Verwaltungsgericht Greifswald Urteil, 19. Jan. 2016 - 2 A 1152/15 HGW
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 100 v. H. der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Beschluss der Beklagten, durch den sein Einspruch gegen die Gültigkeit der Stichwahl für das Amt des Oberbürgermeisters der Universitäts- und Hansestadt Greifswald vom 10. Mai 2015 zurückgewiesen wurde.
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Bei dieser Wahl, zu der der Kläger und der Beigeladene zugelassen waren, entfielen von 16.325 gültigen Stimmen 8.155 auf den Kläger und 8.170 auf den Beigeladenen.
- 3
Die als Zugang zu dem Wahllokal des Wahlbezirkes 093 („Betreutes Wohnen“) ausgeschilderte Tür war während der Wahlzeit für eine Dauer, die zwischen den Beteiligten streitig ist, verschlossen, weil die Fußmatte, die zu einer Keilform zusammengeklappt und unter diese Tür geschoben worden war, beiseite geschoben oder verrutscht war. Die Fußmatte wurde nicht von einem Mitglied des Wahlvorstandes entfernt. Dessen Mitglieder haben die Tür umgehend wieder geöffnet, nachdem sie davon Kenntnis erlangt haben, dass die Tür verschlossen war.
- 4
Nachdem das endgültige Wahlergebnis am 13. Mai 2015 bekannt gemacht worden war, legte der Kläger am 26. Mai 2015 Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl ein. Diesen Einspruch wies die Beklagte mit Beschluss vom 28. September 2015 zurück. Der entsprechende Bescheid vom 05. Oktober 2015 wurde dem Kläger am 07. Oktober 2015 zugestellt.
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Der Kläger hat am 03. November 2015 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die ausgeschilderte Eingangstür zum Wahllokal 093 könne am Wahltag bis zu 90 Minuten verschlossen gewesen sei. Die sich daneben befindliche Klingel sei am Wahltag nicht als solche für das Wahllokal gesondert ausgezeichnet gewesen.
- 6
Dieser Vorfall stelle eine Unregelmäßigkeit bei der Wahlhandlung im Sinne von § 40 Abs. 2 LKWG M-V dar, die zur Anfechtung der Wahl berechtige. Der Zugang zu einem Wahllokal sichere rechtlich die beiden Wahlrechtsgrundsätze „Allgemeinheit“ und „Öffentlichkeit“ der Wahl. Die fehlende Möglichkeit des Zugangs zum Wahllokal halte die Wahlberechtigten von der Möglichkeit zur Stimmabgabe ab und nehme ihnen die Chance, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.
- 7
Dem stehe nicht entgegen, dass das Wahllokal 093 über weitere Zugangsmöglichkeiten verfüge und einige Wahlberechtigte auch über die Terrassentür Zugang zum Wahllokal gefunden hätten. Anders als der zweitweise verschlossene Zugang seien die anderen Zugangsmöglichkeiten nicht ausgewiesen gewesen. Bei einem verschlossenen Zugang könne von einem Wähler nicht erwartet werden, dass dieser im Einzelnen prüfe, ob sich gegebenenfalls weitere Zugangsmöglichkeiten zum Wahllokal ergeben könnten. Die Terrassentüren hätten vom Eingang nicht eingesehen werden können. Eine besondere Ortskenntnis könne bei dem Wähler nicht vorausgesetzt werden.
- 8
Der Wahlfehler sei erheblich im Sinne von § 40 Abs. 2 Satz 1 LKWG M-V. Insoweit sei insbesondere bei einem knappen Ausgang der Wahl eine umfassende Prüfung geboten und ein strenger Maßstab anzulegen. Hier erscheine bei lebensnaher Betrachtung eine Beeinflussung des Wahlergebnisses jedenfalls möglich, was ausreichend sei, da insgesamt fünfzehn Wähler an der Stimmabgabe gehindert gewesen sein könnten.
- 9
Die damit erforderliche Wiederholungswahl sei nach § 40 Abs. 2 Satz 2 LKWG M-V örtlich zu begrenzen.
