Verwaltungsgericht Greifswald Urteil, 20. Juni 2018 - 3 A 1365/16 HGW
Gericht
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Forderungen aus den Bescheiden des Amtsvorstehers des Beklagten jeweils vom 18. Juni 2012 sowie aus dem Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Burg Stargard vom 18. Juni 2012 nicht mehr gegen den Kläger vollstreckbar sind.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Vollstreckbarkeit von Abgabenbescheiden.
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Der Amtsvorsteher des Beklagten setzte mit Gebühren- und Auslagenerstattungsbescheiden jeweils vom 18. Juni 2012 gegen den Kläger Gebühren und Auslagen für einen Einsatz von Feuerwehren der Gemeinden Cammin, Holldorf, Pragsdorf und Lindetal vom 30. April 2012 in Höhe von 2.702,00 Euro, 14.874,00 Euro, 6.505,00 Euro und 22.440,00 Euro fest. Mit Bescheid ebenfalls vom 18. Juni 2012 setzte der Bürgermeister der Stadt Burg Stargard gegen den Kläger für einen Einsatz der Feuerwehr Burg Stargard vom 30. April 2012 Gebühren- und Auslagen in Höhe von 88.792,85 Euro fest. Die Bescheide wurden nicht angefochten. Am 3. Juli 2013 erließ der County Court at Ipswich (Großbritannien) einen Bankrottbeschluss gegen den Kläger und eröffnete das Insolvenzverfahren. Mit Entlassungsurkunde vom 5. Dezember 2014 bescheinigte dasselbe Gericht, dass der Kläger am 3. Juli 2014 aus dem Bankrott entlassen wurde. Mit Schreiben vom 22. September 2015 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er die in Großbritannien erteilte Restschuldbefreiung nicht anerkenne und die Vollstreckung der näher bezeichneten Forderungen weiter durchführen werde. Mit Schreiben vom 18. Januar 2016 wiederholte der Beklagte gegenüber dem Kläger seine Ausführungen, dass er die Restschuldbefreiung nicht anerkenne und die Forderungen weiterhin durchsetzbar seien.
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Der Kläger hat am 27. Januar 2016 Klage zum Landgericht C-Stadt erhoben, das mit Beschluss vom 6. Juni 2016 - 2 O 37/16 - den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das erkennende Gericht verwiesen hat.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass mit Erlangung der Restschuldbefreiung nach englischem Recht am 3. Juli 2014 die Forderungen aus den Gebühren- und Auslagenerstattungsbescheiden vom 18. Juni 2012 nicht mehr gegen ihn durchsetzbar seien, da die Restschuldbefreiung auch die von dem Beklagten geltend gemachten Forderungen erfasse.
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Der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass die von dem Beklagten gegen den Kläger erhobenen Forderungen aus den Bescheiden in Höhe von 2.702,00 Euro, in Höhe von 14.874,00 Euro, in Höhe von 6.505,00 Euro, in Höhe von 22.440,00 Euro sowie in Höhe von 88.792,85 Euro nicht mehr durchsetzbar sind.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Auffassung, die Klage richte sich gegen den falschen Beklagten. Da es sich um Forderungen der Gemeinden handele, sei der Beklagte nicht passivlegitimiert. Ferner sei die dem Kläger erteilte Restschuldbefreiung nach Art. 26 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 nicht anzuerkennen. Der Kläger habe seinen Wohnsitz lediglich formal nach Ipswich in Großbritannien verlegt. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe er seinen Wohnsitz weiterhin in C-Stadt gehabt. Wenn die Eröffnungsentscheidung auf bewusst wahrheitswidrigen Angaben und einem lediglich simulierten Wohnsitz in dem anderen Mitgliedstaat beruhe, liege ein Verstoß gegen den ordre-public vor. Außerdem erfasse die erlangte Restschuldbefreiung die betroffenen Forderungen nicht.
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Das Gericht hat mit Beschluss vom 2. März 2017 zu der Frage der Wirkungen der Restschuldbefreiung Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, welches am 13. Februar 2018 eine entsprechende Rechtsauskunft erteilt hat.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, und das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2018 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Die Klage hat Erfolg; sie ist zulässig und begründet.
