Verwaltungsgericht Koblenz Urteil, 02. Juli 2013 - 1 K 62/13.KO

ECLI:ECLI:DE:VGKOBLE:2013:0702.1K62.13.KO.0A
bei uns veröffentlicht am02.07.2013

Tenor

Unter Aufhebung des aufsichtsbehördlichen Bescheides des Beklagten vom 27. Dezember 2012 wird die Bürgermeisterwahl der Stadt A... vom 4. November 2012 für ungültig erklärt.

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Kläger werden dem Beklagten und dem Beigeladenen jeweils zur Hälfte auferlegt. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten und dem Beigeladenen wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Kläger mit einer Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, es sei denn, die Kläger leisten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die am 4. November 2012 durchgeführte Wahl des Bürgermeisters der Stadt A...

2

Der Beigeladene ist seit über 15 Jahren Bürgermeister der Stadt A... und bewarb sich um seine Wiederwahl. Nachdem unter dem 24. September 2012 der Wahltermin öffentlich bekannt gemacht worden war, kam es zu folgenden Begebenheiten:

3

Der Beigeladene erklärte am 18. Oktober 2012 ausweislich eines Artikels in der Rhein-Hunsrück-Zeitung, man habe A... sehr gut konsolidiert und für die Zukunftsaufgaben bestens gerüstet. Die freie Finanzspitze der Stadt betrage in diesem Jahr 1.023.644 €. Er sähe keine Probleme mehr, um im kommenden Jahr die von vielen Bürgern gewünschte Schwimmbadinvestition zu starten. Zuvor war der Stadt A... bereits im Haushaltsgenehmigungsschreiben für den Haushalt 2012 vom Beklagten unter dem 25. April 2012 mitgeteilt worden, der Haushalt 2012 sei erneut unter Verstoß gegen § 93 IV GemO in Verbindung mit § 18 GemHVO im Finanzhaushalt nicht ausgeglichen. Wie schon im Jahr 2011 werde im Vorbericht die Aussage getroffen, der Finanzhaushalt sei ausgeglichen. Dies sei falsch.

4

Der 1. Beigeordnete der Stadt A..., Dr. B..., der gleichzeitig Wahlleiter für die Bürgermeisterwahl war, äußerte sich am 20. Oktober 2012 in einem „Facebook-Eintrag“ in der Facebook-Gruppe „C... A...“ über die beiden Kandidaten wie folgt:

5

„Aber wen von beiden wählen? Das treibt die community, die Bürgerinnen und Bürger in A..., um: Der eine hat viel in den 15 Jahren seiner Amtszeit in und für A... gestaltet und erreicht, ein Zukunftskonzept vorgelegt, A... in die jetzige, „moderne“, Zeit geführt, natürlich dabei auch Fehler gemacht. Der andere mosert nur an den Entscheidungen des Amtsinhabers herum, ohne eigene Konzepte vorzulegen, eine ganz simple Strategie, B...“

6

Am 24. Oktober 2012 ließen sieben Ortsvorsteher der Ortsbezirke Stadt A..., D..., E..., F..., G..., H... und I... „Postwurfversendungen an alle Haushalte“ mit folgendem Inhalt verteilen:

7

„Wahlaufruf

8

Wir bitten Sie sehr herzlich: Machen Sie von Ihrem Wahlrecht am kommenden Sonntag, den 4. November 2012 Gebrauch. Gehen Sie zur Wahl des Bürgermeisters der Stadt A...

9

Wir unterstützen Bürgermeister Dr. J..., weil er in den zurückliegenden 15 Jahren nicht nur für die Gesamtstadt, sondern auch für alle zehn Ortsbezirke in der Zusammenarbeit mit uns sehr viel erreicht hat. Wir schätzen seine engagierten und sachorientierten Problemlösungen. Dr. J... setzt auf die Eigeninitiative in den einzelnen Ortsbezirken und fördert diese ausdrücklich. Er unterstützt uns in unserer Arbeit und die Zusammenarbeit ist sehr gut. Probleme, die unseren Ort unmittelbar betreffen, lösen wir in unseren Ortsbezirken eigenständig. Hierzu sind wir in der Lage.