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Der Kläger beantragt,
- 11
1. die Beklagte unter Aufhebung des den Beschluss der Beklagten bekanntgebenden Bescheides vom 05. Oktober 2015 über die Gültigkeit der Wahl des Oberbürgermeisters der Universitäts- und Hansestadt Greifswald zu verpflichten, die Wahl zum Oberbürgermeister der Universitäts- und Hansestadt Greifswald vom 26. April 2015 / 10. Mai 2015 für ungültig zu erklären und anzuordnen, dass die Urnenwahl im Wahlbezirk 093 zu wiederholen ist,
- 12
2. hilfsweise,
- 13
die Beklagte unter Aufhebung des den Beschluss der Beklagten bekanntgebenden Bescheides vom 05. Oktober 2015 über die Gültigkeit der Wahl des Oberbürgermeisters der Universitäts- und Hansestadt Greifswald zu verpflichten, die Wahl zum Oberbürgermeister der Universitäts- und Hansestadt Greifswald vom 26. April 2015 / 10. Mai 2015 für ungültig zu erklären und anzuordnen, dass die Wahl im Wahlgebiet zu wiederholen ist,
- 14
3. hilfsweise,
- 15
festzustellen, dass die Wahl zum Oberbürgermeister der Universitäts- und Hansestadt Greifswald ungültig war und anzuordnen, dass die Urnenwahl im Wahlbezirk 093 zu wiederholen ist,
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4. hilfsweise,
- 17
festzustellen, dass die Wahl zum Oberbürgermeister der Universitäts- und Hansestadt Greifswald ungültig war und sogleich anzuordnen, dass die Wahl im Wahlgebiet zu wiederholen ist.
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Die Beklagte beantragt,
- 19
die Klage abzuweisen.
- 20
Sie meint, die Klage sei unbegründet, denn es seien keine Unregelmäßigkeiten vorgekommen, die das Wahlergebnis beeinflusst haben könnten. Die Tür zum Wahlraum sei maximal in der Zeit von 11:00 Uhr bis 12:30 Uhr geschlossen gewesen. Es spräche jedoch alles für eine deutlich kürzere Dauer, insbesondere dass Mitglieder des Wahlvorstandes ausgesagt hätten, dass kein Leerlauf zu verzeichnen gewesen sei.
- 21
Es sei zwar einzuräumen, dass im Hinblick auf den Umstand, dass der Nebeneingang zu dem Gebäude Ernst-Thälmann-Ring 25, der als Eingang zum Wahlraum des Wahlbezirkes 93 gekennzeichnet gewesen sei, während der Wahlzeit zeitweise geschlossen gewesen sei, eine Unregelmäßigkeit vorgekommen sei. Allerdings sei dadurch der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nicht verletzt worden. Insofern gelte für die vorübergehende Schließung eines Wahlraumes dasselbe wie für eine verspätete Öffnung des Wahlraumes. Dass die Tür verschlossen vorgefunden werde, könne sinnvollerweise nur auf ein Versehen zurückgeführt werden. Dann liege es aber nahe, entweder auf eine Abstellung dieses Zustandes hinzuwirken und durch Klopfen oder Klingeln oder durch das Suchen eines anderen Eingangs Zugangseinlass zu begehren oder später noch einmal einen Versuch zu unternehmen. Letztlich komme es darauf aber nicht an, denn selbst wenn einige Wähler keinen zweiten Wahlversuch unternommen hätten, wären sie insofern nicht von der Wahl ausgeschlossen worden.
- 22
Dass der Umstand, dass die ausgeschilderte Tür zum Wahlraum zeitweise verschlossen gewesen sei, den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl (§ 27 Satz 1 LKWG MV) beeinträchtige, möge unterstellt werden. Jedenfalls wäre ein Mangel der Öffentlichkeit der Wahl aber nicht erheblich. Selbst in den Fällen der Ergebnisrelevanz eines Wahlfehlers gelte das Gebot des geringsten möglichen Eingriffs.
- 23
Es könne nicht angenommen werden, dass sich durch die verschlossene Tür eine solche Zahl von Wählern von der Wahlhandlung habe abhalten lassen, dass in dem Wahlbezirk 93 zusätzlich zum festgestellten Ergebnis weitere 15 Stimmen mehr für den Kläger als für den Beigeladenen abgegeben worden wären.
- 24
Soweit die Klage nicht der Abweisung unterliege, müsste sich eine etwaige Wiederholungswahl, was hilfsweise vorgetragen sei, auf das gesamte Wahlgebiet erstrecken. Die Klage sei daher jedenfalls mit ihrem Hauptantrag unbegründet. Der Wahlfehler hätte sich ausschließlich im Wahlbezirk 93 ereignet. Es wäre jedoch ein erneuter Wahlfehler und ein Verstoß gegen die auch hier geltenden verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze, wenn deshalb die Wiederholungswahl auf den Wahlbezirk 93 begrenzt würde. Insofern bedürfe § 40 Abs. 2 Satz 2 LKWG M-V einer verfassungskonformen und zugleich teleologischen Auslegung.