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1. Die als Feststellungsklage erhobene Klage ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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a) Bei der Einwendung, eine Forderung sei wegen einer dem Schuldner erteilten Restschuldbefreiung, nicht mehr gegen ihn vollstreckbar, handelt es sich um eine materiell-rechtliche Einwendung, die im Grundsatz mit der Vollstreckungsgegenklage, § 767 Zivilprozessordnung (ZPO), geltend zu machen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 25.09.2008 - IX ZB 205/06 -, juris Rn. 11). Will der Kläger, wie hier, diese Einwendung gegen einen unanfechtbar gewordenen Abgabenbescheid vorbringen, ist statthafter Rechtsbehelf die Feststellungsklage (vgl. m.w.N. VG Greifswald, Urt. v. 25.04. 2017 - 3 A 2377/16 HGW -, juris Rn. 17). Die (fortbestehende) Vollstreckbarkeit der in Rede stehenden Abgabenbescheide stellt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar.
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b) Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung (§ 43 Abs. 1 VwGO). Der Beklagte berühmt sich hier der Durchsetzbarkeit der Abgabenforderungen aus den Bescheiden vom 18. Juni 2012. Er hat dem Kläger mit Schreiben vom 22. September 2015 mitgeteilt, die Vollstreckung weiter durchzuführen, und mit Schreiben vom 18. Januar 2016 ausgeführt, dass er das Vorliegen einer der Vollstreckung entgegenstehenden Restschuldbefreiung nicht anerkenne. Dass sich an dieser Haltung zwischenzeitlich etwas geändert hat, ist nicht ersichtlich.
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c) Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht hier auch nicht deren aus § 43 Abs. 2 VwGO folgende Subsidiarität entgegen. Die Vorschrift des § 43 Abs. 2 VwGO, der zufolge die Feststellung eines Rechtsverhältnisses nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können, ist ihrem Zweck entsprechend einschränkend auszulegen und anzuwenden. Wo eine Umgehung der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und Vorverfahren nicht droht, steht § 43 Abs. 2 VwGO der Feststellungsklage ebenso wenig entgegen wie in Fällen, in denen diese den effektiveren Rechtsschutz bietet (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1997 - 1 C 2/95 -, juris Rn. 25). Der Kläger macht hier den nachträglich entstandenen Einwand der am 3. Juli 2014 erlangten Restschuldbefreiung geltend. Diesen Einwand hätte er im Rahmen der Anfechtung der Bescheide vom 18. Juni 2012 noch gar nicht geltend machen können, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlag. Eine Umgehung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Gestaltungsklagen liegt deshalb nicht vor. Darüber hinaus ist der Kläger nicht auf die Anfechtung von Vollstreckungsmaßnahmen zu verweisen. Ein solcher Verweis würde den Kläger in die Gefahr einer unabsehbaren Vielzahl von Verfahren gegen Vollstreckungsmaßnahmen bringen. Damit kann ihm effektiver Rechtsschutz nicht gewährt werden. Schließlich würde - anders als mit der hier erhobenen Feststellungsklage - die Frage der Undurchsetzbarkeit der streitigen Forderungen keiner umfänglichen und abschließenden Klärung zugeführt, was aber gerade das Rechtschutzziel des Klägers ist. Sie wäre stets nur Vorfrage bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen.
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d) Die Klage richtet sich, anders als der Beklagte meint, gegen den richtigen Beklagten. Aus § 43 Abs. 1 VwGO, wonach Gegenstand der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ist, folgt, dass die Feststellungsklage gegen den sachlichen Streitgegner, also denjenigen zu richten ist, demgegenüber das Rechtsverhältnisses besteht oder eben nicht besteht (vgl. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 43 Rn. 15 sowie Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2014, § 43 Rn. 28). Zwar trifft es hier zu, dass es sich bei den betroffenen Abgabenforderungen um solche der amtsangehörigen Gemeinden Cammin, Holldorf, Pragsdorf, Lindetal und Burg Stargard handelt. Jedoch begehrt der Kläger die Feststellung, dass diese Abgabenforderungen nicht mehr gegen ihn vollstreckbar sind, sodass streitig nicht der Abgabenanspruch als solcher, sondern ein Vollstreckungsrechtverhältnis ist, das zum Rechtsträger der Vollstreckungsbehörde entsteht. Nach § 111 Abs. 2 Satz 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG M-V) in Verbindung mit § 1 Nr. 5 Vollstreckungszuständigkeits- und -kostenlandesverordnung (VollstrZustKLVO M-V) sind die Amtsvorsteher die für die Vollstreckung von öffentlich-rechtlichen Geldforderungen der amtsangehörigen Gemeinden zuständigen Vollstreckungsbehörden. Alle Gemeinden, deren Abgabenforderungen hier betroffen sind, sind Mitglieder des beklagten Amtes Stargarder Land. Das zwischen den Beteiligten streitige Rechtsverhältnis - Vollstreckbarkeit von Abgabenforderungen - entsteht deshalb zwischen dem Kläger und dem beklagten Amt. Ein Fall von § 14 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes, wonach Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gegen die Behörde zu richten sind, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat, liegt hier wegen der erhobenen Feststellungsklage ebenfalls nicht vor.