10

Wir wollen den Fortschritt sichern. Deshalb geben wir am Sonntag Dr. J... unsere Stimme.“

11

Im Anschluss an diesen Text sind auf dem Blatt der Name des Beigeladenen, die Angabe, dass es sich bei ihm um den Wahlvorschlag der SPD handele, und ein runder Kreis mit einem Kreuz und danach die Fotos der Ortsvorsteher, ihre Namen und Amtsbezeichnungen wiedergegeben.

12

Daraufhin bemängelte eine politische Gruppierung die Postwurfsendung als unzulässige Wahlempfehlung und brachte den Sachverhalt dem Beklagten zur Kenntnis. Zudem berichtete die Rhein-Hunsrück-Zeitung bereits am 29. Oktober 2012 unter der Überschrift „Streit um Wahlaufruf für J... entbrannt“ über die Stellungnahmen der politischen Gruppierungen zur Zulässigkeit des Wahlaufrufs.

13

Am 31. Oktober 2012 teilte der Beklagte den Ortsvorstehern mit, dass es sich bei dem Wahlaufruf um eine nicht durch ihre Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung, sondern um eine amtliche Wahlbeeinflussung handele, beanstandete diese Vorgehensweise und forderte die Ortsvorsteher auf, derartige unzulässige Wahlaufrufe zu unterlassen. Am 2. November 2013 gab er hierzu eine Presseerklärung heraus. Hierüber berichtete die Rhein-Hunsrück-Zeitung am 3. November 2012. Hierin ist u.a. ausgeführt, dass die Kommunalaufsicht den Wahlaufruf der Ortsvorsteher für unzulässig halte. Ihre Prüfung habe ergeben, dass es sich bei diesem Wahlaufruf um eine nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckte Wahlbeeinflussung handele. Ortsvorsteher seien zur unparteiischen Amtsführung verpflichtet. Gegenstand eines Presseartikels war auch die Reaktion der betroffenen Ortsvorsteher, die danach erklärt haben, sie hätten mit der Postwurfsendung nur von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht. Sie ließen sich keinen Maulkorb umhängen und übten ihr Ehrenamt guten Gewissens aus.

14

Bei der Bürgermeisterwahl am 4. November 2012 wurden 7.464 Stimmen (Wahlbeteiligung von 60,5 %) abgegeben. Davon entfielen auf den Beigeladenen 4.052 (54,3 v.H.) und auf seinen Gegenkandidaten 3.412 (45,7 v.H.) Stimmen. Die öffentliche Bekanntmachung des Wahlergebnisses erfolgte am 9. November 2012 im Mitteilungsblatt „Rund um A...“.

15

Die Kläger erhoben am 20. November 2012 gegen die Wahl Einspruch und machten geltend, der Beigeladene habe dem Stadtrat das Haushaltsgenehmigungsschreiben pflichtwidrig vorenthalten und die Haushaltslage der Stadt in der Rhein-Hunsrück-Zeitung bewusst fehlerhaft dargestellt. Der 1. Beigeordnete und Wahlleiter habe durch den Facebook-Eintrag gegen seine Neutralitätspflicht verstoßen. Der Wahlaufruf der Ortsvorsteher stelle eine unzulässige Wahlbeeinflussung dar. Er verletze das verfassungsrechtliche Gebot der freien Wahl. Dies sei auch ein erheblicher Verstoß. Es könne nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Verstoß Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt habe. Dies gelte umso mehr, als der Beigeladene lediglich 319 Stimmen mehr als erforderlich erhalten habe.

