Verwaltungsgericht Greifswald Beschluss, 14. März 2016 - 4 B 649/16 As HGW
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Zur Entscheidung über den Antrag ist gemäß § 76 Abs. 4 AsylG der Berichterstatter als Einzelrichter berufen.
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Der Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Januar 2016 anzuordnen,
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ist zulässig.
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Für die Klage und den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid vom 19.Januar 2016 gilt die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO. Die im Bescheid enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Hinweis auf die Klagemöglichkeit bei dem Verwaltungsgericht Schwerin ist fehlerhaft, denn seit dem 01. Januar 2016 ist nach der Landesverordnung zur Umsetzung des § 83 Abs. 3 AsylG vom 17. Dezember 2015 das Verwaltungsgericht Greifswald für die Bearbeitung von Klageverfahren von Asylbewerbern aus dem Herkunftsland Mauretanien zuständig.
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Der Antrag ist
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unbegründet.
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Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann aber gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers auf Aussetzung des Vollzuges das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Dabei sind im Wesentlichen die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Erweist sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Bescheid als offensichtlich rechtswidrig, besteht ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht. Erweist sich der Bescheid demgegenüber bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, ohne dass es einer weiteren Interessenabwägung bedarf. Erweisen sich die Erfolgsaussichten der Klage als offen, folgt grundsätzlich aus der im gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ebenfalls ein überwiegendes öffentliches Interesse am Sofortvollzug des Verwaltungsaktes. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs.1 Satz 1 AsylG.
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An vorstehendem Maßstab gemessen war der Antrag abzulehnen, weil sich der angegriffene Bescheid nach der im Eilverfahren nur möglichen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzend (§ 113 Abs. 1 VwGO) erweist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge(Bundesamt) hat zu Recht gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn angeordnet.
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Ungarn ist nach § 27 a AsylG i. V. m. der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
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Der Antragsteller reiste am 06. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 06. November 2015 einen Asylantrag. Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes (EURODAC-Treffer) hatte der Antragsteller am 24. August 2015 in Ungarn Asyl oder die Anerkennung als Flüchtling beantragt. Das nach der Dublin III-Verordnung an Ungarn gerichtete Übernahmeersuchen vom 12. November 2015 ist von den ungarischen Behörden bis heute nicht beantwortet worden, so dass die Stattgabe des Übernahmeersuchens fingiert (Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO) und Ungarn innerhalb der durch die Dublin III-VO gesetzten Fristen verpflichtet ist, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Folglich kann die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn grundsätzlich durchgeführt werden.
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Es bestehen keine verfassungsrechtlichen oder europarechtlichen Bedenken dagegen, den Antragsteller auf Ungarn als den für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat zu verweisen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 -, juris, Rn. 80 ff., 94) gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Genfer Flüchtlingskonvention steht. Das in der Dublin-Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich – ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14. Mai1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) – auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406). Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber, wie bereits erwähnt, der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013, RS: 10-394/12, zit. n. juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird.
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An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 07. März 2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Systemische Mängel bestehen (erst) bei einer reellen Unfähigkeit des gesamten Verwaltungsapparats zur Beachtung des Art. 4 EU-GR-Charta, was gleichbedeutend ist mit strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens haben. Die im jeweiligen nationalen Asylsystem festzustellenden Mängel müssen demnach so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig sind, sondern in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen. Dies kann einerseits darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind, andererseits aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Asylsystem - mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis - in weiten Teilen aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft defizitär ist und funktionslos wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, S. 1677 ff.; und Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, S. 1039 f; VGH BW, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, S. 77, 78 ff; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, zit n. juris.; OVG RP, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, zit n. juris).
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Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat als Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob Struktur und allgemeine Lage der Aufnahme im europäischen Zielstaat der Überstellung jegliches Überstellen von Asylbewerbern dorthin verhindern, in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich benannt, ob eine Gleichgültigkeit der Behörden des betreffenden Staates vorliegt (vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, Tarakhel ./. Switzerland, Nr. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff., juris Rn. 114 f., und Entscheidung vom 13. Januar 2015, A.M.E. ./. Netherlands, Nr. 51428/10, hudoc Rn. 34 u. 35), wie sie der EGMR im Fall M.S.S. ./. Belgien und Griechenland von Seiten Griechenlands gegenüber der stetig steigenden Zahl von Schutzsuchenden angenommen hat (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. ./. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, Rn. 253 ff., 263 = NVwZ 2011 S. 413 ff.; VGH BW, Urteil vom 10. November 2014- A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, S. 77, 78 (zu Bulgarien)). Unerheblich ist, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommen kann und ob ein Drittstaatsangehöriger einer solchen tatsächlich schon einmal ausgesetzt gewesen ist. Derartige Erfahrungen sind in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Überstellung vorliegen; nur in diesem begrenzten Umfang sind individuelle Erfahrungen zu berücksichtigen. Persönliche Erlebnisse Betroffener, die einige Jahre zurückliegen, können allerdings durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung führen hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel (Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, S. 1677 ff.).
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Bei Beachtung dieser Maßgaben bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine systemischen Mängel des ungarischen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO (so auch VG Ansbach, Beschluss vom 17.02.2016, AN 3 S 16.50035, zit. n. juris). Dies gilt nach Einschätzung des Gerichts namentlich soweit der einzelne internationalen Schutz begehrende Drittstaatsangehörige - wie der Antragsteller im Streitfall - gerade keinem besonderen schutzwürdigen Personenkreis angehört. Mit den beiden Urteilen des EGMR sowohl vom 6. Juni 2013 in der Sache Mohammed ./. Österreich - Nr. 2283/12 -, und vom 03. Juli 2014 in der Sache Mohammadi ./. Österreich - Nr. 71932/12 -, geht das Gericht in Bezug auf den Ablauf und die Durchführung von Asylverfahren in Ungarn sowie der Behandlung von Dublin-Rückkehrern davon aus, dass das ungarische Asylsystem und die Aufnahmebedingungen keine systematischen Defizite aufweisen. Obwohl der EGMR in seiner (ersten) Entscheidung vom 06. Juni 2013 - Nr. 2283/12 - noch deutlicher von alarmierenden Berichten über die Verhältnisse in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 ausging, hat er zuletzt in seiner Entscheidung vom 03. Juli 2014 - Nr. 71932/12 - ausdrücklich hervorgehoben, dass angesichts der seinerzeit festzustellenden Änderung des Asylrechts wie auch der tatsächlichen Behandlung von Drittstaatsangehörigen in Ungarn zu Beginn des Jahres 2014 Art. 3 EMRK eine Rückführung eines Asylsuchenden dorthin nach den Dublin-Regularien gerade nicht entgegensteht. Dabei hat sich der EGMR ausdrücklich unter genauerer Darstellung des jeweiligen Inhalts auf im Einzelnen näher bezeichnete und ausgewertete Stellungnahmen verschiedener Regierungs- wie Nichtregierungsorganisationen gestützt, die zeitlich bis ins Jahr 2014 hineinreichten. Insgesamt seien Verbesserungen des Asylsystems einschließlich der Abschiebehaftbedingungen und auch der Rechtsschutzmöglichkeiten festzustellen (vgl. EGMR, Urteil vom 03. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12).
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Danach ist nicht von systematischen Inhaftierungen von Asylsuchenden in Ungarn auszugehen (Auswärtiges Amt, Auskunft an Bay. Verwaltungsgericht Regensburg vom 27.01.2016). Die ungarischen Inhaftierungsvorschriften entsprechen bei summarischer Betrachtung den Vorgaben des Europäischen Rechts, insbesondere den in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33/EU – Aufnahmerichtlinie – genannten Haftgründen. Asylhaft darf nicht nur deshalb angeordnet werden, weil ein Asylantrag gestellt wurde (Auswärtiges Amt, Auskunft an Bay. Verwaltungsgericht Regensburg vom 27.01.2016). Ein Antragsteller darf nur in Haft genommen werden, um u.a. Beweise zu sichern, auf die sich sein Antrag auf internationalen Schutz stützt, und die ohne Haft unter Umständen nicht zu erhalten wären, insbesondere, wenn Fluchtgefahr besteht, was naheliegend ist, wenn ein Asylbewerber bereits einmal illegal Ungarn verlassen hat, um in einem anderen Mitgliedstaat einen weiteren Asylantrag zu stellen. Die Verhängung der Asylhaft ist nach vorheriger Einzelfallprüfung nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch die Anwendung weniger einschneidender Alternativen zur Inhaftierung erreicht werden kann, etwa durch die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit, die Pflicht, sich an einem zugewiesenen Ort aufzuhalten oder Meldeauflagen. Gegen die Anordnung der Asylhaft als solches gibt es kein eigenständiges Rechtsmittel; die Haft wird allerdings insoweit richterlich überprüft, dass dies erstmals nach 72 Stunden und in der Folgezeit in 60-Tages-Intervallen erfolgt (vgl. zu den Einzelheiten der Asylhaft: Auswärtiges Amt, Bericht an das VG Düsseldorf vom 19. November 2014- 508-9-516.80/48135, juris Mitteilungen, S. 2 f). Diese Regelungen zur Asylhaft und ihre tatsächliche Anwendung hat der EGMR bereits bei seiner Entscheidung vom 03. Juli 2014 - Nr. 71932/12 - berücksichtigt, da er u.a. auf den „aida-Country Report Hungary“ des Ungarischen Helsinki-Komitee vom 30. April 2014, der von Mitgliedern des `Hungarian Helsinki Committee (HHC)´ geschrieben und von `European Council on Refugees and Exiles (ECRE)´ herausgegeben wurde, abgestellt hat. Dem ist zu entnehmen, dass in der Zeit zwischen Juli und Dezember 2013 etwa 26 % aller Asylbewerber und etwa 42 % der männlichen Asylbewerber inhaftiert worden sind; ferner bestehen in den Haftanstalten nicht unerhebliche Mängel auf den Gebieten der Wohnverhältnisse, der Wasserqualität und der Versorgung mit Putz- und Reinigungsmitteln. Dem nach dieser Rechtsprechung entstandenen Bericht "aida - Country-Report Hungary" Stand 17. Februar 2015 sind für das gesamte Jahr 2014 keine nennenswert höheren Haftzahlen als die soeben dargestellten wie auch keine Verschlechterung der bereits früher festgestellten mäßigen Haftbedingungen zu entnehmen. Ähnliche Zahlen und Umstände haben den EGMR gerade nicht veranlasst, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK bei der Behandlung von Asyl begehrenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn festzustellen.
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Des Weiteren ist nicht ersichtlich, dass die ungarische Asylhaftpraxis die Grenzen des europäischen Rechts systematisch überschreitet, selbst wenn entsprechend der Auskunft des UNHCR vom 09. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf Dublin-Rückkehrer regelmäßig inhaftiert werden, weil und soweit die ungarischen Behörden einen Haftgrund im Einklang mit dem europäischen Unionsrecht annehmen. Aus den vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich, dass im Einzelfall auch von einer Asylhaft abgesehen werden kann und auch abgesehen wird, mithin die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles bei einer Haftanordnung berücksichtigt werden. Haftprüfungen durch die Gerichte sind möglich (BAMF, Lagebericht zum Mitgliedsstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016; Auswärtiges Amt, Auskunft an Bay. Verwaltungsgericht Regensburg vom 27.01.2016). Auch die Dauer der Asylhaft ist nach dem ungarischen System an das Fortbestehen eines Haftgrundes gekoppelt. Hinsichtlich der Haftbedingungen wird auf die Auskunft von bordermonitoring.eu in Kooperation mit Pro Asyl und dem Ungarischen Helsinki Komitee an das VG Düsseldorf vom 30. Oktober 2014 zum Verfahren 13 K 501/14, ebenso VG Düsseldorf, Beschl. vom 30. Juli 2015, - 13 L 1802/15.A -, verwiesen. Danach wird die Asylhaft getrennt von der Immigrations- oder der Strafhaft durchgeführt. Familien und verheiratete Paare werden in gesonderten Bereichen untergebracht, wobei die besonderen Bedürfnisse von Familien Berücksichtigung finden sollen. Minderjährige, die zusammen mit ihren Familien inhaftiert werden, sollen ihrem Alter entsprechend Zugang zu schulischen und außerschulischen Aktivitäten erhalten. Überbelegungen finden nicht statt. Auch werden die Inhaftierten tagsüber nicht in Zellen eingesperrt. Eine medizinische Grundversorgung ist gewährleistet und Sanitäter bzw. Krankenschwestern sind permanent anwesend. Von nachhaltigen oder durchgehenden hygienischen oder Versorgungsmängeln wird nicht berichtet, wenngleich es in einzelnen Hafteinrichtungen in der Vergangenheit zu Mängeln in der Reinigung einzelner Waschräume gekommen ist. Ebenso stehen Computerräume mit Internetzugang und Fitnessräume zur Verfügung (vgl. auch VG Hamburg, Beschluss vom 18. Februar 2015 – 2 AE 354/15 –, zit n. juris). Hinsichtlich der Versorgung mit Lebensmitteln ist nach dem genannten Bericht der Nährwert des angebotenen Essens in einer Verordnung des Innenministeriums geregelt, religiöse und medizinische Besonderheiten werden in der Regel berücksichtigt. Auch wenn die schlechte Qualität des Essens und eine zu frühe Ausgabe des Abendessens thematisiert worden ist, ergeben sich hieraus keine systemischen Mängel im Sinne der genannten Rechtsprechung. Ebenso gehen in ihren Entscheidungen u.a. das VG Hamburg (Beschluss vom 18. Februar 2015 – 2 AE 354/15 –, juris), das VG Regensburg (Urteil vom 20. Februar 2015 – RN 3 K 14.50264 -, juris), das VG Leipzig (Urteil vom 3. März 2015 – A 6 K 2089/14 -), das VG München (Beschluss vom 30. März 2015 – M 12 S 15.50022 -), das VG Düsseldorf (Beschluss vom 30. Juli 2015 - 13 L 1802/15.A, Beschluss vom 1. April 2015 – 13 L 1031/15.A – und Beschluss vom 13. April 2015 – 8 L 94/15.A -), das VG Saarlouis (Beschluss vom 1. April 2015 – 3 L 184/15 –) und das VG Gelsenkirchen (Beschluss vom. 10. April 2015 – 18a L 453/15.A) unter Ablehnung systemischer Mängel auf die Inhaftierung Asylsuchender in Ungarn ein.
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Zudem sieht die Richtlinie 2013/33 (EU) des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96 vom 29. Juni 2013; so gen. Aufnahmerichtlinie), ausdrücklich die Möglichkeit zur Inhaftierung von Asylantragstellern vor (Erwägungsgründe 15 bis 20 sowie Art. 8 bis Art. 11 RL 2013/33/EU). In ihrer ungarischen Handhabung erfolgt die Inhaftierung nicht wegen der Stellung eines Asylantrags, sondern wegen solcher Umstände, die das individuelle Verhalten des Drittstaatsangehörigen vor und bei der Antragstellung kennzeichnen. Zudem hat ein Dublin-Rückkehrer bereits durch seine Weiterreise z.B. in die Bundesrepublik belegt, dass er sich nach seiner erkennungsdienstlichen Behandlung/Erfassung in Ungarn dem ungarischen Asylverfahren entzogen hat und offensichtlich nicht dort verbleiben wollte.
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Auch die Aufnahmepraxis von Asylantragstellern und Dublin-Rückkehrern in Ungarn führt nach Auffassung des Gerichts nicht zur Annahme von systemischen Mängeln. Das Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 03. August 2015 – Au 5 K 15.50347, dem sich das erkennende Gericht anschließt, führt dazu aus: „Die Stellungnahme des Hungarian Helsinki Committee (HHC) aus Mai 2014 (Information Note on Asylum-Seekers in Detention and in Dublin Procedures in Hungary), auf die u.a. sich auch der EGMR in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 - Nr. 71932/12 - gestützt hat, lässt keine andere Beurteilung zu. Nach den zum 01. Januar 2014 erfolgten Änderungen im ungarischen Asylgesetz als genereller Reglung haben nunmehr Rückkehrer nach den Dublin-Regularien - bis auf einen Ausnahmefall - einen garantierten Zugang zum Asylverfahren und einer vollständigen Untersuchung ihres Asylbegehrens. Der Bericht von "aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary" mit Stand 17. Februar 2015 stellt insgesamt heraus, dass im Jahr 2014 mehr als 42.000 Asylsuchende um internationalen Schutz nachgesucht haben, was einen Anstieg im Vergleich zum Jahr 2013 von 226% ergab. Die Behandlung unbegleiteter Kinder entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Stellt eine aus welchen Gründen auch immer verhaftete Person einen Asylantrag, wird das Verfahren beschleunigt bearbeitet. Rechtsschutz mit kostenloser Unterstützung wird nicht immer und nur mit Schwierigkeiten gewährt (S. 14-19). Dublin-Rückkehrer haben - anders als im Jahr 2013 - Zugang zum Asylverfahren, ihr Asylbegehren wird vollständig geprüft (S. 21). Es gibt keinen Mechanismus im Asylverfahren, um schutzbedürftige Asylsuchende zu erkennen, allerdings bestehen besondere Vorkehrungen im Verfahren für diese Personengruppe. Medizinisches oder psychologisches Personal kann einbezogen werden, um eine notwendige Behandlung zu erhalten. Bei Personen die dem Gesetz nach nicht voll handlungsfähig sind, wie Kindern oder psychisch Kranken, wird im Regelfall ein besonderes staatliches Büro unterrichtet oder ein Vertreter zugewiesen (S. 32 f.). Im Bedarfsfall werden medizinische Stellungnahmen nach einer entsprechenden Anfrage des Asylsuchenden eingeholt (S. 33 f.). (Unbegleitete) Minderjährige werden grundsätzlich erfasst, Minderjährigkeit kann festgestellt werden (S. 34-36). Asylsuchende werden als Erstantragsteller den nationalen Bestimmungen zufolge registriert und behandelt. Wirkt ein Asylsuchender nicht ausreichend mit, kann dies u.U. zu finanziellen Konsequenzen bei der Tragung der Unterbringungs- und Behandlungskosten führen. Es liegen bislang keine Erkenntnisse vor, dass Asylsuchende nicht tatsächlich untergebracht werden. In Aufnahmeeinrichtungen werden Asylsuchende mit Essen versorgt, erhalten Hygieneartikel und Taschengeld; Kinder, Alleinerziehende und über 60-Jährige erhalten einen Betrag über 25 % der niedrigsten Rente (95 EUR), andere Erwachsene weniger. Im Jahr 2014 betrug die Verweildauer von Personen in den Asylunterkünften länger als 5 Monate. Die staatlichen Unterbringungszentren werden von Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Frauen werden regelmäßig mit Familien auf einem Flur untergebracht. Unbegleitete Kinder werden in einer gesonderten Einrichtung aufgenommen. Familien werden während des Asylverfahrens nicht getrennt. Die Bedingungen in den Unterbringungszentren sind nicht einheitlich. Überall gibt es drei Mahlzeiten am Tag. Es kann überwiegend auch selbständig gekocht werden. Die Menschen teilen sich Räume. Psychologische Betreuung und Psychotherapie für traumatisierte Asylsuchende wird von Nichtregierungsorganisation angeboten (S. 40-44). Es erfolgt keine Erfassung von besonderen Aufnahmebedürfnissen für vulnerable Personen (S. 45 f.). Nicht inhaftiere Asylsuchende können sich frei im Land bewegen, dürfen ihre Unterbringungseinrichtung aber nur weniger als 24 Stunden verlassen. Um die monatlichen Geldzahlungen zu erhalten müssen Asylsuchende wenigstes 25 Tage im Monat in der Einrichtung sein (S. 46 f.). Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist gewährleistet; Allgemeinmediziner sind in den Unterbringungszentren regelmäßig unter der Woche verfügbar, Fachärzte nur in Notfällen (S. 49 f.). Im Jahr 2014 waren mehr als 4.800 Asylsuchende inhaftiert; die Haftplätze sind fast vollständig belegt. Es gibt keine besonderen Kategorien von Asylsuchenden die inhaftiert werden. Familien werden gemeinsam in einer gesonderten Einrichtung in Haft genommen (S. 51). Diese Umstände begründen allerdings keine systematischen Defizite des Asylsystems“.
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Hintergrund der Verbesserung in Ungarn im Laufe des Jahres 2013/2014 ist, so das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 28. Juli 2015 - 7a L 1481/15.A -, die zur Bewältigung der durch die massive Flüchtlingswelle namentlich von Schutzsuchenden aus Syrien und dem Irak entstandenen Flüchtlingskrise von der EU gewährte finanzielle, logistische und personelle Unterstützung. Die Hilfen und bereits erreichten Verbesserungen lassen zudem mittel- und langfristig eine weitere Besserung der Zustände erwarten. Gerade dass der UNHCR zu Ungarn kein - wie etwa im Vergleich zu den Verhältnissen in den Mitgliedstaaten Griechenland und Bulgarien - ausdrückliches Positionspapier gegen eine Überstellung von Asylsuchenden nach den Regeln der Dublin III VO verfasst hat, hat den EGMR veranlasst anzunehmen, der betroffene Drittstaatsangehörige sei keines individuellen realen Risikos ausgesetzt gewesen, als Asylantragsteller in Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK unterworfen zu werden (vgl. EGMR, Urteil vom 03. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rn. 69 f. und 74 f.).
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Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt nach Auffassung des Gerichts besondere Bedeutung zu. Dies begründet sich mit dem dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amt für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, C 528/11, NvWZ-RR 2013, 660). Aus der Berichtslage des UNHCR zu Ungarn lässt sich nicht ableiten, dass die Funktionsfähigkeit des ungarischen Asylsystems durch systemische Mängel beeinträchtigt oder geprägt ist. Trotz der besonderen Bedeutung Ungarns als Transitland bis zur Schließung seiner Grenzen zu Serbien (September 2015) und Kroatien (Oktober 2015) für die Balkanroute nutzende Flüchtlinge gibt es, wie vorstehend schon ausgeführt, keine Empfehlung des UNHCR, Asylbewerber im Rahmen des Dublin-Verfahrens nicht nach Ungarn zu überstellen. Ebenso fehlt es an einer Empfehlung des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen in nationales Recht, wie sie für andere Staaten abgegeben worden sind, z. B. für Tschechien (FAZ vom 27.10.2015). Aus dem Bericht von UNHCR Deutschland - vom 25. November 2014 an das VG Düsseldorf ergibt sich kein Anlass, für eine andere Bewertung. Darin stellt UNHCR Deutschland heraus, dass der UNHCR (international) die Veränderungen im ungarischen Asylsystem ab dem Jahr 2014 begrüßt und Dublin-Rückkehrer von staatlicher wie auch nichtstaatlicher Seite unterstützt werden, zumal es in Ungarn ein neu aufgelegtes Unterstützungsprogramm gibt. UNHCR (international) befürchtet für Personen, die den subsidiären oder internationalen Schutz erhalten haben, dass diese nicht an den ansonsten eingetretenen Verbesserungen für Schutz suchende Drittstaatsangehörige teilhaben. Die zusammengetragenen kritischen Berichte erfassen zudem oft einen Zeitraum vor dem Jahr 2014, namentlich die Jahre 2012 und 2013, die auch der EGMR beurteilt hat, ohne eine beachtliche Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung von Asylantragstellern festgestellt zu haben. Die weitgehend deutschsprachigen Stellungnahmen von bordermonitoring.eu an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. Oktober 2014 bzw. an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 ergeben für den Antragsteller ebenfalls keine andere Bewertung. Darin werden nämlich die bereits zuvor dargestellten Umstände um die Anwendung der Asylhaft weitestgehend bestätigt, ohne greifbar eine Verschlechterung aufzuzeigen.
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Ebenfalls nicht geeignet ein anderes rechtliches Ergebnis zu begründen ist der Umstand, dass in Ungarn am 1. August 2015 ein Asylverfahrensgesetz in Kraft getreten ist, welches die Rechte von Asylsuchenden (nochmals) einschränkt. Die materielle Verschärfung des Asylrechts insbesondere dergestalt, dass Asylanträge abgelehnt werden dürfen, wenn Asylsuchende über sichere Transitstaaten (Serbien) eingereist sind, führt nicht per se zum Vorliegen systemischer Mängel. Auch das deutsche Asylrecht kennt derartige einschränkende Bestimmungen (§ 26a AsylG). Das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass davon ausgegangen werden müsse, dass dadurch ein Verstoß gegen das Refoulment-Verbot zu befürchten sein muss (so aber VG Düsseldorf, Beschluss vom 3. September 2015, - 22 L 2944/15.A -). Es handelt sich bei der Entscheidung, sichere Drittstaaten zu definieren, um eine nationale Entscheidung, hier Ungarns. In der Bundesrepublik Deutschland ist Serbien inzwischen nach dem Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarkzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer vom 31. Oktober 2014 (BGBl. I Nr. 49 S. 1649) als sicherer Herkunftsstaat eingestuft. Die Annahme, es sei äußerst zweifelhaft, ob dortige Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen den europäischen Mindestanforderungen entsprechen, ist nicht mit konkreten Anhaltspunkten unterlegt. Soweit sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 3. September 2015 auf eine Mitteilung des Europäischen Kommissars für Menschenrechte bezieht, ist dies ein Schreiben vom 27. November 2013 und damit wohl überholt. Im Übrigen bestehen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Entscheidung ungarischer Behörden, den Asylbewerber in einen nach ungarischem Recht sicheren Drittstaat abzuschieben (BAMF, Lagebericht zum Mitgliedsstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016).
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Auch liegen derzeit keine auf Tatsachen beruhenden Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer systematisch von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Tatsächlich lehnt Serbien derzeit die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ab, da aus serbischer Sicht nicht nachgewiesen werden könne, dass die Antragsteller tatsächlich über Serbien nach Ungarn eingereist seien (BAMF, Lagebericht zum Mitgliedstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016). Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (z. B. VG Düsseldorf, Beschluss vom 20.August 2015 – 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben.
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Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte für systemische Mängel wegen drohender Obdachlosigkeit von Schutz suchenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn greifbar (vgl. dazu insgesamt mit genauerer Darlegung: VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. September 2014 - 6 L 1235/14.A -, Juris Rn. 84 ff. und Urteil vom 20. März 2013 - 13 K 501/14 -, juris Rn. 79 ff), die an die zumindest seinerzeit sehr weitgehend verbreitete Obdachlosigkeit unter dem griechischen Asylsystem hin zu einer behördlichen Gleichgültigkeit (vgl. dazu: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 M.S.S. ./. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, Rn. 253 ff., 263= NVwZ 2011 S. 413 ff.; BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 10 B 16/12 -, InfAuslR 2013, S. 45 f.), heranreicht. Es ist im gesamten Jahr 2014 gerade kein Fall bekannt, in dem einem Asylantragsteller - etwa wegen Überbesetzung der Unterbringungseinrichtungen - in Ungarn kein Obdach gewährt worden ist (vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary, Stand 17. Februar 2015, S. 43; und bereits National Country Report Hungary, Stand 30. April 2014, S. 40). Vielmehr wurden im Sommer 2015 beim Erreichen der Kapazitätsgrenzen Maßnahmen ergriffen, um eine Unterbringung der Flüchtlinge zu gewährleisten, z. B. wurden Zelte errichtet, Gemeinschaftsräume zu Wohnräumen umgewidmet oder Container aufgestellt (Auswärtiges Amt, Auskunft an Bay. Verwaltungsgericht Regensburg vom 27.01.2016).
- 25
Der Nichtannahme systemischer Mängel stehen nach Auffassung des Gerichts auch nicht die aktuellen Ereignisse der letzten Monate in Ungarn einschließlich der Schließung seiner Grenzen für Flüchtlinge entgegen, die aus Sicht des Gerichts keine verallgemeinerungsfähige Schlussfolgerung im oben genannten Sinne zulassen.
- 26
Dabei ist zum einen insbesondere die Erklärung des ungarischen Ministerpräsidenten vom 23. Juni 2015 in den Blick zu nehmen, wonach keine Flüchtlinge nach der Dublin-VO mehr aufgenommen werden, da die Aufnahmekapazität erschöpft sei. Das „Boot sei voll“ und die ihnen „zur Verfügung stehenden Ressourcen“ seien erschöpft (vgl. FAZ vom 24. Juni 2015). Allerdings kann daraus kein nachhaltiger Hinweis eines an die Dublin III-VO gebundenen Staates auf das Vorliegen systemischer Schwachstellen im erörterten Sinne abgeleitet werden. Der ungarische Außenminister hat am nächsten Tag dazu erklärt, dass keine Rede davon sein könne, dass Ungarn EU-Regelungen suspendiere, sondern dass man lediglich um eine Nachsichtfrist bitte, damit Ungarn die mit dem Eintreffen der Vielzahl von Asylbewerbern einhergehenden Herausforderungen bewältigen könne (vgl. FAZ vom 25. Juni 2015). Es ist für das Gericht durchaus nachvollziehbar, dass es bei den exorbitant hohen Asylbewerberzugangszahlen in Ungarn, seit Anfang des Jahres 2015 etwa 72.000 Migranten (vgl. spiegelonline, „überlastetes Asylsystem, Ungarn verschärft Gesetz zur Aufnahme von Flüchtlingen, Bericht vom 06.07.2015, zitiert nach VG Kassel, Beschluss vom 07. August 2015, - 3 L 1303/15. KS.A -), innerhalb des kurzen Zeitraums zu den gegenläufigen Erklärungen zu einer Erhöhung der erschöpften Aufnahmekapazität gekommen ist. Ein solches Reaktionsmuster konnte in letzter Zeit auch in der Bundesrepublik Deutschland festgestellt werden. Trotz der gegenläufigen Erklärungen der ungarischen Regierung hat das Gericht keine durchgreifenden Zweifel daran, dass Ungarn an dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens festhält und damit jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen kann, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlagen in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden (so auch VG Schwerin, Beschluss vom 10. August 2015, - 5 B 2575/15 As SN; Beschluss vom 27. Juli 2015, - 3 B 2556/15 As SN; VG Dresden, Beschluss vom 09. September 2015, - 2 L 719/15.A; anders aber Verwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 12. August 2015 – 3 L 816/15 –; VG Kassel, Beschluss vom 07. August 2015, - 3 L 1303/15.KS.A -, VG Köln, Urteil vom 15.Juli 2015,- 3 K 2005/15.A -, alle zitiert nach juris).
- 27
Sofern zum anderen in Medien Aufnahmen und Bilder zur Lage der Asylbewerber in Ungarn gezeigt werden, wonach dort chaotische Verhältnisse herrschen, handelt es sich um Momentaufnahmen, die nach Auffassung des Gerichts der u.a. auch Ungarn „überflutenden Asylbewerberwelle“ geschuldet sind. Es ist bei der Bewertung zu berücksichtigen, dass sich zahlreiche Asylbewerber einer geordneten Aufnahme in Ungarn gezielt entziehen. Die Darstellungen geben nicht hinreichend die von den ungarischen Behörden angebotene und angewandte tatsächliche, auf eine durch EU-Recht gestützte, rechtlich gesicherte Aufnahmelage wieder.
- 28
Nach alledem kann nicht von einem systemischen Mangel in Ungarn ausgegangen werden. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Frage von einzelnen Gerichten anders beantwortet wird. Aus den vorgenannten Erwägungen sieht sich das erkennende Gericht daran gehindert, deren Bewertung zu folgen.
- 29
Eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung des Asylverfahrens ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass nur ein geringer Teil derjenigen Asylbewerber, deren Asylantrag nach den Regelungen der Dublin III-Verordnung als unzulässig abgelehnt und deren Abschiebung nach Ungarn angeordnet worden ist, bisher auch nach Ungarn abgeschoben werden konnte. So hat Ungarn ausweislich der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE – BT Drucksache 18/6860 vom 30. November 2015 im 3. Quartal des Jahres 2015 bei 4303 von Deutschland gestellten Übernahmeersuchen in 2570 Fällen die Zustimmung erteilt, tatsächlich sind in diesem Zeitraum jedoch nur 40 Überstellungen erfolgt, was einer Überstellungsquote bezogen auf die erteilten Zustimmungen von nur 1,56 % ergibt (zit. n. VG Köln, Urteil vom 22. Dezember 2015, 2 K 3464/15.A, zit. n. juris). Im Oktober 2015 hat Deutschland 28 und im November 2015 13 Personen nach Ungarn überstellt (BAMF, Lagebericht zum Mitgliedsstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016). Die vom Verwaltungsgericht Köln angeführte hohe Anzahl der Übernahmezustimmungen, immerhin in mehr als 50 % der Übernahmeersuchen, belegt, dass sich Ungarn seiner europarechtlichen Verpflichtungen bewusst ist. Die geringe Zahl der tatsächlich erfolgten Überstellungen ändert daran nach Auffassung des Gerichts nichts. Sie begründet auch kein Vollzugsdefizit bei der Überstellung, welches einer rechtmäßigen Abschiebungsanordnung entgegenstehen würde, weil bekannt sei, dass eine jedenfalls einigermaßen zeitnahe Überstellung des Antragstellers nach Ungarn erkennbar nicht möglich und die Abschiebung nach Ungarn letztlich von Zufälligkeiten abhängig sei (so VG Köln, Urteil vom 22. Dezember 2015, 2 K 3464/15.A, zit. n. juris). Das vom Verwaltungsgericht Köln herangezogene Zahlenmaterial betrifft einen Zeitraum, in dem Ungarn von Flüchtlingen, die nach Österreich, Deutschland oder in Länder Skandinaviens wollten, noch als Haupttransitland genutzt wurde. Dementsprechend belastet war das ungarische Asylsystem. Eine zusätzliche Rücknahme von rücküberstellten Flüchtlingen stellte insofern für Ungarn ein zusätzliches Problem, insbesondere ein Kapazitätsproblem, dar. Der große Flüchtlingsstrom nach Ungarn, auch von Flüchtlingen, die in Ungarn um Schutz nachgesucht und das Land nicht nur zur Durchreise genutzt haben, ist mit der Schließung der ungarischen Grenzen zu Serbien und Kroatien gestoppt. Der Rückgang der Belastung des Asylsystems ist damit vorprogrammiert, so dass Ungarn wieder in die Lage versetzt wird, diejenigen Flüchtlinge und Schutzsuchenden, zu deren Rücknahme Ungarn europarechtlich verpflichtet ist, tatsächlich auch wieder aufnehmen zu können. Das Gericht geht daher davon aus, dass sich die tatsächliche Rücknahmequote künftig beträchtlich erhöhen wird. Diese Annahme gründet sich auch darauf, dass Ungarn eine weitere Änderung seines Asylgesetzes vorbereitet, die unter anderem dem Inhalt des Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO Rechnung trägt und die aktuelle Verwaltungspraxis der Asylbehörde dahingehend konkretisiert, dass der Asylantrag eines Dublin-Rückkehrers vollumfänglich geprüft wird, auch wenn das Erstverfahren endgültig eingestellt wurde (BAMF, Lagebericht zum Mitgliedsstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016; Auswärtiges Amt, Auskunft an Bay. Verwaltungsgericht Regensburg vom 27.01.2016).
- 30
Außergewöhnliche humanitäre Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 17 Abs. 1 Dublin III-VO liegen nicht vor; die Abschiebung kann auch im Sinne des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden.
- 31
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
- 32
Rechtsmittelbelehrung:
- 33
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Greifswald Beschluss, 14. März 2016 - 4 B 649/16 As HGW
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Verwaltungsgericht Greifswald Beschluss, 14. März 2016 - 4 B 649/16 As HGW zitiert oder wird zitiert von 17 Urteil(en).
(1) Die Kammer soll in der Regel in Streitigkeiten nach diesem Gesetz den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn nicht die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.
(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.
(4) In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet ein Mitglied der Kammer als Einzelrichter. Der Einzelrichter überträgt den Rechtsstreit auf die Kammer, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn er von der Rechtsprechung der Kammer abweichen will.
(5) Ein Richter auf Probe darf in den ersten sechs Monaten nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.
(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.
(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.
(1) Streitigkeiten nach diesem Gesetz sollen in besonderen Spruchkörpern zusammengefasst werden.
(2) Die Landesregierungen können bei den Verwaltungsgerichten für Streitigkeiten nach diesem Gesetz durch Rechtsverordnung besondere Spruchkörper bilden und deren Sitz bestimmen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf andere Stellen übertragen. Die nach Satz 1 gebildeten Spruchkörper sollen ihren Sitz in räumlicher Nähe zu den Aufnahmeeinrichtungen haben.
(3) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung einem Verwaltungsgericht für die Bezirke mehrerer Verwaltungsgerichte Streitigkeiten nach diesem Gesetz hinsichtlich bestimmter Herkunftsstaaten zuzuweisen, sofern dies für die Verfahrensförderung dieser Streitigkeiten sachdienlich ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf andere Stellen übertragen.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz hat nur in den Fällen des § 38 Absatz 1 sowie des § 73b Absatz 7 Satz 1 aufschiebende Wirkung. Die Klage gegen Maßnahmen des Verwaltungszwangs (§ 73b Absatz 5) hat keine aufschiebende Wirkung.
(2) Die Klage gegen Entscheidungen des Bundesamtes, mit denen die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft widerrufen oder zurückgenommen worden ist, hat in folgenden Fällen keine aufschiebende Wirkung:
- 1.
bei Widerruf oder Rücknahme wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2, - 2.
bei Widerruf oder Rücknahme, weil das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.
(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.
(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. Juni 2014 - A 7 K 880/14 - geändert, soweit es der Klage stattgegeben hat.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 22. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem die Unzulässigkeit eines von ihm in Deutschland gestellten Asylantrags festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. Er begehrt die Ausübung des Selbsteintrittsrechts und die sachliche Prüfung des Asylantrags in Deutschland.
- 2
Der Kläger stellte am 2. August 2012 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 17. Juli 2012 als Asylbewerber erfasst worden war. Bei der Antragstellung gab er an, am 5. August 1988 in Mogadischu geboren zu sein und die somalische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er sei Mitglied der Volksgruppe der Hawadle und sunnitischer Religionszugehörigkeit.
- 3
Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. August 2012 trug der Kläger vor, zwei Jahre lang als Schneider ausgebildet worden zu sein und diesen Beruf ein Jahr lang selbständig ausgeübt zu haben. Seine Schneiderei habe in der Nähe einer Fabrikruine gelegen, auf deren Gelände äthiopische Soldaten campiert hätten. Immer wieder seien diese von Mitgliedern der Al Shabaab attackiert worden. Auch die äthiopischen Soldaten hätten angegriffen. Die Al Shabaab sei zu ihm gekommen und habe gesagt, sie brauche Hilfe. Er habe nicht kämpfen wollen und sei im August 2008 geflohen. Hierzu habe er Mogadischu mit einem Kraftfahrzeug verlassen und sei über Addis Abeba und Khartum nach Tripolis gelangt, wo er am 18. November 2008 angekommen sei. Von dort aus sei er mit einem Boot nach Sizilien gefahren und am 25. Mai 2009 gelandet. Auf seinen Asylantrag hin habe er in Italien den Status eines subsidiär Schutzberechtigten erhalten. Danach habe er das Flüchtlingslager verlassen müssen und sei nach Florenz gegangen. Dort habe ihm die Caritas einmal am Tag etwas zu essen gegeben. Einen Monat lang habe er in einem verlassenen Haus ohne Wasser und Strom gelebt. Dann sei er insgesamt zwei Mal in die Niederlande gefahren und habe versucht, dort Asyl zu bekommen. Er sei aber jedesmal nach Italien zurückgeflogen worden. Die Polizisten am Flughafen Rom hätten ihm gesagt, er solle zum Bahnhof gehen. Dort seien viele Somalis gewesen, die ihn zur somalischen Botschaft in Rom gebracht hätten. Die Botschaft sei aufgegeben und von Flüchtlingen zum Übernachten genutzt worden. Es sei furchtbar dreckig gewesen und man habe krank werden können. Es habe Wasser, aber keinen Strom gegeben. Schließlich habe er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht, wo er am 14. Juli 2012 angekommen sei.
- 4
Er sei krank. Er leide an einer schiefen Wirbelsäule und könne manchmal nicht gehen, außerdem habe er einen Vitamin-D-Mangel und eine Magenerkrankung. In Italien habe man ihm im Krankenhaus nur eine Schmerzspritze gegeben, weil er keinen Gesundheitsausweis habe vorzeigen können.
- 5
Die niederländischen Behörden wiesen ein Übernahmeersuchen der Beklagten zurück und teilten mit, dass sie den Kläger ihrerseits am 23. Dezember 2010 und 10. Oktober 2011 nach Italien überstellt hätten.
- 6
Auf entsprechenden Antrag vom 17. Dezember 2012 akzeptierten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin-II-VO - ihre Zuständigkeit, wobei der Kläger dort mit syrischer Staatsangehörigkeit und dem Geburtsdatum 1. Januar 1988 geführt wurde, und stimmten einer Überstellung bis zum 20. Juni 2013 zu.
- 7
Vom 14. bis 24. Oktober 2012 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung wegen Schmerzen im Hüftbereich. Entzündliche sowie autoimmune Erkrankungen konnten laborchemisch ausgeschlossen werden. In einer Magnetresonanztomographie zeigten sich arthropische Veränderungen des Hüftgelenks. Es wurden eine ausgewogene eiweißreiche Ernährung und ambulante Krankengymnastik-Maßnahmen beziehungsweise Reha-Sport sowie eine ambulante psychiatrische Betreuung empfohlen. Am 6. und 7. Januar 2013 befand sich der Kläger wegen epigastrischer Schmerzen unklarer Genese erneut in stationärer Krankenhausbehandlung. Nachdem die Laborbefunde sowie eine Gastroskopie keine Auffälligkeiten aufwiesen und der Patient sich subjektiv beschwerdegebessert zeigte, wurde er ohne weitere Medikation entlassen. In privatärztlichen Attesten einer allgemeinmedizinischen Praxis vom 7. Februar 2013 und 29. Januar 2014 werden als Diagnosen Oberbauschschmerzen bei rezidivierender Gastritis, Lws-Syndrom, Coxalgie, Vitamin-D-Mangel und Mangelernährung bei Appetitlosigkeit aufgezählt. Der Patient sei auf regelmäßige medizinische Behandlung und Medikamente angewiesen. Eine Abschiebung nach Italien wäre mit einem hohen Risiko der Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden.
- 8
Mit Bescheid vom 13. Februar 2013 erklärte die Beklagte den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a AsylVfG für unzulässig. Italien sei für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und habe seine Zuständigkeit auch anerkannt. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insbesondere hinderten die vorgelegten Atteste eine Überstellung des Klägers nach Italien nicht, denn in Italien habe der Kläger wie jeder italienischer Staatsbürger Zugang zum dortigen Gesundheitssystem.
- 9
Am 19. Februar 2013 hat der Kläger Klage erhoben. Die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens sei auf die Beklagte übergegangen, da der Übernahmeantrag an Italien erst nach Ablauf der Frist des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt worden sei. Im Übrigen dürfe der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Italien überstellt werden, weil er sich in ständiger ärztlicher Behandlung befinde. Schließlich sei die Beklagte zur Prüfung des Antrags verpflichtet, weil in Italien systemische Mängel im Asylverfahren herrschten. Die Mindeststandards in Bezug auf Unterbringung, soziale und medizinische Versorgung würden erheblich unterschritten. Das gelte insbesondere für Sizilien, wohin der Kläger abgeschoben werden sollte. Ihm drohte daher nach seiner Rückführung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ohne Perspektive auf Arbeit oder Obdach.
- 10
Der Kläger hat beantragt,
- 11
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 12
hilfsweise,
- 13
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 14
Die Beklagte hat beantragt,
- 15
die Klage abzuweisen.
- 16
Sie weist darauf hin, dass Personen mit Schutzstatus hinsichtlich der Unterbringung und der medizinischen Versorgung die gleichen Rechte genössen wie italienische Staatsangehörige. Damit seien Unterkunft und Wohnung in eigener Verantwortung zu besorgen. Die entsprechenden Kosten seien selbst zu tragen. Nach Meldung bei dem „Servizio Sanitario Nazionale“ erhielten Personen mit Schutzstatus eine „Tessera Sanitaria“, mit deren Hilfe Zugang zu allen ärztlichen Leistungen erfolge. Die Kosten der Behandlungen würden vom italienischen Staat getragen. Nach Auskunft der deutschen Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom sei die Gewährung dieser medizinischen Versorgung unabhängig von einem festen Wohnsitz. Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus erhielten, hätten das Recht zu arbeiten (guida practica per i titolari di protezione internazionale). Nach Auskunft der Liaisionbeamtin sei die Arbeitserlaubnis eigentlich an eine „residenza“, also einen festen Wohnsitz geknüpft. Viele Vereinigungen böten den betroffenen Personen aber ihre Adresse als Briefkastenadresse an. Schließlich habe der Kläger auch keine Krankheit substantiiert, die ihn reiseunfähig machen beziehungsweise besondere Lebens- oder Gesundheitsgefahren begründen würde.
- 17
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 2013 abgewiesen. Die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrags ergebe sich aus Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung, da Italien dem Kläger einen Aufenthaltstitel ausgestellt habe. Die Fristvorschriften des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO begründeten keine subjektiven Rechte, so dass es auf deren Versäumung nicht ankomme. Zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts sei die Beklagte nicht verpflichtet. Es sei nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte, Gutachten sowie Berichte und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung weder zu befürchten, dass dem Kläger keine hinreichende soziale beziehungsweise medizinische Versorgung zugute käme, noch herrschten systemische Mängel im italienischen Asylverfahren, die befürchten ließen, dass dem Kläger in Italien eine menschenunwürdige Behandlung drohte.
- 18
Auf entsprechenden Antrag ließ der Senat die Berufung zu und untersagte der Beklagten mit Beschluss vom 19. Juni 2013, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzuführen.
- 19
Der Kläger wiederholt und vertieft zur Begründung der Berufung seinen Vortrag aus dem Klageverfahren. Als Schutzberechtigtem stünde ihm weder Anspruch auf Unterkunft, noch auf staatliche Sozialleistungen zu. Er habe auch keinen Anspruch auf Integrationsmaßnahmen und könne allenfalls in ländlichen Gebieten zeitlich befristet und schlecht bezahlt als Erntehelfer arbeiten. Außerhalb von Rom habe er keine Möglichkeit, sich eine virtuelle Adresse geben zu lassen, so dass er vermutlich auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem habe. In Not geratene italienische Staatsangehörige könnten in der Regel auf Hilfe durch die (Groß-) Familie hoffen. Diese Möglichkeit hätten Flüchtlinge nicht.
- 20
Der Kläger beantragt,
- 21
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 22
hilfsweise,
- 23
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 24
Die Beklagte beantragt,
- 25
die Berufung zurückzuweisen.
- 26
Sie macht sich im Wesentlichen eine Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Verfahren zu Eigen. Danach liegen außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, nicht vor. Italien erfülle seine Verpflichtung nach den Artikeln 20 bis 24 Genfer Flüchtlingskonvention, Flüchtlinge im Sozial- und Arbeitsrecht ebenso zu behandeln wie eigene Staatsangehörige. Eine Besserstellung von Asylbewerbern sei danach nicht vorgesehen. Aus dem Umstand, dass Italien kein ähnliches soziales Netz biete wie Deutschland und andere Mitgliedstaaten, könne nicht geschlossen werden, dass es sich von seiner Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gelöst habe. Die von dem Kläger zitierten Gutachten ergäben keine neuen Erkenntnisse, insbesondere kein belastbares Zahlenmaterial darüber, welcher Anteil der Schutzberechtigten für wie lange tatsächlich der Obdachlosigkeit anheimgefallen sei.