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2. Die Klage ist begründet. Die Vollstreckung der in den bestandskräftigen Bescheiden vom 18. Juni 2012 festgesetzten Abgabenforderungen ist gegen den Kläger nicht mehr zulässig.
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a) Nach § 111 Abs. 1 VwVfG M-V in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) und § 257 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) ist die Vollstreckung aus einem auf die Zahlung einer öffentlich-rechtlichen Geldforderung gerichtet Verwaltungsakt einzustellen oder zu beschränken, wenn die Vollstreckungsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 AO weggefallen sind. Die mit der Folge, dass von ihr erfasste Forderungen gegen den Schuldner nicht mehr erzwungen werden können, erteilte Restschuldbefreiung stellt ein der Vollstreckung entgegenstehendes Vollstreckungshindernis dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.2015 - 3 C 8/14 -, juris Rn. 12; VGH München, Beschl. v. 29.08.2014 - 4 CE 14.1502 -, juris Rn. 20; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 02.04.2014 - OVG 6 B 16.12 -, juris Rn. 15; Neumann in: Beermann/Gosch, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 138. Lieferung, § 251 AO, juris Rn. 213; Werth in: Klein, Abgabenordnung, 13. Aufl. 2016, § 251 Rn. 43; Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 151. Lieferung 02.2018, § 251 AO Rn. 120).
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b) Dies zugrunde gelegt, steht der gegen den Kläger gerichteten Vollstreckung aus den Bescheiden vom 18. Juni 2012 hier die am 3. Juli 2014 vor dem County Court at Ipswich erlangte discharge (Restschuldbefreiung) entgegen.
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Dass der Kläger die Restschuldbefreiung in der von ihm dargelegten Weise erlangt hat, ist durch das vorgelegte Certificate of Discharge (Entlassungsurkunde) belegt. Der Beklagte zieht die Erlangung der Restschuldbefreiung mit keinem Wort in Zweifel, sondern bestreitet lediglich deren Anerkennung im Inland. Das Gericht hat ebenfalls keinerlei Anlass, an der Erlangung der Restschuldbefreiung zu zweifeln.
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Die vom Kläger erlangte Restschuldbefreiung ist im Inland anzuerkennen (aa) und erfasst die hier in Rede stehenden Abgabenforderungen aus den Bescheiden vom 18. Juni 2012 (bb).
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aa) Die vom Kläger erlangte Restschuldbefreiung ist entgegen der Auffassung des Beklagten im Inland anzuerkennen.
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(1) Rechtsgrundlage dafür ist Art. 19 Abs. 1 Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren. Diese Verordnung ist anzuwenden, da sie im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gilt. Sie hebt die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 auf (Art. 91) und ist nach ihrem Art. 92 am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, in Kraft getreten. Die Veröffentlichung erfolgte am 5. Juni 2015.
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(2) Nach Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 VO (EU) 2015/848 wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Gemäß Art. 32 Abs. 1 UAbs. 1 VO (EU) 2015/848 werden auch die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen eines Gerichts, dessen Eröffnungsentscheidung nach Art. 19 anerkannt wird, sowie ein von diesem Gericht bestätigter Vergleich ohne weitere Förmlichkeiten anerkannt.