- 25
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er trägt vor, die ausgeschilderte Eingangstür zum Wahlbüro des Wahlkreises sei jeweils über die kurze Zeitspanne hinweg geschlossen gewesen, in der Herr K. und Frau Pastorin L. durch die Nebeneingangstür das Wahllokal hätten betreten wollen, also zweimal ein bis 2 Minuten. Wie lange die Tür vorher oder danach verschlossen gewesen sei, sei nicht aufklärbar. Die Tür könne zweimal 2 Minuten verschlossen gewesen sein oder auch zweimal 20 oder 30 Minuten. Anders als dies der Kläger meine, stehe es nicht fest, dass die Tür mindestens 45 Minuten verschlossen gewesen sei. Vielmehr sprächen die weiteren Umstände sogar dagegen, dass die Tür länger als nur wenige Minuten verschlossen gewesen sei.
- 26
Selbst wenn man von einem längeren Zeitraum im Sinne des Klagebegehrens ausgehen würde, ließe sich eine potentielle Kausalität nicht annehmen. Dafür müsste die konkrete Möglichkeit der Beeinflussung des Wahlergebnisses gegeben sein. Irgendwelche zusammenkonstruierten und nur theoretisch nicht auszuschließenden möglichen Kausalverläufe seien irrelevant. Das Verhalten der Wähler K., L. und der weiteren Person, die den Wahlvorstand am Vormittag auf die verschlossene Tür aufmerksam gemacht hätten, zeige, dass die Wähler trotz verschlossener Tür in der Lage gewesen seien, ihre Stimme abzugeben, entweder durch das nicht sehr schwierige Auffinden einer anderen Eingangstür oder dadurch, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt erneut das Wahllokal aufgesucht hätten. Nach Aussage des Wahlvorstandes sei kein „Abbruch“ des Wahlvorgangs zu verzeichnen gewesen. Niemand habe geklopft oder geklingelt, niemand sich beschwert oder bei der Polizei oder der Stadt angerufen. Nichts spreche dafür, dass irgendjemand nicht in der Lage gewesen sei, seine Stimme abzugeben. Trotz der medialen Aufmerksamkeit, die der Fall gefunden habe und trotz der langen Zeit, die sich die Prüfung der Wahl mittlerweile hinziehe, sei es der Klägerseite nicht gelungen, auch nur eine einzige Person ausfindig zu machen, die bestätigt hätte, dass sie sich im Ergebnis an der Stimmabgabe durch die verschlossene Nebeneingangstür gehindert gesehen hätte.
- 27
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akte dieses Verfahrens und den Verwaltungsvorgang der Beklagten (ein Ordner und ein Hefter) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist bereits mit dem Hauptantrag zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
- 29
Der Beschluss der Beklagten vom 28. September 2015, mit dem der Einspruch des Klägers zurückgewiesen wurde, ist rechtmäßig.
- 30
Nach § 40 Abs. 5 des Gesetzes über die Wahlen im Land Mecklenburg-Vorpommern [LKWG M-V] ist der Einspruch zurückzuweisen, wenn keiner der unter Absatz 1 bis 4 genannten Fälle vorliegt. Es liegt hier keiner der in § 40 Abs. 1 bis 4 genannten Fälle vor. Das gilt auch für § 40 Abs. 2 LKWG M-V, auf den sich der Kläger beruft.
- 31
Eine Wahlanfechtung hat danach Erfolg, wenn bei der Vorbereitung der Wahl oder bei der Wahlhandlung Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, die das Wahlergebnis oder die Verteilung der Sitze aus den Wahlvorschlägen im Einzelfall beeinflusst haben können. Unter diesen Voraussetzungen ist festzustellen, dass die Wahl zu wiederholen ist (§ 40 Abs. 2 Satz 1 LKWG M-V). Wenn sich die Unregelmäßigkeiten nur auf einzelne Wahlbezirke erstrecken, ist diese Feststellung nur für diese Wahlbezirke und wenn sich die Unregelmäßigkeiten auf mehr als die Hälfte der Wahlbezirke eines Wahlkreises oder Wahlbereichs erstrecken, ist sie für diesen Wahlkreis oder Wahlbereich zu treffen (§ 40 Abs. 2 Satz 2 LKWG M-V).
- 32
Es steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass bei der Stichwahl für das Amt des Oberbürgermeisters der Universitäts- und Hansestadt Greifswald vom 10. Mai 2015 keine Unregelmäßigkeit bei der Vorbereitung der Wahl oder bei der Wahlhandlung vorgekommen ist.
