen. Ein „Umsteigeeffekt“ auf härtere Drogen sei in Einzelfällen nicht auszuschließen. Ein akuter Cannabisrausch beeinträchtige in erheblichem Maß die Fahrtüchtigkeit und damit die Sicherheit des Straßenverkehrs. Die generelle Ungefährlichkeit von Cannabis sei wissenschaftlich nicht gesichert.
62An dieser Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen vom 29.06.2004 - 2 BvL 8/02 - , DVBl. 2004, 1108, vom 30.06.2005 - 2 BvR 1772/02 - , PharmR 2005, 374 und vom 15.08.2006 - 2 BvR 1441/06 - , juris, festgehalten.
63Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 21.12.2000 - 3 C 20/00 - , NJW 2001, 1365, dieser Rechtsprechung angeschlossen und ausgeführt, dass auch die nach dem Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994 erzielten Forschungsergebnisse bisher nicht den Beweis einer generellen Unbedenklichkeit von Cannabis erbracht hätten. Diese Auffassung wurde im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.10.2006 - 3 B 109.06 - bestätigt.
64Im vorliegenden Verfahren wurden keine aktuellen Forschungsergebnisse benannt, die eine günstigere Einschätzung des Risikopotentials von Cannabis rechtfertigen würden. Sogar von den Befürwortern einer allgemeinen Freigabe des Cannabiskonsums oder zumindest einer Freigabe für medizinische Zwecke wird eingeräumt, dass insbesondere der hochdosierte Dauergenuss nicht unerhebliche Risiken für bestimmte Bevölkerungsgruppen, insbesondere für Jugendliche oder Personen mit einer instabilen Psyche birgt,
65vgl. Krumdiek, „Cannabis sativa L. und das Aufleben alter Vorurteile“, NStZ 2008, 437, 444; Grotenhermen/Müller -Vahl, „Das therapeutische Potenzial von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498 f..
66Ein Gelegenheitskonsum wird zwar, insbesondere bei erwachsenen Konsumenten, in der Regel als gesundheitlich unproblematisch angesehen. Jedoch können die erwünschten psychischen Wirkungen des akuten Cannabisrausches, z. B. Entspannung, Gelassenheit, Leichtigkeit, Euphorie, Intensivierung von Wahrnehmung und Gemeinschaftserleben, auch in seltenen Fällen in das Gegenteil umschlagen und zu vorübergehenden Angstzuständen, Verwirrung, Halluzinationen, Erinnerungslücken, Übelkeit und Schwindel führen.
67Bedeutsamer sind aber die dauerhaften Folgen eines Cannabiskonsums. Trotz teilweise widersprüchlicher Forschungsergebnisse ist heute anerkannt, dass ein dauerhafter und hochdosierter Cannabiskonsum mit psychischen, sozialen und körperlichen Risiken, insbesondere bei dafür anfälligen Personen, verbunden sein kann.
68Es kann sich bei ca. 4 – 7 % der Konsumenten eine psychische und eine milde körperliche Abhängigkeit entwickeln. Bei einem Entzug können daher leichte Symptome wie innere Unruhe, Reizbarkeit, Angst, Schlafstörungen, Schweißausbrüche entstehen, die den Symptomen eines Nikotinentzuges ähnlich sind und eine Beendigung des Konsums erschweren. Die Sicherstellung des Konsums kann daher im Alltagsleben eine erhebliche Bedeutung gewinnen und andere Aufgaben in den Hintergrund drängen.
69Cannabisabhängigkeit kann insbesondere bei Jugendlichen und bei Vorliegen persönlicher und sozialer Risikofaktoren in Zusammenhang mit Leistungsproblemen in Schule und Beruf sowie familiären und finanziellen Schwierigkeiten stehen, wobei die Kausalität von Cannabis nicht eindeutig geklärt ist. Es spricht einiges dafür, dass dauerhafter Cannabiskonsum, insbesondere bei Jugendlichen oder bei Personen mit entsprechender Disposition den Ausbruch einer Schizophrenie auslösen oder beschleunigen kann.
70Derartige Fälle sind allerdings selten.
71Hochdosierter regelmäßiger Cannabiskonsum schädigt die Lungenfunktion und erhöht das Krebsrisiko, jedenfalls in der verbreiteten Verbindung mit Tabakrauch. Zu den akuten Wirkungen von Cannabis gehört auch eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Der Cannabisgenuss kann daher für Herz/Kreislauf-Patienten gefährlich sein. Ferner hat Cannabiskonsum eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit zur Folge (Aufmerksamkeit, Konzentration, Lernfähigkeit, Gedächtnis), wobei noch ungeklärt ist, ob diese Folgen bei Beendigung des Genusses reversibel sind. Einige Studien weisen darauf hin, dass das nicht ausgereifte Gehirn von Jugendlichen durch die Wirkungen von Cannabis dauerhaft geschädigt werden kann. Nicht auszuschließen ist ein Einfluss auf das Hormon- und Immunsystem, was in der Pubertät zu Entwicklungsverzögerungen führen kann,
72vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, „Das therapeutische Potential von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; „Cannabis-Wirkung, Nebenwirkungen und Risiken“; http:// hanfverband.de, Abruf vom 25.06.2014; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., „Illegale Drogen“, Cannabis, http:// www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Sonnenmoser, „Cannabiskonsum: Für Jugendliche besonders riskant“, 2008, http:// www.aerzteblatt.de, Abruf vom 23.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. für Suchtforschung und Suchttherapie und der Dt. Ges. f. Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, „Cannabisbezogene Störungen“, AWMF online, http://www.uni-duesseldorf.de, eingestellt am 18.12.2006; Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Drugcom: Drogenlexikon: Cannabis, http://www.drugcom.de, Abruf vom 18.06.2014.
73Das Risikopotential von Cannabis wird bestätigt durch die Inanspruchnahme von Drogenberatungsstellen und Therapieangeboten. Cannabis war im Jahr 2012 europaweit unter den Drogenkonsumenten, die sich erstmalig einer Behandlung unterzogen, die am häufigsten gemeldete Droge. In Deutschland gaben 54,5 % der Drogenkonsumenten (11.431 Personen), die erstmalig eine Therapie antraten, Cannabis als Primärdroge an,
74vgl. Europäischer Drogenbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, 2014, S. 13, 36 und 77.