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Für Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1346/2000 [entspricht Art. 19 Abs. 1 VO (EU) 2015/848] ist geklärt, dass die Vorschrift nicht dahin zu verstehen ist, dass im Anerkennungsstaat zu prüfen ist, ob das Gericht des Mitgliedsstaates für die Verfahrenseröffnung zuständig war (vgl. m.w.N. BGH, Urt. v. 10.09.2015 - IX ZR 304/13 -, juris Rn. 8). Das gilt auch für die Anerkennung der zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen im Sinne des Art. 25 Abs. 1 VO (EG) 1346/2000 [entspricht Art. 32 Abs. 1 VO (EU) 2015/848], vgl. m.w.N. BGH a.a.O. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, verbietet eine Prüfung der Entscheidungen durch die Gerichte des Anerkennungstaates und verlangt vielmehr, dass die Gerichte die Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anerkennen, ohne die vom eröffnenden Gericht hinsichtlich seiner Zuständigkeit angestellte Beurteilung überprüfen zu können.
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Nach Auffassung des Gerichts gelten diese Erwägungen gleichermaßen für die hier anzuwendenden Vorschriften der VO (EU) 2015/848. Sie finden Ausdruck in Erwägungsgrund 65 zur VO (EU) 2015/848, wonach die Anerkennung der Entscheidungen der Gerichte der Mitgliedstaaten sich auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens stützen sollte und die Gründe für eine Nichtanerkennung auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt sein sollten. Erwägungsgrund 65 letzter Halbsatz zur VO (EU) 2015/848 spricht zudem aus, dass die Mitgliedstaaten die Entscheidung des eröffnenden Gerichts keiner Überprüfung unterziehen dürfen. Neben den insoweit eindeutigen Erwägungsgründen hat der Verordnungsgesetzgeber in Art. 91 UAbs. 2 VO (EU) 2015/848 in Verbindung mit Anlage D zu der Verordnung klargestellt, welche Verordnungsvorschriften denjenigen der VO (EG) 1346/2000 entsprechen. Es besteht keinerlei Anhalt, dass die einander entsprechenden Vorschriften in Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1346/2000 und Art. 19 Abs. 1 VO (EU) 2015/848 nunmehr in einem abweichenden Sinne zu verstehen sein sollten.
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(3) Dies zugrunde gelegt, sind die Eröffnungsentscheidung des County Court of Ipswich 3. Juli 2013, an deren Wirksamkeit keinerlei Zweifel bestehen, und die ihr nachfolgenden Insolvenzentscheidungen im Inland anzuerkennen. Eine Überprüfung der Eröffnungsentscheidung im Hinblick auf die von dem County Court angenommene internationale Zuständigkeit kommt indessen nicht in Betracht. Es ist dem Gericht versagt, die von dem ausländischen Gericht getroffene Entscheidung einer erneuten Rechtmäßigkeitsprüfung zu unterziehen. Dies liefe dem Instrument der Anerkennung entgegen und ließe sich mit dem erklärten Regelungsziel der VO (EU) 2015/848, Nichtanerkennungen auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken, nicht vereinbaren. Die insoweit vom Landgericht C-Stadt in dem vom Beklagten angeführten Urteil vom 3. Juni 2015 (- 1 S 129/14 -) vertretene - anderslautende - Auffassung und die dort angelegten Maßstäben dürfte sich vor diesem Hintergrund als überholt erweisen.
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Ob von dem Grundsatz, dass die internationale Zuständigkeit des ausländischen Gericht nach Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 in Verbindung mit Art. 3 VO (EU) 2015/848 nicht durch das nationale Gericht zu prüfen ist, eine Ausnahme für den Fall des sich offensichtlich aufdrängenden Mangels in der internationalen Zuständigkeit zuzulassen ist, muss hier nicht entschieden werden. Ein Fall sich offensichtlich aufdrängender Mangelhaftigkeit liegt hier nicht vor. Aus dem Vortrag des Beklagten, der Kläger sei auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Großbritannien noch regelmäßig in dem Haus seiner Ehefrau in C-Stadt gesehen worden und habe in Großbritannien wiederholt seinen Wohnsitz gewechselt, drängt sich die Fehlerhaftigkeit der vom County Court at Ipswich angenommene internationale Zuständigkeit nicht offensichtlich auf. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil der nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 VO (EU) 2015/848 maßgebliche Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen im Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu bestimmen ist [vgl. zu Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 1346/2000: EuGH, Urt. v. 17.01.2006 - C-1/04 -, juris Rn. 29], wozu der Beklagte nichts ausführt.
