Bundesverwaltungsgericht Urteil, 04. Sept. 2012 - 10 C 13/11
Gericht
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt seine Asyl- und Flüchtlingsanerkennung.
- 2
-
Er reiste im Mai 2006 auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein. Zur Begründung seines Asylantrags gab er an, in der Türkei wegen Unterstützung der PKK ("Kurdische Arbeiterpartei") für 10 Jahre inhaftiert worden zu sein. Nach seiner Entlassung im Jahr 1990 sei er in Syrien und dem Libanon als PKK-Kämpfer ausgebildet worden und habe 1992/93 in der Türkei an Kampfhandlungen teilgenommen. Später sei er bei der ERNK ("Kurdische Befreiungsfront") gewesen und habe politische und logistische Aufgaben erledigt, d.h. finanzielle Dinge geregelt und versucht, Dorfbewohner für die PKK zu gewinnen. Im Nordirak sei er im Oktober 1999 als Guerilla bei einem Angriff von der türkischen Armee verletzt worden und habe sich dann bis 2004 im Lager Kandil aufgehalten. Danach sei er für den KONGRA-GEL ("Volkskongress Kurdistan") im Nordirak als Kontaktmann zu anderen Organisationen eingesetzt worden. Bis 2006 habe er auf einen Gewaltverzicht der PKK gehofft und sich auch entsprechend geäußert. Nachdem sich diese Auffassung in der PKK nicht durchgesetzt habe, habe er sich entschlossen, die Organisation zu verlassen. Aus Furcht, von der PKK als Verräter getötet zu werden, habe er Kontakt mit seiner Familie aufgenommen. Er sei dann über den Iran nach Deutschland gereist.
- 3
-
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 25. Juni 2008 als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen und auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehen, und drohte dem Kläger die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da beim Kläger die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG vorlägen. Durch seine Mitgliedschaft in der PKK und die langjährigen Guerillaaktivitäten für diese Organisation in der Türkei und im Nordirak sei die Annahme gerechtfertigt, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling außerhalb Deutschlands eine schwere nichtpolitische Straftat begangen habe.
- 4
-
Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25. Juni 2008 verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass dieser die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfülle. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Kläger als nachhaltiger PKK-Aktivist und exponierter Gegner des türkischen Staates bei der Wiedereinreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu erleiden habe. Sein Begehren scheitere nicht an der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes, denn als PKK-Aktivist habe er im Iran nicht Fuß fassen können. Schließlich habe er keinen Ausschlussgrund verwirklicht. Schwere Straftaten i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG seien vor allem terroristische, d.h. durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnete Handlungen. Der Kläger sei in der Südosttürkei für die PKK aber ganz überwiegend nur propagandistisch tätig gewesen und habe im Nordirak Kontakte zu anderen Organisationen gehalten. Als Guerilla habe er allenfalls 1992 und 1993 gekämpft; bei militärischen Auseinandersetzungen zwischen der PKK und türkischen Sicherheitskräften hätten jedoch Gewaltakte gegenüber der Zivilbevölkerung nicht im Vordergrund gestanden. Der von der PKK ausgeübte Druck auf die Dorfbevölkerung liege weit unterhalb der Schwelle des Terrors. Die Beseitigung von nicht genehmen oder abtrünnigen PKK-Leuten habe der Kläger weder selbst begangen noch zu verantworten. Zwar habe er von dem Mord an M.S., dessen Todesurteil auf der vom Kläger besuchten "Kerker-Konferenz" im August 1991 von den Anwesenden beschlossen worden sei, Kenntnis haben müssen. Aber ihm könnten diese Gewaltakte nicht zugerechnet werden, da er als einfacher Aktivist die Zusammenhänge und den Unrechtsgehalt der Taten nicht erkannt habe. Jedenfalls habe er sie aufgrund der Rechtfertigungen von Öcalan und seiner Führungsclique für "legitim" halten dürfen. Äußerstenfalls habe er unter einem derartigen Gruppendruck und in konkreter Gefahr für sein eigenes Leben gestanden, dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als diese Morde zur Kenntnis zu nehmen. Anschläge auf zivile Ziele in Istanbul und touristische Zentren der Südwesttürkei seien erst erfolgt, als er sich bereits von der PKK losgesagt habe und auf der Flucht gewesen sei. Terroristische Aktivitäten mit internationaler Dimension i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG habe der Kläger nicht unterstützt. Er sei in der Südosttürkei und dem Nordirak aktiv gewesen, habe aber mit Aktivitäten der PKK in Europa, geschweige denn mit solchen terroristischer Art, auch im Vorfeld nichts zu tun gehabt.
