Verwaltungsgericht Köln Beschluss, 19. Aug. 2016 - 10 L 1750/16
Gericht
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
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Gründe
2Der Antrag,
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1. dem Antragsgegner aufzugeben, die Antragstellerin bis zur Entscheidung über den Antrag gemäß § 123 VwGO ab Wiederbeginn des Unterrichts zum Schuljahr 2016/17 in der 6. Klasse des Städtischen I. -Gymnasiums zu beschulen,
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2. dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Antragstellerin bis zur Entscheidung in der Hauptsache ab Wiederbeginn des Unterrichts zum Schuljahr 2016/17 in der 6. Klasse des Städtischen I. -Gymnasiums zu beschulen,
hat keinen Erfolg.
7Der Antrag zu 1. auf Erlass einer gerichtlichen Zwischenverfügung ist wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig, weil das Gericht vor Schulbeginn über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO entscheidet. Einer Zwischenverfügung („Hängebeschluss“) bedarf es deshalb nicht.
8Der Antrag zu 2. ist zulässig, aber nicht begründet.
9Einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO, die – wie hier – durch vorläufige Befriedigung des erhobenen Anspruchs die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumindest teilweise vorwegnehmen, setzen voraus, dass die Vorwegnahme der Hauptsache zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, um anderenfalls zu erwartende schwere und unzumutbare Nachteile oder Schäden vom Antragsteller abzuwenden (Anordnungsgrund), und dass ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht (Anordnungsanspruch).
10Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Antragstellerin hinsichtlich einer Wiederholung der Klasse 6 an dem von ihr bislang besuchten Gymnasium nicht glaubhaft gemacht. Es fehlt an einem Anordnungsanspruch.
11Die Wiederholung der Klasse 6 richtet sich nach § 12 Abs. 3 der Verordnung über die Ausbildung und die Abschlussprüfungen in der Sekundarstufe I vom 02.11.2012, zuletzt geändert durch Verordnung vom 13.05.2015 (Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I - APO-S I). Danach können nicht versetzte Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums die Klasse 6 der besuchten Schulform wiederholen, wenn dadurch die Höchstdauer der Ausbildung in der Erprobungsstufe nicht überschritten wird (§ 10 Abs. 2 APO-S I) und die Versetzungskonferenz feststellt, dass auf Grund der Gesamtentwicklung danach die Versetzung erreicht werden kann.
12Die der Überweisungsentscheidung zugrundeliegende Prognoseentscheidung unterliegt nicht in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Vielmehr steht der Versetzungskonferenz dabei ein prüfungsspezifischer Bewertungsspielraum zu. Bei ihrer Prognoseentscheidung überschreitet die Versetzungskonferenz diesen Bewertungsspielraum, wenn sie einen Verfahrensfehler begeht, anzuwendendes Recht verkennt, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgeht, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt oder sonst willkürlich handelt. Insofern gelten die allgemeinen prüfungsrechtlichen Grundsätze des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums auch für die Prognoseentscheidung nach § 12 Abs. 3 Satz 1 APO-S I.
13Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.10.2014 – 19 B 971/14 -, juris, Rdn. 2 ff.; zu den prüfungsrechtlichen Grundsätzen allgemein vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. 08.2011 - 6 B 18.11 ‑, juris, Rdn. 16 (Erste juristische Staatsprüfung); OVG NRW, Beschluss
14vom 03.07.2014 - 19 B 1243/13 ‑, juris, Rdn. 22 (Lehramtsprüfung).
15Die Entscheidung der Versetzungskonferenz, die Antragstellerin nicht zur Wiederholung der Klasse 6 zuzulassen, ist nach diesen Maßstäben bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.
16Zunächst ist mit Blick auf das Vorbringen der Antragstellerin festzuhalten, dass die Versetzungskonferenz eine solche Entscheidung ausdrücklich getroffen hat. Im Protokoll der Versetzungskonferenz ist hierzu vermerkt: „nicht versetzt; Platz an der Realschule; Schulformwechsel; einstimmig.“ Die Entscheidung ist nicht formal fehlerhaft. Für eine fehlerhafte Besetzung der Versetzungskonferenz ist nichts ersichtlich. Die Verhinderung einzelner Mitglieder der Konferenz - vgl. hierzu die Stellungnahme des stellvertretenden Schulleiters vom 17.08.2016 - steht dem nicht entgegen, da die Beschlussfähigkeit (§ 63 Abs. 5 SchulG NRW) jedenfalls gegeben war. Auch der von der Antragstellerin gerügte Begründungsmangel liegt nicht vor, da jedenfalls der Vermerk des stellvertretenden Schuleiters vom 08.07.2016 eine Begründung enthält, welcher der Antragstellerin spätestens im gerichtlichen Verfahren bekannt geworden ist. Es liegt auch kein Beratungsmangel vor, wie die Antragstellerin geltend macht. Vielmehr wurden die Eltern der Antragstellerin spätestens durch die Mitteilung der Schule vom 14.04.2016 noch einmal nachdrücklich auf die schwachen Leistungen der Antragstellerin in allen Hauptfächern aufmerksam gemacht, auf die möglichen Folgen für die Schullaufbahn hingewiesen, und es wurde ausdrücklich ein Beratungsangebot unterbreitet. Nach der Stellungnahme der Englischlehrerin vom 18.07.2016 wurden zudem die schwachen Leistungen der Antragstellerin in den Fächern Mathematik, Französisch und Englisch und ein möglicher Schulformwechsel bereits beim Elternsprechtag am 06.11.2015 angesprochen sowie erneut beim Elternsprechtag am 22.04.2016.
