Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 07. Apr. 2014 - A 6 K 1287/12

bei uns veröffentlicht am07.04.2014

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Ziff. 1 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und bei Eintritt der Rechtskraft dieser Flüchtlingsanerkennung auch den Klägern Ziff. 2 und 3 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Kläger, eine Mutter mit ihren beiden minderjährigen Kindern, sind chinesische Staatsangehörige uigurischer Volkszugehörigkeit.
Sie reisten ihren Angaben zufolge von Kasachstan aus auf dem Luftweg am 19.1.2012 über den Flughafen Frankfurt ins Bundesgebiet ein, stellten am 6.2.2012 einen Asylantrag und gaben bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26.3.2012 im Wesentlichen Folgendes an:
Bei den Unruhen in Urumqi am 5.7.2009 sei der Ehemann bzw. Vater getötet worden. Die Klägerin Ziff. 1 sei, nachdem sie sich mit vielen anderen Frauen auf den Weg gemachte habe, um ihren Mann zu suchen, am 7.7.2009 verhaftet, vier Tage lang von der chinesischen Polizei inhaftiert, verhört, geschlagen und schließlich gegen Meldeauflagen wieder freigelassen worden. Diesen sei sie etwa zwei Monate lang wöchentlich nachgekommen. Dann habe sie aus Angst ihr Stoffhandelsgeschäft billig verkauft, sei mit ihren beiden Kindern noch eine Zeitlang in Gulja bei Verwandten untergekommen und von dort nach 7 Monaten schließlich mit Schlepperhilfe nach Kasachstan gegangen. Dort habe sie sich ohne Aufenthaltserlaubnis illegal mit der Hilfe einer uigurischen Organisation in Alma Ata ein Jahr und acht Monate lang aufgehalten und von ihren Ersparnissen gelebt. Als sie dort nicht mehr habe dauerhaft bleiben können, sei sie mit Schlepperhilfe nach Deutschland gereist.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 19.06.2012 lehnte das Bundesamt eine Asylanerkennung der Kläger ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung noch für das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen, und drohte den Klägern für den Fall nicht binnen Monatsfrist nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens erfolgter freiwilliger Ausreise die Abschiebung nach China an.
Zur Begründung führte das Bundesamt aus, das Vorbringen der Klägerin Ziff. 1 sei unglaubhaft. Es sei schon nicht ersichtlich, woher die Polizei ihre Adresse gekannt haben sollte. Ferner sei nicht nachvollziehbar, weshalb sie noch zwei Monate lang in Urumqi geblieben sei, statt gleich zu fliehen.
Nach Zustellung des Bescheid am 22.6.2012 haben die Kläger dagegen am 6.7.2012 Klage beim Verwaltungsgericht erhoben.
Zur Begründung verweist die Klägerin ergänzend auf ihre mittlerweile aufgenommenen exilpolitischen Aktivitäten. Seit Januar 2012 sei sie Mitglied der Ostturkestanischen Union in Europa e.V. Im Januar 2014 und am 5. und 6.2.2014 habe sie an einer Demonstration in München gegen die chinesische Staatspolitik bezüglich der Uiguren teilgenommen.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19.06.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten sie als Asylberechtigten anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, ihnen subsidiären Schutz zuzuerkennen, höchst hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
die Klage abzuweisen.
12 
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten (je ein Heft Gerichtsakten bzw. Akten der Beklagten) und die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel verwiesen.
13 
Die Klägerin Ziff. 1 ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vom Gericht persönlich zu ihren Asylgründen angehört worden. Auf die dazu angefertigte Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
14 
Die zulässige Klage ist in dem im Tenor genannten Umfang begründet.
15 
Der angefochtene Bescheid ist hinsichtlich der Ziffern 2 - 4 rechtswidrig und verletzt die Kläger insoweit in ihren Rechten ( §113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Im Übrigen ist der Bescheid bezüglich Ziff. 1 rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten.
16 
Der begehrten Asylanerkennung steht die Drittstaatenregelung (§ 26a AsylVfG) entgegen, da die Kläger ihre behauptete Einreise auf dem Luftweg mangels Vorlage von Belegen und substantiierter Angaben nicht glaubhaft gemacht haben. Die Klage auf Aufhebung der Ziff. 1 des Bescheids und auf Verpflichtung der Beklagten zur Asylanerkennung ist daher zurückzuweisen.
17 
Die Kläger haben aber einen Anspruch (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (gem. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG).
18 
Nach Anhörung der Klägerin Ziff. 1 in der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sie im Zusammenhang mit den Unruhen in Urumqi im Juli 2009 von der chinesischen Polizei vier Tage lang inhaftiert, geschlagen und zu den Aktivitäten ihres bei den antichinesischen Protesten getöteten Ehemannes verhört worden ist, dann unter der Auflage wöchentlicher Meldung bei der Polizei und der Erbringung von Spitzeldiensten entlassen wurde, dieser Auflage etwa zwei Monate lang nachkam und schließlich unter Missachtung der Meldeauflage über Kasachstan nach Deutschland geflohen ist.
19 
Das stellt eine bereits erlittene Vorverfolgung von asylerheblichem Gewicht dar (§ 3a AsylVfG; siehe auch Art. 9 der Qualifikationsrichtlinie - QRL - v. 13.12.2011 - 2011795/EU), welche die Klägerin in Anknüpfung an ihre uigurische Volkszugehörigkeit und vermeintliche antichinesische Einstellung erlitten hat, weil sie sich nach dem Verbleib ihres bei den Demonstrationen getöteten Ehemannes erkundigen wollte, bzw. weil die Sicherheitskräfte diesem und auch ihr staatsfeindlichen Separatismus unterstellten (§ 3b Abs. 1 Nrn. 3 und 5, Abs. 2 AsylVfG; siehe auch Art. 10 Abs. 1 c, e und Abs. 2 QRL).
20 
Mit der Einstellung weiterer Denunziantentätigkeit und dem Abbruch der Erfüllung der Meldeauflage sowie der illegalen Ausreise aus China hat die Klägerin in den Augen der chinesischen Sicherheitskräfte diesen Verdacht bestätigt und schließlich durch ihr - wenngleich auf nur sehr niedrigem Niveau liegendes - exilpolitisches Engagement in Deutschland für eine freies Uigurien auch noch erhärtet, welches den chinesischen Sicherheitsbehörden nicht entgangen ist, weil sie die kleine Schar der exilpolitisch antichinesisch aktiven Uiguren in Deutschland intensiv und argwöhnisch durch ihre in Deutschland tätigen Spione überwachen.
21 
Vor diesem Hintergrund ist die Furcht der Klägerin vor einer Wiederholung einer solchen Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach China der Klägerin wohlbegründet, denn die einmal erlittene Verfolgung ist ein ernsthafter Hinweis auf diese Wiederholungsgefahr und stichhaltige Gründe, die dagegen sprechen, liegen nicht vor (Art. 4 Abs. 4 QRL). Vielmehr droht der Klägerin, dass sie - diesmal längerfristig - inhaftiert, unter Folter zu ihrem Verhalten verhört und wegen Unterstützung des uigurischen Separatismus angeklagt, verurteilt und in Strafhaft genommen wird.
22 
Im Einzelnen ergibt sich dies aus Folgendem:
23 
Die Angaben der Klägerin sind glaubhaft, denn sie sind in sich stimmig, plausibel, detailreich, und enthalten keine Steigerungen, Widersprüche oder ersichtliche Übertreibungen. Zudem decken sich ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung mit den beim Bundesamt gemachten Angaben.
24 
Dass die Klägerin tatsächlich an den genannten Orten in China in der uigurischen Provinz Xinjiang gelebt hat, nämlich in Tekes, Urumqi und Gulja, und nicht etwa in Wahrheit eine kasachische Staatsangehörige uigurischer Volkszugehörigkeit ist, die sich mit ihrem Vorbringen an Verfolgungsereignisse in China anhängt, um ein ihr anderweit nicht zustehendes Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erlangen (siehe dazu, dass Uiguren mit kasachischer Staatsangehörigkeit in Kasachstan nicht politisch verfolgt werden: VG Ansbach, u. v. 18.5.2004 - AN 15 K 04.30491 -, juris), ergibt sich für das Gericht schon aus den sehr detaillierten Angaben der Klägerin, die sie bei der Anhörung vor dem Bundesamt spontan zu den einzelnen Wohnadressen an diesen Orten mit Straßennamen und Hausnummern gemacht hat.
25 
Dass die Klägerin tatsächlich vier Tage lang inhaftiert worden ist, ergibt sich aus ihren plausiblen, realistischen und stimmigen Angaben. Sie hat nicht etwa angegeben, dass ihr Ehemann ein aktiver Separatist oder Dissident gewesen sei, sondern ganz normal geschildert, dass ihr Ehemann am 5.7.2009 zu dem Ladengeschäft gegangen sei, um nach dem Rechten zu sehen, was angesichts der an diesem Tage stattfindenden antichinesischen Proteste ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Ferner erscheint plausibel, dass sie - wie viele andere Angehörige auch - dann nach Abebben der Unruhen versuchte, etwas über das Schicksal ihres Mannes herauszufinden und zunächst mit Tränengaseinsatz der Polizei daran gehindert wurde. Da es in diesen Tagen zu Massenprotesten und einem massiven Eingreifen chinesischer Truppen mit Hunderten von Toten, Massenverhaftungen, willkürlichen Hinrichtungen und so weiter gekommen war (siehe unter anderem AA, Lagebericht China, 18. Juni 2013, S. 16 wonach von 43 zu dieser Zeit verhafteten Uiguren seither jede Spur fehlt und Uiguren, die in Folge dieser Unruhen ins Ausland geflohen waren, nach ihrer Auslieferung an China zu hohen Haftstrafen bis hin zu lebenslanger Haft verurteilt wurden; GIGA - German Institute of Global and Area Studies, Pressemitteilung vom 14.7.2009), und auch Jahre später noch viele Angehörige nichts über den Verbleib ihrer Angehörigen von den chinesischen Behörden in Erfahrung bringen konnten, passt es zu den vorliegenden Berichten über die damalige Lage, wenn die Klägerin vorträgt, ihr Mann sei verschwunden, von einer Nachbarin habe sie erfahren, dass diese ihn unter den Toten gesehen habe, die Familie haben dann nur noch eine Totenfeier für ihn abhalten können, aber zu Gesicht bekommen habe sie ihn nie wieder. Denn es finden sich insoweit zahlreiche Meldungen, wonach - auch Jahre später noch - die Angehörigen von Personen, die bei diesen Unruhen in Urumqi seinerzeit im Jahre 2009 verschwunden sind, von den chinesischen Sicherheitskräften drangsaliert, inhaftiert, verfolgt und schikaniert werden, wenn sie es wagen, sich nach dem Schicksal ihrer Angehörigen zu erkundigen (z.B. von Radio Free Asia unter www.ecoi.net v. 24.1.2013, 5.2.2013, 6.9.2013 und 26.9.2013; siehe auch GfbV, http://www.gfbv.ch/de/news_service/factsheets_faq/factsheet_uiguren/: Meldung v. 4. 7. 2012: Drei Jahre nach Unruhen in Urumqi - Hackerangriffe aus China auf uigurische Menschenrechtler; Meldung vom 4.7.2011: Zwei Jahre nach den Unruhen von Urumqi - Massiver Druck auf uigurische Journalisten und Menschenrechtler; Meldung vom 5.7.2010: Uiguren - Ein Jahr nach der Niederschlagung der Proteste).
26 
Dass die Polizei bei der Klägerin auftauchte und sie persönlich festnahm, um sie zu ihrem Mann zu verhören, ist nicht unwahrscheinlich, sondern angesichts des Umstandes nachvollziehbar, dass dieser einen Personalausweis mit sich führte, als er im Zuge der Demonstrationen von Sicherheitskräften getötet wurde. Denn es passt in das Bild einer effizienten Unterdrückungspolitik, dass die Menschen in einer von den chinesischen Sicherheitskräften als Unruheprovinz eingestuften Provinz Xinjiang wegen der dort alltäglichen Kontrollen, Razzien und ähnlichen Maßnahmen immer einen Personalausweis mit sich führen müssen und dass deshalb auch der Ehemann der Klägerin, als er getötet wurde, seinen Personalausweis mit sich führte. Von daher aber verwundert es nicht, dass die Sicherheitsbehörden, nachdem sie die Leiche des Ehemannes der Klägerin vorgefunden und untersucht hatten, anhand seines dabei mit sich geführten Ausweises seine Identität und seinen Wohnsitz klären konnten.
27 
Die Klägerin hat auch einige lebensnahe Details geschildert, die auf die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben hinweisen. So hat sie offenbar aus eigener Erinnerung an selbst Erlebtes geschildert, dass sie eine Totenfeier für ihren Mann abgehalten hat, dass seinerzeit die Elektrizität gesperrt worden war, so dass alles stockdunkel war und keiner sehen konnte, wohin die Leichen der Erschossenen von der Polizei gebracht wurden, dass ihr eine Polizistin das T-Shirt über den Kopf zog, um ihr die Sicht zu nehmen, wie sie in einer dunklen Zelle saß, wie sie eine im Gesicht grün und blau geschlagene uigurische Studentin in der Polizeizelle gesehen hat, und dass sie - als frisch verwitwete Mutter - verständlicherweise Angst um ihre Kinder hatte und Todesangst verspürte, als sie geschlagen wurde.
28 
Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch nichts beschönigt, sondern im Gegenteil sogar sich selbst belastet, als sie - ohne dass sie dazu einen äußeren Anlass gehabt hätte - angab, sie habe nach ihrer Freilassung im Rahmen der Meldeauflage der Polizei auch immer Bericht erstatten müssen, was im Stadtviertel so geredet werde und wer neu im Stadtviertel aufgetaucht sei und dergleichen, und habe dies aus Angst auch zwei Monate lang getan.
29 
Die Klägerin hat auch - in wirtschaftlicher Hinsicht durchaus nachvollziehbar - angegeben, dass sie das Stoffhandelsgeschäft unter dem Druck, fliehen zu müssen, dann „billig“, d.h. wahrscheinlich unter Preis, verkaufen musste, dass sie aus dem Erlös von ca. 15.000 Dollar verwendete, um davon und von Ersparnissen im Untergrund bei Verwandten in Gulja und später in Kasachstan zu leben und die jeweiligen Ausreisen für sich und ihre Kinder mit Schlepperhilfe zu finanzieren, wobei sie auch das Detail erwähnte, dass die Kinder ihr von einer Schlepperagentin hinterher gebracht wurden.
30 
Dass die Klägerin trotz ihres Aufenthalts in Kasachstan dort nicht etwa eine Sicherheit vor einer Rückschiebung nach China gefunden hatte, ergibt sich schon daraus, dass sie dort illegal eingereist war, sich dort ohne Aufenthaltserlaubnis aufhielt, offenbar nur eine Zeit lang im Untergrund mit Hilfe einer uigurischen Organisation aufhalten, aber nach allem schon aus rechtlichen Gründen nicht dauerhaft offiziell hat niederlassen können. Gegenüber illegal eingereisten Uiguren aber nehmen die kasachischen Behörden keine Rücksicht und schieben sie im Rahmen ihrer engen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit dem großen Nachbarstaat China auch ohne Weiteres wieder dorthin zurück ab (zum guten Verhältnis von Kasachstan zu China bei der Bekämpfung des uigurischen Separatismus siehe VG Ansbach, u. v. 18.5.2004 - AN 15 K 04.30491 -, juris, Rdnr. 52; dazu auch amnesty international, Jahresbericht 2006, Kasachstan - im internet unter www.amnesty.de; zur Zusammenarbeit unter anderem von Kasachstan mit China im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, einem Zusammenschluss der zentralasiatischen Staaten und Chinas zur Terrorismusbekämpfung, und zu der häufigen Verletzung der Flüchtlingskonvention durch Kasachstan gegenüber uigurischen Flüchtlingen aus China siehe auch GfbV, News 2011, 15.6.2011 - siehe http://www.gfbv.it/2c-stampa/2011/110615de.html).
31 
Ganz abgesehen davon wäre hier die Vorschrift des § 27 AsylVfG über die Asylverweigerung bei anderweitiger Sicherheit nur auf die Asylberechtigung nach Art. 16a GG nicht aber auf die Flüchtlingsanerkennung anwendbar, während es nach der Rechtsprechung einen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts bei anderweitiger Sicherheit nicht gibt, weil das Flüchtlingsrecht und die Qualifikationsrichtlinie eine solche Konstruktion nur in Bezug auf einen nach der GFK von einem anderen Staat bereits gewährten Flüchtlingsschutz bzw. auf eine Schutzunterstellung unter die UNRWA kennen (siehe dazu BVerwG, U. v. 4.9.2012 - 10 C 13/11 -, juris, Rdnrn. 15 und 16).
32 
Schließlich hat sich die Klägerin, wenngleich auf bescheidenem Niveau, exilpolitisch betätigt. So war sie bei ein paar Demonstrationen der Ostturkestan Union und des Uigurischen Weltkongresses in München mit ihren Kindern dabei, wie die vorgelegten Bestätigungen und Fotos zeigen, und trug dabei auch eines von mehreren Plakaten mit regierungskritischen Parolen („Stoppt den Staatsterror“, „Uigurien wurde 1949 von China besetzt“, „Nein zum chinesischen Völkertransport“, „Uiguren wollen Demokratie und Menschenrechte“). Außerdem hat sie nach ihren glaubhaften Angaben Flugblätter gegen chinesische Atomtests in Uigurien verteilt und ist auch bei einer uigurischen Frauenorganisation aktiv.
33 
Diese exilpolitischen Aktivitäten werden schließlich ihr Gesamtbild aus Sicht der chinesischen Staatssicherheitsdienste noch abrunden und sie zusätzlich in die Nähe des in China strafbaren Unterstützten separatistischer Bestrebungen der Uigurischen Minderheit rücken und auch deshalb der Gefahr erneuter Verhaftung und Misshandlung aussetzen.
34 
Denn ganz generell rückt die chinesische Regierung jedwede Stellungnahme für eine stärkere Berücksichtigung der Rechte der Uiguren als nationaler Minderheit oder gar für mehr Autonomie undifferenziert in den Bereich des terroristischen Separatismus und stellt damit alle uigurischen Organisationen, auch die Ostturkestan Union in Europa e.V., unter den Generalverdacht eines solchen Separatismus, obwohl diese, anders als die East Turkestan Islamic Movement ETIM nicht auf der Liste der Vereinten Nationen als Terrororganisation geführt wird (siehe dazu AA Lagebericht China 18.6.2013, S. 17, wonach die chinesische Regierung Erkenntnisse über Verbindungen einzelner uigurischer separatistischer Splittergruppen zu den Taliban bzw. Al Qaida „zu einem Generalverdacht“ gegenüber allen uigurischen Organisationen „missbraucht“; zu den Einschüchterungsversuchen des Chinesischen Generalkonsulats in München gegenüber der Vizepräsidentin des Bayerischen Landtags wegen dessen gemeinsamer Aktion mit dem - von chinesischer Seite der ETIM gleichgesetzten - Uigurischen Weltkongress zum chinesischen Nationalfeiertag am 1.10.2012 - siehe http://max-online.de/2012/10/uigurischer-weltkongress-im-maximilianeum-spd-und-grune-gegen-menschenrechtsverletzungen-durch-china). Die Beteiligung an einer von chinesischer Seite als staatsgefährdend angesehenen Organisation wie der Osturkestan-Bewegung reicht nach chinesischem Recht für eine Strafbarkeit aus, wobei auch gewaltfreies Eintreten für solche Ziele nicht vor harten Strafen schützt. Die Organisation wird trotz ihres überschaubaren Mitgliederkreises und der geringen Zahl der Teilnehmer genau beobachtet (so ausführlich VG Karlsruhe, U. v. 5.2.2013 - A 6 K 962/12 -, juris unter anderem auch unter Verweis auf den Briefwechsel zwischen der bayerischen Landtagsvizepräsidentin und dem chinesischen Generalkonsulat, das gefordert hatte, die „absurde“ Veranstaltung zu unterbinden; zur intensiven chinesischen geheimdienstlichen Beobachtung der uigurischen Exilszene in Deutschland, obwohl diese mit ca. 600 hauptsächlich in München lebenden Uiguren vergleichsweise klein und überschaubar ist, siehe unter anderem DER SPIEGEL Nr. 29/2009 v. 13.7.2009, S. 39 - im internet über google auffindbar -, wonach uigurische Aktivitäten, neben den Aktivitäten der Tibeter, der Demokratiebewegung in China, der Falun-Gong-Anhänger und der Aktivitäten Taiwans von der chinesischen Staatspropaganda bezeichnenderweise als eines der „fünf Gifte“ bezeichnet wird; zur Strafbarkeit von Aktivitäten für die Ostturkestan Bewegung nach chinesischem Strafrecht - § 103 Chin.StGB und zur verschärften, undifferenziert gewaltfreie wie gewalttätige Aktivitäten gleichsetzenden Anwendung dieser Norm, sowie der Abhängigkeit ihrer Anwendung durch die Sicherheitsbehörden und chinesischen Gerichte von den politischen Richtlinien amnesty international, Auskunft vom 29.4.2002 an BayVGH und amnesty international, Auskunft v. 30.11.2006 an VG München zur verschärften Anwendung des Separatismusstraftatbestandes nach dem Anschlag vom 11. September; eine ausführliche Darstellung der Auskunftslage zu diesem Fragenkreis und zur besonderen Empfindlichkeit der chinesischen Staatsführung gegenüber uigurischen Aktivitäten und zum Separatismusstraftatbestand findet sich auch in der Entscheidung des BayVGH, U. v. 24.7.2002 - 2 B 98.34950 -, juris, Rdnrn. 27 - 39 und ThürOVG, U. v. 26.6.2003 - 3 KO 321/01 - juris, Rdnrn. 42 - 51).
35 
Den vorliegenden Berichten zufolge sind auch immer wieder aus anderen Staaten nach China abgeschobene Uiguren dort inhaftiert und wegen Separatismus angeklagt worden oder gar spurlos (wahrscheinlich in einem der sogenannten „schwarzen“ Geheimgefängnisse) verschwunden. Selbst die von den USA aus der Haft in Guantanamo freigelassenen Uiguren, die immerhin als Terroristen verdächtigt worden waren, wurden nicht nach China zurück abgeschoben, sondern statt dessen zu ihrem Schutz vor chinesischer Strafverfolgung in jeweils kleineren Gruppen von einigen mit den USA verbündeten Staaten aufgenommen, wie etwa Albanien etc. (siehe zur Behandlung uigrischer Rückkehrer: AA Lagebericht China 18.6.2013 S. 17 unten; zur Verhaftung von Malaysia und auch Thailand aus nach China abgeschobener Uiguren unter Separatismusverdacht Human Rights Watch v. 14.3.2014 unter www.ecoi.net; GfbV, www.gfbv.ch - factsheets uiguren - dort die Meldungen v. 29.8.2011: China drängt Nachbarstaaten zur Auslieferung uigurischer Flüchtlinge, v. 18.12.2010 - Seit einem Jahr verschwunden: Von Kambodscha nach China abgeschobene Uiguren, v. 24.3.2010: Guantanamo Uiguren - Willkommen in der Schweiz; siehe auch Spiegel online v. 2.1.2014: China verlangt Auslieferung von Guantanamo Häftlingen).
36 
Wie empfindlich die chinesische Staatsführung auf alle auch gewaltfreien uigurischen Aktivitäten reagiert, zeigt sich bereits daran, dass sie Rebiy Kadeer, die gewählte Präsidentin des Uigurischen Weltkongresses (World Uyghur Congress - WUC), die schon 2006 und 2007 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, als Staatsfeindin Nr. 1 bezeichnete (http://max-online.de/2012/10/uigurischer-weltkongress-im-maximilianeum-spd-und-grune-gegen-menschenrechtsverletzungen-durch-china).
37 
Vom jeweiligen Grad der Spannungen zwischen der chinesischen Staatsführung und der uigurischen Minderheit hängt auch die Anwendung und Auslegung der Separatismusstraftatbestände durch die chinesischen Sicherheitsbehörden und die der staatlichen Kontrolle unterworfenen chinesischen Strafgerichte ab. Dass diese Spannungen seit den Vorfällen in Urumqi im Juli 2009 sich bis heute noch stetig weiter gesteigert haben, ist daher durchaus von Bedeutung für die Frage, inwieweit der Klägerin wegen ihres exilpolitischen Engagements für die zum Uigurischen Weltkongress zählende Osturkestanische Union in Europa e.V. bei einer Rückkehr nach China dort politisch motivierte Strafverfolgung droht. Insofern ist bedeutsam, dass die Situation seit 2009 immer weiter gefährlich eskaliert ist und die Nerven der chinesischen Führung aufgrund der zahlreichen im Folgenden dargestellten Ereignisse „blank liegen“ dürften, was regelmäßig die Gefahr auch von Überreaktionen gegenüber selbst nur geringfügig aktiven Uiguren begründen wird, die aus dem Exil zurückkehren und sich dort für Ostturkestan stark gemacht haben: So kam es am 19.8.2010 in Aksu/Xinjiang zu einem Sprengstoffanschlag mit 7 Toten und 14 Verletzten kam, im Juli 2011 zu einem Überfall auf eine Polizeistation in Hotan 19 Personen und bei Unruhen in Kashgar wurden am 30.7.2011 mehr als 20 Personen getötet. Im Februar 2012 kam es in Yengchen zu Zusammenstößen zwischen bewaffneten Uiguren und Sicherheitskräften und am 29.6.2012 zu einer von sechs Uiguren versuchten Flugzeugentführung in Hotan (AA, Lagebericht China, 18.6.2013, S. 16). Im Oktober verursachte eine uigurische Familie absichtlich einen Autounfall auf dem Platz des himmlischen Friedens und setzte dann sich und das Fahrzeug in Brand, im November 2013 kam es zu einer tödlichen Explosion vor der chinesischen KP-Zentrale und in Nordwestchina erschoss die Polizei acht Menschen im Dezember 2013 (siehe dazu spiegel-online v. 30.10., 6.11 und 30.12.2013). Zuletzt gab es am 2.3.2014 einen blutigen Anschlag mit Messern und Beilen auf die Reisenden eines Busbahnhofs in der chinesischen Stadt Kunming mit 29 Toten, und 130 Verletzten, den die Staatsführung sofort und - trotz der Tötung von vier Angreifern und Festnahme von drei weiteren bisher ohne Beleg - terroristischen uigurischen Separatisten anlastete (DER SPIEGEL online - 2.3.2014 - www.spiegel.de). Im Februar war zuvor am 20.2.2014 der uigurische Universitätsprofessor Ilham Tohti wegen mutmaßlichen Separatismus festgenommen worden, der die Webseite Uyghur Online gegründet hatte. Acht junge Uigurinnen, die entweder seine Studentinnen waren oder zu der Webseite beigetragen hatten, sind bereits im Januar 2014 verhaftet worden. Der Parteichef der Region Xinjiang gelobte, den Terrorismus mit äußerster Macht zu bekämpfen und der Vorsitzende der Region Xinjiang erklärte laut Bejing News Reports, dass „Kräfte von außen“ den Separatismus beeinflussen. Es gebe Leute außerhalb Chinas, die kein einiges, starkes kommunistisches China wollten (siehe zu alldem Reporters Sans Frontieres v. 12.3.2014 und BBC-News v. 3.3.2014 und v. 7.3.2014 sowie Congressional Executive Commission to China v. 4.3.2014 - alle über www.ecoi.net unter dem Stichwort China, Uiguren zu finden).
38 
Die chinesische Staatsführung hält vor diesem Hintergrund schon seit einigen Jahren die Provinz Xinjiang in ihrem dauernden Fokus, in jeder Ortschaft soll mindestens ein Polizist stationiert sein, zahlreiche uigurische Webseiten wurden blockiert, Telefon und Telekommunikationsverkehr wird überwacht. Obwohl die Provinz nur 2 % der Gesamtbevölkerung Chinas aufweist, werden 50 % aller chinesischen Staatsschutzstrafverfahren in Xinjiang geführt. Deren Zahl stiegt insoweit von 376 im Jahre 2010 um 10% auf 414 im Jahre 2011. Die Intensität der Repressionen gegenüber mutmaßlichen Separatisten, die aus dem Ausland nach China zurückkehren, wird durch offizielle Äußerungen deutlich, wonach schon 2005 zahlreiche solcher Rückkehrer unmittelbar bei Grenzübertritt festgenommen worden seien und selbst in Fällen einer unstreitigen ausländischen Staatsbürgerschaft eine konsularische Betreuung verweigert wird. Zum Verbleib und der Identität werden in der Regel keine Angaben gemacht, da es sich um innere Angelegenheiten Chinas handle (so zu alldem AA, Lagebericht China, 18.6.2013, S. 16 und 17).
39 
Für die Kläger Ziff. 2 und 3, die minderjährig sind und keine eigenen Verfolgungsgründe vorgetragen haben, ergibt sich ihr Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung aus der Vorschriften über den internationalen Schutz für Familienangehörige (§ 26 Abs. 2 und Abs. 5 S. 1 und S. 2 AsylVfG), die ihnen diesen Status allerdings erst ab Eintritt der Rechtskraft der Flüchtlingsanerkennung ihrer Mutter, der Klägerin Ziff. 1, einräumen.
40 
Nach allem erweist sich schließlich aufgrund der gem. § 77 Abs. 1 AsylVfG im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden aktuellen Fassung des AsylVfG dieunter Ziff. 3 des angefochtenen Bescheids getroffene negative Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG als rechtswidrig.
41 
Denn für eine solche Feststellung fehlt es in diesem Zeitpunkt an einer Ermächtigungsgrundlage. Europarechtlicher subsidiärer Schutz, wie er bisher in § 60 Abs. 2, 3 und 7 S. 2 AufenthG geregelt war und nunmehr unter § 4 AsylVfG geregelt ist, ist nämlich gem. Art. 2 f der Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU) nur subsidiär, d.h. nur einer Person zu gewähren, welche die Voraussetzungen der „Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt“. Deshalb sieht § 31 Abs. 2 AsylVfG auch nur vor, dass in der Entscheidung des Bundesamtes über einen (beachtlichen) Asylantrag festzustellen ist, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft „oder“ (falls dies nicht der Fall ist) der subsidiäre Schutz zuzuerkennen ist.
42 
Auch die unter Ziff. 3 des angefochtenen Bescheids außerdem enthaltene negative Feststellung zum Vorliegen des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 S. 1 AufenthG erweist sich im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt als rechtswidrig, weil ermessensfehlerhaft. Nach § 31 Abs. 3 AsylVfG „kann“ nämlich bei Anerkennung als Asylberechtigter oder Zuerkennung internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG von der Feststellung zum Vorliegen dieses nationalen Abschiebungsverbots abgesehen werden. Von dem damit der Beklagten eingeräumten Ermessen hat diese aber (entgegen § 40 1. HS VwVfG) keinen Gebrauch gemacht, sondern vielmehr gar keine Ermessenserwägungen angestellt, obwohl sie den Bescheid auch hinsichtlich seiner Ziff. 3 hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit insoweit unter Kontrolle halten muss.
43 
Schließlich erweist sich die unter Ziff. 4 des angefochtenen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung als rechtswidrig, da das Bundesamt in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur Asylanerkennung und Zuerkennung des Flüchtlingsstatus verpflichtet und daher nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AsylVfG nicht zum Erlass einer Abschiebungsandrohung ermächtigt ist.
44 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 S. 3 VwGO, 83 b AsylVfG. Im Hinblick darauf, dass der Status eines anerkannten Asylberechtigten mittlerweile nahezu vollständig dem Status eines anerkannten Flüchtlings gleicht (so ausdrücklich BVerwG, B. v. 21.12.2006 - 1 C 29.03 -, NVwZ 2007, 469 und B. v. 22.4.2008 - 10 B 88.07 -, InfAuslR 2008, 322; siehe auch BVerwG, Urt. v. 1.3. 2011 - 10 C 2/10 -, juris - Rdziff. 53), ist das Unterliegen der Kläger bezüglich ihrer Klage auf Anerkennung als Asylberechtigte (siehe Ziff. 1 des angefochtenen Bescheids) als derart marginal anzusehen, dass es gerechtfertigt ist, der im Übrigen unterliegenden Beklagten die Verfahrenskosten voll aufzuerlegen.