- 5
-
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte, das Berufungsgericht habe die anderweitige Sicherheit des Klägers bzw. Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes nur unzureichend geprüft. Für § 27 AsylVfG komme es - anders als beim Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft - nicht auf die Möglichkeit der Rückkehr in den sicheren Drittstaat an. Zudem dränge es sich auf, diesbezüglich auf die Lage des Klägers im Irak abzustellen. Das Berufungsurteil verletze ferner § 3 Abs. 2 AsylVfG, denn das Oberverwaltungsgericht befasse sich bei Prüfung der Nr. 2 nur mit terroristischen Handlungen, die zudem durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sein müssten. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die persönliche Verantwortung des Klägers für das Todesurteil gegen den abtrünnigen M.S. trotz seiner Teilnahme an der "Kerker-Konferenz" ausschließe, seien nicht tragfähig.
- 6
-
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.
- 7
-
Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
Entscheidungsgründe
- 8
-
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit einer Begründung zurückgewiesen, die Bundesrecht verletzt. Denn es hat zum einen bei Prüfung des Asylanspruchs die anderweitige Sicherheit vor Verfolgung gemäß § 27 AsylVfG nicht im Hinblick auf den Irak untersucht (1.). Zum anderen halten die Erwägungen, mit denen es die Verwirklichung von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG durch den Kläger verneint hat, einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand (2.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen (3.).
- 9
-
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen.
- 10
-
1. Das Berufungsgericht ist, nachdem es für den Kläger als exponierten PKK-Aktivisten bei der Wiedereinreise in die Türkei politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit prognostiziert hat, auf die anderweitige Sicherheit vor Verfolgung nur unter dem Stichwort "Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes" und nur hinsichtlich des Iran, nicht aber des Irak eingegangen (UA S. 21). Damit hat es bei der Verpflichtung zur Asylanerkennung des Klägers § 27 AsylVfG verletzt (1.1); mit Blick auf die Flüchtlingsanerkennung erweist sich seine Entscheidung aber im Ergebnis als zutreffend (1.2).
- 11
-
1.1 Nach § 27 Abs. 1 AsylVfG wird ein Ausländer, der bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war, nicht als Asylberechtigter anerkannt. Hat sich ein Ausländer in einem sonstigen Drittstaat, in dem ihm keine politische Verfolgung droht, vor der Einreise in das Bundesgebiet länger als drei Monate aufgehalten, so wird gemäß Absatz 3 Satz 1 der Vorschrift vermutet, dass er dort vor politischer Verfolgung sicher war. Das gilt gemäß Satz 2 nicht, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass eine Abschiebung in einen anderen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen war.
- 12
-
Das Berufungsgericht hat diese Vorschrift bei der Prüfung des Asylanspruchs nicht in den Blick genommen, obwohl es davon ausgeht, dass der Kläger mehrere Jahre im Nordirak gelebt hat. Nach den tatrichterlichen Feststellungen spricht alles dafür, dass er dort vor einer Verfolgung durch den türkischen Staat sicher war und eine Lebensgrundlage nach Maßgabe der dort bestehenden Verhältnisse gefunden hat (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1987 - BVerwG 9 C 285.86 - BVerwGE 78, 332 <344 ff.> zu § 2 AsylVfG 1982); eine Verfolgung seitens des Irak hat der Kläger selbst nicht behauptet. Damit greift die widerlegbare gesetzliche Vermutung des § 27 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG ein.