16

Mit aufsichtsbehördlichem Bescheid vom 27. Dezember 2012 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger gegen die Gültigkeit der Bürgermeisterwahl u.a. aus folgenden Gründen zurück: Der Rechtsverstoß der Ortsvorsteher sei nicht geeignet, die Stimmabgabe der Wähler wesentlich zu beeinflussen. Der zu beanstandende Verstoß gegen das Wahlrecht sei bereits am Wochenende vor der Bürgermeisterwahl in einer örtlichen Zeitung publik gemacht worden; dieser Sachverhalt habe sich dann in kurzer Zeit wie ein Lauffeuer unter den Bürgern verbreitet. Der Wahlleiter und 1. Beigeordnete habe seine Facebook-Äußerungen als Privatperson abgegeben und nicht in amtlicher Funktion gehandelt. Insofern liege keine gesetzwidrige Wahlbeeinflussung vor. Der Beigeladene habe bis zum November 2012 aufgrund der konkreten Abläufe und der Absprachen mit den Aufsichtsbehörden nicht die Verpflichtung zur Unterrichtung des Stadtrates der Stadt A... über das Haushaltsgenehmigungsschreiben gehabt.

17

Am 23. Januar 2013 haben die Kläger Klage erhoben und machen unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens geltend, dass die Bürgermeisterwahl vom 4. November 2012 unter Rechtsverstößen gelitten habe, die geeignet seien, das Wahlergebnis wesentlich zu beeinflussen.

18

Die Kläger beantragen,

19

unter Aufhebung des aufsichtsbehördlichen Bescheides des Beklagten vom 27. Dezember 2012 die Bürgermeisterwahl der Stadt A... vom 4. November 2012 für ungültig zu erklären.

20

Der Beklagte und der Beigeladene beantragen jeweils,

21

die Klage abzuweisen.

22

Der Beklagte vertieft seine bisherige Ausführungen und weist darauf hin, dass der Artikel in der Rhein-Hunsrück-Zeitung den Lesern unmissverständlich klar gemacht habe, wie er den Wahlaufruf bewerte.

23

Der Beigeladene trägt vor, der Wahlaufruf der Ortsvorsteher sei von deren Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Die Postwurfsendungen an die Haushalte seien nach Inhalt und Form nicht als amtliche Äußerung zu qualifizieren und stellten mithin auch keinen Verstoß gegen den Wahlrechtsgrundsatz der freien Wahl dar. Aber selbst wenn man dies anders beurteilen würde, läge jedenfalls kein erheblicher Verstoß gegen die Wahlvorschriften vor, der Auswirkungen auf das Wahlergebnis hätte haben können. Die Wählerschaft sei nicht nur durch die Berichterstattung in der Rhein-Hunsrück-Zeitung, sondern auch durch einen Artikel im Bekanntmachungsorgan „Rund um A...“ vom 2. November 2012, das an jeden Haushalt verteilt worden sei, über den Sachverhalt unterrichtet gewesen. Auch die beiden übrigen geltend gemachten Einwendungen gegen die Wahl seien unbeachtlich und hätten keinen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Klage ist begründet. Die aufsichtsbehördliche Entscheidung vom 27. Dezember 2012 ist rechtswidrig. Denn die Wahl vom 4. November 2012 zum Bürgermeister der Stadt A... ist ungültig, da sie an einem erheblichen Verstoß gegen die Wahlvorschriften leidet, der geeignet ist, das Wahlergebnis wesentlich zu beeinflussen (vgl. § 50 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 58 Kommunalwahlgesetz – KWG –).

26

Die Wahl verletzt den verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsatz der freien Wahl (vgl. Art. 38 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz – GG –, § 53 Abs. 1 Satz 1 Gemeindeordnung – GemO –). Danach müssen die Wähler in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung ohne jede unzulässige Beeinflussung von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite zu ihrer Wahlentscheidung finden können. Das Gebot der freien Wahl untersagt es staatlichen und gemeindlichen Organen, sich in amtlicher Funktion vor Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und die Amtsträger zu unterstützen oder zu bekämpfen. Insbesondere dürfen in amtlicher Eigenschaft keine Wahlempfehlungen ausgesprochen werden. Derartige Empfehlungen sind nicht von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt. Sie verstoßen vielmehr gegen die Neutralitätsverpflichtung, die von den Gemeinden und ihren Organen zu beachten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997, 8 C 5.96 und OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. November 2000, 7 A 10595/00.OVG, juris).

