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I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine geänderte Abschiebungsandrohung.
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Der Antragsteller, ein türkischer Staatsangehöriger, wurde am 17.05.1971 als zweites von drei Kindern türkischer Arbeitnehmer in ... geboren. Er wuchs - mit Ausnahme eines Jahres, das er als Kleinkind in der Türkei verbrachte - im Bundesgebiet auf und erreichte 1987 den Hauptschulabschluss. Im Anschluss daran besuchte er die einjährige Berufsfachschule für Elektrotechnik in ..., wurde aber den schulischen Anforderungen nicht gerecht und bestand die Abschlussprüfung nicht. In der Folgezeit ging er wechselnden Beschäftigungen nach. Er blieb im Haus seiner Eltern wohnen. Sein Vater nahm sich 1989 das Leben.
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Nach Vollendung des 16. Lebensjahres erteilte die Stadt ... dem Antragsteller am 27.05.1987 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seither ist er strafrechtlich mehrfach in Erscheinung getreten. Zuletzt wurde er mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts ... vom 22.03.2002 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
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Seit dem 16.09.2001 befand sich der Antragsteller in Untersuchungshaft, seit dem 22.03.2002 in Strafhaft.
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Das Regierungspräsidium Karlsruhe - Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge - wies den Antragsteller mit Verfügung vom 29.05.2002 aus dem Bundesgebiet aus (Ziff. 1) und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise (Ziff. 2) bzw. für den Fall der Haftentlassung unter Setzung einer Ausreisefrist von einem Monat nach Haftentlassung (Ziff. 3) an. Zur Begründung hob das Regierungspräsidium im Wesentlichen auf die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AuslG, wegen besonderen Ausweisungsschutzes zur Regelausweisung herabgestuft, und eine erhebliche Wiederholungsgefahr ab.
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Mit Urteil vom 29.11.2002 - 1 K 2704/02 - hob das Verwaltungsgericht Karlsruhe die angefochtene Verfügung wegen fehlender ausreichender Wiederholungsgefahr auf.
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Nachdem der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 28.04.2003 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils zugelassen hatte, hob er es durch Urteil vom 10.09.2003 - 11 S 973/03 - auf und wies die Klage ab. Er stellte auf die Rechtsgrundlage von § 47 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 AuslG und ausreichende Wiederholungsgefahr ab und ließ offen, ob sich der Antragsteller auf Art. 6 oder 7 ARB 1/80 berufen könne, weil jedenfalls die Voraussetzungen von Art. 14 ARB 1/80 vorlägen.
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wies das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluss vom 16.07.2004 - 1 B 20.04 - zurück.
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Im Hinblick auf eine vom Antragsteller beabsichtigte Drogentherapie stellte die Staatsanwaltschaft ... mit Bescheid vom 19.07.2004 die weitere Vollstreckung der gegen den Antragsteller verhängten Strafe zurück. Daraufhin wurde der Antragsteller am 10.8.2004 aus der Strafhaft in die Therapieeinrichtung entlassen, die er mit Erfolg bis 20.05.2005 besuchte. Seither befindet er sich in der Nachsorge in .... Durch Beschluss vom 28.06.2005 setzte das Landgericht ... die Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe des Antragstellers für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung aus.
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Bereits zuvor hatte das Regierungspräsidium Karlsruhe durch Verfügung vom 15.09.2004 die Ausweisungsverfügung vom 29.05.2002 wie folgt geändert:
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"4. Sollte die Vollstreckung der Strafe für die Dauer einer Rehabilitation dienenden Behandlung zurückgestellt (§ 35 BtMG), die Zurückstellung nicht widerrufen und nach dem regulären Abschluss der Behandlung die Vollstreckung des Restes der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird, werden Sie aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach Rechtskraft des Beschlusses der Strafaussetzung zur Bewährung zu verlassen. Für den Fall, dass Sie nicht fristgerecht ausreisen, wird Ihnen die Abschiebung in die Türkei angedroht.....“.
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Über die dagegen am 08.10.2004 erhobene Klage (Az: 10 K 3339/04) ist noch nicht entschieden.
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Mit dem am 23.08.2005 eingegangenen Antrag beantragt der Antragsteller nach Zurücknahme eines auf vorläufige Unterlassung der Abschiebung gerichteten Hilfsantrages,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 15.09.2004 anzuordnen.