- 13
-
Daher hätte das Berufungsgericht der Frage nachgehen müssen, ob der Kläger durch seine Abkehr von der PKK die im Nordirak bestehende Verfolgungssicherheit verloren hat. Denn § 27 AsylVfG findet keine Anwendung und die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen lebt wieder auf, wenn der in einem anderen Land gewährte Schutz vor politischer Verfolgung durch Widerruf, praktischen Entzug oder aus anderen Gründen entfällt; dies gilt auch dann, wenn sich der Asylbewerber längere Zeit in dem Drittstaat aufgehalten hat. Einem Asylanspruch steht die anderweitige Verfolgungssicherheit allerdings dann entgegen, wenn der Asylbewerber auf den Verfolgungsschutz freiwillig verzichtet, etwa durch eine nicht erzwungene Ausreise aus dem Gebiet des ihm Schutz gewährenden Staates (so bereits Urteil vom 6. April 1992 - BVerwG 9 C 143.90 - BVerwGE 90, 127 <135> m.w.N. zu § 2 AsylVfG 1982). Der Wegfall des Schutzes oder das Entstehen neuer Verfolgungsgefährdung durch die Abkehr von einer terroristischen Organisation - wie der PKK - steht einer freiwilligen Aufgabe der anderweitigen Sicherheit aber nicht gleich. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, welche Konsequenzen der Kläger als abtrünniges PKK-Mitglied im Irak zu befürchten hatte und ob seine Verfolgungssicherheit durch ggf. erfolgende Nachstellungen der PKK entfallen ist. Da hierzu jegliche tatrichterlichen Feststellungen fehlen, ist die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Asylanerkennung des Klägers schon aus diesem Grund aufzuheben.
- 14
-
1.2 Auch bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung hat das Berufungsgericht die Regelung des § 27 AsylVfG nicht herangezogen. Das verletzt Bundesrecht nicht, denn die Vorschrift betrifft nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG, nicht aber die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG (Urteil vom 8. Februar 2005 - BVerwG 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 <386> m.w.N.). Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes, für die es auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. Februar 2005 a.a.O.) zurückgegriffen hat, erweisen sich jedoch mit den inzwischen zu beachtenden unionsrechtlichen Vorgaben als nicht mehr vereinbar. Denn nach Ablauf der Umsetzungsfristen für die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) - Qualifikationsrichtlinie - und die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl EU Nr. L 326 vom 13. Dezember 2005 S. 13; berichtigt ABl EU Nr. L 236 vom 31. August 2006 S. 35) - Verfahrensrichtlinie - ist für ein materiellrechtliches Verständnis der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes kein Raum mehr.
- 15
-
Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG sieht einen materiellrechtlichen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung aus Gründen der Subsidiarität nur in Fällen des Schutzes oder Beistands einer Organisation oder Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR oder dann vor, wenn der Betroffene von den Behörden des Aufenthaltsstaates als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten eines Staatsangehörigen dieses Landes oder gleichwertige Rechte und Pflichten hat. Die Möglichkeit anderweitig bestehender Sicherheit vor Verfolgung greift die Qualifikationsrichtlinie im Übrigen nur mit Blick auf den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG) auf, nicht aber im Hinblick auf die Verfolgungssicherheit in einem anderen Staat. Das Unionsrecht verfolgt insoweit keinen materiellrechtlichen, sondern einen verfahrensrechtlichen Ansatz: Nach Art. 25 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/85/EG kann ein Mitgliedstaat einen Asylantrag als unzulässig betrachten, wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als erster Asylstaat des Asylbewerbers gemäß Art. 26 RL 2005/85/EG betrachtet wird. Nach Art. 26 Satz 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85/EG kann ein Staat als erster Asylstaat eines Asylbewerbers u.a. dann angesehen werden, wenn dem Asylbewerber in dem betreffenden Staat anderweitig ausreichender Schutz einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährt wird, vorausgesetzt, dass er von diesem Staat wieder aufgenommen wird. Nach diesem verfahrensrechtlichen Konzept des ersten Asylstaats sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, einen Asylantrag in der Sache zu prüfen, wenn ein Drittstaat dem Antragsteller - auch ohne ihn als Flüchtling anzuerkennen - anderweitig ausreichenden Schutz gewährt und die Rückübernahme des Antragstellers in diesen Staat gewährleistet ist (vgl. auch den 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85/EG).
