Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 27. Okt. 2016 - 6z L 2129/16
Gericht
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet. Die Antragstellerin hat nicht gemäß § 123 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht, dass ihr ein Anspruch auf Zuteilung des begehrten Studienplatzes im Studiengang Humanmedizin nach den für das Wintersemester 2016/2017 maßgeblichen Regeln und tatsächlichen Verhältnissen zusteht.
3Studienplätze im Studiengang Humanmedizin werden gemäß § 1 Satz 2 Vergabeverordnung (VergabeVO) i. V. m. ihrer Anlage 1 in einem zentralen Vergabeverfahren nach Maßgabe der §§ 6 ff. VergabeVO vergeben.
4In der Abiturbestenquote hat die Antragstellerin sich nicht beworben. In der Wartezeitquote erfüllt die Antragstellerin mit einer Wartezeit von acht Semestern nicht die für sie maßgebliche Auswahlgrenze. Für die Auswahl nach Wartezeit (§ 14 VergabeVO) waren zum Wintersemester 2016/2017 mindestens 14 Halbjahre erforderlich.
5Den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung eines Nachteilsausgleichs in Form der Verbesserung der Wartezeit „F“ hat die Antragsgegnerin zu Recht abgelehnt. Nach § 14 Abs. 3 VergabeVO wird, wer nachweist, aus in der eigenen Person liegenden, nicht selbst zu vertretenden Gründen daran gehindert gewesen zu sein, die Hochschulzugangsberechtigung zu einem früheren Zeitpunkt zu erwerben, auf Antrag bei der Ermittlung der Wartezeit mit dem früheren Zeitpunkt des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung berücksichtigt. Da die Antragstellerin bereits 2007, und damit mehrere Jahre vor der Aufnahme ihres Studiums der Theaterwissenschaft und Rechtswissenschaften an der M. -N. -Universität München, ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben hat, ist der Tatbestand von § 14 Abs. 3 VergabeVO erkennbar nicht erfüllt.
6Eine analoge Anwendung des § 14 Abs. 3 VergabeVO auf den vorliegenden Sachverhalt scheidet aus. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Fallkonstellation des vorliegenden Verfahrens, in dem es um die Anerkennung von Wartezeiten nach dem Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung geht, in denen ein Bewerber an einer Universität eingeschrieben war, wird in § 14 Abs. 6 VergabeVO abschließend geregelt. Danach ist von der Gesamtzahl der Halbjahre seit Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung die Zahl der Halbjahre abzuziehen, in denen die Bewerberin an einer deutschen Hochschule als Studentin eingeschrieben war.
7Die Antragstellerin beruft sich darauf, dass die versagte Anerkennung der Studienzeiten, in denen die sie an einer staatlichen Hochschule zwar eingeschrieben aber wegen Mutterschutz und Erziehungszeiten beurlaubt war, als Wartehalbjahre gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Die Praxis benachteilige sie als studierende Mutter gegenüber Studentinnen ohne Kinder und Studenten. Diese könnten sich jederzeit exmatrikulieren und so entsprechende Wartezeit ansammeln. Das könne sie als studierende Mutter aus vielfältigen Gründen nicht.
8Die begehrte Anerkennung der Studienzeiten von neun Halbjahren als Wartezeit kommt aber auch weder im Wege der teleologischen Reduktion noch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 14 Abs. 6 VergabeVO in Betracht.
9Voraussetzung einer teleologischen Reduktion ist unter anderem, dass die Anwendung einer Norm auf einen bestimmten Sachverhalt, der eigentlich vom Tatbestand der Norm erfasst wird, nicht mit dem Sinn und Zweck der Norm vereinbar ist, sondern diesem zuwiderliefe. Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer Auslegung des Gesetzes unter Würdigung der Regelungsabsicht und des mit ihr verfolgten Zwecks zu beurteilen.
10Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8. Juni 2015 – 12 A 2590/12 –, www.nrwe.de, mit weiteren Nachweisen.
11Vorliegend widerspricht die Anwendung des § 14 Abs. 6 VergabeVO auf den vorliegenden Fall jedoch nicht dessen Sinn und Zweck, sodass kein Raum für eine teleologische Reduktion bleibt. Sinn und Zweck des § 14 Abs. 6 VergabeVO ist es, zu verhindern, dass die in den medizinischen Studiengängen bestehenden Kapazitätsengpässe auf andere Studiengänge verlagert werden und sich dadurch die Studiensituation insgesamt verschlechtert. Letztlich soll die Bestimmung dazu beitragen, dass möglichst viele Personen ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG auf freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte auch im Hochschulbereich verwirklichen können. Ist ein Bewerber bereits an einer Hochschule eingeschrieben, soll diese Zeit nicht noch im Hinblick auf eine mögliche künftige Bewerbung um einen Studienplatz in einem medizinischen Studiengang als Wartezeit angerechnet werden. Denn aufgrund seiner Einschreibung ist die jeweilige Universität verpflichtet, Lehr- und sonstige Studienkapazitäten für den betreffenden Bewerber vorzuhalten – unabhängig davon, ob er diese tatsächlich in Anspruch nimmt oder nicht. Gleichzeitig steht dieser Studienplatz einem anderen Bewerber oder Studenten nicht zur Verfügung, da er für den eingeschriebenen Studenten freigehalten wird. Dies gilt im Übrigen für zulassungsbeschränkte Studiengänge ebenso wie für nicht zulassungsbeschränkte Studiengänge. Auch bei letzteren werden Studienplätze von den Universitäten nur im Rahmen der dort vorhandenen Kapazitäten zur Verfügung gestellt. Dabei hat der Verordnungsgeber in § 14 Abs. 6 VergabeVO allein auf die Tatsache der Einschreibung abgestellt, die Motive und Beweggründe des Eingeschriebenen für seine Einschreibung sind – ebenso wie die Motive und Beweggründe dafür, sich nicht zu exmatrikulieren – unerheblich. Diese gesetzgeberische Wertung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
12Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 27. September 2016 - 6z K 1430/16 - .