27

Bei der Postwurfsendung der sieben Ortsvorsteher im Vorfeld der Bürgermeisterwahlen handelt es sich um eine unzulässige Wahlempfehlung.

28

Ortsvorsteher sind gewählte Ehrenbeamte (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 3 GemO), die den Vorsitz im Ortsbeirat innehaben (vgl. § 75 Abs. 5 GemO) und die Belange des Ortsbezirks gegenüber den Organen einer Kommune vertreten. Ihnen können im Einzelfall von den Bürgermeistern Aufgaben übertragen werden. Insoweit sind sie Organe der Kommune. Sie haben aufgrund ihrer Funktion innerhalb ihres Ortsbezirks eine hervorgehobene Position. Angesichts dessen unterliegen auch Ortsvorsteher der oben dargestellten Verpflichtung, sich bei der Ausübung ihres Amtes gerade im Vorfeld von Kommunalwahlen neutral zu verhalten.

29

Gegen diese Verpflichtung haben die sieben Ortsvorsteher verstoßen. Sie haben in der „heißen Phase“ des Wahlkampfes ein mit „Wahlaufruf“ überschriebenes Schreiben an die Haushalte der Stadt A... verteilen lassen. Hierin haben sie zunächst die Wahlberechtigten um die Teilnahme an der Wahl gebeten. Danach haben sie ihre Unterstützung für den Beigeladenen bekundet und die aus ihrer Sicht sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Ortsbezirken und dem Beigeladenen hervorgehoben. Dabei stellten sie heraus, dass der Beigeladene auf die Eigeninitiative in den einzelnen Ortsbezirken setze, diese fördere und die Ortsvorsteher in ihrer Arbeit unterstütze. Probleme, die den Ort unmittelbar beträfen, würden von den Ortsvorstehern in den Ortsbezirken eigenständig gelöst. Von daher enthält ihre Erklärung einen unmittelbaren Bezug zur Ortsvorstehertätigkeit. Ferner erklärten die Ortsvorsteher, den Beigeladenen zu wählen. Im Anschluss daran befinden sich auf der Postwurfsendung der Name des Beigeladenen, die Angabe, dass es sich bei ihm um den Wahlvorschlag der SPD handele, und ein runder Kreis mit einem Kreuz, der die Wahl des Beigeladenen symbolisieren soll.

30

Diese Wahlwerbung ist nicht als private Meinungsäußerung einzustufen. Dies folgt bereits daraus, dass die Postwurfsendung nicht nur die Fotografien mit den Namen der sieben Ortsvorsteher, sondern auch deren Amtsbezeichnung enthält. Von daher haben die Ortsvorsteher unter Nennung ihrer amtlichen Funktion und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ihr Amt die Zusammenarbeit mit dem Beigeladenen bewertet und sich für dessen Wiederwahl ausgesprochen. Dies ist angesichts der Gesamtgestaltung der Postwurfsendung bei verständiger Würdigung eine amtliche Wahlempfehlung und verletzt die Verpflichtung der Amtsträger zur neutralen Wahrnehmung ihres Amtes.

31

Die hiergegen gerichtete Einwendung des Beigeladenen, aufgrund der gewählten Form als Postwurfsendung und des gemeinsamen Auftritts der Ortsvorsteher sei für jeden Wähler zu erkennen gewesen, dass es sich um eine persönliche Meinungsäußerung gehandelt habe, greift nicht durch. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Wahlempfehlung der sieben Ortsvorsteher nicht im Bekanntmachungsorgan der Stadt A... erfolgte und eine Verwendung des Amtssiegels unterblieb. Aufgrund des Inhalts der an alle Haushalte der Stadt gerichteten Postwurfsendung musste und sollte für einen unbefangenen Leser jedoch der Eindruck erweckt werden, dass die sieben Personen in ihrer Funktion als Ortsvorsteher die Wiederwahl des Beigeladenen empfehlen. Bedenkt man, dass politische Amtsträger einer Gemeinde frei bestimmen können, wie sie ihre Öffentlichkeitsarbeit gestalten, haben die Ortsvorsteher durch die Abgabe der Wahlempfehlung unter Beifügung ihrer Amtsbezeichnung eine Möglichkeit zur politischen Einflussnahme ausgenutzt, über die sie nur kraft ihres Amtes verfügen. Mithin liegt eine unzulässige Beeinflussung der Wahl durch kommunale Organe und damit eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Wahlgrundsatzes der freien Wahl vor.