- 16
-
Der deutsche Gesetzgeber hat dieses verfahrensrechtliche Konzept des ersten Asylstaats in § 29 Abs. 1 AsylVfG in der Weise umgesetzt, dass ein Asylantrag - und damit auch ein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 13 Abs. 1 und 2 AsylVfG) - unbeachtlich ist, wenn offensichtlich ist, dass der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war und die Rückführung in diesen Staat oder in einen anderen Staat, in dem er vor politischer Verfolgung sicher ist, möglich ist. In den Fällen des § 29 Abs. 1 AsylVfG droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war (§ 35 AsylVfG). Das Asylverfahren ist gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG allerdings fortzuführen, wenn die Rückführung innerhalb von drei Monaten nicht möglich ist. Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unbeachtlichkeit des Antrags wird unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht; auch dann hat das Bundesamt das Asylverfahren fortzuführen (§ 37 Abs. 1 AsylVfG). Das Asylverfahrensgesetz knüpft somit an die Offensichtlichkeit, dass der Ausländer in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war und die Rückführung in diesen oder einen anderen sicheren Drittstaat möglich ist, ausschließlich die Unbeachtlichkeit des Asylantrags mit der verfahrensrechtlichen Folge, dass eine Abschiebungsandrohung in einen sicheren Drittstaat ohne umfassende Sachprüfung des Asylbegehrens ergehen kann. Macht das Bundesamt davon keinen Gebrauch, sondern entscheidet es - wie hier - über das Asylbegehren in der Sache, bleibt für eine materiellrechtlich verstandene Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes mit Blick auf die o.g. unionsrechtlichen Vorgaben kein Raum mehr. Die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. Februar 2005 a.a.O.) erweist sich insoweit als überholt.
- 17
-
2. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger keinen der in § 3 Abs. 2 AsylVfG enthaltenen Ausschlussgründe verwirklicht. Die dafür angeführten Erwägungen halten einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.
- 18
-
Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG), wenn er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG), oder wenn er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG). Dies gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AsylVfG vor, ist der Asylantrag gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, so dass sich die Ausschlussgründe auch auf die Asylanerkennung erstrecken.
- 19
-
2.1 Das Berufungsgericht hat zu § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ausgeführt, der Kläger habe während seiner Zugehörigkeit zur PKK weder eine schwere nichtpolitische Straftat, insbesondere keine terroristische Handlung, begangen noch sei ihm eine solche zuzurechnen. Terroristische Handlungen seien Gewaltaktionen zur Erreichung politischer Ziele, die durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet seien (UA S. 24). Indem das Berufungsgericht der Prüfung dieses Ausschlussgrundes ausschließlich terroristische Gewaltaktionen der PKK zugrunde gelegt hat, die sich durch Gewalt gegen die Zivilbevölkerung auszeichnen, hat es - wie die Beklagte zutreffend rügt - einen zu engen Maßstab gewählt.
- 20
-
§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG dient wie Art. 1 F Buchst. b GFK dem Ausschluss "gemeiner Straftäter", denen man den Flüchtlingsschutz vorenthalten wollte, um den Status eines "bona fide refugee" aus Gründen der Akzeptanz in der internationalen Gemeinschaft nicht in Misskredit zu bringen. Daher rechtfertigt nicht jedes kriminelle Handeln des Schutzsuchenden vor seiner Einreise einen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung. Vielmehr muss der Straftat zunächst ein gewisses Gewicht zukommen, wofür internationale und nicht lokale Standards maßgeblich sind. Es muss sich also um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - BVerwGE 135, 252 Rn. 41).