17Soweit die Antragstellerin rügt, die Erprobungsstufenkonferenz am 14.04.2016 sei fehlerhaft besetzt gewesen, kann dies einen Verfahrensmangel bereits im Ansatz nicht begründen, weil die vorliegend begehrte positive Feststellung nach § 12 Abs. 3 APO-S I allein durch die Versetzungskonferenz nach dem Sachstand am Ende des Schuljahrs getroffen werden kann. Unabhängig davon ist eine fehlerhafte Besetzung der Erprobungsstufenkonferenz vom 14.04.2016 jedenfalls nicht mit der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit dargetan. Auch insoweit hat der stellvertretende Schulleiter in der Stellungnahme vom 17.08.2016 nachvollziehbar dargelegt, dass einzelne Mitglieder der Konferenz seinerzeit an der Teilnahme gehindert waren und die Beschlussfähigkeit gegeben war.
18Auch materiell-rechtlich ist die Überweisungsentscheidung nicht zu beanstanden. Gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 APO-S I setzt die Wiederholungsmöglichkeit der Jahrgangstufe 6 neben der Einhaltung der Höchstverweildauer eine prognostische Feststellung der Versetzungskonferenz voraus, dass aufgrund der Gesamtentwicklung nach der Wiederholung die Versetzung erreicht werden kann. Hierfür ist erforderlich die positive Einschätzung, dass eine Versetzung voraussichtlich erfolgen wird. Die Schule hat aufgrund der Leistungsfähigkeit und der Gesamtentwicklung der Antragstellerin dieser keine günstige Prognose ausgestellt. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Versetzungskonferenz bei ihrer Entscheidung die Grenze des ihr auch für diese Einschätzung zuzubilligenden Beurteilungsspielraums überschritten hat. Soweit die Antragstellerin „überspannte Anforderungen“ insbesondere der „ehrgeizigen Klassenlehrer“ rügt, setzt sie lediglich ihre eigene Bewertung der an eine Schülerin oder einen Schüler des Gymnasiums zu stellenden Leistungsanforderungen an die Stelle der Bewertung der Lehrkräfte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Versetzungskonferenz von einem falschen Sachverhalt ausgegangen wäre. Dass die Antragstellerin nicht ausreichend individuell gefördert worden ist, hat die Antragstellerin bereits nicht substantiiert dargelegt, jedenfalls aber nicht glaubhaft gemacht, d.h. nicht mit der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit dargetan. Vielmehr spricht nach den Stellungnahmen der Fachlehrer und der Stellungnahme des stellvertretenden Schulleiters vom 17.08.2016 alles dafür, dass die Antragstellerin angemessen individuell gefördert worden ist. Ebenfalls ist nicht glaubhaft gemacht, dass das angebliche „auffällige Sozialverhalten der Antragstellerin“ bei der Entscheidung der Versetzungskonferenz überhaupt eine Rolle gespielt hat. Maßgeblich waren vielmehr – neben den schwachen Leistungen in allen Kernfächern – ausweislich des Vermerks des stellvertretenden Schulleiters vom 08.07.2016 die seit Beginn der gymnasialen Schullaufbahn bestehenden „Defizite auf inhaltlicher und methodischer Ebene“ sowie ein „distanziertes Lernverhalten“. Diese Einschätzung der Versetzungskonferenz ist durch den Bewertungsspielraum gedeckt.
19Die Antragstellerin dringt auch nicht mit ihrem Vorbringen durch, die bestehende Dyskalkulie sei nicht ausreichend gewürdigt worden. Die Dyskalkulie war der Schule jedenfalls bekannt; nach den Angaben des Antragsgegners im Schriftsatz vom 17.08.2016 und der Stellungnahme des Fachlehrers für Mathematik vom 12.06.2016 wurde die Antragstellerin durch binnendifferenzierende Unterrichtsmethoden im regulären Mathematikunterricht gefördert sowie außerhalb des regulären Unterrichts in der individuellen Förderung im Nachmittagsbereich des Gymnasiums. Mit Blick darauf, dass die Antragstellerin erhebliche Leistungsschwächen nicht nur im Fach Mathematik aufweist, sondern auch die Leistungen in beiden Fremdsprachen mit „mangelhaft“ bewertet wurden, erscheint die Entscheidung der Versetzungskonferenz auch unter Berücksichtigung der Dyskalkulie nachvollziehbar und ist im Rahmen des eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabs rechtlich nicht zu beanstanden.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs.1 Gerichtskostengesetz, wobei das Gericht wegen des vorläufigen Charakters des Verfahrens die Hälfte des Auffangstreitwertes zugrundegelegt hat.
Annotations
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.