75Vor diesem Hintergrund kann von einer Ungefährlichkeit des Cannabiskonsums nach wie vor nicht ausgegangen werden. Demnach ist das allgemeine, strafrechtlich bewehrte Verkehrsverbot mit Erlaubnisvorbehalt keine unverhältnismäßige Einschränkung des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG. Die von Cannabis ausgehenden Gefahren sind aber anders zu beurteilen, wenn es um den Einsatz des Betäubungsmittels zur Bekämpfung einer Krankheit geht und damit um ein sehr viel höheres Rechtsgut als die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Beschränkung des Zugangs zu Cannabis hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung im Hinblick auf den Eingriff in die Grundrechte von Menschen mit schweren Erkrankungen aus Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 GG nur dann stand, wenn im Einzelfall schon die Möglichkeit einer Linderung der schweren Erkrankung oder die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit die Erlaubnisfähigkeit eröffnet,
76vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - juris.
77Die vom Bundesverwaltungsgericht in der o. g. Entscheidung angegebenen Kriterien für die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Erwerb und sogar für den Anbau von Cannabispflanzen liegen unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls vor. Die Erteilung der Erlaubnis liegt im öffentlichen Interesse.
78Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Beschwerden möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
79Dies ergibt sich aus der Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und für die Wahrung der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 GG. Diesen Bestimmungen kommt im Rahmen des Wertehorizontes des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist,
80vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - juris.
81Der Einsatz von Cannabis ist im vorliegenden Einzelfall zur Linderung der Leiden und Beschwerden des Klägers geeignet und erforderlich. Dies hat die Beklagte bereits dadurch anerkannt, dass sie dem Kläger eine Erlaubnis zum Erwerb von Medizinalhanf aus Holland am 10.03.2010 erteilt hat.
82Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung mit Cannabis besteht auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch fort. Der Kläger leidet seit 25 Jahren an einem chronischen multiplen Schmerzsyndrom, verbunden mit Übelkeit, Erbrechen, vegetativer Begleitsymptomatik, reaktiver Depression, Schlafstörungen und Facialisparese (Taubheit im Gesicht), vgl. die ärztlichen Atteste des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. U. N. vom 30.11.2009, Bl. 6 – 9 des Verwaltungsvorgang, und vom 30.11.2011, Bl. 76 d. A. in 7 L 1173/11, der Schmerzklinik Bad Mergentheim vom 08.04.1999, Bl. 19 des Verwaltungsvorgangs, des Facharztes für Anästhesiologie Dr. L. T. vom 20.06.2000, Bl. 20 ff. des Verwaltungsvorgangs, des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie vom 03.12.2004, Bl. 28 des Verwaltungsvorgangs, und der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität vom 07.08.1998, Bl. 29 ff. des Verwaltungsvorgangs.
83Der behandelnde Arzt des Klägers, Dr. U. N. , hat mit aktuellem Attest vom 05.12.2013, Bl. 64 d. A., den Fortbestand des Krankheitsbildes bestätigt und ausgeführt, dass nunmehr auch eine Arthritis beider Knie und anderer Gelenke sowie eine posttraumatische Belastungsstörung mit Tinnitus vorlägen. Hierzu hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend ausgeführt, die Arthritis in den Knien habe sich zwischenzeitlich gebessert, nunmehr habe er aber Schmerzen in den Händen und Fingern. Die PTBS zeige sich durch Schlafstörungen und den Tinnitus. Sie sei dadurch ausgelöst worden, dass er schon seit Jahren von Unbekannten verfolgt werde. Bei diesem Beschwerdebild spricht alles dafür, dass es sich um einen chronischen Zustand – möglicherweise mit psychischem Hintergrund - handelt, der vermutlich nicht geheilt werden kann.
84Es kommt auch nicht darauf an, ob die therapeutische Wirksamkeit bei chronischen Schmerzen durch kontrollierte Studien wissenschaftlich erwiesen ist. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine subjektiv-individuelle Betrachtung. Aus verfassungsrechtlichen Gründen muss die Erlaubniserteilung schon bei Bestehen der Möglichkeit einer subjektiv empfundenen Linderung einer schweren Erkrankung möglich sein,
85vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - , juris.
86Diese Möglichkeit besteht hier; eine therapeutische Wirkung ist bei den Krankheitsbildern des Klägers nicht ausgeschlossen. Die Wirksamkeit von Cannabis bei einzelnen Patienten, die an chronischen Schmerzen und weiteren Begleitsymptomen leiden, wird in den Fachkreisen überwiegend bejaht (vgl. Grotenhermen, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. vom 07.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)); Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 03.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(6)).
87Zur Behandlung seiner Dauerschmerzen steht dem Kläger keine gleich wirksame Behandlungsalternative mit einem zugelassenen und finanzierbaren Arzneimittel zur Verfügung. Die schulmedizinisch angezeigten Schmerzmittel (nicht-steroidale Antirheumatika – NSAR - und Opioide), Antidepressiva und Beruhigungsmittel haben nach den glaubhaften Attesten der Ärzte keine befriedigende Besserung der Schmerzen erbracht und waren mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Lediglich der Spannungskopfschmerz konnte behoben werden.
88Das sehr teure, cannabishaltige Medikament Sativex ist nur für spastische Schmerzen bei multipler Sklerose zugelassen. Es ist für den Kläger nicht erschwinglich, da seine Krankenkasse die Kostenübernahme mit Schreiben vom 27.05.2013 ausdrücklich abgelehnt hat.
89Das THC-haltige Importarzneimittel bzw. Rezepturarzneimittel Marinol ist keine gleichwertige Behandlungsalternative. Ein von der Krankenkasse finanzierter Therapieversuch ist nach den nachvollziehbaren Angaben des behandelnden Arztes, Dr. T. N. , im Attest vom 29.04.2013 fehlgeschlagen. Dronabinol hat keine ausreichende Schmerzlinderung erbracht, bzw. konnte wegen zunehmender Nebenwirkungen nicht höher dosiert werden. Darüber hinaus war wegen der oralen Aufnahme keine gezielte Behandlung von Schmerzspitzen möglich. Dies hat die Beklagte auch ausdrücklich anerkannt.
90Da dem Kläger somit zur Behandlung seiner starken Schmerzen und der Begleitsymptome keine Therapiealternative zur Verfügung steht, liegt die Erteilung einer Erlaubnis für den Zugang zu Cannabisblüten im öffentlichen Interesse.
91Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 BtMG stehen der Erlaubniserteilung nicht entgegen. Im Fall der Erlaubnis für eine Eigentherapie sind die Versagungsgründe modifiziert auszulegen. Denn diese sind nach der Konzeption des Gesetzes nicht auf die Eigentherapie mit einem nicht verkehrsfähigen Betäubungsmittel der Anlage I zugeschnitten. Vielmehr dient die Erlaubniserteilung regelmäßig gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken, wie beispielsweise die Vorschrift des § 6 BtMG über die erforderliche Sachkenntnis zeigt. Bei der Erteilung der Erlaubnis für die medizinische Selbstversorgung handelt es sich dagegen um einen aus dem Grundrechtsschutz der betroffenen Patienten entwickelten Ausnahmefall, in dem einerseits dem geringeren Gefährdungspotential eines Kleinanbaus in einer Privatwohnung und andererseits den Bedürfnissen und Möglichkeiten einer Privatperson Rechnung getragen werden muss, damit die Möglichkeit der Gewährung des Zugangs nicht völlig leerläuft oder unzumutbar erschwert wird,
92vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
93Nach diesem Maßstab kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, dass er nicht die erforderliche Sachkenntnis hat, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BtMG, der im Fall der Herstellung von Betäubungsmitteln, die Arzneimittel sind, den Nachweis der Sachkunde nach § 15 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes verlangt, ist vorliegend nicht anwendbar. Die Vorschrift geht ersichtlich davon aus, dass es sich um Arzneimittel handelt, die dazu bestimmt sind, später angewendet zu werden und von denen somit eine Gefährdung anderer Menschen ausgehen kann. Die Sachkenntnis als approbierter Apotheker dient dazu, Gefahren abzuwehren, die von einer unsachgemäßen Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln für andere Menschen ausgehen.
94Im vorliegenden Fall der Eigentherapie durch selbstangebautes Cannabis treffen die Gefahren einer unsachgemäßen Herstellung allein den Kläger selbst, der diese Gefahren jedoch wegen der erwünschten, schmerzlindernden Wirkung der Cannabisblüten in Kauf nimmt. Es obliegt daher dem Kläger selbst, sich die erforderliche Sachkenntnis zu verschaffen, um Gesundheitsgefahren aus einer fehlerhaften Qualität des selbst erzeugten Produkts abzuwehren. Die Kammer hat im Hinblick auf die Persönlichkeit des Klägers keine Zweifel daran, dass dieser in der Lage ist, sich die erforderlichen Informationen für einen Kleinanbau zu beschaffen. Diese sind in den einschlägigen Veröffentlichungen der Interessenverbände im Internet ohne Mühe erhältlich.
95Ein Versagungsgrund ergibt sich auch nicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Es liegen keine Tatsachen vor, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Klägers als verantwortliche Person für den Betäubungsmittelverkehr ergeben. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger unerlaubt Teilmengen aus dem Anbau abzweigt und hierdurch einen Betäubungsmittelmissbrauch durch Dritte ermöglichen könnte. Zum einen benötigt der Kläger die angebauten Pflanzen selbst für seine regelmäßige Behandlung. Zum anderen kann die Bundesopiumstelle den Anbau des Klägers hinsichtlich der Zahl der zugelassenen Pflanzen begrenzen, § 9 Abs. 1 Nr. 2 BtMG, und nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BtMG kontrollieren. Eine unerlaubte Weitergabe nicht benötigter Cannabismengen dürfte schon deshalb nicht zu befürchten sein, weil der Kläger sich in diesem Fall strafbar macht und damit rechnen muss, dass die erteilte Erlaubnis wegen Fehlens der Zuverlässigkeit widerrufen wird.
96Die Beklagte kann sich auch nicht auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG berufen. Dem Kläger kann nicht entgegengehalten werden, dass geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr nicht vorhanden sind.
97In der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sind die Voraussetzungen für den Cannabisanbau in einer Privatwohnung bisher nicht geklärt. Zwar hat das OVG NRW im Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - entschieden, dass die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten für den gewerblichen Anbau im großen Stil konzipiert sind und für den Eigenanbau im geringen Umfang in einer Privatwohnung wegen der unterschiedlichen Gefährdungslage keine Anwendung finden. Dem schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an.
98Aus Sinn und Zweck des Betäubungsmittelgesetzes, einen Missbrauch zu verhindern und die medizinische Versorgung sicherzustellen, ergibt sich, dass einerseits dem Gefährdungsgrad des jeweiligen Umgangs mit Betäubungsmitteln angepasste Sicherungen gegen Diebstahl und unbefugte Entnahme vorzunehmen sind, § 15 Satz 1 BtMG, und andererseits den persönlichen und grundrechtlich geschützten Bedürfnissen von Patienten, die auf den Einsatz von Cannabis angewiesen sind, Rechnung getragen werden muss. Welche konkreten Sicherheitsanforderungen sich daraus ergeben, hat das Oberverwaltungsgericht aber nicht generell definiert. Ebensowenig hat sich das BfArM bisher in der Lage gesehen, derartige Richtlinien zu formulieren oder im vorliegenden Fall eine substantiierte Prüfung der Sicherheitsvorkehrungen vorzunehmen. Aus der mit Urteil des OVG NRW vom 11.06.2014 getroffenen Einzelfallentscheidung ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die hier gebotenen Sicherheitsvorkehrungen.
99Die Kammer ist der Auffassung, dass für einen Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung in jedem Fall eine Raumsicherung vorhanden sein muss. Anders als bei der Aufbewahrung von Medizinal-Cannabisblüten genügt ein Wertschutzschrank für die Ernte nicht. Die Anpflanzung muss auch in der Wuchs- und Blühphase vor Diebstahl oder unberechtigter Entnahme durch Mitbewohner oder Besucher geschützt werden, da sowohl die ganzen Pflanzen als auch nicht getrocknete Blätter und Blüten für einen künftigen Betäubungsmittelmissbrauch benutzt werden können.
100Daraus ist abzuleiten, dass in einer Privatwohnung zunächst ein geeigneter Raum für die Anpflanzung zur Verfügung stehen muss. Der Raum muss sodann durch geeignete und zumutbare Vorkehrungen (stabile Türen, Fenster, Wände und Schlösser) zuverlässig vor dem Zutritt ungebetener oder erwünschter Besucher geschützt werden. Sicherungsvorkehrungen, die schnell und leicht überwunden werden können, reichen nicht aus.
101Diese Anforderungen schließen es aus, dass der Anbau in einem Zimmer durchgeführt wird, das zugleich zu Wohn- oder Schlafzwecken genutzt wird und daher ständig betreten wird. Vielmehr kann der Anbau nur in einem separaten Raum stattfinden, der – bis auf den Zutritt des Erlaubnisinhabers zu Pflegezwecken – ständig abgeschlossen sein muss, zum Beispiel ein Abstellraum oder eine zweite Toilette.
102Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger für den Anbau einen separaten, fensterlosen Abstellraum in einer 2-Zimmer-Mietwohnung im 1. Stock vorgesehen (Bl. 116 des Veraltungsvorgangs). Dieser Raum ist grundsätzlich für einen Anbau geeignet, da er nicht für andere Wohnzwecke genutzt werden muss und daher ständig abgeschlossen sein kann. Die Beklagte hat bisher auch nicht überzeugend dargelegt, dass die Raumgröße, 2,4 qm, für einen Anbau nicht ausreichend ist. Im Verwaltungsverfahren des Klageverfahrens 7 K 4447/11 hat der dortige Kläger die Abbildung eines im Handel befindlichen „Anbauschrankes“ mit den Abmessungen 176 x 118 x 78 cm vorgelegt, der getrennte Abteilungen für die Mutterpflanze, die Stecklinge und die Blühphase enthält (Bl. 51 Verwaltungsvorgang), der in dem vorgesehenen Zimmer ohne weiteres aufgestellt werden kann.
103Ob die Beschaffenheit der Zimmertür und der Wohnungstür, die nach den Angaben des Klägers aus Vollholz bestehen und mit einem Sicherheitsschließzylinder und –beschlag sowie Kette (Wohnungstür) bzw. mit einem einfachen Türschloss mit Stahlabdeckung (Zimmertür) versehen sind, als Diebstahlssicherung ausreichend sind, kann seitens des Gerichts nicht abschließend beurteilt werden. Hinsichtlich des einfachen Türschlosses der Zimmertür bestehen Zweifel, da dieses leicht überwunden werden kann. Vielmehr obliegt es der Behörde aufgrund ihrer Sachkenntnis, geeignete und zumutbare weitere Vorkehrungen für den Privatanbau, gegebenenfalls mit Unterstützung der Polizei, zu ermitteln und festzulegen. Hierbei kommen insbesondere weitere Vorrichtungen, die das Öffnen von verschlossenen Türen (Fenstern) verhindern, in Betracht. Der Kläger hat zugesichert, bei Bedarf weitere Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen. Demnach kann die Beklagte durch eine entsprechende Nebenbestimmung zur Erlaubnis, mit der die noch erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen angeordnet werden, den Versagungsgrund der ungenügenden räumlichen Sicherung beseitigen. Da eine entsprechende Nebenbestimmung zur Erlaubnis gegenüber der Versagung das mildere Mittel ist, ist die Behörde auf der Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu diesem Vorgehen verpflichtet,
104vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
105Schließlich kann dem BfArM auch nicht in seiner Annahme zugestimmt werden, dass der Anbau in einer Privatwohnung zur Eigentherapie mit den Schutzzwecken des Gesetzes nicht vereinbar ist, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG.
106Der Cannabisanbau in einer Privatwohnung ist zur medizinischen Selbstversorgung des Klägers erforderlich und auch geeignet. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass der Selbstanbau nicht günstiger ist als der Bezug der Blüten aus Holland. Sie hat gegen die vorgelegte Vergleichsrechnung des Klägers keine substantiierten Einwendungen erhoben. Soweit sie darauf hinweist, dass noch aufwändige Sicherungsmaßnahmen für den Anbau erforderlich seien, die den Anbau gegenüber dem Erwerb aus der Apotheke erheblich verteuerten, ist der Einwand unberechtigt. Die Behörde darf nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen anordnen, also solche, die auch von einer Privatperson mit geringem Einkommen, ggfs. unter Inanspruchnahme eines Ratenkredites, finanziert werden können. Im Übrigen sind diese Aufwendungen auch nur einmalig erforderlich.
107Schließlich hat die Beklagte auch nicht überzeugend vorgetragen, dass die Therapiesicherheit wegen schwankender Wirkstoffgehalte ernsthaft gefährdet sein könnte. Hierbei verkennt die Beklagte, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Zulassung eines Fertigarzneimittels geht, bei dem die Bundesoberbehörde – neben dem pharmazeutischen Unternehmer - die Verantwortung für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels übernimmt. Auch geht es nicht um die ärztliche Verschreibung eines Betäubungsmittels gemäß § 13 BtMG, bei der der Arzt die Verantwortung für die verordnete Dosierung übernimmt. Vorliegend ist allein zu prüfen, ob eine medizinische Versorgung des Klägers im Wege einer Selbsttherapie mit Cannabis zur Linderung der Beschwerden des Klägers geeignet und im Hinblick auf die Nebenwirkungen vertretbar ist. Hierbei ist sich der Patient bewusst, dass weder die Beklagte noch der begleitende Arzt eine Garantie für die therapeutische Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit des selbst erzeugten Arzneimittels übernehmen. Vielmehr nimmt der Patient das Risiko schwankender Wirkstoffgehalte, die für Cannabis typisch sind, und damit eventuell verbundenen Nebenwirkungen bewusst in Kauf.
108Die hierbei möglicherweise eintretende Selbstgefährdung des Klägers hält sich in einem vertretbaren Rahmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine langjährige Erfahrung mit dem Konsum von Cannabis hat und das Risiko schwankender Wirkstoffgehalte vermutlich kennt und einschätzen kann. Aus dem Vortrag im Klageverfahren ist zu entnehmen, dass er sich mit der Problematik befasst hat und durch genetisch identische Pflanzen und gleichbleibende Anbaubedingungen (Licht, Wasser, Dünger) den Wirkstoffgehalt stabil halten will. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass dieses Verfahren generell ungeeignet ist und damit zu völlig unberechenbaren Gesundheitsgefahren führen kann.
109Es ist weder von der Beklagten substantiiert vorgetragen noch aufgrund der Drogeneigenschaften ersichtlich, dass beim Kläger erhebliche und unvertretbare Nebenwirkungen als Folge einer schwankenden Menge der Inhaltsstoffe auftreten könnten. Dies ist im Verlauf des bisherigen Konsums nicht der Fall gewesen. Darüber hinaus steht der Kläger unter ärztlicher Kontrolle und kann daher beim Auftreten von Nebenwirkungen Rat und Hilfe einholen. Überdies sind die schädlichen Nebenwirkungen beim Cannabiskonsum von der Verfassung des jeweiligen Konsumenten abhängig und in der Regel bei erwachsenen Konsumenten nicht schwerwiegend.
110Tödliche Intoxikationen durch eine Überdosis Cannabis sind nicht bekannt. Notfallbehandlungen wegen des Auftretens von Panikzuständen oder Psychosen im akuten Cannabisrausch treten nur gelegentlich bei einem Missbrauch von Cannabis und insbesondere in Verbindung mit Alkohol oder anderen Drogen auf,
111vgl. Wikipedia, „Cannabis als Rauschmittel“, Wirkung , http://de.wikipedia.org, Abruf vom 24.06.2014; Europäischer Drogenbericht 2014, 36; . Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O. Ziff. 3.4.5 und 3.4.11.