Gründe

 
14 
Die zulässige Klage ist in dem im Tenor genannten Umfang begründet.
15 
Der angefochtene Bescheid ist hinsichtlich der Ziffern 2 - 4 rechtswidrig und verletzt die Kläger insoweit in ihren Rechten ( §113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Im Übrigen ist der Bescheid bezüglich Ziff. 1 rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten.
16 
Der begehrten Asylanerkennung steht die Drittstaatenregelung (§ 26a AsylVfG) entgegen, da die Kläger ihre behauptete Einreise auf dem Luftweg mangels Vorlage von Belegen und substantiierter Angaben nicht glaubhaft gemacht haben. Die Klage auf Aufhebung der Ziff. 1 des Bescheids und auf Verpflichtung der Beklagten zur Asylanerkennung ist daher zurückzuweisen.
17 
Die Kläger haben aber einen Anspruch (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (gem. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG).
18 
Nach Anhörung der Klägerin Ziff. 1 in der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sie im Zusammenhang mit den Unruhen in Urumqi im Juli 2009 von der chinesischen Polizei vier Tage lang inhaftiert, geschlagen und zu den Aktivitäten ihres bei den antichinesischen Protesten getöteten Ehemannes verhört worden ist, dann unter der Auflage wöchentlicher Meldung bei der Polizei und der Erbringung von Spitzeldiensten entlassen wurde, dieser Auflage etwa zwei Monate lang nachkam und schließlich unter Missachtung der Meldeauflage über Kasachstan nach Deutschland geflohen ist.
19 
Das stellt eine bereits erlittene Vorverfolgung von asylerheblichem Gewicht dar (§ 3a AsylVfG; siehe auch Art. 9 der Qualifikationsrichtlinie - QRL - v. 13.12.2011 - 2011795/EU), welche die Klägerin in Anknüpfung an ihre uigurische Volkszugehörigkeit und vermeintliche antichinesische Einstellung erlitten hat, weil sie sich nach dem Verbleib ihres bei den Demonstrationen getöteten Ehemannes erkundigen wollte, bzw. weil die Sicherheitskräfte diesem und auch ihr staatsfeindlichen Separatismus unterstellten (§ 3b Abs. 1 Nrn. 3 und 5, Abs. 2 AsylVfG; siehe auch Art. 10 Abs. 1 c, e und Abs. 2 QRL).
20 
Mit der Einstellung weiterer Denunziantentätigkeit und dem Abbruch der Erfüllung der Meldeauflage sowie der illegalen Ausreise aus China hat die Klägerin in den Augen der chinesischen Sicherheitskräfte diesen Verdacht bestätigt und schließlich durch ihr - wenngleich auf nur sehr niedrigem Niveau liegendes - exilpolitisches Engagement in Deutschland für eine freies Uigurien auch noch erhärtet, welches den chinesischen Sicherheitsbehörden nicht entgangen ist, weil sie die kleine Schar der exilpolitisch antichinesisch aktiven Uiguren in Deutschland intensiv und argwöhnisch durch ihre in Deutschland tätigen Spione überwachen.
21 
Vor diesem Hintergrund ist die Furcht der Klägerin vor einer Wiederholung einer solchen Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach China der Klägerin wohlbegründet, denn die einmal erlittene Verfolgung ist ein ernsthafter Hinweis auf diese Wiederholungsgefahr und stichhaltige Gründe, die dagegen sprechen, liegen nicht vor (Art. 4 Abs. 4 QRL). Vielmehr droht der Klägerin, dass sie - diesmal längerfristig - inhaftiert, unter Folter zu ihrem Verhalten verhört und wegen Unterstützung des uigurischen Separatismus angeklagt, verurteilt und in Strafhaft genommen wird.
22 
Im Einzelnen ergibt sich dies aus Folgendem:
23 
Die Angaben der Klägerin sind glaubhaft, denn sie sind in sich stimmig, plausibel, detailreich, und enthalten keine Steigerungen, Widersprüche oder ersichtliche Übertreibungen. Zudem decken sich ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung mit den beim Bundesamt gemachten Angaben.
24 
Dass die Klägerin tatsächlich an den genannten Orten in China in der uigurischen Provinz Xinjiang gelebt hat, nämlich in Tekes, Urumqi und Gulja, und nicht etwa in Wahrheit eine kasachische Staatsangehörige uigurischer Volkszugehörigkeit ist, die sich mit ihrem Vorbringen an Verfolgungsereignisse in China anhängt, um ein ihr anderweit nicht zustehendes Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erlangen (siehe dazu, dass Uiguren mit kasachischer Staatsangehörigkeit in Kasachstan nicht politisch verfolgt werden: VG Ansbach, u. v. 18.5.2004 - AN 15 K 04.30491 -, juris), ergibt sich für das Gericht schon aus den sehr detaillierten Angaben der Klägerin, die sie bei der Anhörung vor dem Bundesamt spontan zu den einzelnen Wohnadressen an diesen Orten mit Straßennamen und Hausnummern gemacht hat.
25 
Dass die Klägerin tatsächlich vier Tage lang inhaftiert worden ist, ergibt sich aus ihren plausiblen, realistischen und stimmigen Angaben. Sie hat nicht etwa angegeben, dass ihr Ehemann ein aktiver Separatist oder Dissident gewesen sei, sondern ganz normal geschildert, dass ihr Ehemann am 5.7.2009 zu dem Ladengeschäft gegangen sei, um nach dem Rechten zu sehen, was angesichts der an diesem Tage stattfindenden antichinesischen Proteste ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Ferner erscheint plausibel, dass sie - wie viele andere Angehörige auch - dann nach Abebben der Unruhen versuchte, etwas über das Schicksal ihres Mannes herauszufinden und zunächst mit Tränengaseinsatz der Polizei daran gehindert wurde. Da es in diesen Tagen zu Massenprotesten und einem massiven Eingreifen chinesischer Truppen mit Hunderten von Toten, Massenverhaftungen, willkürlichen Hinrichtungen und so weiter gekommen war (siehe unter anderem AA, Lagebericht China, 18. Juni 2013, S. 16 wonach von 43 zu dieser Zeit verhafteten Uiguren seither jede Spur fehlt und Uiguren, die in Folge dieser Unruhen ins Ausland geflohen waren, nach ihrer Auslieferung an China zu hohen Haftstrafen bis hin zu lebenslanger Haft verurteilt wurden; GIGA - German Institute of Global and Area Studies, Pressemitteilung vom 14.7.2009), und auch Jahre später noch viele Angehörige nichts über den Verbleib ihrer Angehörigen von den chinesischen Behörden in Erfahrung bringen konnten, passt es zu den vorliegenden Berichten über die damalige Lage, wenn die Klägerin vorträgt, ihr Mann sei verschwunden, von einer Nachbarin habe sie erfahren, dass diese ihn unter den Toten gesehen habe, die Familie haben dann nur noch eine Totenfeier für ihn abhalten können, aber zu Gesicht bekommen habe sie ihn nie wieder. Denn es finden sich insoweit zahlreiche Meldungen, wonach - auch Jahre später noch - die Angehörigen von Personen, die bei diesen Unruhen in Urumqi seinerzeit im Jahre 2009 verschwunden sind, von den chinesischen Sicherheitskräften drangsaliert, inhaftiert, verfolgt und schikaniert werden, wenn sie es wagen, sich nach dem Schicksal ihrer Angehörigen zu erkundigen (z.B. von Radio Free Asia unter www.ecoi.net v. 24.1.2013, 5.2.2013, 6.9.2013 und 26.9.2013; siehe auch GfbV, http://www.gfbv.ch/de/news_service/factsheets_faq/factsheet_uiguren/: Meldung v. 4. 7. 2012: Drei Jahre nach Unruhen in Urumqi - Hackerangriffe aus China auf uigurische Menschenrechtler; Meldung vom 4.7.2011: Zwei Jahre nach den Unruhen von Urumqi - Massiver Druck auf uigurische Journalisten und Menschenrechtler; Meldung vom 5.7.2010: Uiguren - Ein Jahr nach der Niederschlagung der Proteste).
26 
Dass die Polizei bei der Klägerin auftauchte und sie persönlich festnahm, um sie zu ihrem Mann zu verhören, ist nicht unwahrscheinlich, sondern angesichts des Umstandes nachvollziehbar, dass dieser einen Personalausweis mit sich führte, als er im Zuge der Demonstrationen von Sicherheitskräften getötet wurde. Denn es passt in das Bild einer effizienten Unterdrückungspolitik, dass die Menschen in einer von den chinesischen Sicherheitskräften als Unruheprovinz eingestuften Provinz Xinjiang wegen der dort alltäglichen Kontrollen, Razzien und ähnlichen Maßnahmen immer einen Personalausweis mit sich führen müssen und dass deshalb auch der Ehemann der Klägerin, als er getötet wurde, seinen Personalausweis mit sich führte. Von daher aber verwundert es nicht, dass die Sicherheitsbehörden, nachdem sie die Leiche des Ehemannes der Klägerin vorgefunden und untersucht hatten, anhand seines dabei mit sich geführten Ausweises seine Identität und seinen Wohnsitz klären konnten.
27 
Die Klägerin hat auch einige lebensnahe Details geschildert, die auf die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben hinweisen. So hat sie offenbar aus eigener Erinnerung an selbst Erlebtes geschildert, dass sie eine Totenfeier für ihren Mann abgehalten hat, dass seinerzeit die Elektrizität gesperrt worden war, so dass alles stockdunkel war und keiner sehen konnte, wohin die Leichen der Erschossenen von der Polizei gebracht wurden, dass ihr eine Polizistin das T-Shirt über den Kopf zog, um ihr die Sicht zu nehmen, wie sie in einer dunklen Zelle saß, wie sie eine im Gesicht grün und blau geschlagene uigurische Studentin in der Polizeizelle gesehen hat, und dass sie - als frisch verwitwete Mutter - verständlicherweise Angst um ihre Kinder hatte und Todesangst verspürte, als sie geschlagen wurde.
28 
Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch nichts beschönigt, sondern im Gegenteil sogar sich selbst belastet, als sie - ohne dass sie dazu einen äußeren Anlass gehabt hätte - angab, sie habe nach ihrer Freilassung im Rahmen der Meldeauflage der Polizei auch immer Bericht erstatten müssen, was im Stadtviertel so geredet werde und wer neu im Stadtviertel aufgetaucht sei und dergleichen, und habe dies aus Angst auch zwei Monate lang getan.
29 
Die Klägerin hat auch - in wirtschaftlicher Hinsicht durchaus nachvollziehbar - angegeben, dass sie das Stoffhandelsgeschäft unter dem Druck, fliehen zu müssen, dann „billig“, d.h. wahrscheinlich unter Preis, verkaufen musste, dass sie aus dem Erlös von ca. 15.000 Dollar verwendete, um davon und von Ersparnissen im Untergrund bei Verwandten in Gulja und später in Kasachstan zu leben und die jeweiligen Ausreisen für sich und ihre Kinder mit Schlepperhilfe zu finanzieren, wobei sie auch das Detail erwähnte, dass die Kinder ihr von einer Schlepperagentin hinterher gebracht wurden.
30 
Dass die Klägerin trotz ihres Aufenthalts in Kasachstan dort nicht etwa eine Sicherheit vor einer Rückschiebung nach China gefunden hatte, ergibt sich schon daraus, dass sie dort illegal eingereist war, sich dort ohne Aufenthaltserlaubnis aufhielt, offenbar nur eine Zeit lang im Untergrund mit Hilfe einer uigurischen Organisation aufhalten, aber nach allem schon aus rechtlichen Gründen nicht dauerhaft offiziell hat niederlassen können. Gegenüber illegal eingereisten Uiguren aber nehmen die kasachischen Behörden keine Rücksicht und schieben sie im Rahmen ihrer engen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit dem großen Nachbarstaat China auch ohne Weiteres wieder dorthin zurück ab (zum guten Verhältnis von Kasachstan zu China bei der Bekämpfung des uigurischen Separatismus siehe VG Ansbach, u. v. 18.5.2004 - AN 15 K 04.30491 -, juris, Rdnr. 52; dazu auch amnesty international, Jahresbericht 2006, Kasachstan - im internet unter www.amnesty.de; zur Zusammenarbeit unter anderem von Kasachstan mit China im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, einem Zusammenschluss der zentralasiatischen Staaten und Chinas zur Terrorismusbekämpfung, und zu der häufigen Verletzung der Flüchtlingskonvention durch Kasachstan gegenüber uigurischen Flüchtlingen aus China siehe auch GfbV, News 2011, 15.6.2011 - siehe http://www.gfbv.it/2c-stampa/2011/110615de.html).
31 
Ganz abgesehen davon wäre hier die Vorschrift des § 27 AsylVfG über die Asylverweigerung bei anderweitiger Sicherheit nur auf die Asylberechtigung nach Art. 16a GG nicht aber auf die Flüchtlingsanerkennung anwendbar, während es nach der Rechtsprechung einen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts bei anderweitiger Sicherheit nicht gibt, weil das Flüchtlingsrecht und die Qualifikationsrichtlinie eine solche Konstruktion nur in Bezug auf einen nach der GFK von einem anderen Staat bereits gewährten Flüchtlingsschutz bzw. auf eine Schutzunterstellung unter die UNRWA kennen (siehe dazu BVerwG, U. v. 4.9.2012 - 10 C 13/11 -, juris, Rdnrn. 15 und 16).
32 
Schließlich hat sich die Klägerin, wenngleich auf bescheidenem Niveau, exilpolitisch betätigt. So war sie bei ein paar Demonstrationen der Ostturkestan Union und des Uigurischen Weltkongresses in München mit ihren Kindern dabei, wie die vorgelegten Bestätigungen und Fotos zeigen, und trug dabei auch eines von mehreren Plakaten mit regierungskritischen Parolen („Stoppt den Staatsterror“, „Uigurien wurde 1949 von China besetzt“, „Nein zum chinesischen Völkertransport“, „Uiguren wollen Demokratie und Menschenrechte“). Außerdem hat sie nach ihren glaubhaften Angaben Flugblätter gegen chinesische Atomtests in Uigurien verteilt und ist auch bei einer uigurischen Frauenorganisation aktiv.
33 
Diese exilpolitischen Aktivitäten werden schließlich ihr Gesamtbild aus Sicht der chinesischen Staatssicherheitsdienste noch abrunden und sie zusätzlich in die Nähe des in China strafbaren Unterstützten separatistischer Bestrebungen der Uigurischen Minderheit rücken und auch deshalb der Gefahr erneuter Verhaftung und Misshandlung aussetzen.
34 
Denn ganz generell rückt die chinesische Regierung jedwede Stellungnahme für eine stärkere Berücksichtigung der Rechte der Uiguren als nationaler Minderheit oder gar für mehr Autonomie undifferenziert in den Bereich des terroristischen Separatismus und stellt damit alle uigurischen Organisationen, auch die Ostturkestan Union in Europa e.V., unter den Generalverdacht eines solchen Separatismus, obwohl diese, anders als die East Turkestan Islamic Movement ETIM nicht auf der Liste der Vereinten Nationen als Terrororganisation geführt wird (siehe dazu AA Lagebericht China 18.6.2013, S. 17, wonach die chinesische Regierung Erkenntnisse über Verbindungen einzelner uigurischer separatistischer Splittergruppen zu den Taliban bzw. Al Qaida „zu einem Generalverdacht“ gegenüber allen uigurischen Organisationen „missbraucht“; zu den Einschüchterungsversuchen des Chinesischen Generalkonsulats in München gegenüber der Vizepräsidentin des Bayerischen Landtags wegen dessen gemeinsamer Aktion mit dem - von chinesischer Seite der ETIM gleichgesetzten - Uigurischen Weltkongress zum chinesischen Nationalfeiertag am 1.10.2012 - siehe http://max-online.de/2012/10/uigurischer-weltkongress-im-maximilianeum-spd-und-grune-gegen-menschenrechtsverletzungen-durch-china). Die Beteiligung an einer von chinesischer Seite als staatsgefährdend angesehenen Organisation wie der Osturkestan-Bewegung reicht nach chinesischem Recht für eine Strafbarkeit aus, wobei auch gewaltfreies Eintreten für solche Ziele nicht vor harten Strafen schützt. Die Organisation wird trotz ihres überschaubaren Mitgliederkreises und der geringen Zahl der Teilnehmer genau beobachtet (so ausführlich VG Karlsruhe, U. v. 5.2.2013 - A 6 K 962/12 -, juris unter anderem auch unter Verweis auf den Briefwechsel zwischen der bayerischen Landtagsvizepräsidentin und dem chinesischen Generalkonsulat, das gefordert hatte, die „absurde“ Veranstaltung zu unterbinden; zur intensiven chinesischen geheimdienstlichen Beobachtung der uigurischen Exilszene in Deutschland, obwohl diese mit ca. 600 hauptsächlich in München lebenden Uiguren vergleichsweise klein und überschaubar ist, siehe unter anderem DER SPIEGEL Nr. 29/2009 v. 13.7.2009, S. 39 - im internet über google auffindbar -, wonach uigurische Aktivitäten, neben den Aktivitäten der Tibeter, der Demokratiebewegung in China, der Falun-Gong-Anhänger und der Aktivitäten Taiwans von der chinesischen Staatspropaganda bezeichnenderweise als eines der „fünf Gifte“ bezeichnet wird; zur Strafbarkeit von Aktivitäten für die Ostturkestan Bewegung nach chinesischem Strafrecht - § 103 Chin.StGB und zur verschärften, undifferenziert gewaltfreie wie gewalttätige Aktivitäten gleichsetzenden Anwendung dieser Norm, sowie der Abhängigkeit ihrer Anwendung durch die Sicherheitsbehörden und chinesischen Gerichte von den politischen Richtlinien amnesty international, Auskunft vom 29.4.2002 an BayVGH und amnesty international, Auskunft v. 30.11.2006 an VG München zur verschärften Anwendung des Separatismusstraftatbestandes nach dem Anschlag vom 11. September; eine ausführliche Darstellung der Auskunftslage zu diesem Fragenkreis und zur besonderen Empfindlichkeit der chinesischen Staatsführung gegenüber uigurischen Aktivitäten und zum Separatismusstraftatbestand findet sich auch in der Entscheidung des BayVGH, U. v. 24.7.2002 - 2 B 98.34950 -, juris, Rdnrn. 27 - 39 und ThürOVG, U. v. 26.6.2003 - 3 KO 321/01 - juris, Rdnrn. 42 - 51).
35 
Den vorliegenden Berichten zufolge sind auch immer wieder aus anderen Staaten nach China abgeschobene Uiguren dort inhaftiert und wegen Separatismus angeklagt worden oder gar spurlos (wahrscheinlich in einem der sogenannten „schwarzen“ Geheimgefängnisse) verschwunden. Selbst die von den USA aus der Haft in Guantanamo freigelassenen Uiguren, die immerhin als Terroristen verdächtigt worden waren, wurden nicht nach China zurück abgeschoben, sondern statt dessen zu ihrem Schutz vor chinesischer Strafverfolgung in jeweils kleineren Gruppen von einigen mit den USA verbündeten Staaten aufgenommen, wie etwa Albanien etc. (siehe zur Behandlung uigrischer Rückkehrer: AA Lagebericht China 18.6.2013 S. 17 unten; zur Verhaftung von Malaysia und auch Thailand aus nach China abgeschobener Uiguren unter Separatismusverdacht Human Rights Watch v. 14.3.2014 unter www.ecoi.net; GfbV, www.gfbv.ch - factsheets uiguren - dort die Meldungen v. 29.8.2011: China drängt Nachbarstaaten zur Auslieferung uigurischer Flüchtlinge, v. 18.12.2010 - Seit einem Jahr verschwunden: Von Kambodscha nach China abgeschobene Uiguren, v. 24.3.2010: Guantanamo Uiguren - Willkommen in der Schweiz; siehe auch Spiegel online v. 2.1.2014: China verlangt Auslieferung von Guantanamo Häftlingen).
36 
Wie empfindlich die chinesische Staatsführung auf alle auch gewaltfreien uigurischen Aktivitäten reagiert, zeigt sich bereits daran, dass sie Rebiy Kadeer, die gewählte Präsidentin des Uigurischen Weltkongresses (World Uyghur Congress - WUC), die schon 2006 und 2007 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, als Staatsfeindin Nr. 1 bezeichnete (http://max-online.de/2012/10/uigurischer-weltkongress-im-maximilianeum-spd-und-grune-gegen-menschenrechtsverletzungen-durch-china).
37 
Vom jeweiligen Grad der Spannungen zwischen der chinesischen Staatsführung und der uigurischen Minderheit hängt auch die Anwendung und Auslegung der Separatismusstraftatbestände durch die chinesischen Sicherheitsbehörden und die der staatlichen Kontrolle unterworfenen chinesischen Strafgerichte ab. Dass diese Spannungen seit den Vorfällen in Urumqi im Juli 2009 sich bis heute noch stetig weiter gesteigert haben, ist daher durchaus von Bedeutung für die Frage, inwieweit der Klägerin wegen ihres exilpolitischen Engagements für die zum Uigurischen Weltkongress zählende Osturkestanische Union in Europa e.V. bei einer Rückkehr nach China dort politisch motivierte Strafverfolgung droht. Insofern ist bedeutsam, dass die Situation seit 2009 immer weiter gefährlich eskaliert ist und die Nerven der chinesischen Führung aufgrund der zahlreichen im Folgenden dargestellten Ereignisse „blank liegen“ dürften, was regelmäßig die Gefahr auch von Überreaktionen gegenüber selbst nur geringfügig aktiven Uiguren begründen wird, die aus dem Exil zurückkehren und sich dort für Ostturkestan stark gemacht haben: So kam es am 19.8.2010 in Aksu/Xinjiang zu einem Sprengstoffanschlag mit 7 Toten und 14 Verletzten kam, im Juli 2011 zu einem Überfall auf eine Polizeistation in Hotan 19 Personen und bei Unruhen in Kashgar wurden am 30.7.2011 mehr als 20 Personen getötet. Im Februar 2012 kam es in Yengchen zu Zusammenstößen zwischen bewaffneten Uiguren und Sicherheitskräften und am 29.6.2012 zu einer von sechs Uiguren versuchten Flugzeugentführung in Hotan (AA, Lagebericht China, 18.6.2013, S. 16). Im Oktober verursachte eine uigurische Familie absichtlich einen Autounfall auf dem Platz des himmlischen Friedens und setzte dann sich und das Fahrzeug in Brand, im November 2013 kam es zu einer tödlichen Explosion vor der chinesischen KP-Zentrale und in Nordwestchina erschoss die Polizei acht Menschen im Dezember 2013 (siehe dazu spiegel-online v. 30.10., 6.11 und 30.12.2013). Zuletzt gab es am 2.3.2014 einen blutigen Anschlag mit Messern und Beilen auf die Reisenden eines Busbahnhofs in der chinesischen Stadt Kunming mit 29 Toten, und 130 Verletzten, den die Staatsführung sofort und - trotz der Tötung von vier Angreifern und Festnahme von drei weiteren bisher ohne Beleg - terroristischen uigurischen Separatisten anlastete (DER SPIEGEL online - 2.3.2014 - www.spiegel.de). Im Februar war zuvor am 20.2.2014 der uigurische Universitätsprofessor Ilham Tohti wegen mutmaßlichen Separatismus festgenommen worden, der die Webseite Uyghur Online gegründet hatte. Acht junge Uigurinnen, die entweder seine Studentinnen waren oder zu der Webseite beigetragen hatten, sind bereits im Januar 2014 verhaftet worden. Der Parteichef der Region Xinjiang gelobte, den Terrorismus mit äußerster Macht zu bekämpfen und der Vorsitzende der Region Xinjiang erklärte laut Bejing News Reports, dass „Kräfte von außen“ den Separatismus beeinflussen. Es gebe Leute außerhalb Chinas, die kein einiges, starkes kommunistisches China wollten (siehe zu alldem Reporters Sans Frontieres v. 12.3.2014 und BBC-News v. 3.3.2014 und v. 7.3.2014 sowie Congressional Executive Commission to China v. 4.3.2014 - alle über www.ecoi.net unter dem Stichwort China, Uiguren zu finden).
38 
Die chinesische Staatsführung hält vor diesem Hintergrund schon seit einigen Jahren die Provinz Xinjiang in ihrem dauernden Fokus, in jeder Ortschaft soll mindestens ein Polizist stationiert sein, zahlreiche uigurische Webseiten wurden blockiert, Telefon und Telekommunikationsverkehr wird überwacht. Obwohl die Provinz nur 2 % der Gesamtbevölkerung Chinas aufweist, werden 50 % aller chinesischen Staatsschutzstrafverfahren in Xinjiang geführt. Deren Zahl stiegt insoweit von 376 im Jahre 2010 um 10% auf 414 im Jahre 2011. Die Intensität der Repressionen gegenüber mutmaßlichen Separatisten, die aus dem Ausland nach China zurückkehren, wird durch offizielle Äußerungen deutlich, wonach schon 2005 zahlreiche solcher Rückkehrer unmittelbar bei Grenzübertritt festgenommen worden seien und selbst in Fällen einer unstreitigen ausländischen Staatsbürgerschaft eine konsularische Betreuung verweigert wird. Zum Verbleib und der Identität werden in der Regel keine Angaben gemacht, da es sich um innere Angelegenheiten Chinas handle (so zu alldem AA, Lagebericht China, 18.6.2013, S. 16 und 17).
39 
Für die Kläger Ziff. 2 und 3, die minderjährig sind und keine eigenen Verfolgungsgründe vorgetragen haben, ergibt sich ihr Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung aus der Vorschriften über den internationalen Schutz für Familienangehörige (§ 26 Abs. 2 und Abs. 5 S. 1 und S. 2 AsylVfG), die ihnen diesen Status allerdings erst ab Eintritt der Rechtskraft der Flüchtlingsanerkennung ihrer Mutter, der Klägerin Ziff. 1, einräumen.
40 
Nach allem erweist sich schließlich aufgrund der gem. § 77 Abs. 1 AsylVfG im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden aktuellen Fassung des AsylVfG dieunter Ziff. 3 des angefochtenen Bescheids getroffene negative Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG als rechtswidrig.
41 
Denn für eine solche Feststellung fehlt es in diesem Zeitpunkt an einer Ermächtigungsgrundlage. Europarechtlicher subsidiärer Schutz, wie er bisher in § 60 Abs. 2, 3 und 7 S. 2 AufenthG geregelt war und nunmehr unter § 4 AsylVfG geregelt ist, ist nämlich gem. Art. 2 f der Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU) nur subsidiär, d.h. nur einer Person zu gewähren, welche die Voraussetzungen der „Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt“. Deshalb sieht § 31 Abs. 2 AsylVfG auch nur vor, dass in der Entscheidung des Bundesamtes über einen (beachtlichen) Asylantrag festzustellen ist, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft „oder“ (falls dies nicht der Fall ist) der subsidiäre Schutz zuzuerkennen ist.
42 
Auch die unter Ziff. 3 des angefochtenen Bescheids außerdem enthaltene negative Feststellung zum Vorliegen des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 S. 1 AufenthG erweist sich im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt als rechtswidrig, weil ermessensfehlerhaft. Nach § 31 Abs. 3 AsylVfG „kann“ nämlich bei Anerkennung als Asylberechtigter oder Zuerkennung internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG von der Feststellung zum Vorliegen dieses nationalen Abschiebungsverbots abgesehen werden. Von dem damit der Beklagten eingeräumten Ermessen hat diese aber (entgegen § 40 1. HS VwVfG) keinen Gebrauch gemacht, sondern vielmehr gar keine Ermessenserwägungen angestellt, obwohl sie den Bescheid auch hinsichtlich seiner Ziff. 3 hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit insoweit unter Kontrolle halten muss.
43 
Schließlich erweist sich die unter Ziff. 4 des angefochtenen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung als rechtswidrig, da das Bundesamt in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur Asylanerkennung und Zuerkennung des Flüchtlingsstatus verpflichtet und daher nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AsylVfG nicht zum Erlass einer Abschiebungsandrohung ermächtigt ist.
44 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 S. 3 VwGO, 83 b AsylVfG. Im Hinblick darauf, dass der Status eines anerkannten Asylberechtigten mittlerweile nahezu vollständig dem Status eines anerkannten Flüchtlings gleicht (so ausdrücklich BVerwG, B. v. 21.12.2006 - 1 C 29.03 -, NVwZ 2007, 469 und B. v. 22.4.2008 - 10 B 88.07 -, InfAuslR 2008, 322; siehe auch BVerwG, Urt. v. 1.3. 2011 - 10 C 2/10 -, juris - Rdziff. 53), ist das Unterliegen der Kläger bezüglich ihrer Klage auf Anerkennung als Asylberechtigte (siehe Ziff. 1 des angefochtenen Bescheids) als derart marginal anzusehen, dass es gerechtfertigt ist, der im Übrigen unterliegenden Beklagten die Verfahrenskosten voll aufzuerlegen.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 07. Apr. 2014 - A 6 K 1287/12