- 21
-
Zugleich muss die Tat nichtpolitisch sein. Dazu ist auf den Delikttypus sowie die der konkreten Tat zugrunde liegenden Motive und die mit ihr verfolgten Zwecke abzustellen. Nichtpolitisch ist eine Tat, wenn sie überwiegend aus anderen Motiven, etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben begangen wird. Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Motiv bzw. Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, überwiegen nichtpolitische Beweggründe und kennzeichnen die Tat damit insgesamt als nichtpolitisch. So hat der Gesetzgeber in Umsetzung des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b letzter Halbsatz der Richtlinie 2004/83/EG insbesondere grausame Handlungen beispielhaft als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft, auch wenn mit ihnen vornehmlich politische Ziele verfolgt werden. Dies ist bei Gewalttaten, die gemeinhin als "terroristisch" bezeichnet werden, regelmäßig der Fall (Urteil vom 24. November 2009 a.a.O. Rn. 42), insbesondere, wenn sie durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sind (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und 101/09 - NVwZ 2011, 285 Rn. 81; dem folgend Urteil vom 7. Juli 2011 - BVerwG 10 C 26.10 - BVerwGE 140, 114 Rn. 35). Letzteres ist aber - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - keine notwendige, sondern eine bereits hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen einer nichtpolitischen Straftat. Die vorsätzliche rechtswidrige und schuldhafte Tötung oder erhebliche Verletzung eines Menschen erweist sich in Bezug auf das behauptete politische Ziel grundsätzlich als unverhältnismäßig und ist daher in aller Regel eine schwere nichtpolitische Straftat unabhängig davon, ob das Opfer ein Angehöriger der staatlichen Sicherheitskräfte, der Zivilbevölkerung oder ein abtrünniges Mitglied der eigenen Organisation ist.
- 22
-
Demzufolge hätte das Berufungsgericht bei der Prüfung des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG die Beteiligung des Klägers an Kampfhandlungen in den Jahren 1992/93 sowie Angriffe der PKK mit Opfern auf Seiten der türkischen Sicherheitskräfte nur dann aus seiner Betrachtung ausscheiden dürfen, wenn es zuvor festgestellt hätte, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat die völker(straf)rechtliche Schwelle eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut überschritten haben. Dann würden die für einen solchen Konflikt vorgesehenen Regelungen des Humanitären Völkerrechts und deren völkerstrafrechtlicher Sanktionierung auch die Maßstäbe beeinflussen, nach denen sich in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Mittel beurteilt. Denn soweit Kampfhandlungen von Kämpfern in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG erfasst werden, erfüllen sie in der Regel auch nicht den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat (Urteil vom 24. November 2009 a.a.O. Rn. 43). Dazu, ob die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat im Südosten der Türkei Anfang der 1990er Jahre die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut (vgl. dazu Urteil vom 24. November 2009 a.a.O. Rn. 33) erfüllten, hat das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.