- 27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte, die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 28
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Er hat keinen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte ist weder nach den allgemeinen Regeln zuständig (I), noch besteht ein Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts (II). Daher ist auch die Abschiebungsanordnung nach Italien rechtlich nicht zu beanstanden (III).
I.
- 29
Die Frage, welcher Staat für das Asylverfahren des Klägers zuständig ist, bestimmt sich vorliegend nach den Regeln der Dublin-II-Verordnung (1). Danach ist Italien der zuständige Mitgliedstaat (2). Die Zuständigkeit ist nachträglich weder nach der Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO (3), noch nach der Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO (4) auf die Beklagte übergegangen.
- 30
1. Im vorliegenden Fall kommt unbeschadet der Vorschrift des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch die Dublin-II-Verordnung und nicht die mittlerweile in Kraft getretene Nachfolgeverordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO) zur Anwendung. Gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 49 Dublin-III-VO gilt diese nämlich erst für Anträge auf Internationalen Schutz sowie Anträge der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme, die nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurden. Vorliegend hat der Kläger seinen Asylantrag bei der Beklagten bereits im Jahr 2012 gestellt. Auch der Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers wurde noch im Jahr 2012 gestellt und von Italien mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 akzeptiert.
- 31
2. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass Italien nach der Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Danach fallen dem Mitgliedstaat die Pflichten zur Wiederaufnahme und abschließenden Prüfung eines Asylverfahrens zu, sofern er einem Antragsteller einen Aufenthaltstitel erteilt. Italien hat dem Kläger in Folge der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter einen Aufenthaltstitel erteilt und diesen im Jahr 2012 nochmals verlängert.
- 32
3. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach dieser Vorschrift sind Aufnahmegesuche an andere Mitgliedstaaten spätestens innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags zu stellen. Wird das Gesuch nicht innerhalb dieser Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig.
- 33
Zum einen vermittelt diese Vorschrift dem Asylbewerber aber keine subjektiven Rechte, sondern dient als innerstaatliche Organisationsvorschrift in erster Linie der klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16 der Verordnung). Im Vordergrund steht daher das Interesse, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
- 34
Zum anderen ist die Vorschrift auf den vorliegenden Fall schon nicht anwendbar. Die Beklagte hat kein Aufnahmegesuch nach Art. 17, sondern ein Wiederaufnahmegesuch nach den Art. 16. Abs. 2, Abs. 1 lit. c), 20 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt. Für Wiederaufnahmegesuche sieht die Dublin-II-VO aber keine Frist vor.
- 35
4. Schließlich ist die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens auch nicht deshalb nach Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen, weil die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten erfolgt ist. Diese Frist beginnt gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) nämlich erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens zu laufen, sofern diesem aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 29.01.2009 – C 19/08 –, Juris-Rn. 44 ff.; OVG Niedersachen, Urteil vom 04.07.2012 – 2 LB 163/10 – Juris-Rn. 36 m.w.Nw.). Vorliegend hatte der Senat noch vor Ablauf der Frist der Beklagten untersagt, den Kläger nach Italien abzuschieben.
II.
- 36
Es besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO.
- 37
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die mittlerweile ihren Niederschlag in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO gefunden hat, kann ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen. Das ihm insofern eingeräumte Ermessen ist nämlich Teil des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats und stellt ein Element des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dar. Bei der Ermessensausübung führt der Mitgliedstaat daher Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Europäischen Grundrechtscharta, aber auch der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 18 der Charta und Art. 78 AEUV). Die Mitgliedstaaten haben bei der Ausübung ihres Ermessens diese Grundsätze daher zu beachten (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011-0000, Rn. 68 ff.).
- 38
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (sogenanntes Prinzip gegenseitigen Vertrauens beziehungsweise normativer Vergewisserung, vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 15.05.1996, 2 BvR 1938/93, Juris-Rn. 179 ff.). Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
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Allerdings berührt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat das in der Dublin-II- bzw. Dublin-III-Verordnung niedergelegte Zuständigkeitssystem. Der Europäische Gerichtshof macht deutlich, dass nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel steht (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 83). Das Zuständigkeitssystem ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs deshalb nur dann auszusetzen, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 78 bis Rn. 106).
- 40
Anhaltspunkte dafür, wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzunehmen ist, lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK entnehmen, der mit Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta übereinstimmt. In seinem Urteil vom 21. Januar 2011 hat der Gerichtshof eine Überstellung nach Griechenland als nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar angesehen, da die systematische Unterbringung von Asylbewerbern in Haftzentren ohne Angabe von Gründen eine weit verbreitete Praxis der griechischen Behörden sei. Es gebe auch zahlreiche übereinstimmende Zeugenaussagen zu überfüllten Zellen, Schlägen durch Polizisten und unhygienischen Bedingungen in dem Haftzentrum neben dem internationalen Flughafen von Athen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer monatelang in extremer Armut gelebt habe und außer Stande gewesen sei, für seine Grundbedürfnisse - Nahrung, Hygieneartikel und eine Unterkunft - aufzukommen. Er sei über Abhilfemöglichkeiten nicht angemessen informiert worden und habe in der ständigen Angst gelebt, angegriffen beziehungsweise überfallen zu werden (Urteil vom 21.01.2011, M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, Beschwerde-Nr. 30696/09, Rn. 226 und Rn. 254 ff.).
- 41
Der Senat kommt nach Auswertung der vorliegenden Gutachten, Auskünfte und Berichte und unter Würdigung des Vortrags des Klägers zu dem Ergebnis, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, auf Grund derer dem Antragstellers nach seiner Rückführung eine menschenunwürdige Behandlung droht (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, OVG Nds, Beschluss vom 30.01.2014 - 4 LA 167/13 - und vom 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2013 - OVG 3 S 40.13 - und vom 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 21.01.2014 - 3 B 6802/13 -; VG Regensburg, Beschluss vom 18.12.2013 - RN 6 S 13.30720 -; VG Ansbach, Beschluss vom 18.09.2013 - An 2 K 13.30675 -; VG Meiningen, Urteil vom 26.06.2013 - 5 K 20096/13 Me -; VG Lüneburg, Urteil vom 04.06.2013 - 6 A 176/11 - (n.V.); VG Augsburg, Beschluss vom 19.12.2012 - Au 6 E 12.30377 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2012 - 6 L 1480/12.A -; VG Osnabrück, Urteil vom 02.04.2012 - 5 A 309/11 - (n.V.) a.A. OVG NRW, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -; VG Gießen, Urteil vom 25.11.2013 - 1 K 844/11.GI.A -; VG Schwerin, Beschluss vom 13.11.2013 - 3 B 315/13 As -; VG Frankfurt, Urteil vom 09.07.2013 - 7 K 560/11.F.A. -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.05.2013 - 5a L 547/13.A -; VG Köln, Beschluss vom 07.05.2013 - 20 L 613/13.A, soweit veröffentlicht zitiert nach Juris).
- 42
Italien verfügt über ein planvolles und ausdifferenziertes Asylsystem (a). Dieses System leidet zwar an Mängeln (b), nicht aber an systemischen Mängel (c). Das gilt auch für Personen mit Schutzstatus (d).
- 43
(a) Zunächst ist festzuhalten, dass Italien über ein planvolles und ausdifferenziertes Aufnahmesystem für Asylbewerber verfügt, das in zwei Phasen gegliedert ist. Nach Stellung des Asylantrags ist die Unterbringung in Aufnahmezentren für Asylsuchende, den sogenannten CARA (Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo) vorgesehen. Die maximale Aufenthaltsdauer dort soll grundsätzlich 35 Tage betragen. Daneben gibt es noch Aufnahmeeinrichtungen für Migranten, die keine Asylsuchenden sind, die so genannten CDA (Centri di Accoglienza). Diese werden in der Praxis ebenfalls für die Erstaufnahme von Asylsuchenden verwendet. In der zweiten Phase sollen die Antragsteller in einer Einrichtung des Aufnahmesystems SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati) untergebracht werden. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von Unterkünften, das auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Gemeinden und verschiedenen NGOs basiert. Die SPRAR-Projekte umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche. Die Aufenthaltsdauer im einem SPRAR beträgt normalerweise 6 Monate und kann bis zu einem Jahr verlängert werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 ff.).
- 44
Endet das Asylverfahren mit der Zuerkennung eines Schutzstatus, werden den Schutzsuchenden Aufenthaltsberechtigungen („permessi die soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien formal dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige. Sie haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt und kostenfreien Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Freiburg vom 11.07.2012). In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden sie nicht mehr aufgenommen. In Einrichtungen des SPRAR können sie Unterkunft finden, sofern sie die vorgesehene maximale Aufenthaltsdauer noch nicht ausgeschöpft haben und ein Platz frei ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 und S. 25; borderline-europe e.V., Gutachten zum Beweisbeschluss des VG Braunschweig vom 28.09.2012, S. 50).
- 45
(b) In der Praxis litt - und leidet - das italienische Aufnahmesystem an Mängeln. Die Berichtslage zeigt übereinstimmen, dass es insbesondere auf die sehr hohen Antragszahlen in den Jahren 2008 und 2011 nicht ausreichend vorbereitet war (Bethke & Bender, Zur Situation von Flüchtlingen in Italien - Bericht über die Recherchereise nach Rom und Turin im Oktober 2010 -; Schweizer Flüchtlingshilfe/Juss-Buss: Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und „Dublin-Rückkehrern“, Bericht vom Mai 2011; borderline-europe/Judith Gleitze: Zur Lage von Asylsuchenden und „Dublin-Rückkehrern“, Stellungnahme vom Dezember 2012; Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Darmstadt vom 29.11.2011 und an VG Braunschweig vom 09.12.2011). In der Folge verlängerten sich die Verfahrenszeiten deutlich über die vorgesehenen Fristen hinaus. Die zeitliche Lücke zwischen der Stellung des Asylantrags und dessen formeller Registrierung (verbalizzazione) führte zu der Gefahr der Obdachlosigkeit, da in der Praxis Zugang zu den Erstaufnahmeeinrichtungen erst ab dem Zeitpunkt der Registrierung gewährt wurde (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 12). Zudem waren die Aufnahmekapazitäten der staatlicherseits zur Verfügung gestellten Plätze überlastet. Für Personen mit Schutzstatus bedeutete dies, dass sie Schwierigkeiten hatten, im SPRAR-Aufnahmesystem unterzukommen, auch wenn sie die maximale Verweildauer noch nicht ausgeschöpft hatten. Hinzu kam die wirtschaftliche schwierige Lage, in der sich auch Italien nach der Wirtschaftskrise befand und noch befindet. Nach den Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe lebt vor allem in Rom eine ganz erhebliche Zahl von Asylbewerbern und Personen mit Schutzstatus (die Schätzungen sprechen von 1.200 bis 1.700) in Slums oder besetzten Häusern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, a.a.O., S. 36).
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(c) Diese Mängel begründen aber keine systemischen Mängel im oben dargestellten Sinne. Dabei versteht der Senat unter systemischen Mängeln solche, die entweder bereits im System selbst angelegt sind und von denen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar betroffen sind oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem faktisch in weiten Teilen funktionsunfähig wird. Nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die systembedingten Missstände von den italienischen Behörden angegangen werden und sich die Situation deshalb verbessert hat und aller Voraussicht nach weiter verbessern wird. Außerdem ist festzustellen, dass die Zustände punktuell, aber nicht flächendeckend unzureichend sind, so dass nicht davon gesprochen werden kann, dass das Asyl- und Aufnahmesystem faktisch außer Kraft gesetzt ist.
- 47
Ein im System angelegter Mangel ist die Tatsache, dass der Zugang zum Erstaufnahmesystem offensichtlich von der Registrierung (verbalizzazione) abhängt und dies bei einer Verzögerung des Verfahrens zur Obdachlosigkeit führen kann. Allerdings hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 eine Weisung herausgegeben, wonach die Registrierung zeitlich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Auch die Überlastung des Aufnahmesystems nimmt Italien nicht tatenlos hin. Auf die hohen Asylbewerberzahlen im Jahr 2011 reagierte das Land zunächst mit einem Notstandskonzept, bei dem unter Führung des Zivilschutzes (Protezione Civile) Aufnahmestrukturen in der Größenordnung von 26.000 Plätzen bereitgestellt wurden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; UNHCR an VG Braunschweig, S. 3; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 9). Daneben wurden und werden die Plätze, die im SPRAR-Projekt zur Verfügung stehen, in erheblichem Umfang aufgestockt (siehe zur Bedeutung dieser Plätze für das Aufnahmesystem den Report von Nils Muižnieks, Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, 18.09.2012, Abs. 152). Standen ursprünglich 3.000 Plätze zur Verfügung, waren es Anfang Juni 2013 bereits 4.800 Plätze, wobei hierzu auch bereits vorhandene Unterkunftsplätze gezählt wurden, die um die im SPRAR-System vorgesehen Integrationsleistungen ergänzt wurden. Aufgrund eines im September 2013 erlassenen Dekrets des Innenministeriums soll die Kapazität im Zeitraum 2014 bis 2016 nochmals auf insgesamt 16.000 Plätze erhöht werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Außerdem wurde ein neues Informatiksystem „Vestanet“ eingeführt, das ebenfalls zu einer Verbesserung des Verfahrens beitragen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). In seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig vom 24. April 2012 hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannt, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben. Gleiches gilt für die Auskunft des Auswärtige Amtes vom 21. Januar 2013 an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt.
- 48
Der Senat geht außerdem davon aus, dass die aufgezeigten Missstände in bestimmten Städten und Regionen auftreten, die Funktionsfähigkeit des Asyl- und Aufnahmesystems aber nicht insgesamt in Frage stellen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Aufklärungsreisen die Problemschwerpunkte in den Blick nehmen (so ausdrücklich der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe mit Schwerpunkt Rom und Mailand, S. 1; in der Sache nicht anders der Bericht von Maria Bethke & Dominik Bender mit Schwerpunkt Rom und Turin; Gutachten von borderline-europe e.V. mit Schwerpunkt Rom und Sizilien). Diese Situationen sind aber nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar. So geht der UNHCR, dessen Dokumente bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften von besonderer Relevanz sind (vgl. EuGH, Urteil vom 30.05.2013 - C-528/11 - Rn. 44), in seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig davon aus, dass die CARA, CDA und SPRAR-Projekte in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl an Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR an VG Braunschweig vom 24. April 2012, S. 3). Anders als im Falle Griechenlands oder jüngst Bulgariens (UNHCR Briefing Notes vom 03.01.2014) hat der UNHCR bislang in keiner seiner Stellungnahmen eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten ausgesprochen, Überstellungen nach Italien nicht mehr vorzunehmen (siehe zuletzt UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, July 2013). Auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes sprechen gegen die Annahme eines systemischen Mangels des italienischen Asylsystems. Sie basieren auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR und UNHCR in Rom, grenzpolizeilicher Verbindungsbeamter der Bundespolizei im italienischen Innenministerium, Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Landesamtes ISTAT, Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen sowie Informationen des SPRAR und sind daher geeignet, einen Überblick über die Situation im Land zu geben. Nach der Auskunft an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt konnten seinerzeit (Januar 2013) alle Asylbewerber und Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden. Gegebenenfalls gebe es lokale und regionale Überbelegungen, italienweit seien aber genügen Plätze vorhanden. Insbesondere in Norditalien seien die Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Zusätzlich zu den staatlichen/öffentlichen Einrichtungen gebe es kommunale und karitative Einrichtungen, so dass meist ein Unterbringungsplatz in der Nähe gefunden werden könne. Es sei nicht davon auszugehen, dass Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz fänden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos auf der Straße oder in Elendsquartieren leben müssten.
- 49
(d) Mit Blick auf den hier vorliegenden Fall ist weiter festzuhalten, dass sich aus der Auskunftslage auch keine systemischen Mängel für Personen ergeben, denen bereits ein Schutzstatus zugesprochen wurde. Die mit der Anerkennung verbundene Erteilung eines Aufenthaltsrechts (permession di soggiorno) bedeutet in der Praxis, dass sich die Personen mit Schutzstatus grundsätzlich selbst um eine Unterkunft und eine Arbeit kümmern müssen. Sie können nicht mehr in CARA unterkommen, da diese nur Asylbewerbern offenstehen. Sie können sich aber für Plätze im SPRAR-System bewerben, sofern sie die maximale Verweildauer noch nicht überschritten haben. Tatsächlich wird eine große Zahl der Plätze im SPRAR-System von Personen mit Schutzstatus belegt. Allerdings bestehen zum Teil lange Wartezeiten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Hier dürfte die geplante Ausweitung der SPRAR-Plätze eine deutliche Entlastung bringen. Daneben bieten die Gemeinden Unterkünfte an. Jedenfalls in Rom betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen solchen Platz allerdings drei Monate und in Mailand einen bis drei Monate (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27 und S. 30). Schließlich können sich Personen mit Schutzstatus, die keine Unterkunft finden, an kirchliche Organisationen und Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas oder das Consiglio Italiano per i Rifugiati wenden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 an das OVG des Landes Sachsen-Anhalt). Verlässliche Zahlen, wie viele Schutzberechtigte von keiner dieser Möglichkeiten Gebrauch machen können und letztlich obdachlos werden, fehlen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist im Regelfall oder gar überwiegend aber nicht davon auszugehen, dass Flüchtlinge in Italien beziehungsweise Rückkehrer nach der Dublin-II-Verordnung dort unter Verhältnissen leben müssen, welche man gemeinhin als „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (Betteln, Leben auf der Straße etc.)“ bezeichnen könne. Hierbei handle es sich eher um Einzelfälle (Auswärtiges Amtes an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 50
In Italien gibt es auch für italienische Staatsangehörige kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Lebensunterhaltssicherung vor dem 65. Lebensjahr. Die Zuständigkeit für die Festsetzung von Sozialhilfeleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen wird die Höhe des Sozialgeldes durch die Kommune festgesetzt. Öffentliche Fürsorgeleistungen weisen daher deutliche Unterschiede je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft auf (Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Fall; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 48).
- 51
Auch wenn sich die Situation damit deutlich schlechter und unsicherer darstellt als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet dies für sich genommen keinen systemischen Mangel. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht verpflichte, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Die Norm enthalte auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmen Lebensstandard zu bieten. Ausländer, die von einer Ausweisung betroffen seien, gewähre die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt werde. Wenn keine außergewöhnlichen zwingenden humanitären Gründe vorlägen, die gegen eine Ausweisung sprächen, sei allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Antragstellers bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie ausgewiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMR zu begründen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, a.a.O. Rn. 70 f.).
- 52
Keine systematischen Mängel bestehen schließlich auch im Hinblick auf den Zugang zum Gesundheitssystem. Personen mit Schutzstatus sind in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim Nationalen Gesundheitsdienst ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Behandlung bei einem praktischen Arzt, Kinderarzt, in Ambulanzen und zur Aufnahme in ein Krankenhaus berechtigt. Hierzu benötigen Schutzberechtigte den Aufenthaltstitel, die Steuernummer sowie eine feste Adresse. Personen ohne festen Wohnsitz können sich zumindest in Rom unter Sammeladressen karitativer Einrichtungen melden, die von den Behörden akzeptiert werden. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten. Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (Auswärtiges Amt an OVG des Landes Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 53
(e) Die Einschätzung, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, wird durch die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt. In seinem Beschluss vom 2. April 2013 hat er die Überstellung der dortigen Beschwerdeführerin, der - wie dem Kläger - in Italien bereits ein Schutzstatus zugesprochen worden war, mit Art. 3 EMRK für vereinbar gehalten. Dabei hat er - neben der konkreten Situation der Antragstellerin - eine Vielzahl von Stellungnahmen sowie Berichten von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen über die generelle Situation in Italien ausgewertet. Er kommt nach ausführlicher Würdigung der festzustellenden Mängel - und keineswegs nur unter Bezug auf den ihm vorgelegten konkreten Sachverhalt - zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, Rn. 70 ff., in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 336, besprochen von Thym in ZAR 2013, 331; siehe auch Hailbronner, AuslR, Dezember 2013, § 34a Rn. 29 f.; ebenso Beschluss vom 18.06.2013, Halimi gegen Österreich und Italien, Rn. 68, in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 338). Diese Einschätzung hat er jüngst nochmals ausdrücklich bestätigt (Beschluss vom 10.09.2013 - Nr. 2314/10 -, Hussein Diirshi u.a. gegen Niederlande und Italien, zitiert nach HUDOC).
- 54
(f) Es sind auch keine besonderen Umstände des Einzelfalles ersichtlich, die befürchten ließen, dass gerade dem Kläger in Italien eine mit Art. 4 der Grundrechtecharta nicht vereinbare Behandlung drohen würde. Er leidet insbesondere nicht an außerordentlich schweren oder seltenen Krankheiten, deren Behandlung in Italien nicht möglich erschiene. Nach seiner Schilderung bekam er in Italien in Notfallsituationen zumindest Schmerzmittel verabreicht. Die Probleme bei einer weiterführenden Behandlung resultierten offenbar daraus, dass er mangels festen Wohnsitzes keine Gesundheitskarte beantragt hat. Dem hätte der Kläger nach der Auskunftslage aber zumindest in Rom dadurch abhelfen können, dass er sich bei einer gemeinnützigen Organisation eine fiktive Meldeadresse hätte geben lassen. Aus den Angaben des Klägers lässt sich außerdem schließen, dass er noch keinen Platz im SPRAR-System beansprucht hat. Damit steht ihm nach seiner Rückkehr die Möglichkeit offen, sich für einen solchen Platz zu bewerben. Auf die von dem Kläger zuletzt aufgeworfene Frage, ob die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013 zutrifft, nach der alle im Rahmen der Dublin-Verordnung zurückgeführten Personen von der Questura in eine Unterkunft verteilt werden, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Auskunft dürfte sich auf Personen ohne Schutzstatus bezogen haben, die - wie oben dargestellt - ohnehin einem anderen Aufnahmeregime unterfallen.
III.
- 55
Die Abschiebungsanordnung ist nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist der Fall, nachdem Italien seine Zuständigkeit akzeptiert hat und der Abschiebung keine relevanten Hindernisgründe entgegenstehen.
IV.
- 56
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
- 57
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
- 58
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen. Streitentscheidend ist vorliegend die Würdigung der tatsächlichen Umstände in Italien.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. Juni 2014 - A 7 K 880/14 - geändert, soweit es der Klage stattgegeben hat.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Gründe
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Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben am
Den Erkenntnissen des Bundesamtes zufolge (EURODAC-Treffer vom
Mit Bescheid vom
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Der Abtragsteller habe vorgebracht, dass er in Deutschland einen Bruder, zwei Onkel und eine yezidische Gemeinde habe. Bei diesen Verwandten handele es sich jedoch nicht um Familienangehörige im Sinne der Dublin III-VO. Der Antragsteller habe nichts vorgetragen, was die Annahme begründen könnte, dass eine Familieneinheit wiederherzustellen sei.
Zur Begründung wird insgesamt auf den Bescheid Bezug genommen.
Mit einem am
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass das Asylverfahren in Ungarn mit systemischen Mängeln behaftet sei, so dass die Bundesrepublik Deutschland für das Verfahren zuständig sei. Der Kläger habe in Ungarn keinen Asylantrag gestellt. Es sei von den dortigen Behörden lediglich erkennungsdienstlich behandelt worden.
Eine Vielzahl deutscher Gerichte erkenne an, dass systemische Mängel in Deutschland vorlägen. Insbesondere wird in der Klagebegründung Bezug genommen auf einen Beschluss des VG Berlin
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 28. Januar 2016 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheids überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klage des Antragstellers wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Art. 18 Abs. 1b Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz und für die Wiederaufnahme des Antragstellers zuständig ist. Ungarn hat auf das am 8. Oktober 2015 vom Bundesamt erstellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers innerhalb der zweiwöchigen Frist des Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO nicht geantwortet, so dass die Stattgabe des Wiederaufnahmegesuchs am 23. Oktober 2015 fingiert wurde, Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO. Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Wiederaufnahme akzeptiert hat bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen. Die Frist für die Überstellung begann am 24. Oktober 2015 und endet am 25. April 2016, da das reguläre Fristende, der 23. April 2016, auf einen Samstag fällt, § 31 VwVfG, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 193 BGB.
Die Frist von zwei Monaten, die Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO der Bundesrepublik Deutschland für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs einräumt, beginnt mit der EURODAC-Treffermeldung nach Art. 9 Absatz 5 der Dublin III-VO zu laufen. Diese erfolgte hier per E-Mail am 11. August 2015 (Blatt 59 der Behördenakte) und lief demzufolge am 11. Oktober 2015 ab, §§ 31 VwVfG, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Das Ersuchen der ungarischen Behörden um Wiederaufnahme vom 8. Oktober 2015 geschah damit fristgemäß.
Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe in Ungarn keinen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Denn bei den Vorschriften der Dublin III-Verordnung handelt es sich überwiegend um Normen, die die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regeln und dem Antragsteller gerade kein subjektives Recht darauf einräumen, dass sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedsstaat durchgeführt wird (vgl. Beck´scher Online-Kommentar AuslR, Kluth/Heusch, Stand 1.5.2015, Rn. 29 und 30 zu § 27a AsylVfG). Entscheidend ist, dass Ungarn aufgrund der der o.g. Regelungen der Dublin III-Verordnung für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig geworden ist.
Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Auslegung der Dublin III-Verordnung, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, U. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10
Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EuGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An diesen in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2015 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 709 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedsstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass es während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegen defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW a. a. O.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedsstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedsstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedsstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14, juris).
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedsstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedsstaat besondere Relevanz zu.
Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Lagebericht zum Mitgliedstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016; Stellungnahme des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission vom 30. Oktober 2015 an das Verwaltungsgericht Köln; Human Rights Watch vom 1. Dezember 2015, Hungary: Locked Up for Seeking Asylum, abrufbar unter http://www.refworld.org/country,,,,HUN,,566a8a684,0.html; Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu den Änderungen des ungarischen Asylrechts vom 7. August 2015, abrufbar unter http:/helsinki.hu/wpcontent/uploads/HHC-HU-asylumlawamendment-2015-Augustinfonote.pdf; Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://milo.bamf.de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand November 2015, abrufbar unter http://www.refworld.org/country,,,,HUN,,56652db64,0.html; AIDA (Asylum Information Database), Crossing Boundaries, Oktober 2015, abrufbar unter http://ecre.org/component/downloads/downloads/1056; Bericht von bordermonitoring.eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://bordermonitoring.eu; Amnesty International Juli 2015: „Europe’s Borderlands - Violations against refugees and migrants in Macedonia, Serbia and Hungary“, abrufbar unter http://www.amnestyusa.org/research/reports/europesborderlandsviolationsagainstmigrantsandrefugeesinmacedoniaserbiaandhungary; Amnesty International zur Lage der Flüchtlinge in Ungarn Oktober 2015 :“Fenced out-Hungary’s violations of the rights of refugees and migrants“, abrufbar unter http://www.amnesty.org/en/documents/eur27/2614/2015/en/; UNHCR: „Europe’s refugee emergency response update #20, 22. - 28. Januar 2016, abrufbar unter http://www.refworld.org/country,,,,HUN,,56bd9f1a4,0.html;) jedenfalls für die Person des Antragstellers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.
Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns zwar dahingehend verändert, als erneut weitgehende Inhaftierungsgründe für Asylbewerber geschaffen wurden. Diese Rechtsänderungen wurden hinsichtlich der Unbestimmtheit der Haftgründe sowie hinsichtlich der unzureichenden Rechtsbehelfe gegen die Inhaftierung verschiedentlich kritisiert (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Commiittees a. a. O.; Ungarn Länderbericht des AIDA a. a. O.; UNHCR vom 9.5.2014 a. a. O.). Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung nicht verlässlich vorliegen. Es zu konstatieren, dass der UNHCR - abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf - bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, B. v. 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, U. v. 30.5.2013 - C 528/11 - NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu (so auch der Juristische Dienst der Europäischen Kommission, vgl. Stellungnahme des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission vom 30. Oktober 2015 an das Verwaltungsgericht Köln). Der Auffassung, die z. B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im
Auch wenn die Inhaftierungsregelungen und -praxis in Ungarn in der Rechtsprechung zur Annahme systemischer Mängel führen (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 - M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 - A 5 K 972/14 - juris; VG München, B. v. 26.6.2014 - M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 - 14 L 1786/14.A - VG Düsseldorf, B. v. 16.6.2014 - 13 L 141/14.A - jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 - M 15 S 15.50160 - juris; VG Berlin, B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - juris; VG Bremen, B. v. 1.4.2015 - 3 V 145/15
Die Zahlen lassen aber den Rückschluss darauf zu, dass Menschen aus anerkennungsträchtigen Herkunftsländern deutlich seltener mit der Anwendung von Asylhaft rechnen müssen. Im Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2015 wurden nach den Angaben des Auswärtigen Amtes 492 Personen in Asylhaft genommen, das sind 0,7% aller Asylantragssteller. Asylhaft wird nur nach Einzelfallprüfung und dann angeordnet, wenn kein milderes Mittel möglich ist.
Die Haftplätze waren im September 2015 nicht alle belegt, was trotz der hohen Flüchtlingszahlen für einen maßvollen Umgang der ungarischen Behörden mit dem Instrument der Asylhaft spricht. Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, U. v. 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, U. v. 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 - 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).
Hinsichtlich der Anwendung der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage, wonach Serbien nun sicherer Drittstaat sei, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt würden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, ergibt sich nichts anderes. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, Mängel in o.g. Qualität im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen.
Es liegen derzeit keine auf Tatsachen beruhenden Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer systematisch von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Tatsächlich lehnt Serbien derzeit die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ab, da aus serbischer Sicht nicht nachgewiesen werden könne, dass die Antragsteller tatsächlich über Serbien nach Ungarn eingereist seien (vgl. Lagebericht zum Mitgliedstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016).
Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (VG Düsseldorf, B. v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A-, juris; VG Oldenburg, U. v. 2.11.2015, a. a. O.; VG Augsburg, B. v. 23.10.2015 - Au 5 S 15.50405-, bislang unveröffentlicht; VG Arnsberg, B. v. 4. November 2015 - 6 L 1406/15.A, bislang unveröffentlicht und
Hinsichtlich der vielfach kritisierten Asylhaft ist anzumerken, dass die meisten Asylbewerber, die - wie der Antragsteller - über die sogenannte Balkanroute in die EU einreisen, Ungarn erklärtermaßen als Transitland betrachten und dort keinen Asylantrag stellen wollen.
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie im Falle einer Rückführung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens dort in Asylhaft genommen werden, da die ungarischen Behörden ihre wiederholte Ausreise befürchten müssen und eine Inhaftierung zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens notwendig erscheint. Die im ungarischen Asylgesetz genannten Haftgründe sind insoweit auch nachvollziehbar.
Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzung kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O.). Tatsächlich bestehen in den Hafteinrichtungen, sollte es im Einzelfall zur Inhaftierung kommen, menschenwürdige Bedingungen. Beispielsweise findet regelmäßig eine medizinische Betreuung statt, teilweise arbeiten dort Sozialpädagogen und besteht die Möglichkeit der freien Bewegung sowie Sport zu betreiben (Lagebericht zum Mitgliedstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016).
Auch die derzeit in vielen Ländern der EU anzutreffenden Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge stellen für sich keinen systemischen Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VP dar. Denn hierbei handelt es sich um rein tatsächliche Probleme, die der unerwartete Zustrom so vieler Menschen mit sich bringt (a.A. VG Augsburg, B. v. 23.10.2015, a. a. O.).
Da der Antragsteller auch keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie) angehört, kann er einer Überstellung nach Ungarn somit nicht damit entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedsstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen würde (vgl. VG Köln, B. v. 28.4.2015 - 17 L 1024/15.A - juris; VG Ansbach, B. v. 16.4.2015 - AN 4 K 14.30119).
Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig. Im Übrigen wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 28. Januar 2016 Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83a AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 15. Mai 2015 bei Gericht gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 3710/15.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. April 2015 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet.
5Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
6Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil Ungarn für dessen Prüfung zuständig ist. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
7Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat ist (I.). Auch steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Überstellung des Antragstellers nach Ungarn durchgeführt werden kann (II.).
8I. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß ihrem Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, also auch auf den Asylantrag des Antragsteller vom 15. Dezember 2014.
9Nach den Vorschriften der Dublin III-VO ist Ungarn der zuständige Staat für die Prüfung dieses Asylantrags.
10Der Antragsteller hat ausweislich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 5. Januar 2015 bereits am 8. November 2014 in Ungarn einen Asylantrag gestellt. Ungarn hat auf das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 29. Januar 2015 unter dem 5. Februar 2015 seine Bereitschaft zur Übernahme des Antragstellers erklärt. Ungarn ist daher gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO grundsätzlich verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Wiederaufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
11Lediglich vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass sich der Antragsteller auf einen etwaigen Verstoß gegen diese Fristenregelung auch nicht berufen könnte, da die Vorschrift ihm kein subjektives Recht einräumt.
12Vgl. hierzu ausführlich Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014– 13 K 8286/13.A –, juris.
13Dem Antragsteller bleibt es unbenommen, sich freiwillig bei den zuständigen Behörden in Ungarn zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. Dies betreffend regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, die ausweislich der der Dublin III-VO vorangestellten Erwägungen (Nr. 24) entsprechend anwendbar ist, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
14Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
15Hat es der Asylbewerber folglich selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgt und dass sie überhaupt erfolgt, kann er mithin selbst zu der von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet schon der allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abgeleitete – Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“), sich auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland zu berufen.
16II. Es steht auch zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts fest, dass die Abschiebung im Sinne von § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG durchgeführt werden kann. Weder leidet das ungarische Asylsystem an systemischen Mängeln (1.) noch fehlt es an der erforderlichen Übernahmebereitschaft Ungarns (2.).
171. Es liegen keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Ungarns eine Verpflichtung der Antragsgegnerin begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Antragsteller nach Ungarn abzuschieben.
18Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die Dublin‑Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
19vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
20Die Antragsgegnerin ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO zugunsten des Antragstellers – gehindert, diesen nach Ungarn zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen (vgl. Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO). Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
21EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
22der Fall wäre, liegen nicht vor.
23Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 20. März 2015 – 13 K 501/14.A und 13 K 445/14.A –, zur Veröffentlichung bei juris und www.nrwe.de vorgesehen.
24Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
25EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
26Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
27EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
28Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
30Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
31vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
32Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Antragsteller vor der Ausreise aus Ungarn dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben, über den materiell noch nicht entschieden worden ist.
33Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
34vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
35Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist,
36vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, juris, Rn. 44.
37Für die Frage, ob in Ungarn „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegen, kommen dabei allerdings vorliegend von vorne herein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind,
38vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 – 2283/12 –, juris, Rn. 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net.
39Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention – eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft – in das Asylrecht aufgenommen.
40Der EGMR, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
41vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris, Rn. 32,
42und dessen Rechtsprechung maßgeblich für die Auslegung der Menschenrechte der EMRK ist, hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage verneint. Zur Begründung führte er aus:
43„The country reports showed that there is still a practice of detaining asylum-seekers, and that so-called asylum detention is also applicable to Dublin returnees. The grounds for detention are vaguely formulated, and there is no legal remedy against asylum detention. However, the reports also showed that there is no systematic detention of asylum-seekers anymore, and that alternatives to detention are now provided for by law. The maximum period of detention has been limited to six months. Turning to the conditions of detention, it is noted that while there are still reports of shortcomings in the detention system, from an overall view there seem to have been improvements.
44Moreover, the Court notes that the UNHCR never issued a position paper requesting EU member States to refrain from transferring asylum‑seekers to Hungary under the Dublin II or Dublin III Regulation (compare the situation relating to Greece discussed in M.S.S. v. Belgium and Greece, cited above, § 195, and the UNHCR recommendation of 2 January 2013 to halt transfers to Bulgaria).
45Under those circumstances and as regards the possible detention of the applicant and the related complaints, the Court concludes that in view of the recent reports cited above, the applicant would currently not be at a real and individual risk of being subjected to treatment in violation of Article 3 of the Convention upon a transfer to Hungary under the Dublin Regulation.”
46EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68 bis 70.
47Soweit der EGMR mit Urteil vom 10. März 2015 (14097/12, 45135/12, 73712/12, 34001/13, 44055/13, 64586/13) Ungarn wegen der Überfüllung seiner Gefängnisse zu einer Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 3.400 bis 26.000 Euro verurteilt hat, weicht er nicht von seiner vorstehend genannten Entscheidung ab. Denn der EGMR hat sich in dieser Entscheidung mit den Haftbedingungen in Strafhaftanstalten beschäftigt. Hingegen erfolgt die Inhaftierung von Asylbewerbern – wie noch weiter ausgeführt werden wird – in getrennten Haftanstalten, in denen keine vergleichbaren Verhältnisse herrschen.
48Auch das erkennende Gericht vermag nach Auswertung der im vorliegenden Verfahren eingeholten aktuellen Auskünfte des UNHCR, des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl – welche dem EGMR bei seiner Entscheidung nicht vorlagen – nicht festzustellen, dass der Antragsteller Gefahr liefe, nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen:
49Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK normieren das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
50EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
51Eine Behandlung in diesem Sinne kann nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme zumindest nicht positiv festgestellt werden.
52Zwar hat sich nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestätigt, dass Dublin-Rückkehrer flächendeckend – so der UNHCR – bzw. regelmäßig – so Pro Asyl – inhaftiert werden.
53Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 3, Seite 2; Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 3 b), Seite.
54Indes begründet die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 – wieder – Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage praktisch alle Dublin-Rückkehr – so der UNHCR – bzw. regelmäßig, allerdings nicht sämtliche Dublin-Rückkehrer – so Pro Asyl – inhaftiert, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Vielmehr verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
55Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn. 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
56Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards, zu denen auch die Benennung von Haftgründen gehört. Anhaltspunkte dafür, dass diese Mindeststandards ihrerseits nicht genügen, um die Asylbewerber vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu schützen, liegen dem Gericht nicht vor. Danach darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, im Falle notwendiger Beweissicherung, insbesondere bei Fluchtgefahr, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
57Dahingestellt bleiben kann, wann ein Verstoß gegen diese Mindeststandards die Annahme systemischer Mängel indiziert, da die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern (Act LXXX of 2007 on Asylum, im Folgenden: Asylum Act Hungary) den vorstehend genannten Vorgaben im Wesentlichen gerecht werden:
58Gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary darf eine Inhaftierung nicht alleine deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Artikel 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstabe c). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden; Familien mit Minderjährigen dürfen nur ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Amtsgericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht in der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist.
59Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden diese Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern – speziell Dublin-Rückkehrern – nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt, liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
60Das Gericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme unter anderem danach gefragt, auf welche konkreten Haftgründe die Inhaftierungen seit dem 1. Juli 2013 gestützt werden (Frage 4).
61Pro Asyl gab an, dass laut dem Hungarian Helsinki Committee (HHC) in der Praxis vor allem der Haftgrund „risk of absconding“ (c) bzw. der Haftgrund „risk of absconding“ in Verbindung mit „establishment of identiy“ (a) Anwendung finde. Weiterhin würden Inhaftierungen auf dem Haftgrund „previous absconding“ (b) basieren.
62Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 4, Seite 3.
63Bei diesen Haftgründen, welche dazu dienen, einer bestehende Fluchtgefahr zu begegnen oder die Identität des Asylbewerbers festzustellen, handelt es sich um Haftgründe, die den in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL genannten entsprechen. Allerdings hat Pro Asyl im Rahmen der Beantwortung von Frage 9 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des HHC angegeben, dass in der Mehrheit der Haftanordnungen weiterhin auf Gründe verwiesen werde, die nicht unter die im „Asylum Act“ definierten Haftgründe fallen würden. Das HHC führt diesbezüglich auf Seite 6 der „INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“ von Mai 2014 aus, dass viele Entscheidungen verschiedene Umstände und Gründe benennen würden, die oftmals über die zulässigen Haftgründe nach dem Asylum Act Hungary hinausgingen. Beispielsweise genannt werden der unrechtmäßige Aufenthalt, die Einreise auf irreguläre Weise, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und das Fehlen von Verbindungen nach Ungarn. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit die vorstehend genannten Beispiele unter einen der in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL bzw. § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe subsumiert werden können. Zunächst liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, wonach diese Haftgründe auch bei Dublin-Rückkehrern angewandt werden. Sodann bestehen nach dem oben Ausgeführten tragfähige Anhaltspunkte, die die häufige Heranziehung des auch in der AufnahmeRL aufgeführten Haftgrundes der Fluchtgefahr belegen. Schließlich lässt sich jedenfalls nicht allein aus einer etwaigen europarechtswidrigen Annahme eines Haftgrundes ohne weiteres auf das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta schließen. Entscheidend ist vielmehr, dass das ungarische Recht den Asylbewerbern in solchen Fällen ermöglicht, sich gegen eine unrechtmäßige Inhaftierung zu wehren.
64Zwar gibt es gemäß § 31/C Absatz 2 Asylum Act Hungary keine individuellen Rechtsmittel, sondern gemäß Absatz 3 nur die Möglichkeit eines Einspruchs („objection“), gegen die Haftanordnung.
65Vgl auch Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 9 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
66Dahingestellt bleiben kann, inwieweit dieser Rechtsbehelf hinreichenden Rechtschutz zu gewähren vermag. Denn die Asylbewerber haben jedenfalls die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung im Rahmen der von Amts wegen erfolgenden Überprüfung nach 72 Stunden bzw. 60 Tagen vor dem Amtsgericht geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Fristregelungen gegen Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL ‑ der seinerseits keine konkreten Fristvorgaben enthält – verstoßen und/oder diese Vorgaben in der Praxis nicht umgesetzt werden, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die vorgeschriebenen gerichtlichen Haftüberprüfungen nicht geeignet sind, den Asylbewerbern effektiven Rechtschutz zu gewähren. Zwar kritisieren Pro Asyl und der UNHCR, dass es in der Praxis so gut wie nie zu einer Entlassung komme.
67Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 10 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
68Zum einen konnte keine der drei befragten Organisationen verlässliche Auskünfte zu der Frage, wie viele der nach dem 1. Juli 2013 erlassenen Anordnungen von Asylhaft aufgrund der bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten tatsächlich aufgehoben worden sind, geben.
69Vgl. die Antworten des Auswärtigen Amtes, UNHCR und von Pro Asyl zu Frage 12 des Beweisbeschlusses.
70Zum anderen ließe sich allein aus einer geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe auch nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die ungarischen Gerichte keinen effektiven Rechtschutz gewährleisten. Dass derartige Haftprüfungsanträge durch die Gerichte angeblich mit schematisierten Entscheidungen abgelehnt werden und die Verhandlungen nur wenige Minuten dauern, muss nicht bedeuten, dass diese Rechtsbehelfe nicht individuell geprüft würden. Vielmehr kann in Haftsachen, die Massenverfahren darstellen, aus Gründen der Vereinfachung auch eine individuelle richterliche Überprüfung zu einer schematisierten Begründung führen, wenn das Gericht keine besonders begründungsbedürftigen Umstände des Einzelfalles angenommen hat, ohne dass grundlegende rechtsstaatliche Garantien verletzt wären; die Annahme von (fortbestehender) Fluchtgefahr bei Personen, die sich dem Asylverfahren bereits in der Vergangenheit entzogen haben, erscheint dem erkennenden Gericht zumindest nicht unvertretbar.
71Vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 23. September 2014 – W 1 K 14.50050 –, juris, Rn. 37.
72Gleichfalls steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in der Praxis entgegen den Vorgaben des Artikel 8 Absatz 2 AufnahmeRL und § 31/A Absatz 2 Asylum Act Hungary erfolgt. Danach dürfen die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es erforderlich ist, auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
73Zwar spricht vieles dafür, dass die Haftanordnung regelmäßig schematisch erfolgt und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Argumentation unter Abwägung der Rechts- bzw. Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht stattfindet.
74Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 9, Seite 8.
75Indes lässt sich daraus bereits nicht ableiten, dass eine Einzelfallprüfung auch tatsächlich nicht stattgefunden hat. Vielmehr erscheint es dem Gericht nachvollziehbar, dass die Haftanordnungen größtenteils inhaltlich identisch aussehen und von einer individuellen Begründung absehen, da die Haftanordnung bei Dublin Rückkehrern regelmäßig auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt wird. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin-Rückkehr bereits einmal aus Ungarn geflohen sind, erscheint diese Annahme auch nicht willkürlich (s.o.).
76Ungeachtet dessen widerlegt die Tatsache, dass es auch Fälle gibt, in denen die Haftanordnung auch individuelle Einzelheiten berücksichtigt,
77vgl. HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, Seite 6,
78die Annahme der fehlenden individuellen Einzelfallprüfung. Auch spricht für die Durchführung einer Einzelfallprüfung, dass Familien und besonders schutzbedürftige Personen in der Regel nicht inhaftiert werden, obwohl die Inhaftierung dieser Personengruppen ebenfalls rechtlich möglich wäre.
79Vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 6, Seite 6.
80Zudem wird zumindest auch in vereinzelten Fällen von den im ungarischen Recht vorgesehenen Haftalternativen Gebrauch gemacht. Laut dem HHC sei in 13 der 107 untersuchten Haftentscheidungen begründet worden, warum nicht auf Haftalternativen zurückgegriffen worden sei. Im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 17. April 2014 sei in 32 Fällen eine Kaution angeordnet worden. Die Betroffenen seien vorab gefragt worden, ob sie Geld besäßen bzw. jemand Geld schicken könne.
81Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9; dem UNHCR liegen hierzu keine Informationen vor.
82Daraus geht hervor, dass die gesetzlich vorgesehenen Haftalternativen in der Praxis ‑ wenn auch nur in Ausnahmefällen – tatsächlich angewendet werden. Dass die Anzahl von Fällen, in denen eine Kaution angeordnet wurde gering ausfällt überrascht das Gericht nicht, da Flüchtlinge in der Regel nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen werden, um eine Kaution in Höhe von 962,00 und 2.000,00 Euro bezahlen zu können.
83Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9.
84Unter Berücksichtigung der Funktion einer Kaution als eine Sicherheitsleistung, welche nur bei einer gewissen – für den Betroffenen spürbaren – Höhe erfüllt werden kann, bestehen keine Bedenken gegen die geforderte Höhe. Auch spricht der Umstand, dass die Höhe der geforderten Kaution variiert, dafür, dass die Höhe der Kaution im jeweiligen Einzelfall entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Inhaftierten festgesetzt wird.
85Aus den vorstehenden Ausführungen folgt überdies, dass die Haftanordnung in Übereinstimmung mit Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft, die letztlich eine Überprüfbarkeit gewährleisten, ergeht. Diese werden den Asylsuchenden auch verbal übersetzt.
86Vgl. Auskunft Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 zu Frage 1.
87Damit wird dem durch Artikel 5 Absatz 2 EMRK gewährleisteten Recht eines jeden Festgenommenen auf Unterrichtung hinreichend entsprochen. Eine mündliche Unterrichtung genügt insoweit.
88Vgl. Dörr, in: Grote/Marahun, EMRK/GG, S. 574, Rn. 36.