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 07. Apr. 2014 - A 6 K 1287/12

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit
Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 07. Apr. 2014 - A 6 K 1287/12 zitiert 7 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 16a


(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung

Referenzen - Urteile

Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 07. Apr. 2014 - A 6 K 1287/12 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 07. Apr. 2014 - A 6 K 1287/12 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 04. Sept. 2012 - 10 C 13/11

bei uns veröffentlicht am 04.09.2012

Tatbestand 1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt seine Asyl- und Flüchtlingsanerkennung.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 31. März 2011 - 10 C 2/10

bei uns veröffentlicht am 31.03.2011

Tatbestand 1 Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Flüchtling und Asylberechtigter.

Referenzen

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt seine Asyl- und Flüchtlingsanerkennung.

2

Er reiste im Mai 2006 auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein. Zur Begründung seines Asylantrags gab er an, in der Türkei wegen Unterstützung der PKK ("Kurdische Arbeiterpartei") für 10 Jahre inhaftiert worden zu sein. Nach seiner Entlassung im Jahr 1990 sei er in Syrien und dem Libanon als PKK-Kämpfer ausgebildet worden und habe 1992/93 in der Türkei an Kampfhandlungen teilgenommen. Später sei er bei der ERNK ("Kurdische Befreiungsfront") gewesen und habe politische und logistische Aufgaben erledigt, d.h. finanzielle Dinge geregelt und versucht, Dorfbewohner für die PKK zu gewinnen. Im Nordirak sei er im Oktober 1999 als Guerilla bei einem Angriff von der türkischen Armee verletzt worden und habe sich dann bis 2004 im Lager Kandil aufgehalten. Danach sei er für den KONGRA-GEL ("Volkskongress Kurdistan") im Nordirak als Kontaktmann zu anderen Organisationen eingesetzt worden. Bis 2006 habe er auf einen Gewaltverzicht der PKK gehofft und sich auch entsprechend geäußert. Nachdem sich diese Auffassung in der PKK nicht durchgesetzt habe, habe er sich entschlossen, die Organisation zu verlassen. Aus Furcht, von der PKK als Verräter getötet zu werden, habe er Kontakt mit seiner Familie aufgenommen. Er sei dann über den Iran nach Deutschland gereist.

3

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 25. Juni 2008 als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen und auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehen, und drohte dem Kläger die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da beim Kläger die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG vorlägen. Durch seine Mitgliedschaft in der PKK und die langjährigen Guerillaaktivitäten für diese Organisation in der Türkei und im Nordirak sei die Annahme gerechtfertigt, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling außerhalb Deutschlands eine schwere nichtpolitische Straftat begangen habe.

4

Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25. Juni 2008 verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass dieser die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfülle. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Kläger als nachhaltiger PKK-Aktivist und exponierter Gegner des türkischen Staates bei der Wiedereinreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu erleiden habe. Sein Begehren scheitere nicht an der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes, denn als PKK-Aktivist habe er im Iran nicht Fuß fassen können. Schließlich habe er keinen Ausschlussgrund verwirklicht. Schwere Straftaten i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG seien vor allem terroristische, d.h. durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnete Handlungen. Der Kläger sei in der Südosttürkei für die PKK aber ganz überwiegend nur propagandistisch tätig gewesen und habe im Nordirak Kontakte zu anderen Organisationen gehalten. Als Guerilla habe er allenfalls 1992 und 1993 gekämpft; bei militärischen Auseinandersetzungen zwischen der PKK und türkischen Sicherheitskräften hätten jedoch Gewaltakte gegenüber der Zivilbevölkerung nicht im Vordergrund gestanden. Der von der PKK ausgeübte Druck auf die Dorfbevölkerung liege weit unterhalb der Schwelle des Terrors. Die Beseitigung von nicht genehmen oder abtrünnigen PKK-Leuten habe der Kläger weder selbst begangen noch zu verantworten. Zwar habe er von dem Mord an M.S., dessen Todesurteil auf der vom Kläger besuchten "Kerker-Konferenz" im August 1991 von den Anwesenden beschlossen worden sei, Kenntnis haben müssen. Aber ihm könnten diese Gewaltakte nicht zugerechnet werden, da er als einfacher Aktivist die Zusammenhänge und den Unrechtsgehalt der Taten nicht erkannt habe. Jedenfalls habe er sie aufgrund der Rechtfertigungen von Öcalan und seiner Führungsclique für "legitim" halten dürfen. Äußerstenfalls habe er unter einem derartigen Gruppendruck und in konkreter Gefahr für sein eigenes Leben gestanden, dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als diese Morde zur Kenntnis zu nehmen. Anschläge auf zivile Ziele in Istanbul und touristische Zentren der Südwesttürkei seien erst erfolgt, als er sich bereits von der PKK losgesagt habe und auf der Flucht gewesen sei. Terroristische Aktivitäten mit internationaler Dimension i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG habe der Kläger nicht unterstützt. Er sei in der Südosttürkei und dem Nordirak aktiv gewesen, habe aber mit Aktivitäten der PKK in Europa, geschweige denn mit solchen terroristischer Art, auch im Vorfeld nichts zu tun gehabt.

5

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte, das Berufungsgericht habe die anderweitige Sicherheit des Klägers bzw. Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes nur unzureichend geprüft. Für § 27 AsylVfG komme es - anders als beim Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft - nicht auf die Möglichkeit der Rückkehr in den sicheren Drittstaat an. Zudem dränge es sich auf, diesbezüglich auf die Lage des Klägers im Irak abzustellen. Das Berufungsurteil verletze ferner § 3 Abs. 2 AsylVfG, denn das Oberverwaltungsgericht befasse sich bei Prüfung der Nr. 2 nur mit terroristischen Handlungen, die zudem durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sein müssten. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die persönliche Verantwortung des Klägers für das Todesurteil gegen den abtrünnigen M.S. trotz seiner Teilnahme an der "Kerker-Konferenz" ausschließe, seien nicht tragfähig.

6

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit einer Begründung zurückgewiesen, die Bundesrecht verletzt. Denn es hat zum einen bei Prüfung des Asylanspruchs die anderweitige Sicherheit vor Verfolgung gemäß § 27 AsylVfG nicht im Hinblick auf den Irak untersucht (1.). Zum anderen halten die Erwägungen, mit denen es die Verwirklichung von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG durch den Kläger verneint hat, einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand (2.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen (3.).

9

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen.

10

1. Das Berufungsgericht ist, nachdem es für den Kläger als exponierten PKK-Aktivisten bei der Wiedereinreise in die Türkei politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit prognostiziert hat, auf die anderweitige Sicherheit vor Verfolgung nur unter dem Stichwort "Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes" und nur hinsichtlich des Iran, nicht aber des Irak eingegangen (UA S. 21). Damit hat es bei der Verpflichtung zur Asylanerkennung des Klägers § 27 AsylVfG verletzt (1.1); mit Blick auf die Flüchtlingsanerkennung erweist sich seine Entscheidung aber im Ergebnis als zutreffend (1.2).

11

1.1 Nach § 27 Abs. 1 AsylVfG wird ein Ausländer, der bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war, nicht als Asylberechtigter anerkannt. Hat sich ein Ausländer in einem sonstigen Drittstaat, in dem ihm keine politische Verfolgung droht, vor der Einreise in das Bundesgebiet länger als drei Monate aufgehalten, so wird gemäß Absatz 3 Satz 1 der Vorschrift vermutet, dass er dort vor politischer Verfolgung sicher war. Das gilt gemäß Satz 2 nicht, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass eine Abschiebung in einen anderen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen war.

12

Das Berufungsgericht hat diese Vorschrift bei der Prüfung des Asylanspruchs nicht in den Blick genommen, obwohl es davon ausgeht, dass der Kläger mehrere Jahre im Nordirak gelebt hat. Nach den tatrichterlichen Feststellungen spricht alles dafür, dass er dort vor einer Verfolgung durch den türkischen Staat sicher war und eine Lebensgrundlage nach Maßgabe der dort bestehenden Verhältnisse gefunden hat (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1987 - BVerwG 9 C 285.86 - BVerwGE 78, 332 <344 ff.> zu § 2 AsylVfG 1982); eine Verfolgung seitens des Irak hat der Kläger selbst nicht behauptet. Damit greift die widerlegbare gesetzliche Vermutung des § 27 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG ein.

13

Daher hätte das Berufungsgericht der Frage nachgehen müssen, ob der Kläger durch seine Abkehr von der PKK die im Nordirak bestehende Verfolgungssicherheit verloren hat. Denn § 27 AsylVfG findet keine Anwendung und die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen lebt wieder auf, wenn der in einem anderen Land gewährte Schutz vor politischer Verfolgung durch Widerruf, praktischen Entzug oder aus anderen Gründen entfällt; dies gilt auch dann, wenn sich der Asylbewerber längere Zeit in dem Drittstaat aufgehalten hat. Einem Asylanspruch steht die anderweitige Verfolgungssicherheit allerdings dann entgegen, wenn der Asylbewerber auf den Verfolgungsschutz freiwillig verzichtet, etwa durch eine nicht erzwungene Ausreise aus dem Gebiet des ihm Schutz gewährenden Staates (so bereits Urteil vom 6. April 1992 - BVerwG 9 C 143.90 - BVerwGE 90, 127 <135> m.w.N. zu § 2 AsylVfG 1982). Der Wegfall des Schutzes oder das Entstehen neuer Verfolgungsgefährdung durch die Abkehr von einer terroristischen Organisation - wie der PKK - steht einer freiwilligen Aufgabe der anderweitigen Sicherheit aber nicht gleich. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, welche Konsequenzen der Kläger als abtrünniges PKK-Mitglied im Irak zu befürchten hatte und ob seine Verfolgungssicherheit durch ggf. erfolgende Nachstellungen der PKK entfallen ist. Da hierzu jegliche tatrichterlichen Feststellungen fehlen, ist die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Asylanerkennung des Klägers schon aus diesem Grund aufzuheben.

14

1.2 Auch bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung hat das Berufungsgericht die Regelung des § 27 AsylVfG nicht herangezogen. Das verletzt Bundesrecht nicht, denn die Vorschrift betrifft nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG, nicht aber die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG (Urteil vom 8. Februar 2005 - BVerwG 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 <386> m.w.N.). Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes, für die es auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. Februar 2005 a.a.O.) zurückgegriffen hat, erweisen sich jedoch mit den inzwischen zu beachtenden unionsrechtlichen Vorgaben als nicht mehr vereinbar. Denn nach Ablauf der Umsetzungsfristen für die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) - Qualifikationsrichtlinie - und die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl EU Nr. L 326 vom 13. Dezember 2005 S. 13; berichtigt ABl EU Nr. L 236 vom 31. August 2006 S. 35) - Verfahrensrichtlinie - ist für ein materiellrechtliches Verständnis der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes kein Raum mehr.

15

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG sieht einen materiellrechtlichen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung aus Gründen der Subsidiarität nur in Fällen des Schutzes oder Beistands einer Organisation oder Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR oder dann vor, wenn der Betroffene von den Behörden des Aufenthaltsstaates als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten eines Staatsangehörigen dieses Landes oder gleichwertige Rechte und Pflichten hat. Die Möglichkeit anderweitig bestehender Sicherheit vor Verfolgung greift die Qualifikationsrichtlinie im Übrigen nur mit Blick auf den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG) auf, nicht aber im Hinblick auf die Verfolgungssicherheit in einem anderen Staat. Das Unionsrecht verfolgt insoweit keinen materiellrechtlichen, sondern einen verfahrensrechtlichen Ansatz: Nach Art. 25 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/85/EG kann ein Mitgliedstaat einen Asylantrag als unzulässig betrachten, wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als erster Asylstaat des Asylbewerbers gemäß Art. 26 RL 2005/85/EG betrachtet wird. Nach Art. 26 Satz 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85/EG kann ein Staat als erster Asylstaat eines Asylbewerbers u.a. dann angesehen werden, wenn dem Asylbewerber in dem betreffenden Staat anderweitig ausreichender Schutz einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährt wird, vorausgesetzt, dass er von diesem Staat wieder aufgenommen wird. Nach diesem verfahrensrechtlichen Konzept des ersten Asylstaats sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, einen Asylantrag in der Sache zu prüfen, wenn ein Drittstaat dem Antragsteller - auch ohne ihn als Flüchtling anzuerkennen - anderweitig ausreichenden Schutz gewährt und die Rückübernahme des Antragstellers in diesen Staat gewährleistet ist (vgl. auch den 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85/EG).

16

Der deutsche Gesetzgeber hat dieses verfahrensrechtliche Konzept des ersten Asylstaats in § 29 Abs. 1 AsylVfG in der Weise umgesetzt, dass ein Asylantrag - und damit auch ein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 13 Abs. 1 und 2 AsylVfG) - unbeachtlich ist, wenn offensichtlich ist, dass der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war und die Rückführung in diesen Staat oder in einen anderen Staat, in dem er vor politischer Verfolgung sicher ist, möglich ist. In den Fällen des § 29 Abs. 1 AsylVfG droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war (§ 35 AsylVfG). Das Asylverfahren ist gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG allerdings fortzuführen, wenn die Rückführung innerhalb von drei Monaten nicht möglich ist. Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unbeachtlichkeit des Antrags wird unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht; auch dann hat das Bundesamt das Asylverfahren fortzuführen (§ 37 Abs. 1 AsylVfG). Das Asylverfahrensgesetz knüpft somit an die Offensichtlichkeit, dass der Ausländer in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war und die Rückführung in diesen oder einen anderen sicheren Drittstaat möglich ist, ausschließlich die Unbeachtlichkeit des Asylantrags mit der verfahrensrechtlichen Folge, dass eine Abschiebungsandrohung in einen sicheren Drittstaat ohne umfassende Sachprüfung des Asylbegehrens ergehen kann. Macht das Bundesamt davon keinen Gebrauch, sondern entscheidet es - wie hier - über das Asylbegehren in der Sache, bleibt für eine materiellrechtlich verstandene Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes mit Blick auf die o.g. unionsrechtlichen Vorgaben kein Raum mehr. Die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. Februar 2005 a.a.O.) erweist sich insoweit als überholt.

17

2. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger keinen der in § 3 Abs. 2 AsylVfG enthaltenen Ausschlussgründe verwirklicht. Die dafür angeführten Erwägungen halten einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

18

Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG), wenn er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG), oder wenn er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG). Dies gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AsylVfG vor, ist der Asylantrag gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, so dass sich die Ausschlussgründe auch auf die Asylanerkennung erstrecken.

19

2.1 Das Berufungsgericht hat zu § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ausgeführt, der Kläger habe während seiner Zugehörigkeit zur PKK weder eine schwere nichtpolitische Straftat, insbesondere keine terroristische Handlung, begangen noch sei ihm eine solche zuzurechnen. Terroristische Handlungen seien Gewaltaktionen zur Erreichung politischer Ziele, die durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet seien (UA S. 24). Indem das Berufungsgericht der Prüfung dieses Ausschlussgrundes ausschließlich terroristische Gewaltaktionen der PKK zugrunde gelegt hat, die sich durch Gewalt gegen die Zivilbevölkerung auszeichnen, hat es - wie die Beklagte zutreffend rügt - einen zu engen Maßstab gewählt.

20

§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG dient wie Art. 1 F Buchst. b GFK dem Ausschluss "gemeiner Straftäter", denen man den Flüchtlingsschutz vorenthalten wollte, um den Status eines "bona fide refugee" aus Gründen der Akzeptanz in der internationalen Gemeinschaft nicht in Misskredit zu bringen. Daher rechtfertigt nicht jedes kriminelle Handeln des Schutzsuchenden vor seiner Einreise einen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung. Vielmehr muss der Straftat zunächst ein gewisses Gewicht zukommen, wofür internationale und nicht lokale Standards maßgeblich sind. Es muss sich also um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - BVerwGE 135, 252 Rn. 41).

21

Zugleich muss die Tat nichtpolitisch sein. Dazu ist auf den Delikttypus sowie die der konkreten Tat zugrunde liegenden Motive und die mit ihr verfolgten Zwecke abzustellen. Nichtpolitisch ist eine Tat, wenn sie überwiegend aus anderen Motiven, etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben begangen wird. Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Motiv bzw. Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, überwiegen nichtpolitische Beweggründe und kennzeichnen die Tat damit insgesamt als nichtpolitisch. So hat der Gesetzgeber in Umsetzung des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b letzter Halbsatz der Richtlinie 2004/83/EG insbesondere grausame Handlungen beispielhaft als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft, auch wenn mit ihnen vornehmlich politische Ziele verfolgt werden. Dies ist bei Gewalttaten, die gemeinhin als "terroristisch" bezeichnet werden, regelmäßig der Fall (Urteil vom 24. November 2009 a.a.O. Rn. 42), insbesondere, wenn sie durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sind (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und 101/09 - NVwZ 2011, 285 Rn. 81; dem folgend Urteil vom 7. Juli 2011 - BVerwG 10 C 26.10 - BVerwGE 140, 114 Rn. 35). Letzteres ist aber - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - keine notwendige, sondern eine bereits hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen einer nichtpolitischen Straftat. Die vorsätzliche rechtswidrige und schuldhafte Tötung oder erhebliche Verletzung eines Menschen erweist sich in Bezug auf das behauptete politische Ziel grundsätzlich als unverhältnismäßig und ist daher in aller Regel eine schwere nichtpolitische Straftat unabhängig davon, ob das Opfer ein Angehöriger der staatlichen Sicherheitskräfte, der Zivilbevölkerung oder ein abtrünniges Mitglied der eigenen Organisation ist.

22

Demzufolge hätte das Berufungsgericht bei der Prüfung des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG die Beteiligung des Klägers an Kampfhandlungen in den Jahren 1992/93 sowie Angriffe der PKK mit Opfern auf Seiten der türkischen Sicherheitskräfte nur dann aus seiner Betrachtung ausscheiden dürfen, wenn es zuvor festgestellt hätte, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat die völker(straf)rechtliche Schwelle eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut überschritten haben. Dann würden die für einen solchen Konflikt vorgesehenen Regelungen des Humanitären Völkerrechts und deren völkerstrafrechtlicher Sanktionierung auch die Maßstäbe beeinflussen, nach denen sich in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Mittel beurteilt. Denn soweit Kampfhandlungen von Kämpfern in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG erfasst werden, erfüllen sie in der Regel auch nicht den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat (Urteil vom 24. November 2009 a.a.O. Rn. 43). Dazu, ob die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat im Südosten der Türkei Anfang der 1990er Jahre die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut (vgl. dazu Urteil vom 24. November 2009 a.a.O. Rn. 33) erfüllten, hat das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.

23

2.2 Die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es die Ermordung des abtrünnigen PKK-Mitglieds M.S., dessen Todesurteil nach den tatsächlichen Feststellungen auf der vom Kläger besuchten "Kerker-Konferenz" im August 1991 von mehr als fünfhundert PKK-Leuten "beschlossen" worden ist, als dem Kläger nicht zurechenbar ansieht (UA S. 27), verletzen ebenfalls § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 AsylVfG. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass der Kläger als einfacher PKK-Aktivist die Zusammenhänge und den Unrechtsgehalt der Taten nicht erkannt hat, sie aber jedenfalls aufgrund der Rechtfertigung der PKK-Führung für "legitim" habe halten dürfen. Äußerstenfalls habe er unter einem derartigen Gruppendruck gestanden und konkrete Gefahr für sein eigenes Leben befürchten müssen, dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als diese Morde zur Kenntnis zu nehmen. Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

24

Bei der Prüfung des Ausschlussgrunds des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ist zu berücksichtigen, dass die notwendige individuelle Verantwortlichkeit eine Verantwortlichkeit im strafrechtlichen Sinne erfordert, wobei allerdings mit Blick auf die zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände das im Vergleich zum Strafrecht abgesenkte Beweismaß ("wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist"; vgl. dazu Urteil vom 31. März 2011 - BVerwG 10 C 2.10 - BVerwGE 139, 272 Rn. 26) genügt. Soweit keine Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Betracht zu ziehen sind und daher nicht zugleich § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG mit dem dynamischen Verweis auf die Regelungen im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 eingreift, liegt mangels einheitlicher internationaler Kriterien sowohl für Täterschaft und Teilnahme (vgl. die Länderberichte in: Sieber/Cornils, Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 4 Tatbeteiligung, Berlin 2010) als auch für Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe (vgl. dazu die Beiträge in: Eser/Fletcher, Rechtfertigung und Entschuldigung - Rechtsvergleichende Perspektiven, Bd. I 1987 und Bd. II 1988) grundsätzlich zunächst eine Orientierung an den Regeln des nationalen Strafrechts nahe (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 38).

25

Gerechtfertigt werden kann die Tötung eines Menschen nur durch Notwehr, nicht aber nach dem Prinzip des überwiegenden Interesses, denn das Leben eines Menschen steht in der Werteordnung des Grundgesetzes und der Menschenrechte - ohne zulässige Relativierung - an höchster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, Resolution 217 A der Generalversammlung der UN; Art. 6 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl II 1973, 1533; Art. 2 Abs. 1 EMRK; Art. 2 GRCh). Dieser allgemein anerkannte Rang des Rechts auf Leben in der Wertehierarchie der internationalen Gemeinschaft lässt die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums als Entschuldigungsgrund im Hinblick auf die Tötung eines Menschen nur schwerlich als vorstellbar erscheinen. Denn bei einem offensichtlich rechtswidrigen vorsätzlichen Tötungsdelikt kommt ein Schuldausschluss nicht in Betracht, wenn nicht im Einzelfall ganz besondere Umstände gegen eine Erkennbarkeit des Strafrechtsverstoßes sprechen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 1996 - 2 BvR 1851/94 u.a. - BVerfGE 95, 96 <142>). Diesem strengen Maßstab genügt die Annahme des Berufungsgerichts auf der Grundlage seiner zur "Kerker-Konferenz" getroffenen tatrichterlichen Feststellungen, der Kläger habe das "Todesurteil" für M.S. wegen der Rechtfertigung durch die PKK-Führung für legitim halten dürfen, nicht. Auch die - mit der Annahme eines Verbotsirrtums im Übrigen unvereinbare - Entschuldigung durch einen Nötigungsnotstand vermag die angefochtene Entscheidung nicht zu tragen. Gegen die vom Berufungsgericht nicht mit tatsächlichen Feststellungen unterlegte Annahme, der Kläger habe nur aus Angst um das eigene Leben nicht gegen das "Todesurteil" der PKK-Führung aufbegehrt, spricht bereits, dass er sich nicht unmittelbar nach der "Kerker-Konferenz" von der PKK gelöst hat.

