Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 29. Okt. 2014 - 1 L 1555/14
Gericht
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache so zu behandeln, als ob ihr Fraktionsstatus im Rat der Stadt X. zukommt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der in der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 2014 gestellte Antrag,
3den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache so zu behandeln, als ob ihr Fraktionsstatus im Rat der Stadt X. zukommt,
4hat Erfolg.
5Der Antrag ist nach den in Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätzen zum Kommunalverfassungsstreitverfahren zulässig. Die Beteiligten streiten um die Fraktionseigenschaft der Antragstellerin und damit um die der Antragstellerin nach ihrer Rechtsauffassung in ihrer Eigenschaft als Fraktion im Rat der Stadt X. zugewiesenen Wahrnehmungskompetenzen. Aus den für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend geltenden Erwägungen der Kammer im Urteil vom 29. Oktober 2014 (1 K 4415/14), auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, ist die Antragstellerin als beteiligungsfähig und antragsbefugt anzusehen. Auch aus dem von dem Antragsgegner geltend gemachten Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ergibt sich nicht die Unzulässigkeit des Antrags. Unter welchen Voraussetzungen ein Antrag, der auf eine die Hauptsache vorwegnehmende Regelung gerichtet ist, ausnahmsweise nach Maßgabe des sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergebenden Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zulässig ist,
6vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage, Rdnr. 14 m.w.N.,
7kann hier dahinstehen. Denn die Antragstellerin begehrt mit dem Antrag lediglich eine vorläufige, bis zur Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung wirkende und somit gerade nicht die Hauptsacheentscheidung vorwegnehmende Anordnung.
8Der Antrag ist auch begründet. Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt in beiden Fällen voraus, dass der zu Grunde liegende materielle Anspruch, der Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, der Anordnungsgrund, glaubhaft gemacht sind (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 294, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
9Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zunächst hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, von dem Antragsgegner die einer Ratsfraktion nach den einschlägigen Regelungen der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (GO NRW) und der Geschäftsordnung des Rates der Stadt X. (Geschäftsordnung) zustehenden Befugnisse beanspruchen zu können. Denn die Kammer ist in dem von der Antragstellerin geführten Hauptsacheverfahren zu der Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin eine Fraktion im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 GO NRW ist. Hierzu wird auf die diesbezüglichen Ausführungen der Kammer im Urteil vom 29. Oktober 2014 (1 K 4415/14) verwiesen.
10Weiterhin hat die Antragstellerin auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung entstünden ihr wesentliche Nachteile im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Unter Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen ist es der Antragstellerin nicht zuzumuten, die (Rechtskraft der) Hauptsacheentscheidung abzuwarten.
11Solche wesentlichen, mit der Verweigerung der Zugestehung des Fraktionsstatus verbundenen Nachteile ergeben sich für die Antragstellerin aus den verschiedenen kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, die bestimmte Teilhaberechte und Wahrnehmungskompetenzen Fraktionen, aber nicht Gruppen oder einzelnen Ratsmitgliedern zuweisen. So ist etwa gemäß § 47 Abs. 1 Satz 4 GO NRW auf Verlangen einer Fraktion oder eines Fünftels der Ratsmitglieder der Rat unverzüglich einzuberufen und muss gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW der Bürgermeister Vorschläge einer Fraktion oder eines Fünftels der Ratsmitglieder in die Tagesordnung der Ratssitzung aufnehmen. Zudem können Fraktionen nach § 9 Abs. 5 Satz 1 der Geschäftsordnung beantragen, dass sich am Ende eines Tagesordnungspunktes eine nach Satz 2 maximal 30minütige Diskussion anschließt. Auch erhält eine Fraktion nach § 10 Abs. 6 lit. b) Satz 1 der Geschäftsordnung ein zusätzliches Redezeitkontingent von 20 Minuten pro Ratssitzung. Weitere spezifische Befugnisse, die Fraktionen, nicht aber Gruppen oder einzelnen Ratsmitgliedern zustehen, ergeben sich aus §§ 55 Abs. 4, 58 Abs. 1 Satz 7, 58 Abs. 2 Satz 4, 58 Abs. 5 Sätze 1, 2, 4 und 5 GO NRW und § 8 Abs. 1 der Geschäftsordnung.
12Die vorgenannten Regelungen stellen – gerade auch soweit sie selbst kleinen Fraktionen wie der Antragstellerin Möglichkeiten bieten, Ratssitzungen zu erzwingen und die Tagesordnung zu beeinflussen bzw. mitzubestimmen – wichtige Instrumente dar, um eigene politische Ziele zu verfolgen. Die kontroverse Erörterung und Entscheidung kommunaler Angelegenheiten in der Vertretung der Gemeinde ist ein wesentliches Element der kommunalen, gemäß § 40 Abs. 1 GO NRW ausschließlich durch den Willen der Bürgerschaft bestimmten Gemeindeverwaltung. Damit würde die Antragstellerin ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung in erheblicher Weise an der Ausübung der ihr zustehenden, für die Willensbildung der Vertretung wesentlichen Mitwirkungsbefugnisse gehindert. Weitere erhebliche Nachteile ergeben sich für die Antragstellerin – auch wenn insoweit formal die Gemeinde in Anspruch zu nehmen wäre – aus dem Umstand, dass sie die höheren, Fraktionen zu den Aufwendungen für ihre Geschäftsführung zustehenden Zuwendungen nicht erhält.
13Die angeführten Nachteile sind insgesamt für die Zeit bis zur Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung – auch mit Rücksicht auf die Eindeutigkeit der materiellen Rechtslage – unzumutbar.
14Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
15Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Gericht geht hierbei nach Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von einem Hauptsachenstreitwert in Höhe von 10.000,00 Euro aus, von dem wegen des in diesem Verfahren nur möglichen vorläufigen Rechtsschutzes ein hälftiger Abschlag erfolgt.
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(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.