89Auch aus den Erkenntnissen des Gerichts zur Haftdauer lässt sich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Dublin-Rückkehrern ableiten. Vielmehr steht die Rechtslage und tatsächlich gelebte Praxis in Ungarn auch insoweit in Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Laut Auskunft von Pro Asyl beobachtete das HHC in der Vergangenheit, dass die maximale Haftdauer von sechs Monaten in vielen Fällen ausgeschöpft worden sei. Seit Kurzem würden inhaftierte Asylsuchende aus der Asylhaft entlassen, sobald das OIN im „in-merit procedure“ über das Asylgesuch entschieden hat und zwar auch dann, wenn diese Entscheidung negativ ausgefallen sei und der Betroffene Rechtmitte eingelegt habe. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Höchstgrenze der zulässigen Haftdauer überschritten wird.
90vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2 Buchstabe, Seite 2.
91Es erscheint zumindest nicht unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr – bis zu einer Entscheidung über das Asylbegehren bzw. unter Umständen auch nach einer ablehnenden Entscheidung – fortlaufend gegeben ist.
92Vgl. Verwaltungsgericht Stade, Beschluss vom 14. Juli 2014 – 1 B 862/14 –, juris, Rn. 15.
93Hinzu kommt, dass die Inhaftierung von Amts wegen alle 60 Tage überprüft wird (s.o.), die Asylbewerber mithin die Möglichkeit haben, ihre Inhaftierung auf die fortbestehende Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen.
94Schließlich kann das Gericht den aktuellen Auskünften nicht entnehmen, dass die konkreten Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer darstellen.
95Hinsichtlich der Haftbedingungen in den Asylhaftanstalten liegen dem Gericht im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse vor:
96Die Asylhafteinrichtungen seien nicht überbelegt. Die gesetzliche Mindestvorgabe von 5 m² pro Person werde in allen Einrichtungen gewahrt. Asylbewerber könnten sich innerhalb der Hafteinrichtungen zwischen 6 und 23 Uhr frei bewegen. Außerhalb der Einrichtungen, auf dem Weg zum Krankenhaus oder zum Gericht, würden die Asylbewerber hingegen an einer Leine geführt. Zur Freizeitgestaltung gebe es in den Hafteinrichtungen Computerräume mit Internetzugang, Fitnessräume und Gemeinschaftsräume, in denen ein Fernseher stehe. Bezüglich der hygienischen Verhältnisse in den Asylhafteinrichtungen lägen Mängel vor. In Békéscaba hätten einige der Toiletten keine Türen gehabt und einige Wasserhähne würden nicht funktionieren, weshalb der Zugang zu warmen Wasser nicht immer gewährleistet sei. In Nyírbátor habe eine unzureichende Versorgung mit Putzutensilien und Reinigungsmitteln zur Reinigung der Toiletten und Duschen stattgefunden. Der Waschraum im ersten Stock sei permanent dreckig gewesen und würde stinken. Auch sei das Wasser von mangelhafter Qualität gewesen, was zu Hautausschlägen geführt habe. In Debrecen seien Duschen im zweiten Stock häufig verstopft und daher unbenutzbar gewesen. Eine Versorgung mit Lebensmitteln erfolge entsprechend einer Verordnung des Innenministeriums. Religiöse und medizinische Besonderheiten würden in der Regel berücksichtigt. Kritisiert werde aber die schlechte Qualität des Essens. Eine medizinische Grundversorgung werde gewährleistet, auch wenn diese oft als unzureichend empfunden werde. Sanitäter bzw. Krankenschwestern seien permanent anwesend; Allgemeinmediziner würden die Einrichtungen zweitweise besuchen. In schwerwiegenden Fällen könne eine Zuweisung zu den Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems erfolgen. Die Kosten der Behandlung trage der ungarische Staat bzw. seine Gesundheitseinrichtung. In der Aufnahmeeinrichtung Békéscaba werde zudem psychologische Betreuung durch Spezialisten und Psychologen der Cordelia Stiftung gewährt.
97Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 ff.; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19. November 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 15 ff.
98Obschon das Gericht nicht verkennt, dass Defizite in den Haftbedingungen bestehen, erreichen diese jedenfalls nicht das erforderliche Mindestmaß an Schwere, um von systemischen Mängeln in dem geschilderten Sinne ausgehen zu können. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie die Dauer der Behandlung und ihre physischen und psychischen Wirkungen und manchmal das Geschlecht, das Alter und der Gesundheitszustand des Opfers.
99Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – M.S. S./Belgien u. Griechenland, Rn. 219.
100Die vorstehend genannten hygienischen, medizinischen und sonstigen Mängel in den Asylhaftanstalten, insbesondere auch die Vorfälle, in denen Asylbewerber von „armed security guards“ misshandelt worden sind, sind zwar nicht zu vernachlässigen. Indes lässt sich daraus nicht ableiten, dass die inhaftierten Asylbewerber in Ungarn nicht nur vereinzelt sondern gerade systematisch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterliegen. Vielmehr zeigt ein Vergleich mit der früheren Lage in Ungarn, dass zwischenzeitlich weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen eingetreten sind.
101So auch EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68.
102Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren. Auch der Umstand, dass sich die Situation in Ungarn deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel.
103Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 69; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 13 L 58/15.A –, juris, Rn. 43 m.w.N.
104Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der UNHCR – auch nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Inhaftierungspraxis Ungarns infolge der durch das Gericht veranlassten Beweisaufnahme – keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
105So auch Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 26. Januar 2015 – Au 7 S 15.50015 –, juris, Rn. 31.
106Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen des Refoulement-Verbots ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wenn – wie vorliegend – über den Asylantrag des Asylbewerbers noch nicht entschieden worden ist, weil dieser infolge des Verlassens Ungarns während des Asylverfahrens als zurückgenommen gilt.
107Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2, Seite 2 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 20.
108Dass das Asylverfahren des Antragstellers in Ungarn eingestellt worden ist, ohne dass über seinen Asylantrag entschieden worden ist, steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der auf Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe b) Dublin III-VO gestützten Zustimmung Ungarns zur Übernahme des Antragstellers fest. Danach ist ein Mitgliedstaat verpflichtet einen Drittstaatangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.
109Steht nach alldem nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das ungarische Asylverfahren an systemischen Mängeln leidet, geht dieser Umstand – nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast – zu Lasten des Antragstellers. Bereits aus dem eingangs dargestellten Erfordernis, dass sich das Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen muss, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (S. 10),
110BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.14 –, juris, S. 5,
111folgt, dass es zu Lasten des Asylbewerbers geht, wenn das Gericht – wie vorliegend – nicht zu dieser Überzeugungsgewissheit gelangt. Gleiches ergibt sich auch aus der Diktion des EuGH, wonach ein Asylbewerber seiner Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht (Hervorhebung durch das Gericht), die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
112Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 62.
1132. Überdies fehlt es auch nicht an der erforderlichen Übernahmebereitschaft Ungarns. Zwar hat Ungarn unter dem 23. Juni 2015 mitgeteilt, dass es das EU-Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen einseitig außer Kraft setze und bis auf Weiteres keine Flüchtlinge mehr zurücknehme, die aufgrund der Dublin III-VO abgeschoben werden sollen.
114http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-06/ungarn-ruecknahme-stop-fluechtlinge-eu; http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/ungarn-will-keine-fluechtlinge-mehr-aufnehmen-13664323.html; http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-in-europa-ungarn-schottet-sich-ab-1.2534693.
115Insoweit hat Ungarn jedoch schon am Folgetag klargestellt, dass man sich nur weigere, Flüchtlinge aufzunehmen, die andere EU-Staaten irrtümlich nach Ungarn abschieben wollten, wiederaufzunehmen. Es gehe um solche Flüchtlinge, die bei ihrer Flucht als erstes Land Griechenland betreten hätten und daher zu Unrecht nach Ungarn abgeschoben würden.
116http://www.tagesschau.de/ausland/ungarn-fluechtlinge-119.html; http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/dublin-iii-abkommen-ungarn-nimmt-fluechtlinge-weiter-auf-13665801.html.
117Ungeachtet dessen, dass es bereits nicht zutrifft, dass Ungarn für Flüchtlinge, die über Griechenland eingereist sind, nicht zuständig ist, da Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO vielmehr vorsieht, dass der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fortsetzt, wenn es sich – wie im Falle einer Einreise über Griechenland – als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweist, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen, liegen dem Gericht keine Anhaltspunkte dafür, dass Ungarn sich seitdem weigert Dublin-Rückkehrer – und zwar auch solche die über Griechenland nach Ungarn eingereist sind –, deren Aufnahme – wie hier – im Rahmen der Regelungen der Dublin III‑VO bereits ausdrücklich zugestimmt wurde, wiederaufzunehmen. Im Gegenteil: Dem Gericht liegen Erkenntnisse vor, wonach Überstellungen nach Ungarn weiterhin tatsächlich durchgeführt werden, wenngleich die Zahl der Übernahmeersuchen deutlich höher ist als die Zahl der überstellten Personen.
118Vgl. auch Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24. Juli 2015 – 15 L 2370/15.A –, S. 6 des Beschlussabdrucks; http://bordermonitoring.eu/ungarn/2015/06/uebernahmeersuchen-an-ungarn-und-tatsaechliche-ueberstellungen/.
119Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
120Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage, 2 A 353/15, gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Januar 2015 enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen, wird abgelehnt.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Gründe
I.
- 1
Die Ablehnung von Prozesskostenhilfe folgt daraus, dass der Antragsteller bis zur Entscheidung über den Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die gemäß § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2, Abs. 4 ZPO erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorgelegt hat.
II.
- 2
Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 75 Abs. 1, 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage, 2 A 353/15, gegen die Abschiebungsanordnung nach Ungarn im Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Januar 2015 anzuordnen, hat in der Sache keinen Erfolg. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes überwiegt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
- 3
Nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens hat die Antragsgegnerin durch den mit der Klage angefochtenen Bescheid zu Recht die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn angeordnet. Soll der Ausländer, der gemäß § 13 AsylVfG in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, in einen für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß § 27a AsylVfG zuständigen Staat abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Ungarn ist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig (1.). Der Abschiebung nach Ungarn stehen keine Hindernisse entgegen (2.).
- 4
1. Die Zuständigkeit Ungarns i.S.d. § 27a AsylVfG ergibt sich aus der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (v. 26.6.2013 Amtsbl. EU Nr. L 180 S. 31 – Dublin-III-VO).
- 5
Die durch Anhang I Dublin-III-VO aufgehobene Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Unterzeichnerstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Unterzeichnerstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, (v. 18.2.2003, Amtsbl. EG Nr. 50 S. 1 – Dublin-II-VO) findet keine Anwendung, da der Antragsteller nicht vor dem sich aus Art. 49 UAbs. 2 Dublin-III-VO ergebenden Stichtag 1. Januar 2014 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Nach seinen gegenüber der Antragsgegnerin am 23. Dezember 2014 gemachten Angaben hat der am … 1984 in Syrien geborene Antragsteller als staatenloser palästinensischer Volkszugehöriger sunnitischer Konfession sein Herkunftsland am 18. August 2013 verlassen. Ausweislich der Erklärung der ungarischen Behörden vom 13. Januar 2015 hat er in Ungarn am 2. Dezember 2014 einen Asylantrag gestellt.
- 6
Ungarn hat am 13. Januar 2015 gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin-III-VO das Gesuch der Antragsgegnerin vom 6. Januar 2015 um Wiederaufnahme des Antragstellers angenommen. Die gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-VO erklärte Annahme des Wiederaufnahmegesuchs ist für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 27a AsylVfG maßgebend.
- 7
Es kommt nicht darauf an, ob Ungarn vor der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs nach den Regelungen der Dublin-III-VO für den Antrag auf internationalen Schutz zuständig war. Im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung des abgebenden Mitgliedstaats ist nicht zu prüfen, ob der aufnehmende Mitgliedstaat zu Recht seine Zuständigkeit nach der Dublin-III-VO angenommen hat. Für die Aufnahme oder Wiederaufnahme nach der Dublin-III-VO gilt nichts anderes als vormals für die Aufnahme oder Wiederaufnahme nach den Vorgängervorschriften der Dublin-II-VO. Nach der Dublin-II-VO hat der Asylbewerber grundsätzlich kein subjektives Recht darauf, dass sein Asylantrag in einem bestimmten Mitgliedstaat geprüft wird (VGH Mannheim, Beschl. v. 6.8.2013, 12 S 675/13, InfAuslR 2014, 29, juris Rn. 13; VG Hamburg, Urt. v. 15.3.2012, 10 A 227/11, juris Rn. 24; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2010, § 27a AsylVfG Rn. 26 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand November 2013, § 27a Rn. 40).
- 8
Dies bestätigt ein Umkehrschluss zu der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Danach kann in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach der Dublin-II-VO zugestimmt hat, der Asylbewerber dem nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (v. 12.12.2007, ABl. EU Nr. C 303 S. 1 – GR-Charta) ausgesetzt zu werden (EuGH, Urt. v. 10.12.2013, C-394/12, juris Rn. 52 ff. – Abdullahi./.Österreich). Diese Rechtsprechung zur Dublin-II-VO hat ihren Niederschlag im Normtext des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO gefunden. Danach setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III der Dublin-III-VO bestimmten Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GR-Charta mit sich bringen. Wesentliche Gründe für die Annahme einer solchen Gefahr bestehen nach den vorliegenden Umständen nicht. Im Einzelnen:
- 9
Dem durch Art. 4 GR-Charta gewährleisteten Unionsgrundrecht ist gemäß Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GR-Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite verliehen wie dem entsprechenden Recht, das in Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (v. 4.11.1950, BGBl. II 1952 S. 686 – EMRK) völkerrechtlich verbürgt ist. Ebenso wie nach Art. 4 GR-Charta darf nach Art. 3 EMRK niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist die Abschiebung eines Asylbewerbers am Maßstab des Art. 3 EMRK zu prüfen (EGMR, Urt. v. 4.11.2014, Nr. 29217/12, Rn. 93 m.w.N., juris, nichtamtliche auszugsweise Übersetzung unter www.asyl.net – Tarakhel./.Schweiz). Folter, unmenschliche und erniedrigende Behandlung bezeichnen drei Stufen unterschiedlicher Eingriffsintensität (vgl. EGMR, Urt. v. 18.1.1978, Nr. 5310/71, Rn. 162 ff., EuGRZ 1979, 149 – Irland./.Vereinigtes Königreich). Folter ist die vorsätzliche Zufügung großer körperlicher oder seelischer Schmerzen oder Leiden, in der Absicht auf den Willen des Gefolterten oder eines Dritten einzuwirken, um ein Geständnis zu erlangen oder um Dritte zu terrorisieren; eine unmenschliche Behandlung ist die absichtliche Zufügung schwerer physischer oder psychischer Leiden oder Schmerzen, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine ausreichende Schwere aufweisen; eine erniedrigende Behandlung kennzeichnet, dass bei dem Opfer Gefühle der Angst, des Schmerzes und der Unterlegenheit erweckt werden, die geeignet sind, es zu demütigen und seinen körperlichen und moralischen Widerstand zu brechen (Jarass, GR-Charta, 2. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 8 f. m.w.N.). Ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vorliegt, kann dabei auch davon abhängen, wieweit die Maßnahmen zur Verfolgung legitimer Zeile geboten sind (Jarass, GR-Charta, 2. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 11). Da das Recht aus Art. 3 EMRK als einzige der Gewährleistungen der EMRK auch im Notstand keinen Einschränkungen unterliegt, gilt dies auch für das ihm entsprechende Recht aus Art. 4 GR-Charta (Höfling, in Tettinger/Stern, GR-Charta, 1. Aufl. 2006, Art. 4 Rn. 15 ff.). Um dem Verbot des Art. 3 EMRK zu unterfallen muss die Schwere der Misshandlung ein Mindestniveau erreichen, wobei die Bemessung dieses Mindestniveaus von allen Umständen des Falles abhängt, wie der Dauer der Behandlung und ihren körperlichen und geistigen Folgen, in geeigneten Fällen auch von Geschlecht, Alter, Gesundheitszustand des Opfers (EGMR, Urt. v. 5.2.2015, Nr. 51428/10, Rn. 28 – A.M.E../.Niederlande; Urt. v. 4.11.2014, Nr. 29217/12, Rn. 94, juris, nichtamtliche auszugsweise Übersetzung unter www.asyl.net – Tarakhel./.Schweiz; Urt. v. 18.1.1978, Nr. 5310/71, Rn. 162, EuGRZ 1979, 149 – Irland./.Vereinigtes Königreich).
- 10
Für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK hat nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 19.3.2014, 10 B 6/14, NVwZ 2014, 1039, juris Rn. 9) das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GR-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u. C-493/10, Slg. 2011, I-13905, Rn. 88 ff. – N.S. u.a.), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Es kommt hingegen nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war; derartige individuelle Erfahrungen sind vielmehr in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung vorliegen (BVerwG, Beschl. v. 6.6.2014, 10 B 35/14, InfAuslR 2014, 352, juris Rn. 6; a.A. United Kingdom Supreme Court, Urt. v. 19.2.2014, <2014> UKSC 12, https://www.supremecourt.uk).
- 11
Eine tragfähige Grundlage für die Annahme systemischer Mängel liegt dabei erst dann vor, wenn hierfür kompetente Stellen wie der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und das durch die Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates (v. 29.5.2010, ABl. EU Nr. L 132 S. 11) errichtete Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) derartige Mängel feststellen (VG Hamburg, Urt. v. 22.10.2014, 10 A 3085/14, n.v.; das VG Ansbach, Beschl. v. 3.12.2013, AN 11 S 13.31074, Rn. 22 verweist insoweit auf die Erwägungsgründe 22 f. Dublin-III-VO). So hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darauf abgestellt, dass es an einem Positionspapier des UNHCR fehlte, das die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausdrücklich aufforderte, von einer Überstellung nach Ungarn im Dublin-System abzusehen (EGMR. Urt. v. 6.6.2013, Nr. 2283/12, Rn. 105, http://hudoc.echr.coe.int – Mohammed./.Österreich).
- 12
Nach diesen Maßstäben sind keine systemischen Mängel anzunehmen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung eines Dublin-Rückkehrers in Ungarn erwarten ließe (ebenso EGMR, Urt. v. 3.7.2014, Nr. 71932/12, Rn. 60 ff., http://hudoc.echr.coe.int – Mohammadi./.Österreich; VG Hamburg, Beschl. v. 13.2.2015, 7 AE 240/15, n.v.; Beschl. v. 6.1.2015, 10 AE 154/15, n.v.; Beschl. v. 30.10.2014, 8 AE 2529/14, n.v.; VG Augsburg, Beschl. v. 26.1.2015, Au 7 S 15.50015, juris Rn. 24 ff.; Beschl. v. 21.1.2015, Au 2 S 14.50360, juris Rn. 19 ff.; VG Düsseldorf, Beschl. v. 15.1.2015, 7 L 2975/14.A, juris Rn. 13; VG Regensburg, Beschl. v. 12.12.2014, RN 5 S 14.50306, juris Rn. 25 ff.; VG Stade, Beschl. v. 14.7.2014, 1 B 862/14, juris Rn. 8 f.; VG Bremen, Urt. v. 25.4.2014, 4 K 2131/13.A, juris Rn. 16 ff.; österreichisches Bundesverwaltungsgericht, Spruch v. 10.11.2014, W212 1438158-2/11E, http://www.ris.bka.gv.at; insofern auch VG Berlin, Beschl. v. 15.1.2015, 23 L 899.14 A, juris Rn. 7 f.; im Ansatz auch VG Würzburg, Beschl. v. 2.1.2015, W 1 S 14.50120, juris Rn. 29).
- 13
Zwar kann nach allgemeinen Grundsätzen ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs auch dann Erfolg haben, wenn die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache gegen den Verwaltungsakt eingelegten Rechtsbehelfs offen sind. Doch liegt dieser Fall nicht vor. Die Erfolgsaussichten einer Klage gegen eine Abschiebungsanordnung sind nicht bereits dann offen, wenn die Frage systemischer Mängel in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unterschiedlich beurteilt wird (so aber OVG Bautzen, Beschl. v. 24.7.2014, A 1 B 131/14, juris Rn. 4; VG München, Beschl. v. 31.10.2014, M 16 S 14.50535, juris Rn. 16). Die Erfolgsaussichten sind allenfalls dann offen, wenn eine nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens im Hauptsacheverfahren konkret anstehende weitere Aufklärung zu der für einen Erfolg der Klage führenden Überzeugungsgewissheit führen könnte, was hier nicht der Fall ist. Denn nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der Tatrichter die Überzeugungsgewissheit von einer mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eintretenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung erlangen (BVerwG, Beschl. v. 19.3.2014, 10 B 6/14, NVwZ 2014, 1039, juris Rn. 9). Für eine Offenheit der Erfolgsaussichten genügt deshalb nicht, dass es im Zeitpunkt der Entscheidung an verlässlichen Informationsquellen fehlt (dies implizierend aber VG Bremen, Beschl. v. 17.1.2014, 4 V 2132/13.A, juris Rn. 13 f.).
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Die gesetzliche Neuregelung der Asylhaftgründe im ungarischen Recht allein lässt keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erwarten (so aber implizit VG Stuttgart, Urt. v. 26.6.2014, 26.6.2014, A 11 K 387/14, juris Rn. 21). Wie in einer Auskunft des Auswärtigen Amtes (an das VG Düsseldorf v. 19.11.2014, S. 2 f., Asyldokumentation des OVG Hamburg, Ordner Dublin-II/III, Abschnitt Ungarn 2014/1) ausgeführt ist, findet sich die gesetzliche Regelung über die Asylhaft in Art. 31/A Abs. 1 des ungarischen Asylgesetzes. Danach besteht ein Haftgrund insbesondere dann, wenn die asylsuchende Person sich den Feststellungen der Behörde entzogen oder das Asylverfahren anderweitig behindert hat oder hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Asylbewerber das Verfahren verzögert oder zu vereiteln sucht oder Fluchtgefahr besteht, um die notwendigen Feststellungen zur Durchführung des Asylverfahrens treffen zu können. Die Haftgründe stimmen mit den in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (v. 29.6.2013, Amtsbl. EU Nr. L 180 S. 96 – AufnahmeRL) weitgehend überein, so dass die ungarische Gesetzesregelung als solche keine Verletzung des Unionsrechts darstellt (insofern auch VG Berlin, Beschl. v. 15.1.2015, 23 L 899.14 A, juris Rn. 8).
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Auch kann aus der Anwendungspraxis der gesetzlichen Neuregelung der Asylhaft in Ungarn kein systemischer Mangel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen hergeleitet werden (a.A. VG Berlin, Beschl. v. 15.1.2015, 23 L 899.14 A, juris Rn. 8; VG Köln, Beschl. v. 19.12.2014, 20 L 2345/14.A, juris Rn. 18; VG Sigmaringen, Beschl. v. 1.12.2014, 2 K 422/14, http://bordermonitoring.eu; das Vorliegen systemischer Mängel für offen haltend VG Magdeburg, Beschl. v. 11.12.2014, 9 B 449/14, juris Rn. 19). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO nicht nur dem Wortlaut nach, sondern auch nach dem verfolgten Sinn und Zweck, der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Dublin-System im Normtext Ausdruck zu verschaffen, auf drohende Verletzungen des Art. 4 GR-Charta beschränkt ist. Wenngleich der überstellende Mitgliedstaat nach der Dublin-III-VO (ebenso wie nach der Dublin-II-VO, dazu EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u.a., juris Rn. 64 ff.) wegen Art. 51 GR-Charta die Überstellungsentscheidung unter Beachtung der Unionsgrundrechte trifft, folgt daraus nicht, dass der überstellende Mitgliedstaat gegen Unionsgrundrechte verstößt, sobald nicht ausgeschlossen ist, dass der aufnehmende Mitgliedstaat dies tun wird. Denn der Gerichtshof der Europäischen Union hat den Maßstab zur Überprüfung der Überstellungsentscheidung dem Verbot der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung in Art. 4 GR-Charta entnommen (EuGH, Urt. v. 10.12.2013, C-394/12, juris Rn. 52 ff. – Abdullahi./.Österreich). Somit ist für den überstellenden Mitgliedstaat das Recht auf Freiheit und Sicherheit gemäß Art. 6 GR-Charta ebenso wenig Maßstab (a.A. VG Berlin, Beschl. v. 15.1.2015, 23 L 899.14 A, juris Rn. 8) wie dies allgemein an den aufnehmenden Mitgliedstaat gerichtete „unionsrechtliche Vorgaben“ sind (a.A. VG Stuttgart, Urt. v. 26.6.2014, 26.6.2014, A 11 K 387/14, juris Rn. 17).
- 16
Wenngleich eine willkürliche Inhaftnahme im Einzelfall mit einer unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 4 GR-Charta einhergehen kann, ist nicht zu erwarten, dass die diesbezüglichen Voraussetzungen erfüllt werden. Es liegt kein Positionspapier des UNHCR vor, das die Staaten dazu auffordert, von Überstellungen nach Ungarn im Dublin-System abzusehen. Wie in drei Auskünften der Vertretung in Deutschland des UNHCR (v. 30.9.2014 an das VG Bremen, das VG Düsseldorf bzw. das VG Freiburg, Asyldokumentation des OVG Hamburg, Ordner Dublin-II/III, Abschnitt Ungarn G 4 bis 6/14) ausgeführt, werden praktisch alle Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen, ausgenommen Familien und besonders vulnerable Asylsuchende. Hat ein dem Dublin-System unterliegender Asylbewerber den für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat verlassen, um in einem nicht zuständigen Mitgliedstaat erneut Asyl zu beantragen, so erscheint eine Inhaftnahme bei Rückkehr in den zuständigen Mitgliedstaat nicht willkürlich, so dass auch im Hinblick auf den Schutz und die Achtung der elementaren Rechtsgleichheit aller Menschen (dazu Höfling, in Sachs, GG, 7. Aufl., Art. 1 Rn. 19 ff.) eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung nicht ersichtlich ist. Die Praxis, dass regelmäßige Haftprüfungstermine im Halbstundentakt und für Gruppen von fünf bis 15 Personen gleichzeitig stattfinden (Auskunft der Vertretung in Deutschland des UNHCR v. 30.9.2014 an das VG Düsseldorf, S. 7., Asyldokumentation des OVG Hamburg, Ordner Dublin-II/III, Abschnitt Ungarn, G 5/14), lässt ebenfalls nicht den Schluss zu, dass eine Fortdauer der mit Fluchtgefahr begründeten Haft willkürlich bestimmt werde.
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Es ist auch nicht ersichtlich, dass inhaftierte Asylsuchende regelmäßig durch eine lange Haftdauer ohne Aussicht auf Entlassung gedemütigt würden. Die Asylhaft ist gesetzlich auf maximal sechs Monate beschränkt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf v. 19.11.2014, S. 2 f., Asyldokumentation des OVG Hamburg, Ordner Dublin-II/III, Abschnitt Ungarn, 2014/1). Für Überschreitungen der gesetzliche Höchstdauer ist nichts ersichtlich.
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Die näheren Bedingungen einer etwaigen Haft lassen für einen ohne seine Familie geflohenen gesunden jungen, aber volljährigen Mann, wie den Antragsteller, ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrige Behandlung erwarten. Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind (EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/09, Rn. 221, http://hudoc.echr.coe – M.S.S../.Belgien und Griechenland). Einen Verstoß dagegen nimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für die Überstellung nach Ungarn nicht an (EGMR, Urt. v. 3.7.2014, Nr. 71932/12, Rn. 60 ff., http://hudoc.echr.coe.int – Mohammadi./.Österreich). Ausgehend vom Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde (vgl. Höfling, in Sachs, GG, 7. Aufl., Art. 1 Rn. 19 ff.) wären die Bedingungen der Haft dann menschenunwürdig, wenn die körperliche Integrität, menschengerechte Lebensgrundlagen, elementare Rechtsgleichheit, personale Identität und Integrität bedroht wären. In tatsächlicher Hinsicht legt das Gericht ein Gutachten von Pro Asyl e.V. (an das VG Düsseldorf v. 31.10.2014, S. 3 ff., juris) zugrunde. Danach wird die Asylhaft getrennt von der Immigrations- oder der Strafhaft durchgeführt. Überbelegungen finden nicht statt. Die Inhaftierten werden tagsüber nicht in Zellen eingesperrt. Eine medizinische Grundversorgung ist gewährleistet. Sanitäter bzw. Krankenschwestern sind permanent anwesend. Von nachhaltigen oder durchgehenden hygienischen oder Versorgungsmängeln wird nicht berichtet, wenngleich es in einzelnen Hafteinrichtungen in der Vergangenheit zu Mängeln in der Reinigung einzelner Waschräume gekommen ist.
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Sofern es zum Einsatz von Handfesseln und Leinen bei Außenterminen inhaftierter Asylbewerber bei einer Behörde, einem Gericht oder dem Arzt kommt (so Auskunft der Vertretung in Deutschland des UNHCR v. 9.5.2014 an VG Düsseldorf, S. 4, Asyldokumentation des OVG Hamburg, Ordner Dublin-II/III, Abschnitt Ungarn, G/14), kann darin im Einzelfall dann ein Mangel in den Haftbedingungen nur gesehen werden, wenn es sich nicht um eine notwendige Sicherheitsvorkehrung handelt. Eine gegen Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK verstoßende erniedrigende Behandlung kommt darin jedoch nicht zum Ausdruck. Die inhaftierten Asylbewerber werden durch die Behandlung deshalb nicht herabgewürdigt oder stigmatisiert, weil die Behandlung der ungarischen Rechtspraxis nicht fremd ist und etwa auch auf Angeklagte angewandt wird (dazu Auskunft der Vertretung in Deutschland des UNHCR v. 9.5.2014 an das VG Düsseldorf, Asyldokumentation des OVG Hamburg, Ordner Dublin-II/III, Abschnitt Ungarn, G 1/14), die gemäß Art. 48 Abs. 1 GR-Charta und Art. 6 Abs. 2 EMRK bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig gelten.
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Sofern in dem Gutachten von Pro Asyl e.V. (v. 31.10.2014 an das VG Düsseldorf, S. 4 f., juris) ein Bericht eines aus einer Hafteinrichtung entlassenen Asylbewerbers wiedergegeben wird, wonach in der Hafteinrichtung „immer die selben Tabletten“ verabreicht würden, kann dem Gericht keinen Hinweis aus einen systemischen Mangel des Haftbedingungen entnehmen.
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Die vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betrifft nicht die Bedingungen in Ungarn für die Aufnahme eines erwachsenen Asylsuchenden, sondern die Bedingungen in Italien für die Aufnahme von asylsuchenden Personen in Italien mit sechs minderjährigen Kindern (EGMR, Urt. v. 4.11.2014, Nr. 29217/12, Rn. 100 ff., 121 f., juris, nichtamtliche auszugsweise Übersetzung unter www.asyl.net – Tarakhel./.Schweiz). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine Verletzung von Art. 3 EMRK für den Fall angenommen, dass die Beschwerdeführer nach Italien zurückgeführt würden, ohne dass die schweizerischen Behörden zuvor individuelle Garantien von den italienischen Behörden dafür erlangen, dass die Beschwerdeführer in einer Weise übernommen werden würden, die dem Alter der Kinder angemessen ist, und dafür, dass die Familie zusammenbleiben würde. Ein solches Erfordernis der vorherigen individuellen Garantie hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch im Hinblick auf Italien nicht verlangt, wenn es sich um einen gesunden jungen Mann ohne Angehörige handelt (EGMR, Urt. v. 5.2.2015, Nr. 51428/10, Rn. 28 – A.M.E../.Niederlande; Urt. v. 4.11.2014, Nr. 29217/12, Rn. 34, juris). Eben dies trifft auf den Antragsteller zu, dessen Familie sich noch in seinem Herkunftsland befindet.
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2. Die weitere Voraussetzung des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist gegeben, dass die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat rechtlich zulässig und tatsächlich möglich ist. Zu prüfen sind objektive und in der Person des Ausländers liegende subjektive, rechtliche oder tatsächliche Hindernisse der Abschiebung. Über auf den Zielstaat der Abschiebung bezogene Hindernisse hinaus sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 2.5.2012, 13 MC 22/12, InfAuslR 2012, 298, juris Rn. 27; VGH Mannheim, Beschl. v. 31.5.2011, A 11 S 1523/11, InfAuslR 2011, 310, juris Rn. 4; OVG Hamburg, Beschl. v. 3.12.2010, 4 Bs 223/10, NVwZ 2011, 512
, juris Rn. 10 ff.; OVG Greifswald, Beschl. v. 29.11.2004, 2 M 299/04, juris Rn. 9). Für solche Hindernisse ist nichts ersichtlich. Die Ehefrau und die knapp anderthalbjährige Tochter des Antragstellers befinden sich noch im Herkunftsland Syrien, so dass eine Familienzusammenführung nicht nur, was der Antragsteller hervorhebt, in Ungarn als nicht möglich erscheint, sondern allgemein innerhalb der Dublin-Staaten.
III.
Tenor
I.
Es wird festgestellt, dass die Klage nicht als zurückgenommen gilt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit der Einstellung seines Klageverfahrens wegen Nichtbetreibens und wendet sich gegen die Feststellung der Unzulässigkeit seines Asylantrags und die Anordnung der Abschiebung nach U..
Der nach seinen Angaben am ... 1989 in K... geborene Kläger gibt an, pakistanischer Staatsangehöriger punjabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit zu sein. Er verließ Pakistan nach seinen Angaben in der Befragung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates am 16. Januar 2014 im September oder Oktober 2009 und reiste am 24. Dezember 2013 auf dem Landweg in Deutschland ein. Er stellte am 16. Januar 2014 einen Asylantrag in Deutschland. Das Bundesamt ersuchte U. am 24. Februar 2014 um die Übernahme des Verfahrens. U. erklärte mit Schreiben vom 6. März 2014 sein Einverständnis mit einer Rückführung gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d Dublin III-VO.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14. März 2014 stellte das Bundesamt die Unzulässigkeit des Asylantrags fest (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung nach U. an (Nr. 2). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen. Mit Schriftsatz vom 24. März 2014, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg am selben Tag, ließ der Kläger Klage erheben (Az. RN 3 K 14.50033), sowie Anträge auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und am 27. März 2014 auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten stellen. Diese Anträge lehnte das Gericht mit Beschluss vom 1. April 2014 ab (Az. RN 3 S 14.50032).
Das Landratsamt D. teilte der Beklagten am
Die Klage wird hinsichtlich der Fortsetzung damit begründet, dass der anwaltliche Bevollmächtigte innerhalb der mit Schreiben des Gerichts vom
Hinsichtlich des Bescheids wird die Klage im Wesentlichen damit begründet, dass dieser unzutreffend davon ausgehe, dass U. zuständig sei. Tatsächlich habe sich der Kläger zunächst in Griechenland aufgehalten und sei dort als Asylsuchender erfasst worden. Die Übernahmeerklärung U.s lasse sich nicht im Sinne einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts des eigentlich unzuständigen Mitgliedsstaates auslegen. Eine solche Erklärung im Zusammenhang mit einem Wiederaufnahmeersuchen setze voraus, dass sich der Erklärende der Umstände des Falles bewusst sei. In dem Wiederaufnahmegesuch sei kein Hinweis auf ein in Griechenland durchgeführtes Asylverfahren enthalten. Es wäre erforderlich gewesen, U. darüber aufzuklären. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger in Griechenland einen Asylantrag gestellt habe, wodurch es zum zuständigen Mitgliedsstaat geworden sei. Die Zuständigkeit werde auch nicht dadurch irrelevant, dass Überstellungen nach Griechenland regelmäßig nicht zulässig seien. Die Wiederaufnahme setze die ordnungsgemäßen und zutreffenden Informationen voraus, ob und ggf. welche sonstigen Asylanträge gestellt worden seien. Die Angaben aus Griechenland seien in krasser Weise unzuverlässig und die Zahlen der Meldedaten differierten von Jahr zu Jahr.
Bei einer Abschiebung nach U. drohten dem Kläger die Kettenabschiebung über Serbien und der Verlust der Rechte im Asylverfahren, sowie eine langandauernde Haft in U. und in Serbien. Es lägen systemische Mängel des Asylverfahrens in U. vor. Zum 1. Juli 2013 sei eine erneute Gesetzesänderung in Kraft getreten, wonach Inhaftierungen von Asylbewerbern für einen Zeitraum bis zu sechs Monaten vorgesehen seien. Die Voraussetzungen für die Haft und Haftdauer seien erweitert, die Möglichkeiten einer rechtlichen Überprüfung ab Juli 2013 zugleich beschränkt worden. Die Haftgründe seien insbesondere im Fall des Klägers einschlägig, da die ablehnende Entscheidung vom 21. Februar 2014 auf sein Asylbegehren mitgeteilt wurde, ohne dass eine materielle Prüfung oder die Zustellung der Entscheidung an ihn erfolgt wäre. Die Situation in U. speziell für Rückkehrer auf der Grundlage der Dublin-Verordnung entspreche nicht den Voraussetzungen, die gemäß Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu gewährleisten seien. Angesichts der bereits jetzt bestehenden Überfüllung der Camps und katastrophaler hygienischer Zustände würde eine Zwangsrückführung nach U. erkennbar dem Gebot einer menschenwürdigen Unterbringung widersprechen.
Aus aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl gegenüber dem Verwaltungsgericht Düsseldorf und dem Verwaltungsgericht München ergäben sich konkrete Bedenken gegen die Situation in U., insbesondere unter Berücksichtigung der dortigen Handhabung von Asylhaft. Deren durchschnittliche Dauer betrage nach Auskunft der ungarischen Migrationsbehörde 32 Tage. Diese Angaben würden den Erkenntnissen des ungarischen Helsinki Komites aus der Analyse von insgesamt 107 Entscheidungen und auch den Informationen von Pro Asyl widersprechen. Rechnerisch ergäbe sich eine korrigierte durchschnittliche Haftdauer von 80 Tagen. Außerdem führe die Begrenzung der in letzter Zeit massiv ausgeweiteten Inhaftierung von Familien auf 30 Tage zu einer Reduktion des allgemeinen Durchschnittswerts. Dublin-Rückkehrer würden häufig für die gesamte zulässige Dauer der Asylhaft sechs Monate eingesperrt. Ein Rechtsmittel hiergegen sei nicht zulässig. Es finde lediglich eine Anhörung statt, die sich auf die formellen Voraussetzungen der Anordnung von Asylhaft beschränke. Diese Voraussetzungen dürften auf alle Dublin-Rückkehrer anwendbar sein. Auf den Kläger treffe dies insbesondere deshalb zu, weil sein Asylantrag am 21. Februar 2014 in seiner Abwesenheit abgelehnt worden sei. Er werde als Person geführt, „die sich den Feststellungen der Behörde entzogen oder das Asylverfahren anderweitig behindert hat“. Haftanordnungen enthielten darüber hinaus Begründungen, die gesetzlich nicht vorgesehen seien. Die Haftgründe würden über die gesetzlichen Voraussetzungen hinaus konturlos erweitert. Im Anschluss an die Asylhaft sei bei einer Ablehnung des Asylantrags mit Abschiebungshaft zu rechnen. Es bestehe keine Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes. Die Haftbedingungen würden sowohl in den Auskünften von Pro Asyl als auch des Auswärtigen Amtes kritisiert. Eine expansive Anwendung sedierender Medikamente sei festzustellen. Der UNHCR habe bereits 2012 gewarnt, dass ungarische Asylwächter Migranten mit Drogen ruhig stellen. Die Gründe für die Verhaftungen seien willkürlich und undurchsichtig. Die Haftbedingungen seien bereits deshalb problematisch, weil sog. „armed security guards“ eingesetzt würden, von denen häufig körperliche Übergriffe geschildert würden. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn Räume nicht durch Kameras überwacht würden. Die Betroffenen seien rechtlos gestellt, da sie im Falle einer Beschwerde bestenfalls mit wiederholten Schikanen rechnen dürften.
Die Frist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO sei jedenfalls am
Der Kläger lässt beantragen,
das Klageverfahren fortzusetzen und den Bescheid der Beklagten vom
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Asylakten, die Gerichtsakten in den Verfahren Az. RN 3 S 14.50032 und RN 3RN 3 K 14.50033, sowie die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Gründe
Die Klage gilt nicht als zurückgenommen. Die auf Aufhebung des Bescheids vom
1. Der mit Schriftsatz vom
Falls über die Wirksamkeit einer ausgesprochenen Klagerücknahme oder über das Vorliegen der Voraussetzungen der gesetzlichen Rücknahmefiktion Streit entsteht, hat das Gericht das Verfahren fortzusetzen und über die Frage der Beendigung durch Urteil zu entscheiden, wenn dies beantragt wird (vgl. Kopp, VwGO, § 92, Rdnr. 28 m. w. N.). Verneint das Gericht die Wirksamkeit der Klagerücknahme bzw. das Vorliegen der Voraussetzungen der Rücknahmefiktion, so entscheidet es nach Verhandlung der Sache im Rahmen des Endurteils (vgl. Kopp a. a. O. Rdnr. 29 m. w. N.).
Gemäß § 81 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) gilt die Klage als zurückgenommen, wenn ein Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als einen Monate nicht betreibt. Der Kläger wurde in dem Aufforderungsschreiben vom 6. August 2014 auf die sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen hingewiesen, vgl. § 81 Satz 3 AsylVfG.
Der gerichtliche Einstellungsbeschluss vom
2. Die Klage auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids ist zulässig, aber unbegründet.
a. Statthaft ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 AltVwGOVwGO.
Rechtsgrundlagen für den angefochtenen Bescheid sind § 27a und § 34a AsylVfG. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt u. a. die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an. Hierbei handelt es sich um belastende Verwaltungsakte im Sinne des § 35 VwVfG, deren isolierte Aufhebung zulässig ist, weil diese zur formellen und materiellen Prüfung des gestellten Asylantrages führt (vgl. VG Düsseldorf
Verpflichtungsklagen, die entweder auf die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung und die Folgeentscheidungen oder auf das Ausüben des Selbsteintrittsrechts durch die Beklagte gerichtet sind, wären in der hier gegebenen Situation dagegen nicht statthaft. In den Fällen der Einstellung des Asylverfahrens steht die - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Verfahrens einer Verpflichtungsklage, bei der das Verwaltungsgericht „durchzuentscheiden“ hätte, entgegen (vgl. BayVGH
Ferner würde ein „Durchentscheiden“ des Gerichts im Ergebnis dazu führen, dass es nicht eine Entscheidung der Beklagten kontrollieren, sondern sich erstmals mit dem Antrag sachlich auseinandersetzen und entscheiden würde. Dies wäre im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) und den Wortlaut des Gesetzes in § 71a Abs. 1 a. E. AsylVfG bedenklich, da der Gesetzgeber die Prüfung dem Bundesamt zugewiesen hat (vgl. VG Regensburg
b. Die Klage auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids ist unbegründet, da dieser rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. U. ist für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständig und es sind keine außergewöhnlichen Gründe ersichtlich, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gebieten. Die Abschiebungsanordnung ist zu Recht ergangen.
aa. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, wenn der Ausländer dorthin abgeschoben werden soll und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG liegen hier vor.
Maßgeblich für die Beurteilung der Zuständigkeit ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO). Deren Zuständigkeitskriterien finden gemäß Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO auf Asylanträge, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden, Anwendung. Das Gericht hat gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Übernahmezusage bzw. den darauf basierenden Bescheid an den Vorschriften der Dublin III-VO zu messen.
Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei U. um den für das Asylverfahren zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG handelt. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. U. erklärte mit Schreiben vom 6. März 2014 sein Einverständnis mit einer Rückübernahme des Klägers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d Dublin III-VO, da dieser am 21. August 2013 in U. einen Asylantrag gestellt hatte, der am 21. Februar 2014 abgelehnt wurde. Zur Prüfung des Antrags ist damit nicht die Beklagte, sondern U. zuständig. Dessen Zuständigkeit umfasst gemäß Art. 2 Buchstabe d Dublin III-VO die Gesamtheit der Prüfungsvorgänge, der Entscheidungen oder Urteile der zuständigen Stellen in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Zuständigkeit U.s steht nicht entgegen, dass nach der Auffassung des Klägers eigentlich Griechenland für die Behandlung des Asylantrags zuständig gewesen wäre und das Bundesamt U. hierauf hätte hinweisen müssen. Dem Behördenakt lässt sich bereits nicht entnehmen, dass der Kläger einen Asylantrag in Griechenland gestellt hatte. In der Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats vom 16. Januar 2014 gab er zwar an, dass er sich drei Jahre in Griechenland aufgehalten habe. Auf die Frage, ob er bereits in einem anderen Staat Asyl beantragt habe, nannte er jedoch nur U.. Es bestand für das Bundesamt daher keine Veranlassung, auf ein angebliches Asylverfahren in Griechenland hinzuweisen. Im Übrigen hätte U. selbst gemäß Art. 22 Dublin III-VO Gelegenheit gehabt, in dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats die erforderlichen Überprüfungen, z. B. durch eine EURODAC-Abfrage, vorzunehmen, um eine vorrangige Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates feststellen zu können. U. ist aber erkennbar von der eigenen Zuständigkeit ausgegangen.