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(4) Der dem Kläger erteilten Restschuldbefreiung ist die Anerkennung schließlich nicht wegen Art. 33 VO (EU) 2015/848 zu versagen.
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Nach dieser Vorschrift kann sich jeder Mitgliedstaat weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist.
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Diese sogenannte ordre-public-Klausel kann nur in Ausnahmefällen einschlägig sein, da sie ein Hindernis für die Verwirklichung eines der grundlegenden Ziele der Verordnung bildet, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes durch effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu gewährleisten, vgl. zur VO (EG) 1346/2000 EuGH, Urt. v. 21.01.2010 - C-444/07 -, juris Rn. 34. Es muss sich bei dem mit der Anerkennung der ausländischen Entscheidung verbundenen Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (vgl. BGH a.a.O., Rn. 10). Ein Verstoß gegen den nationalen ordre-public liegt nicht schon dann vor, wenn das mitgliedstaatliche Gericht einen in seinem Zuständigkeitsbereich allein zur Erlangung der Restschuldbefreiung begründeten Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners anerkennt oder es - von Willkürentscheidungen abgesehen - fehlerhaft zur Annahme seiner internationalen Zuständigkeit gelangt ist (vgl. BGH a.a.O., Rn. 12 f.)
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Im hier zu entscheidenden Fall hat das Gericht keinen Anlass, der von dem Kläger erlangten Restschuldbefreiung die Anerkennung im Inland wegen eines Verstoßes gegen den nationalen ordre-public im Sinne von Art. 33 VO (EU) 2015/848 zu versagen. Den Darlegungen des Beklagten ist ein solcher Verstoß nicht zu entnehmen. Selbst wenn man den tatsächlichen Vortrag des Beklagten, der Kläger habe im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor dem County Court at Ipswich seinen Wohnsitz im Inland gehabt und in Großbritannien häufig seinen Wohnsitz gewechselt, für wahr hält, begründet er einen solchen Verstoß nicht. Zum einen ist damit noch nicht einmal gesagt, dass die Annahme des County Court at Ipswich, es sei nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 der damals noch geltenden VO (EG) 1346/2000 international zuständig, sich als rechtsfehlerhaft erweist. Der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ist, wie bereits dargelegt, in diesem Zusammenhang nicht relevant. Wenn der Kläger seinen Mittelpunkt des hauptsächlichen Interesses zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Großbritannien hatte, ist dies nicht entscheidend. Zum anderen folgt aus der bloßen rechtsfehlerhaften Bejahung der internationalen Zuständigkeit durch den County Court at Ipswich allenfalls die Rechtswidrigkeit der Entscheidung. Eine die Grenzen der Willkür überschreitende Entscheidung liegt damit noch nicht vor. Sinn und Zweck des ordre-public-Vorbehaltes ist es nicht, gewissermaßen durch die Hintertür, eine vom übrigen Verordnungsrecht ausgeschlossene inhaltliche Prüfung der Entscheidung des ausländischen Gerichts zu ermöglichen. Die Vorschrift dient einzig der - nur ausnahmsweise zulässigen - Korrektur von für das nationale Recht nicht hinnehmbaren außergewöhnlichen Rechtsverwerfungen.