26

2.3 Das Berufungsgericht hat den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG nicht durchgreifen lassen, da der Kläger keine terroristischen Aktivitäten mit internationaler Dimension unterstützt habe. Er sei in der Südosttürkei und dem Nordirak aktiv gewesen, habe aber mit terroristischen Aktivitäten der PKK in Europa auch im Vorfeld nichts zu tun gehabt. Auch diese Erwägungen verletzen Bundesrecht. Das Berufungsgericht nimmt für die internationale Dimension, die Handlungen des Terrorismus grundsätzlich haben müssen, um die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen berühren zu können (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 28 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82 ff.), nur die terroristischen Aktivitäten der PKK in Europa, nicht aber deren grenzüberschreitende Aktionen im Nordirak in den Blick. Zudem müssen Unterstützungshandlungen zugunsten einer Organisation, die - wie die PKK - Akte des internationalen Terrors begeht, sich nicht konkret auf terroristische Aktionen internationaler Qualität beziehen, um von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG erfasst zu werden. Denn dieser Ausschlussgrund verlangt keine Zurechnung nach strafrechtlichen Kriterien, da er kein strafbares Handeln im Sinne einer Beteiligung an bestimmten Delikten voraussetzt. Demzufolge können auch rein logistische Unterstützungshandlungen von hinreichendem Gewicht im Vorfeld den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG erfüllen (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 39). Soweit das Berufungsgericht schließlich ausführt, die Aktivitäten des Klägers hätten nicht das für § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG erforderliche Gewicht gehabt, beruht seine Wertung infolge zu enger Maßstäbe auf unzureichenden Tatsachenfeststellungen.

27

3. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Ausschlussgründen des § 3 Abs. 2 AsylVfG kann der Senat nicht abschließend selbst entscheiden, ob dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung zustehen. Deshalb ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

28

Das Berufungsgericht wird zunächst seine Überzeugungsbildung zu der von ihm gestellten Prognose, der Kläger habe bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten, aktualisieren und jedenfalls detailliert begründen müssen. Mit Blick auf die dafür in der angefochtenen Entscheidung angeführten Quellen, u.a. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2011, ist seine Annahme jedenfalls nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen. Denn das Berufungsgericht hat sich mit der Aussage im Lagebericht auf S. 27 nicht auseinandergesetzt, dass weder dem Auswärtigen Amt noch türkischen Menschenrechtsorganisationen oder Vertretungen anderer EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren Fälle bekannt geworden seien, in denen auch exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt worden seien. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt jedoch, dass das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, ohne einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse auszublenden oder zu übergehen.

29

Hat der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner PKK-Tätigkeit - über reine Strafverfolgungsmaßnahmen hinaus - politische Verfolgung zu befürchten, ist im Hinblick auf die Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 i.V.m. Abs. 2 AsylVfG in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, dass die PKK jedenfalls bis zum Ausscheiden des Klägers eine terroristische Organisation war (Urteile vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 <20 ff.>; vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.> und vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 35). Im Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass der Begriff der schweren nichtpolitischen Straftat sich nicht auf terroristische Gewaltakte gegenüber der Zivilbevölkerung beschränkt. Im Rahmen der tatsächlichen Würdigung des Verhaltens der PKK gegenüber der Landbevölkerung im Südosten der Türkei hat das Berufungsgericht das gesamte Geschehen der Auseinandersetzung in den Blick zu nehmen und dabei Feststellungen zu den tatsächlichen Übergriffen und Opfern der PKK aus jener Zeit zu treffen. Dabei wird sich das Berufungsgericht auch mit den entsprechenden Feststellungen anderer Obergerichte auseinanderzusetzen haben (vgl. z.B. VGH München, Urteil vom 21. Oktober 2008 - 11 B 06.30084 - juris Rn. 34 ff.; OVG Schleswig, Urteil vom 6. Oktober 2011 - 4 LB 5/11 - juris Rn. 45 f.; OVG Bautzen, Urteil vom 22. März 2012 - A 3 A 428/11 - juris Rn. 37). Für die Berücksichtigung von Opfern bei den Sicherheitskräften und diesen nahestehenden Zivilpersonen wird gegebenenfalls auch zu prüfen sein, ob die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat Anfang der 1990er Jahre die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut erfüllten und - sollte dies bejaht werden - PKK-Aktionen (zumindest teilweise) als Verstöße gegen das Völkerrecht i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG zu werten sind.

30

Allerdings rechtfertigt - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - allein der Umstand, dass der Kläger der PKK angehört hat und den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch die Annahme eines der genannten Ausschlussgründe. Zur Ermittlung der individuellen Verantwortung des Klägers bedarf es vielmehr einer genauen Würdigung seiner gesamten Aktivitäten für die PKK sowohl als Kämpfer als auch anschließend als Funktionär bei der Wahrnehmung politischer, logistischer und finanzieller Aufgaben. Dabei ist seine jedenfalls zuletzt offenbar nicht nur untergeordnete Stellung innerhalb der Organisation zu berücksichtigen. Bei der tatsächlichen Würdigung ist dem in der Vorschrift geregelten Beweisniveau Rechnung zu tragen (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 94 ff.). Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der abgesenkte Beweismaßstab des § 3 Abs. 2 AsylVfG sich nur auf die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen, nicht aber deren (straf)rechtliche Würdigung z.B. als schwere nichtpolitische Straftat bezieht.

31

Für die Beteiligung an einer schweren nichtpolitischen Straftat richtet sich die Zurechnung grundsätzlich zunächst nach nationalen strafrechtlichen Maßstäben (s.o. Rn. 24); erfasst wird mithin sowohl der Täter als auch der Anstifter. Auch der in sonstiger Weise Beteiligte ist für eine schwere nichtpolitische Straftat verantwortlich, wenn er eine strafrechtlich relevante Beihilfe i.S.d. § 27 StGB begangen hat. Allerdings muss auch im Fall der Beihilfe der Tatbeitrag nach seinem Gewicht dem einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne dieser Vorschrift entsprechen (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 38 m.w.N.). Das Berufungsgericht wird insoweit u.a. der Rolle des Klägers bei der sog. "Kerker-Konferenz" nachgehen müssen. Sollte es sich bei dieser Veranstaltung - was angesichts der streng hierarchischen Struktur der PKK durchaus in Betracht kommt - um einen reinen "Schauprozess" gehandelt haben, bei dem das "Todesurteil" der Führung bereits zuvor unumstößlich feststand, läge wohl mangels objektiver Förderung oder Erleichterung der Tathandlung eine Strafbarkeit selbst in der Form einer psychischen Beihilfe nicht nahe (vgl. zur psychischen Beihilfe: BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 - 5 StR 242/07 - NJW 2008, 1460 <1461>).

32

Bei dem Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, der jedenfalls bei Handlungen des Terrorismus mit internationaler Dimension auch von Personen verwirklicht werden kann, die keine Machtposition in einem Staat oder einer staatsähnlichen Organisation haben, setzt der Tatbestand nicht notwendig die Begehung einer strafbaren Handlung voraus. Von diesem Ausschlussgrund können auch Personen erfasst werden, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornehmen. Zusätzlich wird allerdings - um der Funktion dieses Ausschlussgrundes gerecht zu werden - in jedem Fall zu prüfen sein, ob der individuelle Beitrag des Betroffenen ein Gewicht erreicht, das dem der Ausschlussgründe in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG entspricht (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 28 und 39 m.w.N.).

33

Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger keinen Ausschlussgrund verwirklicht hat, wird es schließlich prüfen müssen, ob § 27 AsylVfG seiner Asylanerkennung entgegensteht, weil er auch nach Loslösung von der PKK im Irak vor politischer Verfolgung sicher war.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Flüchtling und Asylberechtigter.

2

Der 1963 geborene Kläger ist ruandischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hutu an. 1983 legte er in Ruanda das Abitur ab, arbeitete dort anschließend als Lehrer und studierte dann von 1987 bis 1989 in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo). Im März 1989 reiste er zum Studium in die Bundesrepublik Deutschland ein. 1995 schloss er hier sein Studium der Volkswirtschaftslehre ab, im Dezember 2000 wurde ihm der Doktortitel verliehen. Seit dem Bürgerkrieg in Ruanda im Jahr 1994 engagierte sich der Kläger in Deutschland - überwiegend in leitender Funktion - in ruandischen Exilorganisationen. Mit Bescheid vom 17. März 2000 wurde er wegen der Gefahr der politischen Verfolgung, die ihm aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten drohte, als Asylberechtigter anerkannt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Ruandas vorliegen. Mitte 2001 wurde der Kläger Präsident der Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (nachfolgend: FDLR), einer 1999 gegründeten Hutu-Exilorganisation, die im Osten der DR Kongo über bewaffnete Kampfgruppen verfügt.

3

Am 1. November 2005 nahm der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - gestützt auf die Sicherheitsrats-Resolution 1596 (2005) vom 18. April 2005 - den Kläger in die Liste von Personen und Einrichtungen auf, gegen die Restriktionen wegen des Waffenembargos für das Gebiet der DR Kongo verhängt wurden. Daraufhin widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 22. Februar 2006 die Asylanerkennung und die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen.

4

Der Widerruf wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger Präsident der FDLR sei und daher aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt sei, dass er Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Handlungen begangen habe, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die FDLR sei für regelmäßige Übergriffe - wie Überfälle, Vergewaltigungen und Entführungen - auf Dorfbewohner in der ostkongolesischen Provinz Südkivu verantwortlich. Sie verfüge im Osten der DR Kongo schätzungsweise über 10 000 bis 15 000 Kämpfer und begehe seit Jahren systematisch Verbrechen an der kongolesischen Zivilbevölkerung. Es handele sich dabei um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998. Der Kläger sei hierfür als Vorgesetzter verantwortlich. Durch die Verletzungen des durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 28. Juli 2003 verhängten Waffenembargos begehe die FDLR zudem Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats habe deshalb den Kläger auf die Liste der mit Sanktionen zu belegenden Personen gesetzt, von denen er überzeugt sei, dass sie gegen das Waffenembargo verstießen.

5

Das Verwaltungsgericht hob mit Urteil vom 13. Dezember 2006 den Widerrufsbescheid auf. Die Entscheidung beruhte im Wesentlichen auf der Erwägung, das Bundesamt habe das Vorliegen der Voraussetzungen von Ausschlussgründen nicht hinreichend darlegen und belegen können. Die in das Verfahren eingeführten Auskünfte seien eher vage und nicht hinreichend verlässlich. Das gelte umso mehr für die Verantwortlichkeit des Klägers.

6

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens ist der Kläger aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 16. November 2009 unter anderem wegen Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und auf Kriegsverbrechen gemäß §§ 4, 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6, § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) in Untersuchungshaft genommen worden. Der Ermittlungsrichter des BGH hat am 17. Juni 2010 die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet (Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, JZ 2010, 960). Im Dezember 2010 hat der Generalbundesanwalt beim BGH Anklage gegen den Kläger und gegen den Vizepräsidenten der FDLR unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erhoben; das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 1. März 2011 die Anklage zugelassen.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch Urteil vom 11. Januar 2010 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Er teilt die Auffassung des Bundesamts, dass der Kläger als Präsident der FDLR die Ausschlusstatbestände des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG verwirklicht habe und damit die Voraussetzungen für den Widerruf seiner Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erfüllt seien. Dem Widerruf stehe nicht entgegen, dass die Handlungen, die zum Ausschluss führten, zeitlich nach der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes lägen. Für den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter gelte im Ergebnis nichts anderes.

8

Der Kläger habe die Ausschlusstatbestände des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG zumindest als "in sonstiger Weise" Beteiligter nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG verwirklicht. Er sei Präsident der FDLR und allein dadurch als maßgeblicher Unterstützer für ihre Aktivitäten mitverantwortlich. Sein maßgeblicher Einfluss auf die Organisation und die grundsätzliche Billigung ihrer Kampfeinsätze sei von ihm selbst nie in Abrede gestellt worden und werde unter anderem durch Aussagen ehemaliger FDLR-Kämpfer bestätigt. Auch der Ermittlungsrichter des BGH komme, gestützt auf Zeugenaussagen und Telekommunikationsüberwachung, zu dem Ergebnis, dass der Kläger innerhalb der FDLR unumschränkte Befehls- und Verfügungsgewalt habe. Damit könnten die Ausschlussgründe, die von der Organisation als solche verwirklicht worden seien und nach ihrer Struktur von ihr verantwortet werden müssten, auch dem Kläger persönlich zugerechnet werden. Es sei aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass Aktionen der FDLR Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllten. Das Auswärtige Amt berichte seit Jahren über Ausplünderungen der Bevölkerung, Niederbrennen von Dörfern, Erschießungen von Frauen und Kindern, Massenvergewaltigungen und Verstümmelungen als Kriegswaffe sowie die Rekrutierung von Kindersoldaten (auch) durch die FDLR. Das Gericht sei davon überzeugt, dass die berichteten Gewalttaten mindestens zu einem großen Teil auch tatsächlich der FDLR zur Last fielen und dass die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung von der FDLR systematisch als Mittel der Kriegsführung eingesetzt würden. Die aufgeführten Taten der FDLR stellten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 dar.

9

Der Ausschlusstatbestand der Zuwiderhandlung gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG) sei ebenfalls erfüllt. Er ergebe sich aus den festgestellten systematischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die FDLR gehöre zu den staatsähnlichen Gebilden und der Kläger persönlich zu den Trägern von Machtpositionen, die in der Lage seien, Zuwiderhandlungen gegen Ziele der Vereinten Nationen zu begehen.

10

Der Kläger begründet seine gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision im Wesentlichen wie folgt: Die Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling dürfe nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nur widerrufen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anerkennungsentscheidung nicht mehr vorlägen. Die nachträgliche Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen rechtfertige einen Widerruf hingegen nicht. Auch die Genfer Flüchtlingskonvention gehe davon aus, dass die Ausschlusstatbestände des Art. 1 F bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme als Flüchtling vorgelegen haben müssten. Statusbeendende Maßnahmen dürften nur unter den Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 2 GFK erfolgen. Ein Widerruf der Asylberechtigung wegen nachträglicher Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen verstoße gegen Art. 16a GG. Wenn man eine immanente Schranke der Asylgewährung in den Rechten der Allgemeinheit sehe, sei darunter die deutsche Allgemeinheit zu verstehen, die im vorliegenden Fall aber nicht betroffen sei. Weiterhin werde seine persönliche Verantwortlichkeit durch Anstiftung und Organisationsherrschaft nur behauptet. Es sei nicht festgestellt worden, welchen Tatbeitrag er geleistet habe. Im Übrigen sei sein Recht auf ein faires Verfahren dadurch verletzt worden, dass sein mit Schriftsatz vom 4. Januar 2010 hilfsweise gestellter Antrag abgelehnt worden sei, das Verfahren auszusetzen, bis vorläufige Ergebnisse der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft im Kongo vorlägen. Erst im Zeitraum von ca. 2 Monaten vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs seien Berichte veröffentlicht worden, die überhaupt eine Basis für die getroffene Entscheidung darstellen könnten. Durch die Ablehnung einer Aussetzung sei sein Recht vereitelt worden, Beweise gegen den durch die Berichte vermittelten Eindruck über die Verwicklungen der FDLR und seine Beteiligung zu sammeln.

11

Die Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt im Wesentlichen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs. Bei der erhobenen Verfahrensrüge müsse sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass er nicht die ihm zu Gebote stehenden und sachgerechten Mittel gewählt habe, etwa anstelle eines Aussetzungsantrags konkrete Beweisanträge zu stellen. Die dem Kläger im Kern zur Last gelegten Vorwürfe seien auch nicht erst kurzfristig vor der Berufungsverhandlung entstanden, sondern seien bereits Grundlage des Widerrufsbescheids gewesen.

12

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und schließt sich im Wesentlichen der Argumentation der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die von ihm erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig (1.). Die Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) bleibt ohne Erfolg. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling (2.a) und als Asylberechtigter (2.b) zu Recht widerrufen wurde, steht mit Bundesrecht in Einklang.

14

1. Die vom Kläger erhobene Rüge der Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) durch die Verweigerung einer Aussetzung des Verfahrens ist unzulässig.

15

Soweit sie sich gegen die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO wendet, ergibt sich die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge daraus, dass ein Verstoß gegen § 94 VwGO als solcher im Revisionsverfahren nicht als Verfahrensmangel rügefähig ist. Eine Aussetzungsentscheidung nach § 94 VwGO ist unanfechtbar, wenn sie im Beschlussweg ergeht (§ 152 Abs. 1 VwGO). Die Revision kann in diesen Fällen nicht auf eine fehlerhafte Ablehnung einer Aussetzung gestützt werden. Dies folgt aus § 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO (vgl. Beschluss vom 22. Dezember 1997 - BVerwG 8 B 255.97 - NJW 1998, 2301; Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Juli 2009, § 94 Rn. 42; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 52). Nichts anderes kann dann gelten, wenn - wie hier - über die hilfsweise begehrte Aussetzung im Urteil entschieden und diese verweigert wird (Beschluss vom 15. April 1983 - BVerwG 1 B 133.82 - Buchholz 310 § 94 VwGO Nr. 4).

16

Der Kläger legt auch nicht dar, dass die Verweigerung der Aussetzung des Verfahrens zu einem Folgemangel geführt hat, der dem Berufungsurteil weiter anhaftet (vgl. hierzu Urteil vom 17. Februar 1972 - BVerwG 8 C 84.70 - BVerwGE 39, 319 <324>). Zwar rügt die Revision eine Verletzung des fairen Verfahrens dadurch, dass dem Kläger durch die verweigerte Aussetzung des Verfahrens die Möglichkeit genommen worden sei, Beweise "gegen die durch die Berichte entstandenen Eindrücke über die Verwicklungen der FDLR und seiner Beteiligung zu sammeln". Damit wird der Sache nach eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 138 Nr. 3 VwGO) geltend gemacht. Insoweit fehlt es aber an einer den gesetzlichen Vorgaben aus § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Darlegung eines Verfahrensmangels, einschließlich der Angabe der Tatsachen, die diesen Mangel ergeben. Denn der Kläger gibt nicht an, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sein soll, zu den die FDLR belastenden, von ihm nicht näher bezeichneten "Berichten" Stellung zu nehmen, die "im Zeitraum von ca. 2 Monaten vor der Entscheidung" veröffentlicht worden seien. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um zu begründen, weshalb mit der Berufungsentscheidung am 11. Januar 2010 gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs oder des fairen Verfahrens verstoßen worden sein soll. Es hätte dem Kläger oblegen, darzutun, welche der Vorwürfe aus welchen "Berichten" er für unzutreffend erachtet und weshalb es ihm noch nicht möglich gewesen ist, seine Sicht der Dinge darzulegen und unter Beweis zu stellen. Im Übrigen stützt sich das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs nicht nur auf Berichte des Auswärtigen Amtes, einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzten Expertengruppe und von Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch, sondern auch auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (BGH), der dem Kläger - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom Bevollmächtigten des Klägers eingeräumt - bei seiner Inhaftierung Mitte November 2009 bekannt gegeben worden war. Der geltend gemachte Verfahrensverstoß ist des Weiteren auch deshalb nicht dargelegt, weil der Kläger in der Revisionsbegründung nicht angibt, was er im Einzelnen noch vorgetragen und gegebenenfalls unter Beweis gestellt hätte, wenn ihm hinreichend Zeit zur Erwiderung eingeräumt worden wäre (vgl. Beschluss vom 13. Juni 2007 - BVerwG 10 B 61.07 - juris Rn. 5).

17

2. Die Rüge der Verletzung von Bundesrecht ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Übereinstimmung mit Bundesrecht entschieden, dass der Widerruf der Anerkennung des Klägers als Flüchtling und Asylberechtigter zu Recht erfolgte. Er entspricht den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Dabei ist hinsichtlich der formellen Voraussetzungen auf die zum Zeitpunkt seines Erlasses geltende Fassung des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes abzustellen. Hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen ist die Vorschrift in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798) anzuwenden.

18

Die formellen Widerrufsvoraussetzungen des § 73 AsylVfG liegen vor. Die Revision hat insoweit auch keine Einwände erhoben.

19

a) Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis gekommen, dass auch die materiellen Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft erfüllt sind. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen.

20

aa) Entgegen der Auffassung der Revision erfasst die Vorschrift nicht nur das nachträgliche Entfallen verfolgungsbegründender Umstände, das in Satz 2 der Vorschrift als Beispielfall ("insbesondere") angeführt wird, sondern auch die nachträgliche Verwirklichung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 AsylVfG.

21

(1) Dafür spricht schon der Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, der ohne sachliche Einschränkung die Verpflichtung zum Widerruf begründet, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung "nicht mehr" vorliegen. Das ist auch bei nachträglicher Verwirklichung von Ausschlussgründen der Fall. Dass diese Fallgestaltung von der Regelung mit erfasst werden soll, ergibt sich zudem aus § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG. Danach ist ein Widerruf auch nach Ablauf von 3 Jahren nach Unanfechtbarkeit der Anerkennungsentscheidung möglich, steht dann aber im Ermessen des Bundesamts, es sei denn der Widerruf erfolgt, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen. Im letzten Fall bleibt es bei der Verpflichtung zum Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Die Regelung geht also davon aus, dass auch die Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen zu den Gründen zählt, deren nachträgliches Eintreten zur Folge hat, dass die Anerkennungsvoraussetzungen im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG "nicht mehr" vorliegen. Das Ergebnis wird bestätigt durch die Begründung der Bundesregierung zu § 73 Abs. 1 AsylVfG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BTDrucks 16/5065 S. 219). Danach sind die Voraussetzungen für den Widerruf "auch dann gegeben, wenn nachträglich Ausschlussgründe eintreten". Ausgenommen ist hiervon nur der Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG, dessen Tatbestand eine vor der Aufnahme als Flüchtling begangene schwere nichtpolitische Straftat voraussetzt.

22

(2) Dem steht die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht entgegen. Diese regelt in Art. 1 F GFK nur die materiellen Voraussetzungen für den Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft, nicht aber das Verfahren der Zu- und Aberkennung. Den Ausschlusstatbeständen liegt maßgeblich das Konzept der Asylunwürdigkeit zugrunde (vgl. Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - BVerwGE 135, 252 Rn. 24 ff.). Die Notwendigkeit des Ausschlusses asylunwürdiger Personen hängt aber nicht davon ab, zu welchem Zeitpunkt sie die materiellen Ausschlussgründe nach Art. 1 F GFK verwirklichen. Etwas anderes gilt nur für den Ausschlussgrund des Art. 1 F Buchst. b GFK, der sich - anders als die hier maßgeblichen Ausschlusstatbestände des Art. 1 F Buchst. a und c GFK - auf nichtpolitische Straftaten beschränkt, die vor Aufnahme als Flüchtling begangen wurden (ebenso wie § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG). Auch der Hohe Flüchtlingskommissar hält eine Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung für gerechtfertigt, wenn Ausschlussgründe erst nach der Anerkennungsentscheidung verwirklicht werden. So führt er in Ziffer 4 der UNHCR-Richtlinie zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft vom 10. Februar 2003 (HCR/GIP/03/03) aus: "Ein Widerruf kann ausgesprochen werden, wenn ein Flüchtling im Nachhinein durch sein Verhalten den Tatbestand des Artikels 1 F (a) oder 1 F (c) erfüllt." Gegenteiliges kann nicht aus der Formulierung der Ausschlusstatbestände in der Vergangenheit geschlossen werden ("begangen haben", "zuschulden kommen ließen"), denn daraus ergibt sich nur, dass ein entsprechendes Verhalten vorgelegen haben muss, bevor der Ausschlusstatbestand greift (anders aber Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: Juni 2010, § 2 Rn. 33). Nicht gefolgt werden kann auch der Auffassung von Marx (InfAuslR 2005, 218 <225 f.>), auf die die Revision sich beruft. Er begründet seine Meinung, die nationale Regelung über die Ausschlussgründe könne völkerrechtlich unbedenklich nur die Statusentscheidung sperren, nicht aber einen nachträglichen Widerruf rechtfertigen, unter Bezugnahme auf die Background Note des UNHCR zu den Ausschlussgründen aus dem Jahr 2003 (a.a.O. S. 226 Fn. 52). Marx zitiert aber nur die Passage, die sich mit einer Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung ex tunc befasst, während der UNHCR im darauf folgenden Abschnitt der genannten Background Note (a.a.O. Rn. 17) den Widerruf ex nunc wegen nachträglicher Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen nach Art. 1 F Buchst. a und c GFK für gerechtfertigt hält, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind, und als Beispiel die Beteiligung des Flüchtlings an bewaffneten Aktionen im Aufnahmeland nennt.

23

(3) Für eine solche Auslegung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG spricht auch Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG, der bei Erfüllung eines Ausschlusstatbestandes die Verpflichtung zur Beendigung, Aberkennung oder Nichtverlängerung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig davon begründet, wann die Ausschlussgründe entstanden sind ("hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist"). § 73 AsylVfG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes von 2007 dient der Umsetzung auch dieser EU-Vorschrift und ist daher in Übereinstimmung mit ihr auszulegen (so im Ergebnis auch Hailbronner, AuslR, Stand: Aug. 2008, § 73 AsylVfG Rn. 50; Wolff, in: HK-AuslR, § 73 AsylVfG Rn. 23).

24

(4) Der Kläger genießt entgegen der Ansicht der Revision keinen Vertrauensschutz dahin, dass seine Anerkennung als Flüchtling vom März 2000 nicht nachträglich den Einschränkungen unterworfen wird, die sich aus der Einführung der Ausschlussgründe in bundesdeutsches Recht mit Wirkung zum 1. Januar 2002 durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 (BGBl I S. 361) ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Erfüllung von Ausschlussgründen durch den Kläger aus Tatsachen abgeleitet, die im Schwerpunkt im Zeitraum von 2005 bis 2009 verwirklicht wurden. Aus der Zeit vor 2005 ist insoweit nur die Übernahme des Amtes des Präsidenten der FDLR durch den Kläger Mitte 2001 von Bedeutung. Es kann offenbleiben, ob ein Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft sich nicht auch auf Handeln beziehen darf, das vor der Normierung der Ausschlussgründe im nationalen Recht verwirklicht wurde. Denn hier beruht der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ausschließlich auf dem Kläger zugerechneten Verbrechen der FDLR, die nach Einführung der Ausschlussgründe begangen wurden. Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger schon deshalb nicht berufen. Im Übrigen fordert auch Unionsrecht die Anwendung der Ausschlussgründe auf vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG ausgesprochene Anerkennungen. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) weist in diesem Zusammenhang auf den zwingenden Charakter des Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie hin, der bei Vorliegen von Ausschlussgründen eine Aberkennung oder Beendigung der Flüchtlingseigenschaft auch für schon vorher eingeleitete und abgeschlossene Verfahren verlangt (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09, (B) und Rs. C-101/09, (D) - NVwZ 2011, 285 Rn. 74).

25

bb) Das Berufungsgericht ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG verwirklicht hat. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG ist ein Ausländer unter anderem dann kein Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen.

26

(1) Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Beurteilung, dass der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG erfüllt ist, den zutreffenden Beweismaßstab zugrunde gelegt. Er ist zu der Überzeugung gelangt, dass durch Handlungen der FDLR Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG begangen wurden und diese dem Kläger als Präsidenten der FDLR zuzurechnen sind. Für diese Überzeugungsbildung reicht es aus, dass die Annahme der Begehung entsprechender Verbrechen aus schwerwiegenden Gründen gerechtfertigt ist. Ein Beweisstandard, wie er etwa im Strafrecht verlangt wird, ist hierfür nicht erforderlich. Vielmehr ergibt sich aus der Qualifizierung als "schwerwiegend", dass die Anhaltspunkte für die Begehung der in § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG genannten Verbrechen von erheblichem Gewicht sein müssen. Schwerwiegend sind die Gründe in der Regel dann, wenn klare und glaubhafte Indizien für die Begehung derartiger Verbrechen vorliegen (vgl. hierzu die Empfehlung <2005> 6 des Ministerrats des Europarats vom 23. März 2005 zum Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 F Buchst. b GFK; ähnlich Hailbronner, AuslR, Stand: Dez. 2007, § 3 AsylVfG Rn. 8). Von diesem Beweismaßstab ist das Berufungsgericht ausgegangen (UA Rn. 29).