- 23
-
2.2 Die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es die Ermordung des abtrünnigen PKK-Mitglieds M.S., dessen Todesurteil nach den tatsächlichen Feststellungen auf der vom Kläger besuchten "Kerker-Konferenz" im August 1991 von mehr als fünfhundert PKK-Leuten "beschlossen" worden ist, als dem Kläger nicht zurechenbar ansieht (UA S. 27), verletzen ebenfalls § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 AsylVfG. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass der Kläger als einfacher PKK-Aktivist die Zusammenhänge und den Unrechtsgehalt der Taten nicht erkannt hat, sie aber jedenfalls aufgrund der Rechtfertigung der PKK-Führung für "legitim" habe halten dürfen. Äußerstenfalls habe er unter einem derartigen Gruppendruck gestanden und konkrete Gefahr für sein eigenes Leben befürchten müssen, dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als diese Morde zur Kenntnis zu nehmen. Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
- 24
-
Bei der Prüfung des Ausschlussgrunds des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ist zu berücksichtigen, dass die notwendige individuelle Verantwortlichkeit eine Verantwortlichkeit im strafrechtlichen Sinne erfordert, wobei allerdings mit Blick auf die zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände das im Vergleich zum Strafrecht abgesenkte Beweismaß ("wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist"; vgl. dazu Urteil vom 31. März 2011 - BVerwG 10 C 2.10 - BVerwGE 139, 272 Rn. 26) genügt. Soweit keine Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Betracht zu ziehen sind und daher nicht zugleich § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG mit dem dynamischen Verweis auf die Regelungen im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 eingreift, liegt mangels einheitlicher internationaler Kriterien sowohl für Täterschaft und Teilnahme (vgl. die Länderberichte in: Sieber/Cornils, Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 4 Tatbeteiligung, Berlin 2010) als auch für Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe (vgl. dazu die Beiträge in: Eser/Fletcher, Rechtfertigung und Entschuldigung - Rechtsvergleichende Perspektiven, Bd. I 1987 und Bd. II 1988) grundsätzlich zunächst eine Orientierung an den Regeln des nationalen Strafrechts nahe (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 38).
- 25
-
Gerechtfertigt werden kann die Tötung eines Menschen nur durch Notwehr, nicht aber nach dem Prinzip des überwiegenden Interesses, denn das Leben eines Menschen steht in der Werteordnung des Grundgesetzes und der Menschenrechte - ohne zulässige Relativierung - an höchster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, Resolution 217 A
der Generalversammlung der UN; Art. 6 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl II 1973, 1533; Art. 2 Abs. 1 EMRK; Art. 2 GRCh). Dieser allgemein anerkannte Rang des Rechts auf Leben in der Wertehierarchie der internationalen Gemeinschaft lässt die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums als Entschuldigungsgrund im Hinblick auf die Tötung eines Menschen nur schwerlich als vorstellbar erscheinen. Denn bei einem offensichtlich rechtswidrigen vorsätzlichen Tötungsdelikt kommt ein Schuldausschluss nicht in Betracht, wenn nicht im Einzelfall ganz besondere Umstände gegen eine Erkennbarkeit des Strafrechtsverstoßes sprechen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 1996 - 2 BvR 1851/94 u.a. - BVerfGE 95, 96 <142>). Diesem strengen Maßstab genügt die Annahme des Berufungsgerichts auf der Grundlage seiner zur "Kerker-Konferenz" getroffenen tatrichterlichen Feststellungen, der Kläger habe das "Todesurteil" für M.S. wegen der Rechtfertigung durch die PKK-Führung für legitim halten dürfen, nicht. Auch die - mit der Annahme eines Verbotsirrtums im Übrigen unvereinbare - Entschuldigung durch einen Nötigungsnotstand vermag die angefochtene Entscheidung nicht zu tragen. Gegen die vom Berufungsgericht nicht mit tatsächlichen Feststellungen unterlegte Annahme, der Kläger habe nur aus Angst um das eigene Leben nicht gegen das "Todesurteil" der PKK-Führung aufbegehrt, spricht bereits, dass er sich nicht unmittelbar nach der "Kerker-Konferenz" von der PKK gelöst hat.
- 26
-
2.3 Das Berufungsgericht hat den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG nicht durchgreifen lassen, da der Kläger keine terroristischen Aktivitäten mit internationaler Dimension unterstützt habe. Er sei in der Südosttürkei und dem Nordirak aktiv gewesen, habe aber mit terroristischen Aktivitäten der PKK in Europa auch im Vorfeld nichts zu tun gehabt. Auch diese Erwägungen verletzen Bundesrecht. Das Berufungsgericht nimmt für die internationale Dimension, die Handlungen des Terrorismus grundsätzlich haben müssen, um die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen berühren zu können (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 28 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82 ff.), nur die terroristischen Aktivitäten der PKK in Europa, nicht aber deren grenzüberschreitende Aktionen im Nordirak in den Blick. Zudem müssen Unterstützungshandlungen zugunsten einer Organisation, die - wie die PKK - Akte des internationalen Terrors begeht, sich nicht konkret auf terroristische Aktionen internationaler Qualität beziehen, um von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG erfasst zu werden. Denn dieser Ausschlussgrund verlangt keine Zurechnung nach strafrechtlichen Kriterien, da er kein strafbares Handeln im Sinne einer Beteiligung an bestimmten Delikten voraussetzt. Demzufolge können auch rein logistische Unterstützungshandlungen von hinreichendem Gewicht im Vorfeld den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG erfüllen (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 39). Soweit das Berufungsgericht schließlich ausführt, die Aktivitäten des Klägers hätten nicht das für § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG erforderliche Gewicht gehabt, beruht seine Wertung infolge zu enger Maßstäbe auf unzureichenden Tatsachenfeststellungen.