Außerdem kann gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Antrag auf internationalen Schutz prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Selbst wenn U. nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig wäre, würde es dadurch gemäß Art. 17 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO zum zuständigen Mitgliedstaat werden. Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, dessen Ausübung integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen europäischen Asylsystems ist (vgl. EuGH vom 21.12.2011 Az. C-411/10, C-493/10
§ 34a Abs. 1 AsylVfG, nach dem die Abschiebung ohne materielle Prüfung des in Deutschland gestellten Asylantrags erfolgen soll, liegt das sogenannte Konzept der normativen Vergewisserung zugrunde. Abweichend hiervon hat Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen dieses Konzepts berücksichtigt werden können und damit außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind (vgl. BVerfG vom 14.5.1996 Az. 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93
Es gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Genfer Flüchtlingskonvention steht (vgl. EuGH vom 21.12.2011 Az. C-411/10). Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann nur erreicht werden, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass einer der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG vom 14.5.1996 a. a. O.). Das Gericht muss sich die Überzeugung verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem zuständigen Mitgliedsstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (vgl. BVerwG
Für das Gericht ist im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht erkennbar, dass das Asylverfahren in U. oder die Betreuung von Asylbewerbern systemische Mängel aufweist, die eine Durchbrechung des Konzepts der normativen Vergewisserung gebieten würden. Dabei ist zu beachten, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Beachtung der Bestimmungen der Dublin III-VO hinfällig werden lässt. Vielmehr ist dies erst dann der Fall, wenn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende, systembedingte Mängel aufweisen, die gleichsam zwangsläufig eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der in diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber befürchten lassen (vgl. OVG Lüneburg
Das ungarische Asylrecht steht im Allgemeinen im Einklang mit den internationalen und europäischen Standards und enthält die wichtigsten Garantien. Zwar waren die Aufnahme- und Lebensbedingungen sowie die Unterbringungsbedingungen in der Vergangenheit beanstandenswert und teilweise unzureichend. Ebenso wurden in der Vergangenheit regelmäßige Inhaftierungen von Asylbewerbern geschildert. Unregelmäßigkeiten traten auch vermehrt bei Flüchtlingen auf, die im Rahmen der früheren Dublin II-VO Verordnung nach U. rücküberstellt wurden. Der UNHCR bewertete daher in einem Bericht vom April 2012 den Zugang zum Asylverfahren für Dublin-Rückkehrer als problematisch (vgl. UNHCR, U. als Asylland, Bericht zur Situation für Asylsuchende und Flüchtlinge in U., April 2012, Seite 9). Diese Lage hat sich aber gebessert. Das Gericht schließt sich insoweit der folgenden Einschätzung des Verwaltungsgerichts Ansbach in seinem Beschluss vom 3. Dezember 2013 (Az. AN 11 S 13.31074) an:
„Allerdings sind aus Sicht des erkennenden Gerichts diese Mängel der ungarischen Ausländer- und Asylverfahrenspraxis mit Verabschiedung und Umsetzung von Gesetzesänderungen im ungarischen Parlament vom November 2012 erheblich entschärft worden. Nach der Fortschreibung der Berichterstattung des UNHCR zum Asylland U. vom Dezember 2012 werden nunmehr die Asylgründe von Asylsuchenden auch inhaltlich geprüft, selbst wenn es sich um Asylsuchende handelt, die über Serbien oder die Ukraine oder im Wege der Rückführung nach U. gelangen. Auch die vormals verbreitete Praxis, Asylsuchende in Haft zu nehmen, ist nach diesem Bericht des UNHCR stark rückläufig und wird im Rahmen einer stärkeren Kontrolle durch die Polizeihauptquartiere und Staatsanwaltschaften sowie ergänzend durch eine Arbeitsgruppe von Richtern flankiert (vgl. UN High Commissioner for Refugees, Note on Dublin transfers to Hungary of people who have transited through Serbia - update, December 2012, http://www...org/...html). Die von der Antragstellerseite angeführte Änderung der ungarischen Gesetzgebung, wonach seit 1. Juli 2013 in U. wieder die Haft für Asylantragsteller eingeführt worden sei, ist nicht geeignet, die vorstehenden Ausführungen in Frage zu stellen. Wie sich der aktuellen Lageeinschätzung des Vereins „bordermonitoring.eu“ vom 20. August 2013 entnehmen lässt, erfolgen Inhaftierungen von Asylbewerbern in U. lediglich in Einzelfällen.“
Im Ergebnis hält es das Gericht nach summarischer Prüfung im entscheidenden Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht für wahrscheinlich, dass dem Kläger in U. als sog. Dublin-Rückkehrer die Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung droht (vgl. statt vieler: VG Augsburg
Das Gericht sieht auch im Hinblick auf neuere Erkenntnisquellen gegenwärtig keine Veranlassung von dieser Einschätzung abzugehen und schließt sich zur Vermeidung von Wiederholungen der überzeugenden Auffassung des Verwaltungsgerichts Stade in seinem Beschluss vom 14. Juli 2014 (Az. 1 B 862/14) an:
„Systemische Schwachstellen im Asylverfahren in U. für Dublin-Rückkehrer lassen sich auch den von der Antragstellerin benannten aktuellen Erkenntnisquellen nicht entnehmen. Weder die Auskünfte des UNHCR vom 09. Mai 2014 auf eine Anfrage des VG Düsseldorf (hierzu:
Die in den genannten Erkenntnisquellen beschriebene Umsetzung der ungarischen Gesetzgebungslage, nach der seit dem 1. Juli 2013 die Haft für Asylantragsteller wieder zulässig ist, lässt nicht auf systemische Schwachstellen des Asylsystems für Dublin-Rückkehrer schließen. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass - wie das VG Düsseldorf zu Recht anmerkt -
„(…) der Umstand, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 - wieder - Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und U. diese neuen Inhaftierungsvorschriften auch tatsächlich anwendet, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems dar[stellt]. Denn auch das unionsrechtliche Regelungssystem geht seinerseits davon aus, dass eine Inhaftierung von Asylbewerbern - wenn auch unter engen Voraussetzungen - im Einzelfall möglich ist. Artikel 8 und 9 der Richtlinie 2013/33 EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragten (Neufassung) - im Folgenden: AufnahmeRL, geben den Mitgliedstaaten hierfür ausdrücklich einen rechtlichen Rahmen vor. Auch macht U. ersichtlich nicht mehr in einem so umfassenden Umfang von den neuen Haftregelungen Gebrauch wie noch im Zeitraum bis zum 1. Januar 2013 nach der früheren Rechtslage.“, VG Düsseldorf, a. a. O., Rn. 68.
Gem. Art. 28 Abs. 1, 4 Dublin III-VO i. V. m. Art. 8 f. der Richtlinie 2013/33 EU („AufnahmeRL“) nehmen die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt. Art. 8 Abs. 3 Buchst. b AufnahmeRL regelt jedoch, dass ein Antragsteller insbesondere dann ausnahmsweise in Haft genommen werden darf, wenn Fluchtgefahr besteht.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann das Gericht nicht erkennen, dass die ungarische Asylhaftpraxis systematisch die Grenzen des europäischen Rechts überschreitet, wenn - entsprechend der Auskunft des UNHCR - Dublin-Rückkehrer regelmäßig inhaftiert werden, weil die Behörden davon ausgehen, dass sie die Bescheidung ihres Asylantrages nicht in U. abwarten, sondern sich durch erneute Ausreise dem ungarischen Asylverfahren entziehen werden. Dass die ungarischen Behörden für Dublin-Rückkehrer, die bereits einmal aus U. geflohen sind, eine Fluchtgefahr annehmen, erscheint nicht willkürlich, sondern naheliegend. Das Gericht kann auch nicht erkennen, dass die Behörden insoweit Gebrauch von den im ungarischen nationalen Recht geregelten „überschießenden“ Haftgründen - deren Europarechtskonformität durchaus angezweifelt werden kann - machen, wonach eine Inhaftierung schon bei einem „Verzögern“ oder „Behindern“ des Asylverfahrens angeordnet werden kann (vgl. Art. 31/A Buchst. c des ungarischen Asylgesetzes, vgl. VG Düsseldorf a. a. O., Rn. 106).
Dass für Dublin-Rückkehrer regelmäßig ein Fluchtgrund angenommen wird, lässt nicht darauf schließen, dass die gem. Art. 8 Abs. 2 AufnahmeRL erforderliche Einzelfallprüfung der Haftanordnung grundsätzlich nicht erfolgt. Im oben genannten National Country Report Hungary (aida) wird vielmehr ausgeführt, dass alleinstehende Frauen und Familien mit Kindern tatsächlich nicht in Asylhaft genommen würden, obwohl dies rechtlich möglich sei (a. a. O., S. 9). Eine solche Differenzierung belegt, dass tatsächlich Umstände des Einzelfalls bei der Haftanordnung berücksichtigt werden. Die Anforderungen, die an eine solche Einzelfallprüfung zu stellen sind, müssen auch dem Umstand Rechnung tragen, dass die Wiederaufnahme der Dublin-Rückkehrer rein zahlenmäßig ein Massengeschäft ist, welches für die Verwaltung handhabbar bleiben muss. So ist es zwar aus rechtsstaatlichen Gründen wünschenswert, dass sich eine vorangegangene Einzelfallprüfung auch in der schriftlichen Haftanordnung konkret niederschlägt, vom europäischen Recht ist dies jedoch nicht eindeutig gefordert. Art. 9 Abs. 2 Satz 2 AufnahmeRL sieht lediglich vor, dass die sachlichen und rechtlichen Gründe in der Haftanordnung angegeben werden. Dass die Haftanordnung den Haftgrund „Fluchtgefahr“ nicht - auch nicht in standardisierter Form - benennt, kann das Gericht der Auskunft des UNHCR nicht klar entnehmen (vgl. dort Antwort auf Frage 3, erster Spiegelstrich:
„Der Begründungsteil [der Haftanordnung] führt keine konkreten Gründe aus, aus denen es im Falle des konkreten Asylbewerbers nötig und sachgerecht ist, Asylhaft anzuordnen. Auch fehlen Informationen dazu, warum genau im konkreten Falle die Haft erforderliches Mittel ist, um die Verfügbarkeit des Asylbewerbers während des Verfahrens sicherzustellen.“).
Der Umstand, dass bei Dublin-Rückkehrern regelmäßig eine standardisierte Verlängerung der Haftzeit um 60 Tage erfolgt und dies im Ergebnis häufig zu einer Haftdauer von insgesamt vier bis fünf Monaten führt (vgl. National Country Report Hungary, aida, a. a. O., S. 51 u. 49), steht nicht in klarem Widerspruch zu den europäischen Vorgaben, namentlich zu Art. 9 Abs. 1 AufnahmeRL. Hiernach wird ein Antragsteller für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange in Haft genommen, wie ein Haftgrund vorliegt. Es erscheint nicht grundsätzlich unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr fortlaufend gegeben ist.
Auch dafür, dass in U. der in Art. 9 Abs. 3 AufnahmeRL ausgeformte europäische Mindeststandard eines effektiven Rechtsschutzes gegen die Haftanordnung unterschritten wird, bestehen keine belastbaren Anhaltspunkte. Das VG Düsseldorf führt hierzu aus:
„Die Überprüfung der Haftanordnungen erfolgt vielmehr im Rahmen einer automatischen gerichtlichen Haftüberprüfung erstmals nach 72 Stunden, anschließend dann - weil die Behörden regelmäßig die Verlängerung der Haft um jeweils weitere 60 Tage beantragen - in einem 60-Tage-Rhythmus. Die zuständigen Gerichte setzen dabei die Überprüfungstermine im Halbstundentakt und regelmäßig für Gruppen von 5 bis 15 Inhaftierte gleichzeitig an, so dass für jeden Fall nur wenige Minuten zur Verfügung stehen, vgl. auch aida-report, a. a. O., S. 57; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf
Zudem steht dem Asylbewerber zumindest formal der Rechtsbehelf der objection zu Verfügung (vgl. Auskunft des UNHCR an VG Düsseldorf
Ebenso wenig kann das Gericht den aktuellen Auskünften entnehmen, dass die Haftbedingungen in U. systemisch eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer darstellen. Die im Bericht des Helsinki Komitees genannten Einzelfälle („Information Note“, Hungarian Helsinki Committee, a. a. O., S. 18) ebenso wie der von der Antragstellerin angeführte „Bericht über den Besuch in der Haftanstalt in Nyírbátor (U.)“ von Marc Speer (Bericht vom 10. März 2014, abrufbar unter http://...eu/files/2012/03/Besuch-Nyirbator.pdf), in dem das Einzelschicksal eines pakistanischen Asylbewerbers geschildert wird, lassen insoweit keine Rückschlüsse zu. Der Auskunft des UNHCR lässt sich entnehmen, dass die Behandlung der Inhaftierten durch die Aufsichtskräfte problematisch bleibt, dies jedoch in einem geringeren Ausmaß als zuvor (Auskunft des UNHCR an VG Düsseldorf
Das Gericht verkennt nicht das Bestehen von Missständen insbesondere der Inhaftierungspraxis in U.. Diese begründen jedoch für sich keine systemischen Mängel. Der UNHCR hat bislang keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in U. festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach U. zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die - bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende - Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant (vgl. EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11).
Damit ist nach derzeitigem Kenntnisstand und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH vom 21.12.2011 Az. C-411/10 u. a.) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR vom 3.7.2014 Az. 71932/12) nicht davon auszugehen, dass das ungarische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylsuchenden einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bzw. des Art. 3 EMRK ausgesetzt wären.
bb. Der Kläger kann auch keinen Anspruch auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO geltend machen. Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedsstaat einen Antrag auf internationalen Schutz prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Die Bestimmungen der Dublin III-VO begründen - wie die der Dublin II-VO - auch hinsichtlich der Selbsteintrittskompetenz keine subjektiven Rechte des Schutzsuchenden. Sie dienen nämlich alleine der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den EU-Mitgliedstaaten (vgl. VG Berlin
Selbst wenn man jedoch einen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung annehmen würde, bestehen hier keine Anhaltspunkte dahingehend, dass sich dieser zu einem Anspruch auf Selbsteintritt reduziert hat („Ermessensreduzierung auf Null“). Da es sich bei dem Selbsteintritt um einen Ausnahmefall handelt, müssten außergewöhnliche Gründe vorliegen, die Deutschland verpflichten könnten, das Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben. Solche sind allenfalls dann gegeben, wenn außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern (vgl. VG Bremen
cc. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Frist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO abgelaufen ist. Die Überstellungsfrist wird nämlich gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auf (höchstens) 18 Monate verlängert, also hier bis 1. Oktober 2015, da der Kläger flüchtig im Sinne dieser Vorschrift ist. Ein Asylbewerber ist bereits dann „flüchtig“, wenn er sich seiner Überstellung durch sein Nichterscheinen entzieht. Erforderlich ist nicht, dass er seine Wohnung (dauerhaft) verlässt, den Ort wechselt bzw. untertaucht und sich dadurch den Zugriff der Behörden entzieht. Die Formulierung „flüchtig ist“ knüpft nämlich an die „Überstellung“ an. In einem solchen Fall hat nicht der Mitgliedstaat, sondern der Asylbewerber den Ablauf der Frist zu vertreten (vgl. VG Magdeburg
Im vorliegenden Fall sollte der Kläger am
Im Übrigen kann von einer nur „vorübergehenden Abwesenheit“ nicht die Rede sein, so dass der Kläger auch insoweit „flüchtig“ war und noch ist. Nach den vorliegenden Unterlagen war der Kläger zumindest ab dem 14. Juli 2014 nicht mehr in der ihm zugewiesenen Unterkunft. Sein anwaltlicher Bevollmächtigter teilte erst mit Schriftsatz vom 5. September 2014 mit, dass er sich im „Kirchenasyl in H.“ befinde. Eine nahezu zweimonatige Abwesenheit ohne Meldung der Adresse an die Beklagte führt ebenfalls dazu, dass der Kläger als „flüchtig“ anzusehen war. Außerdem befindet sich der Kläger nach einer telefonischen Auskunft des Landratsamts ... vom 19. Februar 2015 nach wie vor in H. im „Kirchenasyl“. Auch der Versuch sich mittels eines - hier längeren - „Kirchenasyls“ der Überstellung zu entziehen führt dazu, dass der Kläger flüchtig im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO ist, da dieses „Überstellungshindernis“ auf einem von ihm zu verantwortenden Verhalten beruht.
dd. Die Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig ergangen.
Nach dem Wortlaut des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG darf eine Abschiebungsanordnung erst dann erfolgen, wenn feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Während bei der Abschiebungsandrohung die Prüfung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse regelmäßig durch die Ausländerbehörde zu erfolgen hat, ist dies bei der Abschiebungsanordnung anders. Eine Abschiebung darf nur dann erfolgen, wenn diese rechtlich und tatsächlich möglich ist. Andernfalls ist die Abschiebung auszusetzen (Duldung). Liegen somit Duldungsgründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor, dann ist die Abschiebung unmöglich und kann auch im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht durchgeführt werden. Abweichend von der üblichen Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde hat das Bundesamt bei der Abschiebungsanordnung auch die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass keine inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse vorliegen (vgl. BayVGH
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83b AsylVfG. Die Beklagte ist nur zu einem geringen Teil unterlegen, da sich die Klage hauptsächlich gegen den Bescheid vom 14. März 2014 richtete. Insoweit hatte sie keinen Erfolg.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die ihm drohende Überstellung nach Ungarn im Rahmen des so genannten „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge ein am ... in Damaskus geborener Palästinenser mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am
Es ergaben sich Eurodac-Treffer für Griechenland (...; Bl. 40 der Behördenakte) und für Ungarn (...; Bl. 41 der Behördenakte).
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom
Mit Bescheid vom
Der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Ungarn aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages für die Bearbeitung gem. Art. 18 Abs. 1 b zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
Am ... Januar 2015 erhob der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers gegen den Bescheid vom 13. Januar 2015 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 12 K 15.50021) und stellte gleichzeitig einen
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Die Klage und der Eilantrag wurden im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Antragsteller sei staatenloser Palästinenser aus Syrien. Er sei zusammen mit seinem minderjährigen Neffen ... (... Jahre) ins Bundesgebiet eingereist. Der Neffe sei in Obhut genommen worden; das Jugendamt ... ... sei zum Vormund bestellt worden. Beim Bundesamt sei für ihn ein Asylverfahren anhängig. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO. Dies ergäbe sich daraus, dass der Antragsteller bei seiner Anhörung selbst darauf hingewiesen habe, dass der Neffe auf seine Unterstützung angewiesen sei. Dies bestätige auch das Jugendamt. Dieses habe mitgeteilt, der Antragsteller sei die einzige Bezugsperson des Neffen. Anzuwenden sei Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, zumindest analog. Das Asylverfahren weise in Ungarn systemische Mängel auf, wie auch schon von verschiedenen Gerichten entschieden worden sei. Beigelegt wurden die Stellungnahmen des Landratsamtes ... vom 20. Januar 2015 und zwar des Amtes für Kinder, Jugend und Familien sowie des Vormunds des Neffen.
Mit Schreiben vom ... März 2015 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, bei einem Landsmann des Antragstellers sei vom VG München die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden (M 23 S 15.50047).
Die Antragsgegnerin stellte
keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Abschiebungsanordnung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids anzuordnen, ist zwar zulässig (§ 34a Abs. 2 AsylVfG), jedoch nicht begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat abzuwägen zwischen dem sich aus § 75 AsylVfG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung; nicht erforderlich sind insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, denn die Regelung des § 36 Abs. 4 AsylVfG ist hier nicht (entsprechend) anwendbar (vgl. VG Trier, B. v. 18. 9. 2013 - 5 L 1234/13.TR - juris; VG Göttingen, B. v. 9. 12. 2013 - 2 B 869/13 - juris, Rn. 16). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Nach der hier gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers nach derzeitiger Einschätzung aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird, denn der streitgegenständliche Bescheid begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Damit überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Im vorliegenden Fall ist aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
Für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers ist gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO Ungarn zuständig. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben im Oktober 2014 nach Ungarn eingereist (Bl. 21 der Behördenakte) und hat dort - nach Angaben der ungarischen Behörden - am 1. Oktober 2014 einen Asylantrag gestellt. Dies ergibt sich zum Einen aus dem Schreiben der ungarischen Behörden vom 5. Januar 2015 (Bl. 55 der Behördenakte) und zum Anderen aus den festgestellten Eurodac-Treffern. Danach hat der Antragsteller in Griechenland illegal die Grenze überschritten (Eurodac-Treffer beginnt mit Ziffer „2“: Art. 14 Abs.1 i. V. m. Art. 24 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung von Eurodac; im Folgenden: Eurodac-VO) und hat in Ungarn einen Asylantrag gestellt (Eurodac-Treffer beginnt mit Ziffer „1“: Art. 9 Abs. 1 i. V. m. Art. 24 Abs. 4 Sätze 1 und 2 Eurodac-VO).
Die nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständige ungarische Behörde hat dem Wiederaufnahmegesuch ausdrücklich gem. Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO zugestimmt (Bl. 55 der Behördenakte).
Es liegen auch keine Umstände vor, die die Zuständigkeit Ungarns in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnungen entfallen ließen.
Dem gemeinsamen Europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die Dublin-Verordnungen gehören, liegt die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Abl. C 83/389 v. 30. März 2010, des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge v. 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S.559) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S.685 in der Fassung der Bekanntmachung v.
Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, U. v. 21. Dezember 2011 - C - 411/10 und C - 493/10
Als systemische Mängel sind solche Störungen anzusehen, die entweder im System eines nationalen Asylverfahrens angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von ihnen nicht vereinzelt oder zufällig, sondern in einer Vielzahl von Fällen objektiv vorhersehbar treffen oder die dieses System aufgrund einer empirisch feststellbaren Umsetzung in der Praxis in Teilen funktionslos werden lassen (vgl. Bank/Hruschka, Die EuGH-Entscheidung zu Überstellungen nach Griechenland und ihre Folgen für Dublin-Verfahren (nicht nur) in Deutschland, ZAR 2012, S. 182; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 21. Februar 2014 - 10 A 10656 - juris).
Die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 4 GR- Charta ist gem. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GR-Charta einschließlich der Erläuterungen hierzu (ABl. C 303/17 v. 14. Dezember 2007
Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von den Umständen des Falles ab, insb. von der Dauer der Behandlung und ihrer physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers. Art. 3 EMRK kann allerdings nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, U. v. 21. Januar 2011, a. a. O.; B. v. 2. April 2013 - 27725/10
Gleichwohl sind die in der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2014 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen - Aufnahmerichtlinie - (Abl. L 180 S. 96) genannten Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen. Asylsuchende werden in einem Mitgliedsstaat unmenschlich oder erniedrigend behandelt, wenn ihnen nicht die Leistungen der Daseinsvorsorge gewährt werden, die ihnen nach den Aufnahmerichtlinie zustehen. Ihnen müssen während der Dauer des Asylverfahrens die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, mit denen sie die elementaren Bedürfnisse (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) in zumutbarer Weise befriedigen können. Als Maßstab sind die Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie mit den dort geregelten zeitlich beschränkten Einschränkungsmöglichkeiten bei vorübergehenden Unterbringungsengpässen und der Verpflichtung, auch in diesen Fällen die Grundbedürfnisse zu decken, heranzuziehen (OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 7. 3. 2014 - 1 a 21/12.A - juris; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16. April 2014 - A 11 S 1721/13, InfAuslR 2014, 293 und juris).
Prognosemaßstab für das Vorliegen derart relevanter Mängel ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Die Annahme systemischer Mängel setzt somit voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedsstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Fall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 19. März 2014 - 10 B 6.14 - juris). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten - nicht rein quantitativen - Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss ihnen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH Bad.-Württ., U. v. 16. April 2014, a. a. O.; OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 7. März 2014, a. a. O., OVG Sachsen-Anhalt, B. v.
Der Mitgliedsstaat, der die Überstellung des Asylsuchenden vornehmen muss, ist im Fall der Widerlegung der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat im Einklang mit den Erfordernissen der GFK und der EMRK steht, verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann.
Gründe, die der Überstellung des Antragstellers nach Ungarn entgegenstehen, sind nicht anzunehmen.
Es liegt kein - der Rückführung entgegenstehender - Fall vor, in dem der zuständige Drittstaat, in den der Schutzsuchende zurückgeführt werden soll, hier die Republik Ungarn, die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 4 EuGrdRch) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. Art. 3 EMRK) nicht erfüllt bzw. es durch Tatsachen gestützte Gründe dafür gibt, dass in diesem Mitgliedsstaat in verfahrensrechtlicher oder materieller Hinsicht nach aktuellen Erkenntnissen kein hinreichender Schutz vor Verfolgung gewährt wird.
Systemische Mängel sind zu dem gem. § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlicher Entscheidung hinsichtlich der Verhältnisse ein Ungarn nicht anzunehmen. Dies gilt auch für die vom Antragsteller thematisierten Aufnahmebedingungen von Asylsuchenden.
Das Gericht teilt insoweit die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U. v. 3. 7. 2014 - 71932/12 - UA Rn.68 ff.; U. v. 6. 6. 2013 - 2283/12 - Asylmagazin 2013, 342 ff.) sowie anderer deutscher Verwaltungsgerichte, die systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn verneinen (VGH BW, B. v. 6. 8. 2013 - 12 S 675/13 - juris Rn.4; OVG LSA, B. v. 31. 5. 2013 - 4 L 169/12 - juris Rn. 23; VG Würzburg, B. v. 2. 1. 2015 - W 1 S 14.50120 - juris, Rn.28 ff., VG Düsseldorf, B. v. 2. 9. 2014 - 6 L 1235/14.A - juris, Rn. 8 ff.; VG München, B. v. 26. 6. 2014 - M 24 S 14. 50325 - juris Rn.31 ff., VG Düsseldorf, B. v. 27. 8. 2014 - 14 L 1786/14.A - juris, Rn. 24 ff; VG Augsburg, B. v. 21. 1. 2015, Au 2 S 14.50360 - juris, Rn. 19 ff.; VG Regensburg, U. v. 5. 12. 2014, RN 6 K 14.50089 - juris, Rn. 24 ff.; VG Bayreuth, B. v. 13. 1. 2015 - B 3 S 14.50129 - juris, Rn. 14 ff.; VG Augsburg, B. v. 26. 1. 2015 - Au 7 S 15.50015 - juris, Rn. 21 ff.; VG Regensburg, B. v. 4. 2. 2015 - RO 1 S 15.50021 - juris, Rn. 24 ff.; u. viele andere).
Nach der Berichterstattung des UNHCR zum Asylland Ungarn vom Dezember 2012 hat das ungarische Parlament im November 2012 umfassende Gesetzesänderungen verabschiedet. Danach werden Asylsuchende nicht mehr ohne sachliche Prüfung ihres Asylantrags zurückgeschoben und nicht inhaftiert, wenn sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise einreichen. „Dublin-Rückkehrer“ werden nicht automatisch inhaftiert und erhalten die Möglichkeit, ein noch nicht in der Sache geprüftes Asylverfahren zu Ende zu bringen. Bestätigt werden diese Verbesserungen durch das Hungarian Helsinki Committee (HHC, Brief Information note on the main asylum-related legal changes in Hungary as of 1 July 2013, Seite 1; in englischer Sprache im Internet abrufbar).
Mögliche systemische Mängel des ungarischen Asylsystems werden in jüngerer Zeit primär auf die im Juli 2013 in Ungarn in Kraft getretene Gesetzesnovelle gestützt, wonach die Inhaftierung von Asylsuchenden für bis zu sechs Monate möglich ist (z. B. VG Frankfurt/Oder, B. v. 24. 7. 2013 - VG 1 L 213/13.A; VG München, B. v. 4. 10. 2013 - M 23 S 13.30926). Auch dieser Umstand begründet nach Auffassung des Gerichts keine systemischen Mängel. So entsprechen die in Art. 31 A Abs. 1 des ungarischen Gesetzes (eine englische Version dieses Gesetzes befindet sich in dem in englischer Sprache verfassten Bericht: UNHCR comments and recommendations on the draft modification of certain migration-related legislative acts für the purpose of legal harmonisation, Internet) genannten Haftgründe ganz überwiegend denen des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33/EU. Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie darf nach Art. 31 A Abs. 3 des ungarischen Gesetzes eine solche Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen (vgl. Art. 8 Abs. 2 RL 2013/33/EU). Auch darf eine solche Inhaftierung nach Art. 31 B Abs. 1 des ungarischen Gesetzes nicht alleine deswegen erfolgen, weil der Antragsteller einen Asylantrag gestellt hat (Art. 8 Abs. 1 RL 2013/33/EU). Dass allein aufgrund dieser Neuregelungen das ungarische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zur Folge hätten, ist damit nicht ersichtlich. Bemängelt wurde diesbezüglich, dass die ungarischen Regelungen zum Teil zu unbestimmt gefasst seien und damit die Gefahr der missbräuchlichen Verwendung bestünde (so HHC, Brief Information Note, S. 2; UNHCR comments and recommendations, S.9).
Die Evaluation des UNHCR „Zur Situation der Flüchtlinge in Ungarn vom 30. September 2014 (Auskunft an das VG Düsseldorf in englischer Sprache) hat ergeben, dass in der ersten Hälfte des Jahres 2014 mehr als 40% der erwachsenen Dublin-Rückkehrer inhaftiert worden sind. Doch wird nach der „Informationsschrift für Asylsuchende in Gewahrsam (und) die dem Dublin-Verfahren unterliegen“ des Hungarian Helsinki committees (HHC) vom Mai 2014 seit dem 1. 1. 2014 aufgrund von Änderungen zum Asylgesetz (Ergänzung zum Asylgesetz by Act CXCVIII of 2013) Dublin-Rückkehrern jetzt in der Regel Zugang zum Asylverfahren und eine volle Untersuchung ihres Asylantrags gewährt (VG Bayreuth, B. v. 13. 1. 2015, B 3 S 14.50128 - juris; Asylum Information Database (aida), dt. Übersetzung). Allein die Zahl von 40% der inhaftierten Asylbewerber stellt noch keine systemischen Mängel des Asylverfahrens dar. Es erscheint nämlich angesichts der hohen Zahl an Asylbewerbern, die sich dem Asylverfahren in Ungarn entziehen und beispielsweise in Deutschland entgegen den Regelungen der Dublin II - oder III -Verordnung einen weiteren Asylantrag stellen, nicht ausgeschlossen, dass bei 40% aller Asylantragsteller in Ungarn tatsächlich Fluchtgefahr gem. Art. 8 Abs. 3 b) der (Ri) 2013/33/EU besteht.
Nach dem neuesten Bericht der Asylum Information Database (aida) mit Berichtsstand zum 30. April 2014 mit deutscher Übersetzung erfolgt keine Inhaftierung von nach der Dublin-Verordnung überstellten Asylbewerber, wenn das Asylverfahren ablehnend beschieden wurde. Zu rechnen war nach der Gesetzesänderung zum 1. Juli 2013 damit, dass der Asylbewerber bei Stellung eines Asylfolgeantrags in Einwanderungshaft genommen wird (aida, a. a. O., Inhaftierung von Asylbewerbern, B. Haftgründe). Nunmehr erfolgt dies aber nur noch bei den Folgeantragsstellern, deren Antrag als offensichtlich unzulässig oder unbegründet abgelehnt wurde. Alle anderen Inhaftierungen erfolgen nur noch im Rahmen von Asylhaft mit wesentlich moderateren Bedingungen (aida, a. a. O., C Haftbedingungen; vgl. VG Regensburg, B. v. 4. 2. 2015 - RO 1 S 15.50021 - juris).
Grundsätzlich stellt die Möglichkeit der Haft keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens dar. Dies könnte nur angenommen werden, wenn die Haft eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK wäre. Dies ist dem Grunde nach nicht der Fall, wenn sie nicht nur wegen der Durchführung des Asylverfahrens erfolgt, Art. 8 Abs. 1 RL 2013/33/EU. Die Haftgründe entsprechen im Wesentlichen den in der Europäischen Union zulässigen Haftgründen in Art. 8 Abs. 3 RL 2013/33/EU und sind damit dem Grunde nach zulässig.
Die zu erwartende Haft ist auch nicht nach der Haftdauer und den Haftbedingungen unmenschlich oder erniedrigend. Wie ausgeführt, hätte der Antragsteller nur dann Einwanderungshaft für den Asylfolgeantrag zu befürchten, wenn sein erster Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden wäre. Von Ausnahmen abgesehen, erhalten Asylbewerber aus Syrien in Ungarn die Anerkennung als Flüchtling oder subsidiären Schutz (96% nach der Tabelle Nr. 1, aida - nur in englischer Fassung -). Es bestehen damit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Asylerstantrag als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde. Für den Antragsteller ist daher keine Einwanderungshaft sondern nur Asylhaft zu erwarten.
Die Asylhaft beträgt zunächst maximal 72 Stunden und kann verlängert werden. Häufig wird die Haftanordnung nicht mit hinreichend individueller Prüfung verlängert (aida, a. a. O., Inhaftierung von Asylbewerbern, B Haftgründe), so dass maximal zulässige Haft von sechs Monaten nicht ausgeschlossen werden kann. Aufgrund der vorhandenen Zahlen kann aber insbesondere für Asylbewerber aus Syrien mit der hohen Anerkennungsquote nicht von einer so langen Haft ausgegangen werden. Die durchschnittliche Haftdauer betrug zwar in den Jahren 2010 bis Ende 2012 vier bis fünf Monate. Nach Wiedereinführung der Haft waren von Juli 2013 bis Dezember 2013 bei 532 Plätzen in Asylhaftanstalten und 268 Plätzen in Einwanderungshaftanstalten 1762 Asylbewerber in Haft, am 5. März 2014 waren es 369 Asylbewerber (aida, a. a. O., Inhaftierung von Asylbewerbern, A. Allgemeines). Aus diesen Zahlen kann zwar keine durchschnittliche Haftdauer errechnet werden, auch können keine konkreten Folgerungen für die erwartete Haftdauer eines einzelnen Asylbewerbers gezogen werden. Die Wahrscheinlichkeit einer nur kurzen Inhaftierung ist aber groß, da sich nach der in Ungarn herrschenden Praxis der Grund der Haftanordnung wegen der Herkunft des Antragstellers aus Syrien durch Gewährung internationalen Schutzes erledigen wird (VG Regensburg, B. v. 4. 2. 2015 - RO 1 S 15.50021 - juris).
Im Ergebnis hält das Gericht nach summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung trotz einer zu erwartenden Asylhaft nicht für überwiegend wahrscheinlich, dass dem Antragsteller die Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung droht. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH (U. v. 3. 7. 2013, 71932/122) sowie der überwiegenden Rechtsprechung (vgl. oben).
Schließlich geht das Gericht auch davon aus, dass nach derzeitiger Erkenntnislage die Lebensbedingungen insbesondere für anerkannte Asylbewerber und subsidiär Schutzberechtigte zwar schwierig sind (vgl. hierzu den Bericht von bordermonotoring.eu, Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit, Oktober 2013, S. 16 ff). Diese stellen sich aber als nicht so gravierend dar, dass diese entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge hätten.
Von einem schwierigen Arbeitsmarkt sind die ungarischen Staatsangehörigen gleichermaßen betroffen. Asylbewerber haben in Ungarn im Rahmen der materiellen Aufnahmeleistungen Zugang zur medizinischen Versorgung (§ 26 des ungarischen Asylgesetzes; aida, dt. Übersetzung, C. Medizinische Versorgung). Dadurch werden notwendige medizinische Behandlungen abgedeckt; der Umfang entspricht der medizinischen Gratisversorgung für legal im Land lebende ausländische Staatsangehörige. Asylbewerber haben ein Recht darauf, von Allgemeinärzten untersucht und behandelt zu werden. Das Gesetz (§ 34 des staatlichen Dekrets 301/2007) sieht vor, dass Asylbewerber mit besonderen Bedürfnissen medizinische Versorgung, Rehabilitationsmaßnahmen, ambulante und stationäre psychologische Versorgung oder psychotherapeutische Behandlungen in Anspruch nehmen können, die gesundheitlich geboten sind. In der Praxis gibt es keine Richtlinie, anhand derer besonders schutzwürdige Asylbewerber identifiziert werden, und es mangelt an einer spezialisierten medizinischen Versorgung. Asylbewerber, die in Aufnahmezentren untergebracht sind, erhalten Unterkunft und Verpflegung sowie einen monatlichen Geldbetrag für Körperpflegeprodukte und Taschengeld (aida, dt. Übersetzung, A. Aufnahmebedingungen).
Der Vortrag des Antragstellers, er habe einen Neffen im Bundesgebiet, der ebenfalls einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zum Ergebnis, dass die Bundesrepublik von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müsste.
Das Selbsteintrittsrecht ergibt sich nicht aus Art. 16 Dublin III-VO, weil der Neffe des Antragstellers nicht ein Angehöriger im Sinne dieser Vorschrift ist (Kind, Geschwister, Eltern).
Die Pflicht zum Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich auch nicht aus den vom Klägerbevollmächtigten zitierten Vorschriften des Art. 17 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO.
Danach kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz selbst zu prüfen, auch wenn er nicht für die Prüfung zuständig ist (§ 17 Abs. 1 Dublin III-VO). Damit wird der Mitgliedsstaat zum zuständigen Mitgliedsstaat, Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO. Ob der Mitgliedsstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, dessen Ausübung integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten europäischen Asylsystems ist (vgl. EuGH, U. v. 21. 12. 2011 - C-411/10; C-493/10
Gemessen an diesen Vorgaben hat die Antragsgegnerin ihr Selbsteintrittsrecht nicht ausgeübt. Sie hat an keiner Stelle des Verwaltungsverfahrens zweifelsfrei erkennen lassen, dass sie das Verfahren in eigener Zuständigkeit durchführen will; im Gegenteil hat das Bundesamt von Anfang an das Dublin-Verfahren eröffnet und durchgeführt und im streitgegenständlichen Bescheid ausgesprochen, von ihrem Selbsteintrittsrecht keinen Gebrauch zu machen. Im Übrigen begründet die Selbsteintrittskompetenz des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO kein subjektives Recht des Asylbewerbers. Die Vorschrift dient - wie die übrigen Vorschriften der Dublin-Verordnungen in der Regel auch - der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den Mitgliedsstaaten (vgl. VG Berlin
Das Selbsteintrittsrecht des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO hat sich auch nicht zu einer Selbsteintrittspflicht verdichtet.
Die Voraussetzungen für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts sind in der Dublin III-VO nicht geregelt und bleiben daher dem innerstaatlichen Recht überlassen. Art. 17 Dublin III-VO wird als eine Generalklausel für die Zuständigkeitsübernahme angesehen in den Fällen, in denen außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern (vgl. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO; vgl. VG Bremen, B. v. 4. 9. 2013 - 4 V 1037/13.A - juris zu Dublin II-VO).
Außergewöhnliche humanitäre (familiäre oder krankheitsbedingte) Gründe, die nach der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt fordern und ausnahmsweise eine Ermessensreduktion auf Null zugunsten eines Selbsteintritts erzeugen könnten, hat der Antragsteller nicht substantiiert vorgetragen. Zwar ergibt sich aus der Stellungnahme des Amtes für Kinder, Jugend und Familie des Landratsamtes ... vom 20. Januar 2015, dass der ... Neffe nur den Antragsteller als Bezugsperson hat, dass dieser als Mittelsmann zwischen dem Kind und den Eltern fungiert und dass eine innige Beziehung zwischen dem Antragsteller und dem Neffen besteht. Diese Stellungnahme wird auch vom Vormund des Neffen unterstützt. Allerdings handelt es sich dabei nicht um solche außergewöhnlichen Umstände, die zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen müssen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Neffe vom Jugendamt versorgt wird und nicht zwingend auf den Onkel angewiesen ist.
Der Hinweis, dass in einem Verfahren eines Landsmannes des Antragstellers beim VG München einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben wurde, hat auf dieses Verfahren keine Auswirkung, da jedes Verfahren individuell zu prüfen ist.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 15. Mai 2015 bei Gericht gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 3710/15.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. April 2015 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet.
5Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
6Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil Ungarn für dessen Prüfung zuständig ist. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
7Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat ist (I.). Auch steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Überstellung des Antragstellers nach Ungarn durchgeführt werden kann (II.).
8I. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß ihrem Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, also auch auf den Asylantrag des Antragsteller vom 15. Dezember 2014.
9Nach den Vorschriften der Dublin III-VO ist Ungarn der zuständige Staat für die Prüfung dieses Asylantrags.
10Der Antragsteller hat ausweislich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 5. Januar 2015 bereits am 8. November 2014 in Ungarn einen Asylantrag gestellt. Ungarn hat auf das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 29. Januar 2015 unter dem 5. Februar 2015 seine Bereitschaft zur Übernahme des Antragstellers erklärt. Ungarn ist daher gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO grundsätzlich verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Wiederaufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
11Lediglich vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass sich der Antragsteller auf einen etwaigen Verstoß gegen diese Fristenregelung auch nicht berufen könnte, da die Vorschrift ihm kein subjektives Recht einräumt.
12Vgl. hierzu ausführlich Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014– 13 K 8286/13.A –, juris.
13Dem Antragsteller bleibt es unbenommen, sich freiwillig bei den zuständigen Behörden in Ungarn zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. Dies betreffend regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, die ausweislich der der Dublin III-VO vorangestellten Erwägungen (Nr. 24) entsprechend anwendbar ist, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
14Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
15Hat es der Asylbewerber folglich selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgt und dass sie überhaupt erfolgt, kann er mithin selbst zu der von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet schon der allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abgeleitete – Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“), sich auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland zu berufen.
16II. Es steht auch zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts fest, dass die Abschiebung im Sinne von § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG durchgeführt werden kann. Weder leidet das ungarische Asylsystem an systemischen Mängeln (1.) noch fehlt es an der erforderlichen Übernahmebereitschaft Ungarns (2.).
171. Es liegen keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Ungarns eine Verpflichtung der Antragsgegnerin begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Antragsteller nach Ungarn abzuschieben.
18Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die Dublin‑Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
19vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
20Die Antragsgegnerin ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO zugunsten des Antragstellers – gehindert, diesen nach Ungarn zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen (vgl. Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO). Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
21EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
22der Fall wäre, liegen nicht vor.
23Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 20. März 2015 – 13 K 501/14.A und 13 K 445/14.A –, zur Veröffentlichung bei juris und www.nrwe.de vorgesehen.
24Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
25EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
26Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
27EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
28Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
30Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
31vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
32Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Antragsteller vor der Ausreise aus Ungarn dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben, über den materiell noch nicht entschieden worden ist.
33Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
34vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
35Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist,
36vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, juris, Rn. 44.
37Für die Frage, ob in Ungarn „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegen, kommen dabei allerdings vorliegend von vorne herein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind,
38vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 – 2283/12 –, juris, Rn. 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net.
39Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention – eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft – in das Asylrecht aufgenommen.
40Der EGMR, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
41vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris, Rn. 32,
42und dessen Rechtsprechung maßgeblich für die Auslegung der Menschenrechte der EMRK ist, hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage verneint. Zur Begründung führte er aus:
43„The country reports showed that there is still a practice of detaining asylum-seekers, and that so-called asylum detention is also applicable to Dublin returnees. The grounds for detention are vaguely formulated, and there is no legal remedy against asylum detention. However, the reports also showed that there is no systematic detention of asylum-seekers anymore, and that alternatives to detention are now provided for by law. The maximum period of detention has been limited to six months. Turning to the conditions of detention, it is noted that while there are still reports of shortcomings in the detention system, from an overall view there seem to have been improvements.
44Moreover, the Court notes that the UNHCR never issued a position paper requesting EU member States to refrain from transferring asylum‑seekers to Hungary under the Dublin II or Dublin III Regulation (compare the situation relating to Greece discussed in M.S.S. v. Belgium and Greece, cited above, § 195, and the UNHCR recommendation of 2 January 2013 to halt transfers to Bulgaria).
45Under those circumstances and as regards the possible detention of the applicant and the related complaints, the Court concludes that in view of the recent reports cited above, the applicant would currently not be at a real and individual risk of being subjected to treatment in violation of Article 3 of the Convention upon a transfer to Hungary under the Dublin Regulation.”
46EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68 bis 70.
47Soweit der EGMR mit Urteil vom 10. März 2015 (14097/12, 45135/12, 73712/12, 34001/13, 44055/13, 64586/13) Ungarn wegen der Überfüllung seiner Gefängnisse zu einer Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 3.400 bis 26.000 Euro verurteilt hat, weicht er nicht von seiner vorstehend genannten Entscheidung ab. Denn der EGMR hat sich in dieser Entscheidung mit den Haftbedingungen in Strafhaftanstalten beschäftigt. Hingegen erfolgt die Inhaftierung von Asylbewerbern – wie noch weiter ausgeführt werden wird – in getrennten Haftanstalten, in denen keine vergleichbaren Verhältnisse herrschen.
48Auch das erkennende Gericht vermag nach Auswertung der im vorliegenden Verfahren eingeholten aktuellen Auskünfte des UNHCR, des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl – welche dem EGMR bei seiner Entscheidung nicht vorlagen – nicht festzustellen, dass der Antragsteller Gefahr liefe, nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen:
49Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK normieren das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
50EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
51Eine Behandlung in diesem Sinne kann nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme zumindest nicht positiv festgestellt werden.
52Zwar hat sich nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestätigt, dass Dublin-Rückkehrer flächendeckend – so der UNHCR – bzw. regelmäßig – so Pro Asyl – inhaftiert werden.
53Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 3, Seite 2; Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 3 b), Seite.
54Indes begründet die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 – wieder – Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage praktisch alle Dublin-Rückkehr – so der UNHCR – bzw. regelmäßig, allerdings nicht sämtliche Dublin-Rückkehrer – so Pro Asyl – inhaftiert, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Vielmehr verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
55Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn. 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
56Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards, zu denen auch die Benennung von Haftgründen gehört. Anhaltspunkte dafür, dass diese Mindeststandards ihrerseits nicht genügen, um die Asylbewerber vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu schützen, liegen dem Gericht nicht vor. Danach darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, im Falle notwendiger Beweissicherung, insbesondere bei Fluchtgefahr, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
57Dahingestellt bleiben kann, wann ein Verstoß gegen diese Mindeststandards die Annahme systemischer Mängel indiziert, da die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern (Act LXXX of 2007 on Asylum, im Folgenden: Asylum Act Hungary) den vorstehend genannten Vorgaben im Wesentlichen gerecht werden:
58Gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary darf eine Inhaftierung nicht alleine deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Artikel 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstabe c). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden; Familien mit Minderjährigen dürfen nur ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Amtsgericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht in der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist.
59Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden diese Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern – speziell Dublin-Rückkehrern – nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt, liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
60Das Gericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme unter anderem danach gefragt, auf welche konkreten Haftgründe die Inhaftierungen seit dem 1. Juli 2013 gestützt werden (Frage 4).
61Pro Asyl gab an, dass laut dem Hungarian Helsinki Committee (HHC) in der Praxis vor allem der Haftgrund „risk of absconding“ (c) bzw. der Haftgrund „risk of absconding“ in Verbindung mit „establishment of identiy“ (a) Anwendung finde. Weiterhin würden Inhaftierungen auf dem Haftgrund „previous absconding“ (b) basieren.
62Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 4, Seite 3.
63Bei diesen Haftgründen, welche dazu dienen, einer bestehende Fluchtgefahr zu begegnen oder die Identität des Asylbewerbers festzustellen, handelt es sich um Haftgründe, die den in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL genannten entsprechen. Allerdings hat Pro Asyl im Rahmen der Beantwortung von Frage 9 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des HHC angegeben, dass in der Mehrheit der Haftanordnungen weiterhin auf Gründe verwiesen werde, die nicht unter die im „Asylum Act“ definierten Haftgründe fallen würden. Das HHC führt diesbezüglich auf Seite 6 der „INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“ von Mai 2014 aus, dass viele Entscheidungen verschiedene Umstände und Gründe benennen würden, die oftmals über die zulässigen Haftgründe nach dem Asylum Act Hungary hinausgingen. Beispielsweise genannt werden der unrechtmäßige Aufenthalt, die Einreise auf irreguläre Weise, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und das Fehlen von Verbindungen nach Ungarn. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit die vorstehend genannten Beispiele unter einen der in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL bzw. § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe subsumiert werden können. Zunächst liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, wonach diese Haftgründe auch bei Dublin-Rückkehrern angewandt werden. Sodann bestehen nach dem oben Ausgeführten tragfähige Anhaltspunkte, die die häufige Heranziehung des auch in der AufnahmeRL aufgeführten Haftgrundes der Fluchtgefahr belegen. Schließlich lässt sich jedenfalls nicht allein aus einer etwaigen europarechtswidrigen Annahme eines Haftgrundes ohne weiteres auf das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta schließen. Entscheidend ist vielmehr, dass das ungarische Recht den Asylbewerbern in solchen Fällen ermöglicht, sich gegen eine unrechtmäßige Inhaftierung zu wehren.
64Zwar gibt es gemäß § 31/C Absatz 2 Asylum Act Hungary keine individuellen Rechtsmittel, sondern gemäß Absatz 3 nur die Möglichkeit eines Einspruchs („objection“), gegen die Haftanordnung.