- 33
Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung der Wahl oder bei der Wahlhandlung sind alle Verstöße gegen Vorschriften des LKWG M-V einschließlich der allgemeinen Wahlgrundsätze nach § 2 Abs. 1 LKWG M-V sowie gegen solche der Verordnung zum Wahlrecht und zu den Kosten der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern [LKWO M-V] (Glaser in: Schröder u.a., Kommunalverfassungsrecht Mecklenburg-Vorpommern, § 40 LKWG M-V [Stand: 02/2014]; ders., Landes- und Kommunalwahlrecht Mecklenburg-Vorpommern, 4. Aufl., 2014, § 40).
- 34
Mit einer Unregelmäßigkeit ist also ein Rechtsverstoß gemeint, worunter die Verletzung des Schutzbereichs einer Norm durch den Adressaten zu verstehen ist. Dies setzt voraus, dass die (genannten) Vorschriften des Wahlrechts nicht nur berührt sind, sondern ein bestimmter als rechtswidrig wahrgenommener Zustand dem Adressaten der Vorschrift zugerechnet werden kann. Da sich die Vorschriften des Wahlrechts an die Wahlorgane im Sinne von § 7 LKWG M-V richten, die sie zu befolgen haben, liegt ein Verstoß gegen eine Vorschrift des LKWG M-V oder der LKWO M-V vor, wenn die davon betroffenen Wahlorgane die konkrete Bestimmung nicht eingehalten haben, diese also entweder selbst gebrochen haben oder sich deren Beeinträchtigung durch Dritte zurechnen lassen müssen, etwa weil sie gegen die von Dritten ausgehenden Behinderungen nicht unverzüglich vorgehen.
- 35
Im vorliegenden Fall kommt ein Verstoß gegen § 27 Satz 1 LKWG M-V in Betracht, wonach die Wahlhandlung und die Feststellung des Wahlergebnisses öffentlich sind.Die Öffentlichkeit besteht damit zunächst für die Wahlzeit, die regelmäßig von 8 bis 18 Uhr dauert (§ 3 Abs. 1 Satz 2 LKWG M-V), und darüber hinaus bis zur Feststellung des Wahlergebnisses.
- 36
Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahlhandlung besagt, dass jedermann Zutritt zum Wahlraum hat, um dort zu wählen und/oder die Ordnungsmäßigkeit des Hergangs der Abstimmung zu beobachten. Er gehört zu den Grunderfordernissen sowie zum Selbstverständnis einer parlamentarischen Demokratie. In einem freiheitlichen Rechtsstaat müssen Wahlen stets „vor den Augen der Öffentlichkeit“ stattfinden. Zugleich gehört er zu den wichtigsten Sicherungen der Wahlrechtsgrundsätze nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz [GG], Art. 3 Abs. 3 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern [Verf M-V] und § 2 Abs. 1 LKWG M-V und schützt demokratische Wahlen gegen Manipulationen und Fälschungen. Erst durch öffentlichen Vollzug kann die von Freiheit und Gleichheit bestimmte demokratische Wahl die Bürger in ihren Staat integrieren. Das Öffentlichkeitsprinzip ist, indem es der Kontrollierbarkeit der Wahlhandlung dient, schlechthin die Grundvoraussetzung für das Vertrauen der Bürger in die Richtigkeit des festgestellten Wahlergebnisses. Das Gebot der Öffentlichkeit setzt nur aus, wenn und so lange der Wähler die eigentliche Wahl in der Wahlkabine vornimmt. Dort gilt das Wahlgeheimnis. Die Wahlvorstände müssen deshalb mit besonderer Sorgfalt darauf achten, dass der Zutritt zum Wahlraum jederzeit für jedermann möglich ist (Hahlen in: Schreiber: BWahlG, 9. Aufl., 2013, § 31, Rz. 4).
- 37
Ein Verstoß gegen die Öffentlichkeit der Wahl nach § 27 LKWG M-V liegt also vor, wenn die Wahlorgane den freien Zugang zum Wahllokal behindern. Anders ist es bei einem Fehlverhalten Dritter, wenn etwa eine Zugangstür aus welchen Motiven auch immer vorübergehend versperrt wird, z. B. mit Hilfe eines Fahrradschlosses oder dergleichen. Dies ist dem Wahlvorstand im Sinne eines Verstoßes gegen § 27 LKWG nur zuzurechnen, wenn er nicht unverzüglich dagegen vorgeht.