- 27
-
3. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Ausschlussgründen des § 3 Abs. 2 AsylVfG kann der Senat nicht abschließend selbst entscheiden, ob dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung zustehen. Deshalb ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
- 28
-
Das Berufungsgericht wird zunächst seine Überzeugungsbildung zu der von ihm gestellten Prognose, der Kläger habe bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten, aktualisieren und jedenfalls detailliert begründen müssen. Mit Blick auf die dafür in der angefochtenen Entscheidung angeführten Quellen, u.a. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2011, ist seine Annahme jedenfalls nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen. Denn das Berufungsgericht hat sich mit der Aussage im Lagebericht auf S. 27 nicht auseinandergesetzt, dass weder dem Auswärtigen Amt noch türkischen Menschenrechtsorganisationen oder Vertretungen anderer EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren Fälle bekannt geworden seien, in denen auch exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt worden seien. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt jedoch, dass das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, ohne einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse auszublenden oder zu übergehen.
- 29
-
Hat der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner PKK-Tätigkeit - über reine Strafverfolgungsmaßnahmen hinaus - politische Verfolgung zu befürchten, ist im Hinblick auf die Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 i.V.m. Abs. 2 AsylVfG in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, dass die PKK jedenfalls bis zum Ausscheiden des Klägers eine terroristische Organisation war (Urteile vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 <20 ff.>; vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.> und vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 35). Im Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass der Begriff der schweren nichtpolitischen Straftat sich nicht auf terroristische Gewaltakte gegenüber der Zivilbevölkerung beschränkt. Im Rahmen der tatsächlichen Würdigung des Verhaltens der PKK gegenüber der Landbevölkerung im Südosten der Türkei hat das Berufungsgericht das gesamte Geschehen der Auseinandersetzung in den Blick zu nehmen und dabei Feststellungen zu den tatsächlichen Übergriffen und Opfern der PKK aus jener Zeit zu treffen. Dabei wird sich das Berufungsgericht auch mit den entsprechenden Feststellungen anderer Obergerichte auseinanderzusetzen haben (vgl. z.B. VGH München, Urteil vom 21. Oktober 2008 - 11 B 06.30084 - juris Rn. 34 ff.; OVG Schleswig, Urteil vom 6. Oktober 2011 - 4 LB 5/11 - juris Rn. 45 f.; OVG Bautzen, Urteil vom 22. März 2012 - A 3 A 428/11 - juris Rn. 37). Für die Berücksichtigung von Opfern bei den Sicherheitskräften und diesen nahestehenden Zivilpersonen wird gegebenenfalls auch zu prüfen sein, ob die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat Anfang der 1990er Jahre die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut erfüllten und - sollte dies bejaht werden - PKK-Aktionen (zumindest teilweise) als Verstöße gegen das Völkerrecht i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG zu werten sind.