65Vgl auch Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 9 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
66Dahingestellt bleiben kann, inwieweit dieser Rechtsbehelf hinreichenden Rechtschutz zu gewähren vermag. Denn die Asylbewerber haben jedenfalls die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung im Rahmen der von Amts wegen erfolgenden Überprüfung nach 72 Stunden bzw. 60 Tagen vor dem Amtsgericht geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Fristregelungen gegen Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL ‑ der seinerseits keine konkreten Fristvorgaben enthält – verstoßen und/oder diese Vorgaben in der Praxis nicht umgesetzt werden, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die vorgeschriebenen gerichtlichen Haftüberprüfungen nicht geeignet sind, den Asylbewerbern effektiven Rechtschutz zu gewähren. Zwar kritisieren Pro Asyl und der UNHCR, dass es in der Praxis so gut wie nie zu einer Entlassung komme.
67Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 10 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
68Zum einen konnte keine der drei befragten Organisationen verlässliche Auskünfte zu der Frage, wie viele der nach dem 1. Juli 2013 erlassenen Anordnungen von Asylhaft aufgrund der bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten tatsächlich aufgehoben worden sind, geben.
69Vgl. die Antworten des Auswärtigen Amtes, UNHCR und von Pro Asyl zu Frage 12 des Beweisbeschlusses.
70Zum anderen ließe sich allein aus einer geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe auch nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die ungarischen Gerichte keinen effektiven Rechtschutz gewährleisten. Dass derartige Haftprüfungsanträge durch die Gerichte angeblich mit schematisierten Entscheidungen abgelehnt werden und die Verhandlungen nur wenige Minuten dauern, muss nicht bedeuten, dass diese Rechtsbehelfe nicht individuell geprüft würden. Vielmehr kann in Haftsachen, die Massenverfahren darstellen, aus Gründen der Vereinfachung auch eine individuelle richterliche Überprüfung zu einer schematisierten Begründung führen, wenn das Gericht keine besonders begründungsbedürftigen Umstände des Einzelfalles angenommen hat, ohne dass grundlegende rechtsstaatliche Garantien verletzt wären; die Annahme von (fortbestehender) Fluchtgefahr bei Personen, die sich dem Asylverfahren bereits in der Vergangenheit entzogen haben, erscheint dem erkennenden Gericht zumindest nicht unvertretbar.
71Vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 23. September 2014 – W 1 K 14.50050 –, juris, Rn. 37.
72Gleichfalls steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in der Praxis entgegen den Vorgaben des Artikel 8 Absatz 2 AufnahmeRL und § 31/A Absatz 2 Asylum Act Hungary erfolgt. Danach dürfen die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es erforderlich ist, auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
73Zwar spricht vieles dafür, dass die Haftanordnung regelmäßig schematisch erfolgt und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Argumentation unter Abwägung der Rechts- bzw. Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht stattfindet.
74Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 9, Seite 8.
75Indes lässt sich daraus bereits nicht ableiten, dass eine Einzelfallprüfung auch tatsächlich nicht stattgefunden hat. Vielmehr erscheint es dem Gericht nachvollziehbar, dass die Haftanordnungen größtenteils inhaltlich identisch aussehen und von einer individuellen Begründung absehen, da die Haftanordnung bei Dublin Rückkehrern regelmäßig auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt wird. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin-Rückkehr bereits einmal aus Ungarn geflohen sind, erscheint diese Annahme auch nicht willkürlich (s.o.).
76Ungeachtet dessen widerlegt die Tatsache, dass es auch Fälle gibt, in denen die Haftanordnung auch individuelle Einzelheiten berücksichtigt,
77vgl. HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, Seite 6,
78die Annahme der fehlenden individuellen Einzelfallprüfung. Auch spricht für die Durchführung einer Einzelfallprüfung, dass Familien und besonders schutzbedürftige Personen in der Regel nicht inhaftiert werden, obwohl die Inhaftierung dieser Personengruppen ebenfalls rechtlich möglich wäre.
79Vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 6, Seite 6.
80Zudem wird zumindest auch in vereinzelten Fällen von den im ungarischen Recht vorgesehenen Haftalternativen Gebrauch gemacht. Laut dem HHC sei in 13 der 107 untersuchten Haftentscheidungen begründet worden, warum nicht auf Haftalternativen zurückgegriffen worden sei. Im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 17. April 2014 sei in 32 Fällen eine Kaution angeordnet worden. Die Betroffenen seien vorab gefragt worden, ob sie Geld besäßen bzw. jemand Geld schicken könne.
81Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9; dem UNHCR liegen hierzu keine Informationen vor.
82Daraus geht hervor, dass die gesetzlich vorgesehenen Haftalternativen in der Praxis ‑ wenn auch nur in Ausnahmefällen – tatsächlich angewendet werden. Dass die Anzahl von Fällen, in denen eine Kaution angeordnet wurde gering ausfällt überrascht das Gericht nicht, da Flüchtlinge in der Regel nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen werden, um eine Kaution in Höhe von 962,00 und 2.000,00 Euro bezahlen zu können.
83Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9.
84Unter Berücksichtigung der Funktion einer Kaution als eine Sicherheitsleistung, welche nur bei einer gewissen – für den Betroffenen spürbaren – Höhe erfüllt werden kann, bestehen keine Bedenken gegen die geforderte Höhe. Auch spricht der Umstand, dass die Höhe der geforderten Kaution variiert, dafür, dass die Höhe der Kaution im jeweiligen Einzelfall entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Inhaftierten festgesetzt wird.
85Aus den vorstehenden Ausführungen folgt überdies, dass die Haftanordnung in Übereinstimmung mit Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft, die letztlich eine Überprüfbarkeit gewährleisten, ergeht. Diese werden den Asylsuchenden auch verbal übersetzt.
86Vgl. Auskunft Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 zu Frage 1.
87Damit wird dem durch Artikel 5 Absatz 2 EMRK gewährleisteten Recht eines jeden Festgenommenen auf Unterrichtung hinreichend entsprochen. Eine mündliche Unterrichtung genügt insoweit.
88Vgl. Dörr, in: Grote/Marahun, EMRK/GG, S. 574, Rn. 36.
89Auch aus den Erkenntnissen des Gerichts zur Haftdauer lässt sich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Dublin-Rückkehrern ableiten. Vielmehr steht die Rechtslage und tatsächlich gelebte Praxis in Ungarn auch insoweit in Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Laut Auskunft von Pro Asyl beobachtete das HHC in der Vergangenheit, dass die maximale Haftdauer von sechs Monaten in vielen Fällen ausgeschöpft worden sei. Seit Kurzem würden inhaftierte Asylsuchende aus der Asylhaft entlassen, sobald das OIN im „in-merit procedure“ über das Asylgesuch entschieden hat und zwar auch dann, wenn diese Entscheidung negativ ausgefallen sei und der Betroffene Rechtmitte eingelegt habe. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Höchstgrenze der zulässigen Haftdauer überschritten wird.
90vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2 Buchstabe, Seite 2.
91Es erscheint zumindest nicht unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr – bis zu einer Entscheidung über das Asylbegehren bzw. unter Umständen auch nach einer ablehnenden Entscheidung – fortlaufend gegeben ist.
92Vgl. Verwaltungsgericht Stade, Beschluss vom 14. Juli 2014 – 1 B 862/14 –, juris, Rn. 15.
93Hinzu kommt, dass die Inhaftierung von Amts wegen alle 60 Tage überprüft wird (s.o.), die Asylbewerber mithin die Möglichkeit haben, ihre Inhaftierung auf die fortbestehende Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen.
94Schließlich kann das Gericht den aktuellen Auskünften nicht entnehmen, dass die konkreten Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer darstellen.
95Hinsichtlich der Haftbedingungen in den Asylhaftanstalten liegen dem Gericht im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse vor:
96Die Asylhafteinrichtungen seien nicht überbelegt. Die gesetzliche Mindestvorgabe von 5 m² pro Person werde in allen Einrichtungen gewahrt. Asylbewerber könnten sich innerhalb der Hafteinrichtungen zwischen 6 und 23 Uhr frei bewegen. Außerhalb der Einrichtungen, auf dem Weg zum Krankenhaus oder zum Gericht, würden die Asylbewerber hingegen an einer Leine geführt. Zur Freizeitgestaltung gebe es in den Hafteinrichtungen Computerräume mit Internetzugang, Fitnessräume und Gemeinschaftsräume, in denen ein Fernseher stehe. Bezüglich der hygienischen Verhältnisse in den Asylhafteinrichtungen lägen Mängel vor. In Békéscaba hätten einige der Toiletten keine Türen gehabt und einige Wasserhähne würden nicht funktionieren, weshalb der Zugang zu warmen Wasser nicht immer gewährleistet sei. In Nyírbátor habe eine unzureichende Versorgung mit Putzutensilien und Reinigungsmitteln zur Reinigung der Toiletten und Duschen stattgefunden. Der Waschraum im ersten Stock sei permanent dreckig gewesen und würde stinken. Auch sei das Wasser von mangelhafter Qualität gewesen, was zu Hautausschlägen geführt habe. In Debrecen seien Duschen im zweiten Stock häufig verstopft und daher unbenutzbar gewesen. Eine Versorgung mit Lebensmitteln erfolge entsprechend einer Verordnung des Innenministeriums. Religiöse und medizinische Besonderheiten würden in der Regel berücksichtigt. Kritisiert werde aber die schlechte Qualität des Essens. Eine medizinische Grundversorgung werde gewährleistet, auch wenn diese oft als unzureichend empfunden werde. Sanitäter bzw. Krankenschwestern seien permanent anwesend; Allgemeinmediziner würden die Einrichtungen zweitweise besuchen. In schwerwiegenden Fällen könne eine Zuweisung zu den Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems erfolgen. Die Kosten der Behandlung trage der ungarische Staat bzw. seine Gesundheitseinrichtung. In der Aufnahmeeinrichtung Békéscaba werde zudem psychologische Betreuung durch Spezialisten und Psychologen der Cordelia Stiftung gewährt.
97Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 ff.; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19. November 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 15 ff.
98Obschon das Gericht nicht verkennt, dass Defizite in den Haftbedingungen bestehen, erreichen diese jedenfalls nicht das erforderliche Mindestmaß an Schwere, um von systemischen Mängeln in dem geschilderten Sinne ausgehen zu können. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie die Dauer der Behandlung und ihre physischen und psychischen Wirkungen und manchmal das Geschlecht, das Alter und der Gesundheitszustand des Opfers.
99Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – M.S. S./Belgien u. Griechenland, Rn. 219.
100Die vorstehend genannten hygienischen, medizinischen und sonstigen Mängel in den Asylhaftanstalten, insbesondere auch die Vorfälle, in denen Asylbewerber von „armed security guards“ misshandelt worden sind, sind zwar nicht zu vernachlässigen. Indes lässt sich daraus nicht ableiten, dass die inhaftierten Asylbewerber in Ungarn nicht nur vereinzelt sondern gerade systematisch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterliegen. Vielmehr zeigt ein Vergleich mit der früheren Lage in Ungarn, dass zwischenzeitlich weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen eingetreten sind.
101So auch EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68.
102Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren. Auch der Umstand, dass sich die Situation in Ungarn deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel.
103Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 69; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 13 L 58/15.A –, juris, Rn. 43 m.w.N.
104Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der UNHCR – auch nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Inhaftierungspraxis Ungarns infolge der durch das Gericht veranlassten Beweisaufnahme – keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
105So auch Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 26. Januar 2015 – Au 7 S 15.50015 –, juris, Rn. 31.
106Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen des Refoulement-Verbots ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wenn – wie vorliegend – über den Asylantrag des Asylbewerbers noch nicht entschieden worden ist, weil dieser infolge des Verlassens Ungarns während des Asylverfahrens als zurückgenommen gilt.
107Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2, Seite 2 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 20.
108Dass das Asylverfahren des Antragstellers in Ungarn eingestellt worden ist, ohne dass über seinen Asylantrag entschieden worden ist, steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der auf Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe b) Dublin III-VO gestützten Zustimmung Ungarns zur Übernahme des Antragstellers fest. Danach ist ein Mitgliedstaat verpflichtet einen Drittstaatangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.
109Steht nach alldem nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das ungarische Asylverfahren an systemischen Mängeln leidet, geht dieser Umstand – nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast – zu Lasten des Antragstellers. Bereits aus dem eingangs dargestellten Erfordernis, dass sich das Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen muss, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (S. 10),
110BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.14 –, juris, S. 5,
111folgt, dass es zu Lasten des Asylbewerbers geht, wenn das Gericht – wie vorliegend – nicht zu dieser Überzeugungsgewissheit gelangt. Gleiches ergibt sich auch aus der Diktion des EuGH, wonach ein Asylbewerber seiner Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht (Hervorhebung durch das Gericht), die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
112Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 62.
1132. Überdies fehlt es auch nicht an der erforderlichen Übernahmebereitschaft Ungarns. Zwar hat Ungarn unter dem 23. Juni 2015 mitgeteilt, dass es das EU-Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen einseitig außer Kraft setze und bis auf Weiteres keine Flüchtlinge mehr zurücknehme, die aufgrund der Dublin III-VO abgeschoben werden sollen.
114http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-06/ungarn-ruecknahme-stop-fluechtlinge-eu; http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/ungarn-will-keine-fluechtlinge-mehr-aufnehmen-13664323.html; http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-in-europa-ungarn-schottet-sich-ab-1.2534693.
115Insoweit hat Ungarn jedoch schon am Folgetag klargestellt, dass man sich nur weigere, Flüchtlinge aufzunehmen, die andere EU-Staaten irrtümlich nach Ungarn abschieben wollten, wiederaufzunehmen. Es gehe um solche Flüchtlinge, die bei ihrer Flucht als erstes Land Griechenland betreten hätten und daher zu Unrecht nach Ungarn abgeschoben würden.
116http://www.tagesschau.de/ausland/ungarn-fluechtlinge-119.html; http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/dublin-iii-abkommen-ungarn-nimmt-fluechtlinge-weiter-auf-13665801.html.
117Ungeachtet dessen, dass es bereits nicht zutrifft, dass Ungarn für Flüchtlinge, die über Griechenland eingereist sind, nicht zuständig ist, da Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO vielmehr vorsieht, dass der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fortsetzt, wenn es sich – wie im Falle einer Einreise über Griechenland – als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweist, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen, liegen dem Gericht keine Anhaltspunkte dafür, dass Ungarn sich seitdem weigert Dublin-Rückkehrer – und zwar auch solche die über Griechenland nach Ungarn eingereist sind –, deren Aufnahme – wie hier – im Rahmen der Regelungen der Dublin III‑VO bereits ausdrücklich zugestimmt wurde, wiederaufzunehmen. Im Gegenteil: Dem Gericht liegen Erkenntnisse vor, wonach Überstellungen nach Ungarn weiterhin tatsächlich durchgeführt werden, wenngleich die Zahl der Übernahmeersuchen deutlich höher ist als die Zahl der überstellten Personen.
118Vgl. auch Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24. Juli 2015 – 15 L 2370/15.A –, S. 6 des Beschlussabdrucks; http://bordermonitoring.eu/ungarn/2015/06/uebernahmeersuchen-an-ungarn-und-tatsaechliche-ueberstellungen/.
119Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
120Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 23. März 2015 bei Gericht gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 2268/15.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2015 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist jedenfalls unbegründet.
5Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
6Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil Ungarn für dessen Prüfung zuständig ist. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
7Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat ist (I.). Auch steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Überstellung des Antragstellers nach Ungarn durchgeführt werden kann; das ungarische Asylverfahren insbesondere nicht an systemischen Mängeln leidet (II.).
8I. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß ihrem Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, also auch auf den Asylantrag des Antragsteller vom 29. Oktober 2014.
9Nach den Vorschriften der Dublin III-VO ist Ungarn der zuständige Staat für die Prüfung dieses Asylantrags.
10Der Antragsteller hat ausweislich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 26. Januar 2015 bereits am 4. Dezember 2014 in Ungarn einen Asylantrag gestellt (HU1330008707091). Gemäß Artikel 2 Absatz 3 Satz 5 der VO (EG) Nr. 407/2002 vom 28. Februar 2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 über die Einrichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens werden Daten von Asylbewerbern mit der Kennziffer „1“ vergeben.
11Zwar hat der Antragsteller zuvor auch in Griechenland – am 18. November 2014 – und Belgien – am 18. März 2010 – Asyl beantragt. Indes ist weder Griechenland noch Belgien vorrangig für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Maßgeblich ist allein, dass Ungarn unter dem am 23. Februar 2015, und damit innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers erklärt und sich zu dessen Wiederaufnahme bereit erklärt hat. Denn die Dublin III-VO gewährt dem Antragsteller keinen subjektiven, einklagbaren Rechtsanspruch darauf, dass sein Asylantrag in einem bestimmten Mitgliedstaat geprüft wird, den er für zuständig hält.
12VG Ansbach, Urteil vom 19. Mai 2014 – AN 1 K 14.30279 –, juris, Rn. 42 m.w.N.
13Ungarn ist daher gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO grundsätzlich verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Wiederaufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
14Lediglich vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass sich der Antragsteller auf einen etwaigen Verstoß gegen diese Fristenregelung auch nicht berufen könnte, da die Vorschrift ihm kein subjektives Recht einräumt.
15Vgl. hierzu ausführlich Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014– 13 K 8286/13.A –, juris.
16Dem Antragsteller bleibt es unbenommen, sich freiwillig bei den zuständigen Behörden in Italien zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. Dies betreffend regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, die ausweislich der der Dublin III-VO vorangestellten Erwägungen (Nr. 24) entsprechend anwendbar ist, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
17Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
18Hat es der Asylbewerber folglich selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgt und dass sie überhaupt erfolgt, kann er mithin selbst zu der von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet schon der allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abgeleitete – Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“), sich auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland zu berufen.
19II. Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Ungarns eine Verpflichtung der Antragsgegnerin begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Antragsteller nach Ungarn abzuschieben.
20Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die Dublin‑Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
21vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
22Die Antragsgegnerin ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO zugunsten des Antragstellers – gehindert, diesen nach Ungarn zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen (vgl. Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO). Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
23EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
24der Fall wäre, liegen nicht vor.
25Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 20. März 2015 – 13 K 501/14.A und 13 K 445/14.A –, zur Veröffentlichung bei juris und www.nrwe.de vorgesehen.
26Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
27EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
28Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
29EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
30Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
32Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
33vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
34Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Antragsteller vor der Ausreise aus Ungarn dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben, über den materiell noch nicht entschieden worden ist.
35Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
36vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
37Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist,
38vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, juris, Rn. 44.
39Für die Frage, ob in Ungarn „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegen, kommen dabei allerdings vorliegend von vorne herein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind,
40vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 – 2283/12 –, juris, Rn. 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net.
41Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention – eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft – in das Asylrecht aufgenommen.
42Der EGMR, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
43vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris, Rn. 32,
44und dessen Rechtsprechung maßgeblich für die Auslegung der Menschenrechte der EMRK ist, hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage verneint. Zur Begründung führte er aus:
45„The country reports showed that there is still a practice of detaining asylum-seekers, and that so-called asylum detention is also applicable to Dublin returnees. The grounds for detention are vaguely formulated, and there is no legal remedy against asylum detention. However, the reports also showed that there is no systematic detention of asylum-seekers anymore, and that alternatives to detention are now provided for by law. The maximum period of detention has been limited to six months. Turning to the conditions of detention, it is noted that while there are still reports of shortcomings in the detention system, from an overall view there seem to have been improvements.
46Moreover, the Court notes that the UNHCR never issued a position paper requesting EU member States to refrain from transferring asylum‑seekers to Hungary under the Dublin II or Dublin III Regulation (compare the situation relating to Greece discussed in M.S.S. v. Belgium and Greece, cited above, § 195, and the UNHCR recommendation of 2 January 2013 to halt transfers to Bulgaria).
47Under those circumstances and as regards the possible detention of the applicant and the related complaints, the Court concludes that in view of the recent reports cited above, the applicant would currently not be at a real and individual risk of being subjected to treatment in violation of Article 3 of the Convention upon a transfer to Hungary under the Dublin Regulation.”
48EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68 bis 70.
49Soweit der EGMR mit Urteil vom 10. März 2015 (14097/12, 45135/12, 73712/12, 34001/13, 44055/13, 64586/13) Ungarn wegen der Überfüllung seiner Gefängnisse zu einer Zahlung Schadenersatz in Höhe von 3.400 bis 26.000 Euro verurteilt hat, weicht er nicht von seiner vorstehend genannten Entscheidung ab. Denn der EGMR hat sich in dieser Entscheidung mit den Haftbedingungen in Strafhaftanstalten beschäftigt. Hingegen erfolgt die Inhaftierung von Asylbewerbern – wie noch weiter ausgeführt werden wird – in getrennten Haftanstalten, in denen keine vergleichbaren Verhältnisse herrschen.
50Auch das erkennende Gericht vermag nach Auswertung der im vorliegenden Verfahren eingeholten aktuellen Auskünfte des UNHCR, des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl – welche dem EGMR bei seiner Entscheidung nicht vorlagen – nicht festzustellen, dass der Antragsteller Gefahr liefe, nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen:
51Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK normieren das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
52EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
53Eine Behandlung in diesem Sinne kann nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme zumindest nicht positiv festgestellt werden.
54Zwar hat sich nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestätigt, dass Dublin-Rückkehrer flächendeckend – so der UNHCR – bzw. regelmäßig – so Pro Asyl – inhaftiert werden.
55Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 3, Seite 2; Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 3 b), Seite.
56Indes begründet die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 – wieder – Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage praktisch alle Dublin-Rückkehr – so der UNHCR – bzw. regelmäßig, allerdings nicht sämtliche Dublin-Rückkehrer – so Pro Asyl – inhaftiert, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Vielmehr verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
57Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn. 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
58Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards, zu denen auch die Benennung von Haftgründen gehört. Anhaltspunkte dafür, dass diese Mindeststandards ihrerseits nicht genügen, um die Asylbewerber vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu schützen, liegen dem Gericht nicht vor. Danach darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, im Falle notwendiger Beweissicherung, insbesondere bei Fluchtgefahr, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
59Dahingestellt bleiben kann, wann ein Verstoß gegen diese Mindeststandards die Annahme systemischer Mängel indiziert, da die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern (Act LXXX of 2007 on Asylum, im Folgenden: Asylum Act Hungary) den vorstehend genannten Vorgaben im Wesentlichen gerecht werden:
60Gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary darf eine Inhaftierung nicht alleine deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Artikel 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstabe c). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden; Familien mit Minderjährigen dürfen nur ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Amtsgericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht in der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist.
61Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden diese Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern – speziell Dublin-Rückkehrern – nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt, liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
62Das Gericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme unter anderem danach gefragt, auf welche konkreten Haftgründe die Inhaftierungen seit dem 1. Juli 2013 gestützt werden (Frage 4).
63Pro Asyl gab an, dass laut dem Hungarian Helsinki Committee (HHC) in der Praxis vor allem der Haftgrund „risk of absconding“ (c) bzw. der Haftgrund „risk of absconding“ in Verbindung mit „establishment of identiy“ (a) Anwendung finde. Weiterhin würden Inhaftierungen auf dem Haftgrund „previous absconding“ (b) basieren.
64Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 4, Seite 3.
65Bei diesen Haftgründen, welche dazu dienen, einer bestehende Fluchtgefahr zu begegnen oder die Identität des Asylbewerbers festzustellen, handelt es sich um Haftgründe, die den in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL genannten entsprechen. Allerdings hat Pro Asyl im Rahmen der Beantwortung von Frage 9 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des HHC angegeben, dass in der Mehrheit der Haftanordnungen weiterhin auf Gründe verwiesen werde, die nicht unter die im „Asylum Act“ definierten Haftgründe fallen würden. Das HHC führt diesbezüglich auf Seite 6 der „INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“ von Mai 2014 aus, dass viele Entscheidungen verschiedene Umstände und Gründe benennen würden, die oftmals über die zulässigen Haftgründe nach dem Asylum Act Hungary hinausgingen. Beispielsweise genannt werden der unrechtmäßige Aufenthalt, die Einreise auf irreguläre Weise, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und das Fehlen von Verbindungen nach Ungarn. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit die vorstehend genannten Beispiele unter einen der in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL bzw. § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe subsumiert werden können. Zunächst liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, wonach diese Haftgründe auch bei Dublin-Rückkehrern angewandt werden. Sodann bestehen nach dem oben Ausgeführten tragfähige Anhaltspunkte, die die häufige Heranziehung des auch in der AufnahmeRL aufgeführten Haftgrundes der Fluchtgefahr belegen. Schließlich lässt sich jedenfalls nicht allein aus einer etwaigen europarechtswidrigen Annahme eines Haftgrundes ohne weiteres auf das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta schließen. Entscheidend ist vielmehr, dass das ungarische Recht den Asylbewerbern in solchen Fällen ermöglicht, sich gegen eine unrechtmäßige Inhaftierung zu wehren.
66Zwar gibt es gemäß § 31/C Absatz 2 Asylum Act Hungary keine individuellen Rechtsmittel, sondern gemäß Absatz 3 nur die Möglichkeit eines Einspruchs („objection“), gegen die Haftanordnung.
67Vgl auch Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 9 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
68Dahingestellt bleiben kann, inwieweit dieser Rechtsbehelf hinreichenden Rechtschutz zu gewähren vermag. Denn die Asylbewerber haben jedenfalls die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung im Rahmen der von Amts wegen erfolgenden Überprüfung nach 72 Stunden bzw. 60 Tagen vor dem Amtsgericht geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Fristregelungen gegen Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL ‑ der seinerseits keine konkreten Fristvorgaben enthält – verstoßen und/oder diese Vorgaben in der Praxis nicht umgesetzt werden, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die vorgeschriebenen gerichtlichen Haftüberprüfungen nicht geeignet sind, den Asylbewerbern effektiven Rechtschutz zu gewähren. Zwar kritisieren Pro Asyl und der UNHCR, dass es in der Praxis so gut wie nie zu einer Entlassung komme.
69Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 10 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
70Zum einen konnte keine der drei befragten Organisationen verlässliche Auskünfte zu der Frage, wie viele der nach dem 1. Juli 2013 erlassenen Anordnungen von Asylhaft aufgrund der bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten tatsächlich aufgehoben worden sind, geben.
71Vgl. die Antworten des Auswärtigen Amtes, UNHCR und von Pro Asyl zu Frage 12 des Beweisbeschlusses.
72Zum anderen ließe sich allein aus einer geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe auch nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die ungarischen Gerichte keinen effektiven Rechtschutz gewährleisten. Dass derartige Haftprüfungsanträge durch die Gerichte angeblich mit schematisierten Entscheidungen abgelehnt werden und die Verhandlungen nur wenige Minuten dauern, muss nicht bedeuten, dass diese Rechtsbehelfe nicht individuell geprüft würden. Vielmehr kann in Haftsachen, die Massenverfahren darstellen, aus Gründen der Vereinfachung auch eine individuelle richterliche Überprüfung zu einer schematisierten Begründung führen, wenn das Gericht keine besonders begründungsbedürftigen Umstände des Einzelfalles angenommen hat, ohne dass grundlegende rechtsstaatliche Garantien verletzt wären; die Annahme von (fortbestehender) Fluchtgefahr bei Personen, die sich dem Asylverfahren bereits in der Vergangenheit entzogen haben, erscheint dem erkennenden Gericht zumindest nicht unvertretbar.
73Vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 23. September 2014 – W 1 K 14.50050 –, juris, Rn. 37.
74Gleichfalls steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in der Praxis entgegen den Vorgaben des Artikel 8 Absatz 2 AufnahmeRL und § 31/A Absatz 2 Asylum Act Hungary erfolgt. Danach dürfen die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es erforderlich ist, auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
75Zwar spricht vieles dafür, dass die Haftanordnung regelmäßig schematisch erfolgt und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Argumentation unter Abwägung der Rechts- bzw. Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht stattfindet.
76Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 9, Seite 8.
77Indes lässt sich daraus bereits nicht ableiten, dass eine Einzelfallprüfung auch tatsächlich nicht stattgefunden hat. Vielmehr erscheint es dem Gericht nachvollziehbar, dass die Haftanordnungen größtenteils inhaltlich identisch aussehen und von einer individuellen Begründung absehen, da die Haftanordnung bei Dublin Rückkehrern regelmäßig auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt wird. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin-Rückkehr bereits einmal aus Ungarn geflohen sind, erscheint diese Annahme auch nicht willkürlich (s.o.).
78Ungeachtet dessen widerlegt die Tatsache, dass es auch Fälle gibt, in denen die Haftanordnung auch individuelle Einzelheiten berücksichtigt,
79vgl. HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, Seite 6,
80die Annahme der fehlenden individuellen Einzelfallprüfung. Auch spricht für die Durchführung einer Einzelfallprüfung, dass Familien und besonders schutzbedürftige Personen in der Regel nicht inhaftiert werden, obwohl die Inhaftierung dieser Personengruppen ebenfalls rechtlich möglich wäre.
81Vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 6, Seite 6.
82Zudem wird zumindest auch in vereinzelten Fällen von den im ungarischen Recht vorgesehenen Haftalternativen Gebrauch gemacht. Laut dem HHC sei in 13 der 107 untersuchten Haftentscheidungen begründet worden, warum nicht auf Haftalternativen zurückgegriffen worden sei. Im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 17. April 2014 sei in 32 Fällen eine Kaution angeordnet worden. Die Betroffenen seien vorab gefragt worden, ob sie Geld besäßen bzw. jemand Geld schicken könne.
83Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9; dem UNHCR liegen hierzu keine Informationen vor.
84Daraus geht hervor, dass die gesetzlich vorgesehenen Haftalternativen in der Praxis ‑ wenn auch nur in Ausnahmefällen – tatsächlich angewendet werden. Dass die Anzahl von Fällen, in denen eine Kaution angeordnet wurde gering ausfällt überrascht das Gericht nicht, da Flüchtlinge in der Regel nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen werden, um eine Kaution in Höhe von 962,00 und 2.000,00 Euro bezahlen zu können.
85Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9.
86Unter Berücksichtigung der Funktion einer Kaution als eine Sicherheitsleistung, welche nur bei einer gewissen – für den Betroffenen spürbaren – Höhe erfüllt werden kann, bestehen keine Bedenken gegen die geforderte Höhe. Auch spricht der Umstand, dass die Höhe der geforderten Kaution variiert, dafür, dass die Höhe der Kaution im jeweiligen Einzelfall entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Inhaftierten festgesetzt wird.
87Aus den vorstehenden Ausführungen folgt überdies, dass die Haftanordnung in Übereinstimmung mit Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft, die letztlich eine Überprüfbarkeit gewährleisten, ergeht. Diese werden den Asylsuchenden auch verbal übersetzt.
88Vgl. Auskunft Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 zu Frage 1.
89Damit wird dem durch Artikel 5 Absatz 2 EMRK gewährleisteten Recht eines jeden Festgenommenen auf Unterrichtung hinreichend entsprochen. Eine mündliche Unterrichtung genügt insoweit.
90Vgl. Dörr, in: Grote/Marahun, EMRK/GG, S. 574, Rn. 36.
91Auch aus den Erkenntnissen des Gerichts zur Haftdauer lässt sich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Dublin-Rückkehrern ableiten. Vielmehr steht die Rechtslage und tatsächlich gelebte Praxis in Ungarn auch insoweit in Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Laut Auskunft von Pro Asyl beobachtete das HHC in der Vergangenheit, dass die maximale Haftdauer von sechs Monaten in vielen Fällen ausgeschöpft worden sei. Seit Kurzem würden inhaftierte Asylsuchende aus der Asylhaft entlassen, sobald das OIN im „in-merit procedure“ über das Asylgesuch entschieden hat und zwar auch dann, wenn diese Entscheidung negativ ausgefallen sei und der Betroffene Rechtmitte eingelegt habe. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Höchstgrenze der zulässigen Haftdauer überschritten wird.
92vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2 Buchstabe, Seite 2.
93Es erscheint zumindest nicht unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr – bis zu einer Entscheidung über das Asylbegehren bzw. unter Umständen auch nach einer ablehnenden Entscheidung – fortlaufend gegeben ist.
94Vgl. Verwaltungsgericht Stade, Beschluss vom 14. Juli 2014 – 1 B 862/14 –, juris, Rn. 15.
95Hinzu kommt, dass die Inhaftierung von Amts wegen alle 60 Tage überprüft wird (s.o.), die Asylbewerber mithin die Möglichkeit haben, ihre Inhaftierung auf die fortbestehende Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen.
96Schließlich kann das Gericht den aktuellen Auskünften nicht entnehmen, dass die konkreten Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer darstellen.
97Hinsichtlich der Haftbedingungen in den Asylhaftanstalten liegen dem Gericht im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse vor:
98Die Asylhafteinrichtungen seien nicht überbelegt. Die gesetzliche Mindestvorgabe von 5 m² pro Person werde in allen Einrichtungen gewahrt. Asylbewerber könnten sich innerhalb der Hafteinrichtungen zwischen 6 und 23 Uhr frei bewegen. Außerhalb der Einrichtungen, auf dem Weg zum Krankenhaus oder zum Gericht, würden die Asylbewerber hingegen an einer Leine geführt. Zur Freizeitgestaltung gebe es in den Hafteinrichtungen Computerräume mit Internetzugang, Fitnessräume und Gemeinschaftsräume, in denen ein Fernseher stehe. Bezüglich der hygienischen Verhältnisse in den Asylhafteinrichtungen lägen Mängel vor. In Békéscaba hätten einige der Toiletten keine Türen gehabt und einige Wasserhähne würden nicht funktionieren, weshalb der Zugang zu warmen Wasser nicht immer gewährleistet sei. In Nyírbátor habe eine unzureichende Versorgung mit Putzutensilien und Reinigungsmitteln zur Reinigung der Toiletten und Duschen stattgefunden. Der Waschraum im ersten Stock sei permanent dreckig gewesen und würde stinken. Auch sei das Wasser von mangelhafter Qualität gewesen, was zu Hautausschlägen geführt habe. In Debrecen seien Duschen im zweiten Stock häufig verstopft und daher unbenutzbar gewesen. Eine Versorgung mit Lebensmitteln erfolge entsprechend einer Verordnung des Innenministeriums. Religiöse und medizinische Besonderheiten würden in der Regel berücksichtigt. Kritisiert werde aber die schlechte Qualität des Essens. Eine medizinische Grundversorgung werde gewährleistet, auch wenn diese oft als unzureichend empfunden werde. Sanitäter bzw. Krankenschwestern seien permanent anwesend; Allgemeinmediziner würden die Einrichtungen zweitweise besuchen. In schwerwiegenden Fällen könne eine Zuweisung zu den Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems erfolgen. Die Kosten der Behandlung trage der ungarische Staat bzw. seine Gesundheitseinrichtung. In der Aufnahmeeinrichtung Békéscaba werde zudem psychologische Betreuung durch Spezialisten und Psychologen der Cordelia Stiftung gewährt.
99Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 ff.; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19. November 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 15 ff.
100Obschon das Gericht nicht verkennt, dass Defizite in den Haftbedingungen bestehen, erreichen diese jedenfalls nicht das erforderliche Mindestmaß an Schwere, um von systemischen Mängeln in dem geschilderten Sinne ausgehen zu können. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie die Dauer der Behandlung und ihre physischen und psychischen Wirkungen und manchmal das Geschlecht, das Alter und der Gesundheitszustand des Opfers.
101Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – M.S. S./Belgien u. Griechenland, Rn. 219.
102Die vorstehend genannten hygienischen, medizinischen und sonstigen Mängel in den Asylhaftanstalten, insbesondere auch die Vorfälle, in denen Asylbewerber von „armed security guards“ misshandelt worden sind, sind zwar nicht zu vernachlässigen. Indes lässt sich daraus nicht ableiten, dass die inhaftierten Asylbewerber in Ungarn nicht nur vereinzelt sondern gerade systematisch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterliegen. Vielmehr zeigt ein Vergleich mit der früheren Lage in Ungarn, dass zwischenzeitlich weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen eingetreten sind.
103So auch EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68.
104Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren. Auch der Umstand, dass sich die Situation in Ungarn deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel.
105Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 69; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 13 L 58/15.A –, juris, Rn. 43 m.w.N.
106Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der UNHCR – auch nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Inhaftierungspraxis Ungarns infolge der durch das Gericht veranlassten Beweisaufnahme – keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
107So auch Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 26. Januar 2015 – Au 7 S 15.50015 –, juris, Rn. 31.
108Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen des Refoulement-Verbots ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wenn – wie vorliegend – über den Asylantrag des Asylbewerbers noch nicht entschieden worden ist, weil dieser infolge des Verlassens Ungarns während des Asylverfahrens als zurückgenommen gilt.
109Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2, Seite 2 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 20.
110Dass das Asylverfahren des Antragstellers in Ungarn eingestellt worden ist, ohne dass über seinen Asylantrag entschieden worden ist, steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der auf Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe b) Dublin III-VO gestützten Zustimmung Ungarns zur Übernahme des Antragstellers fest. Danach ist ein Mitgliedstaat verpflichtet einen Drittstaatangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.
111Steht nach alldem nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das ungarische Asylverfahren an systemischen Mängeln leidet, geht dieser Umstand – nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast – zu Lasten des Antragstellers. Bereits aus dem eingangs dargestellten Erfordernis, dass sich das Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen muss, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (S. 10),
112BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.14 –, juris, S. 5,
113folgt, dass es zu Lasten des Asylbewerbers geht, wenn das Gericht – wie vorliegend – nicht zu dieser Überzeugungsgewissheit gelangt. Gleiches ergibt sich auch aus der Diktion des EuGH, wonach ein Asylbewerber seiner Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht (Hervorhebung durch das Gericht), die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
114Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 62.
115Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG bestehen im Ergebnis daher keine Bedenken. Es sind auch keine zielstaatsbezogenen oder in der Person des Antragstellers, also inlandsbezogenen, Abschiebungshindernisse ersichtlich.
116Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
117Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
118Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Die Verfahren 8 L 93/15.A und 8 L 94/15.A werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen 8 L 94/15.A fortgeführt.
Der Antrag wird – einschließlich des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe – abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Die Einzelrichterin ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für die Entscheidung zuständig (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG).
3Die am 14. Januar 2015 in den Verfahren 8 L 93/15.A und 8 L 94/15.A sinngemäß gestellten Anträge sind nach gemäß § 93 Satz 1 VwGO erfolgter Verbindung der Verfahren gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend zu fassen,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 273/15.A gegen die Abschiebungsanordnungen in der jeweiligen Ziffer 2 der Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Januar 2015 anzuordnen.
5Dieser Antrag hat keinen Erfolg.
6Er ist zwar zulässig, insbesondere nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.
7Die Antragsteller haben auch die Wochenfrist zur Stellung des Antrages gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG eingehalten. Der Bescheid vom 5. Januar 2015 wurde der Antragstellerin zu 1. am 9. Januar 2015 bzw. den Antragstellern zu 2. bis 6. am 8. Januar 2015 entsprechend der Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG persönlich zugestellt, weil der Asylantrag nach § 27a AsylVfG abgelehnt wurde. Die Antragsteller haben am 14. Januar 2015 fristgerecht den Eilantrag bei Gericht gestellt.
8Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
9Die vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragsteller hat sich maßgeblich - nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen,
10vgl. zum Maßstab Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 1. August 2014 – 8 L 1195/14.A – m.w.N.
11Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten der Antragsteller aus, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet nach diesem Maßstab keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12Das Bundesamt hat die Asylanträge der Antragsteller zu Recht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und geht von der Zuständigkeit Ungarns für deren Prüfung aus. Die Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung der Asylanträge ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 lit. d) Dublin III-Verordnung. Die Antragsteller haben zunächst in Ungarn Asylanträge gestellt, die inzwischen abgelehnt wurden und alsdann beim Bundesamt weitere Asylanträge gestellt. Sie haben das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten seither nicht verlassen. In diesem Fall ist Ungarn für die Prüfung auf internationalen Schutz zuständig. Nach Art. 18 Abs. 1 lit. d) Dublin III-Verordnung ist Ungarn verpflichtet, die Antragsteller nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin III-Verordnung wieder aufzunehmen. Das Bundesamt hat Ungarn gemäß Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-Verordnung innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Art. 9 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 (Eurodac-Verordnung) um Wiederaufnahme der Antragsteller ersucht. Ungarn hat dem Wiederaufnahmegesuch mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 stattgegeben.
13Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-Verordnung.
14Ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist ein Mitglied- oder Vertragsstaat unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen. Das ihm insofern eingeräumte Ermessen ist Teil des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und stellt ein Element des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dar. Bei der Ermessensausübung führt der Mitgliedstaat daher Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) aus. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Europäischen Grundrechtecharta, aber auch der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 18 GRCh und Art. 78 AEUV). Die Mitgliedstaaten müssen bei ihrer Entscheidung, ob sie von dem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen, diese Grundsätze beachten.
15Vgl. ausführlich EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417 Rn. 96; Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11, Puid -, NVwZ 2014, 170 Rn. 33; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 -, juris Rn. 18; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A -, juris Rn. 28 ff.
16Nach diesem Maßstab liegen keine Voraussetzungen vor, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin III-Verordnung zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt wäre. Dies setzte voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Ungarn aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär wären, dass anzunehmen wäre, dass den Antragstellern im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohte.
17Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 –, juris.
18Systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber liegen nach diesem Maßstab in Ungarn nicht vor.
19Die 13. Kammer des beschließenden Gerichts hat nach Auswertung aktueller Erkenntnisse hierzu im Kammerurteil vom 20. März 2015 (13 K 501/14.A) wie folgt ausgeführt:
20„Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
21EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
22Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
23EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
24Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
26Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können),
27vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
28Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Kläger vor der Ausreise aus Ungarn dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben, über den materiell noch nicht entschieden worden ist.
29Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
30vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
31Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist,
32vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, juris, Rn. 44.
33Für die Frage, ob in Ungarn „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegen, kommen dabei allerdings vorliegend von vorne herein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind,
34vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 – 2283/12 –, juris, Rn. 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net.
35Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention – eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft – in das Asylrecht aufgenommen.
36Der EGMR, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
37vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris, Rn. 32,
38und dessen Rechtsprechung maßgeblich für die Auslegung der Menschenrechte der EMRK ist, hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage verneint. Zur Begründung führte er aus:
39„The country reports showed that there is still a practice of detaining asylum-seekers, and that so-called asylum detention is also applicable to Dublin returnees. The grounds for detention are vaguely formulated, and there is no legal remedy against asylum detention. However, the reports also showed that there is no systematic detention of asylum-seekers anymore, and that alternatives to detention are now provided for by law. The maximum period of detention has been limited to six months. Turning to the conditions of detention, it is noted that while there are still reports of shortcomings in the detention system, from an overall view there seem to have been improvements.
40Moreover, the Court notes that the UNHCR never issued a position paper requesting EU member States to refrain from transferring asylum‑seekers to Hungary under the Dublin II or Dublin III Regulation (compare the situation relating to Greece discussed in M.S.S. v. Belgium and Greece, cited above, § 195, and the UNHCR recommendation of 2 January 2013 to halt transfers to Bulgaria).
41Under those circumstances and as regards the possible detention of the applicant and the related complaints, the Court concludes that in view of the recent reports cited above, the applicant would currently not be at a real and individual risk of being subjected to treatment in violation of Article 3 of the Convention upon a transfer to Hungary under the Dublin Regulation.”
42EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68 bis 70.
43Auch das erkennende Gericht vermag nach Auswertung der im vorliegenden Verfahren eingeholten aktuellen Auskünfte des UNHCR, des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl – welche dem EGMR bei seiner Entscheidung nicht vorlagen – nicht festzustellen, dass der Kläger Gefahr liefe, nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen:
44Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK normieren das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
45EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
46Eine Behandlung in diesem Sinne kann nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme zumindest nicht positiv festgestellt werden.
47Zwar hat sich nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestätigt, dass Dublin-Rückkehrer flächendeckend – so der UNHCR – bzw. regelmäßig – so Pro Asyl – inhaftiert werden.
48Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 3, Seite 2; Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 3 b), Seite.
49Indes begründet die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 – wieder – Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage praktisch alle Dublin-Rückkehr – so der UNHCR – bzw. regelmäßig, allerdings nicht sämtliche Dublin-Rückkehrer – so Pro Asyl – inhaftiert, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Vielmehr verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
50Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn. 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
51Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards, zu denen auch die Benennung von Haftgründen gehört. Anhaltspunkte dafür, dass diese Mindeststandards ihrerseits nicht genügen, um die Asylbewerber vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu schützen, liegen dem Gericht nicht vor. Danach darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, im Falle notwendiger Beweissicherung, insbesondere bei Fluchtgefahr, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
52Dahingestellt bleiben kann, wann ein Verstoß gegen diese Mindeststandards die Annahme systemischer Mängel indiziert, da die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern (Act LXXX of 2007 on Asylum, im Folgenden: Asylum Act Hungary) den vorstehend genannten Vorgaben im Wesentlichen gerecht werden:
53Gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary darf eine Inhaftierung nicht alleine deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Artikel 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstabe c). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden; Familien mit Minderjährigen dürfen nur ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Amtsgericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht in der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist.
54Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden diese Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern – speziell Dublin-Rückkehrern – nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt, liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
55Das Gericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme unter anderem danach gefragt, auf welche konkreten Haftgründe die Inhaftierungen seit dem 1. Juli 2013 gestützt werden (Frage 4).
56Pro Asyl gab an, dass laut dem Hungarian Helsinki Committee (HHC) in der Praxis vor allem der Haftgrund „risk of absconding“ (c) bzw. der Haftgrund „risk of absconding“ in Verbindung mit „establishment of identiy“ (a) Anwendung finde. Weiterhin würden Inhaftierungen auf dem Haftgrund „previous absconding“ (b) basieren.
57Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 4, Seite 3.
58Bei diesen Haftgründen, welche dazu dienen, einer bestehende Fluchtgefahr zu begegnen oder die Identität des Asylbewerbers festzustellen, handelt es sich um Haftgründe, die den in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL genannten entsprechen. Allerdings hat Pro Asyl im Rahmen der Beantwortung von Frage 9 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des HHC angegeben, dass in der Mehrheit der Haftanordnungen weiterhin auf Gründe verwiesen werde, die nicht unter die im „Asylum Act“ definierten Haftgründe fallen würden. Das HHC führt diesbezüglich auf Seite 6 der „INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“ von Mai 2014 aus, dass viele Entscheidungen verschiedene Umstände und Gründe benennen würden, die oftmals über die zulässigen Haftgründe nach dem Asylum Act Hungary hinausgingen. Beispielsweise genannt werden der unrechtmäßige Aufenthalt, die Einreise auf irreguläre Weise, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und das Fehlen von Verbindungen nach Ungarn. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit die vorstehend genannten Beispiele unter einen der in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL bzw. § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe subsumiert werden können. Zunächst liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, wonach diese Haftgründe auch bei Dublin-Rückkehrern angewandt werden. Sodann bestehen nach dem oben Ausgeführten tragfähige Anhaltspunkte, die die häufige Heranziehung des auch in der AufnahmeRL aufgeführten Haftgrundes der Fluchtgefahr belegen. Schließlich lässt sich jedenfalls nicht allein aus einer etwaigen europarechtswidrigen Annahme eines Haftgrundes ohne weiteres auf das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta schließen. Entscheidend ist vielmehr, dass das ungarische Recht den Asylbewerbern in solchen Fällen ermöglicht, sich gegen eine unrechtmäßige Inhaftierung zu wehren.
59Zwar gibt es gemäß § 31/C Absatz 2 Asylum Act Hungary keine individuellen Rechtsmittel, sondern gemäß Absatz 3 nur die Möglichkeit eines Einspruchs („objection“), gegen die Haftanordnung.