13Aber auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 14 Abs. 6 VergabeVO, dahingehend, Urlaubssemester von Müttern in deren zunächst gewähltem Studiengang zugleich als Wartesemester für einen medizinischen Studiengang anzuerkennen, kommt nicht in Betracht. Die Argumentation der Antragstellerin, sie werde durch die Nichtanerkennung der Urlaubssemester als Wartesemester benachteiligt, überzeugt das Gericht nicht. Eine Beurlaubung an einer staatlichen Hochschule ist regelmäßig nur bei Vorliegen wichtiger Gründe möglich. Mutterschutz und Elternzeit zählen zu diesen wichtigen Gründen, die eine Beurlaubung unter Beibehaltung aller Vorteile eines Studentenstatus, aber unter Befreiung der Verpflichtung zur Erbringung von Prüfungsleistungen, ermöglichen. Damit werden die Nachteile und Verzögerungen, die eine Mutter bzw. Eltern durch die Geburt und/oder Beaufsichtigung von Kindern im Rahmen ihrer universitären Ausbildung erleiden, ausgeglichen. Wenn die Antragstellerin nunmehr meint, die neun Semester müssten zusätzlich zu dem bereits gewährten Ausgleich für Mutterschutz und Elternzeit noch als Wartesemester angerechnet werden, begehrt sie damit eine grundrechtlich nicht gebotene Privilegierung wegen Mutterschutz und Elternzeit. Eine Benachteiligung gegenüber Studentinnen ohne Kinder oder Studenten sieht das Gericht keinesfalls. Erst recht liegt keine verfassungswidrige Diskriminierung studierender Mütter gegenüber abhängig beschäftigten weiblichen Arbeitnehmern vor, insofern fehlt es bereits an der Vergleichbarkeit der jeweiligen Situation.
14Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Auswahl nach Härtegesichtspunkten (§ 15 VergabeVO) glaubhaft gemacht. Die Studienplätze der Härtefallquote werden an Bewerber vergeben, für die es eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, wenn sie keine Zulassung erhielten. Eine außergewöhnliche Härte liegt gemäß § 15 Satz 2 VergabeVO vor, wenn in der eigenen Person liegende besondere soziale oder familiäre Gründe die sofortige Aufnahme des Studiums zwingend erfordern. Da die Zulassung im Härtefallwege nach dem System des § 6 VergabeVO zwangsläufig zur Zurückweisung eines anderen, noch nicht zugelassenen Erstbewerbers führt, ist eine strenge Betrachtungsweise geboten.
15Vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Mai 2010 – 13 B 504/10 –, juris, und vom 2. Juli 2012 – 13 B 656/12 –, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. August 2015 – 6z K 3872/14 – und Beschluss vom 27. März 2013 – 6z L 313/13 –, juris; Berlin, in: Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 2003, § 21 VergabeVO, Rdnr. 1.
16Im Blick zu behalten ist überdies die Funktion der Härtefallregelung. Sie soll – wie schon der Wortlaut der Vorschrift zeigt – innerhalb des notwendigerweise schematisierten Massenverfahrens der Studienzulassung einen Ausgleich für besondere Einzelfälle schaffen, in denen die Anwendung der regulären Auswahlkriterien dem Gebot der Chancengleichheit nicht gerecht wird; nach Möglichkeit soll niemand infolge wirtschaftlicher, gesundheitlicher, familiärer oder sonstiger sozialer Benachteiligungen an der Erreichung seines Berufsziels gehindert werden. Anderen Zwecken – etwa der Kompensation erlittener Schicksalsschläge oder erfahrenen Leids – darf die Härtefallzulassung hingegen nicht dienen.
17Vgl. dazu nur OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Dezember 2014 – 13 B 1360/14 –, vom 11. Dezember 2014 – 13 B 1297/14 – und vom 14. Juni 2013 – 13 B 440/13 –, juris; VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 15. Oktober 2014 – 6z L 1403/14 –, vom 27. März 2013 – 6z L 313/13 – und vom 30. November 2011 – 6z L 968/11 –, www.nrwe.de, mit weiteren Nachweisen; Berlin, in: Bahro/ Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 4. Auflage 2003, § 21 VergabeVO, Rdnr. 1 ff.
18Gemessen an diesen Überlegungen sind die Voraussetzungen für eine Zulassung nach § 15 VergabeVO vorliegend nicht dargetan. Die Antragstellerin, die bereits acht Wartesemester angesammelt hat, hat keinerlei Gründe vorgebracht, was sie dauerhaft daran hindern sollte, zu einem späteren Zeitpunkt ein Studium der Humanmedizin aufzunehmen.
19Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
20Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1, 2 GKG.
moreResultsText
Annotations
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Diese Verordnung trifft nähere Bestimmungen über das einzuhaltende Verfahren bei der dem Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen unterliegenden Vergabe von öffentlichen Aufträgen und bei der Ausrichtung von Wettbewerben durch den öffentlichen Auftraggeber.
(2) Diese Verordnung ist nicht anzuwenden auf
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.