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Der Einwand des Beklagten, die Eröffnungsentscheidung beruhe auf bewusst wahrheitswidrigen Angaben des Klägers, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Beklagte hat schon nicht konkret dargelegt, worin die bewusst wahrheitswidrigen Angaben des Klägers liegen sollen und dass dieser den County Court at Ipswich über seinen Mittelpunkt des hauptsächlichen Interesses getäuscht hat. Aus dem Vortrag, dass sich der Kläger im Zeitraum der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wiederholt im Haus seiner Frau in W. aufgehalten habe, folgt weder das eine noch das andere. Darüber hinaus ist der Einwand der durch Täuschung erlangten Eröffnungsentscheidung als solcher nicht geeignet, einen Verstoß gegen den nationalen ordre-public zu begründen. Denn die Erlangung einer Eröffnungsentscheidung infolge Täuschung des Gerichts muss - soweit möglich - durch Einlegung eines Rechtsbehelfs im Eröffnungsstaat geltend gemacht werden (vgl. m.w.N. BGH a.a.O., Rn. 20). Aus Sicht des Gerichts hat für den Beklagten dieser Weg auch offen gestanden, denn Art. 5 Abs. 1 VO (EU) 2015/848 gewährt dem Schuldner und dem Gläubiger die Möglichkeit, die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens vor Gericht aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anzufechten. Art. 5 Abs. 2 VO (EU) 2015/848 lässt darüber hinaus die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung aus anderen Gründen zu, wenn das nationale Recht (des Eröffnungsstaates) dies vorsieht. Art. 6 Abs. 1 VO (EU) 2015/848 weist die Zuständigkeit für solche Rechtsbehelfe den Gerichten des Mitgliedstaates der Verfahrenseröffnung zu. Sec. 282 (1) (a) Insolvency Act 1986 sieht indessen die Annullierung des Eröffnungsbeschlusses vor, wenn dieser aus Gründen, die bei dessen Erlass schon vorlagen, nicht hätte ergehen dürfen. Es wäre also Sache des Beklagten gewesen, sich - gegebenenfalls auch jetzt noch - unmittelbar gegen die Eröffnungsentscheidung zu wenden. Dass dem Beklagten hier die Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegen die Eröffnungsentscheidung in Großbritannien nicht möglich gewesen ist, behauptet dieser nicht einmal. Vielmehr hat er in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass ihm dieses Vorgehen durchaus bekannt gewesen sei, er wegen der damit verbundenen Kosten aber davon Abstand genommen habe.
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bb) Die danach im Inland anzuerkennende Restschuldbefreiung erfasst die Forderungen aus den Bescheiden vom 18. Juni 2012.
- 36
Die Wirkungen einer im Ausland erteilten Restschuldbefreiung bestimmen sich nicht nach §§ 286 ff. Insolvenzordnung (InsO), sondern ausschließlich nach dem Recht des Staates in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Nach Art. 20 Abs. 1 VO (EU) 2015/848 entfaltet die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 VO (EU) 2015/848 in jedem anderen Mitgliedstaat, ohne dass es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten bedürfte, die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt, sofern diese Verordnung nichts anderes bestimmt und solange in diesem anderen Mitgliedstaat kein Verfahren nach Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/848 eröffnet ist. Die Vorschrift erstreckt sich nicht nur auf die Eröffnungsentscheidung, sondern auf alle Entscheidungen im Zusammenhang mit diesem Hauptinsolvenzverfahren, vgl. zu Art. 17 Abs. 1 VO (EG) 1346/2000: EuGH, Urt. v. 21.01.2010 - C-444/07 -, juris Rn. 47.
- 37
Dass hier eine abweichende Verordnungsbestimmung gegeben ist oder im Inland ein Verfahren nach Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/848 eröffnet worden ist, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Die Rechtswirkungen, die die von dem Kläger erlangte Restschuldbefreiung im Inland entfaltet, bestimmen sich deshalb nach dem nationalen Recht Großbritanniens, also dem Insolvency Act 1986.
- 38
Das Gericht hat sich im Rahmen der Sachverhaltsermittlung, §§ 86 Abs. 1 Satz 1, 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 293 Zivilprozessordnung (ZPO), die Kenntnis des für seine Entscheidung maßgebenden ausländischen Rechts zu verschaffen. Es darf sich aber nicht darauf beschränken, den einschlägigen Gesetzestext zu ermitteln. Es muss auch dessen Anwendung in der ausländischen Rechtspraxis berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.03.1989 - 1 B 43/89 -, juris Rn. 6).