60Vgl auch Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 9 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
61Dahingestellt bleiben kann, inwieweit dieser Rechtsbehelf hinreichenden Rechtschutz zu gewähren vermag. Denn die Asylbewerber haben jedenfalls die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung im Rahmen der von Amts wegen erfolgenden Überprüfung nach 72 Stunden bzw. 60 Tagen vor dem Amtsgericht geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Fristregelungen gegen Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL – der seinerseits keine konkreten Fristvorgaben enthält – verstoßen und/oder diese Vorgaben in der Praxis nicht umgesetzt werden, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die vorgeschriebenen gerichtlichen Haftüberprüfungen nicht geeignet sind, den Asylbewerbern effektiven Rechtschutz zu gewähren. Zwar kritisieren Pro Asyl und der UNHCR, dass es in der Praxis so gut wie nie zu einer Entlassung komme.
62Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 10 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
63Zum einen konnte keine der drei befragten Organisationen verlässliche Auskünfte zu der Frage, wie viele der nach dem 1. Juli 2013 erlassenen Anordnungen von Asylhaft aufgrund der bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten tatsächlich aufgehoben worden sind, geben.
64Vgl. die Antworten des Auswärtigen Amtes, UNHCR und von Pro Asyl zu Frage 12 des Beweisbeschlusses.
65Zum anderen ließe sich allein aus einer geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe auch nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die ungarischen Gerichte keinen effektiven Rechtschutz gewährleisten. Dass derartige Haftprüfungsanträge durch die Gerichte angeblich mit schematisierten Entscheidungen abgelehnt werden und die Verhandlungen nur wenige Minuten dauern, muss nicht bedeuten, dass diese Rechtsbehelfe nicht individuell geprüft würden. Vielmehr kann in Haftsachen, die Massenverfahren darstellen, aus Gründen der Vereinfachung auch eine individuelle richterliche Überprüfung zu einer schematisierten Begründung führen, wenn das Gericht keine besonders begründungsbedürftigen Umstände des Einzelfalles angenommen hat, ohne dass grundlegende rechtsstaatliche Garantien verletzt wären; die Annahme von (fortbestehender) Fluchtgefahr bei Personen, die sich dem Asylverfahren bereits in der Vergangenheit entzogen haben, erscheint dem erkennenden Gericht zumindest nicht unvertretbar.
66Vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 23. September 2014 – W 1 K 14.50050 –, juris, Rn. 37.
67Gleichfalls steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in der Praxis entgegen den Vorgaben des Artikel 8 Absatz 2 AufnahmeRL und § 31/A Absatz 2 Asylum Act Hungary erfolgt. Danach dürfen die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es erforderlich ist, auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
68Zwar spricht vieles dafür, dass die Haftanordnung regelmäßig schematisch erfolgt und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Argumentation unter Abwägung der Rechts- bzw. Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht stattfindet.
69Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 9, Seite 8.
70Indes lässt sich daraus bereits nicht ableiten, dass eine Einzelfallprüfung auch tatsächlich nicht stattgefunden hat. Vielmehr erscheint es dem Gericht nachvollziehbar, dass die Haftanordnungen größtenteils inhaltlich identisch aussehen und von einer individuellen Begründung absehen, da die Haftanordnung bei Dublin Rückkehrern regelmäßig auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt wird. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin-Rückkehr bereits einmal aus Ungarn geflohen sind, erscheint diese Annahme auch nicht willkürlich (s.o.).
71Ungeachtet dessen widerlegt die Tatsache, dass es auch Fälle gibt, in denen die Haftanordnung auch individuelle Einzelheiten berücksichtigt,
72vgl. HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, Seite 6,
73die Annahme der fehlenden individuellen Einzelfallprüfung. Auch spricht für die Durchführung einer Einzelfallprüfung, dass Familien und besonders schutzbedürftige Personen in der Regel nicht inhaftiert werden, obwohl die Inhaftierung dieser Personengruppen ebenfalls rechtlich möglich wäre.
74Vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 6, Seite 6.
75Zudem wird zumindest auch in vereinzelten Fällen von den im ungarischen Recht vorgesehenen Haftalternativen Gebrauch gemacht. Laut dem HHC sei in 13 der 107 untersuchten Haftentscheidungen begründet worden, warum nicht auf Haftalternativen zurückgegriffen worden sei. Im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 17. April 2014 sei in 32 Fällen eine Kaution angeordnet worden. Die Betroffenen seien vorab gefragt worden, ob sie Geld besäßen bzw. jemand Geld schicken könne.
76Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9; dem UNHCR liegen hierzu keine Informationen vor.
77Daraus geht hervor, dass die gesetzlich vorgesehenen Haftalternativen in der Praxis –wenn auch nur in Ausnahmefällen – tatsächlich angewendet werden. Dass die Anzahl von Fällen, in denen eine Kaution angeordnet wurde, gering ausfällt überrascht das Gericht nicht, da Flüchtlinge in der Regel nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen werden, um eine Kaution in Höhe von 962,00 und 2.000,00 Euro bezahlen zu können.
78Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9.
79Unter Berücksichtigung der Funktion einer Kaution als eine Sicherheitsleistung, welche nur bei einer gewissen – für den Betroffenen spürbaren – Höhe erfüllt werden kann, bestehen keine Bedenken gegen die geforderte Höhe. Auch spricht der Umstand, dass die Höhe der geforderten Kaution variiert, dafür, dass die Höhe der Kaution im jeweiligen Einzelfall entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Inhaftierten festgesetzt wird.
80Aus den vorstehenden Ausführungen folgt überdies, dass die Haftanordnung in Übereinstimmung mit Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft, die letztlich eine Überprüfbarkeit gewährleisten, ergeht. Diese werden den Asylsuchenden auch verbal übersetzt.
81Vgl. Auskunft Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 zu Frage 1.
82Damit wird dem durch Artikel 5 Absatz 2 EMRK gewährleisteten Recht eines jeden Festgenommenen auf Unterrichtung hinreichend entsprochen. Eine mündliche Unterrichtung genügt insoweit.
83Vgl. Dörr, in: Grote/Marahun, EMRK/GG, S. 574, Rn. 36.
84Auch aus den Erkenntnissen des Gerichts zur Haftdauer lässt sich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Dublin-Rückkehrern ableiten. Vielmehr steht die Rechtslage und tatsächlich gelebte Praxis in Ungarn auch insoweit in Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Laut Auskunft von Pro Asyl beobachtete das HHC in der Vergangenheit, dass die maximale Haftdauer von sechs Monaten in vielen Fällen ausgeschöpft worden sei. Seit Kurzem würden inhaftierte Asylsuchende aus der Asylhaft entlassen, sobald das OIN im „in-merit procedure“ über das Asylgesuch entschieden hat und zwar auch dann, wenn diese Entscheidung negativ ausgefallen sei und der Betroffene Rechtmitte eingelegt habe. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Höchstgrenze der zulässigen Haftdauer überschritten wird.
85vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2 Buchstabe, Seite 2.
86Es erscheint zumindest nicht unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr – bis zu einer Entscheidung über das Asylbegehren bzw. unter Umständen auch nach einer ablehnenden Entscheidung – fortlaufend gegeben ist.
87Vgl. Verwaltungsgericht Stade, Beschluss vom 14. Juli 2014 – 1 B 862/14 –, juris, Rn. 15.
88Hinzu kommt, dass die Inhaftierung von Amts wegen alle 60 Tage überprüft wird (s.o.), die Asylbewerber mithin die Möglichkeit haben, ihre Inhaftierung auf die fortbestehende Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen.
89Schließlich kann das Gericht den aktuellen Auskünften nicht entnehmen, dass die konkreten Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer darstellen.
90Hinsichtlich der Haftbedingungen in den Asylhaftanstalten liegen dem Gericht im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse vor:
91Die Asylhafteinrichtungen seien nicht überbelegt. Die gesetzliche Mindestvorgabe von 5 m² pro Person werde in allen Einrichtungen gewahrt. Asylbewerber könnten sich innerhalb der Hafteinrichtungen zwischen 6 und 23 Uhr frei bewegen. Außerhalb der Einrichtungen, auf dem Weg zum Krankenhaus oder zum Gericht, würden die Asylbewerber hingegen an einer Leine geführt. Zur Freizeitgestaltung gebe es in den Hafteinrichtungen Computerräume mit Internetzugang, Fitnessräume und Gemeinschaftsräume, in denen ein Fernseher stehe. Bezüglich der hygienischen Verhältnisse in den Asylhafteinrichtungen lägen Mängel vor. In Békéscaba hätten einige der Toiletten keine Türen gehabt und einige Wasserhähne würden nicht funktionieren, weshalb der Zugang zu warmen Wasser nicht immer gewährleistet sei. In Nyírbátor habe eine unzureichende Versorgung mit Putzutensilien und Reinigungsmitteln zur Reinigung der Toiletten und Duschen stattgefunden. Der Waschraum im ersten Stock sei permanent dreckig gewesen und würde stinken. Auch sei das Wasser von mangelhafter Qualität gewesen, was zu Hautausschlägen geführt habe. In Debrecen seien Duschen im zweiten Stock häufig verstopft und daher unbenutzbar gewesen. Eine Versorgung mit Lebensmitteln erfolge entsprechend einer Verordnung des Innenministeriums. Religiöse und medizinische Besonderheiten würden in der Regel berücksichtigt. Kritisiert werde aber die schlechte Qualität des Essens. Eine medizinische Grundversorgung werde gewährleistet, auch wenn diese oft als unzureichend empfunden werde. Sanitäter bzw. Krankenschwestern seien permanent anwesend; Allgemeinmediziner würden die Einrichtungen zweitweise besuchen. In schwerwiegenden Fällen könne eine Zuweisung zu den Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems erfolgen. Die Kosten der Behandlung trage der ungarische Staat bzw. seine Gesundheitseinrichtung. In der Aufnahmeeinrichtung Békéscaba werde zudem psychologische Betreuung durch Spezialisten und Psychologen der Cordelia Stiftung gewährt.
92Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 ff.; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19. November 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 15 ff.
93Obschon das Gericht nicht verkennt, dass Defizite in den Haftbedingungen bestehen, erreichen diese jedenfalls nicht das erforderliche Mindestmaß an Schwere, um von systemischen Mängeln in dem geschilderten Sinne ausgehen zu können. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie die Dauer der Behandlung und ihre physischen und psychischen Wirkungen und manchmal das Geschlecht, das Alter und der Gesundheitszustand des Opfers.
94Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – M.S. S./Belgien u. Griechenland, Rn. 219.
95Die vorstehend genannten hygienischen, medizinischen und sonstigen Mängel in den Asylhaftanstalten, insbesondere auch die Vorfälle, in denen Asylbewerber von „armed security guards“ misshandelt worden sind, sind zwar nicht zu vernachlässigen. Indes lässt sich daraus nicht ableiten, dass die inhaftierten Asylbewerber in Ungarn nicht nur vereinzelt, sondern gerade systematisch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterliegen. Vielmehr zeigt ein Vergleich mit der früheren Lage in Ungarn, dass zwischenzeitlich weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen eingetreten sind.
96So auch EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68.
97Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren. Auch der Umstand, dass sich die Situation in Ungarn deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel.
98Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 69; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 13 L 58/15.A –, juris, Rn. 43 m.w.N.
99Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der UNHCR – auch nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Inhaftierungspraxis Ungarns infolge der durch das Gericht veranlassten Beweisaufnahme – keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
100So auch Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 26. Januar 2015 – Au 7 S 15.50015 –, juris, Rn. 31.
101Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen des Refoulement-Verbots ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wenn – wie vorliegend – über den Asylantrag des Asylbewerbers noch nicht entschieden worden ist, weil dieser infolge des Verlassens Ungarns während des Asylverfahrens als zurückgenommen gilt.
102Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2, Seite 2 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 20.
103Dass das Asylverfahren des Klägers in Ungarn eingestellt worden ist, ohne dass über seinen Asylantrag entschieden worden ist, steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der auf Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c) Dublin II-VO gestützten Zustimmung Ungarns zur Übernahme des Klägers fest. Danach ist ein Mitgliedstaat verpflichtet einen Drittstaatangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet nach Maßgabe des Artikel 20 wieder aufzunehmen.
104Steht nach alldem nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das ungarische Asylverfahren an systemischen Mängeln leidet, geht dieser Umstand – nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast – zu Lasten des Klägers. Bereits aus dem eingangs dargestellten Erfordernis, dass sich das Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen muss, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (S. 10),
105BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.14 –, juris, S. 5,
106folgt, dass es zu Lasten des Asylbewerbers geht, wenn das Gericht – wie vorliegend – nicht zu dieser Überzeugungsgewissheit gelangt. Gleiches ergibt sich auch aus der Diktion des EuGH, wonach ein Asylbewerber seiner Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht (Hervorhebung durch das Gericht), die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
107Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 62.“
108Dem schließt sich die Einzelrichterin der beschließenden Kammer – auch mit Rücksicht darauf, dass es sich bei den Antragstellern um eine Familie mit vier minderjährigen Kindern im Alter von 6, 10, 15 und 16 Jahren handelt – an.
109Nach den vorstehenden Erkenntnissen ist grundsätzlich schon nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die Antragsteller als Familie mit minderjährigen Kindern überhaupt inhaftiert werden. Denn nach der Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 werden Familien – ebenso wie andere besonders schutzbedürftige Personen – „in der Regel nicht inhaftiert“. Selbst für den Fall, dass die Antragsteller im Falle ihrer Rücküberstellung nach Ungarn inhaftiert würden, wäre eine solche Inhaftierung nach Maßgabe der Vorschriften der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L. 180 vom 29. Juni 2013, S. 96, sog. AufnahmeRL) grundsätzlich rechtlich zulässig. Die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern (Act LXXX of 2007 on Asylum, nachfolgend: Asylum Act Hungary) werden diesen Mindestanforderungen der AufnahmeRL gerecht, insbesondere was die Inhaftierung von Familien mit minderjährigen Kindern anbelangt,
110vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 20. März 2015 – 13 K 501/14.A -, S. 14 des UA.
111Es ist nach den vorstehenden Erkenntnissen auch nichts dafür ersichtlich, dass sich die ungarischen Behörden nicht an die dortigen gesetzlichen Regelungen zur Inhaftierung von Familien mit minderjährigen Kindern halten werden.
112Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG bestehen ebenfalls keine Bedenken, insbesondere ist für ein innerstaatliches Abschiebungshindernis nichts dargetan.
113Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt nicht in Betracht, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
114Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
115Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
116Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Antragsteller.
1
Der sinngemäß gestellte Antrag,
2die aufschiebende Wirkung der Klage 7a K 3065/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Juni 2015 in Ziffer 2. enthaltene Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen,
3hat keinen Erfolg. Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
4Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in der Sache vorzunehmende Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragsgegnerin aus, da die Klage des Antragstellers in der Hauptsache zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutzantrag keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Abschiebungsanordnung nach Ungarn erweist sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach als rechtmäßig, da Ungarn als Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers zuständig ist. Das folgt aus § 27a AsylVfG i.V.m. Art. 13 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31; im Folgenden: VO [EU] Nr. 604/2013, so genannte Dublin-III-VO).
5Die grundsätzliche Zuständigkeit Ungarns für die Bearbeitung des Asylbegehrens des Antragstellers begegnet keinen rechtlichen Zweifeln. Ungarn war der Mitgliedstaat, für den die Antragsgegnerin am 12. März 2015 einen Eurodac-Datentreffer (Bundesamtsakte Bl. °°) für den Antragsteller erzielte. Der Antragsteller hat dort am 7. Dezember 2014 einen Asylantrag gestellt. Sein danach in der Bundesrepublik Deutschland gestellter Asylantrag ist demnach unzulässig (§ 27a AsylVfG).
6Die Zuständigkeit zur Bearbeitung des Asylantrags ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 wegen systemischer Mängel des Asyl- und des Aufnahmeverfahrens in Ungarn auf die Antragsgegnerin übergegangen. Das wäre nur der Fall, wenn solche systemischen Mängel im zuständigen Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – GRCharta – (Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention) ausgesetzt zu werden.
7Davon ist derzeit für die Person des Antragstellers nicht auszugehen
8Systemische Mängel bestehen (erst) bei einer reellen Unfähigkeit des gesamten Verwaltungsapparats zur Beachtung des Art. 4 EU-GR-Charta, was gleichbedeutend ist mit strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens haben. Die im jeweiligen nationalen Asylsystem festzustellenden Mängel müssen demnach so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig sind, sondern in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen. Dies kann einerseits darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind, andererseits aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Asylsystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – in weiten Teilen aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft defizitär ist und funktionslos wird.
9Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 –, NVwZ 2014, S. 1677 ff. = Juris Rdnr. 5 a.E.; und Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, NVwZ 2014, S. 1039 f. = Juris Rdnr. 6 und 9; VGH BW, Urteil vom 10. November 2014 – A 11 S 1778/14 –, InfAuslR 2015, S. 77, 78 ff. =Juris; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, Juris Rdnr. 79 ff.; OVG RP, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13 –, Juris Rdnr. 39 f.
10Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat als Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob Struktur und allgemeine Lage der Aufnahme im europäischen Zielstaat der Überstellung jegliches Überstellen von Asylbewerbern in dorthin verhindern, in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich benannt, ob eine Gleichgültigkeit der Behörden des betreffenden Staates vorliegt,
11vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, Tarakhel ./. Switzerland, Nr. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff., Juris Rdnr. 114 f., und Entscheidung vom 13. Januar 2015, A.M.E. ./. Netherlands, Nr. 51428/10, hudoc Rdnr. 34 u. 35,
12wie sie der EGMR im Fall M.S.S. ./. Belgien und Griechenland von Seiten Griechenlands gegenüber der stetig steigenden Zahl von Schutzsuchenden angenommen hat.
13Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. ./. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, Rdnr. 253 ff., 263 = NVwZ 2011 S. 413 ff.; VGH BW, Urteil vom 10. November 2014– A 11 S 1778/14 –, InfAuslR 2015, S. 77, 78 = Juris Rdnr. 34 (zu Bulgarien),
14Unerheblich ist, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommen kann und ob ein Drittstaatsangehöriger einer solchen tatsächlich schon einmal ausgesetzt gewesen ist. Derartige Erfahrungen sind in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Überstellung vorliegen; nur in diesem begrenzten Umfang sind individuelle Erfahrungen zu berücksichtigen. Persönliche Erlebnisse Betroffener, die einige Jahre zurückliegen, können allerdings durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung führen hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel.
15Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 –, NVwZ 2014, S. 1677 ff. = Juris Rdnr. 6.
16Bei Beachtung dieser Maßgaben bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) über den Streitfall auch bei der bloß gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage keine systemischen Mängel des ungarischen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 VO (EU) Nr. 604/2013. Dies gilt nach Einschätzung der erkennenden Kammer namentlich soweit der einzelne internationalen Schutz begehrende Drittstaatsangehörige – wie der Antragsteller im Streitfall – gerade keinem besonderen schutzwürdigen Personenkreis angehört. Mit den beiden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowohl vom 6. Juni 2013 in der Sache Mohammed ./. Österreich – Nr. 2283/12 –,
17vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013, Mohammed ./. Österreich, Nr. 2283/12, Rdnr. 32-50, 65, 69 f., 74 f. (in Englischer Sprache; abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/ Pages/search.aspx#{“appo“:[“2283/12“]},
18und vom 3. Juli 2014 in der Sache Mohammadi ./. Österreich – Nr. 71932/12 –,
19vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rdnr. 29-45, 65, 69 f., 74 f. (abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/Pages/search.aspx#{“appo“:[“713932/12“]},
20geht die erkennende Kammer angesichts des Ablaufs und der Durchführung von Asylverfahren in Ungarn sowie der Behandlung von Dublin-Rückkehrern weiterhin davon aus, dass das ungarische Asylsystem und die Aufnahmebedingungen keine systematischen Defizite aufweisen. Obwohl der EGMR in seiner (ersten) Entscheidung vom 6. Juni 2013 – Nr. 2283/12 – noch deutlicher von alarmierenden Berichten über die Verhältnisse in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 ausging, hat er zuletzt in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – ausdrücklich hervorgehoben, dass angesichts der seinerzeit festzustellenden Änderung des Asylrechts wie auch der tatsächlichen Behandlung von Drittstaatsangehörigen in Ungarn zu Beginn des Jahres 2014 Art. 3 EMRK eine Rückführung eines Asylsuchenden dorthin nach den Dublin-Regularien gerade nicht entgegensteht. Dabei hat sich der EGMR ausdrücklich unter genauerer Darstellung des jeweiligen Inhalts auf im Einzelnen näher bezeichnete und ausgewertete Stellungnahmen verschiedener Regierungs- wie Nichtregierungsorganisationen gestützt, die zeitlich bis ins Jahr 2014 hineinreichten. Insgesamt seien Verbesserungen des Asylsystems einschließlich der Abschiebehaftbedingungen und auch der Rechtsschutzmöglichkeiten festzustellen.
21Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rdnr. 28-45.
22Hintergrund dieser Verbesserung ist die zur Bewältigung der durch die massive Flüchtlingswelle namentlich von Schutzsuchenden aus Syrien und dem Irak entstandenen Flüchtlingskrise von der EU gewährte finanzielle, logistische und personelle Unterstützung. Die Hilfen und bereits erreichten Verbesserungen lassen zudem mittel- und langfristig eine weitere Besserung der Zustände erwarten. Gerade dass der UNHCR, dessen amtlichen Stellungnahmen bei der Beurteilung der Situation und der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in den Mitgliedstaaten eine besondere Relevanz zukommt,
23vgl. EuGH, Urteil vom 30 Mai 2013 – C-528/11 –,NVwZ-RR 2013, S. 660 ff. = Juris Rdnr. 44,
24zu Ungarn kein – wie etwa im Vergleich zu den Verhältnissen in den Mitgliedstaaten Griechenland und Bulgarien – ausdrückliches Positionspapier gegen eine Überstellung von Asylsuchenden nach den Regeln der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 verfasst hat, hat den EGMR veranlasst anzunehmen, der betroffene Drittstaatsangehörige sei keines individuellen realen Risikos ausgesetzt gewesen, als Asylantragsteller in Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK unterworfen zu werden.
25Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rdnr. 69 f. und 74 f.
26Dem schließt sich die erkennende Kammer nach Durchsicht und Bewertung der vorliegenden Erkenntnisse an, und hält daran auch mit Blick auf zeitlich nachfolgende neuere Erkenntnismittel fest. Eine Änderung der vom EGMR zugrunde gelegten Sachlage, die ein Abweichen von dessen Rechtsprechung rechtfertigen würde, besteht zur Überzeugung der erkennenden Kammer nicht:
27Die Stellungnahme des Hungarian Helsinki Committee (HHC) aus Mai 2014 (Information Note on Asylum-Seekers in Detention and in Dublin Procedures in Hungary),
28abrufbar unter: http://helsinki.hu/en/information-note-on-asylum-seekers-in-detention-and-in-dublin-procedures-in-hungary,
29auf die u.a. sich auch der EGMR in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 ‑ Nr. 71932/12 ‑ gestützt hat, lässt keine andere Beurteilung zu. Nach den zum 1. Januar 2014 erfolgten Änderungen im ungarischen Asylgesetz als genereller Reglung haben nunmehr Rückkehrer nach den Dublin-Regularien – bis auf einen Ausnahmefall – einen garantierten Zugang zum Asylverfahren und einer vollständigen Untersuchung ihres Asylbegehrens.
30Namentlich der jüngste Bericht von „aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary“ mit Stand 17. Februar 2015, der von Mitgliedern des `Hungarian Helsinki Committee (HHC)´ geschrieben und von `European Council on Refugees and Exiles (ECRE)´ herausgegeben wurde,
31abrufbar unter: http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_-_hungary_thirdupdate_final_february_2015.pdf,
32stellt insgesamt heraus, dass im Jahr 2014 mehr als 42.000 Asylsuchende um internationalen Schutz nachgesucht haben, was einen Anstieg im Vergleich zum Jahr 2013 von 226% ergab. Die Behandlung unbegleiteter Kinder entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Stellt eine aus welchen Gründen auch immer verhaftete Person einen Asylantrag, wird das Verfahren beschleunigt bearbeitet. Rechtsschutz mit kostenloser Unterstützung wird nicht immer und nur mit Schwierigkeiten gewährt (S. 14-19). Dublin-Rückkehrer haben – anders als im Jahr 2013 – Zugang zum Asylverfahren, ihr Asylbegehren wird vollständig geprüft (S. 21). Es gibt keinen Mechanismus im Asylverfahren, um schutzbedürftige Asylsuchende zu erkennen, allerdings bestehen besondere Vorkehrungen im Verfahren für diese Personengruppe. Medizinisches oder psychologisches Personal kann einbezogen werden, um eine notwendige Behandlung zu erhalten. Bei Personen die dem Gesetz nach nicht voll handlungsfähig sind, wie Kindern oder psychisch Kranken, wird im Regelfall ein besonderes staatliches Büro unterrichtet oder ein Vertreter zugewiesen (S. 32 f.). Im Bedarfsfall werden medizinische Stellungnahmen nach einer entsprechenden Anfrage des Asylsuchenden eingeholt (S. 33 f.). (Unbegleitete) Minderjährige werden grundsätzlich erfasst, Minderjährigkeit kann festgestellt werden (S. 34-36). Asylsuchende werden als Erstantragsteller den nationalen Bestimmungen zufolge registriert und behandelt. Wirkt ein Asylsuchender nicht ausreichend mit, kann dies u.U. zu finanziellen Konsequenzen bei der Tragung der Unterbringungs- und Behandlungskosten führen. Es liegen bislang keine Erkenntnisse vor, dass Asylsuchende nicht tatsächlich untergebracht werden. In Aufnahmeeinrichtungen werden Asylsuchende mit Essen versorgt, erhalten Hygieneartikel und Taschengeld; Kinder, Alleinerziehende und über 60-Jährige erhalten einen Betrag über 25 % der niedrigsten Rente (95 EUR), andere Erwachsene weniger. Im Jahr 2014 betrug die Verweildauer von Personen in den Asylunterkünften länger als 5 Monate. Die staatlichen Unterbringungszentren werden von Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Frauen werden regelmäßig mit Familien auf einem Flur untergebracht. Unbegleitete Kinder werden in einer gesonderten Einrichtung aufgenommen. Familien werden während des Asylverfahrens nicht getrennt. Die Bedingungen in den Unterbringungszentren sind nicht einheitlich. Überall gibt es drei Mahlzeiten am Tag. Es kann überwiegend auch selbständig gekocht werden. Die Menschen teilen sich Räume. Psychologische Betreuung und Psychotherapie für traumatisierte Asylsuchende wird von Nichtregierungsorganisation angeboten (S. 40-44). Es erfolgt keine Erfassung von besonderen Aufnahmebedürfnissen für vulnerable Personen (S. 45 f.). Nicht inhaftiere Asylsuchende können sich frei im Land bewegen, dürfen ihre Unterbringungseinrichtung aber nur weniger als 24 Stunden verlassen. Um die monatlichen Geldzahlungen zu erhalten müssen Asylsuchende wenigstes 25 Tage im Monat in der Einrichtung sein (S. 46 f.). Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist gewährleistet; Allgemeinmediziner sind in den Unterbringungszentren regelmäßig unter der Woche verfügbar, Fachärzte nur in Notfällen (S. 49 f.). Im Jahr 2014 waren mehr als 4.800 Asylsuchende inhaftiert; die Haftplätze sind fast vollständig belegt. Es gibt keine besonderen Kategorien von Asylsuchenden die inhaftiert werden. Familien werden gemeinsam in einer gesonderten Einrichtung in Haft genommen (S. 51).
33Diese Umstände begründen allerdings keine systematischen Defizite des Asylsystems.
34Der Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates Nils Muiżnieks vom 16. Dezember 2014 über die Menschenrechte von Immigranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen (ohne Schutzstatus) in Ungarn, S. 36 ff, Rn. 148 ff.,
35abrufbar unter: https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?command=com.instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=2662996&SecMode=1&DocId=2218468&Usage=2,
36gibt ebenfalls nichts für die Annahme systemischer Mängel her. Dieser spricht von Verbesserungen hinsichtlich der Gründe der Asylhaft, der gerichtlichen Überprüfung sowie dem tatsächlichen Zugang der Betroffenen zu einem diese Frage betreffenden Gerichtsverfahren, obgleich sich der Kommissar besorgt zeigt hinsichtlich des fehlenden Zugangs zu einer effektiven gerichtlichen Überprüfung; dabei nimmt er allerdings die Jahre vor der letzten Entscheidung des EGMR vom 3. Juli 2014 ‑ Nr. 71932/12 ‑ zu Ungarn in den Blick und beleuchtet die damaligen Verhältnisse kritisch, ohne die Entwicklung seit dem Jahr 2014 näher zu betrachten. Allerdings bemerkt der Kommissar einen nicht hinlänglich den Besonderheiten für schutzbedürftige internationalen Schutz suchende Drittstaatsangehörige wie etwa Traumatisierte oder Minderjährige.
37Ein systemischer Mangel wird zur Überzeugung der Kammer insbesondere nicht durch die in Ungarn (auch im Jahr 2014) praktizierte Asylhaft begründet. Eine Inhaftierung ist nach dem ungarischen Asylgesetz zulässig zur Überprüfung der Identität und Staatsangehörigkeit, nach dem Untertauchen oder anderweitiger Behinderung der Durchführung des Asylverfahrens, oder wenn dies aus gewichtigen Gründen zu befürchten ist oder wenn der Betreffende seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen, und damit die Durchführung eines Dublin-Verfahrens behindert hat. Die Verhängung der Asylhaft ist nach vorheriger Einzelfallprüfung nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch die Anwendung weniger einschneidender Alternativen zur Inhaftierung erreicht werden kann, etwa durch die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit, die Pflicht, sich an einem zugewiesenen Ort aufzuhalten oder Meldeauflagen. Gegen die Anordnung der Asylhaft als solches gibt es kein eigenständiges Rechtsmittel; die Haft wird nur allerdings insoweit richterlich überprüft, dass dies erstmals nach 72 Stunden und in der Folgezeit in 60-Tages-Intervallen erfolgt.
38Vgl. zu den Einzelheiten der Asylhaft: Auswärtiges Amt, Bericht an das VG Düsseldorf vom 19. November 2014– 508-9-516.80/48135, Juris Mitteilungen, S. 2 f.; (österreichisches) Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – W 192 2014566-1/3 E – (B) I. 1.1. Asylrechtliche Haft), abrufbar unter: http://www.ris.bka.gv.at (Datenbank RIS).
39Diese Regelungen zur Asylhaft und ihre tatsächlichen Anwendung hat der EGMR bereits bei seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – berücksichtigt, da er u.a. auf den Country Report des Ungarischen Helsinki-Komitee vom 30. April 2014 abgestellt hat. Dem ist zu entnehmen, dass in der Zeit zwischen Juli und Dezember 2013 etwa 26 % aller Asylbewerber und etwa 42 % der männlichen Asylbewerber inhaftiert worden sind; ferner bestehen in den Haftanstalten nicht unerhebliche Mängel auf den Gebieten der Wohnverhältnisse, der Wasserqualität und der Versorgung mit Putz- und Reinigungsmitteln. Dem bereits genannten neuen Bericht „aida - Country-Report Hungary“ Stand 17. Februar 2015 sind für das gesamte Jahr 2014 keine nennenswert höheren Haftzahlen als die soeben dargestellten wie auch keine Verschlechterung der bereits früher festgestellten mäßigen Haftbedingungen zu entnehmen (dort S. 51, 53-56, 58-61). Ähnliche Zahlen und Umstände haben den EGMR gerade nicht veranlasst, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK bei der Behandlung von Asyl begehrenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn festzustellen.
40Ferner führt der Bericht von UNHCR Deutschland an das VG Düsseldorf vom 30. September 2014, der eine Zusammenfassung der UNHCR (international) bis dato vorliegenden Erkenntnissen, Stellungnahmen und Berichten verschiedener Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen enthält,
41abrufbar unter http://www.frnrw.de (Flüchtlingsrat NRW dort: UNHCR Stellungnahme zur Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in Ungarn),
42gleichfalls nicht zur Annahme systematischer Mängel im ungarischen Asylsystem. Dabei berücksichtigt die Kammer, dass einer von UNHCR Deutschland ausgegebenen Stellungnahme keine „amtliche“ von UNHCR (international) ist, welcher dem EuGH zufolge eine besondere Gewichtung bei der Auslegung und Beurteilung der europarechtlichen Vorschriften zuzumessen wäre.
43Vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C -528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, S. 660 ff. =Juris Rdnr. 44.
44UNHCR Deutschland betrachtet in dieser Stellungnahme einen Zeitraum ab dem 1. Juli 2013; er legt allerdings nicht dar, dass die ungarischen Behörden aktuell (wieder) exzessiv von der Möglichkeit der Inhaftierung von Asylsuchenden Gebrauch machen. Vielmehr entspricht die für das 1. Halbjahr des Jahres 2014 genannte Zahl der Inhaftierungen (Inhaftierung von 25 % aller Asylsuchenden, 40 % der männlichen Asylbewerber) in etwa den vom EGMR in dem Urteil vom 3. Juli 2014 ‑ Nr. 71932/12 ‑ zugrunde gelegten Inhaftierungszahlen (26 % aller Asylbewerber, 42 % der männlichen Asylbewerber), welche auch dem `aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary´ Stand 17. Februar 2015 zu entnehmen sind. Zudem sieht die Richtlinie 2013/33 (EU) des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96 vom 29. Juni 2013; so gen. Aufnahmerichtlinie) ausdrücklich die Möglichkeit zur Inhaftierung von Asylantragstellern vor (Erwägungsgründe 15 bis 20 sowie Art. 8 bis Art 11 RL 2013/33/EU). In ihrer ungarischen Handhabung erfolgt die Inhaftierung nicht wegen der Stellung eines Asylantrags, sondern wegen solcher Umstände, die das individuelle Verhalten des Drittstaatsangehörigen vor und bei der Antragstellung kennzeichnen. Zudem hat ein Dublin-Rückkehrer bereits durch seine Weiterreise in die Bundesrepublik belegt, dass er sich nach seiner erkennungsdienstlichen Behandlung/Erfassung in Ungarn dem ungarischen Asylverfahren entzogen hat und offensichtlich nicht dort verbleiben wollte.
45Der Bericht von UNHCR Deutschland – offenbar an das VG Düsseldorf – vom 25. November 2014,
46abrufbar unter http://www.ecoi.net,
47ergibt nichts anderes. Darin stellt UNHCR Deutschland heraus, dass der UNHCR (international) die Veränderungen im ungarischen Asylsystem ab dem Jahr 2014 begrüßt und Dublin-Rückkehrer von staatlicher wie auch nichtstaatlicher Seite unterstützt werden, zumal es in Ungarn ein neu aufgelegtes Unterstützungsprogramm gibt. UNHCR (international) befürchtet für Personen, die den subsidiären oder internationalen Schutz erhalten haben, dass diese nicht an den ansonsten eingetretenen Verbesserungen für Schutz suchende Drittstaatsangehörige teilhaben. Die zusammengetragenen kritischen Berichte erfassen zudem oft einen Zeitraum vor dem Jahr 2014, namentlich die Jahre 2012 und 2013, die auch der EGMR beurteilt hat, ohne eine beachtliche Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung von Asylantragstellern festgestellt zu haben.
48Die der Kammer ebenfalls vorliegenden beiden, weitgehend deutschsprachigen Stellungnahmen von Pro Asyl bzw. bordermonitoring.eu an das VG Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 bzw. an das VG München vom 30. Oktober 2014,
49abrufbar unter: http://bordermonitoring.eu/2014/11/stellungnahmen-von-bordermonitoring-eu-zur-situation-in-ungarn/, bzw. http://bordermonitoring.eu/files/2014/11/antwort-vg-muenchen.pdf,
50die in Zusammenarbeit mit dem ungarischen Helsinki Komitee (HHC) erarbeitet wurden, ergeben für den Antragsteller ebenfalls nichts Günstiges. Darin werden nämlich die bereits zuvor dargestellten Umstände um die Anwendung der Asylhaft weitestgehend bestätigt, ohne greifbar eine Verschlechterung aufzuzeigen.
51Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte für systemische Mängel wegen drohender Obdachlosigkeit von Schutz suchenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn greifbar,
52vgl. dazu insgesamt mit genauerer Darlegung: VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. September 2014 ‑ 6 L 1235/14.A ‑, Juris Rdnr. 84 ff. und Urteil vom 20. März 2013 – 13 K 501/14 -, juris Rdnr. 79 ff,
53die an die zumindest seinerzeit sehr weitgehend verbreitete Obdachlosigkeit unter dem griechischen Asylsystem hin zu einer behördlichen Gleichgültigkeit
54vgl. dazu: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 M.S.S. ./. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, Rdnr. 253 ff., 263= NVwZ 2011 S. 413 ff.; BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 – 10 B 16/12 –, InfAuslR 2013, S. 45 f. = Juris Rdnr. 9,
55heranreicht. Es ist nämlich bisher, d.h. im gesamten vergangenen Jahr 2014 gerade kein Fall bekannt, in dem einem Asylantragsteller – etwa wegen Überbesetzung der Unterbringungseinrichtungen – in Ungarn kein Obdach gewährt worden ist.
56Vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary, Stand 17. Februar 2015, S. 43; und bereits National Country Report Hungary, Stand 30. April 2014, S. 40.
57Der Antragsteller selbst hat Mängel im ungarischen Asylverfahren lediglich pauschal behauptet und eine individuelle Betroffenheit nicht geltend gemacht.
58Für ein der Abschiebung nach Ungarn entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre,
59vgl. BVerfG, (Nichtannahme-)Beschluss vom 17. September 2014 – 2 BvR 732/14 –, AuAS 2014 S. 244 ff. = Juris Rdnr. 11 f.; OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2011 – 18 B 1060/11 –, Juris Rdnr. 4,
60ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.
61Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
(1) Ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (sicherer Drittstaat) eingereist ist, kann sich nicht auf Artikel 16a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt. Satz 1 gilt nicht, wenn
- 1.
der Ausländer im Zeitpunkt seiner Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland war, - 2.
die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist oder - 3.
der Ausländer auf Grund einer Anordnung nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 nicht zurückgewiesen oder zurückgeschoben worden ist.
(2) Sichere Drittstaaten sind außer den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die in Anlage I bezeichneten Staaten.
(3) Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, dass ein in Anlage I bezeichneter Staat nicht mehr als sicherer Drittstaat gilt, wenn Veränderungen in den rechtlichen oder politischen Verhältnissen dieses Staates die Annahme begründen, dass die in Artikel 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes bezeichneten Voraussetzungen entfallen sind. Die Verordnung tritt spätestens sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten außer Kraft.
Tenor
Der Beschluss vom 2. Juni 2015 in dem Verfahren 22 L 1558/15.A wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 3263/15.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. März 2015 wird angeordnet.
1
Gründe:
2Das Gericht ändert von Amts wegen den im Tenor genannten Beschluss (§ 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO), weil das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage zum gegenwärtigen Zeitpunkt das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylVfG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an deren sofortiger Durchsetzbarkeit überwiegt. Denn die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung begegnet nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung gegenwärtig durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Es bestehen erhebliche Zweifel, dass die hierfür erforderlichen Voraussetzungen im vorliegenden Fall derzeit erfüllt sind.
4Zwar ist Ungarn für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Zur Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses vom 2. Juni 2015 im Verfahren 22 L 1558/15.A verwiesen.
5Gegenwärtig steht indes nicht im Sinne von § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG fest, dass die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn durchgeführt werden kann. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist es Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen.
6Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14-, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 30. August 2011 -18 B 1060/11 -, juris Rn. 4 und vom 3. März 2015 und ‑ 14 B 102/15.A ‑, juris; OVG Niedersachsen, Urteil vom 4. Juli 2012- 2 LB 163/10 -, juris Rn. 41; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris Rn. 4 ff.; VGH Bayern, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 ‑ A 11 S 1523/11 -, juris Rn. 4 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris Rn. 9 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004- 2 M 299/04 -, juris Rn. 9 ff.
7Die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist nicht etwa nur zu unterlassen, wenn ein Abschiebungshindernis vorliegt, sondern darf erst dann ergehen, wenn ein solches ausgeschlossen ist ("feststeht, dass sie durchgeführt werden kann").
8Vgl. zum tatsächlichen Abschiebungshindernis der fehlenden Übernahmebereitschaft des Zielstaates: OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2015 ‑ 14 B 101/15.A ‑ und ‑ 14 B 102/15.A ‑ sowie vom 10. März 2015 ‑ 14 B 162/15.A ‑; Funke-Kaiser in: GK AsylVfG 1992, Loseblattsammlung (Stand: November 2014), § 34a Rn. 20.
9Daran fehlt es hier nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung. Denn es gibt wesentliche Gründe für die Annahme, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn gegenwärtig rechtlich unmöglich ist, weil ihm in diesem Falle wegen systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen,
10vgl. zur Definition „systemischer Mängel“ im Einzelnen: Lübbe: „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, in: ZAR 2014, 105 ff,; EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413,
11die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) droht.
12Systemische Mängel in diesem Sinne können angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch, vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.
13Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 94.
14Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
15EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rdn. 86.
16Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
17Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rdn. 6 ff. m.w.N.
18Vorliegend ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte für systemische Mängel im oben genannten Sinn hinsichtlich des Asylverfahrens in Ungarn aus den zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Änderungen des ungarischen Asylrechts, soweit sie sich aus frei zugänglichen Veröffentlichungen ergeben,
19vgl. ausführlich Hungarian Helsinki Commitee, Building a legal fence – Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary, http://helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC-HU-asylum-law-amendment-2015-August-info-note.pdf, abgerufen am 14. August 2015; vgl. ferner Information im englischsprachigen Internetangebot der ungarischen Regierung, http://www.kormany.hu/en/news/government-has-identified-list-of-safe-countries; UNHCR vom 2. Juli 2015, „UNHCR urges Hungary not to amend asylum system in haste”, http://www.unhcr.org/559641846.html; aida: „Hungary adopts list of safe countries of origin and safe third countries”, http://www.asylumineurope.org/news/23-07-2015/hungary-adopts-list-safe-countries-origin-and-safe-third-countries; amnesty international: „Hungary: Change to Asylum Law puts tens of thousands at risk”, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2015/07/hungary-change-to-asylum-law-puts-tens-of-thousands-at-risk/; alle abgerufen am 6. August 2015.
20Insbesondere begründet die Aufnahme von Serbien – neben allen anderen an Ungarn angrenzenden Staaten – in die Liste der sicheren Drittstaaten die Gefahr, dass der betroffene Antragsteller keinen Zugang zu einem Asylverfahren erhält, in dem eine inhaltliche Prüfung seiner Fluchtgründe vorgenommen würde. Es besteht die Gefahr, dass er bei einer Überstellung nach Ungarn durch die dortigen Behörden ohne inhaltliche Prüfung seiner Fluchtgründe nach europäischen Mindeststandards beispielsweise nach Serbien abgeschoben wird. Nach den Feststellungen des Europäischen Kommissars für Menschenrechte ist jedoch jedenfalls hinsichtlich Serbien äußerst zweifelhaft, dass das dortige Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen den europäischen Mindestanforderungen entsprechen,
21vgl. Schreiben an den serbischen Premierminister und Innenminister vom 27. November 2013, https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?command=com.instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=2444713&SecMode=1&DocId=2108062&Usage=2, abgerufen am 6. August 2015.
22Damit liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Ungarn eine weitere Abschiebung in ein nicht sicheres Drittland und damit letztlich in sein Herkunftsland droht, ohne ihm Zugang zu einem Verfahren auf Zuerkennung internationalen Schutzes zu gewähren, in dem seine Fluchtgründe inhaltlich geprüft werden. Darin läge zugleich ein Verstoß gegen das Refoulement-Verbot zu Lasten des Antragstellers,
23vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 6. August 2015 – 22 L 616/15.A -, nrwe.de, und vom 21. August 2015 ‑ 8 L 2811/15.A ‑, n.v..
24Ob und gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit eine solche Gefahr dem Antragsteller in seiner persönlichen Situation als Dublin-Rückkehrer tatsächlich droht, bedarf weiterer Aufklärung im Hauptsacheverfahren.
25Es verbleibt bei der Kostenentscheidung im Beschluss vom 2. Juni 2015.
26Vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 80 Rdnr. 191, Eyermann/Schmidt, VwGO, 13. Aufl., § 80 Rdnr. 108.
27Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 15 K 5237/15.A gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 20. Juli 2015 wird angeordnet, soweit dort unter Ziffer 2 die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn angeordnet ist.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Das am 27. Juli 2015 bei Gericht eingegangene vorläufige Rechtsschutzgesuch mit dem sinngemäß (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) gestellten Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 15 K 5237/15.A gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 20. Juli 2015 anzuordnen, soweit dort unter Ziffer 2 die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn angeordnet ist,
4hat Erfolg. Es ist als Anordnungsbegehren gemäß den §§ 123 Abs. 5, 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO zwar, weil der Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes nach § 75 Abs. 1 AsylVfG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt, statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der Rechtsschutzantrag gegenüber der Abschiebungsanordnung, die auf § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG gestützt ist, fristgerecht gestellt. Ausweislich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ist der angegriffene Bundesamtsbescheid gerichtet an den Antragsteller am 23. Juli 2015 zur Post gegeben worden mit der Folge, dass das am 27. Juli 2015 gestellte vorläufige Rechtsschutzgesuch die einwöchige Antragsfrist des § 34 a Abs. 2 S. 1 AsylVfG jedenfalls wahrt.
5Das danach zulässige Rechtsschutzgesuch ist auch begründet.
6Gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache als Ergebnis einer Interessenabwägung, die in den Fällen des § 34 a Abs. 2 S. 1 AsylVfG nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht den Einschränkungen des § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG unterliegt,
7vgl. hierzu nur mit ausführlicher Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens Verwaltungsgericht (VG) Trier, Beschluss vom 18. September 2013, 5 L 1234/13.TR, juris Rdnr. 5 ff. m. w. N.,
8die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, soweit ihr ‑ wie hier ‑ kein Suspensiveffekt zukommt. Dabei überwiegt das Aussetzungsinteresse des Betroffenen das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung einer Verfügung, wenn entweder der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil an der sofortigen Vollziehung einer solchen Regelung kein öffentliches Interesse besteht, oder aber wenn die angegriffene Regelung bei summarischer Prüfung zwar einer Rechtskontrolle Stand hält, gleichwohl aber das Aufschubinteresse des Betroffenen dem Allgemeininteresse an ihrer sofortigen Vollziehung vorgeht. Die danach gebotene Interessenabwägung fällt hier zu Gunsten des Antragstellers aus. Die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes begegnet bei summarischer Prüfung im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) rechtlich durchgreifenden Bedenken mit der Folge, dass unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Antragstellers an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung kein öffentliches Interesse besteht.
9Die Abschiebungsanordnung ist wohl nicht rechtsfehlerfrei auf § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG gestützt. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 27 a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind zumindest im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) nicht (länger) erfüllt.
10Ist ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, ist gemäß § 27 a AsylVfG ein Asylantrag unzulässig. Zu Recht hat das Bundesamt hier zur Bestimmung des Staates im Sinne des § 27 a AsylVfG die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III‑VO), herangezogen.
11Gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III‑VO ist Ungarn für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig, nachdem der Antragsteller nach eigenen Angaben Syrien im März 2012 verlassen hat und über die Türkei, Griechenland, Mazedonien und ‑ insoweit durch einen EURODAC-Treffer (HU2 …) bestätigt ‑ Ungarn sowie Österreich am 29. März 2015 in das Bundesgebiet eingereist ist und seit der Ankunft in Ungarn das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten des Dublin III‑Abkommens nicht wieder verlassen hat. Auch hat Ungarn dem Bundesamt gegenüber auf dessen Anfrage vom 7. Mai 2015 unter dem 12. Juni 2015 schriftlich seine Bereitschaft erklärt, den Antragsteller aufzunehmen.
12Auch ist die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III‑VO Gebrauch zu machen und das Asylgesuch des Antragstellers selbst zu prüfen. Ein subjektives Recht des Asylbewerbers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts vermittelt diese Vorschrift als Teil der Regelungen der Dublin III‑VO, die ausgerichtet an objektiven Kriterien der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten dienen, für sich genommen nicht.
13Vgl. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteile vom 10. Dezember 2013, C 394/12, juris Rdnr. 60, 62, und vom 14. November 2013, C 4/11, juris Rdnr. 7; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 19. März 2014, 10 B 6.14, juris Rdnr. 7.
14Gleichwohl begegnet die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, die nur dann rechtsfehlerfrei ist, wenn ausgeschlossen werden kann, dass ein Abschiebungshindernis vorliegt,
15vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 28. April 2015, 22 L 1095/15.A; zum tatsächlichen Abschiebungshindernis der fehlenden Übernahmebereitschaft des Zielstaates: OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2015, 14 B 101/15.A und 14 B 102/15.A, sowie Beschluss vom 10. März 2015, 14 B 162/15.A.,
16hier rechtserheblichen Bedenken, die der Überprüfung im Hauptsacheverfahren bedürfen.
17Entgegen den Vorgaben des § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG steht derzeit nicht fest, dass der Antragsteller nach Ungarn abgeschoben werden kann, weil gewichtige Gründe für die Annahme sprechen, dass die Abschiebung Ungarn im Sinne des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO unmöglich ist, weil der Antragsteller im hier maßgeblichen Prognosezeitraum mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Ungarn wegen systemischer Mängel des dortigen Verfahrens zur Schutzgewährung der ernsthaften Gefahr ausgesetzt sein wird, eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zu erfahren.
18Nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III‑VO wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der für die Prüfung des Schutzgesuchs zuständige Mitgliedsstaat, wenn eine Überstellung des Schutzsuchenden in den nach Kapitel III der Dublin III‑VO bestimmten Mitgliedsstaat unmöglich ist, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder unwürdigeren Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen, und nach Kapitel III der Dublin III‑VO kein anderer Mitgliedsstaat als zuständig bestimmt werden kann.
19Die dem gemeinsamen europäischen Asylsystem zu Grunde liegende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Schutzsuchenden einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend beachtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn die aus Tatsachen abgeleitete Gefahr besteht, dass der Schutzsuchende in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entgegen den Vorgaben des Art. 4 EU-Grundrechtscharta bzw. Art. 3 der Konvention unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden wird, weil das Verfahren zur Schutzgewährung und die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen. Solche Mängel können allerdings erst dann angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen von einer Art. 4 EU-Grundrechtscharta bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen zu verzeichnen sind, sondern strukturell bedingt sind und dem überstellenden Staates nicht unbekannt sein können.
20Vgl. zum Ganzen: EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011, C 411/10 u. a., juris Rdnr. 83 ff; Europäischer Gerichtshof für Menschenrecht (EGMR), Urteil vom 21. Januar 2011, 30696/09, juris.
21Insoweit ist damit ist eine Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat rechtlich unzulässig, sofern mit beachtlicher, das heißt überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass der Schutzsuchende dort wegen systemischer Mängel des Verfahrens zur Schutzgewährung oder der Aufnahmebedingungen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird,
22vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014, 10 B 6.14, juris Rdnr. 6,
23nicht aber schon dann, wenn der Zielstaat der Überstellung trotz möglicher Mängel in der Durchführung des Schutzverfahrens seine rechtlichen Verpflichtungen jedenfalls soweit erfüllt, dass eine Überstellung des Schutzsuchenden dorthin zumutbar erscheint.
24Vgl. etwa VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2015, 13 L 58.15.A, VG Berlin, Beschlüsse vom 15. Januar 2015, 23 L 899.14 A, und vom 4. August 2014, 34 L 78.14 A, jeweils juris.
25Gemessen daran liegen zumindest gewichtige Anhaltspunkte tatsächlicher Art vor, die geeignet sein können, eine Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn rechtlich auszuschließen und deshalb einer näheren Überprüfung im Hauptsacheverfahren bedürfen. Namentlich spricht derzeit Vieles dafür, dass der Antragsteller im Fall seiner Überstellung nach Ungarn in dem hier maßgeblichen Prognosezeitraum mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen systembedingter Mängel des Verfahrens zur Schutzgewährung eine Behandlung erfahren wird, die die hier rechtlich allein maßgeblichen Grenzen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bzw. der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzt.
26Belastbare Anhaltspunkte für diese Annahme ergeben sich aus den öffentlich zugänglichen Informationen über das in Ungarn am 6. Juli 2015 beschlossene und zum 1. August 2015 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des dortigen Asylrechts.
27Vgl. Hungarian Helsinki Committee, Building A Legal Fence, Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary, Information note, 7 August 2015, abrufbar unter http://helsinki.hu/en/new-asylum-rules-endanger-access-to-protection (Stand: 20 August 2015); Information im englischsprachigen Internetangebot der ungarischen Regierung, http://www.kormany.hu/en/news/government-has-identified-list-of-safe-countries; UNHCR vom 2. Juli 2015, „UNHCR urges Hungary not to amend asylum system in haste”, http://www.unhcr.org/559641846.html; aida: „Hungary adopts list of safe countries of origin and safe third countries”, http://www.asylumineurope.org/news/23-07-2015/hungary-adopts-list-safe-countries-origin-and-safe-third-countries; amnesty international: „Hungary: Change to Asylum Law puts tens of thousands at risk”, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2015/07/hungary-change-to-asylum-law-puts-tens-of-thousands-at-risk/; alle abgerufen am 6. August 2015.
28Danach sind nicht nur die Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeiten nach dem Dublin III‑Abkommen und zur Prüfung eines Asylgesuchs in Zuständigkeit des ungarischen Staates sowohl vor den ungarischen Behörden wie vor den ungarischen Gerichten etwa durch die Verkürzung von Fristen und die an Fristversäumnisse angeknüpften Sanktionen sowie neu gefasste Beweislastregeln formell wie materiell in einer Weise verändert worden, die ernsthaft befürchten lässt, dass das ungarische Asylrecht seit dem 1. August 2015 nicht nur etwa hinter den Verfahrensgarantien gemäß den Artikeln 26 ff. Dublin III‑VO und den Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20. Dezember 2011, S. 9 ff.) zurückbleibt, sondern die in Ungarn Schutzsuchenden auch in Rechten verletzt, die ihnen auf europäischer Ebene grundrechtlich verbürgt sind. Ferner rechtfertigt die durch die Asylrechtrechtsnovelle bewirkte Aufnahme (insbesondere) Serbiens in den Kreis der aus Sicht des ungarischen Staates sicheren Drittstaaten die ernsthafte Besorgnis, dass Schutzsuchende in Ungarn ohne inhaltliche Prüfung ihrer Fluchtgründe in Staaten abgeschoben werden, für die ‑ wie etwa Serbien ‑,
29vgl. Commissioner for Human Rights, Council of Europe, Schreiben an den serbischen Premierminister und Innenminister vom 27. November 2013, https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?comand=com.instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=2444713&SecMode=1&DocId=2108062&Usage=2, abgerufen am 6. August 2015,
30zumindest zweifelhaft ist, dass die dortigen Asylverfahren den europäischen Mindestmindestanforderungen entsprechen und sicherstellen, dass Abschiebungen in andere nicht sichere Drittstaaten oder Rückführungen in das Herkunftsland des Schutzsuchenden unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgeschlossen sind.
31Vgl. zu Letzterem schon Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 6. August 2015, 22 L 2205/15.A, n. v. sowie Beschluss vom 7. August 2015, 22 L 616/15.A, zur Veröffentlichung vorgesehen: www.nrwe.de und juris.
32Dass die zum 1. August 2015 in Ungarn geänderten asylrechtlichen Bestimmungen auf Dublin-Rückkehrer keine Anwendung finden, lässt sich dabei derzeit verlässlich nicht feststellen.
33Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
34Der Wert des Verfahrensgegenstandes ergibt sich aus § 30 RVG.
35Der Beschluss ist unanfechtbar; § 80 AsylVfG.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe
2I.
3Die am 0. Mai 1987 geborene Antragstellerin ist eritreische Staatsangehörige und begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen ihre Abschiebung nach Ungarn.
4Die Antragstellerin reiste nach eigenen Angaben am 27. Januar 2014 in das Bundesgebiet ein und stellte am 28. Januar 2014 einen Asylantrag.
5Zu ihrem Reiseweg befragt, gab sie an, dass sie im Jahr 2002 zu Fuß Eritrea verlassen, sich etwa einen Monat im Sudan aufgehalten habe und dann mit dem Flugzeug nach T. geflogen sei. Dort habe sie sich etwa drei Jahre lang aufgehalten. Mit dem Bus sei sie dann in die Türkei und nach ein paar Tagen mit dem Boot nach Griechenland gereist, wo sie etwa sieben Jahre lang gelebt habe. Schließlich sei sie über Albanien, Montenegro, Serbien und Ungarn bis nach Deutschland gereist. Auf die Frage, warum sie nach Deutschland gekommen sei, gab sie an, dass sie ihren (damaligen) Lebensgefährten, Herrn G. N. T1. , begleitet habe.
6In dem handschriftlich auszufüllenden Fragebogen im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 28. Januar 2014 in E. unterstrich die Antragstellerin bei „Familienstand“ das Wort „Single“, schrieb aber handschriftlich daneben das Wort „married“ sowie „N. G. . Mein Mann.“ Während des persönlichen Gesprächs antwortete sie wiederum auf die Frage, ob sie verheiratet sei, mit „nein“.
7G. N. T1. , geboren am 00. Juni 1979, hatte am 4. Januar 2014 in Ungarn und am 27. Januar 2014 in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Unter dem 11. März 2014 nahmen die ungarischen Behörden das diesbezüglich gestellte Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes an und fragten zugleich, ob das Bundesamt über Informationen zu seiner angeblichen Ehefrau, der Antragstellerin, verfüge. Das gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Ungarn gerichtete Eilverfahren war nach Auskunft des Bundesamtes erfolglos.
8Am 11. April 2014 stellte das Bundesamt hinsichtlich der Antragstellerin ein Aufnahmegesuch an Ungarn mit der Begründung, dass die Zuständigkeit Ungarns aus Art. 11 b der Verordnung (EU) 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO) folge. Unabhängig von der Frage, ob die Antragstellerin mit Fathi N. T1. verheiratet sei oder nicht, hätten beide jedenfalls eine dauerhafte Beziehung im Sinne von Art. 2 g) 1. Spiegelstrich Dublin-III-VO miteinander geführt. Ferner habe Fathi N. T1. den Asylantrag in Deutschland einen Tag vor der Antragstellerin gestellt. Schließlich wies das Bundesamt darauf hin, dass nach den EURODAC-Erkenntnissen die Antragstellerin bereits am 14. Dezember 2009 in Griechenland einen Asylantrag gestellt und dort etwa von 2009 bis 2013 gelebt hatte.
9Die ungarischen Behörden nahmen unter dem 22. April 2014 das Aufnahmegesuch des Bundesamtes unter Berufung auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO an. Weiter heißt es in der Mitteilung:
10“Hereby we kindly inform you that the above named person applied for asylum in Hungary on 04.01.2014, but absconded presently, following which her asylum procedure was terminated.”
11Unter dem 8. Mai 2014, zugestellt am 20. Mai 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an. Zur Begründung führte es aus, dass die Unzulässigkeit aus § 27a AsylVfG folge, da Ungarn nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO für die Behandlung des Antrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Das Bundesamt gehe davon aus, dass in Ungarn keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vorliegen. Weder der UNHCR, noch das Hungarian Helsinki Commitee oder der European Refugee Council hätten eine generelle Empfehlung ausgesprochen, Asylbewerber im Rahmen des Dublin-Verfahrens nicht nach Ungarn zu überstellen. Zwar sei seit der Gesetzesänderung zum 1. Juli 2013 nach dem ungarischen Asylgesetz die Verhängung von sogenannter Asylhaft möglich. Die Voraussetzungen für die Asylhaft seien aber detailliert in Art. 31 A des ungarischen Asylgesetzes geregelt, deren Haftgründe sich an der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung der EU-Aufnahmerichtlinie) orientierten und mit den dort genannten Gründen für die Haft überwiegend übereinstimmten. Nach Informationen des Direktors des ungarischen Asyldirektorates würden darüber hinaus Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen. Bei solchen anerkennungsträchtigen Herkunftsländern handele es sich derzeit um T. , Somalia und Eritrea, für die eine dichte Verfolgungslage angenommen werde. Es lägen auch keine sonstigen außergewöhnlich schwerwiegenden humanitären Gründe gegen eine Überstellung vor. Insbesondere folge weder aus dem UNHCR Bericht vom 12. April 2013 auf die Unterbringung von anerkannten Asylsuchenden in Ungarn, noch aus der Stellungnahme von ProAsyl vom Februar 2012 („Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit“), dass derart eklatante Missstände vorliegen würden, die derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass Asylbewerber in Ungarn insoweit der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt seien.
12Gegen den Bescheid vom 8. Mai 2014 hat die Antragstellerin am 27. Mai 2014 Klage (6 K 3565/14.A) erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist, und Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.
13Zur Begründung trägt sie zum einen vor, dass Art. 11 Buchst. b Dublin III-VO vorliegend keine Anwendung finde, da die Antragstellerin mit Herrn T1. nicht offiziell verheiratet sei. Die Beziehung sei beendet und es bestehe auch kein Interesse an ihrer Fortführung. In Griechenland sei eine Eheschließung mit Herrn T1. lediglich durch einen Imam erfolgt, eine offizielle Hochzeit habe aber nicht stattgefunden, sodass die Ehe keine Rechtsgültigkeit entfalte. Nicht verheiratete Paare würden schließlich in Griechenland ausländerrechtlich nicht vergleichbar mit verheirateten Paaren behandelt.
14Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin erstmals über Griechenland in die Europäische Union eingereist sei. Damit sei die Zuständigkeit Griechenlands begründet worden. Die Antragstellerin habe zwar kurzzeitig das Gebiet der Mitgliedstaaten verlassen, um über Albanien nach Serbien und dann schließlich nach Ungarn einzureisen. Da dies aber nicht einen Zeitraum von drei Monaten überschritten habe, sei die Zuständigkeit Griechenlands hierdurch nicht nach Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO erloschen. Die Zuständigkeit Griechenlands sei jedoch gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO nach zwölf Monaten des illegalen Grenzübertritts erloschen. Die Antragstellerin habe sich anschließend in keinem anderen Mitgliedstaat länger als fünf Monate aufgehalten, sodass auch über § 13 Abs. 2 Dublin III-VO keine neue Zuständigkeit begründet worden sei.
15Einer Zuständigkeit Ungarns stünden schließlich systemische Mängel des ungarischen Asylsystems entgegen. Die Klägerin hätte in Ungarn keinerlei Zugang zu einem (erneuten) Asylverfahren und liefe Gefahr, nach Serbien oder sogar nach Eritrea abgeschoben zu werden. Ferner bestehe die Gefahr der Inhaftierung. Eine solche drohe Asylbewerbern unter anderem in den Fällen, in denen die Betroffenen untergetaucht seien. Die ungarischen Behörden hätten bereits mitgeteilt, dass sie von einem solchen Untertauchen bei der Antragstellerin ausgingen. Selbst aber wenn die Antragstellerin nicht inhaftiert würde, würde ihr nach kurzer Zeit Obdachlosigkeit ohne staatliche Unterstützung drohen.
16Die Antragstellerin beantragt,
17die aufschiebende Wirkung der Klage (6 K 3565/14.A) gegen die Abschiebungsandrohung nach Ungarn in Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes vom 8. Mai 2014 anzuordnen.
18Die Antragsgegnerin beantragt,
19den Antrag abzulehnen.
20II.
21Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet.
22Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylVfG ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Nicht erforderlich sind insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides, denn die Regelung des § 36 Abs. 4 AsylVfG ist hier nicht (entsprechend) anwendbar.
23Vgl. VG Trier, Beschluss vom 18. September 2013 – 5 L 1234/13.TR –, juris Rn. 5 ff. m.w.N.; VG Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – 2 B 844/13 –, juris Rn. 3; VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Januar 2014 – 13 L 2168/13.A –, juris.
24Das Gericht hat nach den allgemeinen Grundsätzen zu § 80 Abs. 5 VwGO bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zwischen dem sich aus der Regelung des § 75 AsylVfG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des ablehnenden Bescheids und dem Interesse des jeweiligen Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
25Die Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten der Antragstellerin aus. Denn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die Abschiebungsandrohung nach Ungarn in Ziffer 2. des Bescheides vom 8. Mai 2014 rechtmäßig ist.
26Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
27Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Maßgabe des insoweit gemäß Art. 49 Unterabs. 2 Satz 1 der Dublin III-VO anwendbaren Zuständigkeitsregimes dieser Verordnung für die Prüfung des am 28. Januar 2014 in Deutschland angebrachten Asylantrages der Antragstellerin zuständig ist (1.). Ein Zuständigkeitswechsel hin zur Antragsgegnerin aufgrund von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO ist nicht eingetreten. Systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn stehen einer Abschiebung nicht entgegen (2.).
281. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatenangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. Nach Satz 2 der Regelung wird der Antrag grundsätzlich nur von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO (Art. 7 bis 15 Dublin III-VO) als zuständiger Mitgliedstaat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
29Abweichend hiervon eröffnet Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO jedem Mitgliedstaat die Möglichkeit, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin III-VO festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. In einem solchen Fall wird nach Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 Dublin III-VO dieser zum zuständigen Mitgliedstaat.
30Danach folgt die Zuständigkeit Ungarns vorliegend jedenfalls aus Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Satz 1 Dublin III-VO.
31Ungarn hat auf das am 11. April 2014 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme der Antragstellerin am 22. April 2014 – und damit innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 1 Dublin III-VO maßgeblichen Monatsfrist nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens – seine Zuständigkeit für den Asylantrag der Antragstellerin erklärt. Damit ist Ungarn gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO verpflichtet, die Antragstellerin innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Wiederaufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist, nach deren Ablauf die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO), ist noch nicht abgelaufen. Die Überstellung kann noch bis zum 22. Oktober 2014 erfolgen.
322. Die Antragsgegnerin ist nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO zuständig geworden.
33Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 EUGRCh mit sich bringen (§ 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO), und auch eine alternative Überstellung in einen weiteren Mitgliedstaat anhand nachrangiger Zuständigkeitskriterien ausscheidet.
34Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normiert die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickelten, eng begrenzten Ausnahmefälle von dem Konzept eines von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS).
35Vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10, C-411/10, C‑493/10 –, juris (= Slg 2011, I-13905-14033); vgl. auch: BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris (= DVBl 2014, 790-796).
36Dieses stützt sich – ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten,
37vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, juris (= BVerfGE 94, 49-114),
38– auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.
39An einen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall des Konzepts normativer Vergewisserung sind daher strenge Anforderungen zu stellen.
40Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/93 –, juris Rn. 190 (= BVerfGE 94, 49-114); OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris Rn. 70 (= DVBl 2014, 790-796).
41Systemische Mängel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.
42Vgl. zur Situation in Griechenland: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413 [insbes. dort Rn. 253 ff., 263], siehe auch: EGMR, Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 –, juris (= ZAR 2013, 338-339), und vom 25. Oktober 2012 – 10 B 16/12 –, juris (= InfAuslR 2013, 45-46); OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris Rn. 89 ff. (= DVBl 2014, 790-796).
43Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK – die im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bejaht werden müsste – liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin III-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse, medizinische Versorgung) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
44OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris Rn. 126 (= DVBl 2014, 790-796).
45Bei der Bewertung der im jeweiligen Zielstaat anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Asylbewerbers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Asylbewerbers auswirken (können).
46Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris Rn. 130 (= DVBl 2014, 790-796).
47Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort.
48Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10, C‑411/10, C-493/10 –, juris Rn. 90 ff. (= Slg 2011, I-13905-14033).
49Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist.
50Vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, juris Rn. 44 (= NVwZ-RR 2013, 660-662).
51Nach diesen Grundsätzen ist auf der Grundlage des dem Gericht vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn jedenfalls derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass dort das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für – wie im Falle der Antragstellerin – alleinstehende, weibliche Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren in Ungarn nach ihrem Untertauchen eingestellt worden ist (a), systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der Antragstellerin, sollte sie an diesen Mitgliedstaat überstellt werden, im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK implizieren. Nach der aktuellen Erkenntnislage sind hinsichtlich der Inhaftierungspraxis von weiblichen Dublin-Rückkehrern keine systemischen Mängel in Ungarn greifbar (b). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin der Zugang zum Asylverfahren nicht gewährt werden würde (c), ihr eine Abschiebung nach Serbien (d), oder Obdachlosigkeit droht (e), sind nicht ersichtlich.
52(a) Als vorliegend maßgebliche Vergleichsgruppe ist in erster Linie die Situation von weiblichen, alleinstehenden Dublin-Rückkehrern zu betrachten (aa), die – wie die Antragstellerin – vor der Ausreise aus Ungarn dort einen Asylantrag gestellt haben, das Verfahren nach ihrer Weiterreise in die Bundesrepublik ohne Entscheidung in der Sache aber eingestellt worden ist (bb).
53(aa) Das Gericht geht davon aus, dass die Antragstellerin alleinstehend ist. Nach Aktenlage ist die Antragstellerin mit ihrem ehemaligen Lebensgefährten, Herrn Fathi N. T1. , nicht rechtsgültig verheiratet. Nach eigenen Angaben haben die Antragstellerin und Herr T1. zwar vor einem Imam in Griechenland eine (religiöse) Ehe geschlossen. Eine religiöse Trauung wird aber nur rechtsgültig, wenn sie anschließend innerhalb von 40 Tagen bei dem örtlichen griechischen Standesamt registriert wird.
54Vgl. Deutsche Botschaft Athen, Merkblatt Eheschließung in Griechenland, Stand: Mai 2013, abrufbar unter http://www.griechenland.diplo.de/contentblob/164484/Daten/3945553/DownloadDatei_Eheschliessung_GR.pdf.
55Eine solche Registrierung ist nach Angaben der Antragstellerin nicht erfolgt und auch sonst nicht ersichtlich. Zum anderen hat sich die Antragstellerin nach eigenem Bekunden von ihrem Lebensgefährten getrennt, wobei kein Interesse an einer Fortsetzung der Beziehung besteht.
56(bb) Es spricht ferner alles dafür, dass das in Ungarn zunächst eingeleitete Asylverfahren nach der Weiterreise der Antragstellerin in die Bundesrepublik ohne Entscheidung in der Sache nach § 52 Abs. 2a Buchst. c des ungarischen Asylverfahrensgesetzes,
57Act LXXX of 2007 on Asylum Government Decree 301/2007 (XI.), Stand 1. Juli 2013, abrufbar unter http://www.bmbah.hu/jomla/index.php?option=com_k2&view=item&layout=item&id=564&Itemid=669&lang=en,
58eingestellt worden ist. Denn nach Mitteilung der ungarischen Behörden ist das Asylverfahren beendet worden, nachdem die Antragstellerin untergetaucht war. Dass in Abwesenheit der Antragstellerin auch eine sachliche Entscheidung über ihren Asylantrag ergangen ist, ist hingegen nicht ersichtlich.
59Vgl. zu dieser Möglichkeit ebenfalls § 52 Abs. 2a des ungarischen Asylverfahrensgesetzes sowie Hungarian Helsinki Committee, Information note on asylum-seekers in detention and in Dublin procedures in hungary, Mai 2014, S. 20, abrufbar unter http://helsinki.hu/en/information-note-on-asylum-seekers-in-detention-and-in-dublin-procedures-in-hungary.
60(b) Es liegen keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte für eine mit Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EUGRCh nicht in Einklang stehende Inhaftierungspraxis Ungarns hinsichtlich weiblicher Dublin-Rückkehrer vor.
61Zur Beurteilung der aktuellen Praxis der Inhaftierung von Asylbewerbern kommen von vornherein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Das erkennende Gericht hat diesbezüglich mit Beschluss vom 16. Juni 2014 – 13 L 141/14.A –, juris Rn. 42-48, ausgeführt:
62„Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind,
63vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 – 2283/12-, Rn 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net.
64Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention – eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft – in das Asylrecht aufgenommen. Pro Asyl und das Hungarian Helsinki Committee kritisierten in ihren ersten Stellungnahmen zu den am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Rechtsänderungen frühzeitig die Unbestimmtheit der Haftgründe und die hierdurch bestehende Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheiten und äußerten die Befürchtung, dass in Ungarn die Inhaftierung von Asylantragstellern auf dieser Grundlage erneut zum Regelfall werde, zumal die rechtlich zur Verfügung stehenden Alternativen zur Haft, wie etwa Kautionsleistungen oder regelmäßige Meldepflichten, nach ihren Voraussetzungen so ungenau formuliert seien, dass diese voraussichtlich keine Anwendung finden würden. Ferner wurde kritisiert, dass gegen die Anordnung der Haft keine selbständigen Rechtsbehelfe zur Verfügung stünden, sondern eine Überprüfung lediglich in einem automatischen gerichtlichen Verfahren alle 60 Tage erfolge,
65vgl. Pro Asyl, bordermonitoring.eu, Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit, Aktualisierung und Ergänzung des Berichts vom März 2012 von Oktober 2013, abrufbar unter www.proasyl.de; Hungarian Helsinki Committee, Brief Information Note on the main asylum-related legal changes in hungary as of 1 Juliy 2013, S. 2 und 3, abrufbar unter http://www.helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC-udate-hungary-asylum-1-July-2013.pdf; Hungarian Helsinki Committee, Briefing Paper for the Working Group on Arbitrary Detention, UN Commission of Human Rights vom 8. Oktober 2013, Kapitel 7 „Detention of migrants“, S. 17 f., abrufbar unter http://www.helsinki.hu.
66Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung dieser Regelungen durch Ungarn angesichts des Zeitpunkts der Erstellung der Berichte kurz nach der Rechtsänderung naturgemäß noch nicht vorlagen.“
67Der im Verfahren 13 L 141/14.A eingeholten Auskunft des UNHCR vom 9. Mai 2014, dem aida Länderbericht vom 30. April 2014 sowie der Information Note des Hungarian Helsinki Committee (HHC) von Mai 2014 sind nunmehr aktuelle Angaben zur Rechtsanwendungspraxis in Ungarn bezüglich der neuen Haftgründe zu entnehmen.
68aida, Asylum Information Database, National Country Report Hungary, Stand: 30. April 2014, abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/files/report-download/aida_-_hungary_second_update_final_uploaded_0.pdf; Hungarian Helsinki Committee, Information note on asylum-seekers in detention and in Dublin procedures in hungary, Mai 2014, abrufbar unter http://helsinki.hu/en/information-note-on-asylum-seekers-in-detention-and-in-dublin-procedures-in-hungary.
69Ungeachtet der darin aufgezeigten Defizite der Inhaftierungspraxis im Asylverfahren in Ungarn,
70vgl. hierzu ausführlich VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Juni 2014 – 13 L 141/14.A –,
71finden sich in keiner der vorliegenden, aktuellen und der Inhaftierungspraxis Ungarns sehr kritisch gegenüberstehenden Auskünfte Anhaltspunkte dafür, dass alleinstehende Frauen der Gefahr einer Inhaftierung ausgesetzt sind. Es wird vielmehr ausdrücklich und teilweise wiederholt festgestellt, dass jedenfalls alleinstehende Frauen – wie die Antragstellerin – und Familien mit Kindern – obwohl rechtlich möglich – tatsächlich so gut wie nie in Asylhaft genommen werden.
72Vgl. aida, Asylum Information Database, National Country Report Hungary, Stand: 30. April 2014, S. 48, 51, 56; Hungarian Helsinki Committee, Information note on asylum-seekers in detention and in Dublin procedures in hungary, Mai 2014, S. 5. Die hiervon abweichende Feststellung des VG Oldenburg, Beschluss vom 18. Juni 2014 – 12 B 1238/14 –, juris Rn. 34 findet keine Bestätigung in der Information Note des HHC.
73Darüber hinaus spricht gegen eine drohende Inhaftierung der Antragstellerin, dass unstreitig der Direktor des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 erklärt hat, dass Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern – hierzu zählt unter anderem das Heimatland der Antragstellerin, Eritrea – weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen werden.
74Daher sei vorliegend nur ergänzend angemerkt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – EGMR –, dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt,
75vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 – 2 C 3.12 –, juris Rn. 46 (= BVerwGE 146, 98-116); BVerfG, Beschluss vom 18. August 2013 – 2 BvR 1380/08 –, juris Rn. 28,
76mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt hat, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht besteht.
77EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Rn. 68-70.
78(c) Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Dublin-Rückkehrern der Zugang zum Asylverfahren verwehrt und entgegen des Refoulement-Verbots direkt oder indirekt in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, ohne dass die Gefahr, die dadurch für den betroffenen Asylbewerber entsteht, unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 EMRK geprüft worden ist.
79Nach der im Januar 2014 erfolgten Änderung des ungarischen Asylgesetzes erhalten Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren in Ungarn noch nicht abgeschlossen war, regelmäßig Zugang zum Asylverfahren. Eine Prüfung ihrer Asylgründe ist den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen gewährleistet.
80Vgl. Hungarian Helsinki Committee, Information note on asylum-seekers in detention and in Dublin procedures in hungary, Mai 2014, S. 20, abrufbar unter http://helsinki.hu/en/information-note-on-asylum-seekers-in-detention-and-in-dublin-procedures-in-hungary; UNHCR, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, Situation der Flüchtlinge und Asylbewerber in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer, S. 7 m.w.N. Siehe hierzu auch EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Rn. 72.
81(d) Es spricht ferner nichts dafür, dass Dublin-Rückkehrern im Falle einer Überstellung nach Ungarn eine weitere Abschiebung in Drittstaaten droht, die Personen, die um internationalen Schutz nachsuchen, nicht nach den in Artikel 38 der Richtlinie 2013/32/EU niedergelegten Grundsätzen behandeln (sog. Konzept des sicheren Drittstaats). Insbesondere wird Serbien – über welchen die Antragstellerin nach Ungarn eingereist ist – nach Auskunft des HHC
82Brief Information Note on the Main Asylum-Related Legal Changes in Hungary as of 1 July 2013, abrufbar unter http://helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC-update-hungary-asylum-1-July-2013.pdf
83seit Ende 2012 nicht mehr als sicherer Drittstaat („safe third country“) angesehen.
84Vgl. hierzu auch EGMR, Entscheidung vom 3. Juli 2014 (Case of Mohammadie v. Austria – 71932/12 –), Rn. 73.
85(e) Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte für systemische Mängel wegen drohender Obdachlosigkeit greifbar.
86Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Situation materieller Armut gegen die EMRK verstößt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hervorgehoben, dass die drohende Überstellung in einen Mitgliedstaat, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem überstellenden Mitgliedstaat, nicht ausreicht, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen; sie enthalten keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Ausländern, die von einer Überstellung betroffen sind, gewähren die genannten Regelungen grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, in einem Mitgliedstaat zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Wenn keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse bedeutend geschmälert würden, falls ein Antragsteller überstellt werden würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen.
87EGMR, Beschluss vom 18. Juni 2013 – 53852/11 –, juris (= ZAR 2013, 338-339); vgl. hierzu auch OVG NRW, Urteil vom 07. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris Rn. 118 (= DVBl 2014, 790-796).
88Soweit aber in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden sind, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die Vorgängerrichtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. In den genannten Richtlinien sind Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
89Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413 (416) Rn. 250.
90Nach den Bestimmungen der Aufnahmerichtlinie steht der Antragstellerin ein subjektives Recht auf Unterkunft und angemessene Fürsorge zu, solange über den von ihr gestellten Asylantrag noch nicht endgültig entschieden wurde (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie). Die Mitgliedstaaten haben dafür Sorge zu tragen, dass Antragsteller ab Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen in Anspruch nehmen können, welche einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet (Artikel 17 der Richtlinie). Art. 18 der Aufnahmerichtlinie legt die Modalitäten der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen fest und erlaubt in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der "Grundbedürfnisse") gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
91Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris Rn. 127.
92Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK kann danach vorliegen, wenn der Asylbewerber vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so extremer materieller Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies ist vom EGMR hinsichtlich Griechenlands anerkannt worden, da Griechenland als aufgrund der Untätigkeit seiner Behörden verantwortlich war für die Lebensbedingungen des klagenden Asylbewerbers, in denen er sich monatelang befunden hat, als er auf der Straße lebte, ohne Hilfsmittel und ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen sowie ohne die zur Befriedigung seiner elementaren Bedürfnisse erforderlichen finanziellen Mittel, verbunden mit der langen Ungewissheit, in der er verblieb ohne jede Aussicht auf Verbesserung seiner Lage. Sind diese Tatsachen allgemein bekannt, so kann die Abschiebung eines Asylbewerbers in einen solchen Staat den erforderlichen Schweregrad erreichen, um in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK zu fallen.
93Vgl. zur Situation in Griechenland: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413 [insbes. dort Rn. 253 ff., 263]; vgl. dazu auch: BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 – 10 B 16/12 –, juris Rn. 9; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris Rn. 124 (= DVBl 2014, 790-796).
94Nach diesen Maßstäben ist nicht ersichtlich, dass Ungarn seiner Verpflichtung, Antragstellern für die Zeit bis zur Entscheidung über ihre Asylanträge ein Minimum an materiellen Leistungen für ein menschenwürdiges Dasein zu gewähren, nicht nachkommt. Nach den vorliegenden Erkenntnismaterialien wird Ungarn vielmehr rechtlich und tatsächlich den Anforderungen der Aufnahmerichtlinie gerecht.
95Während eines laufenden Asylverfahrens haben Betroffene, die – wie die Antragstellerin –erstmalig einen Asylantrag stellen, Anspruch eine Unterkunft – in erster Linie in Gemeinschaftsunterkünften –, auf finanzielle Hilfe für Essen bzw. in den Gemeinschaftsunterkünften auf drei Mahlzeiten am Tag sowie auf Taschengeld. Einschränkungen sind nur im Falle eines Asylfolgeantrags und während des Abschiebeverfahrens vorgesehen.
96Vgl. aida, Asylum Information Database, National Country Report Hungary, Stand: 30. April 2014, S. 37 f.; zum nunmehr gesetzlich festgeschriebenen Nährstoffgehalt einer Mahlzeit siehe UNHCR, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, Situation der Flüchtlinge und Asylbewerber in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer, S. 9 und Fn. 31.
97Ausweislich des aida Länderberichts ist bisher kein Fall bekannt, in dem einem Asylantragsteller, etwa wegen Überbesetzung der Auffanglager, kein Obdach gewährt worden ist.
98Vgl. aida, Asylum Information Database, National Country Report Hungary, Stand: 30. April 2014, S. 40.
99Selbst wenn die Antragstellerin – wofür vorliegend nichts greifbar ist – faktisch wie eine Antragstellerin im Folgeverfahren behandelt werden würde, lassen die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse nicht darauf schließen, dass Antragsteller im Rahmen eines Folgeverfahrens in Ungarn Lebensbedingungen ausgesetzt wären, die für sie – den beschriebenen Verhältnissen in Griechenland vergleichbar – auf unabsehbare Zeit eine Lage extremer materieller Armut befürchten ließe. Antragsteller, die in Ungarn einen Folgeantrag stellen, nachdem ihr erster Asylantrag wegen Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit abgelehnt und das Verfahren eingestellt worden ist, eine bestandskräftige Ablehnung des Asylerstantrags getroffen worden oder das Asylerstverfahren eingestellt worden ist und die ungarischen Behörden oder das Gericht entschieden haben, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen,
100vgl. aida, Asylum Information Database, National Country Report Hungary, Stand: 30. April 2014, S. 30,
101erhalten zwar nur in eingeschränktem Umfang Unterstützung durch den ungarischen Staat. In der Regel werden sie lediglich für einen Höchstzeitraum von zwei Monaten in Gemeinschaftsunterkünften in Balassagyarmat untergebracht. Das Gericht verkennt nicht, dass die Versorgungslage von Antragstellern während des Folgeverfahrens in Ungarn Mängel aufweist.
102Vgl. Hungarian Helsinki Committee, Information note on asylum-seekers in detention and in Dublin procedures in hungary, Mai 2014, S. 21; aida, Asylum Information Database, National Country Report Hungary, Stand: 30. April 2014, S. 30.
103Dagegen ist nicht ersichtlich, dass der ungarische Staat Antragsteller im Folgeverfahren generell über einen unabsehbar langen Zeitraum sich selbst überlässt und sie – ohne Aussicht auf Verbesserung ihrer Lage – hoffnungsloser, extremer materieller Armut aussetzt.
104Angesichts dieser Erkenntnislage drängt sich eine Durchbrechung des „Konzepts der normativen Vergewisserung“ bzw. „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ und der darauf beruhenden unionsrechtlich vorgegebenen Zuständigkeitsordnung bezüglich Ungarns derzeit nicht auf. Eine – die erniedrigende und unmenschliche Behandlung „implizierende“ – beachtliche Unterschreitung der von dem Unionsrecht vorgesehenen Mindestanforderungen kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt insgesamt nicht ausgemacht werden.
105Auch aus Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO folgt kein anderes Ergebnis. Nach dieser Norm kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin III-VO festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Diese Norm räumt dem insoweit zuständigen Bundesamt ein grundsätzlich sehr weites Ermessen ein.
106Vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, November 2013, § 27 a, Rn. 174. Zur Vorgängerregelung in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10, C‑411/10, C-493/10 –, juris (= Slg 2011, I-13905-14033).
107Die Dublin III-VO sagt nichts darüber aus, nach welchen Kriterien die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben hat. Mit Blick auf das Konzept eines von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) können nur im Einzelfall besondere und inhaltlich umrissene Rechtspositionen des Asylsuchenden die Ermessensausübung durch das Bundesamt beeinflussen. Dies ist etwa der Fall für besonders schutzbedürftige Personengruppen im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie), denen aufgrund von systemischen Mängeln in ihrer speziellen Situation eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh drohen würde. Als besonders schutzbedürftig gelten unter anderem Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben.
108Ein derartiger sog. Selbsteintritt, mit dem ein Zuständigkeitswechsel hin zur Beklagten einherginge (vgl. Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 Dublin III-VO), ist nicht erfolgt. Auch hat sich das der Antragsgegnerin diesbezüglich zustehende Ermessen nicht zu einer Selbsteintrittspflicht verdichtet. Beachtliche, in der Person der Antragstellerin liegende Gründe, von der Überstellung nach Ungarn abzusehen, insbesondere dass die Antragstellerin besonders schutzbedürftig im Sinne des Art. 21 der Aufnahmerichtlinie ist, wurden weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
109Der Überstellung der Antragstellerin nach Ungarn als den nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat stehen schließlich auch keine tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse i.S.d. § 34a Abs. 1 Satz 1 a.E. AsylVfG („Nichtdurchführbarkeit“ der Abschiebung) entgegen.
110Soweit im Rahmen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (nur) vom Bundesamt inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe zu prüfen sind,
111vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2011 – 18 B 1060/11 –, juris Rn. 4,
112sind für solche vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich. Entsprechendes wurde auch nicht vorgetragen.
113Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
114Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
115Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 6. März 2012 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
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Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.
- 2
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1. Die Beschwerde wirft die Grundsatzfrage auf,
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"ob eine Abschiebung in eine schlechte Gesamtsituation, die unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein dürfte, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellt und damit ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 2 AufenthG auslöst."
- 3
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Dazu trägt sie vor, der Verwaltungsgerichtshof habe diese Frage in der angefochtenen Entscheidung verneint. Denn er sei davon ausgegangen, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen sei. Eine solche Situation habe das Berufungsgericht nicht festgestellt und dazu auf seine Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG verwiesen. Gleichzeitig sei es jedoch im Rahmen der Prüfung dieser Vorschriften der Auffassung, dass aufgrund der schlechten Gesamtsituation in Kabul eine Rückkehr für gesunde, alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein dürfte. Dies begegne grundsätzlichen Bedenken, denn es werde nicht deutlich, welche Konsequenz die zuletzt genannte Auffassung im Hinblick auf Art. 3 EMRK habe. Einen Menschen sehenden Auges einer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbare Hungersituation auszusetzen, könne nur als unmenschlich und erniedrigend betrachtet werden. Zudem sei es wegen der Selbständigkeit der Abschiebungsverbote nicht zulässig, das Fehlen einer extremen Ausnahmesituation i.S.v. Art. 3 EMRK mit der Verneinung einer Extremsituation gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu begründen. Schließlich bedürfe die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland hinsichtlich Art. 3 EMRK nichts anderes ergebe, revisionsgerichtlicher Überprüfung. Dieses und das weitere Vorbringen der Beschwerde rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
- 4
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1.1 Die Beschwerde knüpft die aufgeworfene Grundsatzfrage an folgende Ausführungen des Berufungsgerichts, die sich an dessen Würdigung anschließen, dass in Kabul keine Lage vorliegt, die eine Extremgefahr begründet (UA S. 25):
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"Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG."
- 5
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Diese Wertung trägt das Ergebnis des Berufungsurteils weder hinsichtlich der Ablehnung des unionsrechtlichen noch des nationalen Abschiebungsschutzes. Mit ihr bringt das Berufungsgericht vielmehr seine Haltung zum Ausdruck, dass die "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen Gefahrenlage zu hoch seien und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag. Diese nicht entscheidungserhebliche und zudem eher außerrechtlich-moralische Bewertung des Handelns der Exekutive führt nicht auf grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
- 6
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1.2 Wollte man dem Vorbringen zu § 60 Abs. 2 AufenthG die - von der Beschwerde allerdings nicht explizit formulierte - Frage entnehmen, ob sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06) nach den darin "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt, würde auch diese Frage aus mehreren Gründen nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen.
- 7
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1.2.1 Zum einen lässt sich der die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG prägenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entnehmen, dass mit dem Urteil der Großen Kammer im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S. - NVwZ 2011, 413) keine grundlegende, der revisionsgerichtlichen Klärung bedürftige Änderung der Maßstäbe bei der Ableitung von Abschiebungsverboten aus Art. 3 EMRK verbunden ist.
- 8
-
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a. - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 14038/88, Soering - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N. - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D. – NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N. - NVwZ 2008, 1334 Rn. 44).
- 9
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Diese gefestigte Rechtsprechung ist durch das Urteil der Großen Kammer im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 a.a.O.) nicht grundsätzlich revidiert worden. Das Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Beschwerde - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 a.a.O. Rn. 252, 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der Gerichtshof betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 a.a.O. Rn. 249 m.w.N.). Vielmehr betrifft die Entscheidung den Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen vollständig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 a.a.O. Rn. 253). Als eine hier in Betracht zu ziehende Personengruppe führt das Urteil die Gruppe der Asylsuchenden an, die es als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 a.a.O. Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung dieser Rechtsprechung auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich im Übrigen auch aus nachfolgenden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Urteile vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07, Sufi u. Elmi - NVwZ 2012, 681 Rn. 282 f. und vom 15. Mai 2012 - Nr. 16567/10, Nacic u.a. - Rn. 49 u. 54).
- 10
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1.2.2 Zum anderen war diese Frage für das Berufungsgericht nicht entscheidungserheblich. Denn es hat sich der tatsächlichen Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten "ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten" (UA S. 24 f.). Damit ergäbe sich selbst bei Zugrundelegung der in der Entscheidung M.S.S. für einen anderen Anwendungsfall entwickelten Maßstäbe kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
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2. Auch die weitere aufgeworfene Grundsatzfrage,
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"ob bei der Prüfung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht nur die medizinische Versorgungslage, sondern auch weitere Umstände, wie z.B. die allgemeine Versorgungssituation zu berücksichtigen ist",
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vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Entgegen der von ihr vertretenen Auffassung ist die erforderliche Gesamtwürdigung u.a. der medizinischen Versorgungslage keine Voraussetzung für das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. dazu Urteil vom 24. Juni 2008 – BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 19 ff.). Sie ist vielmehr Teil der Prüfung, ob dem Betroffenen - wenn ein Konflikt dieser Qualität und dieses Ausmaßes besteht - mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit ein nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG relevanter Schaden droht. Demzufolge erweist sich die Frage, welche weiteren Umstände bei der Gesamtwürdigung der Gefahrbeurteilung zu berücksichtigen sind, nach den tatsächlichen Feststellungen und der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts zur Lage in Kabul schon nicht als entscheidungserheblich.
- 12
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3. Schließlich legt die Beschwerde nicht dar, dass die von ihr aufgeworfene Frage,
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"ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen", klärungsbedürftig ist. Dazu wäre es erforderlich gewesen darzutun, aus welchen Gründen die Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 2004/83/EG im Aufenthaltsgesetz nicht nur für den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG), sondern auch für das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG als Bestandteil des nationalen Abschiebungsschutzes von Belang sein könnte. Dazu verhält sich die Beschwerde jedoch nicht. Im Übrigen legt die Beschwerde nicht dar, inwieweit § 60 Abs. 5 AufenthG hier einen weitergehenden Schutz gewähren sollte als § 60 Abs. 2 AufenthG.
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4. Der von der Beschwerde geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt. Eine Divergenz i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widerspricht, den eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Es genügt nicht, wenn das Berufungsgericht einen Rechtssatz im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 und vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).
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4.1 Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat der Senat in seinem Urteil vom 17. November 2011 - BVerwG 10 C 13.10 - (a.a.O.) keinen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt,
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"dass bei der Prüfung, ob ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, eine wertende Gesamtschau vorzunehmen ist, zu
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der jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage gehört (Leitsatz 2)."
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Wie bereits unter 2. ausgeführt, bezieht sich die von der Beschwerde angesprochene wertende Gesamtbetrachtung allein auf die Gefahrendichte, also die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, und nicht das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Daher greift auch die insoweit erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht durch.
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4.2 Die behauptete Divergenz des Berufungsgerichts zu dem Urteil des Senats vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - (BVerwGE 136, 360) ist nicht hinreichend dargelegt. Der Senat hat in der bezeichneten Entscheidung zwar in der Tat - wie von der Beschwerde geltend gemacht - entschieden, dass das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG nicht zwingend voraussetzt, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist. Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise in Mitleidenschaft gezogen wird (a.a.O. Rn. 23). Von diesem Rechtssatz ist das Berufungsgericht aber weder offen noch verdeckt abgewichen, wenn es bezogen auf Kabul als Heimatregion des Klägers das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts aufgrund seiner tatrichterlichen Würdigung verneint hat, dass die dortige Sicherheitslage - abgesehen von einigen spektakulären, auf prominente Ziele gerichteten Anschlägen - relativ einheitlich als stabil bewertet worden sei (UA S. 15 f.). Damit kommt es auf die Organisation der Konfliktparteien nicht an. Denn entgegen der Auffassung der Beschwerde bilden die Kriterien, die der Senat zur Qualität einer potentiellen Konfliktpartei entwickelt hat, keine hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Die Beschwerde versucht im Gewande der Divergenzrüge, die tatsächliche Würdigung des Berufungsgerichts durch eine eigene Einschätzung der Lage infrage zu stellen; damit kann sie jedoch die Zulassung der Revision nicht erreichen.