27

(2) Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, welche zum Ausschluss nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG führenden Handlungen die FDLR im Einzelnen nach der Überzeugung des Gerichts begangen hat. Dazu zählt die Ausplünderung der Bevölkerung, das Niederbrennen von Dörfern, Erschießungen von Frauen und Kindern, Entführungen, Massenvergewaltigungen und Verstümmelungen als Mittel der Kriegsführung sowie die Rekrutierung von Kindersoldaten. Das Berufungsgericht entwickelt seine Überzeugung nicht nur aufgrund einer zusammenfassenden Würdigung von Lageberichten des Auswärtigen Amtes, sondern bezieht sich auch auf konkret aufgelistete Fälle im Bericht einer Expertengruppe der Vereinten Nationen vom 23. November 2009, im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des BGH vom 16. November 2009, in den Berichten von Human Rights Watch vom April und Dezember 2009 und in der Informationsschrift des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom Mai 2009. Die Beweiswürdigung beruht auf einer hinreichend breiten Tatsachengrundlage.

28

Der Verwaltungsgerichtshof wertet diese Taten zutreffend als Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 Buchst. a und g des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (BGBl 2000 II S. 1394, nachfolgend: IStGH-Statut). Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - (a.a.O. Rn. 31) entschieden, dass sich die Frage, ob Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG vorliegen, gegenwärtig in erster Linie nach den im IStGH-Statut ausgeformten Tatbeständen dieser Delikte bestimmt. Denn darin manifestiert sich der aktuelle Stand der völkerstrafrechtlichen Entwicklung bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht. Dabei durfte der Verwaltungsgerichtshof offenlassen, ob es sich bei den Kämpfen im Ostkongo um einen internationalen oder einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt handelt, weil die festgestellten Morde, Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Plünderungen und Zwangsrekrutierungen von Kindersoldaten in beiden Fällen als Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 IStGH-Statut anzusehen sind (Art. 8 Abs. 2 Buchst. a Ziff. I, Buchst. b Ziff. I, II, X, XVI, XXII, Buchst. c Ziff. I, Buchst. e Ziff. I, V, VI, VII und XI IStGH-Statut, Art. 2 und 3 des Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949, BGBl 1954 II, S. 917). Die Morde und Vergewaltigungen im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung stellen gleichzeitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 Buchst. a und g IStGH-Statut dar (vgl. auch Haftbefehl des Ermittlungsrichters des BGH vom 16. November 2009 S. 16 ff.).

29

(3) Das Berufungsgericht hat eine Verantwortlichkeit des Klägers für die von der FDLR begangenen Verbrechen zutreffend aus dessen Stellung als Präsident der Organisation und dem damit verbundenen Einfluss auf die Handlungen ihrer Kämpfer abgeleitet. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen den Schluss, dass der Kläger als Täter der von der FDLR begangenen Verbrechen anzusehen ist und nicht nur - wie im Berufungsurteil angenommen - als ein daran in sonstiger Weise Beteiligter gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG.

30

Die Verantwortlichkeit des Klägers ergibt sich aus Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut. Danach ist ein militärischer Befehlshaber unter anderem bereits dann für die von Truppen unter seiner Führungsgewalt und Kontrolle begangenen Verbrechen verantwortlich, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass in seinem Einflussbereich derartige Verbrechen begangen wurden und er nicht alles in seiner Macht stehende unternommen hat, um ihre Begehung zu verhindern. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass der Kläger Präsident der FDLR ist, maßgeblichen Einfluss auf die Organisation ausübt und innerhalb der FDLR unumschränkte Befehls- und Verfügungsgewalt besitzt. Ergänzend verweist er auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des BGH vom 16. November 2009, der ebenfalls zu diesem Ergebnis kommt. Danach ist der Kläger als Präsident der FDLR zugleich ihr oberster militärischer Befehlshaber (Haftbefehl S. 6 und 14 ff.) und demzufolge berechtigt, sowohl strategische Einsatzbefehle zu erteilen als auch bestimmte Kampfhandlungen oder Kampfmethoden zu unterbinden (Haftbefehl S. 15). Er habe auch faktisch die Befehlsgewalt ausgeübt. Die dem Kläger nachgeordneten, vor Ort tätigen Kommandanten hätten regelmäßig über Satellitentelefon, E-Mail oder herkömmliche Fernsprechverbindungen den engen Kontakt zum Kläger gesucht, um dessen Anordnungen entgegenzunehmen oder zumindest sein Einverständnis zu bestimmten Militäraktionen einzuholen (Haftbefehl S. 15 und 23 ff.). Ausgehend von diesen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ergibt sich hieraus die Verantwortlichkeit des Klägers für die von der FDLR begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut.

31

Der Kläger handelte nach den Feststellungen im Berufungsurteil auch vorsätzlich. Für die subjektive Verantwortlichkeit im Sinne von Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut reicht zwar Fahrlässigkeit. Der Verwaltungsgerichtshof verweist hinsichtlich der subjektiven Verantwortlichkeit aber auf den Haftbefehl vom 16. November 2009, in dem der Ermittlungsrichter zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger vorsätzlich gehandelt hat. Dies wird damit begründet, dass er aufgrund der zahlreichen Berichte wie auch der persönlichen Unterrichtung durch die örtlichen Kommandanten der FDLR Kenntnis von den Straftaten der FDLR-Milizionäre gehabt habe. Er sei sich darüber im Klaren gewesen, dass die von ihm befehligten Milizionäre in ihrem Herrschaftsbereich weiterhin Tötungen, Folterungen, Plünderungen und Vertreibungen begehen würden, solange er dies nicht unterbindet. Mit Recht kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass distanzierende Presseerklärungen für ein entsprechendes Unterbinden der Verbrechen nicht ausreichen. Auch die Verankerung des Verbots derartiger Verbrechen im Statut der FDLR, auf die die Revision sich beruft, reicht nicht aus, wenn der Kläger keine geeigneten Maßnahmen zur Durchsetzung des Verbots ergreift.

32

Zu einer Verantwortlichkeit des Klägers kommt man auch, wenn man die Kriterien des Gerichtshofs der Europäischen Union anlegt, wie er sie in seinem Urteil vom 9. November 2010 für den Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG entwickelt hat (a.a.O. Rn. 95 ff.). Danach kann dem Mitglied einer Organisation ein Teil der Verantwortung für Handlungen, die von der fraglichen Organisation im Zeitraum seiner Mitgliedschaft begangen wurden, zugerechnet werden. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, welche Rolle die betreffende Person bei der Verwirklichung der fraglichen Handlungen tatsächlich gespielt hat, welche Position sie innerhalb dieser Organisation gehabt hat und welche Kenntnis sie von deren Handlungen hatte oder haben musste. Hier hatte der Kläger als Präsident und militärischer Oberbefehlshaber eine hervorgehobene Stellung in der Organisation, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beging. Er wusste von den begangenen Verbrechen und ergriff keine geeigneten Maßnahmen, die Taten zu verhindern.

33

Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Rüge der Revision, der Verwaltungsgerichtshof habe die Verantwortlichkeit des Klägers nur behauptet und nicht festgestellt, welchen Tatbeitrag er geleistet habe. Das Berufungsurteil stellt vielmehr auf die Organisationsherrschaft des Klägers als Präsident und militärischer Oberbefehlshaber ab, wodurch ihm alle Handlungen der von ihm geleiteten Organisation zugerechnet werden, sofern er nicht geeignete Schritte zu ihrer Verhinderung ergriffen hat. Der Verweis auf seine Organisationsherrschaft als Präsident ist mehr als eine lediglich "pauschale Behauptung der Täterschaft". Auch trifft es nicht zu, dass - wie die Revision behauptet - die Auswertungen der Kommunikationsüberwachung (TKÜ) und des Laptops des Klägers keine Rolle spielen dürften, weil diese "selbst am 31. März 2010 weitgehend noch nicht ausgewertet" gewesen seien. Der Haftbefehl stützt sich bei seiner Bewertung, dass der Kläger maßgeblichen Einfluss auf die FDLR ausgeübt habe, auf die Angaben des Klägers selbst, auf zahlreiche Berichte von Nichtregierungsorganisationen, auf die Angaben von drei Zeugen sowie die Erkenntnisse aus der Überwachung der Telekommunikation des Klägers und der Auswertung seines E-Mail-Verkehrs. Diese Unterlagen sind detailreich und präzise.

34

cc) Da die Anerkennung des Klägers als Flüchtling wegen der Verwirklichung des Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG zu widerrufen war, konnte der Senat offenlassen, ob der Kläger - wie vom Berufungsgericht angenommen - auch die Voraussetzungen für den Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG erfüllt. Allerdings spricht viel dafür, dass der Kläger den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.

35

(1) Die für den Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG maßgeblichen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen werden in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82). In der Präambel wie in Art. 1 der Charta wird das Ziel formuliert, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Kapitel VII der Charta (Art. 39 bis 51) regelt die zu ergreifenden Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen. Nach Art. 39 der Charta obliegt dem Sicherheitsrat die Feststellung, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist dem Umstand besondere Bedeutung beizumessen, dass der Sicherheitsrat, indem er Resolutionen aufgrund von Kapitel VII der Charta beschließt, nach Art. 24 der Charta die Hauptverantwortung wahrnimmt, die ihm zur weltweiten Wahrung des Friedens und der Sicherheit übertragen ist. Das schließt die Befugnis des Sicherheitsrats ein zu bestimmen, was eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt (EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 3. September 2008 - Rs. C-402/05 P und Rs. C-415/05 P, Kadi und Al Barakaat - Slg. 2008 Rn. 294).

36

In der Resolution 1493 (2003) vom 28. Juli 2003 hat der UN-Sicherheitsrat festgestellt, dass der bewaffnete Konflikt in der DR Kongo eine Bedrohung des Weltfriedens darstellt, und sein Handeln ausdrücklich auf Kapitel VII der Charta gestützt (Resolution vor Ziffer 1). Dabei hat er auf das Andauern von Feindseligkeiten im Osten des Landes Bezug genommen und auf die damit einhergehenden schweren Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Er verurteilt entschieden die "systematischen Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen, einschließlich der Massaker, sowie die anderen Gräueltaten und Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, insbesondere die sexuellen Gewalthandlungen gegen Frauen und Mädchen, und betont, dass die Verantwortlichen, auch auf Führungsebene vor Gericht gestellt werden müssen" (Ziffer 8 der Resolution). Zudem hat der Sicherheitsrat ein Waffenembargo zur Verhinderung der weiteren Einfuhr von Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial in die DR Kongo verhängt (Ziffer 20 der Resolution). Damit steht fest, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen in der DR Kongo, an denen die FDLR beteiligt ist, eine Störung des Weltfriedens darstellen, ohne dass die nationalen Gerichte insoweit zu einer Überprüfung ermächtigt sind. Aufgrund der Resolution des UN-Sicherheitsrates steht weiter fest, dass die Störung des Weltfriedens jedenfalls auch durch die in der Resolution näher bezeichneten Gräueltaten und Verletzungen des humanitären Völkerrechts wie auch die Einfuhr von Waffen in das Konfliktgebiet erfolgt. Diese Störungshandlungen laufen damit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider.

37

(2) Einer Verwirklichung des Ausschlussgrundes durch den Kläger würde es allerdings entgegenstehen, wenn derartige Zuwiderhandlungen nur von Personen begangen werden könnten, die eine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben. Diese Auffassung wird nicht nur vom UNHCR vertreten, sondern entspricht auch der früheren Rechtsprechung des 1. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf, September 1979, Nr. 163; Urteil vom 1. Juli 1975 - BVerwG 1 C 44.68 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 9). Dass der Kläger zu diesem Personenkreis zählt, lässt sich den Feststellungen im Berufungsurteil nicht entnehmen. Denn für die Annahme des Berufungsgerichts, dass er als Präsident der FDLR einer staatsähnlichen Organisation vorstehe, liegen keine ausreichenden, diesen Schluss rechtfertigenden Tatsachenfeststellungen vor.

38

Aus Sicht des Senats spricht allerdings viel dafür, dass unter bestimmten engen Voraussetzungen auch nichtstaatliche Akteure den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG verwirklichen können. Für Mitglieder terroristischer Organisationen ergibt sich dies aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. November 2010 (a.a.O. Rn. 82 ff.). Danach laufen Handlungen des internationalen Terrorismus "unabhängig von der Beteiligung eines Staates" den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider und führen im Falle individueller Verantwortung zum Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft. Dies hat der Gerichtshof unter Bezug auf die Resolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 begründet, die in Ziffer 5 ausdrücklich "erklärt, dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen". Für andere Verletzungen des Weltfriedens ist auf der Grundlage der vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolutionen festzustellen, ob und worin er eine Verletzung des Weltfriedens sieht, ob ein privater Akteur maßgeblichen Einfluss darauf hat und ob von ihm eine ähnliche Wirkung auf die Störung des Weltfriedens ausgeht wie von staatlichen Verantwortungsträgern. Diese Auslegung ermöglicht eine sachgerechte Abgrenzung der Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG, denn Nr. 3 erfasst dann auch das Handeln nichtstaatlicher politischer Verantwortungsträger, die möglicherweise nicht strafrechtlich nach Nr. 1 zur Verantwortung gezogen werden können, deren Ausschluss wegen ihres maßgeblichen Einflusses auf die Störung des Weltfriedens etwa als politische Repräsentanten oder Anführer paramilitärischer Verbände oder Milizen aber zur Wahrung der Integrität des Flüchtlingsstatus geboten ist.

39

Auch Gerichte anderer Staaten wenden die Ausschlussklausel des Zuwiderhandelns gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen (Art. 1 F Buchst. c GFK) auf Personen an, die keine staatliche Macht ausüben (vgl. etwa Urteil des britischen Immigration Appeal Tribunal vom 7. Mai 2004, KK

<2004> UKIAT 00101 Rn. 20; Supreme Court of Canada in der Sache Pushpanathan v. Canada <1999> INLR 36), ohne dass insoweit aber eine einheitliche Staatenpraxis besteht. Folgt man der vom Senat hier entwickelten Auslegung, wäre an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1975 nicht mehr festzuhalten, wonach die Ausschlussbestimmung des Art. 1 F Buchst. c GFK nur Handlungen erfasst, die dem zwischenstaatlichen (internationalen) Frieden und der zwischenstaatlichen Völkerverständigung zuwiderlaufen (vgl. Urteil vom 1. Juli 1975 a.a.O.).

40

Geht man von diesen Kriterien aus, so ergibt sich eine solche Verantwortlichkeit des Klägers nicht schon aus der Tatsache, dass er von den Vereinten Nationen in eine Liste von Personen aufgenommen wurde, gegen die Beschränkungen zur Durchsetzung des Waffenembargos ergriffen werden sollen. Durch die Resolution 1596 (2005) vom 18. April 2005 hat der Sicherheitsrat in Ziffern 13 und 15 ein Einreiseverbot und finanzielle Restriktionen gegen Personen beschlossen, die nach Ziffer 18 Buchst. a der Resolution von einem dafür benannten Ausschuss benannt und in einer zu aktualisierenden Liste erfasst werden. In diese Liste wurde der Kläger am 1. November 2005 aufgenommen, wobei seine Erfassung mit seiner Stellung als Präsident der FDLR und seiner Beteiligung am Waffenhandel in Verletzung des verhängten Embargos begründet wird. Allerdings genügt die Aufnahme in eine derartige Liste allein nicht, um den Ausschlussgrund des Zuwiderhandelns gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen anzunehmen; ihr kommt insoweit (nur) eine erhebliche Indizwirkung zu. Vielmehr bedarf es, wenn der Betreffende - wie hier - die zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände bestreitet, entsprechender Feststellungen durch die nationalen Behörden bzw. Gerichte. Diese Prüfung hat sich auch auf die individuelle Verantwortung des Klägers in Bezug auf das Zuwiderhandeln gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen durch Verletzung des Waffenembargos zu beziehen (vgl. Urteil des EuGH vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82 ff.). Eine solche individuelle Prüfung hat das Berufungsgericht hier nicht vorgenommen.

41

Für eine Verantwortlichkeit des Klägers im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG spricht indes folgender Umstand: Aus der Resolution 1493 (2003) des UN-Sicherheitsrats ergibt sich, dass eine Störung des Weltfriedens vorliegt und dass sie von den bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten der DR Kongo ausgeht, an denen nicht nur staatliche Armeeeinheiten sondern auch nichtstaatliche Milizen wie die FDLR beteiligt sind, sowie von den systematischen Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts, zu deren Verhinderung der Sicherheitsrat "alle Parteien, einschließlich der Regierung der Demokratischen Republik Kongo" auffordert (Ziffer 8 der Resolution). Das spricht dafür, dass hier auch nichtstaatlichen Akteuren ein maßgeblicher Einfluss auf die Störung des Weltfriedens zugeschrieben wird. Nimmt man die Feststellungen des Berufungsgerichts hinzu, dass die FDLR seit Jahren an dem bewaffneten Konflikt beteiligt ist, ein Territorium im Osten der DR Kongo besetzt hält und systematisch Gewaltakte gegen die Zivilbevölkerung verübt, so dürfte sie als eine nichtstaatliche Organisation anzusehen sein, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderhandelt. Dabei kommt es nicht - wie der Verwaltungsgerichtshof meint - darauf an, ob die FDLR ein staatsähnliches Gebilde ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die von ihr und ihren Anführern ausgehenden Wirkungen auf die Störungen des Weltfriedens den von staatlichen Machthabern ausgehenden Wirkungen vergleichbar sind. Für das den Weltfrieden störende Handeln der FDLR trägt der Kläger als deren Präsident, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten seiner Kämpfer hat, die persönliche Verantwortung (vgl. Urteil des EuGH vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 97 f.).

42

Auch wenn nach Auffassung des Senats viel dafür spricht, dass der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG in besonderen Fällen auch von nichtstaatlichen Akteuren wie dem Kläger verwirklicht werden kann, bedurfte es hier keiner abschließenden Entscheidung dieser Frage, da der Kläger schon nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG von der Flüchtlingsstellung ausgeschlossen ist.

43

b) Mit Recht ist der Verwaltungsgerichtshof ferner davon ausgegangen, dass auch die materiellen Voraussetzungen für den Widerruf der Asylberechtigung des Klägers erfüllt sind. Denn der Widerruf der Asylberechtigung ist geboten, wenn Ausschlussgründe nach der Anerkennungsentscheidung verwirklicht werden. Das folgt aus nationalem Recht wie aus Unionsrecht.

44

aa) Die Voraussetzungen für den Widerruf einer Asylanerkennung ergeben sich im nationalen Recht aus § 73 Abs. 1 AsylVfG. Die Vorschrift bezieht sich ausdrücklich auf den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft und der Asylberechtigung. Danach ist die Anerkennung als Asylberechtigter zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Wie schon für den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ausgeführt, erfasst die Vorschrift nicht nur das nachträgliche Entfallen verfolgungsbegründender Umstände, sondern auch die nachträgliche Verwirklichung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 AsylVfG (vgl. oben Rn. 20 ff.). Weiter ergibt sich aus § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass sich die Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 AsylVfG auch auf die Asylanerkennung erstrecken und demnach auch einen Widerruf der Asylanerkennung rechtfertigen. Der Begriff "Widerruf oder Rücknahme" in dieser Vorschrift bezieht sich ersichtlich auf beide Anerkennungsformen. Außerdem spricht für dieses Verständnis der gesetzlichen Regelung auch § 30 Abs. 4 AsylVfG, wonach ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen. Aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Richtlinienumsetzungsgesetz ergibt sich, dass durch die in § 30 Abs. 4 AsylVfG getroffene Regelung eine mögliche Kollision zwischen der Flüchtlingsanerkennung und der Asylberechtigung vermieden werden soll, indem die Ausschlussklauseln gleichermaßen bei der Flüchtlingsanerkennung wie auch bei der Anerkennung als Asylberechtigter anzuwenden sind (BTDrucks 16/5065 S. 214).

45

Ob diese einfachgesetzliche Regelung in vollem Umfang mit Art. 16a GG vereinbar ist oder ob die Grenzen des grundrechtlichen Asylanspruchs nach der hierzu bisher vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anders zu bestimmen sind als nach der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. hierzu Beschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 Rn. 36 ff.), kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls wird der Fall des Klägers nicht vom Schutzbereich des verfassungsrechtlich garantierten Asyls erfasst, so dass der Widerruf seiner Asylberechtigung nicht gegen Art. 16a GG verstößt.

46

Der Schutzbereich des Art. 16a GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch einen "Terrorismusvorbehalt" begrenzt. Danach liegt es außerhalb des Asylrechts, wenn für terroristische Aktivitäten nur ein neuer Kampfplatz gesucht wird, um sie dort fortzusetzen oder zu unterstützen (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <152 f.>). Demgemäß kann Asyl nicht beanspruchen, wer im Heimatland unternommene terroristische Aktivitäten oder deren Unterstützung von der Bundesrepublik Deutschland aus in den hier möglichen Formen fortzuführen trachtet. Er sucht nicht den Schutz und Frieden, den das Asylrecht gewähren will. Diese normative Begrenzung des Schutzbereichs gilt unabhängig von einer etwaigen Verfolgung wegen terroristischer Aktivitäten im Heimatstaat. Sie gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch für diejenigen, die erstmals von Deutschland aus im Rahmen exilpolitischer Aktivitäten den politischen Kampf mit terroristischen Mitteln aufnehmen (Urteil vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 <16 ff.>; die gegen dieses Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen, Beschluss vom 26. Oktober 2000 - 2 BvR 1280/99 - InfAuslR 2001, 89).

47

Lagen den von der Rechtsprechung bisher entschiedenen Fällen nur Sachverhalte zugrunde, in denen es um terroristische Aktivitäten von Asylsuchenden ging, so bedeutet dies keineswegs, dass sich die normative Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 16a GG auf eine Betätigung im Bereich des Terrorismus beschränkt. Denn Grund für die normative Begrenzung ist, dass eine derartige Betätigung von der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit der von ihr mitgetragenen Völkerrechtsordnung grundsätzlich missbilligt wird (vgl. Urteil vom 30. März 1999 a.a.O. Rn. 17). Die Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt einen vergleichbar schweren Verstoß gegen die von der Bundesrepublik Deutschland mitgetragene Völkerrechtsordnung dar wie Akte des Terrorismus. Derartige Handlungen gehören nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu den schwersten Verbrechen, die "die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren" (Art. 5 IStGH-Statut). Dieses Statut wurde von der Diplomatischen Bevollmächtigtenkonferenz der Vereinten Nationen am 17. Juli 1998 verabschiedet und mittlerweile von 139 Staaten unterzeichnet. In dem Statut wird das Völkerstrafrecht unter Berücksichtigung der gemeinsamen Überzeugungen der Völkerrechtsgemeinschaft kodifiziert (vgl. Denkschrift der Bundesregierung zum Ratifikationsgesetz, BRDrucks 716/1999 S. 99). Ausländer, die nach Aufnahme in Deutschland Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen begehen oder sich an ihnen beteiligen, begehen einen schweren Verstoß gegen die Völkerrechtsordnung und suchen nicht den Schutz und Frieden, den das Asylrecht gewähren will. Sie können asylrechtlichen Schutz nach Art. 16a GG nicht beanspruchen.

48

Für eine derartige Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 16a GG spricht im Übrigen auch Art. 26 GG, wonach Handlungen verfassungswidrig sind, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören (vgl. Hobe, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 26 Rn. 11; I. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 26 Rn. 18). Durch Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG wird unmittelbar durch die Verfassung ein Verhalten verboten, das auf die Herbeiführung oder Förderung völkerrechtswidriger Zustände unter Gefährdung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit im Sinne von Art. 39 UN-Charta zielt (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: März 2006, Art. 26 Rn. 13). Auch die Begehung von oder die Beihilfe zu völkerrechtlichen Verbrechen - wie sie etwa in Art. 5 ff. und Art. 28 IStGH-Statut normiert sind - sind geeignet, den Völkerfrieden zu stören, und werden daher vom Störungsverbot des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst (so I. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 26 Rn. 15 und 17). So verstanden könnte auch Art. 26 Abs. 1 GG eine verfassungsimmanente Schranke der Asylverheißung des Art. 16a GG begründen.

49

Wie bereits im Rahmen des Widerrufs der Flüchtlingseigenschaft ausgeführt, ist aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass die vom Kläger geleitete FDLR Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 IStGH-Statut und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 Buchst. a und g IStGH-Statut begangen hat und der Kläger hierfür nach Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut als Täter verantwortlich ist. Die hier noch erforderliche aktuelle Gefahr (oder auch Wiederholungsgefahr - vgl. hierzu Urteil vom 30. März 1999 a.a.O. Rn. 22 unter Hinweis auf Urteil vom 10. Januar 1995 - BVerwG 9 C 276.94 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 175, juris Rn. 23) ist im Fall des Klägers aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts gegeben, da er weiterhin Präsident der FDLR ist und diese - wie im Haftbefehl ausgeführt - auch während des Berufungsverfahrens ihre einschlägigen Aktivitäten fortgesetzt hat. Damit ist der Kläger auch nach Verfassungsrecht von der Anerkennung als Asylberechtigter ausgeschlossen.

50

bb) Unabhängig davon ist der Widerruf der Asylberechtigung bei der Verwirklichung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG auch nach Unionsrecht geboten.

51

Die in § 3 Abs. 2 AsylVfG normierten Ausschlussgründe setzen die für die Flüchtlingseigenschaft getroffenen Vorgaben in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG um. Nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie gilt die Verpflichtung zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft im Fall der nachträglichen Feststellung von Ausschlussgründen im Sinne von Art. 12 der Richtlinie auch für Personen, die - wie der Kläger - ihren Antrag auf Gewährung von Flüchtlingsschutz bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie gestellt haben. Sie ist auch für die nach nationalem Recht gewährte Asylberechtigung zu beachten. Denn Art. 3 der Richtlinie gestattet den Mitgliedstaaten günstigere Regelungen zur Frage, wer als Flüchtling gilt, nur insoweit, als dies mit der Richtlinie zu vereinbaren ist.

52

Der Senat hat durch Beschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - (a.a.O.) dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob es mit Art. 3 der Richtlinie vereinbar ist, dass ein Mitgliedstaat nach seinem Verfassungsrecht einer Person, die gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, ein Asylrecht zuerkennt. Der Gerichtshof hat die Frage dahin beantwortet, dass es Art. 3 der Richtlinie zuwiderläuft, dass ein Mitgliedstaat Bestimmungen erlässt oder beibehält, die die Rechtsstellung des Flüchtlings einer Person gewähren, die hiervon nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen ist (Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 115). Die Mitgliedstaaten dürfen zwar Schutz aus anderen Gründen gewähren als denjenigen, auf denen der internationale Schutz beruht. In Betracht kommt etwa eine Schutzgewährung aus familiären oder humanitären Gründen (a.a.O. Rn. 118). Diese andere Form des Schutzes, zu deren Gewährung die Mitgliedstaaten befugt sind, darf indessen nicht mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Richtlinie verwechselbar sein (a.a.O. Rn. 119). Nur soweit die nationalen Rechtsvorschriften, die von der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie ausgeschlossenen Personen ein Asylrecht gewähren, eine klare Unterscheidung des nationalen Schutzes von dem Schutz gemäß der Richtlinie erlauben, beeinträchtigen sie daher das von der Richtlinie geschaffene System nicht (a.a.O. Rn. 120).

