Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 30. Jan. 2015 - 2a K 3534/14.A
Gericht
Tenor
Der Bescheid des C. G. N. V. G1. vom 24. Juli 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet
1
Tatbestand:
2Der am °. T. °°°° geborene Kläger ist Q1. Staatsangehöriger. Er verließ sein Heimatland im Frühjahr 2007. Nach mehrjährigem Aufenthalt in H. reiste er nach Italien weiter, wo er nach den Eintragungen in der Eurodac-Datenbank am 18. März 2013 die Anerkennung als Asylberechtigter beantragte. Anfang Januar 2014 reiste er ins Bundesgebiet ein, wo er am 20. Januar 2014 einen Asylantrag stellte. Am 18. Februar 2014 richteten die deutschen Behörden ein Übernahmeersuchen an Italien. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.
3Mit Bescheid vom 24. Juli 2014 lehnte das C1. G2. N. V1. G1. (C1. ) den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Zur Begründung führte das C1. aus, der Asylantrag sei unzulässig, weil Italien aufgrund des dort zuvor gestellten Asylantrags für die Behandlung des Asylbegehrens zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich.
4Am 7. August 2014 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, Italien sei für sein Asylverfahren nicht zuständig, weil er dort keinen Asylantrag gestellt habe. Zudem habe das C1. Gründe für einen Selbsteintritt nicht hinreichend geprüft.
5Der Kläger beantragt,
6den Bescheid des C. G3. N. V2. G1. vom 24. Juli 2014 aufzuheben.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den angegriffenen Bescheid und führt ergänzend aus, der Bescheid sei auch nach Ablauf der Frist für eine Überstellung nach Italien nicht aufzuheben. Der Bescheid sei in eine Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens umzudeuten.
10Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
11Entscheidungsgründe:
12Der Einzelrichter kann gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.
13Die Anfechtungsklage ist begründet. Der Bescheid des C. ist nach der gemäß § 77 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
14Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist der Asylantrag nicht mehr nach § 27a AsylVfG unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht mehr vor. Zwar spricht alles dafür, dass ursprünglich Italien gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin III VO), für das Asylverfahren des Klägers zuständig war. Die Zuständigkeit Italiens ist jedoch nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III VO entfallen und die Zuständigkeit auf Deutschland übergegangen, weil der Kläger nicht innerhalb von sechs Monaten nach Italien überstellt worden ist, nachdem gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III VO davon auszugehen war, dass die italienischen Behörden die Wiederaufnahme des Klägers akzeptieren, weil sie nicht innerhalb von zwei Wochen auf das Übernahmeersuchen vom 18. Februar 2014 reagiert haben.
15Der Bescheid kann auch nicht in eine rechtmäßige Ablehnung eines Zweitantrags nach § 71a AsylVfG umgedeutet werden. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) für eine Umdeutung liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Einer Umdeutung des angefochtenen Verwaltungsakts, mit dem die Unzulässigkeit des Asylverfahrens festgestellt wurde, in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG steht entgegen, dass die Ablehnung eines Zweitantrags nicht in der geschehenen Verfahrensweise hätte erfolgen dürfen. Denn der Kläger hätte gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG vor der Ablehnung eines Zweitantrags angehört werden müssen, was nicht geschehen ist.
16Der demnach rechtswidrige Verwaltungsakt verletzt den Kläger in seinen Rechten. Allerdings folgt die Verletzung des Klägers in einem subjektiven öffentlichen Recht noch nicht aus dem Ablauf der Überstellungsfrist als solcher. Denn die Zuständigkeits- und Fristvorschriften des Dublinsystems, zu denen die Überstellungsfrist gehört, dienen nicht dem Schutz des betroffenen Ausländers, sondern allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesem Staat.
17Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 ‑ C-394/12 ‑ (Abdullahi); Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 ‑ 2 A 975/14.A ‑; Nieders. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 ‑ 13 LA 66/14 ‑, jeweils juris.
18Es bedarf jedoch keiner weiteren Darlegung, dass ein Ausländer, der einen Asylantrag stellt, sowohl nach nationalem Recht als auch nach europarechtlichen Vorschriften ein subjektives öffentliches Recht darauf hat, dass sein Asylbegehren in der Sache geprüft wird. In diesem Recht ist der Kläger verletzt, weil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon auszugehen ist, dass weder Deutschland noch Italien sein Asylbegehren in der Sache prüfen. Das C1. lehnt dies unter Verweis auf die – nach Ablauf der Überstellungsfrist tatsächlich nicht mehr gegebene – Zuständigkeit Italiens ab. Darauf, dass die italienischen Behörden das Asylbegehren des Klägers prüfen, deutet ebenfalls nichts hin. Italien ist – wie dargelegt – für die Durchführung des Asylverfahrens nicht mehr zuständig. Hinweise darauf, dass die italienischen Behörden trotz ihrer Unzuständigkeit bereit sind, eine Überstellung des Klägers zu akzeptieren und dessen Asylbegehren zu prüfen, liegen nicht vor. Auch die Beklagte hat dies nicht geltend gemacht, obwohl sie im Vorfeld der Entscheidung ausdrücklich gebeten wurde, mitzuteilen, ob ihr Erkenntnisse, dazu vorliegen, dass die italienischen Behörden trotz Ablaufs der Überstellungsfrist bereit sind, den Kläger zur Durchführung des Asylverfahrens aufzunehmen.
19Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.