32

Diese Bewertung steht auch nicht, wie der Beigeladene meint, in Widerspruch zu dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. November 2000 (a.a.O.). Gegenstand dieser Entscheidung war eine als Anzeige überschriebene Wahlempfehlung von über 20 Personen, darunter ein Bürgermeister und ehrenamtlich tätige Ortsbürgermeister, im nicht amtlichen Teil eines Amtsblattes; allerdings wurde deren Amtsbezeichnung in der Anzeige nicht erwähnt, so dass diesem Verfahren ein mit der Wahlanfechtung der Kläger nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde gelegen hat.

33

Der Wahlrechtsverstoß der sieben Ortsvorsteher ist erheblich im Sinne des § 50 Abs. 3 Satz 1 KWG. Mit dem Begriff des „erheblichen Verstoßes gegen Wahlvorschriften“ kennzeichnet der Gesetzgeber schlagwortartig das gesamte System des materiellen Wahlprüfungsrechts. Hierdurch wird Bezug auf die im überkommenen Wahlprüfungsrecht entwickelten Gründe für die Ungültigkeit einer Wahl genommen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Dezember 1991, 7 A 10305/91.OVG, juris). Gerade die verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze definieren die materiell-rechtlichen Grundlagen einer demokratischen Wahl und gewährleisten in besonderem Maße die Volkssouveränität. Von daher vermögen nur Wahlen, die ohne Verstoß gegen das Gebot staatlicher oder gemeindlicher Neutralität und ohne Verletzung der Integrität der Willensbildung des Volkes und der Wahlbürger erfolgt sind, demokratische Legitimation zu verleihen (vgl. BVerwG a.a.O. mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG). Angesichts dessen stellen amtliche Wahlempfehlungen von Personen, die ein herausgehobenes Amt in einer Kommune innehaben, zumindest in der „heißen Phase“ des Wahlkampfes, also sechs Wochen vor der Wahl, regelmäßig Wahlrechtsverletzungen dar, die erheblich sind. Nichts anderes gilt auch für Empfehlungen eines Ortsvorstehers bei einer Bürgermeisterwahl. Der Inhaber eines solchen Amtes ist der gewählte Repräsentant eines Ortsbezirks der Kommune (vgl. Klöckner, Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, Bd. 1, Komm. zur GemO, § 76 Ziffer 2.1). Er wirkt in dieser Funktion als Bindeglied zwischen dem Ortsbezirk und dessen Einwohner sowie der Gesamtgemeinde und findet aufgrund dessen regelmäßig in besonderer Weise Gehör bei den Einwohnern seines Ortsbezirks. Bei diesen hat sein Wort Gewicht.

34

Die verfassungswidrige Wahlempfehlung der Ortsvorsteher war geeignet, das Ergebnis der Wahl zum A...er Stadtbürgermeister wesentlich zu beeinflussen. Dieses Kausalitätserfordernis dient dem Ziel, die Wahl möglichst aufrecht zu erhalten. Rechtsverstöße, die nicht eine konkrete Möglichkeit der Beeinflussung des Wahlergebnisses begründen, werden in Kauf genommen, weil die Wählerschaft im Rahmen des Vertretbaren vor unnötigen Belastungen mit Neuwahlen sowie Gemeinden und Landkreise vor dem damit verbundenen Aufwand bewahrt werden sollen. Von daher ist eine Wahl nur dann für ungültig zu erklären, wenn nach der Lebenserfahrung und den Umständen des Einzelfalls bei realistischer Betrachtungsweise eine konkrete, nicht fernliegende Möglichkeit besteht, dass der Wahlfehler Einfluss auf das Ergebnis hatte (vgl. BVerwG a.a.O.). Bei dieser Bewertung ist zu berücksichtigen, dass die Auswirkungen einer unzulässigen Beeinflussung des Wählerwillens durch einen Amtsträger letztlich nie hinreichend sicher feststellbar sind. Von daher reicht es für die Kausalität des Wahlverstoßes auf das Wahlergebnis aus, wenn durch den Verstoß die Beeinflussung des Wahlergebnisses möglich erscheint bzw. nicht ausgeschlossen werden kann.