- 30
-
Allerdings rechtfertigt - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - allein der Umstand, dass der Kläger der PKK angehört hat und den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch die Annahme eines der genannten Ausschlussgründe. Zur Ermittlung der individuellen Verantwortung des Klägers bedarf es vielmehr einer genauen Würdigung seiner gesamten Aktivitäten für die PKK sowohl als Kämpfer als auch anschließend als Funktionär bei der Wahrnehmung politischer, logistischer und finanzieller Aufgaben. Dabei ist seine jedenfalls zuletzt offenbar nicht nur untergeordnete Stellung innerhalb der Organisation zu berücksichtigen. Bei der tatsächlichen Würdigung ist dem in der Vorschrift geregelten Beweisniveau Rechnung zu tragen (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 94 ff.). Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der abgesenkte Beweismaßstab des § 3 Abs. 2 AsylVfG sich nur auf die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen, nicht aber deren (straf)rechtliche Würdigung z.B. als schwere nichtpolitische Straftat bezieht.
- 31
-
Für die Beteiligung an einer schweren nichtpolitischen Straftat richtet sich die Zurechnung grundsätzlich zunächst nach nationalen strafrechtlichen Maßstäben (s.o. Rn. 24); erfasst wird mithin sowohl der Täter als auch der Anstifter. Auch der in sonstiger Weise Beteiligte ist für eine schwere nichtpolitische Straftat verantwortlich, wenn er eine strafrechtlich relevante Beihilfe i.S.d. § 27 StGB begangen hat. Allerdings muss auch im Fall der Beihilfe der Tatbeitrag nach seinem Gewicht dem einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne dieser Vorschrift entsprechen (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 38 m.w.N.). Das Berufungsgericht wird insoweit u.a. der Rolle des Klägers bei der sog. "Kerker-Konferenz" nachgehen müssen. Sollte es sich bei dieser Veranstaltung - was angesichts der streng hierarchischen Struktur der PKK durchaus in Betracht kommt - um einen reinen "Schauprozess" gehandelt haben, bei dem das "Todesurteil" der Führung bereits zuvor unumstößlich feststand, läge wohl mangels objektiver Förderung oder Erleichterung der Tathandlung eine Strafbarkeit selbst in der Form einer psychischen Beihilfe nicht nahe (vgl. zur psychischen Beihilfe: BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 - 5 StR 242/07 - NJW 2008, 1460 <1461>).
- 32
-
Bei dem Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, der jedenfalls bei Handlungen des Terrorismus mit internationaler Dimension auch von Personen verwirklicht werden kann, die keine Machtposition in einem Staat oder einer staatsähnlichen Organisation haben, setzt der Tatbestand nicht notwendig die Begehung einer strafbaren Handlung voraus. Von diesem Ausschlussgrund können auch Personen erfasst werden, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornehmen. Zusätzlich wird allerdings - um der Funktion dieses Ausschlussgrundes gerecht zu werden - in jedem Fall zu prüfen sein, ob der individuelle Beitrag des Betroffenen ein Gewicht erreicht, das dem der Ausschlussgründe in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG entspricht (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. Rn. 28 und 39 m.w.N.).
- 33
-
Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger keinen Ausschlussgrund verwirklicht hat, wird es schließlich prüfen müssen, ob § 27 AsylVfG seiner Asylanerkennung entgegensteht, weil er auch nach Loslösung von der PKK im Irak vor politischer Verfolgung sicher war.
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung
- 1.
von Bundesrecht oder - 2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.
(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.
(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft sie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß.
(2) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück.
(3) Ist die Revision begründet, so kann das Bundesverwaltungsgericht
- 1.
in der Sache selbst entscheiden, - 2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
(5) Verweist das Bundesverwaltungsgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 49 Nr. 2 und nach § 134 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht anhängig geworden wäre.
(6) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.
(7) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit das Bundesverwaltungsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend hält. Das gilt nicht für Rügen nach § 138 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft sie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß.
(2) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück.
(3) Ist die Revision begründet, so kann das Bundesverwaltungsgericht
- 1.
in der Sache selbst entscheiden, - 2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
(5) Verweist das Bundesverwaltungsgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 49 Nr. 2 und nach § 134 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht anhängig geworden wäre.
(6) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.
(7) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit das Bundesverwaltungsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend hält. Das gilt nicht für Rügen nach § 138 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.