53

Legt man die vom Gerichtshof entwickelten Kriterien an die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Asylberechtigung nach Art. 16a GG an, so handelt es sich um einen nationalen Schutzstatus, der der Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der Richtlinie weitgehend entspricht und damit eine Verwechslungsgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs begründet. Bei der Asylberechtigung nach Art. 16a GG handelt es sich nicht um einen gegenüber der Flüchtlingsanerkennung andersartigen Schutzstatus - gegründet etwa auf familiäre oder humanitäre Motive. Vielmehr genießt ein Asylberechtigter nach § 2 Abs. 1 AsylVfG im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Seine Rechtsposition entspricht innerstaatlich auch der unionsrechtlichen Stellung von Flüchtlingen, wie sie durch die Richtlinie 2004/83/EG ausgestaltet ist (vgl. Hailbronner, ZAR 2009, 369 <371 ff.>). Damit liefe es aber dem Vorbehalt in Art. 3 der Richtlinie zuwider, wenn Deutschland Personen eine dem Flüchtlingsstatus weitgehend entsprechende Rechtsstellung gewährte oder erhielte, die hiervon nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen sind. Die Vorgaben des Unionsrechts verlangen somit, dass die Ausschlussgründe des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie auch auf Asylberechtigte anzuwenden sind und ihre Anerkennung bei nachträglicher Verwirklichung von Ausschlussgründen nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie zu widerrufen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat dem Rechnung getragen, indem er die Geltung der Ausschlussgründe auch für Asylberechtigte angeordnet hat (vgl. oben Rn. 44).

54

Die einfachgesetzliche Erstreckung der Ausschlussklauseln auf Asylberechtigte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil der deutsche Gesetzgeber hierdurch seiner Verpflichtung zur innerstaatlichen Umsetzung des Unionsrechts nachgekommen ist. Die Bindung an zwingende Vorgaben einer Richtlinie nach Art. 288 AEUV befindet sich in Übereinstimmung mit den in Art. 23 Abs. 1 genannten Rechtsgrundsätzen des Grundgesetzes, solange die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 - BVerfGE 118, 79 <95 ff.>). Dass dieser unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz auf unionsrechtlicher Ebene in Bezug auf das Asylrecht generell nicht gewährleistet wäre, kann angesichts des in Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgten Rechts auf Asyl und der dem Schutzstandard der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichteten Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. etwa Erwägungsgründe 3 und 17 der Richtlinie) nicht angenommen werden. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts hat zwar nicht die Nichtigkeit entgegenstehenden nationalen Rechts zur Folge. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht aber grundsätzlich unanwendbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 - NJW 2010, 3422). Der Anwendungsvorrang gilt in Deutschland allerdings nur kraft des durch Zustimmungsgesetz zu den Verträgen erteilten Rechtsanwendungsbefehls. Er reicht für in Deutschland ausgeübte Hoheitsgewalt daher nur so weit, wie die Bundesrepublik Deutschland dieser Kollisionsregel zugestimmt hat und zustimmen durfte (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08 u.a. - BVerfGE 123, 267 <343>). Innerhalb dieser Grenzen ist das Unionsrecht aber auch bei der Auslegung des Grundgesetzes zu beachten. Dies hat hier zur Folge, dass mit der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG das Grundrecht auf Asyl richtlinienkonform auszulegen ist und die Ausschlussklauseln selbst im Falle einer nicht durch richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung dieses Grundrechts behebbaren Kollision jedenfalls über den Anwendungsvorrang des vom nationalen Gesetzgeber umgesetzten Unionsrechts beachtlich sind.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt seine Asyl- und Flüchtlingsanerkennung.

2

Er reiste im Mai 2006 auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein. Zur Begründung seines Asylantrags gab er an, in der Türkei wegen Unterstützung der PKK ("Kurdische Arbeiterpartei") für 10 Jahre inhaftiert worden zu sein. Nach seiner Entlassung im Jahr 1990 sei er in Syrien und dem Libanon als PKK-Kämpfer ausgebildet worden und habe 1992/93 in der Türkei an Kampfhandlungen teilgenommen. Später sei er bei der ERNK ("Kurdische Befreiungsfront") gewesen und habe politische und logistische Aufgaben erledigt, d.h. finanzielle Dinge geregelt und versucht, Dorfbewohner für die PKK zu gewinnen. Im Nordirak sei er im Oktober 1999 als Guerilla bei einem Angriff von der türkischen Armee verletzt worden und habe sich dann bis 2004 im Lager Kandil aufgehalten. Danach sei er für den KONGRA-GEL ("Volkskongress Kurdistan") im Nordirak als Kontaktmann zu anderen Organisationen eingesetzt worden. Bis 2006 habe er auf einen Gewaltverzicht der PKK gehofft und sich auch entsprechend geäußert. Nachdem sich diese Auffassung in der PKK nicht durchgesetzt habe, habe er sich entschlossen, die Organisation zu verlassen. Aus Furcht, von der PKK als Verräter getötet zu werden, habe er Kontakt mit seiner Familie aufgenommen. Er sei dann über den Iran nach Deutschland gereist.

3

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 25. Juni 2008 als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen und auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehen, und drohte dem Kläger die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da beim Kläger die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG vorlägen. Durch seine Mitgliedschaft in der PKK und die langjährigen Guerillaaktivitäten für diese Organisation in der Türkei und im Nordirak sei die Annahme gerechtfertigt, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling außerhalb Deutschlands eine schwere nichtpolitische Straftat begangen habe.

4

Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25. Juni 2008 verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass dieser die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfülle. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Kläger als nachhaltiger PKK-Aktivist und exponierter Gegner des türkischen Staates bei der Wiedereinreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu erleiden habe. Sein Begehren scheitere nicht an der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes, denn als PKK-Aktivist habe er im Iran nicht Fuß fassen können. Schließlich habe er keinen Ausschlussgrund verwirklicht. Schwere Straftaten i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG seien vor allem terroristische, d.h. durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnete Handlungen. Der Kläger sei in der Südosttürkei für die PKK aber ganz überwiegend nur propagandistisch tätig gewesen und habe im Nordirak Kontakte zu anderen Organisationen gehalten. Als Guerilla habe er allenfalls 1992 und 1993 gekämpft; bei militärischen Auseinandersetzungen zwischen der PKK und türkischen Sicherheitskräften hätten jedoch Gewaltakte gegenüber der Zivilbevölkerung nicht im Vordergrund gestanden. Der von der PKK ausgeübte Druck auf die Dorfbevölkerung liege weit unterhalb der Schwelle des Terrors. Die Beseitigung von nicht genehmen oder abtrünnigen PKK-Leuten habe der Kläger weder selbst begangen noch zu verantworten. Zwar habe er von dem Mord an M.S., dessen Todesurteil auf der vom Kläger besuchten "Kerker-Konferenz" im August 1991 von den Anwesenden beschlossen worden sei, Kenntnis haben müssen. Aber ihm könnten diese Gewaltakte nicht zugerechnet werden, da er als einfacher Aktivist die Zusammenhänge und den Unrechtsgehalt der Taten nicht erkannt habe. Jedenfalls habe er sie aufgrund der Rechtfertigungen von Öcalan und seiner Führungsclique für "legitim" halten dürfen. Äußerstenfalls habe er unter einem derartigen Gruppendruck und in konkreter Gefahr für sein eigenes Leben gestanden, dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als diese Morde zur Kenntnis zu nehmen. Anschläge auf zivile Ziele in Istanbul und touristische Zentren der Südwesttürkei seien erst erfolgt, als er sich bereits von der PKK losgesagt habe und auf der Flucht gewesen sei. Terroristische Aktivitäten mit internationaler Dimension i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG habe der Kläger nicht unterstützt. Er sei in der Südosttürkei und dem Nordirak aktiv gewesen, habe aber mit Aktivitäten der PKK in Europa, geschweige denn mit solchen terroristischer Art, auch im Vorfeld nichts zu tun gehabt.

5

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte, das Berufungsgericht habe die anderweitige Sicherheit des Klägers bzw. Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes nur unzureichend geprüft. Für § 27 AsylVfG komme es - anders als beim Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft - nicht auf die Möglichkeit der Rückkehr in den sicheren Drittstaat an. Zudem dränge es sich auf, diesbezüglich auf die Lage des Klägers im Irak abzustellen. Das Berufungsurteil verletze ferner § 3 Abs. 2 AsylVfG, denn das Oberverwaltungsgericht befasse sich bei Prüfung der Nr. 2 nur mit terroristischen Handlungen, die zudem durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sein müssten. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die persönliche Verantwortung des Klägers für das Todesurteil gegen den abtrünnigen M.S. trotz seiner Teilnahme an der "Kerker-Konferenz" ausschließe, seien nicht tragfähig.

6

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit einer Begründung zurückgewiesen, die Bundesrecht verletzt. Denn es hat zum einen bei Prüfung des Asylanspruchs die anderweitige Sicherheit vor Verfolgung gemäß § 27 AsylVfG nicht im Hinblick auf den Irak untersucht (1.). Zum anderen halten die Erwägungen, mit denen es die Verwirklichung von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG durch den Kläger verneint hat, einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand (2.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen (3.).

9

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen.

10

1. Das Berufungsgericht ist, nachdem es für den Kläger als exponierten PKK-Aktivisten bei der Wiedereinreise in die Türkei politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit prognostiziert hat, auf die anderweitige Sicherheit vor Verfolgung nur unter dem Stichwort "Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes" und nur hinsichtlich des Iran, nicht aber des Irak eingegangen (UA S. 21). Damit hat es bei der Verpflichtung zur Asylanerkennung des Klägers § 27 AsylVfG verletzt (1.1); mit Blick auf die Flüchtlingsanerkennung erweist sich seine Entscheidung aber im Ergebnis als zutreffend (1.2).

11

1.1 Nach § 27 Abs. 1 AsylVfG wird ein Ausländer, der bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war, nicht als Asylberechtigter anerkannt. Hat sich ein Ausländer in einem sonstigen Drittstaat, in dem ihm keine politische Verfolgung droht, vor der Einreise in das Bundesgebiet länger als drei Monate aufgehalten, so wird gemäß Absatz 3 Satz 1 der Vorschrift vermutet, dass er dort vor politischer Verfolgung sicher war. Das gilt gemäß Satz 2 nicht, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass eine Abschiebung in einen anderen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen war.

12

Das Berufungsgericht hat diese Vorschrift bei der Prüfung des Asylanspruchs nicht in den Blick genommen, obwohl es davon ausgeht, dass der Kläger mehrere Jahre im Nordirak gelebt hat. Nach den tatrichterlichen Feststellungen spricht alles dafür, dass er dort vor einer Verfolgung durch den türkischen Staat sicher war und eine Lebensgrundlage nach Maßgabe der dort bestehenden Verhältnisse gefunden hat (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1987 - BVerwG 9 C 285.86 - BVerwGE 78, 332 <344 ff.> zu § 2 AsylVfG 1982); eine Verfolgung seitens des Irak hat der Kläger selbst nicht behauptet. Damit greift die widerlegbare gesetzliche Vermutung des § 27 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG ein.

13

Daher hätte das Berufungsgericht der Frage nachgehen müssen, ob der Kläger durch seine Abkehr von der PKK die im Nordirak bestehende Verfolgungssicherheit verloren hat. Denn § 27 AsylVfG findet keine Anwendung und die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen lebt wieder auf, wenn der in einem anderen Land gewährte Schutz vor politischer Verfolgung durch Widerruf, praktischen Entzug oder aus anderen Gründen entfällt; dies gilt auch dann, wenn sich der Asylbewerber längere Zeit in dem Drittstaat aufgehalten hat. Einem Asylanspruch steht die anderweitige Verfolgungssicherheit allerdings dann entgegen, wenn der Asylbewerber auf den Verfolgungsschutz freiwillig verzichtet, etwa durch eine nicht erzwungene Ausreise aus dem Gebiet des ihm Schutz gewährenden Staates (so bereits Urteil vom 6. April 1992 - BVerwG 9 C 143.90 - BVerwGE 90, 127 <135> m.w.N. zu § 2 AsylVfG 1982). Der Wegfall des Schutzes oder das Entstehen neuer Verfolgungsgefährdung durch die Abkehr von einer terroristischen Organisation - wie der PKK - steht einer freiwilligen Aufgabe der anderweitigen Sicherheit aber nicht gleich. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, welche Konsequenzen der Kläger als abtrünniges PKK-Mitglied im Irak zu befürchten hatte und ob seine Verfolgungssicherheit durch ggf. erfolgende Nachstellungen der PKK entfallen ist. Da hierzu jegliche tatrichterlichen Feststellungen fehlen, ist die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Asylanerkennung des Klägers schon aus diesem Grund aufzuheben.

14

1.2 Auch bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung hat das Berufungsgericht die Regelung des § 27 AsylVfG nicht herangezogen. Das verletzt Bundesrecht nicht, denn die Vorschrift betrifft nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG, nicht aber die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG (Urteil vom 8. Februar 2005 - BVerwG 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 <386> m.w.N.). Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes, für die es auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. Februar 2005 a.a.O.) zurückgegriffen hat, erweisen sich jedoch mit den inzwischen zu beachtenden unionsrechtlichen Vorgaben als nicht mehr vereinbar. Denn nach Ablauf der Umsetzungsfristen für die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) - Qualifikationsrichtlinie - und die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl EU Nr. L 326 vom 13. Dezember 2005 S. 13; berichtigt ABl EU Nr. L 236 vom 31. August 2006 S. 35) - Verfahrensrichtlinie - ist für ein materiellrechtliches Verständnis der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes kein Raum mehr.

15

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG sieht einen materiellrechtlichen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung aus Gründen der Subsidiarität nur in Fällen des Schutzes oder Beistands einer Organisation oder Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR oder dann vor, wenn der Betroffene von den Behörden des Aufenthaltsstaates als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten eines Staatsangehörigen dieses Landes oder gleichwertige Rechte und Pflichten hat. Die Möglichkeit anderweitig bestehender Sicherheit vor Verfolgung greift die Qualifikationsrichtlinie im Übrigen nur mit Blick auf den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG) auf, nicht aber im Hinblick auf die Verfolgungssicherheit in einem anderen Staat. Das Unionsrecht verfolgt insoweit keinen materiellrechtlichen, sondern einen verfahrensrechtlichen Ansatz: Nach Art. 25 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/85/EG kann ein Mitgliedstaat einen Asylantrag als unzulässig betrachten, wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als erster Asylstaat des Asylbewerbers gemäß Art. 26 RL 2005/85/EG betrachtet wird. Nach Art. 26 Satz 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85/EG kann ein Staat als erster Asylstaat eines Asylbewerbers u.a. dann angesehen werden, wenn dem Asylbewerber in dem betreffenden Staat anderweitig ausreichender Schutz einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährt wird, vorausgesetzt, dass er von diesem Staat wieder aufgenommen wird. Nach diesem verfahrensrechtlichen Konzept des ersten Asylstaats sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, einen Asylantrag in der Sache zu prüfen, wenn ein Drittstaat dem Antragsteller - auch ohne ihn als Flüchtling anzuerkennen - anderweitig ausreichenden Schutz gewährt und die Rückübernahme des Antragstellers in diesen Staat gewährleistet ist (vgl. auch den 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85/EG).

16

Der deutsche Gesetzgeber hat dieses verfahrensrechtliche Konzept des ersten Asylstaats in § 29 Abs. 1 AsylVfG in der Weise umgesetzt, dass ein Asylantrag - und damit auch ein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 13 Abs. 1 und 2 AsylVfG) - unbeachtlich ist, wenn offensichtlich ist, dass der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war und die Rückführung in diesen Staat oder in einen anderen Staat, in dem er vor politischer Verfolgung sicher ist, möglich ist. In den Fällen des § 29 Abs. 1 AsylVfG droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war (§ 35 AsylVfG). Das Asylverfahren ist gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG allerdings fortzuführen, wenn die Rückführung innerhalb von drei Monaten nicht möglich ist. Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unbeachtlichkeit des Antrags wird unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht; auch dann hat das Bundesamt das Asylverfahren fortzuführen (§ 37 Abs. 1 AsylVfG). Das Asylverfahrensgesetz knüpft somit an die Offensichtlichkeit, dass der Ausländer in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war und die Rückführung in diesen oder einen anderen sicheren Drittstaat möglich ist, ausschließlich die Unbeachtlichkeit des Asylantrags mit der verfahrensrechtlichen Folge, dass eine Abschiebungsandrohung in einen sicheren Drittstaat ohne umfassende Sachprüfung des Asylbegehrens ergehen kann. Macht das Bundesamt davon keinen Gebrauch, sondern entscheidet es - wie hier - über das Asylbegehren in der Sache, bleibt für eine materiellrechtlich verstandene Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes mit Blick auf die o.g. unionsrechtlichen Vorgaben kein Raum mehr. Die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. Februar 2005 a.a.O.) erweist sich insoweit als überholt.

17

2. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger keinen der in § 3 Abs. 2 AsylVfG enthaltenen Ausschlussgründe verwirklicht. Die dafür angeführten Erwägungen halten einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

18

Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG), wenn er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG), oder wenn er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG). Dies gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AsylVfG vor, ist der Asylantrag gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, so dass sich die Ausschlussgründe auch auf die Asylanerkennung erstrecken.

19

2.1 Das Berufungsgericht hat zu § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ausgeführt, der Kläger habe während seiner Zugehörigkeit zur PKK weder eine schwere nichtpolitische Straftat, insbesondere keine terroristische Handlung, begangen noch sei ihm eine solche zuzurechnen. Terroristische Handlungen seien Gewaltaktionen zur Erreichung politischer Ziele, die durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet seien (UA S. 24). Indem das Berufungsgericht der Prüfung dieses Ausschlussgrundes ausschließlich terroristische Gewaltaktionen der PKK zugrunde gelegt hat, die sich durch Gewalt gegen die Zivilbevölkerung auszeichnen, hat es - wie die Beklagte zutreffend rügt - einen zu engen Maßstab gewählt.

20

§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG dient wie Art. 1 F Buchst. b GFK dem Ausschluss "gemeiner Straftäter", denen man den Flüchtlingsschutz vorenthalten wollte, um den Status eines "bona fide refugee" aus Gründen der Akzeptanz in der internationalen Gemeinschaft nicht in Misskredit zu bringen. Daher rechtfertigt nicht jedes kriminelle Handeln des Schutzsuchenden vor seiner Einreise einen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung. Vielmehr muss der Straftat zunächst ein gewisses Gewicht zukommen, wofür internationale und nicht lokale Standards maßgeblich sind. Es muss sich also um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - BVerwGE 135, 252 Rn. 41).

21

Zugleich muss die Tat nichtpolitisch sein. Dazu ist auf den Delikttypus sowie die der konkreten Tat zugrunde liegenden Motive und die mit ihr verfolgten Zwecke abzustellen. Nichtpolitisch ist eine Tat, wenn sie überwiegend aus anderen Motiven, etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben begangen wird. Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Motiv bzw. Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, überwiegen nichtpolitische Beweggründe und kennzeichnen die Tat damit insgesamt als nichtpolitisch. So hat der Gesetzgeber in Umsetzung des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b letzter Halbsatz der Richtlinie 2004/83/EG insbesondere grausame Handlungen beispielhaft als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft, auch wenn mit ihnen vornehmlich politische Ziele verfolgt werden. Dies ist bei Gewalttaten, die gemeinhin als "terroristisch" bezeichnet werden, regelmäßig der Fall (Urteil vom 24. November 2009 a.a.O. Rn. 42), insbesondere, wenn sie durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sind (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und 101/09 - NVwZ 2011, 285 Rn. 81; dem folgend Urteil vom 7. Juli 2011 - BVerwG 10 C 26.10 - BVerwGE 140, 114 Rn. 35). Letzteres ist aber - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - keine notwendige, sondern eine bereits hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen einer nichtpolitischen Straftat. Die vorsätzliche rechtswidrige und schuldhafte Tötung oder erhebliche Verletzung eines Menschen erweist sich in Bezug auf das behauptete politische Ziel grundsätzlich als unverhältnismäßig und ist daher in aller Regel eine schwere nichtpolitische Straftat unabhängig davon, ob das Opfer ein Angehöriger der staatlichen Sicherheitskräfte, der Zivilbevölkerung oder ein abtrünniges Mitglied der eigenen Organisation ist.

22

Demzufolge hätte das Berufungsgericht bei der Prüfung des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG die Beteiligung des Klägers an Kampfhandlungen in den Jahren 1992/93 sowie Angriffe der PKK mit Opfern auf Seiten der türkischen Sicherheitskräfte nur dann aus seiner Betrachtung ausscheiden dürfen, wenn es zuvor festgestellt hätte, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat die völker(straf)rechtliche Schwelle eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut überschritten haben. Dann würden die für einen solchen Konflikt vorgesehenen Regelungen des Humanitären Völkerrechts und deren völkerstrafrechtlicher Sanktionierung auch die Maßstäbe beeinflussen, nach denen sich in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Mittel beurteilt. Denn soweit Kampfhandlungen von Kämpfern in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG erfasst werden, erfüllen sie in der Regel auch nicht den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat (Urteil vom 24. November 2009 a.a.O. Rn. 43). Dazu, ob die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat im Südosten der Türkei Anfang der 1990er Jahre die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut (vgl. dazu Urteil vom 24. November 2009 a.a.O. Rn. 33) erfüllten, hat das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.

23

2.2 Die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es die Ermordung des abtrünnigen PKK-Mitglieds M.S., dessen Todesurteil nach den tatsächlichen Feststellungen auf der vom Kläger besuchten "Kerker-Konferenz" im August 1991 von mehr als fünfhundert PKK-Leuten "beschlossen" worden ist, als dem Kläger nicht zurechenbar ansieht (UA S. 27), verletzen ebenfalls § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 AsylVfG. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass der Kläger als einfacher PKK-Aktivist die Zusammenhänge und den Unrechtsgehalt der Taten nicht erkannt hat, sie aber jedenfalls aufgrund der Rechtfertigung der PKK-Führung für "legitim" habe halten dürfen. Äußerstenfalls habe er unter einem derartigen Gruppendruck gestanden und konkrete Gefahr für sein eigenes Leben befürchten müssen, dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als diese Morde zur Kenntnis zu nehmen. Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

24

Bei der Prüfung des Ausschlussgrunds des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ist zu berücksichtigen, dass die notwendige individuelle Verantwortlichkeit eine Verantwortlichkeit im strafrechtlichen Sinne erfordert, wobei allerdings mit Blick auf die zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände das im Vergleich zum Strafrecht abgesenkte Beweismaß ("wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist"; vgl. dazu Urteil vom 31. März 2011 - BVerwG 10 C 2.10 - BVerwGE 139, 272 Rn. 26) genügt. Soweit keine Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Betracht zu ziehen sind und daher nicht zugleich § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG mit dem dynamischen Verweis auf die Regelungen im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 eingreift, liegt mangels einheitlicher internationaler Kriterien sowohl für Täterschaft und Teilnahme (vgl. die Länderberichte in: Sieber/Cornils, Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 4 Tatbeteiligung, Berlin 2010) als auch für Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe (vgl. dazu die Beiträge in: Eser/Fletcher, Rechtfertigung und Entschuldigung - Rechtsvergleichende Perspektiven, Bd. I 1987 und Bd. II 1988) grundsätzlich zunächst eine Orientierung an den Regeln des nationalen Strafrechts nahe (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 38).

25

Gerechtfertigt werden kann die Tötung eines Menschen nur durch Notwehr, nicht aber nach dem Prinzip des überwiegenden Interesses, denn das Leben eines Menschen steht in der Werteordnung des Grundgesetzes und der Menschenrechte - ohne zulässige Relativierung - an höchster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, Resolution 217 A der Generalversammlung der UN; Art. 6 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl II 1973, 1533; Art. 2 Abs. 1 EMRK; Art. 2 GRCh). Dieser allgemein anerkannte Rang des Rechts auf Leben in der Wertehierarchie der internationalen Gemeinschaft lässt die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums als Entschuldigungsgrund im Hinblick auf die Tötung eines Menschen nur schwerlich als vorstellbar erscheinen. Denn bei einem offensichtlich rechtswidrigen vorsätzlichen Tötungsdelikt kommt ein Schuldausschluss nicht in Betracht, wenn nicht im Einzelfall ganz besondere Umstände gegen eine Erkennbarkeit des Strafrechtsverstoßes sprechen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 1996 - 2 BvR 1851/94 u.a. - BVerfGE 95, 96 <142>). Diesem strengen Maßstab genügt die Annahme des Berufungsgerichts auf der Grundlage seiner zur "Kerker-Konferenz" getroffenen tatrichterlichen Feststellungen, der Kläger habe das "Todesurteil" für M.S. wegen der Rechtfertigung durch die PKK-Führung für legitim halten dürfen, nicht. Auch die - mit der Annahme eines Verbotsirrtums im Übrigen unvereinbare - Entschuldigung durch einen Nötigungsnotstand vermag die angefochtene Entscheidung nicht zu tragen. Gegen die vom Berufungsgericht nicht mit tatsächlichen Feststellungen unterlegte Annahme, der Kläger habe nur aus Angst um das eigene Leben nicht gegen das "Todesurteil" der PKK-Führung aufbegehrt, spricht bereits, dass er sich nicht unmittelbar nach der "Kerker-Konferenz" von der PKK gelöst hat.

26

2.3 Das Berufungsgericht hat den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG nicht durchgreifen lassen, da der Kläger keine terroristischen Aktivitäten mit internationaler Dimension unterstützt habe. Er sei in der Südosttürkei und dem Nordirak aktiv gewesen, habe aber mit terroristischen Aktivitäten der PKK in Europa auch im Vorfeld nichts zu tun gehabt. Auch diese Erwägungen verletzen Bundesrecht. Das Berufungsgericht nimmt für die internationale Dimension, die Handlungen des Terrorismus grundsätzlich haben müssen, um die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen berühren zu können (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 28 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82 ff.), nur die terroristischen Aktivitäten der PKK in Europa, nicht aber deren grenzüberschreitende Aktionen im Nordirak in den Blick. Zudem müssen Unterstützungshandlungen zugunsten einer Organisation, die - wie die PKK - Akte des internationalen Terrors begeht, sich nicht konkret auf terroristische Aktionen internationaler Qualität beziehen, um von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG erfasst zu werden. Denn dieser Ausschlussgrund verlangt keine Zurechnung nach strafrechtlichen Kriterien, da er kein strafbares Handeln im Sinne einer Beteiligung an bestimmten Delikten voraussetzt. Demzufolge können auch rein logistische Unterstützungshandlungen von hinreichendem Gewicht im Vorfeld den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG erfüllen (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 39). Soweit das Berufungsgericht schließlich ausführt, die Aktivitäten des Klägers hätten nicht das für § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG erforderliche Gewicht gehabt, beruht seine Wertung infolge zu enger Maßstäbe auf unzureichenden Tatsachenfeststellungen.

27

3. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Ausschlussgründen des § 3 Abs. 2 AsylVfG kann der Senat nicht abschließend selbst entscheiden, ob dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung zustehen. Deshalb ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

28

Das Berufungsgericht wird zunächst seine Überzeugungsbildung zu der von ihm gestellten Prognose, der Kläger habe bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten, aktualisieren und jedenfalls detailliert begründen müssen. Mit Blick auf die dafür in der angefochtenen Entscheidung angeführten Quellen, u.a. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2011, ist seine Annahme jedenfalls nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen. Denn das Berufungsgericht hat sich mit der Aussage im Lagebericht auf S. 27 nicht auseinandergesetzt, dass weder dem Auswärtigen Amt noch türkischen Menschenrechtsorganisationen oder Vertretungen anderer EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren Fälle bekannt geworden seien, in denen auch exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt worden seien. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt jedoch, dass das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, ohne einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse auszublenden oder zu übergehen.