35

Ein solcher Sachverhalt liegt hier vor. Bei der am 4. November 2012 durchgeführten Bürgermeisterwahl wurden 7.464 Stimmen abgegeben, die Wahlbeteiligung betrug über 60 %, was einen im Vergleich zu anderen Bürgermeisterwahlen hohen Anteil darstellt. Es entfielen auf den Beigeladenen 4.052 (54,3 v.H.) und auf seinen Gegenkandidaten 3.412 (45,7 v.H.) Stimmen, der Vorsprung des Beigeladenen vor seinem Gegenkandidaten betrug mithin lediglich 640 Stimmen. Dies sind weniger als 10 % der abgegebenen Stimmen. Zudem beträgt unter Zugrundelegung der amtlichen Bekanntmachung des Wahlergebnisses im Bekanntmachungsorgan „Rund um A...“ vom 9. November 2012 der Anteil der Wählerinnen und Wähler, die in den von den sieben Ortsvorstehern repräsentierten Ortsbezirken A..., D..., E..., F..., G..., H... und I... ihre Stimme abgegeben haben, an der Gesamtzahl der an der Wahl teilnehmenden Einwohner der Stadt A... über 75 %. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass gerade die Wählerinnen und Wähler in diesen Ortsteilen die Postwurfsendung mit dem Bild auch ihres Ortsvorstehers, den viele wohl auch persönlich kennen, zur Kenntnis genommen und in irgendeiner Weise Beachtung geschenkt haben. Ob und inwieweit die Wahlempfehlung die Wahlbeteiligung und Wahlentscheidung gerade dieser Wählerinnen und Wähler beeinflusst hat, lässt sich nicht ermitteln. Eine Beeinflussung des Wahlergebnisses ist angesichts der herausgehobenen Funktion der Ortsvorsteher nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, jedenfalls nicht ausgeschlossen.

36

Die Berichterstattungen zum Streit der politischen Gruppierungen über die rechtliche Zulässigkeit der Wahlwerbung und über die nicht öffentlich bekannt gemachte Beanstandung der unzulässigen Wahlbeeinflussung der Ortsvorsteher durch den Beklagen in der Rhein-Hunsrück-Zeitung führen unabhängig von der Frage, ob hierdurch überhaupt ein erheblicher Wahlverstoß gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl kompensiert werden kann, zu keiner anderen Beurteilung. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Rhein-Hunsrück-Zeitung als einzige Lokalzeitung im Stadtgebiet einen hohen Verbreitungsgrad hat. Allerdings ist nicht jeder wahlberechtigte Einwohner dieser Stadt Abonnent dieser Zeitung; außerdem ist auch nicht gewährleistet, dass jeder Abonnent die Berichterstattung über den Wahlverstoß zur Kenntnis genommen hat. Es ist letztlich nicht zu ermitteln, in welchem Umfang die Wählerschaft über das Vorliegen eines Wahlverstoßes unterrichtet gewesen ist. Von daher ist die Annahme des Beklagten, dass sich nach der Berichterstattung über die Beanstandung des Verstoßes der Sachverhalt in kurzer Zeit wie ein „Lauffeuer“ unter der Bürgerschaft verbreitet habe, nicht belegbar. Zudem wurde am 3. November 2012 in der Rhein-Hunsrück-Zeitung im Zusammenhang mit der Beanstandung auch über die Reaktion der Ortsvorsteher berichtet, die danach der Auffassung waren, dass ihre Wahlempfehlung vom Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt sei. Wurde aber somit bei der Wählerschaft der Eindruck hinterlassen, die Ortsvorsteher hielten ihre Empfehlung weiterhin rechtlich für zulässig, fehlt der Berichterstattung in der Rhein-Hunsrück-Zeitung inhaltlich die Eignung zur Kompensation des begangenen Wahlrechtsverstoßes.