112Körperliche Dauerschäden durch den Konsum sind bei Erwachsenen – abgesehen von den Gefahren des Rauches für die Atmungsorgane, die durch Nutzung anderer Konsumformen vermieden werden können (Verdampfung, Kekse) – bisher nicht bekannt,
113vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, „Illegale Drogen“, Cannabis, www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung, a.a.O., Ziff. 3.4.11.
114Die Auslösung einer Schizophrenie oder einer anderen psychischen Erkrankung ist selten und wird vor allem im Zusammenhang mit einer Prädisposition des Patienten und bei Jugendlichen diskutiert. Beim Kläger bestehen hierfür keine Anhaltspunkte,
115vgl. Drugcom, Drogenlexikon, „Macht Kiffen verrückt ?“, www.drugcom.de/häufig -gestellte-fragen, Abruf vom 18.06.2014; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, „Illegale Drogen, Cannabis, www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O. Ziff. 3.4.6.
116.
117Eine irreversible Verminderung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei einem Dauerkonsum ist umstritten, aber nach dem derzeitigen Erkenntnisstand im Rahmen von therapeutischen Dosierungen nicht zu befürchten,
118vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498.
119Demnach ist eine Selbsttherapie des Klägers mit Cannabis aus dem Eigenanbau zu seiner medizinischen Versorgung geeignet und erforderlich.
120Auch die anderen Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes sind durch die Erteilung der Anbauerlaubnis nicht gefährdet, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Ein Missbrauch durch den Kläger liegt nicht vor, da der Kläger das Betäubungsmittel nicht zu Rauschzwecken, sondern zur Linderung seiner Schmerzen einsetzt. Ein Missbrauch durch Dritte kann durch entsprechende Sicherungsmaßnahmen und Kontrollen weitgehend verhindert werden. Auch die mögliche Entstehung einer Abhängigkeit steht dem medizinischen Einsatz von Cannabis nicht entgegen.
121Das Entstehen einer Betäubungsmittelabhängigkeit wäre jedenfalls ausnahmsweise mit dem Gesetzeszweck zu vereinbaren, weil sie im Hinblick auf die Schmerzlinderung das geringere Übel und damit hinzunehmen ist,
122vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
123Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 2 BtMG berufen. Die Erteilung der Anbau-Erlaubnis kann nicht mit der Begründung versagt werden, dass nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 04.02.1977 (BGBl. II, S. 111) – ÜK 1961 – die Einrichtung einer Cannabis-Agentur zum Aufkauf und zur Verteilung der Ernte erforderlich sei, die aber in Deutschland nicht existiere und auch nicht geplant sei. Vielmehr steht das ÜK 1961 der Erteilung einer Anbauerlaubnis für einzelne Privatpersonen zur therapeutischen Selbstversorgung nicht entgegen. Zum einen bringt das Übereinkommen in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll,
124vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - , mit weiteren Nachweisen.
125Zum anderen finden die Vorschriften, die für den Anbau von Cannabis die Einrichtung einer staatlichen Stelle vorschreiben, Art. 28 Abs. 1, Art. 23 ÜK 1961, - entgegen der im Schreiben vom 30.07.2010 geäußerten Rechtsauffassung des INCB - auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Denn diese Vorschriften gehen von einem großflächigen Anbau im Außenbereich aus und schreiben einen Aufkauf der gesamten Erntemenge durch die Agentur vor, um eine illegale Entnahme von Teilmengen zum Zweck des Rauschgiftmissbrauchs zu verhindern.
126Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
127Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Vorgehensweise im Fall eines geringfügigen Anbaus zum sofortigen Verbrauch keinerlei Sinn ergibt, da der Kläger seine Ernte zunächst an die staatliche Stelle aushändigen und dann wiedererwerben müsste. Eine gleichmäßige Versorgung wäre bei diesem Verfahren nicht gesichert.
128Ferner wurde bereits im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG darauf hingewiesen, dass die Gefahren, die von einem Anbau zum Zweck der Eigentherapie in einer Privatwohnung in medizinisch begründeten Ausnahmefällen ausgehen, mit den Gefahren, die bei einem großflächigen gewerblichen Anbau im Außenbereich entstehen, schon im Hinblick auf den Umfang der im Einzelfall anfallenden Betäubungsmittelmenge nicht vergleichbar sind. Darüberhinaus sind Anbauflächen in Privatwohnungen nicht ohne weiteres sichtbar und nur wenigen Personen zugänglich. Eine unerlaubte Abzweigung oder Entnahme von Teilmengen, die durch die staatliche Kontrollstelle verhindert werden soll, ist daher im Fall des geringfügigen Eigenanbaus zu Therapiezwecken nicht im nennenswerten Umfang zu befürchten. Demnach spricht alles dafür, dass das ÜK 1961 der medizinischen Versorgung von Patienten im Wege des Anbaus nicht entgegensteht.
129Da somit die besonderen Voraussetzungen für die Versorgung von schwer kranken Patienten im vorliegenden Verfahren gegeben sind und Versagungsgründe nicht entgegenstehen, steht die Entscheidung über die Erlaubniserteilung grundsätzlich nach § 3 Abs. 2 BtMG im Ermessen der Bundesopiumstelle. Gleichwohl erweist sich die Ablehnung der Erlaubnis als rechtswidrig, weil die Behörde ermessensfehlerhaft gehandelt hat, § 114 VwGO. Sie hat nicht nur wesentliche Elemente außer Acht gelassen, die bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden müssen. Sie hat darüberhinaus nicht erkannt, dass in der vorliegenden Fallkonstellation eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, weil sich hier allein die positive Entscheidung über die Erlaubniserteilung als rechtmäßig erweist.