29

Hat der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner PKK-Tätigkeit - über reine Strafverfolgungsmaßnahmen hinaus - politische Verfolgung zu befürchten, ist im Hinblick auf die Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 i.V.m. Abs. 2 AsylVfG in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, dass die PKK jedenfalls bis zum Ausscheiden des Klägers eine terroristische Organisation war (Urteile vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 <20 ff.>; vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.> und vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 35). Im Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass der Begriff der schweren nichtpolitischen Straftat sich nicht auf terroristische Gewaltakte gegenüber der Zivilbevölkerung beschränkt. Im Rahmen der tatsächlichen Würdigung des Verhaltens der PKK gegenüber der Landbevölkerung im Südosten der Türkei hat das Berufungsgericht das gesamte Geschehen der Auseinandersetzung in den Blick zu nehmen und dabei Feststellungen zu den tatsächlichen Übergriffen und Opfern der PKK aus jener Zeit zu treffen. Dabei wird sich das Berufungsgericht auch mit den entsprechenden Feststellungen anderer Obergerichte auseinanderzusetzen haben (vgl. z.B. VGH München, Urteil vom 21. Oktober 2008 - 11 B 06.30084 - juris Rn. 34 ff.; OVG Schleswig, Urteil vom 6. Oktober 2011 - 4 LB 5/11 - juris Rn. 45 f.; OVG Bautzen, Urteil vom 22. März 2012 - A 3 A 428/11 - juris Rn. 37). Für die Berücksichtigung von Opfern bei den Sicherheitskräften und diesen nahestehenden Zivilpersonen wird gegebenenfalls auch zu prüfen sein, ob die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat Anfang der 1990er Jahre die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut erfüllten und - sollte dies bejaht werden - PKK-Aktionen (zumindest teilweise) als Verstöße gegen das Völkerrecht i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG zu werten sind.

30

Allerdings rechtfertigt - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - allein der Umstand, dass der Kläger der PKK angehört hat und den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch die Annahme eines der genannten Ausschlussgründe. Zur Ermittlung der individuellen Verantwortung des Klägers bedarf es vielmehr einer genauen Würdigung seiner gesamten Aktivitäten für die PKK sowohl als Kämpfer als auch anschließend als Funktionär bei der Wahrnehmung politischer, logistischer und finanzieller Aufgaben. Dabei ist seine jedenfalls zuletzt offenbar nicht nur untergeordnete Stellung innerhalb der Organisation zu berücksichtigen. Bei der tatsächlichen Würdigung ist dem in der Vorschrift geregelten Beweisniveau Rechnung zu tragen (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 94 ff.). Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der abgesenkte Beweismaßstab des § 3 Abs. 2 AsylVfG sich nur auf die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen, nicht aber deren (straf)rechtliche Würdigung z.B. als schwere nichtpolitische Straftat bezieht.

31

Für die Beteiligung an einer schweren nichtpolitischen Straftat richtet sich die Zurechnung grundsätzlich zunächst nach nationalen strafrechtlichen Maßstäben (s.o. Rn. 24); erfasst wird mithin sowohl der Täter als auch der Anstifter. Auch der in sonstiger Weise Beteiligte ist für eine schwere nichtpolitische Straftat verantwortlich, wenn er eine strafrechtlich relevante Beihilfe i.S.d. § 27 StGB begangen hat. Allerdings muss auch im Fall der Beihilfe der Tatbeitrag nach seinem Gewicht dem einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne dieser Vorschrift entsprechen (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 38 m.w.N.). Das Berufungsgericht wird insoweit u.a. der Rolle des Klägers bei der sog. "Kerker-Konferenz" nachgehen müssen. Sollte es sich bei dieser Veranstaltung - was angesichts der streng hierarchischen Struktur der PKK durchaus in Betracht kommt - um einen reinen "Schauprozess" gehandelt haben, bei dem das "Todesurteil" der Führung bereits zuvor unumstößlich feststand, läge wohl mangels objektiver Förderung oder Erleichterung der Tathandlung eine Strafbarkeit selbst in der Form einer psychischen Beihilfe nicht nahe (vgl. zur psychischen Beihilfe: BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 - 5 StR 242/07 - NJW 2008, 1460 <1461>).

32

Bei dem Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, der jedenfalls bei Handlungen des Terrorismus mit internationaler Dimension auch von Personen verwirklicht werden kann, die keine Machtposition in einem Staat oder einer staatsähnlichen Organisation haben, setzt der Tatbestand nicht notwendig die Begehung einer strafbaren Handlung voraus. Von diesem Ausschlussgrund können auch Personen erfasst werden, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornehmen. Zusätzlich wird allerdings - um der Funktion dieses Ausschlussgrundes gerecht zu werden - in jedem Fall zu prüfen sein, ob der individuelle Beitrag des Betroffenen ein Gewicht erreicht, das dem der Ausschlussgründe in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG entspricht (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 28 und 39 m.w.N.).

33

Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger keinen Ausschlussgrund verwirklicht hat, wird es schließlich prüfen müssen, ob § 27 AsylVfG seiner Asylanerkennung entgegensteht, weil er auch nach Loslösung von der PKK im Irak vor politischer Verfolgung sicher war.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Flüchtling und Asylberechtigter.

2

Der 1963 geborene Kläger ist ruandischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hutu an. 1983 legte er in Ruanda das Abitur ab, arbeitete dort anschließend als Lehrer und studierte dann von 1987 bis 1989 in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo). Im März 1989 reiste er zum Studium in die Bundesrepublik Deutschland ein. 1995 schloss er hier sein Studium der Volkswirtschaftslehre ab, im Dezember 2000 wurde ihm der Doktortitel verliehen. Seit dem Bürgerkrieg in Ruanda im Jahr 1994 engagierte sich der Kläger in Deutschland - überwiegend in leitender Funktion - in ruandischen Exilorganisationen. Mit Bescheid vom 17. März 2000 wurde er wegen der Gefahr der politischen Verfolgung, die ihm aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten drohte, als Asylberechtigter anerkannt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Ruandas vorliegen. Mitte 2001 wurde der Kläger Präsident der Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (nachfolgend: FDLR), einer 1999 gegründeten Hutu-Exilorganisation, die im Osten der DR Kongo über bewaffnete Kampfgruppen verfügt.

3

Am 1. November 2005 nahm der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - gestützt auf die Sicherheitsrats-Resolution 1596 (2005) vom 18. April 2005 - den Kläger in die Liste von Personen und Einrichtungen auf, gegen die Restriktionen wegen des Waffenembargos für das Gebiet der DR Kongo verhängt wurden. Daraufhin widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 22. Februar 2006 die Asylanerkennung und die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen.

4

Der Widerruf wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger Präsident der FDLR sei und daher aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt sei, dass er Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Handlungen begangen habe, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die FDLR sei für regelmäßige Übergriffe - wie Überfälle, Vergewaltigungen und Entführungen - auf Dorfbewohner in der ostkongolesischen Provinz Südkivu verantwortlich. Sie verfüge im Osten der DR Kongo schätzungsweise über 10 000 bis 15 000 Kämpfer und begehe seit Jahren systematisch Verbrechen an der kongolesischen Zivilbevölkerung. Es handele sich dabei um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998. Der Kläger sei hierfür als Vorgesetzter verantwortlich. Durch die Verletzungen des durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 28. Juli 2003 verhängten Waffenembargos begehe die FDLR zudem Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats habe deshalb den Kläger auf die Liste der mit Sanktionen zu belegenden Personen gesetzt, von denen er überzeugt sei, dass sie gegen das Waffenembargo verstießen.

5

Das Verwaltungsgericht hob mit Urteil vom 13. Dezember 2006 den Widerrufsbescheid auf. Die Entscheidung beruhte im Wesentlichen auf der Erwägung, das Bundesamt habe das Vorliegen der Voraussetzungen von Ausschlussgründen nicht hinreichend darlegen und belegen können. Die in das Verfahren eingeführten Auskünfte seien eher vage und nicht hinreichend verlässlich. Das gelte umso mehr für die Verantwortlichkeit des Klägers.

6

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens ist der Kläger aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 16. November 2009 unter anderem wegen Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und auf Kriegsverbrechen gemäß §§ 4, 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6, § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) in Untersuchungshaft genommen worden. Der Ermittlungsrichter des BGH hat am 17. Juni 2010 die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet (Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, JZ 2010, 960). Im Dezember 2010 hat der Generalbundesanwalt beim BGH Anklage gegen den Kläger und gegen den Vizepräsidenten der FDLR unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erhoben; das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 1. März 2011 die Anklage zugelassen.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch Urteil vom 11. Januar 2010 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Er teilt die Auffassung des Bundesamts, dass der Kläger als Präsident der FDLR die Ausschlusstatbestände des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG verwirklicht habe und damit die Voraussetzungen für den Widerruf seiner Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erfüllt seien. Dem Widerruf stehe nicht entgegen, dass die Handlungen, die zum Ausschluss führten, zeitlich nach der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes lägen. Für den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter gelte im Ergebnis nichts anderes.

8

Der Kläger habe die Ausschlusstatbestände des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG zumindest als "in sonstiger Weise" Beteiligter nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG verwirklicht. Er sei Präsident der FDLR und allein dadurch als maßgeblicher Unterstützer für ihre Aktivitäten mitverantwortlich. Sein maßgeblicher Einfluss auf die Organisation und die grundsätzliche Billigung ihrer Kampfeinsätze sei von ihm selbst nie in Abrede gestellt worden und werde unter anderem durch Aussagen ehemaliger FDLR-Kämpfer bestätigt. Auch der Ermittlungsrichter des BGH komme, gestützt auf Zeugenaussagen und Telekommunikationsüberwachung, zu dem Ergebnis, dass der Kläger innerhalb der FDLR unumschränkte Befehls- und Verfügungsgewalt habe. Damit könnten die Ausschlussgründe, die von der Organisation als solche verwirklicht worden seien und nach ihrer Struktur von ihr verantwortet werden müssten, auch dem Kläger persönlich zugerechnet werden. Es sei aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass Aktionen der FDLR Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllten. Das Auswärtige Amt berichte seit Jahren über Ausplünderungen der Bevölkerung, Niederbrennen von Dörfern, Erschießungen von Frauen und Kindern, Massenvergewaltigungen und Verstümmelungen als Kriegswaffe sowie die Rekrutierung von Kindersoldaten (auch) durch die FDLR. Das Gericht sei davon überzeugt, dass die berichteten Gewalttaten mindestens zu einem großen Teil auch tatsächlich der FDLR zur Last fielen und dass die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung von der FDLR systematisch als Mittel der Kriegsführung eingesetzt würden. Die aufgeführten Taten der FDLR stellten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 dar.

9

Der Ausschlusstatbestand der Zuwiderhandlung gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG) sei ebenfalls erfüllt. Er ergebe sich aus den festgestellten systematischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die FDLR gehöre zu den staatsähnlichen Gebilden und der Kläger persönlich zu den Trägern von Machtpositionen, die in der Lage seien, Zuwiderhandlungen gegen Ziele der Vereinten Nationen zu begehen.

10

Der Kläger begründet seine gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision im Wesentlichen wie folgt: Die Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling dürfe nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nur widerrufen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anerkennungsentscheidung nicht mehr vorlägen. Die nachträgliche Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen rechtfertige einen Widerruf hingegen nicht. Auch die Genfer Flüchtlingskonvention gehe davon aus, dass die Ausschlusstatbestände des Art. 1 F bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme als Flüchtling vorgelegen haben müssten. Statusbeendende Maßnahmen dürften nur unter den Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 2 GFK erfolgen. Ein Widerruf der Asylberechtigung wegen nachträglicher Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen verstoße gegen Art. 16a GG. Wenn man eine immanente Schranke der Asylgewährung in den Rechten der Allgemeinheit sehe, sei darunter die deutsche Allgemeinheit zu verstehen, die im vorliegenden Fall aber nicht betroffen sei. Weiterhin werde seine persönliche Verantwortlichkeit durch Anstiftung und Organisationsherrschaft nur behauptet. Es sei nicht festgestellt worden, welchen Tatbeitrag er geleistet habe. Im Übrigen sei sein Recht auf ein faires Verfahren dadurch verletzt worden, dass sein mit Schriftsatz vom 4. Januar 2010 hilfsweise gestellter Antrag abgelehnt worden sei, das Verfahren auszusetzen, bis vorläufige Ergebnisse der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft im Kongo vorlägen. Erst im Zeitraum von ca. 2 Monaten vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs seien Berichte veröffentlicht worden, die überhaupt eine Basis für die getroffene Entscheidung darstellen könnten. Durch die Ablehnung einer Aussetzung sei sein Recht vereitelt worden, Beweise gegen den durch die Berichte vermittelten Eindruck über die Verwicklungen der FDLR und seine Beteiligung zu sammeln.

11

Die Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt im Wesentlichen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs. Bei der erhobenen Verfahrensrüge müsse sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass er nicht die ihm zu Gebote stehenden und sachgerechten Mittel gewählt habe, etwa anstelle eines Aussetzungsantrags konkrete Beweisanträge zu stellen. Die dem Kläger im Kern zur Last gelegten Vorwürfe seien auch nicht erst kurzfristig vor der Berufungsverhandlung entstanden, sondern seien bereits Grundlage des Widerrufsbescheids gewesen.

12

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und schließt sich im Wesentlichen der Argumentation der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die von ihm erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig (1.). Die Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) bleibt ohne Erfolg. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling (2.a) und als Asylberechtigter (2.b) zu Recht widerrufen wurde, steht mit Bundesrecht in Einklang.

14

1. Die vom Kläger erhobene Rüge der Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) durch die Verweigerung einer Aussetzung des Verfahrens ist unzulässig.

15

Soweit sie sich gegen die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO wendet, ergibt sich die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge daraus, dass ein Verstoß gegen § 94 VwGO als solcher im Revisionsverfahren nicht als Verfahrensmangel rügefähig ist. Eine Aussetzungsentscheidung nach § 94 VwGO ist unanfechtbar, wenn sie im Beschlussweg ergeht (§ 152 Abs. 1 VwGO). Die Revision kann in diesen Fällen nicht auf eine fehlerhafte Ablehnung einer Aussetzung gestützt werden. Dies folgt aus § 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO (vgl. Beschluss vom 22. Dezember 1997 - BVerwG 8 B 255.97 - NJW 1998, 2301; Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Juli 2009, § 94 Rn. 42; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 52). Nichts anderes kann dann gelten, wenn - wie hier - über die hilfsweise begehrte Aussetzung im Urteil entschieden und diese verweigert wird (Beschluss vom 15. April 1983 - BVerwG 1 B 133.82 - Buchholz 310 § 94 VwGO Nr. 4).

16

Der Kläger legt auch nicht dar, dass die Verweigerung der Aussetzung des Verfahrens zu einem Folgemangel geführt hat, der dem Berufungsurteil weiter anhaftet (vgl. hierzu Urteil vom 17. Februar 1972 - BVerwG 8 C 84.70 - BVerwGE 39, 319 <324>). Zwar rügt die Revision eine Verletzung des fairen Verfahrens dadurch, dass dem Kläger durch die verweigerte Aussetzung des Verfahrens die Möglichkeit genommen worden sei, Beweise "gegen die durch die Berichte entstandenen Eindrücke über die Verwicklungen der FDLR und seiner Beteiligung zu sammeln". Damit wird der Sache nach eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 138 Nr. 3 VwGO) geltend gemacht. Insoweit fehlt es aber an einer den gesetzlichen Vorgaben aus § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Darlegung eines Verfahrensmangels, einschließlich der Angabe der Tatsachen, die diesen Mangel ergeben. Denn der Kläger gibt nicht an, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sein soll, zu den die FDLR belastenden, von ihm nicht näher bezeichneten "Berichten" Stellung zu nehmen, die "im Zeitraum von ca. 2 Monaten vor der Entscheidung" veröffentlicht worden seien. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um zu begründen, weshalb mit der Berufungsentscheidung am 11. Januar 2010 gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs oder des fairen Verfahrens verstoßen worden sein soll. Es hätte dem Kläger oblegen, darzutun, welche der Vorwürfe aus welchen "Berichten" er für unzutreffend erachtet und weshalb es ihm noch nicht möglich gewesen ist, seine Sicht der Dinge darzulegen und unter Beweis zu stellen. Im Übrigen stützt sich das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs nicht nur auf Berichte des Auswärtigen Amtes, einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzten Expertengruppe und von Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch, sondern auch auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (BGH), der dem Kläger - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom Bevollmächtigten des Klägers eingeräumt - bei seiner Inhaftierung Mitte November 2009 bekannt gegeben worden war. Der geltend gemachte Verfahrensverstoß ist des Weiteren auch deshalb nicht dargelegt, weil der Kläger in der Revisionsbegründung nicht angibt, was er im Einzelnen noch vorgetragen und gegebenenfalls unter Beweis gestellt hätte, wenn ihm hinreichend Zeit zur Erwiderung eingeräumt worden wäre (vgl. Beschluss vom 13. Juni 2007 - BVerwG 10 B 61.07 - juris Rn. 5).

17

2. Die Rüge der Verletzung von Bundesrecht ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Übereinstimmung mit Bundesrecht entschieden, dass der Widerruf der Anerkennung des Klägers als Flüchtling und Asylberechtigter zu Recht erfolgte. Er entspricht den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Dabei ist hinsichtlich der formellen Voraussetzungen auf die zum Zeitpunkt seines Erlasses geltende Fassung des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes abzustellen. Hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen ist die Vorschrift in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798) anzuwenden.

18

Die formellen Widerrufsvoraussetzungen des § 73 AsylVfG liegen vor. Die Revision hat insoweit auch keine Einwände erhoben.

19

a) Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis gekommen, dass auch die materiellen Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft erfüllt sind. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen.

20

aa) Entgegen der Auffassung der Revision erfasst die Vorschrift nicht nur das nachträgliche Entfallen verfolgungsbegründender Umstände, das in Satz 2 der Vorschrift als Beispielfall ("insbesondere") angeführt wird, sondern auch die nachträgliche Verwirklichung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 AsylVfG.

21

(1) Dafür spricht schon der Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, der ohne sachliche Einschränkung die Verpflichtung zum Widerruf begründet, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung "nicht mehr" vorliegen. Das ist auch bei nachträglicher Verwirklichung von Ausschlussgründen der Fall. Dass diese Fallgestaltung von der Regelung mit erfasst werden soll, ergibt sich zudem aus § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG. Danach ist ein Widerruf auch nach Ablauf von 3 Jahren nach Unanfechtbarkeit der Anerkennungsentscheidung möglich, steht dann aber im Ermessen des Bundesamts, es sei denn der Widerruf erfolgt, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen. Im letzten Fall bleibt es bei der Verpflichtung zum Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Die Regelung geht also davon aus, dass auch die Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen zu den Gründen zählt, deren nachträgliches Eintreten zur Folge hat, dass die Anerkennungsvoraussetzungen im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG "nicht mehr" vorliegen. Das Ergebnis wird bestätigt durch die Begründung der Bundesregierung zu § 73 Abs. 1 AsylVfG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BTDrucks 16/5065 S. 219). Danach sind die Voraussetzungen für den Widerruf "auch dann gegeben, wenn nachträglich Ausschlussgründe eintreten". Ausgenommen ist hiervon nur der Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG, dessen Tatbestand eine vor der Aufnahme als Flüchtling begangene schwere nichtpolitische Straftat voraussetzt.

22

(2) Dem steht die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht entgegen. Diese regelt in Art. 1 F GFK nur die materiellen Voraussetzungen für den Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft, nicht aber das Verfahren der Zu- und Aberkennung. Den Ausschlusstatbeständen liegt maßgeblich das Konzept der Asylunwürdigkeit zugrunde (vgl. Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - BVerwGE 135, 252 Rn. 24 ff.). Die Notwendigkeit des Ausschlusses asylunwürdiger Personen hängt aber nicht davon ab, zu welchem Zeitpunkt sie die materiellen Ausschlussgründe nach Art. 1 F GFK verwirklichen. Etwas anderes gilt nur für den Ausschlussgrund des Art. 1 F Buchst. b GFK, der sich - anders als die hier maßgeblichen Ausschlusstatbestände des Art. 1 F Buchst. a und c GFK - auf nichtpolitische Straftaten beschränkt, die vor Aufnahme als Flüchtling begangen wurden (ebenso wie § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG). Auch der Hohe Flüchtlingskommissar hält eine Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung für gerechtfertigt, wenn Ausschlussgründe erst nach der Anerkennungsentscheidung verwirklicht werden. So führt er in Ziffer 4 der UNHCR-Richtlinie zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft vom 10. Februar 2003 (HCR/GIP/03/03) aus: "Ein Widerruf kann ausgesprochen werden, wenn ein Flüchtling im Nachhinein durch sein Verhalten den Tatbestand des Artikels 1 F (a) oder 1 F (c) erfüllt." Gegenteiliges kann nicht aus der Formulierung der Ausschlusstatbestände in der Vergangenheit geschlossen werden ("begangen haben", "zuschulden kommen ließen"), denn daraus ergibt sich nur, dass ein entsprechendes Verhalten vorgelegen haben muss, bevor der Ausschlusstatbestand greift (anders aber Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: Juni 2010, § 2 Rn. 33). Nicht gefolgt werden kann auch der Auffassung von Marx (InfAuslR 2005, 218 <225 f.>), auf die die Revision sich beruft. Er begründet seine Meinung, die nationale Regelung über die Ausschlussgründe könne völkerrechtlich unbedenklich nur die Statusentscheidung sperren, nicht aber einen nachträglichen Widerruf rechtfertigen, unter Bezugnahme auf die Background Note des UNHCR zu den Ausschlussgründen aus dem Jahr 2003 (a.a.O. S. 226 Fn. 52). Marx zitiert aber nur die Passage, die sich mit einer Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung ex tunc befasst, während der UNHCR im darauf folgenden Abschnitt der genannten Background Note (a.a.O. Rn. 17) den Widerruf ex nunc wegen nachträglicher Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen nach Art. 1 F Buchst. a und c GFK für gerechtfertigt hält, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind, und als Beispiel die Beteiligung des Flüchtlings an bewaffneten Aktionen im Aufnahmeland nennt.

23

(3) Für eine solche Auslegung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG spricht auch Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG, der bei Erfüllung eines Ausschlusstatbestandes die Verpflichtung zur Beendigung, Aberkennung oder Nichtverlängerung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig davon begründet, wann die Ausschlussgründe entstanden sind ("hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist"). § 73 AsylVfG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes von 2007 dient der Umsetzung auch dieser EU-Vorschrift und ist daher in Übereinstimmung mit ihr auszulegen (so im Ergebnis auch Hailbronner, AuslR, Stand: Aug. 2008, § 73 AsylVfG Rn. 50; Wolff, in: HK-AuslR, § 73 AsylVfG Rn. 23).

24

(4) Der Kläger genießt entgegen der Ansicht der Revision keinen Vertrauensschutz dahin, dass seine Anerkennung als Flüchtling vom März 2000 nicht nachträglich den Einschränkungen unterworfen wird, die sich aus der Einführung der Ausschlussgründe in bundesdeutsches Recht mit Wirkung zum 1. Januar 2002 durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 (BGBl I S. 361) ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Erfüllung von Ausschlussgründen durch den Kläger aus Tatsachen abgeleitet, die im Schwerpunkt im Zeitraum von 2005 bis 2009 verwirklicht wurden. Aus der Zeit vor 2005 ist insoweit nur die Übernahme des Amtes des Präsidenten der FDLR durch den Kläger Mitte 2001 von Bedeutung. Es kann offenbleiben, ob ein Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft sich nicht auch auf Handeln beziehen darf, das vor der Normierung der Ausschlussgründe im nationalen Recht verwirklicht wurde. Denn hier beruht der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ausschließlich auf dem Kläger zugerechneten Verbrechen der FDLR, die nach Einführung der Ausschlussgründe begangen wurden. Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger schon deshalb nicht berufen. Im Übrigen fordert auch Unionsrecht die Anwendung der Ausschlussgründe auf vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG ausgesprochene Anerkennungen. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) weist in diesem Zusammenhang auf den zwingenden Charakter des Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie hin, der bei Vorliegen von Ausschlussgründen eine Aberkennung oder Beendigung der Flüchtlingseigenschaft auch für schon vorher eingeleitete und abgeschlossene Verfahren verlangt (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09, (B) und Rs. C-101/09, (D) - NVwZ 2011, 285 Rn. 74).

25

bb) Das Berufungsgericht ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG verwirklicht hat. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG ist ein Ausländer unter anderem dann kein Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen.

26

(1) Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Beurteilung, dass der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG erfüllt ist, den zutreffenden Beweismaßstab zugrunde gelegt. Er ist zu der Überzeugung gelangt, dass durch Handlungen der FDLR Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG begangen wurden und diese dem Kläger als Präsidenten der FDLR zuzurechnen sind. Für diese Überzeugungsbildung reicht es aus, dass die Annahme der Begehung entsprechender Verbrechen aus schwerwiegenden Gründen gerechtfertigt ist. Ein Beweisstandard, wie er etwa im Strafrecht verlangt wird, ist hierfür nicht erforderlich. Vielmehr ergibt sich aus der Qualifizierung als "schwerwiegend", dass die Anhaltspunkte für die Begehung der in § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG genannten Verbrechen von erheblichem Gewicht sein müssen. Schwerwiegend sind die Gründe in der Regel dann, wenn klare und glaubhafte Indizien für die Begehung derartiger Verbrechen vorliegen (vgl. hierzu die Empfehlung <2005> 6 des Ministerrats des Europarats vom 23. März 2005 zum Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 F Buchst. b GFK; ähnlich Hailbronner, AuslR, Stand: Dez. 2007, § 3 AsylVfG Rn. 8). Von diesem Beweismaßstab ist das Berufungsgericht ausgegangen (UA Rn. 29).

27

(2) Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, welche zum Ausschluss nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG führenden Handlungen die FDLR im Einzelnen nach der Überzeugung des Gerichts begangen hat. Dazu zählt die Ausplünderung der Bevölkerung, das Niederbrennen von Dörfern, Erschießungen von Frauen und Kindern, Entführungen, Massenvergewaltigungen und Verstümmelungen als Mittel der Kriegsführung sowie die Rekrutierung von Kindersoldaten. Das Berufungsgericht entwickelt seine Überzeugung nicht nur aufgrund einer zusammenfassenden Würdigung von Lageberichten des Auswärtigen Amtes, sondern bezieht sich auch auf konkret aufgelistete Fälle im Bericht einer Expertengruppe der Vereinten Nationen vom 23. November 2009, im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des BGH vom 16. November 2009, in den Berichten von Human Rights Watch vom April und Dezember 2009 und in der Informationsschrift des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom Mai 2009. Die Beweiswürdigung beruht auf einer hinreichend breiten Tatsachengrundlage.

28

Der Verwaltungsgerichtshof wertet diese Taten zutreffend als Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 Buchst. a und g des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (BGBl 2000 II S. 1394, nachfolgend: IStGH-Statut). Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - (a.a.O. Rn. 31) entschieden, dass sich die Frage, ob Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG vorliegen, gegenwärtig in erster Linie nach den im IStGH-Statut ausgeformten Tatbeständen dieser Delikte bestimmt. Denn darin manifestiert sich der aktuelle Stand der völkerstrafrechtlichen Entwicklung bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht. Dabei durfte der Verwaltungsgerichtshof offenlassen, ob es sich bei den Kämpfen im Ostkongo um einen internationalen oder einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt handelt, weil die festgestellten Morde, Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Plünderungen und Zwangsrekrutierungen von Kindersoldaten in beiden Fällen als Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 IStGH-Statut anzusehen sind (Art. 8 Abs. 2 Buchst. a Ziff. I, Buchst. b Ziff. I, II, X, XVI, XXII, Buchst. c Ziff. I, Buchst. e Ziff. I, V, VI, VII und XI IStGH-Statut, Art. 2 und 3 des Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949, BGBl 1954 II, S. 917). Die Morde und Vergewaltigungen im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung stellen gleichzeitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 Buchst. a und g IStGH-Statut dar (vgl. auch Haftbefehl des Ermittlungsrichters des BGH vom 16. November 2009 S. 16 ff.).

29

(3) Das Berufungsgericht hat eine Verantwortlichkeit des Klägers für die von der FDLR begangenen Verbrechen zutreffend aus dessen Stellung als Präsident der Organisation und dem damit verbundenen Einfluss auf die Handlungen ihrer Kämpfer abgeleitet. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen den Schluss, dass der Kläger als Täter der von der FDLR begangenen Verbrechen anzusehen ist und nicht nur - wie im Berufungsurteil angenommen - als ein daran in sonstiger Weise Beteiligter gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG.

