Verwaltungsgericht Greifswald Beschluss, 13. Juni 2012 - 3 B 328/12
Gericht
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Vorausleistungsbescheid des Antragsgegners vom 20.10.2011 wird angeordnet.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 312,77 Euro festgesetzt.
Gründe
- 1
1. Der Antrag des Antragstellers,
- 2
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Vorausleistungsbescheid (Nummer 20110001) des Antragsgegners vom 20.10.2011 anzuordnen,
- 3
hat Erfolg.
- 4
a) Der Antrag ist zulässig. Der Vorausleistungsbescheid vom 20.10.2011 ist als Abgabenbescheid kraft Gesetzes sofort vollziehbar, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Gericht kann deshalb gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anordnen. Die Zugangsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist erfüllt, da der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Schreiben vom 24.11.2011 abgelehnt hat.
- 5
b) Der Antrag ist auch begründet. Das Gericht ordnet die aufschiebende Wirkung in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO an, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des in der Hauptsache mit Widerspruch angefochtenen Vorausleistungsbescheides vom 20.11.2011.
- 6
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern (KAG M-V) dürfen Abgaben nur aufgrund einer Satzung erhoben werden. Vorliegend wird die Beitragserhebung auf die Satzung der Gemeinde A-Stadt über die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen für den Ausbau der Straße „Zum Kamp“ im OT Zarnitz vom 01.09.2010 (Ausbaubeitragssatzung Zarnitz) gestützt. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Wirksamkeit dieser Satzung.
- 7
Die Ausbaubeitragssatzung Zarnitz ordnet in § 2 für unbebaute und nicht gewerblich oder industriell genutzte Grundstücke im Außenbereich als Beitragsmaßstab einen Quadratwurzelmaßstab an. Die Kammer kann für diese Entscheidung offenlassen, ob dieser Maßstab im Ausbaubeitragsrecht vorteilsgerecht und zulässig ist (zustimmend Holz, in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Stand August 2011, § 8, Anm. 1.5.5). Es bestehen aber ernstliche Zweifel daran, dass ein Satzungsgeber für ein und dieselbe Anlage unterschiedliche Beitragsmaßstäbe definieren kann. Das ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) nicht zu vereinbaren. So liegt es aber hier. Die Ausbaubeitragssatzung Zarnitz betrifft nur den durch Beschluss der Gemeindevertretung vom 12.08.2009 gebildeten Abschnitt der Dorfstraße Zarnitz. Die anderen Abschnitte der (einheitlichen) Anlage unterliegen der Satzung der Gemeinde A-Stadt über die Erhebung von Beiträgen für den Ausbau von Straßen, Wegen und Plätzen vom 23.08.2002 (Ausbaubeitragssatzung A-Stadt). Dort ist für die genannten Außenbereichsgrundstücke in § 5 Abs. 2 Nr. 4 Satz 4 eine Bemessung der Grundstücksfläche mit dem Faktor 0,05 geregelt. Die Ausbaubeitragssatzungen Zarnitz und A-Stadt führen also dazu, dass unbebaute Grundstücke im Außenbereich verschiedenen Beitragsmaßstäben unterliegen, wenn sie von verschiedenen Abschnitten der Anlage bevorteilt werden. Im vorliegenden Falle haben diese Regelungen sogar zum Ergebnis, dass das (künftige) Grundstück des Antragstellers, dass an zwei Abschnitten der Anlage anliegt, mit der jeweiligen Teilfläche mit einem unterschiedlichen Maßstab in das Vorteilsgebiet einbezogen wird. Das ist unzulässig.
- 8
Hiergegen kann nicht durchgreifend eingewandt werden, dass die einheitliche Anlage in rechtmäßiger Weise in unterschiedliche Abrechnungsabschnitte aufgeteilt wurde. Denn die Abschnittsbildung führt nicht dazu, dass die Anlage im beitragsrechtlichen Sinne aufgelöst wird. Die Zulässigkeit einer Abschnittsbildung findet im Willkürverbot eine bundesrechtliche Schranke. Dieses gebietet einen Vergleich der entstehenden Abschnitte nach Vorteilssituation und Aufwand (BVerwG, Urt. v. 07.06.1996 - 8 C 30/94, zit. n. juris zum Erschließungsbeitragsrecht; Holz, in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Stand August 2011, § 8, Anm. 1.1.3.3). In diesem Sinne bleiben die einzelnen Abschnitte der einheitlichen Anlage auch noch nach der Abschnittsbildung aufeinander bezogen. Die Maßstabsregel muss deshalb für eine vorteilsgerechte Beitragsbemessung für sämtliche von der Anlage bevorteilten Grundstücke sorgen. Es spricht vieles dafür, dass mit diesem Grundsatz eine Maßnahmesatzung nicht vereinbar ist, die für einen Abschnitt einer Anlage eine abweichende Maßstabsregel bestimmt.
- 9
Die Kammer musste in diesem Verfahren nicht prüfen, ob sich der im Streit stehende Vorausleistungsbescheid im Falle der Nichtigkeit der Ausbaubeitragssatzung Zarnitz auf die Ausbaubeitragssatzung A-Stadt stützen lässt. Das Eilverfahren hat summarischen Charakter, es hat nicht die Aufgabe, tatsächliche Fragen abschließend zu klären. Im Eilverfahren besteht keine Pflicht zur Spruchreifmachung (VG Greifswald, Beschl. v. 15.01.2009 – 3 B 1981/08, n.v.). Für die Annahme ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes reichen Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung aus, auf die der Antragsgegner seinen Bescheid gestützt hat.
- 10
Auf die Einwände des Antragstellers kommt es nach alledem nicht mehr an. Zur Vermeidung weiteren Rechtstreits wird aber darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für die Erhebung von Vorausleistungen auf den künftigen Ausbaubeitrag hier dem Grunde nach vorliegen. Zwar verlieren die im Verfahrensgebiet gelegenen Buchgrundstücke durch das Bodenordnungsverfahren nicht ihre rechtliche Existenz, jedoch wird die Dauerhaftigkeit ihres Bestandes und damit ihrer Größe rechtserheblich in Frage gestellt. Es handelt sich gleichsam um „sterbende Grundstücke“. Die sachliche Beitragspflicht entsteht daher in diesen Fällen erst, wenn der neue Rechtszustand an die Stelle des bisherigen getreten ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 09.06.2010 - 9 ME 223/09, zit. n. juris, zu einem Flurbereinigungsverfahren; VG Greifswald, Urt. v. 24.06.2011 – 3 A 523/10, n.v., zu einem Bodenordnungsverfahren; Holz, in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Stand August 2011, § 8, Anm. 1.7). Denn auch das Bodenordnungsverfahren ist auf eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse angelegt (§§ 53, 56 Landwirtschaftsanpassungsgesetz - LwAnpG). Bis zu dessen Abschluss können deshalb keine Ausbaubeiträge, sondern nur Vorausleistungen erhoben werden. Da Bezugspunkt der Vorausleistungen der voraussichtliche Beitragsanspruch ist, hat die Kammer keine durchgreifenden Bedenken daran, die Vorausleistung auf das künftige Grundstück zu beziehen, soweit dieses schon konkretisierbar ist.
- 11
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Den Streitwert hat die Kammer mit einem Viertel des Hauptsachewertes angenommen.
moreResultsText
Annotations
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.