- 39
Das Gericht schöpft seine Erkenntnisse zu den Wirkungen der von dem Kläger unter dem Insolvency Act 1986 erlangten Restschuldbefreiung aus der auf Grund des Beschlusses vom 2. März 2017 eingeholten Rechtsauskunft des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht vom 13. Februar 2018. Danach bewirkt die ein Jahr nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (in der Regel) ohne richterliche Entscheidung eintretende Restschuldbefreiung nach sec. 281 (1) Insolvency Act 1986, dass der Schuldner von seinen Schulden befreit wird und nicht mehr persönlich haftet. Die Restschuldbefreiung entlastet den Schuldner nach sec. 382 (1) Insolvency Act 1986 von allen Schulden, die bei Beginn des Insolvenzverfahrens bestanden. Sec. 281 (4) Insolvency Act 1986 sieht eine Ausnahme von der Befreiungswirkung für sogenannte „fines“, also Geldstrafen, vor. Der Begriff wird in der britischen Rechtspraxis dahin verstanden, dass er Geldstrafen meint, die in einem strafgerichtlichen Verfahren Ergebnis einer Verurteilung sind. Ferner nimmt die Vorschrift Forderungen von der Entlastung aus, die auf einer „liability under a recognisance“ beruhen. Auch wenn der Begriff in der britischen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist, ist er nach der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur als Erklärung zu verstehen, mit der eine Verpflichtung vor einer amtlichen Stelle formell anerkannt und amtlich registriert wird. Sec. 281 (6) Insolvency Act 1986 nimmt von der Entlastungswirkung schließlich Forderungen aus, die auf Grund besonderer Rechtsvorschriften nicht im Insolvenzverfahren angemeldet werden dürfen („non-provable debts“).
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Nach diesen Maßgaben ist der Kläger von den gegen ihn mit den Bescheiden vom 18. Juni 2012 festgesetzten Abgabenforderungen durch die Erlangung der Restschuldbefreiung am 3. Juli 2013 befreit. Bei den Abgabenforderungen handelt es sich um Schulden des Klägers, denen er bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 3. Juli 2013 ausgesetzt gewesen ist. Die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Ausnahmen liegen hier nicht vor. Der Charakter der in Rede stehenden Schuld in dem Sinne, ob es sich etwas um eine Strafe oder ein Entgelt handelt, bestimmt sich nicht nach dem Insolvenzrecht, sondern nach dem die Schuld begründenden Fachrecht, sodass das einschlägige nationale Recht anzuwenden ist. § 26 Abs. 2 Satz 1 Brandschutz- und Hilfeleistungsgesetz (BrSchG M-V) a.F. (§ 25 Abs. 2 Satz 1 BrSchG M-V n.F.) gewährt dem Aufgabenträger in den dort und in Satz 2 der Norm genannten Fällen einen Aufwendungserstattungsanspruch für die tatsächlich angefallenen Kosten eines konkreten Feuerwehreinsatzes beziehungsweise ist auf den Ausgleich der durch den einzelnen Einsatz der Feuerwehr verursachten Kosten beschränkt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 30.11.2011 - 1 L 93/08 -, juris Rn. 35). An dem Charakter als Aufwendungserstattungsanspruch ändert es entgegen der Auffassung des Beklagten nichts, dass eine Heranziehung die grob fahrlässige Brandverursachung oder die Verantwortlichkeit als Betreiber einer technischen oder baulichen Anlage mit besonderem Gefahrenpotential voraussetze. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen wandeln den Aufwendungserstattungsanspruch nicht in eine Strafe, die ohnehin noch immer nicht Ergebnis einer Verurteilung in einem Strafverfahren wäre, wie es sec. 281 (4) Insolvency Act 1984 voraussetzt, sondern stellen lediglich die Ausnahme zu der nach § 26 Abs. 1 BrSchG M-V a.F. (§ 25 Abs. 1 BrSchG M-V n.F.) geltenden Regel, dass Brandschutz und die Technische Hilfeleistung als Aufgaben der Gemeinde (§ 2 Abs. 1 Satz 1 BrSchG M-V) unentgeltlich sind, dar. Bei den festgesetzten Gebühren und Auslagen handelt es sich deshalb nicht um eine „fine“ im Sinne von sec. 281 (4) Insolvency Act 1986. Sie beruhen zudem nicht auf einer Verpflichtungserklärung des Schuldners gegenüber einer amtlichen Stelle, sondern sind durch Abgabenbescheid, also Verwaltungsakt, festzusetzen, § 12 Abs. 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO, und festgesetzt. Sie sind daher nicht als „reliability under a recognisance“ von der Befreiungswirkung ausgeschossen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die streitigen Forderungen auf Grund einer Rechtsvorschrift von der Anmeldung zum Insolvenzverfahren ausgeschlossen sind. Anhaltspunkte dafür, dass die Abgabenforderungen wegen eines Zusammenhangs mit einem Betrug von den Wirkungen der Restschuldbefreiung ausgeschlossen sein sollen, sec. 281 (3) Insolvency Act 1986, ergeben sich, anders als der Beklagte meint, für das Gericht nicht.
II.