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Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Er habe Anträge auf Duldung wegen seiner Drogentherapie und auf Widerruf bzw. Rücknahme der Verfügung vom 15.09.2004 gestellt, die noch unentschieden seien. Seine Abschiebung sei im Hinblick auf Art. 8 EMRK unverhältnismäßig, weil er faktisch ein Inländer sei. Seine jüngste Entwicklung habe in den Entscheidungen nicht berücksichtigt werden können, was auch für die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliche Ermessensentscheidung gelte. Nach dem Aussetzungsbeschluss des Landgerichts ... und den Berichten der Rehabilitationseinrichtung und der Nachsorgeeinrichtung sei ihm gegenwärtig eine positive Prognose zu stellen, weshalb seine Abschiebung gegen Art. 14 ARB 1/80 verstoße, weil es an der Wiederholungsgefahr fehle. Deshalb liege auch kein dringender Fall im Sinne der Richtlinie 64/221/EWG vor. Folglich sei auch die Ursprungsverfügung rechtswidrig.
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Der Antragsgegner beantragt,
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Er meint, die durchgeführte Drogentherapie ändere nichts an der Wiederholungsgefahr, weshalb an der Abschiebungsandrohung festzuhalten sei. Wegen der Schwere der strafrechtlichen Verfehlungen werde auch ein dringender Fall im Sinne der Richtlinie gesehen. Daran ändere auch die Strafaussetzung zur Bewährung nichts.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Ausländerakten des Regierungspräsidiums Karlsruhe und der Stadt ... verwiesen, die Gegenstand der Beratung waren.
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II. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist lediglich die sofortige Vollziehbarkeit der mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 15.09.2004 verfügten nachgeschobenen Abschiebungsandrohung. Insoweit ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, weil die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers kraft Gesetzes entfällt (§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 12 LVwVG).
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Der zulässige Antrag hat auch sachlich Erfolg; das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der gegen ihn ergangenen Verfügung.
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Geht es um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verwaltungsakt, so kommt es nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte bei der Entscheidung auf eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug einerseits und dem privaten Interesse an der aufschiebenden Wirkung andererseits an; wesentliches Merkmal dieser Interessenabwägung ist die Frage, ob der Rechtsbehelf, um dessen aufschiebende Wirkung es geht, ausreichende Erfolgsaussicht hat. Besteht diese, so wird in der Regel das private Interesse an der aufschiebenden Wirkung überwiegen, während die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts vor allem bei den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verwaltungsakten ein für die sofortige Vollziehung sprechender Grund sein kann. Sind die Erfolgsaussichten dagegen offen, so ist eine von den Erfolgsaussichten unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen.
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Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass die Erfolgsaussichten offen sind und eine hiervon unabhängige Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers ausgeht. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
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Es spricht viel dafür, dass der Antragsteller sich auf eine Aufenthaltsposition nach dem ARB 1/80 berufen kann (unten a) und dass deshalb die in der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, ihm folgend des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg entwickelten Grundsätze zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf ihn anzuwenden sind (unten b). Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass diese Grundsätze für die hier streitgegenständliche nachgeschobene Abschiebungsandrohung gelten (unten c). Diese Fragen entziehen sich einer hinreichend verlässlichen Beantwortung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes; die hiernach von den Erfolgsaussichten unabhängige Interessenabwägung ergibt einen Vorrang der Interessen des Antragstellers (unten d).
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a) Aus den vorliegenden Verwaltungsakten ergibt sich, dass der Antragsteller als Sohn türkischer Arbeitnehmer, die 1968 (Vater) bzw. 1970 (Mutter) ins Bundesgebiet eingereist sind, im Bundesgebiet geboren ist. Deshalb spricht alles dafür, dass er sich auf eine supranationale Aufenthaltsposition aus Art. 7 ARB 1/80 berufen kann. Außerdem erscheint es möglich, dass ihm auch eine solche Positionen aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zustehen könnte. Aus den gegen den Antragsteller ergangenen Urteilen des Amtsgerichts Heidelberg vom 21.04.1994 und des Landgerichts Heidelberg vom 20.03.2002 geht hervor, dass der Antragsteller zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt ca. zweieinhalb Jahre beim selben Arbeitgeber tätig war. Da nach der Rechtsprechung des EuGH die Strafhaft derartige Positionen entgegen der in der Ausweisungsverfügung zitierten früheren nationalen Rechtsprechung ebenso wenig entfallen lässt (vgl. EuGH, Urt. v. 29.04.2004 [Orfanopoulos und Oliveri] Rn 50, InfAuslR 2004, 268, mit Hinweis auf Urt. v. 10.02.2000 Rn 40 [Nazli], InfAuslR 2000, 161) wie spätere Arbeitslosigkeit ohne Beendigung der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt, kommt die Anwendbarkeit des ARB 1/80 auf den Antragsteller durchaus in Betracht. Jedoch bedürfen diese Fragen im Einzelnen noch der Klärung im Hauptsacheverfahren, weil sich nicht alle dafür wesentlichen Tatsachen aus den vorgelegten Akten ergeben.