- 17
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5. Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsurteil sei nicht hinreichend mit Gründen versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO), da es einerseits eine Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für den Fall einer Abschiebung nach Kabul verneine, andererseits eine solche Abschiebung selbst für gesunde, alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten für kaum zumutbar halte. Insoweit liege auch ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) vor. Diese Verfahrensrügen greifen nicht durch.
- 18
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Nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt ein absoluter Revisionsgrund - und damit zugleich ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO - vor, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Nicht mit Gründen versehen im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung nur, wenn die Entscheidungsgründe ihre doppelte Funktion nicht mehr zu erfüllen vermögen. Das ist nach der Rechtsprechung allerdings nicht nur dann der Fall, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind (vgl. Beschluss vom 3. April 1990 - BVerwG 9 CB 5.90 - Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 31). Der "grobe Formmangel" (vgl. Beschluss vom 13. Juni 1988 - BVerwG 4 C 4.88 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 80) liegt mit anderen Worten immer dann vor, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen.
- 19
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Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt der gerügte Verfahrensmangel nicht vor. Der durch § 138 Nr. 6 VwGO sanktionierte grobe Formmangel greift erst bei unverständlichen und verworrenen Entscheidungsgründen, nicht aber bereits bei inhaltlich grob falschen Ausführungen, die hier im Übrigen nicht zu erkennen sind. Die Beschwerde verkennt den Inhalt der von ihr in Bezug genommenen Passagen der Entscheidungsgründe. Bei den Zumutbarkeitserwägungen des Verwaltungsgerichtshofs handelt es sich allein um eine rechtlich nicht verankerte, eher moralische Bewertung einer möglichen Abschiebung (siehe oben 1.1). Auch der gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz ist nicht zu erkennen. Vielmehr rügt die Beschwerde im Gewande dieser Verfahrensrüge die inhaltliche Würdigung des Berufungsgerichts; damit vermag sie die Zulassung der Revision indes nicht zu erreichen.
- 21
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7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 17.3.2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
T a t b e s t a n d :
2Der am 00.00.0000 in Singar, Kreis Mosul geborene Kläger ist irakischer Staatsangehhöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 12.01.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 23.02.2015 einen Asylantrag. Bei seiner Erstbefragung am 23.02.2015 gab er an, er habe den Irak am 31.12.2014 verlassen. Er sei über Syrien, die Türkei und unbekannte Länder nach Deutschland gereist. Er sei in die Bundesrepublik Deutschland gekommen, weil hier die Menschenrechte gewahrt würden. Er sei körperlich behindert und erhoffe sich in Deutschland bessere Möglichkeiten.
3Die anschließend durchgeführte EURODAC-Anfrage ergab Treffer für Ungarn und Österreich. Daraufhin teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) dem Kläger mit Schreiben vom 27.02.2015 mit, dass ein Dublin-Verfahren mit dem Ziel der Rückführung nach Ungarn eingeleitet werde. Unter demselben Datum richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 b der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Dublin III-VO) unter Hinweis auf den dort am 10.01.2015 gestellten Asylantrag des Klägers an Ungarn. Am 12.03.2015 stimmte Ungarn der Rückführung des Klägers zu.
4Mit Bescheid vom 17.03.2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Ungarn aufgrund des bereits dort gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
5In den Verwaltungsvorgängen des Bundesamtes ist kein Zustellungsnachweis enthalten.
6Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 02.04.2015 die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung sein Prozessbevollmächtigter vorgetragen hat: Der Kläger habe bei einem Bombenattentat im Irak ein Bein und ein Auge verloren. Seitdem leide er unter einem Traumata, das ihn nachts nicht schlafen lasse. In Ungarn sei er medizinisch nicht ausreichend behandelt worden. Außerdem habe man ihn mehrere Tage lang in ein Gefängnis gesperrt. Bei einer Rückführung nach Ungarn müsse der Kläger mit erneuter Inhaftierung rechnen. Das ungarische Asylverfahren leide an systemischen Mängeln. Die Durchführung eines fairen Verfahrens sei dort nicht gewährleistet.
7Der Kläger beantragt,
8den Bescheid der Beklagten vom 17.03.2015 aufzuheben.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.
12Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten über die Klage ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
16Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig und auch begründet.
17Der Bescheid der Beklagten vom 17.03.2015 ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylVfG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht nach § 27 a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung des Klägers nach Ungarn angeordnet.
18Gemäß § 27 a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).
19Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin III-VO).
20Danach bestand zwar gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO eine Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des (erneuten) Asylantrags des Klägers, weil dieser zuvor dort einen Asylantrag gestellt hatte und die ungarischen Behörden einer Wiederaufnahme des Klägers zugestimmt hatten. Gleichwohl ist nunmehr die Beklagte aufgrund der Auffangzuständigkeit des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO für die Entscheidung über das Asylbegehren des Klägers zuständig, weil einer Überstellung nach Ungarn systemische Mängel des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen und eine weitere Prüfung nach einem zuständigen Mitgliedstaat nach Ablauf der Fristen für die Stellung von Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen keinen Erfolg verspricht.
21Die Dublin III-VO beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtecharta (im Folgenden: GrCh) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine unwiderlegbare Vermutung. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar ist. Zwar genügt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat und nicht jeder geringste Verstoß gegen die Richtlinien, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Ist jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GrCh implizieren, so ist die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. In solchen Situationen obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh ausgesetzt zu werden.
22Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs C-411/10 und C-493/10, N.S. und M.E. –, juris; EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09 – M.S.S. / Belgien und Griechenland – und Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel / Italien –.
23Der Begriff des systemischen Mangels ist weit zu verstehen. Mit „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen“ ist der Gesamtkomplex des Asylsystems im Zielstaat gemeint. Dieses umfasst den Zugang zum Asylverfahren, das Asylverfahren selbst, die Behandlung während des Asylverfahrens, die Handhabung der Anerkennungsvoraussetzungen, das Rechtsschutzsystem und auch die in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Qualifikationsrichtlinie geregelte Behandlung nach der Anerkennung.
24Vgl. Lübbe. „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 2014, 105 ff; Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182 ff.
25Systemische Mängel im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH sind dabei nicht auf flächendeckende gravierende Systemausfälle (wie etwa für Griechenland festgestellt) beschränkt, sondern erfassen generell solche, die im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaats angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen und deshalb den Einzelnen vorhersehbar und regelhaft treffen. Auch tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem – aus welchen Gründen auch immer – faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird, können einen systemischen Mangel darstellen. Nicht systemisch ist demgegenüber ein Mangel dann, wenn es lediglich in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh bzw. Art. 3 EMRK kommt.
26Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 – 10 B 6.14 – und vom 06.06.2014 – 10 B 35.14 –; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 –, alle: juris.
27Nicht erforderlich ist, dass sich der systemische Mangel bzw. die strukturelle – systemische – Schwachstelle auf eine unüberschaubare Vielzahl, die Mehrheit aller Asylbewerber oder gar auf alle Asylbewerber auswirkt. Ein systemischer Mangel kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn nur eine geringe Anzahl von Asylbewerbern betroffen ist, soweit dies vorhersehbar und regelhaft geschieht.
28Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 18.03.2015 – A 11 S 2042/14 – und vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 –, juris; Lübbe, a. a. O..
29Im Falle des Vorliegens systemischer Mängel ist es ferner erforderlich, dass der einzelne Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, hiervon im Falle einer Überstellung in den Zielstaat selbst betroffen zu sein. Bei flächendeckenden systemischen Mängeln bedarf dies keiner besonderen Darlegung. Bei systemischen Mängeln, die sich nur auf Teilgruppen oder vereinzelt auswirken, müssen weitere besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen bzw. geltend gemacht werden, die eine Betroffenheit des Einzelnen beachtlich wahrscheinlich machen.
30Vgl. Lübbe, a. a. O.
31Bei der Beurteilung der Situation in einem Mitgliedstaat und der für einen Asylbewerber dort bestehenden tatsächlichen Risiken im Falle einer Überstellung sind Stellungnahmen des UNHCR ebenso heranzuziehen wie regelmäßige und übereinstimmende Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen sowie sonstige Berichte der europäischen Institutionen, insbesondere der Kommission.
32Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a. a. O., sowie vom 30.05.2013 – C-528/11 –, juris.
33Für die Rechtsfrage einer Verletzung des Art. 3 EMRK hat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine Orientierungs- und Leitfunktion.
34Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und nach Auswertung der aktuellen Auskunfts- und Erkenntnislage zu Ungarn steht es zur Überzeugung der Kammer fest, dass dem Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn bereits aufgrund der dort bestehenden Inhaftierungspraxis die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der EMRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
35Asylsuchende unterliegen in Ungarn einem erheblichen Risiko, für einen längeren Zeitraum in Haft genommen zu werden. Dies gilt in besonderem Maße für den Personenkreis der nach der Dublin III-VO rücküberstellten Asylsuchenden, d. h. Personen, die bereits ein Asylverfahren in Ungarn durchgeführt hatten, das entweder noch nicht abgeschlossen oder mit negativem Ausgang beendet ist. Denn diese werden nach den Erkenntnissen des UNHCR
36vgl. Auskunft vom 30.09.2014 an das VG Bremen
37mit Ausnahme von Familien oder besonders vulnerablen Personen bei Rückkehr nach Ungarn stets in Haft genommen.
38Diese Inhaftierungspraxis begegnet bereits deshalb Bedenken, weil nach den UNHCR-Richtlinien zur Inhaftierung von Flüchtlingen und Asylsuchenden Asylsuchende grundsätzlich nicht in Haft genommen werden sollten und Haft immer nur das letzte Mittel darstellen darf. Da Asylsuchende meist bereits traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, kann sie nämlich eine Inhaftierung mit besonderer Härte treffen.
39Vgl. UNHCR vom 30.09.2014 an das VG Bremen unter Hinweis auf UNHCR, Detention Guidelines, 2012.
40Diesen Anforderungen wird die in dem seit dem 01.07.2013 geltenden ungarischen Asylgesetz geregelte Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern bis zu sechs Monaten schon deshalb nicht gerecht, weil die dort genannten Gründe für eine Asylhaft sehr weit und teilweise vage formuliert sind und auch die Anordnung der Haft durch die Verwaltungsbehörde nach der Auskunft des UNHCR nicht mit Gründen versehen wird. Die ungarischen Behörden scheinen dabei bei Dublin-Rückkehrern generell eine Fluchtgefahr anzunehmen,
41vgl. UNHCR vom 09.05.2014 an das VG Düsseldorf.
42Ein solches Vorgehen, bei dem Dublin-Rückkehrer regelmäßig inhaftiert werden, wird den europarechtlichen Vorgaben nicht im Ansatz gerecht. Zwar sieht die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Aufenthaltsrichtlinie) in Art. 8 Abs. 2 die Möglichkeit der Inhaftierung von Asylbewerbern unter anderem bei Fluchtgefahr vor. Die Normen des europäischen Flüchtlingsrechts stehen aber einer generellen Inhaftierung von Gruppen von Asylbewerbern eindeutig entgegen, vgl. etwa § 8 Abs. 1, 2 und 4 der Aufenthaltsrichtlinie und Art. 28 Dublin III-VO. Das von diesen Normen statuierte Erfordernis einer Einzelfallprüfung und der strikten Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird in Ungarn nach allen der Kammer zur Verfügung stehenden Erkenntnissen systematisch missachtet. Die flächendeckende Inhaftierung verstößt dabei nicht nur gegen das Verbot der unrechtmäßigen Inhaftierung des Art. 5 EMRK, sondern begründet angesichts der regelmäßig langen Dauer der Inhaftierung und der Umstände in der Haft die Gefahr einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK in Verbindung mit Art. 4 GrCh.
43Denn es gibt gegen die Verhängung von Asylhaft keinen effektiven Rechtsschutz des Betroffenen. Alternativen zur Haft, wie etwa das Hinterlegen einer Kaution, werden kaum in Erwägung gezogen. In der Praxis führt dies dazu, dass die Gründe für eine Inhaftierung mangels individualisierter Begründung häufig nicht nachvollziehbar sind und willkürlich erscheinen.
44Vgl. UNHCR vom 09.05.2014 an das VG Düsseldorf; Report des Kommissars für Menschenrechte des Europäischen Rates, Nils Muiznieks, vom 16.12.2014 über einen Besuch Ungarn im Juli 2014 (Muiznieks-Report), Rdnr. 155 f.
45Darüber hinaus ist die gerichtliche Überprüfung und Kontrolle von Haftgründen und Haftverlängerungen nach den vorliegenden Erkenntnissen völlig unzureichend. So verlängern die ungarischen Gerichte die Haftanordnungen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung meist um die maximal mögliche Spanne von 60 Tagen. Dabei werden die Häftlinge dem Gericht in Gruppen vorgeführt, so dass für die Bearbeitung eines Einzelfalls meist weniger als drei Minuten zur Verfügung stehen.
46Vgl. UNHCR vom 09.05.2014 an das VG Düsseldorf
47Dass bei dieser Verfahrensweise eine individuelle Prüfung von Haftgründen nicht möglich (und nach der herrschenden ungarischen Rechtsauffassung wohl auch gar nicht erforderlich) ist, liegt auf der Hand. Folge dieser Verfahrensweise ist es, dass die maximale Haftdauer in vielen Fällen voll ausgeschöpft wird.
48So PRO ASYL vom 31.10.2014 an das VG Düsseldorf.
49Hinzu kommt, dass Asylsuchende nach den gesetzlichen Bestimmungen in Ungarn zwar Anspruch auf eine kostenlose Rechtsberatung haben, in der Praxis jedoch eine qualifizierte Beratung durch das staatliche Rechtshilfesystem aber nicht zur Verfügung steht. So ist in den Haftanstalten der Zugang zu einer Rechtsberatung praktisch nur über Vertragsanwälte des Hungarian Helsinki Committee (HHC) möglich, die die Einrichtungen einmal pro Woche besuchen, was zur Folge hat, dass nur eine Minderheit der inhaftierten Asylsuchenden Rechtsberatung erhält oder anwaltlich vertreten wird.
50Vgl. UNHCR vom 30.09.2014 und PRO ASYL vom 31.10.2014, beide an das VG Düsseldorf.
51Diese Bedingungen führen dazu, dass ein Asylhäftling weitgehend rechtsschutzlos gestellt ist und zu einem reinen Objekt des Verfahrens der Haftanordnung sowie deren Überprüfung und Verlängerung herabgewürdigt wird.
52Schließlich entsprechen auch die Haftbedingungen nach den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht den Mindeststandards an eine menschenwürdige Unterbringung und Behandlung. So wird dort vielfach schlecht geschultes Wach- und Betreuungspersonal eingesetzt. Auch ist eine angemessene medizinische Betreuung nicht gewährleistet. Eine Betreuung durch Psychologen findet nicht statt. Zudem erfüllen einige Hafteinrichtungen nicht die hygienischen Mindeststandards. Hinzu kommen Berichte über Misshandlungen und Schikanen sowie Beschwerden über brutale Übergriffe.
53Vgl. UNHCR vom 09.05.2014 an das VG Düsseldorf und vom 30.09.2014 an das VG Bremen; PRO ASYL vom 31.10.2014 an das VG Düsseldorf.
54Die systematisch angewendete Praxis, Asylhäftlinge angeleint und in Handschellen bei auswärtigen Terminen (etwa bei Behörden- oder Arztbesuchen) vorzuführen, stellt bereits für sich genommen eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar. Die erkennende Kammer schließt sich hierbei in vollem Umfang der Bewertung des UNHCR
55vgl. Auskünfte vom 09.05. und 30.09.2014 an das VG Düsseldorf
56an. An dieser Einschätzung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass eine derartige Behandlung bei Straftätern in Ungarn allgemein üblich ist. Denn abgesehen davon, dass es bereits fraglich erscheint, ob ein „Ausführen“ von Strafgefangenen an einer Leine – zusätzlich zu einer Sicherung durch Handschellen – noch mit den Regelungen der EMRK vereinbar ist, sind Asylsuchende keine Straftäter, so dass sich eine Gleichbehandlung bereits aus diesem Grund verbietet. Hierauf weist auch der UNHCR in seinen Detention Guidelines (a.a.O.) ausdrücklich hin. Danach sollen Asylsuchende in der Asylhaft mit Würde und entsprechend internationaler Standards behandelt werden. Insbesondere soll die Asylhaft keinen bestrafenden Charakter haben.
57Insgesamt lassen die vorstehend dargestellte Inhaftierungspraxis sowie die dabei herrschenden Haftbedingungen nach Überzeugung der Kammer nur den Schluss zu, dass das Asylverfahren bzw. die Aufnahmebedingungen in Ungarn jedenfalls im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung regelhaft derart defizitär sind, dass dem Kläger dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
58So unter Berücksichtigung der neueren Entwicklung im Ergebnis auch: VG Münster, Beschluss vom 07.07.2015 – 2 L 858/15.A –, VG Bremen, Beschluss vom 01.04.2015 – 3 V 145/15 –, VG München, Beschluss vom 20.02.2015 – M 24 S 15.50091 – und VG Berlin, Beschluss vom 15.01.2015 – 23 L 899.14 A – jeweils m. w. N., alle juris; a. A. u.a. VG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.2015 – 13 K 501/14.A – (nicht rechtskräftig), VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.06.2015 – 7a L 1208/15.A –, BayVGH, Beschluss vom 12.06.2015 – 13a ZB 15.50097 – alle juris.
59Dieser Einschätzung steht nicht der Umstand entgegen, dass der UNHCR trotz seiner Kritik an der Inhaftierungspraxis Ungarns kein Positionspapier herausgegeben hat, in dem die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgefordert werden, von Überstellungen Asylsuchender nach Ungarn gemäß der Dublin-Verordnung abzusehen. Denn der UNHCR hat in seiner Stellungnahme vom 30.09.2014 an das VG Bremen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er derartige Empfehlungen bislang lediglich in Ausnahmekonstellationen ausgesprochen habe und aus der Tatsache des Fehlens einer Äußerung in einem UNHCR-Papier, ob bestimmte Mängel einer Überstellung in den betreffenden Staat entgegenstünden, nicht geschlossen werden könne, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehenden Umstände vorlägen oder im Einzelfall vorliegen könnten. Dies sei deshalb der Fall, weil sich die betreffenden Papiere zumeist in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die betreffende Regierung richteten. Nach Auffassung des UNHCR ist es die Aufgabe der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat ausschließen.
60So UNHCR vom 30.09.2014 an das VG Bremen.
61Ebenso wenig gebietet der Umstand, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Urteil vom 03.07.2014 (Mohammadi / Österreich, Nr. 71932/12) entschieden hat, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung ein Asylsuchender nicht mehr einer tatsächlichen und persönlichen Gefahr unterliege, bei einer Überstellung nach Ungarn im Rahmen der Dublin-Verordnung einer Behandlung ausgesetzt zu sein, die Art. 3 EMRK verletzen würde. Denn diese Einschätzung beruhte im Wesentlichen auf der Erwartung, dass die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Gesetzesänderungen in Ungarn zu einer positiven Entwicklung des ungarischen Asylsystems führen würden. Diese Erwartungen haben sich indessen – wie die oben dargelegten aktuellen Erkenntnisse zur Inhaftierungspraxis in Ungarn sowie den dort herrschenden Haftbedingungen für Asylbewerber zeigen – nicht erfüllt.
62Unabhängig von der menschenrechtswidrigen Inhaftierungspraxis Ungarns bestehen systemische Mängel in dem oben beschriebenen Sinn zur Überzeugung der Kammer aber auch aufgrund der Entwicklungen der jüngsten Zeit.
63Denn in der ersten Jahreshälfte 2015 sind nach Angaben der Regierung bis zu 72.000 Flüchtlinge nach Ungarn eingereist. Bis zum 14.07.2015 sollen es bis zu 78.000 Flüchtlinge gewesen sein,
64vgl. Pressemitteilung des ungarischen Minstry of Foreign Affairs and Trade vom 14.07.2015 „Steady migratory pressure necessitates border fence”
65Andere Quellen sprechen von 61.000 Flüchtlingen.
66So die Pressemitteilung des UNHCR vom 02.07.2015, „UNHCR urges Hungary not to amend its asylum system in a rush, ignoring international standards“.
67Die Aufnahmekapazitäten liegen bei maximal 2.500 Plätzen für Flüchtlinge. Bei einem Verhältnis von bis zu 29 Flüchtlingen im Halbjahr für einen Aufnahmeplatz ist für die Kammer schon im Ansatz nicht mehr erkennbar, wie hier eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge gewährleistet sein soll,
68vgl. zu einer ähnlichen Überlegung zu Italien bei einem zahlenmäßig noch deutlich günstigeren Verhältnis von ca. 35.000 Aufnahmeplätzen und 7.900 Flüchtlingen in den ersten zwei Monaten 2015 VG Düsseldorf, Urteil vom 20.05.2015 – 8 K 1694/15.A – juris Rz. 40 ff.
69Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass zahlreiche Flüchtlinge, soweit sie nicht inhaftiert werden, untertauchen und in weitere EU-Länder weiterreisen. Denn angesichts der enorm hohen Zahl, die sich binnen weniger Jahre vervielfacht hat, sind die Aufnahmekapazitäten völlig unzureichend. Es ist ausgeschlossen, dass Unterkunft und Verpflegung in einem Mindestansprüchen genügenden Sinne vorgehalten werden, um die häufig traumatisierten Flüchtlinge ausreichend zu versorgen. Viele Flüchtlinge werden dementsprechend auf der Straße leben, wo sie einer feindseligen Umgebung und einer zunehmenden Anzahl an rassistischen Übergriffen ausgesetzt sind.
70Es bedarf vor diesem Hintergrund keiner abschließenden Entscheidung, ob durch die jüngst verabschiedeten Gesetzesänderungen weitere systemische Mängel im ungarischen Asylsystem vorliegen,
71vgl. UNHCR, UNHCR urges Hungary not to amend asylum system in haste.
72Insbesondere die Gesetzesänderung, nach der ein Asylverfahren eingestellt werden kann, wenn Flüchtlinge für die Dauer von 48 Stunden nicht in der Aufnahmeeinrichtung, der sie zugewiesen worden sind, angetroffen werden, dürfte schon im Ansatz nicht mehr mit rechtstaatlichen Grundsätzen vereinbar sein. Dies gilt umso mehr, als die oben geschilderten chaotischen Zustände in den ungarischen Flüchtlingseinrichtungen eine solche Feststellung der Abwesenheit praktisch immer möglich machen werden.
73Ebenso wenig bedarf es einer Entscheidung, ob die Rücküberführung nach Ungarn derzeit faktisch überhaupt möglich ist. Nachdem die ungarische Regierung am 22.06.2015 angekündigt hatte, keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen, hat sie dies zwar schon am Folgetag revidiert. Weiterhin existieren jedoch Berichte, nach denen maximal zwölf Flüchtlinge täglich durch die ungarischen Behörden im Rahmen von Dublin-Rücküberstellungen aufgenommen werden. Bei mehreren Tausend Flüchtlingen, die allein Deutschland nach Ungarn zurücküberstellen möchte, ist sehr zweifelhaft, ob es im streitgegenständlichen Einzelfall überhaupt zu einer Rücküberstellung kommen wird.
74Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. April 2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d:
2Der in Ningraha/Afghanistan geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 12. Februar 2015 in das Bundesgebiet und stellte hier am 10. März 2015 den Asylantrag.
3Durch Bescheid vom 28. April 2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete dessen Abschiebung nach Ungarn an (Ziff. 2). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, nach Abgleich der Daten des Klägers in der EURODAC-Datenbank seien Anhaltspunkte für die Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des Asylbegehrens nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) gegeben. Auf ein entsprechendes Ersuchen des Bundesamtes vom 15. April 2015 hätten die ungarischen Behörden sich durch Schreiben vom 21. April 2015 (Eingangsdatum: 27. April 2015) bereit erklärt, den Kläger nach Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO wieder aufzunehmen. Unter dem 3. Juni 2015 veranlasste das Bundesamt die Zustellung des Bescheides an die aktuelle Anschrift des Klägers.
4Der Kläger hat am 15. Juni 2015 Klage erhoben.
5Er macht geltend, seine Überstellung nach Ungarn sei rechtswidrig. Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Staat wiesen nämlich systemische Schwachstellen auf, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Zuständig für die Prüfung des Antrags sei deshalb die Beklagte. Im Übrigen sei er minderjährig und unbegleitet in das Bundesgebiet eingereist, weshalb auf ihn Art. 8 Dublin III-VO anzuwenden sei, wonach die Beklagte für die Prüfung seines Begehrens ebenfalls zuständig sei.
6Der Kläger beantragt,
7den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. April 2015 aufzuheben.
8,
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Zur Begründung verweist sie auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung.
12Das Gericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung durch Beschluss vom 23. Juni 2015 (Az: 2 L 1511/15.A) angeordnet.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahren Az: 2 L 1511/15.A sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
15Die zulässige Anfechtungsklage,
16zu deren Statthaftigkeit auch, soweit es die Aufhebung von Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides geht, vgl. jetzt BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 C 32.14 -, juris Rz. 13 ff.,
17ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 28. April 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Unrecht den Asylantrag des Klägers nach § 27 a AsylVfG (jetzt AsylG) als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (jetzt AsylG) die Abschiebung des Klägers nach Ungarn angeordnet.
181. Die Ablehnung des Antrags des Klägers als unzulässig unter Ziffer 1. des angefochtenen Bescheides ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AsylG) rechtswidrig, weil sie nicht im Einklang mit § 27 a AsylG steht. Nach dieser Bestimmung ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Zwar bestand hier formal nach Art. 18 Abs. 1 b der Dublin III-VO, die im vorliegenden Fall Anwendung findet (vgl. Art. 49 Dublin III-VO), eine Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des (erneuten) Asylantrags des Klägers, weil dieser zuvor dort einen Asylantrag gestellt hatte und die ungarischen Behörden einer Wiederaufnahme des Klägers zugestimmt hatten. Gleichwohl ist heute die Beklagte für die Prüfung des Begehrens des Klägers zuständig. Insoweit bedarf es keiner Entscheidung des Gerichts, ob sich die Zuständigkeit der Beklagten aus Art. 8 Dublin III-VO ergibt, wie der Kläger geltend macht. Im heute maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist die Beklagte jedenfalls auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig. Denn seine Überstellung nach Ungarn erweist sich als unmöglich, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat der Europäischen Union systemische Schwachstellen aufweist, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen und die weitere Prüfung nach einem zuständigen Mitgliedstaat nach Ablauf der Fristen für die Stellung von Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen (vgl. Art. 21 und 23 Dublin III-VO) keinen Erfolg verspricht.
19a) Die im vorliegenden Fall Anwendung findende Dublin III-VO beruht auf der Erwartung, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine unwiderlegbare Vermutung. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar ist. Zwar genügt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat und nicht jeder geringste Verstoß gegen die Richtlinien, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Ist jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 Grundrechtecharta implizieren, so ist die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. In solchen Situationen obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtecharta ausgesetzt zu werden.
20Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs C-411/10 und C-493/10, N.S. und M.E. –, juris; EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09 – M.S.S. / Belgien und Griechenland – und Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel / Italien –.
21Der Begriff des systemischen Mangels ist weit zu verstehen. Mit „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen“ ist der Gesamtkomplex des Asylsystems im Zielstaat gemeint. Dieses umfasst den Zugang zum Asylverfahren, das Asylverfahren selbst, die Behandlung während des Asylverfahrens, die Handhabung der Anerkennungsvoraussetzungen, das Rechtsschutzsystem und auch die in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Qualifikationsrichtlinie geregelte Behandlung nach der Anerkennung.
22Vgl. Lübbe. „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 2014, 105 ff; Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182 ff.
23Systemische Mängel im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH sind dabei nicht auf flächendeckende gravierende Systemausfälle (wie etwa für Griechenland festgestellt) beschränkt, sondern erfassen generell solche, die im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaats angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen und deshalb den Einzelnen vorhersehbar und regelhaft treffen. Auch tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem – aus welchen Gründen auch immer – faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird, können einen systemischen Mangel darstellen. Nicht systemisch ist demgegenüber ein Mangel dann, wenn es lediglich in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK kommt.
24Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 – 10 B 6.14 – und vom 06.06.2014 – 10 B 35.14 –; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 –, alle: juris.
25Im Falle des Vorliegens systemischer Mängel ist es ferner erforderlich, dass der einzelne Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, hiervon im Falle einer Überstellung in den Zielstaat selbst betroffen zu sein. Bei flächendeckenden systemischen Mängeln bedarf dies keiner besonderen Darlegung. Bei systemischen Mängeln, die sich nur auf Teilgruppen oder vereinzelt auswirken, müssen weitere besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen bzw. geltend gemacht werden, die eine Betroffenheit des Einzelnen beachtlich wahrscheinlich machen.
26Vgl. Lübbe, a. a. O.
27Bei der Beurteilung der Situation in einem Mitgliedstaat und der für einen Asylbewerber dort bestehenden tatsächlichen Risiken im Falle einer Überstellung sind Stellungnahmen des UNHCR ebenso heranzuziehen wie regelmäßige und übereinstimmende Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen sowie sonstige Berichte der europäischen Institutionen, insbesondere der Kommission.
28Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a. a. O., sowie vom 30.05.2013 – C-528/11 –, juris.
29Für die Rechtsfrage einer Verletzung von Art. 3 EMRK hat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine Orientierungs- und Leitfunktion.
30b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und nach Auswertung der aktuellen Auskunfts- und Erkenntnislage zu Ungarn steht es im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Überzeugung der Kammer fest, dass dem Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn schon wegen der dort aktuell gegebenen Aufnahmebedingungen für Antragsteller, die um internationalen Schutz nachsuchen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der Grundrechtecharta und der EMRK droht.
31Ungarn ist heute an die in der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen - Aufnahmerichtlinie (ABl. L 180 S. 96) - festgelegten Mindeststandards gebunden. Dieses Regelwerk soll u.a. sicherstellen, dass Antragstellern ein menschenwürdiges Leben in den Mitgliedstaaten ermöglicht wird und vergleichbare Lebensbedingungen in allen Mitgliedstaaten gewährleisten (vgl. den Erwägungsgrund 11 der Richtlinie). Antragsteller werden in einem Mitgliedstaat unmenschlich oder erniedrigend behandelt, wenn ihnen nicht die unerlässlichen Leistungen der Daseinsvorsorge gewährt werden, die ihnen nach der Aufnahmerichtlinie zustehen. Ihnen müssen während der Dauer des Asylverfahrens die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, mit denen sie ihre elementaren Grundbedürfnisse (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) in zumutbarer Weise befriedigen können. Als Maßstab sind die Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie mit den dort geregelten zeitlich begrenzten Einschränkungsmöglichkeiten bei vorübergehenden Unterbringungsengpässen und der Verpflichtung, auch in diesen Fällen die Grundbedürfnisse zu decken, heranzuziehen.
32Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, unter Hinweis auf die Entscheidungen des EGMR vom 21. Januar 2011 – 30696/09 -, NVwZ 2011, 413 und des EuGH vom 27. Februar 2014 – C- 79/13 - juris; VG Oldenburg, Urteil vom 2.November 2015 – 12 A 2572/15 -, juris.
33Diesen Anspruch auf Befriedigung der Grundbedürfnisse haben nach der Aufnahmerichtlinie nicht nur besonders schutzbedürftige Personen wie Familien/Alleinstehende mit Kleinkindern oder Kranke mit besonderen medizinischen Versorgungsansprüchen, sondern alle Asylsuchenden und somit auch alleinstehende, junge und gesunde männliche Personen. Auch diese sind im dargestellten Umfang vor Obdachlosigkeit, Unterernährung, Gewalt und gesundheitsgefährdenden Umständen in Unterkünften zu schützen.
34Die Aufnahmebedingungen für Antragsteller, die in Ungarn um internationalen Schutz nachsuchen, werden diesen Mindeststandards nach der aktuellen Auskunfts- und Erkenntnislage nicht gerecht. In Ungarn herrschen mit Blick auf die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen extreme Kapazitätsprobleme. Bis zum 14. Juli 2015 sollen im Jahr 2015 78.000 Flüchtlinge registriert worden sein.
35Vgl. Pressemitteilung des ungarischen Ministry of Foreign Affairs and Trade vom 14.07.2015 „Steady migratory pressure necessitates border fence”.
36Im September 2015 nannte die Europäische Kommission eine Zahl von inzwischen 98.072 Asylanträgen in Ungarn im Jahr 2015.
37Vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 2.November 2015 – 12 A 2572/15 -, juris Rz. 26.
38Inzwischen ist in der Presse sogar die Rede von mehr als 180.000 Asylbewerbern, die nach der Einreise in Ungarn registriert worden seien.
39Vgl. FAZ vom 12. November 2015 „Lob aus Wien, Warnungen aus Budapest“.
40Demgegenüber verfügt Ungarn über eine Aufnahmekapazität von höchstens 2.500 Plätzen für Flüchtlinge.
41Vgl. EASO, Beschreibungen des ungarischen Asylsystems, Stand März 2015; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Freiburg vom 12. März 2015.
42Es liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung, dass bei einem derart eklatanten Missverhältnis eine auch nur annähernd menschenwürdige Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen objektiv nicht gewährleistet werden kann, diese im Gegenteil gezwungen sind, schutzlos auf der Straße oder in der freien Natur zu leben. In den der Kammer zu Verfügung stehenden Berichten wird dies ausdrücklich bestätigt. Human Rights Watch berichtet detailliert davon, dass in den Flüchtlingslagern in Ungarn „entsetzliche Zustände“ herrschten, der Zugang zu Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung sei nicht gewährleistet,
43vgl. Human Rights Watch Bericht vom 11. September 2015.
44Diese in Ungarn objektiv fehlenden Unterbringungs- und Versorgungsmöglichkeiten bedeuten allerdings noch nicht, dass eine systemische Schwachstelle im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO gegeben ist. Zum systemischen Mangel wird die festgestellte Schwachstelle erst dann, wenn der betroffene Mitgliedstaat nicht nur nicht in der Lage ist, sondern vor allem auch nicht den Willen zeigt, die Aufnahmebedingungen für Antragsteller zu verbessern, indem er sich erkennbar darum bemüht, die Unterkunftsmöglichkeiten und die Versorgung der Flüchtlinge nachhaltig zu verbessern.
45Ebenso VG Oldenburg, Urteil vom 2. November 2015 – 12 A 2572/15 – juris.
46So liegt der Fall allerdings hier. Der ungarische Staat ist offenkundig nicht willens, seine europarechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Dies zeigen die seit dem Sommer 2015 ergriffenen Maßnahmen der zuständigen ungarischen Stellen. Ungarn betreibt eine offene Politik der Abschottung gegen den Zuzug von Flüchtlingen und hat als erstes Land einen Grenzzaun zur Abwehr weiterer Flüchtlinge errichtet. Das Land hat erklärt, dass es eine nennenswerte Zuwanderung sog. „Wirtschaftsflüchtlinge“ nicht wünsche und keine multikulturelle Gesellschaft werden wolle.
47Aus den vielen Pressberichten vgl. nur Pro Asyl, Pressemitteilung vom 7. Juli 2015 „Kein Schutz für niemanden: Ungarn verabschiedet sich vom Flüchtlingsrecht“; amnesty international, Fenced out – Hungary´s violations of the rights of refugees and migrants (Report von Oktober 2015); Die Welt vom 24. Juni 2015 „Flüchtlingskrise: Warum Ungarn Angst vor zu vielen Asylbewerbern hat“; SZ vom 24. Juni 2015 „Die ungarische Regierung will Flüchtlinge ab sofort aussperren“; n-tv vom 29. August 2015 „Stacheldraht gegen Flüchtlinge – Ungarn stellt erste Grenz-Sperranlage fertig“; FAZ vom 1. September 2015 „ Ungarn schottet sich mit Stacheldraht ab“.
48Die aktuelle Flüchtlingskrise hat der ungarische Ministerpräsident als „ein deutsches Problem“ bezeichnet.
49Vgl. Zeit Online vom 3. September 2015.
50Das „Dublin System“ hat der ungarische Aussenminister in einer aktuellen Verlautbarung vom 11. November 2015 für „tot“ erklärt.
51Vgl. Pressemitteilung der ungarischen Regierung vom 11. November 2015, abrufbar unter http://www.kormany.hu/en/ministry-of-foreign-affairs-and-trade/news/dublin-system-is-dead-there-is-no-reason-why-rules-relating-to-repatriation-should-apply.; ferner FAZ vom 12. November 2015 „Lob aus Wien, Warnungen aus Budapest“.
52Ganz aktuell hat der ungarische Ministerpräsident Orban seine Haltung gegenüber Flüchtlingen zusammengefasst mit den Worten: „Wir wollen diese Menschen nicht haben.“
53Vgl. FAZ vom 15. Dezember 2015.
54Nach allem ist das Gericht davon überzeugt, dass Antragstellern wie dem Kläger, die um internationalen Schutz nachsuchen, wegen der zur Zeit in Ungarn gegebenen Aufnahmebedingungen, die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der Grundrechtecharta und der EMRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht und es deshalb im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO unmöglich ist, sie in diesen Staat zu überstellen.
55So auch VG Oldenburg, Urteil vom 2. November 2015 – 12 A 2572/15 – juris m.w.N. aus der Rechtsprechung; ferner VG Köln, Urteil vom 15. Juli 2015 – 3 K 2005/15.A – juris; VG Köln, Urteil vom 8. September 2015 – 18 K 4584/15.A – juris; a.A etwa VG Stade, Beschluss vom 4. November 2015 – 1 B 1749/15 – juris.
56Die Antwort der Europäischen Kommission vom 30. Oktober 2015 an die erkennende Kammer auf deren Beweisbeschlüsse in den Verfahren 2 K 6465/14.A und 2 K 6214/14.A steht dieser Bewertung nicht entgegen. Denn sie ist ohne belastbare Aussagekraft und deshalb nicht geeignet, die Überzeugung des Gerichts zu erschüttern. Die Kommission verlautbart in dieser Mitteilung zunächst selbst, dass die zuständige Generaldirektion wiederholt Erfahrungsberichte diverser Einrichtungen bekomme, die vor Ort in Ungarn tätig seien und die „Anlass zur Sorge in Bezug auf das Funktionieren des ungarischen Asylverfahrens“ gäben. Die Kommission sieht sich allerdings zur Zeit außerstande, zuverlässige und gültige Informationen über das tatsächliche Funktionieren des ungarischen Asylsystems zu geben, weist zugleich aber darauf hin, sie prüfe die Vereinbarkeit der von Ungarn vorgenommen Rechtsänderungen des nationalen Asylsystems und trete zu diesem Zweck mit den ungarischen Behörden in Kontakt.
57Ebenso wenig steht die Tatsache, dass es noch keine Empfehlung der UNHCR gibt, Überstellungen von Antragstellern nach Ungarn wegen der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszusetzen, der Einschätzung der Kammer entgegen. Denn der UNHCR hat in seiner Stellungnahme vom 30. September 2014 an das VG Bremen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er derartige Empfehlungen bislang lediglich in Ausnahmekonstellationen ausgesprochen habe und aus der Tatsache des Fehlens einer Äußerung in einem UNHCR-Papier, ob bestimmte Mängel einer Überstellung in den betreffenden Staat entgegenstünden, nicht geschlossen werden könne, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehenden Umstände vorlägen oder im Einzelfall vorliegen könnten. Dies sei deshalb der Fall, weil sich die betreffenden Papiere zumeist in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die betreffende Regierung richteten. Es sei vielmehr – so der UNHCR - die Aufgabe der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat ausschließen.
58Vgl. UNHCR vom 30. September 2014 an das VG Bremen.
59Schließlich hindert auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 03.07.2014 (Mohammadi / Österreich, Nr. 71932/12) die Einschätzung des Gerichts nicht. Die Entscheidung des EGMR, dass ein Asylsuchender zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr einer tatsächlichen und persönlichen Gefahr unterliege, bei einer Überstellung nach Ungarn nach den Maßgaben der Dublin-Verordnung einer Behandlung ausgesetzt zu sein, die Art. 3 EMRK verletzen würde, beruht im Wesentlichen auf der Erwartung, dass die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Gesetzesänderungen in Ungarn zu einer positiven Entwicklung des ungarischen Asylsystems führen würden. Diese Erwartungen haben sich indessen – wie die oben dargelegten aktuellen Erkenntnisse zu den zur Zeit in Ungarn herrschenden Aufnahmebedingungen für Antragsteller belegen – offensichtlich nicht erfüllt.
60Ebenso VG Köln, Urteil vom 15. Juli 2015 – 3 K 2005/15.A – juris; VG Köln, Urteil vom 8. September 2015 – 18 K 4584/15.A – juris.
61Ob dem Kläger darüber hinaus auch wegen der in Ungarn bestehenden Inhaftierungspraxis und wegen der Haftbedingungen in diesem Land die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtecharta droht und er auch deshalb nicht nach Ungarn überstellt werden darf,
62so etwa VG Köln, Urteil vom 15. Juli 2015 – 3 K 2005/15.A – juris; ferner VG Köln, Urteil vom 8. September 2015 – 18 K 4584/15.A – juris; VG Oldenburg, Urteil vom 2. November 2015 – 12 A 2572/15 – juris; a.A. u.a. VG Stade, Beschluss vom 4. November 2015 – 1 B 1749/15 – juris,
63oder systemische Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO aufgrund der Rechtsänderungen im ungarischen Asylrecht durch die Asylrechtsnovelle im August 2015 begründet werden,
64so VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 2. Dezember 2015 - 22 K 3263/15.A –,
65bedarf mit Blick auf die obigen Ausführungen keiner Entscheidung durch die Kammer.
662. Die unter Ziff. 2 des angefochtenen Bescheides weiterhin erlassene Abschiebungsanordnung nach Ungarn ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ebenfalls rechtswidrig und – weil den Kläger in seinen Rechten verletzend – nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben. Sie findet ihre Rechtsgrundlage heute nicht in § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
67a) Diese Voraussetzungen sind hier heute nicht gegeben. Wie das Gericht soeben dargelegt hat, ist Ungarn nicht der für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständige Staat im Sinne von § 27 a AsylG. Eine Abschiebung des Klägers nach Ungarn als sicheren Drittstaat im Sinne von § 26 a AsylG scheidet ebenfalls aus. Denn die Drittstaatenregelung findet nach § 26 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG keine Anwendung, wenn die Bundesrepublik Deutschland – wie dies hier der Fall ist – aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
68b) Die Abschiebungsanordnung ist unabhängig davon im Übrigen auch deshalb rechtswidrig, weil im Sinne von § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststeht, dass die Abschiebung des Klägers nach Ungarn durchgeführt werden kann. Die Annahme, dass eine Abschiebung im Sinne von § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann, setzt die zuverlässige Prognose voraus, dass eine Überstellung des Antragstellers an den ersuchten Mitgliedstaat in nächster Zukunft tatsächlich möglich ist und durchgeführt werden kann. Abschiebungsanordnungen sollen nicht gewissermaßen auf Vorrat ausgesprochen werden, sondern als Akt der Verwaltungsvollstreckung Grundlage für eine zügige Überstellung des Antragstellers in den Zielstaat der Abschiebung sein. Damit unvereinbar ist - auch aus europarechtlicher Sicht - der Erlass einer Abschiebungsanordnung, deren tatsächlicher Vollzug in zeitlicher Hinsicht völlig ungewiss ist.
69Gerade so liegt der Fall aber hier. Denn eine Prognose, dass der Kläger in nächster Zukunft nach Ungarn überstellt werden kann, kann nicht verlässlich getroffen werden. Überstellt worden sind in diesem Jahr in den ersten Monaten von Deutschland nach Ungarn gemessen an der Zahl der Übernahmeersuchen maximal 2% der Flüchtlinge.
70Vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 2. November 2015 – 12 A 2572/15 – juris; VG Freiburg, Urteil vom 13. Oktober 2015 – A 5 K 2328/13 – juris; VG Köln, Urteil vom 8. September 2015 – 18 K 4584/15.A – juris;
71Diese extrem niedrige Zahl an Überstellungen hat sich offensichtlich auch in den Folgemonaten fortgesetzt. Dies folgt einmal aus der Auskunft des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20. November 2015 in den Verfahren 2 K 6465/14.A und 2 K 6214/14.A an die erkennende Kammer. Darin hat das Bundesamt auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt, im Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis zum 30. September 2015 seien insgesamt 65 Personen im Rahmen der Dublin-VO von Deutschland nach Ungarn überstellt worden. Diese insgesamt niedrige Zahl – so das Bundesamt selbst weiter – hänge auch mit der Kontingentierung von Überstellungen durch die ungarischen Behörden zusammen. Von Montag bis Donnerstag könnten täglich im Durchschnitt 12 Personen auf dem Luftweg im Rahmen des Dublin-Verfahrens zum Flughafen Budapest überstellt werden. Das Kontingent werde nur von Österreich nicht in Anspruch genommen, die österreichischen Behörden überstellten nämlich auf dem Landweg nach Ungarn. Die extrem niedrige Zahl an Überstellungen nach Ungarn wird weiterhin belegt durch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE – BT-Drucksache 18/6860 vom 30. November 2015. Danach hat Ungarn im 3. Quartal 2015 bei 4.303 von Deutschland gestellten Übernahmeersuchen in 2.570 Fällen die Zustimmung erteilt. Tatsächlich sind in diesem Zeitraum aber nur 40 Überstellungen erfolgt. Dies entspricht einer Überstellungsquote bezogen auf die erteilten Zustimmungen von nur 1,56 %.
72Mit Blick auf diese aufgezeigten faktischen Gegebenheiten kann nicht davon gesprochen werden, dass eine Abschiebung des Klägers nach Ungarn in nächster Zukunft tatsächlich durchführbar ist. Es hängt nämlich wohl eher von Zufälligkeiten als von belastbaren Fakten ab, wann ein Flüchtling von Deutschland nach Ungarn abgeschoben wird, ob dies innerhalb eines Monats, eines Vierteljahres, eines Jahres oder innerhalb eines noch längeren Zeitraums geschieht. Eine derartige Verwaltungspraxis ist auch mit den Zielen der Dublin III-VO nicht zu vereinbaren. Aus Erwägungsgrund Nr. 5 dieser Verordnung folgt, dass dieses Regelungswerk insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen soll, „um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.“ Dieser Erwägungsgrund stellt nicht den Schutz der Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten in den Vordergrund, sondern betont im Gegenteil aus Sicht der Antragsteller deren Interesse an einem effektiven Zugang zu einem Asylverfahren, welches innerhalb angemessener Frist abgeschlossen werden soll. Diese Verfahrensposition ist zugleich grundrechtlich aufgeladen, weil sie der zügigen Durchsetzung der subjektiven Rechte eines Antragstellers aus Art. 18 der Grundrechtecharta dient. Eine Abschiebungsanordnung, die diesen Maßgaben nicht Rechnung trägt, ist rechtswidrig und unterliegt der Aufhebung.
73Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.