30

Die Verantwortlichkeit des Klägers ergibt sich aus Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut. Danach ist ein militärischer Befehlshaber unter anderem bereits dann für die von Truppen unter seiner Führungsgewalt und Kontrolle begangenen Verbrechen verantwortlich, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass in seinem Einflussbereich derartige Verbrechen begangen wurden und er nicht alles in seiner Macht stehende unternommen hat, um ihre Begehung zu verhindern. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass der Kläger Präsident der FDLR ist, maßgeblichen Einfluss auf die Organisation ausübt und innerhalb der FDLR unumschränkte Befehls- und Verfügungsgewalt besitzt. Ergänzend verweist er auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des BGH vom 16. November 2009, der ebenfalls zu diesem Ergebnis kommt. Danach ist der Kläger als Präsident der FDLR zugleich ihr oberster militärischer Befehlshaber (Haftbefehl S. 6 und 14 ff.) und demzufolge berechtigt, sowohl strategische Einsatzbefehle zu erteilen als auch bestimmte Kampfhandlungen oder Kampfmethoden zu unterbinden (Haftbefehl S. 15). Er habe auch faktisch die Befehlsgewalt ausgeübt. Die dem Kläger nachgeordneten, vor Ort tätigen Kommandanten hätten regelmäßig über Satellitentelefon, E-Mail oder herkömmliche Fernsprechverbindungen den engen Kontakt zum Kläger gesucht, um dessen Anordnungen entgegenzunehmen oder zumindest sein Einverständnis zu bestimmten Militäraktionen einzuholen (Haftbefehl S. 15 und 23 ff.). Ausgehend von diesen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ergibt sich hieraus die Verantwortlichkeit des Klägers für die von der FDLR begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut.

31

Der Kläger handelte nach den Feststellungen im Berufungsurteil auch vorsätzlich. Für die subjektive Verantwortlichkeit im Sinne von Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut reicht zwar Fahrlässigkeit. Der Verwaltungsgerichtshof verweist hinsichtlich der subjektiven Verantwortlichkeit aber auf den Haftbefehl vom 16. November 2009, in dem der Ermittlungsrichter zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger vorsätzlich gehandelt hat. Dies wird damit begründet, dass er aufgrund der zahlreichen Berichte wie auch der persönlichen Unterrichtung durch die örtlichen Kommandanten der FDLR Kenntnis von den Straftaten der FDLR-Milizionäre gehabt habe. Er sei sich darüber im Klaren gewesen, dass die von ihm befehligten Milizionäre in ihrem Herrschaftsbereich weiterhin Tötungen, Folterungen, Plünderungen und Vertreibungen begehen würden, solange er dies nicht unterbindet. Mit Recht kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass distanzierende Presseerklärungen für ein entsprechendes Unterbinden der Verbrechen nicht ausreichen. Auch die Verankerung des Verbots derartiger Verbrechen im Statut der FDLR, auf die die Revision sich beruft, reicht nicht aus, wenn der Kläger keine geeigneten Maßnahmen zur Durchsetzung des Verbots ergreift.

32

Zu einer Verantwortlichkeit des Klägers kommt man auch, wenn man die Kriterien des Gerichtshofs der Europäischen Union anlegt, wie er sie in seinem Urteil vom 9. November 2010 für den Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG entwickelt hat (a.a.O. Rn. 95 ff.). Danach kann dem Mitglied einer Organisation ein Teil der Verantwortung für Handlungen, die von der fraglichen Organisation im Zeitraum seiner Mitgliedschaft begangen wurden, zugerechnet werden. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, welche Rolle die betreffende Person bei der Verwirklichung der fraglichen Handlungen tatsächlich gespielt hat, welche Position sie innerhalb dieser Organisation gehabt hat und welche Kenntnis sie von deren Handlungen hatte oder haben musste. Hier hatte der Kläger als Präsident und militärischer Oberbefehlshaber eine hervorgehobene Stellung in der Organisation, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beging. Er wusste von den begangenen Verbrechen und ergriff keine geeigneten Maßnahmen, die Taten zu verhindern.

33

Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Rüge der Revision, der Verwaltungsgerichtshof habe die Verantwortlichkeit des Klägers nur behauptet und nicht festgestellt, welchen Tatbeitrag er geleistet habe. Das Berufungsurteil stellt vielmehr auf die Organisationsherrschaft des Klägers als Präsident und militärischer Oberbefehlshaber ab, wodurch ihm alle Handlungen der von ihm geleiteten Organisation zugerechnet werden, sofern er nicht geeignete Schritte zu ihrer Verhinderung ergriffen hat. Der Verweis auf seine Organisationsherrschaft als Präsident ist mehr als eine lediglich "pauschale Behauptung der Täterschaft". Auch trifft es nicht zu, dass - wie die Revision behauptet - die Auswertungen der Kommunikationsüberwachung (TKÜ) und des Laptops des Klägers keine Rolle spielen dürften, weil diese "selbst am 31. März 2010 weitgehend noch nicht ausgewertet" gewesen seien. Der Haftbefehl stützt sich bei seiner Bewertung, dass der Kläger maßgeblichen Einfluss auf die FDLR ausgeübt habe, auf die Angaben des Klägers selbst, auf zahlreiche Berichte von Nichtregierungsorganisationen, auf die Angaben von drei Zeugen sowie die Erkenntnisse aus der Überwachung der Telekommunikation des Klägers und der Auswertung seines E-Mail-Verkehrs. Diese Unterlagen sind detailreich und präzise.

34

cc) Da die Anerkennung des Klägers als Flüchtling wegen der Verwirklichung des Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG zu widerrufen war, konnte der Senat offenlassen, ob der Kläger - wie vom Berufungsgericht angenommen - auch die Voraussetzungen für den Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG erfüllt. Allerdings spricht viel dafür, dass der Kläger den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.

35

(1) Die für den Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG maßgeblichen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen werden in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82). In der Präambel wie in Art. 1 der Charta wird das Ziel formuliert, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Kapitel VII der Charta (Art. 39 bis 51) regelt die zu ergreifenden Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen. Nach Art. 39 der Charta obliegt dem Sicherheitsrat die Feststellung, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist dem Umstand besondere Bedeutung beizumessen, dass der Sicherheitsrat, indem er Resolutionen aufgrund von Kapitel VII der Charta beschließt, nach Art. 24 der Charta die Hauptverantwortung wahrnimmt, die ihm zur weltweiten Wahrung des Friedens und der Sicherheit übertragen ist. Das schließt die Befugnis des Sicherheitsrats ein zu bestimmen, was eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt (EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 3. September 2008 - Rs. C-402/05 P und Rs. C-415/05 P, Kadi und Al Barakaat - Slg. 2008 Rn. 294).

36

In der Resolution 1493 (2003) vom 28. Juli 2003 hat der UN-Sicherheitsrat festgestellt, dass der bewaffnete Konflikt in der DR Kongo eine Bedrohung des Weltfriedens darstellt, und sein Handeln ausdrücklich auf Kapitel VII der Charta gestützt (Resolution vor Ziffer 1). Dabei hat er auf das Andauern von Feindseligkeiten im Osten des Landes Bezug genommen und auf die damit einhergehenden schweren Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Er verurteilt entschieden die "systematischen Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen, einschließlich der Massaker, sowie die anderen Gräueltaten und Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, insbesondere die sexuellen Gewalthandlungen gegen Frauen und Mädchen, und betont, dass die Verantwortlichen, auch auf Führungsebene vor Gericht gestellt werden müssen" (Ziffer 8 der Resolution). Zudem hat der Sicherheitsrat ein Waffenembargo zur Verhinderung der weiteren Einfuhr von Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial in die DR Kongo verhängt (Ziffer 20 der Resolution). Damit steht fest, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen in der DR Kongo, an denen die FDLR beteiligt ist, eine Störung des Weltfriedens darstellen, ohne dass die nationalen Gerichte insoweit zu einer Überprüfung ermächtigt sind. Aufgrund der Resolution des UN-Sicherheitsrates steht weiter fest, dass die Störung des Weltfriedens jedenfalls auch durch die in der Resolution näher bezeichneten Gräueltaten und Verletzungen des humanitären Völkerrechts wie auch die Einfuhr von Waffen in das Konfliktgebiet erfolgt. Diese Störungshandlungen laufen damit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider.

37

(2) Einer Verwirklichung des Ausschlussgrundes durch den Kläger würde es allerdings entgegenstehen, wenn derartige Zuwiderhandlungen nur von Personen begangen werden könnten, die eine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben. Diese Auffassung wird nicht nur vom UNHCR vertreten, sondern entspricht auch der früheren Rechtsprechung des 1. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf, September 1979, Nr. 163; Urteil vom 1. Juli 1975 - BVerwG 1 C 44.68 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 9). Dass der Kläger zu diesem Personenkreis zählt, lässt sich den Feststellungen im Berufungsurteil nicht entnehmen. Denn für die Annahme des Berufungsgerichts, dass er als Präsident der FDLR einer staatsähnlichen Organisation vorstehe, liegen keine ausreichenden, diesen Schluss rechtfertigenden Tatsachenfeststellungen vor.

38

Aus Sicht des Senats spricht allerdings viel dafür, dass unter bestimmten engen Voraussetzungen auch nichtstaatliche Akteure den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG verwirklichen können. Für Mitglieder terroristischer Organisationen ergibt sich dies aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. November 2010 (a.a.O. Rn. 82 ff.). Danach laufen Handlungen des internationalen Terrorismus "unabhängig von der Beteiligung eines Staates" den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider und führen im Falle individueller Verantwortung zum Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft. Dies hat der Gerichtshof unter Bezug auf die Resolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 begründet, die in Ziffer 5 ausdrücklich "erklärt, dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen". Für andere Verletzungen des Weltfriedens ist auf der Grundlage der vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolutionen festzustellen, ob und worin er eine Verletzung des Weltfriedens sieht, ob ein privater Akteur maßgeblichen Einfluss darauf hat und ob von ihm eine ähnliche Wirkung auf die Störung des Weltfriedens ausgeht wie von staatlichen Verantwortungsträgern. Diese Auslegung ermöglicht eine sachgerechte Abgrenzung der Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG, denn Nr. 3 erfasst dann auch das Handeln nichtstaatlicher politischer Verantwortungsträger, die möglicherweise nicht strafrechtlich nach Nr. 1 zur Verantwortung gezogen werden können, deren Ausschluss wegen ihres maßgeblichen Einflusses auf die Störung des Weltfriedens etwa als politische Repräsentanten oder Anführer paramilitärischer Verbände oder Milizen aber zur Wahrung der Integrität des Flüchtlingsstatus geboten ist.

39

Auch Gerichte anderer Staaten wenden die Ausschlussklausel des Zuwiderhandelns gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen (Art. 1 F Buchst. c GFK) auf Personen an, die keine staatliche Macht ausüben (vgl. etwa Urteil des britischen Immigration Appeal Tribunal vom 7. Mai 2004, KK

<2004> UKIAT 00101 Rn. 20; Supreme Court of Canada in der Sache Pushpanathan v. Canada <1999> INLR 36), ohne dass insoweit aber eine einheitliche Staatenpraxis besteht. Folgt man der vom Senat hier entwickelten Auslegung, wäre an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1975 nicht mehr festzuhalten, wonach die Ausschlussbestimmung des Art. 1 F Buchst. c GFK nur Handlungen erfasst, die dem zwischenstaatlichen (internationalen) Frieden und der zwischenstaatlichen Völkerverständigung zuwiderlaufen (vgl. Urteil vom 1. Juli 1975 a.a.O.).

40

Geht man von diesen Kriterien aus, so ergibt sich eine solche Verantwortlichkeit des Klägers nicht schon aus der Tatsache, dass er von den Vereinten Nationen in eine Liste von Personen aufgenommen wurde, gegen die Beschränkungen zur Durchsetzung des Waffenembargos ergriffen werden sollen. Durch die Resolution 1596 (2005) vom 18. April 2005 hat der Sicherheitsrat in Ziffern 13 und 15 ein Einreiseverbot und finanzielle Restriktionen gegen Personen beschlossen, die nach Ziffer 18 Buchst. a der Resolution von einem dafür benannten Ausschuss benannt und in einer zu aktualisierenden Liste erfasst werden. In diese Liste wurde der Kläger am 1. November 2005 aufgenommen, wobei seine Erfassung mit seiner Stellung als Präsident der FDLR und seiner Beteiligung am Waffenhandel in Verletzung des verhängten Embargos begründet wird. Allerdings genügt die Aufnahme in eine derartige Liste allein nicht, um den Ausschlussgrund des Zuwiderhandelns gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen anzunehmen; ihr kommt insoweit (nur) eine erhebliche Indizwirkung zu. Vielmehr bedarf es, wenn der Betreffende - wie hier - die zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände bestreitet, entsprechender Feststellungen durch die nationalen Behörden bzw. Gerichte. Diese Prüfung hat sich auch auf die individuelle Verantwortung des Klägers in Bezug auf das Zuwiderhandeln gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen durch Verletzung des Waffenembargos zu beziehen (vgl. Urteil des EuGH vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82 ff.). Eine solche individuelle Prüfung hat das Berufungsgericht hier nicht vorgenommen.

41

Für eine Verantwortlichkeit des Klägers im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG spricht indes folgender Umstand: Aus der Resolution 1493 (2003) des UN-Sicherheitsrats ergibt sich, dass eine Störung des Weltfriedens vorliegt und dass sie von den bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten der DR Kongo ausgeht, an denen nicht nur staatliche Armeeeinheiten sondern auch nichtstaatliche Milizen wie die FDLR beteiligt sind, sowie von den systematischen Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts, zu deren Verhinderung der Sicherheitsrat "alle Parteien, einschließlich der Regierung der Demokratischen Republik Kongo" auffordert (Ziffer 8 der Resolution). Das spricht dafür, dass hier auch nichtstaatlichen Akteuren ein maßgeblicher Einfluss auf die Störung des Weltfriedens zugeschrieben wird. Nimmt man die Feststellungen des Berufungsgerichts hinzu, dass die FDLR seit Jahren an dem bewaffneten Konflikt beteiligt ist, ein Territorium im Osten der DR Kongo besetzt hält und systematisch Gewaltakte gegen die Zivilbevölkerung verübt, so dürfte sie als eine nichtstaatliche Organisation anzusehen sein, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderhandelt. Dabei kommt es nicht - wie der Verwaltungsgerichtshof meint - darauf an, ob die FDLR ein staatsähnliches Gebilde ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die von ihr und ihren Anführern ausgehenden Wirkungen auf die Störungen des Weltfriedens den von staatlichen Machthabern ausgehenden Wirkungen vergleichbar sind. Für das den Weltfrieden störende Handeln der FDLR trägt der Kläger als deren Präsident, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten seiner Kämpfer hat, die persönliche Verantwortung (vgl. Urteil des EuGH vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 97 f.).

42

Auch wenn nach Auffassung des Senats viel dafür spricht, dass der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG in besonderen Fällen auch von nichtstaatlichen Akteuren wie dem Kläger verwirklicht werden kann, bedurfte es hier keiner abschließenden Entscheidung dieser Frage, da der Kläger schon nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG von der Flüchtlingsstellung ausgeschlossen ist.

43

b) Mit Recht ist der Verwaltungsgerichtshof ferner davon ausgegangen, dass auch die materiellen Voraussetzungen für den Widerruf der Asylberechtigung des Klägers erfüllt sind. Denn der Widerruf der Asylberechtigung ist geboten, wenn Ausschlussgründe nach der Anerkennungsentscheidung verwirklicht werden. Das folgt aus nationalem Recht wie aus Unionsrecht.

44

aa) Die Voraussetzungen für den Widerruf einer Asylanerkennung ergeben sich im nationalen Recht aus § 73 Abs. 1 AsylVfG. Die Vorschrift bezieht sich ausdrücklich auf den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft und der Asylberechtigung. Danach ist die Anerkennung als Asylberechtigter zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Wie schon für den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ausgeführt, erfasst die Vorschrift nicht nur das nachträgliche Entfallen verfolgungsbegründender Umstände, sondern auch die nachträgliche Verwirklichung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 AsylVfG (vgl. oben Rn. 20 ff.). Weiter ergibt sich aus § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass sich die Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 AsylVfG auch auf die Asylanerkennung erstrecken und demnach auch einen Widerruf der Asylanerkennung rechtfertigen. Der Begriff "Widerruf oder Rücknahme" in dieser Vorschrift bezieht sich ersichtlich auf beide Anerkennungsformen. Außerdem spricht für dieses Verständnis der gesetzlichen Regelung auch § 30 Abs. 4 AsylVfG, wonach ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen. Aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Richtlinienumsetzungsgesetz ergibt sich, dass durch die in § 30 Abs. 4 AsylVfG getroffene Regelung eine mögliche Kollision zwischen der Flüchtlingsanerkennung und der Asylberechtigung vermieden werden soll, indem die Ausschlussklauseln gleichermaßen bei der Flüchtlingsanerkennung wie auch bei der Anerkennung als Asylberechtigter anzuwenden sind (BTDrucks 16/5065 S. 214).

45

Ob diese einfachgesetzliche Regelung in vollem Umfang mit Art. 16a GG vereinbar ist oder ob die Grenzen des grundrechtlichen Asylanspruchs nach der hierzu bisher vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anders zu bestimmen sind als nach der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. hierzu Beschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 Rn. 36 ff.), kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls wird der Fall des Klägers nicht vom Schutzbereich des verfassungsrechtlich garantierten Asyls erfasst, so dass der Widerruf seiner Asylberechtigung nicht gegen Art. 16a GG verstößt.

46

Der Schutzbereich des Art. 16a GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch einen "Terrorismusvorbehalt" begrenzt. Danach liegt es außerhalb des Asylrechts, wenn für terroristische Aktivitäten nur ein neuer Kampfplatz gesucht wird, um sie dort fortzusetzen oder zu unterstützen (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <152 f.>). Demgemäß kann Asyl nicht beanspruchen, wer im Heimatland unternommene terroristische Aktivitäten oder deren Unterstützung von der Bundesrepublik Deutschland aus in den hier möglichen Formen fortzuführen trachtet. Er sucht nicht den Schutz und Frieden, den das Asylrecht gewähren will. Diese normative Begrenzung des Schutzbereichs gilt unabhängig von einer etwaigen Verfolgung wegen terroristischer Aktivitäten im Heimatstaat. Sie gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch für diejenigen, die erstmals von Deutschland aus im Rahmen exilpolitischer Aktivitäten den politischen Kampf mit terroristischen Mitteln aufnehmen (Urteil vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 <16 ff.>; die gegen dieses Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen, Beschluss vom 26. Oktober 2000 - 2 BvR 1280/99 - InfAuslR 2001, 89).

47

Lagen den von der Rechtsprechung bisher entschiedenen Fällen nur Sachverhalte zugrunde, in denen es um terroristische Aktivitäten von Asylsuchenden ging, so bedeutet dies keineswegs, dass sich die normative Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 16a GG auf eine Betätigung im Bereich des Terrorismus beschränkt. Denn Grund für die normative Begrenzung ist, dass eine derartige Betätigung von der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit der von ihr mitgetragenen Völkerrechtsordnung grundsätzlich missbilligt wird (vgl. Urteil vom 30. März 1999 a.a.O. Rn. 17). Die Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt einen vergleichbar schweren Verstoß gegen die von der Bundesrepublik Deutschland mitgetragene Völkerrechtsordnung dar wie Akte des Terrorismus. Derartige Handlungen gehören nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu den schwersten Verbrechen, die "die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren" (Art. 5 IStGH-Statut). Dieses Statut wurde von der Diplomatischen Bevollmächtigtenkonferenz der Vereinten Nationen am 17. Juli 1998 verabschiedet und mittlerweile von 139 Staaten unterzeichnet. In dem Statut wird das Völkerstrafrecht unter Berücksichtigung der gemeinsamen Überzeugungen der Völkerrechtsgemeinschaft kodifiziert (vgl. Denkschrift der Bundesregierung zum Ratifikationsgesetz, BRDrucks 716/1999 S. 99). Ausländer, die nach Aufnahme in Deutschland Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen begehen oder sich an ihnen beteiligen, begehen einen schweren Verstoß gegen die Völkerrechtsordnung und suchen nicht den Schutz und Frieden, den das Asylrecht gewähren will. Sie können asylrechtlichen Schutz nach Art. 16a GG nicht beanspruchen.

48

Für eine derartige Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 16a GG spricht im Übrigen auch Art. 26 GG, wonach Handlungen verfassungswidrig sind, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören (vgl. Hobe, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 26 Rn. 11; I. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 26 Rn. 18). Durch Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG wird unmittelbar durch die Verfassung ein Verhalten verboten, das auf die Herbeiführung oder Förderung völkerrechtswidriger Zustände unter Gefährdung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit im Sinne von Art. 39 UN-Charta zielt (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: März 2006, Art. 26 Rn. 13). Auch die Begehung von oder die Beihilfe zu völkerrechtlichen Verbrechen - wie sie etwa in Art. 5 ff. und Art. 28 IStGH-Statut normiert sind - sind geeignet, den Völkerfrieden zu stören, und werden daher vom Störungsverbot des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst (so I. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 26 Rn. 15 und 17). So verstanden könnte auch Art. 26 Abs. 1 GG eine verfassungsimmanente Schranke der Asylverheißung des Art. 16a GG begründen.

49

Wie bereits im Rahmen des Widerrufs der Flüchtlingseigenschaft ausgeführt, ist aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass die vom Kläger geleitete FDLR Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 IStGH-Statut und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 Buchst. a und g IStGH-Statut begangen hat und der Kläger hierfür nach Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut als Täter verantwortlich ist. Die hier noch erforderliche aktuelle Gefahr (oder auch Wiederholungsgefahr - vgl. hierzu Urteil vom 30. März 1999 a.a.O. Rn. 22 unter Hinweis auf Urteil vom 10. Januar 1995 - BVerwG 9 C 276.94 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 175, juris Rn. 23) ist im Fall des Klägers aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts gegeben, da er weiterhin Präsident der FDLR ist und diese - wie im Haftbefehl ausgeführt - auch während des Berufungsverfahrens ihre einschlägigen Aktivitäten fortgesetzt hat. Damit ist der Kläger auch nach Verfassungsrecht von der Anerkennung als Asylberechtigter ausgeschlossen.

50

bb) Unabhängig davon ist der Widerruf der Asylberechtigung bei der Verwirklichung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG auch nach Unionsrecht geboten.

51

Die in § 3 Abs. 2 AsylVfG normierten Ausschlussgründe setzen die für die Flüchtlingseigenschaft getroffenen Vorgaben in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG um. Nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie gilt die Verpflichtung zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft im Fall der nachträglichen Feststellung von Ausschlussgründen im Sinne von Art. 12 der Richtlinie auch für Personen, die - wie der Kläger - ihren Antrag auf Gewährung von Flüchtlingsschutz bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie gestellt haben. Sie ist auch für die nach nationalem Recht gewährte Asylberechtigung zu beachten. Denn Art. 3 der Richtlinie gestattet den Mitgliedstaaten günstigere Regelungen zur Frage, wer als Flüchtling gilt, nur insoweit, als dies mit der Richtlinie zu vereinbaren ist.

52

Der Senat hat durch Beschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - (a.a.O.) dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob es mit Art. 3 der Richtlinie vereinbar ist, dass ein Mitgliedstaat nach seinem Verfassungsrecht einer Person, die gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, ein Asylrecht zuerkennt. Der Gerichtshof hat die Frage dahin beantwortet, dass es Art. 3 der Richtlinie zuwiderläuft, dass ein Mitgliedstaat Bestimmungen erlässt oder beibehält, die die Rechtsstellung des Flüchtlings einer Person gewähren, die hiervon nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen ist (Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 115). Die Mitgliedstaaten dürfen zwar Schutz aus anderen Gründen gewähren als denjenigen, auf denen der internationale Schutz beruht. In Betracht kommt etwa eine Schutzgewährung aus familiären oder humanitären Gründen (a.a.O. Rn. 118). Diese andere Form des Schutzes, zu deren Gewährung die Mitgliedstaaten befugt sind, darf indessen nicht mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Richtlinie verwechselbar sein (a.a.O. Rn. 119). Nur soweit die nationalen Rechtsvorschriften, die von der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie ausgeschlossenen Personen ein Asylrecht gewähren, eine klare Unterscheidung des nationalen Schutzes von dem Schutz gemäß der Richtlinie erlauben, beeinträchtigen sie daher das von der Richtlinie geschaffene System nicht (a.a.O. Rn. 120).

53

Legt man die vom Gerichtshof entwickelten Kriterien an die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Asylberechtigung nach Art. 16a GG an, so handelt es sich um einen nationalen Schutzstatus, der der Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der Richtlinie weitgehend entspricht und damit eine Verwechslungsgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs begründet. Bei der Asylberechtigung nach Art. 16a GG handelt es sich nicht um einen gegenüber der Flüchtlingsanerkennung andersartigen Schutzstatus - gegründet etwa auf familiäre oder humanitäre Motive. Vielmehr genießt ein Asylberechtigter nach § 2 Abs. 1 AsylVfG im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Seine Rechtsposition entspricht innerstaatlich auch der unionsrechtlichen Stellung von Flüchtlingen, wie sie durch die Richtlinie 2004/83/EG ausgestaltet ist (vgl. Hailbronner, ZAR 2009, 369 <371 ff.>). Damit liefe es aber dem Vorbehalt in Art. 3 der Richtlinie zuwider, wenn Deutschland Personen eine dem Flüchtlingsstatus weitgehend entsprechende Rechtsstellung gewährte oder erhielte, die hiervon nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen sind. Die Vorgaben des Unionsrechts verlangen somit, dass die Ausschlussgründe des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie auch auf Asylberechtigte anzuwenden sind und ihre Anerkennung bei nachträglicher Verwirklichung von Ausschlussgründen nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie zu widerrufen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat dem Rechnung getragen, indem er die Geltung der Ausschlussgründe auch für Asylberechtigte angeordnet hat (vgl. oben Rn. 44).

54

Die einfachgesetzliche Erstreckung der Ausschlussklauseln auf Asylberechtigte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil der deutsche Gesetzgeber hierdurch seiner Verpflichtung zur innerstaatlichen Umsetzung des Unionsrechts nachgekommen ist. Die Bindung an zwingende Vorgaben einer Richtlinie nach Art. 288 AEUV befindet sich in Übereinstimmung mit den in Art. 23 Abs. 1 genannten Rechtsgrundsätzen des Grundgesetzes, solange die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 - BVerfGE 118, 79 <95 ff.>). Dass dieser unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz auf unionsrechtlicher Ebene in Bezug auf das Asylrecht generell nicht gewährleistet wäre, kann angesichts des in Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgten Rechts auf Asyl und der dem Schutzstandard der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichteten Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. etwa Erwägungsgründe 3 und 17 der Richtlinie) nicht angenommen werden. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts hat zwar nicht die Nichtigkeit entgegenstehenden nationalen Rechts zur Folge. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht aber grundsätzlich unanwendbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 - NJW 2010, 3422). Der Anwendungsvorrang gilt in Deutschland allerdings nur kraft des durch Zustimmungsgesetz zu den Verträgen erteilten Rechtsanwendungsbefehls. Er reicht für in Deutschland ausgeübte Hoheitsgewalt daher nur so weit, wie die Bundesrepublik Deutschland dieser Kollisionsregel zugestimmt hat und zustimmen durfte (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08 u.a. - BVerfGE 123, 267 <343>). Innerhalb dieser Grenzen ist das Unionsrecht aber auch bei der Auslegung des Grundgesetzes zu beachten. Dies hat hier zur Folge, dass mit der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG das Grundrecht auf Asyl richtlinienkonform auszulegen ist und die Ausschlussklauseln selbst im Falle einer nicht durch richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung dieses Grundrechts behebbaren Kollision jedenfalls über den Anwendungsvorrang des vom nationalen Gesetzgeber umgesetzten Unionsrechts beachtlich sind.