- 38
Im vorliegenden Fall haben es die Beteiligten unstreitig gestellt, dass die Mitglieder des Wahlvorstandes die besagte Fußmatte einerseits nicht selbst entfernt haben und andererseits die Öffentlichkeit umgehend wiederhergestellt haben, als sie davon Kenntnis erlangt haben, dass die Tür verschlossen war. Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass dies der Wahrheit entspricht. Damit fehlt es an einem Fehlverhalten. Es ist nicht gegen § 27 LKWG M-V verstoßen worden.
- 39
Es spricht für die Richtigkeit des Verständnisses der Unregelmäßigkeit als Rechtsverstoß und damit der Forderung nach einem zurechenbaren Fehlverhalten der Wahlorgane, dass es für den Bereich der ebenfalls gesetzlich vorgeschriebenen Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen (vgl. § 169 Gerichtsverfassungsgesetz [GVG]) anerkannt ist, dass diese auch dann gewahrt ist, wenn ein Gerichtsgebäude zeitweise versehentlich verschlossen war, Zuhörer sich aber etwa mit Hilfe einer Klingel Einlass verschaffen konnten (BGH, Beschl. v. 28.09.2011 – 5 StR 245/11 – juris; BVerwG, Beschl. v. 23.11. 1989 – 6 C 29/88 – juris; Beschl. v. 25.06.1998 – 7 B 120/98 – juris; Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., 2014, § 138, Rz. 204). Der Grundsatz der Öffentlichkeit besitzt hier wie dort das gleiche Gewicht. Während er bei Wahlen Bestandteil des Demokratieprinzips ist, gehört er bei Gerichtsentscheidungen zum Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.09.2015 – 1 BvR 857/15).
- 40
Legt man diesen Maßstab an, ist auch deshalb keine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes zu konstatieren, weil eine Zutrittsmöglichkeit zum Wahlraum gegeben war.
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Jeder konnte entweder die vorhandene Klingel bedienen oder um das Gebäude herum gehen, um so entweder durch die Terrassentür Einlass zu finden oder auf die verschlossene Tür aufmerksam zu machen, um dann über die ausgeschilderte Tür zum Wahlraum zu gelangen.
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Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass eine besondere Ortskenntnis bei dem Wähler nicht vorausgesetzt werden könne. Das Gleiche gilt für die Öffentlichkeit. Die war aber auch nicht Voraussetzung. Es bedurfte keiner Kenntnis von der Terrassentür. Diese konnte sich jeder vielmehr mühelos verschaffen. Da bei der Stichwahl am 10. Mai 2015 die Ausschilderung für das Wahllokal 093 an dem als Zugang zu dem Wahllokal bestimmten Nebeneingang des Gebäudes vorhanden war, konnte bei niemandem also ein Zweifel daran aufkommen, vor dem Wahllokal zu stehen.
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Auch für den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nach § 2 Abs. 1 LKWG M-V gilt, dass er nur von den Wahlorganen verletzt werden kann, die ihn zu beachten haben.
- 44
Er soll den Ausschluss bestimmter Teile der Bevölkerung - auch Einzelner - vom aktiven und passiven Wahlrecht verhindern (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2015 – 10 C 11/14 – juris) und gewährleistet so, dass die demokratische Legitimation der Staatsgewalt auf einem möglichst breitem Fundament beruht. Das Wahlrecht darf niemand unberechtigt versagt werden. Alle Wahlberechtigten müssen, wenn sie es wollen, ihr Wahlrecht ausüben können (Strelen in: Schreiber: BWahlG, 9. Aufl., 2013, § 1, Rz. 9).
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Auch insofern gilt, dass von einem „Versagen der Teilnahme“ und damit einer Unregelmäßigkeit bei der Wahlhandlung erst gesprochen werden kann, wenn die Wahlorgane die Teilnahme an der Wahl behindern oder gegen die Behinderungen, die von Dritten ausgehen, nicht unverzüglich vorgehen. Ebenso wie beispielsweise „Blitzeis“ am Wahltag oder ähnliche Ereignisse eine Wahl nicht ungültig machen, obwohl es Wähler von der Teilnahme an der Wahl abhalten mag, gilt dies für das Fehlverhalten Dritter.
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Hier fehlt es, wie oben ausgeführt, an einem Fehlverhalten des Wahlvorstandes. Es ist nicht gegen § 2 Abs. 1 LKWG M-V verstoßen worden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Es entspricht nicht der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO), dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, denn dieser hat keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt (§ 154 Abs. 3 VwGO).
- 49
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 Zivilprozessordnung [ZPO].
- 50
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen vor (§ 124 VwGO). Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.
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Annotations
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.