130Die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung weist einen offensichtlichen und schwerwiegenden Mangel auf. Die Beklagte hat nämlich im Endeffekt die persönlichen Interessen des Klägers am Zugang zu einem Betäubungsmittel, das ihm allein zu einer Linderung seiner Schmerzen verhilft, gar nicht in die Betrachtung eingestellt. Sie ist unzutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen des Klägers dadurch gewahrt werden, dass ihm eine Erwerbserlaubnis für Medizinalhanf aus Holland erteilt worden ist. Sie hat hierbei jedoch nicht zur Kenntnis genommen, dass diese Therapiealternative dem Kläger tatsächlich nicht zur Verfügung steht, weil er sich die hohen Kosten von seinem geringen Einkommen nicht leisten kann und seine Krankenkasse die Erstattung ablehnt,
131vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
132Der Kläger hat durch Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme (Bl. 64 d.A.) glaubhaft gemacht, dass derzeit ein 4-Wochen-Bedarf in Höhe von bis zu 45 g Cannabisblüten besteht. Dafür entstehen ausweislich der vorgelegten Rechnungen der Apotheke Kosten in Höhe von 652,50 Euro (45 g x 14,5 Euro/g = 812,00 Euro). Der Kläger hat nunmehr im Prozesskostenhilfeverfahren glaubhaft gemacht, dass er keine Einkünfte verfügt, von denen er diese Kosten dauerhaft tragen kann. Die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Informatiker hat ausweislich der vorgelegten Unterlagen (Steuerbescheid 2012/Gewinn-Verlust-Rechnung2013) nur zu äußerst geringfügigen Einnahmen geführt. Das vorhandene Vermögen aus Wertpapieren wurde in der Zwischenzeit zur Lebensführung weitgehend aufgebraucht. Von dem Restbestand ist eine dauerhafte Deckung der Kosten nicht möglich, zumal dieses auch weiterhin zur Deckung des Lebensunterhaltes dient. Demnach dürfte der Kläger zukünftig auf Leistungen der Grundsicherung oder einer Erwerbsminderungsrente angewiesen sein. Ein Wohngeldbescheid ist ihm nach Auskunft des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung bereits erteilt worden.
133Demnach sind die Cannabisblüten aus der Apotheke für den Kläger nicht finanzierbar. Diese Behandlungsmöglichkeit steht dem Kläger somit tatsächlich nicht zur Verfügung, wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 – ausdrücklich festgestellt hat. Daraus folgt, dass den privaten Interessen des Klägers durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb gerade nicht Rechnung getragen worden und das Ermessen daher unvollständig und fehlerhaft ausgeübt worden ist.
134Bei sachgerechter Berücksichtigung der Interessen des Klägers an einer Linderung seines Schmerzzustandes hat sich darüber hinaus das Ermessen im vorliegenden Verfahren zugunsten einer Erteilung der Erlaubnis verdichtet, sodass eine Versagung nicht mehr in Betracht kommt. Denn nach Auffassung der Kammer haben die Interessen des Klägers an einer Behandlung seiner Dauerschmerzen ein ganz überragendes Gewicht, während die öffentlichen Interessen an einer Versagung der Erlaubnis eine so geringe Bedeutung haben, dass sie zwingend zurücktreten müssen.
135Die Beklagte hat durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie selbst eingeräumt, dass das Interesse des Klägers am Zugang zu diesem Betäubungsmittel - in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 - Verfassungsrang hat, weil es Ausfluss seines Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG ist. Bringt die Erkrankung derart schwere Beeinträchtigungen mit sich, dass die Entfaltung der Persönlichkeit und die Führung eines selbstbestimmten Lebens bedroht ist, wie dies im Fall starker, lang andauernder Schmerzen der Fall ist, ist auch das oberste Schutzgut der Verfassung, die Menschenwürde, betroffen. Daraus folgt, dass der Zugang zu Cannabis, der hier aus finanziellen Gründen allein in Form eines Eigenanbaus in Betracht kommt, nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt. Im vorliegenden Fall fordert auch das Sozialstaatsprinzip, dass dem Kläger nicht wegen seiner geringen finanziellen Leistungsfähigkeit, die auch Folge seines Gesundheitszustandes ist, der Zugang zu Cannabis verwehrt wird.
136Demgegenüber sind keine öffentlichen Interessen ersichtlich, die von gleichem oder überwiegendem Gewicht wären. Insbesondere kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, die Erlaubniserteilung werde vom Internationalen Suchtstoffkontrollrat als Verstoß gegen das Suchtstoffübereinkommen von 1961 angesehen und daher sei die effektive Zusammenarbeit mit dem INCB bei der Bekämpfung des illegalen Betäubungsmittelhandels und das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.
137Zwar handelt es sich bei der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels und bei der Wahrung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik ebenfalls um wichtige Rechtsgüter. Jedoch hat die Erfüllung der völkervertraglichen Verpflichtungen zum einen keinen Verfassungsrang; zum anderen ist nicht erkennbar, dass diese Rechtgüter durch die Erteilung einer Anbauerlaubnis in eng umgrenzten Ausnahmefällen zur medizinischen Versorgung schwer kranker Patienten ernsthaft bedroht wären.
138Völkerrechtliche Verträge wie das Suchtstoffübereinkommen 1961 werden durch das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG in nationales Recht konvertiert und genießen hierdurch den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Sie entfalten trotz der vom Grundgesetz intendierten Völkerrechtsfreundlichkeit eine Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes. Es ist daher ausnahmsweise zulässig, Völkervertragsrecht nicht zu beachten, sofern nur auf diesem Wege ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abgewendet werden kann,
139vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307 ff. juris, Rn. 35, 36, 47, 48 zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
140Dieser Rechtslage wird durch die Regelung in § 5 Abs. 2 BtMG Rechnung getragen, wonach bei einem Verstoß gegen ein internationales Suchtstoffübereinkommen die Erlaubnis versagt werden kann, aber nicht muss. Liegt ein Verstoß gegen ein derartiges Abkommen, wie bereits ausgeführt, nach seinem Schutzzweck gar nicht vor und stehen Grundrechte mit einem hohen Rang einem engen Wortlautverständnis des Abkommens, wie es vom INCB vertreten wird, entgegen, überschreitet eine „schematische Vollstreckung“ dieses Abkommens die Grenzen des Ermessens.
141Hierbei wird vor allem außer Acht gelassen, dass sich die Bewertung von Cannabis als Betäubungsmittel und als Arzneimittel seit dem Abschluss des Suchtstoffübereinkommens von 1961 bedeutend gewandelt hat. Wie sich schon aus dem Grundsatz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 – 2 BvL 43/92 – NJW 1994, 1577, 1579, 1581 ergibt, stellen sich die Gesundheitsrisiken, die der Gesetzgeber noch 1971 bei Erlass des Betäubungsmittelgesetzes mit der Droge Cannabis verbunden hat, inzwischen als geringer dar als ursprünglich angenommen. Insbesondere hat sich das psychische Abhängigkeitspotential als gering erwiesen und die Annahmen, dass Cannabiskonsum allein ursächlich für Psychosen („Cannabispsychose“), Flashbacks (Nachhallpsychosen ohne Konsum), ein „amotivationales Syndrom“ oder den Einstieg in härtere Drogen sein kann, konnten nicht wissenschaftlich belegt werden,
142vgl. Krumdiek, a.a.O. NStZ 2008, 437, 440 ff.; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, Illegale Drogen, Cannabis, a.a.O.; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O., Ziff. 3.4.3, 3.4.4, 3.4.6, 3.4.7, 3.4.8; Drugcom, Drogenlexikon, a.a.O..