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b) Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH, der sich das BVerwG angeschlossen hat, folgt aus der Richtlinie Nr. 64/221 des Rats der EWG vom 25.02.1964 (im Folgenden: Richtlinie 64/221) für Unionsbürger ebenso wie für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige, dass in verfahrensmäßiger Hinsicht außer in dringenden Fällen eine Zweckmäßigkeitsprüfung der getroffenen Maßnahme durch eine unabhängige Stelle stattfinden muss (Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221), andernfalls die Maßnahme wegen unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig ist, und dass in materiell-rechtlicher Hinsicht eine Ausweisung lediglich nach Ermessen in Anknüpfung an das persönliche Verhalten des Betroffenen auf Grund einer zur Zeit der jeweiligen, auch gerichtlichen, Überprüfung aktuellen Gefahrenprognose (Art. 3 Abs. 1 und 2 Richtlinie 64/221) erfolgen darf (zum Ganzen EuGH, Urt. v. 02.06.2005 [Dörr und Ünsal], InfAuslR 2005, 289, und Urt. v. 29.04.2004 [Orfanopoulos und Oliveri], a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, Urt. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, Urt. v. 15.03.2005, NVwZ 2005, 1074, und Urt. v. 03.08.2004, BVerwGE 121, 315 = InfAuslR 2005, 26; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 03.02.2005 - 11 S 92/04 -, VENSA und juris). Ein dringender Fall setzt ein besonderes öffentliches Interesse daran voraus, das gerichtliche Hauptsacheverfahren nicht abzuwarten, um damit einer weiteren, unmittelbar drohenden und unzumutbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen (BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.).
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c) Es erscheint möglich, zumindest nicht ausgeschlossen, dass die vorstehenden Grundsätze auch auf die Klage des Antragstellers 10 K 3339/04 gegen die streitgegenständliche nachgeschobene Abschiebungsandrohung anwendbar sein könnten.
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Die Richtlinie 64/221 gilt außer für die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch für die Entscheidung „über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet“.
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Nach dem deutschen Recht besteht die „Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet“, sofern man - wie erkennbar der EuGH und ihm folgend nunmehr auch das BVerwG - darunter nicht erst die Abschiebung selbst versteht, aus vier Schritten: Zunächst ist die Aufenthaltserlaubnis zu beenden (Grundentscheidung, zum Beispiel Versagung der Verlängerung, Ausweisung, Rücknahme oder Widerruf der Aufenthaltserlaubnis). Weiter ist eine Abschiebungsandrohung erforderlich. Schließlich wird die Abschiebung angeordnet und zuletzt durchgeführt. Es erscheint, sofern vom Verständnis des EuGH ausgegangen wird, nicht fern liegend, sämtliche in diesem Zusammenhang ergehenden Entscheidungen der Ausländerbehörde als solche über die „ Entfernung... aus dem Hoheitsgebiet“ anzusehen. Dann wäre auch eine wie vorliegend nachgeschobene Abschiebungsandrohung eine solche Entscheidung, auf die damit die unter b) dargestellten Grundsätze anwendbar sein könnten. Das könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn diese Grundsätze nicht bereits bei der Grundentscheidung Berücksichtigung finden konnten, wie es hier aus zeitlichen Gründen der Fall war.
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Wäre dem so, könnte dem wohl kaum entgegengehalten werden, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der nachgeschobenen Abschiebungsandrohung der Antragsteller nicht mehr „Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis“ gewesen sei, weil diese bereits durch die Ausweisung erloschen war. Denn zum einen hat die nachgeschobene Abschiebungsandrohung erklärtermaßen die bestandskräftige Ausweisungsverfügung geändert und zum anderen kann der grundsätzlich nicht vorgesehene nachträgliche Erlass einer Abschiebungsandrohung nichts daran ändern, dass der Betroffene zuvor „Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis“ war und sie Teil von dessen „Entfernung ... aus dem Hoheitsgebiet“ ist.