37

Gleiches gilt für Darstellungen von politischen Gruppierungen im Vorfeld der Wahl, die dem Beklagten nicht zurechenbar sind. Hierin wird regelmäßig in demokratisch zulässiger Weise unmittelbar oder mittelbar Partei für einen der Wahlbewerber ergriffen. Von daher können derartige Darstellungen allein schon wegen der fehlenden Objektivität der Verfasser eine verfassungswidrige Einflussnahme von Amtsträgern auf die Wählerschaft nicht ausgleichen. Die Befugnis hierzu steht nur den hierzu berufenen staatlichen Stellen und damit der Kommunalaufsicht des Beklagten zu. Auch die von dem Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung angesprochene Veröffentlichung einer Stellungnahme vom 2. November 2012 im Bekanntmachungsorgan „Rund um A...“ zu den Befugnissen eines Ortsvorstehers hat hierfür keinen Ausgleich schaffen können. Der von dem Beigeladenen nach der mündlichen Verhandlung vorgelegte Bericht mit der Überschrift „Sind Ortsvorsteher-Wahlaufrufe Amtsmissbrauch?“ stellt lediglich einen redaktionellen Beitrag dar und verhält sich nicht zu der Beanstandung des Verhaltens der Ortsvorsteher durch den Beklagten, da das Ergebnis der Prüfung dem Verfasser des Artikels nicht bekannt gewesen war. Auch hierdurch konnte die Wählerschaft nicht in der geeigneten Weise über das Vorliegen eines Wahlrechtsverstoßes unterrichtet werden.

38

Schließlich ist zu bedenken, dass die Bekanntgabe der Beanstandung des Wahlverstoßes nicht unverzüglich nach Verteilung der Postwurfsendungen erfolgte. Der Beigeladene hat hierzu in der mündlichen Verhandlung angegeben, die Postwurfsendungen der sieben Ortsvorsteher seien überwiegend am 24. Oktober 2012 verteilt worden. Über die Beanstandung des Beklagten wurde erst am 2. bzw. 3. November 2013 berichtet. Von daher haben die Wähler, die im Zeitraum vom 24. Oktober 2012 bis zum 2. November 2013 von der Möglichkeit zur Briefwahl Gebrauch gemacht haben, ihre Entscheidung getroffen, ohne dass sie Kenntnis davon gehabt haben konnten, dass der Beklagte die Postwurfsendung der Ortsvorsteher als verfassungswidrige Wahlbeeinflussung eingestuft hat. Die Wahlentscheidung der Briefwähler stand daher in jedem Fall unter dem Einfluss einer unzulässigen Wahlempfehlung.

39

Angesichts all dieser Umstände ist es zur Überzeugung des Gerichts nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen, dass die Wahl zum Bürgermeister der Stadt A... einen anderen Ausgang genommen hätte, wäre die verfassungswidrige Beeinflussung der Wählerinnen und Wähler durch die sieben Ortsvorsteher unterblieben. Die Wahl vom 4. November 2012 war deswegen für ungültig zu erklären, ohne dass die Kammer noch dazu Stellung nehme muss, ob die übrigen von den Klägern geltend gemachten Einwendungen gegen die Gültigkeit der Wahl der Klage ebenfalls zum Erfolg verholfen hätten.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.

41

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

42

Beschluss

43

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

44

Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit derBeschwerde angefochten werden.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Koblenz Urteil, 02. Juli 2013 - 1 K 62/13.KO

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
Verwaltungsgericht Koblenz Urteil, 02. Juli 2013 - 1 K 62/13.KO zitiert 10 §§.

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(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

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Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 10. Nov. 2015 - 5 K 1472/15

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(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
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2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
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4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.

(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.