143Demgegenüber wurde seinerzeit davon ausgegangen, dass Cannabis für die medizinische Anwendung keine Bedeutung habe, sondern lediglich als Massengenussmittel Verwendung finde. Auch diese Einschätzung ist mittlerweile überholt. Vielmehr kommt ein therapeutischer Einsatz von Cannabis wegen seiner antispastischen, analgetischen, antiemetischen, neuroprotektiven, antiinflammatorischen und antidepressiven Wirkungen bei einer Reihe von Erkrankungen in Betracht, auch wenn ein eindeutiger wissenschaftlicher Beleg für den Nutzen bisher nur teilweise erbracht werden konnte,
144vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt, 2012, 495, 497; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. vom 07.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)); Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 03.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(6)).
145Zugelassen sind bereits Arzneimittel für die Indikationen Spastik (Sativex), Übelkeit und Erbrechen durch Zytostatika (Dronabinol) sowie Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust (Dronabinol).
146Die gewandelte Beurteilung von Cannabis als Heilmittel zeigt sich auch in dem erheblichen Umfang der klinischen Forschung, wie er beispielsweise in der Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin“ vom 27.04.2012/02.05.2012 zur Anhörung des Gesundheitsausschusses am 09.05.2012 (Ausschussdrucksache 17(14)0265(4) zum Ausdruck kommt. Im dortigen Anhang werden mit Stand 31. Dezember 2011 insgesamt 110 kontrollierte Studien mit Cannabis oder Cannabinoiden genannt.
147Demnach kann bezweifelt werden, ob die strengen Regelungen des Suchtstoffübereinkommens von 1961, das für Cannabis die gleichen Kriterien anwendet wie für Opiummohn oder den Kokastrauch, noch dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen.
148In der Konsequenz unterliegt das strikte Verkehrsverbot für Cannabis inzwischen auch international gewissen Auflösungserscheinungen. Dies wird darin deutlich, dass nach der Auskunft der Beklagten vom 03.07.2014 eine Reihe von Staaten den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken mittlerweile erlaubt. Dies gilt für Israel, Kanada, Niederlande, Österreich, Tschechische Republik, das Vereinigte Königreich und 21 von 50 Bundesstaaten der USA. Hierbei konnte von der Bundesopiumstelle nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob in diesen Staaten – mit Ausnahme von den Niederlanden – eine Cannabis-Agentur existiert, ob diese Aufgabe von anderen Behörden wahrgenommen wird und wie die vorgeschriebene Kontrolle des Anbaus, insbesondere der Aufkauf der Ernte organisiert ist.
149Diese Situation macht deutlich, dass auch in anderen Staaten der veränderten Beurteilung von Cannabis als Sucht- und Heilmittel Rechnung getragen und die Regelungen der über 50 Jahre alten Suchtstoffkonvention von 1961 nicht mehr in vollem Umfang eingehalten werden. Dies wird im Jahresbericht 2013 des International Narcotics Control Board - INCB - , den die Beklagte mit Schriftsatz vom 03.07.2014 vorgelegt hat, auch bestätigt (vgl. Report 2013, S. 93). Die Annahme, dass die Erteilung von Erlaubnissen zum Eigenanbau für einzelne schwer kranke, austherapierte Patienten – ohne Cannabisagentur - zu einer Beeinträchtigung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik führen könnte, kann vor diesem Hintergrund nicht nachvollzogen werden. Noch weniger ist ersichtlich, warum durch eine solche Praxis die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Bekämpfung des Drogenhandels und Drogenmissbrauchs gefährdet werden könnte. Denn die begrenzte und überwachte Gewährung des Zugangs zu Cannabis als Heilmittel ist eine Ausnahme vom Verkehrsverbot, die die generelle Bekämpfung des Cannabiskonsums zu Rausch- und Genusszwecken und den hiermit verbundenen kriminellen Drogenhandel nicht in Frage stellt.
150Aus der Auskunft der Beklagten vom 03.07.2014 lässt sich auch nicht entnehmen, dass im Fall der Genehmigung des Anbaus ohne Einrichtung einer Cannabis-Agentur mit einer „Rüge“ des Internationalen Suchtstoffkontrollamtes - INCB - zu rechnen wäre, die das Ansehen der Bundesrepublik ernsthaft schädigen könnte. Vielmehr hat der INCB ausweislich des letzten Jahresberichtes vor allem die Staaten gerügt, die den Konsum zu Genusszwecken freigegeben haben (Uruguay, Colorado, Washington) und auf den wahrscheinlichen Anstieg eines Drogenmissbrauchs hingewiesen, vgl. Report 2013, S. 93, Ziff. 700. Im Übrigen hat der Kontrollrat festgestellt, dass die staatlichen Programme zur medizinischen Anwendung von Cannabis vielfach nicht voll mit den Anforderungen der Konvention übereinstimmten und dazu aufgerufen, diese Übereinstimmung herzustellen (vgl. Report 2013, S. 49 Ziff. 374 und S. 93 Ziff. 701). Er hat allerdings auch die Weltgesundheitsorganisation – WHO- dazu aufgefordert, den medizinischen Nutzen von Cannabis sowie die Gesundheitsgefahren neu zu bewerten (vgl. Report 2013, S. 94, Ziff. 701). Damit hat auch der INCB in Betracht gezogen, dass die Regelungen des ÜK 1961 für Cannabis nicht mehr zeitgemäß sind.
151Auch die von der Beklagten angesprochene international hohe drogenpolitische Bedeutung des „Themas Cannabis“ kann nicht gegen die Erlaubniserteilung ins Feld geführt werden. Es ist zwar zutreffend, dass Cannabis in Deutschland, aber auch weltweit die am häufigsten konsumierte illegale Droge ist, die im Fall einer Abhängigkeitsentwicklung mit nicht unerheblichen psycho-sozialen Folgen verknüpft ist und daher eine breite Aufmerksamkeit in den nationalen und internationalen Drogenberichten findet,
152vgl. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung: Drogen- und Suchtbericht 2013, S. 33, 187, 193; Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht: Europäischer Drogenbericht 2014, S. 13, 18, 34 ff.
153Wie bereits ausgeführt, steht die Erteilung einer Anbauerlaubnis für schwer kranke Patienten aber der weiteren Bekämpfung des Cannabismissbrauchs für Rauschzwecke nicht entgegen. Im Übrigen kann bei der drogenpolitischen Bedeutung des Stoffes „Cannabis“ auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Gefahren der Droge gegenüber den früheren Befürchtungen weit geringer sind als angenommen und deutlich geringer als diejenigen anderer Rauschdrogen wie Alkohol, Nikotin, Heroin, Kokain oder der neuerdings verbreiteten synthetischen Drogen (z.B. Amphetamine, Metamphetamine, Ecstasy, Cathinone, etc.). Insbesondere ist, wie bereits ausgeführt, selbst der Dauerkonsum nicht mit Todesfällen oder einem zunehmenden körperlichen, geistigen und psychischen Verfall verbunden.
154Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 19.05.2005 betont hat, rechtfertigen die verbleibenden Gefahren des Cannabiskonsums für die Gesamtbevölkerung es nicht, schwer kranken Menschen den legalen Zugang zu Cannabis zu verweigern.
155Selbst wenn Teilmengen aus dem Eigenanbau für die illegale Weitergabe an Dritte abgezweigt oder entwendet werden könnten, wäre das Gesundheitsrisiko der Gesamtbevölkerung bzw. der jugendlichen Gesamtbevölkerung nur in geringem Umfang erhöht. Denn die Drogenmengen, die auf diesem Wege möglicherweise in den Verkehr gelangen, hätten im Verhältnis zu den Drogenmengen, die in Deutschland und in Europa illegal angebaut und gehandelt werden, nur eine geringfügige Bedeutung. Der Jahreskonsum von Cannabis in Europa wurde im Jahr 2012 auf 2000 Tonnen geschätzt. Im Rahmen einer Drogenaffinitätsstudie in Deutschland wurde im Jahr 2011 festgestellt, dass jeder vierte Erwachsenen schon einmal Erfahrung mit Cannabis gemacht hat. Insbesondere in der Gruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren ist der gelegentliche Cannabiskonsum sehr verbreitet, nämlich bei 13,5 %. Die große Menge an beschlagnahmten Drogen bzw. Pflanzen bestätigt eine hohe Konsumprävalenz,
156vgl. Drogen- und Suchtbericht 2013, S. 33 und 42; Europäischer Drogenbericht 2014, S. 18: 80 % aller Sicherstellungen in Europa betreffen Cannabis; in Deutschland wurden 2012 ca. 7.327 kg Haschisch und Marihuana sowie ca. 98.000 Cannabispflanzen sichergestellt.
157Angesichts dieser Mengen ist mit einer nennenswerten Ausweitung des illegalen Drogenkonsums durch privaten Eigenanbau durch einzelne Patienten nicht zu rechnen. Im Gegenteil dürfte die Erteilung von Anbauerlaubnissen den illegalen Drogenhandel schwächen, weil diese Personen nicht mehr auf die Inanspruchnahme des illegalen Marktes angewiesen sind.
158Schließlich können den berechtigten Interessen des Klägers an der Erteilung der Anbauerlaubnis im Rahmen der Ermessensabwägung weder die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs noch die Therapiesicherheit für den Erlaubnisinhaber entgegengehalten werden. Hierbei handelt es sich um Versagungsgründe, die aus den genannten Gründen nicht vorliegen bzw. durch Sicherungs-Maßnahmen der Behörde beseitigt werden können.
159Es ist zwar einzuräumen, dass im Hinblick auf die Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen in einer Privatwohnung möglicherweise Abstriche an der Sicherung der Anpflanzung hingenommen werden müssen. Auch bleibt die medizinische Versorgung mit selbstangebauten Pflanzen hinter einer qualitativ hochwertigen Versorgung mit geprüften Arzneimitteln offenkundig zurück. Jedoch haben diese verbleibenden Risiken des Eigenanbaus von Cannabis im Verhältnis zu dem vitalen Interesse des Klägers an einer Schmerzlinderung und erträglichen Lebenssituation nur ein geringes Gewicht.
160Diese Restrisiken des Eigenanbaus müssen nach Auffassung der Kammer jedenfalls für einen Übergangszeitraum hingenommen werden, da es derzeit für die betroffenen Patienten mit geringem Einkommen keine andere Möglichkeit des Zugangs zu dem für sie erforderlichen Heilmittel gibt. Der medizinische Hanf aus Holland ist nicht finanzierbar und ein Zuwarten auf die künftige Zulassung eines Fertigarzneimittels für die Schmerztherapie nicht zumutbar. Nach Auskunft des BfArM ist derzeit kein Zulassungsantrag anhängig.
161Es sind zwar deutlich bessere Lösungsansätze für die Versorgung von einzelnen Patienten mit Cannabis erkennbar, die eine Überwachung der im Verkehr befindlichen Drogenmengen und die Überwachung der Gesundheit des Patienten effektiver gewährleisten könnten, wie beispielsweise eine Erstattung der Kosten von Medizinal-Cannabisblüten durch die Krankenkassen oder die Zulassung eines gewerblichen Anbaus zu medizinischen Zwecken unter der Kontrolle einer staatlichen Stelle. Solange jedoch hierfür die gesetzlichen Grundlagen nicht geschaffen sind, muss den betroffenen Personen der Anbau von Cannabis nach § 3 Abs. 2 BtMG gestattet werden, damit ihre Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG gewahrt werden. Demnach hat die beklagte Behörde die Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen.
162Da jedoch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bisher nicht durch eine entsprechende Anordnung von Sicherheitsvorkehrungen durch die Bundesopiumstelle ausgeräumt ist, liegen derzeit noch nicht alle Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung vor. Die Sache ist somit nicht spruchreif. Daher war der Hauptantrag des Klägers, das BfArM zu einer Erteilung der Anbauerlaubnis zu verpflichten, unbegründet.
163Die Behörde konnte somit nur zu einer neuen Entscheidung über den Erlaubnisantrag verpflichtet werden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Hierbei steht der Bundesopiumstelle nur noch ein Ermessensspielraum hinsichtlich der erforderlichen Sicherheitsanordnungen und der inhaltlichen Ausgestaltung der Erlaubnis nach § 9 BtMG (z.B. hinsichtlich der Zahl der erforderlichen Pflanzen) zu.
164Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Da die Klage nur in einem geringen Umfang abgewiesen wurde, nämlich nur hinsichtlich der noch zu treffenden Nebenbestimmungen bezüglich der Sicherungsmaßnahmen und anderer Einzelheiten, ist es gerechtfertigt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang aufzuerlegen. Hierbei war auch von Bedeutung, dass die Beklagte es unterlassen hat, Vorgaben für die Sicherung eines Cannabisanbaus in einer Privatwohnung zu erarbeiten und die Einhaltung substantiiert zu prüfen. Hierdurch hat sie dazu beigetragen, dass die Spruchreife nicht hergestellt und damit die Klage zu einem Teil abgewiesen werden musste, § 155 Abs. 4 VwGO.
165Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
166Die Berufung wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, insbesondere wegen der angenommenen Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG, zugelassen, § 124 a Abs. 1 Nr. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.