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Wären die genannten Grundsätze auf die nachgeschobene Abschiebungsandrohung anwendbar, so wäre diese wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels (BVerwG, Urt. v. 06.10.2005, a.a.O.) schon aus formellen Gründen rechtswidrig. Denn im Falle des Antragstellers spricht derzeit alles dagegen, dass ein dringender Fall im bezeichneten Sinne vorliegt. Aus der Entscheidung des Landgerichts ... über die Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe des Antragstellers zur Bewährung vom 28.06.2005 ergibt sich, dass der Antragsteller erfolgreich eine Drogenentziehungstherapie absolviert hat. Aus dem Bericht der Nachsorgeeinrichtung vom 19. 07.2005 ergibt sich ebenfalls eine positive Prognose. Dass sich daran seither etwas geändert haben könnte, ist nicht ersichtlich. Die Drogenabhängigkeit war aber nach dem Strafurteil vom 22.03.2002 für die Taten „ möglicherweise mitbestimmend“. Aus der Unterziehung der Therapie ergibt sich auch ein grundlegender Einstellungswandel des Antragstellers. Auch aus dem seinerzeitigen Umfeld hat er sich gelöst.
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Weiter wäre Folge der Anwendbarkeit der genannten Grundsätze, dass auch im Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit der nachgeschobenen Abschiebungsandrohung maßgeblicher Zeitpunkt derjenige der mündlichen Verhandlung sein wird und dass die Abschiebungsandrohung entgegen der nationalen Regelung im Ermessen steht. Im Rahmen dieses Ermessens könnte dann auch der Umstand zu berücksichtigen sein, dass der Antragsteller das Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Ausweisungsverfügung beantragt hat (Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 20.07.2005 an das Regierungspräsidium Karlsruhe) und dass die genannte Rechtsprechungsänderung für die Ausländerbehörden regelmäßig hinreichenden Anlass zur Wiederaufnahme bestandskräftig ohne Berücksichtigung dieser Grundsätze abgeschlossener Ausweisungsverfahren bieten kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.11.2004 - 11 S 2771/03 -, VENSA und juris). Deshalb kommt in Betracht, dass die nachgeschobene Abschiebungsandrohung nur dann als ermessensfehlerfrei angesehen werden kann, wenn auch über das Wiederaufgreifen in diesem Rahmen ermessensfehlerfrei entschieden worden ist oder zumindest die Stellung dieses Antrags im Rahmen des Ermessens hinreichend berücksichtigt wurde. Jedenfalls aber wäre eine aktuelle Gefahrenprognose zu stellen, die - wie sich aus den Ausführungen zum „dringenden Fall“ ergibt - wohl zugunsten des Antragstellers ausgehen müsste.
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Insgesamt entziehen sich diese Fragen einer hinreichend verlässlichen Beantwortung im summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO. Ihre Klärung muss dem Hauptsacheverfahren, also dem Klageverfahren, vorbehalten bleiben. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens erscheint damit offen.
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d) Im Rahmen der danach ohne Rücksicht auf die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers vorzunehmenden Interessenabwägung durch das Gericht kommt zu Gunsten des Antragstellers Bedeutung zu, dass derzeit von ihm eine nennenswerte Wiederholungsgefahr wohl kaum ausgeht, er im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen und mit den hiesigen Lebensverhältnissen vertraut ist, was für jene in der Türkei nicht angenommen werden kann. Es kommt hinzu, dass seine Familie (Mutter und Brüder) sich im Bundesgebiet aufhalten und er sich in der Nachsorge nach einer erfolgreichen Drogenentziehungstherapie befindet. Außerdem kommt ein sofortiges Verlassen der Bundesrepublik der Vorwegnahme der Hauptsache näher als ein vorläufiges Verbleiben. Demgegenüber sind überwiegende öffentliche Interessen an der sofortigen „ Entfernung aus dem Hoheitsgebiet“ weder vom Antragsgegner dargelegt worden noch erkennbar. Das gebietet eine Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53, 52 Abs. 2 GKG und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Antragsteller bereits über ein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügte (ständige Rechtsprechung).
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