- 41
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 709 Satz 1 und 2 ZPO. Gründe, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.
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Annotations
(1) Einwendungen, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, sind von dem Schuldner im Wege der Klage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges geltend zu machen.
(2) Sie sind nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können.
(3) Der Schuldner muss in der von ihm zu erhebenden Klage alle Einwendungen geltend machen, die er zur Zeit der Erhebung der Klage geltend zu machen imstande war.
(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
(1) Die Vollstreckung ist einzustellen oder zu beschränken, sobald
- 1.
die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 weggefallen sind, - 2.
der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wird, - 3.
der Anspruch auf die Leistung erloschen ist, - 4.
die Leistung gestundet worden ist.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 sind bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben. Ist der Verwaltungsakt durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben worden, so gilt dies nur, soweit die Entscheidung unanfechtbar geworden ist und nicht auf Grund der Entscheidung ein neuer Verwaltungsakt zu erlassen ist. Im Übrigen bleiben die Vollstreckungsmaßnahmen bestehen, soweit nicht ihre Aufhebung ausdrücklich angeordnet worden ist.
(1) Verwaltungsakte können vollstreckt werden, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt oder die Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist (§ 361; § 69 der Finanzgerichtsordnung). Einfuhr- und Ausfuhrabgabenbescheide können außerdem nur vollstreckt werden, soweit die Verpflichtung des Zollschuldners zur Abgabenentrichtung nicht ausgesetzt ist (Artikel 108 Absatz 3 des Zollkodex der Union).
(2) Unberührt bleiben die Vorschriften der Insolvenzordnung sowie § 79 Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Die Finanzbehörde ist berechtigt, in den Fällen des § 201 Abs. 2, §§ 257 und 308 Abs. 1 der Insolvenzordnung sowie des § 71 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes gegen den Schuldner im Verwaltungswege zu vollstrecken.
(3) Macht die Finanzbehörde im Insolvenzverfahren einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis als Insolvenzforderung geltend, so stellt sie erforderlichenfalls die Insolvenzforderung durch schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt fest.
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.
(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.
(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.
Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind. Bei Ermittlung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen.
(1) Die Steuern werden, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, von der Finanzbehörde durch Steuerbescheid festgesetzt. Steuerbescheid ist der nach § 122 Abs. 1 bekannt gegebene Verwaltungsakt. Dies gilt auch für die volle oder teilweise Freistellung von einer Steuer und für die Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung.
(2) Ein Steuerbescheid kann erteilt werden, auch wenn ein Grundlagenbescheid noch nicht erlassen wurde.
(3) Schulden mehrere Steuerpflichtige eine Steuer als Gesamtschuldner, so können gegen sie zusammengefasste Steuerbescheide ergehen. Mit zusammengefassten Steuerbescheiden können Verwaltungsakte über steuerliche Nebenleistungen oder sonstige Ansprüche, auf die dieses Gesetz anzuwenden ist, gegen einen oder mehrere der Steuerpflichtigen verbunden werden. Das gilt auch dann, wenn festgesetzte Steuern, steuerliche Nebenleistungen oder sonstige Ansprüche nach dem zwischen den Steuerpflichtigen bestehenden Rechtsverhältnis nicht von allen Beteiligten zu tragen sind.
(4) Die Finanzbehörden können Steuerfestsetzungen sowie Anrechnungen von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Informationen und der Angaben des Steuerpflichtigen ausschließlich automationsgestützt vornehmen, berichtigen, zurücknehmen, widerrufen, aufheben oder ändern, soweit kein Anlass dazu besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten. Das gilt auch
- 1.
für den Erlass, die Berichtigung, die Rücknahme, den Widerruf, die Aufhebung und die Änderung von mit den Steuerfestsetzungen sowie Anrechnungen von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen verbundenen Verwaltungsakten sowie, - 2.
wenn die Steuerfestsetzungen sowie Anrechnungen von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen mit Nebenbestimmungen nach § 120 versehen oder verbunden werden, soweit dies durch eine Verwaltungsanweisung des Bundesministeriums der Finanzen oder der obersten Landesfinanzbehörden allgemein angeordnet ist.
(5) Die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften sind auf die Festsetzung einer Steuervergütung sinngemäß anzuwenden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.
(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.
(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.
(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.
(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.