Sozialgericht Nürnberg Gerichtsbescheid, 25. Juli 2016 - S 5 SO 34/16

published on 25/07/2016 00:00
Sozialgericht Nürnberg Gerichtsbescheid, 25. Juli 2016 - S 5 SO 34/16
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Bayerisches Landessozialgericht, L 18 SO 214/16, 12/07/2018

Gericht

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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig sind sogenannte Budget-Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der Kläger bezieht seit Herbst 2015 Altersrente. Er wohnt in der A-Straße, A-Stadt; es handelt sich um eine Form des ambulanten betreuten Wohnens. Der Kläger hat dem Grunde nach Anspruch auf Hilfeleistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67 ff. SGB XII und auf Eingliederungshilfeleistungen nach den §§ 53 ff. SGB XII.

Am 29.08.2014 fand eine Budget-Konferenz zur Ermittlung des Hilfebedarfs und zur Erstellung einer Zielvereinbarung statt. In der zusammenfassenden Stellungnahme vom 05.09.2014 hielt der Beklagte fest, dass es dem Kläger vorrangig um die Wiederherstellung eines ordentlichen Haushalts gehe. Im weiteren Verlauf wolle er sich eine „Person seines Vertrauens suchen“. Aktuell sei der Hilfebedarf auf den Bereich des Wohnens beschränkt. Es gehe darum, eine „Grundreinigung“ samt „Entmüllung“ durchzuführen und anschließend wöchentliche Reinigungen sicherzustellen. Es werde ein Hilfebedarf von aktuell 25 Stunden für die Grundreinigung und von 5 Stunden pro Woche für eine hauswirtschaftliche Unterstützung geschätzt. Es werde empfohlen, für den Kläger ein Persönliches Budget ab dem 01.09.2014 einzurichten und zunächst bis zum 30.11.2014 zu befristen. Dieses Protokoll wurde zu einer Anlage der „Zielvereinbarung zum Persönlichen Budget“ (vgl. Bl. 423 der Beklagtenakte), das dem Kläger mit Schreiben vom 10.09.2014 zugeleitet wurde.

Der Kläger teilte mit Schreiben vom 17.02.2015 mit, der vorgelegten Zielvereinbarung könne er nicht zustimmen. Das vom Beklagten angeblich durchgeführte Gesamtplanverfahren entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Was angeboten werde, sei nichts weiter als eine verdeckte Sachleistung und kein Persönliches Budget, was sich schon aus den Kriterien und Pflichten zur Qualitätssicherung erkennen lasse. Der Kläger werde dadurch in seinen Rechten beschnitten.

Mit Schreiben vom 21.08.2015 teilte der Beklagte dem Kläger mit, es sei beabsichtigt, den Antrag auf ein Persönliches Budget abzulehnen, wenn der Kläger die Zielvereinbarung nicht unterschreibe. Der Kläger reagierte mit Schreiben vom 24.08.2015 (Bl. 435 der Beklagtenakte); er sei nicht bereit, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die im Ergebnis ihm eine verdeckte Sachleistung zukommen lasse.

Mit Bescheid vom 27.08.2015 lehnte der Beklagte den Antrag vom 13.06.2014 auf Gewährung eines Persönlichen Budgets ab. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 31.08.2015, das an diesem Tag beim Beklagten einging, Widerspruch und verlangte Akteneinsicht. Der Widerspruch wurde vom Kläger mit Schreiben vom 28.09.2015 näher begründet; auf dieses Schreiben wird Bezug genommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2016 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäß § 3 Absatz 5 und § 4 der Budget-Verordnung (BudgetV) werde zwischen der den Antrag stellenden Person und dem Budgetgeber eine Zielvereinbarung abgeschlossen. Die Zielvereinbarung werde für die Dauer der bewilligten Leistung abgeschlossen. Sie sei kündbar. Die Kündigung führe zur Aufhebung des Verwaltungsaktes. Die Zielvereinbarung enthalte mindestens Regelungen über die Ausrichtung der individuellen Förder- und Leistungsziele, die Erforderlichkeit eines Nachweises für die Deckung des festgestellten individuellen Bedarfs sowie die Qualitätssicherung und die jeweiligen Rechte und Pflichten der beiden Vertragspartner. Ohne die Unterschrift des Klägers könne die Zielvereinbarung nicht in Kraft treten. Daher habe der Antrag auf persönliches Budget abgelehnt werden müssen. Gemäß § 3 Absatz 5 BudgetV sei der Abschluss einer Zielvereinbarung Voraussetzung für die Gewährung einer Leistung des persönlichen Budgets und damit für den Erlass des Bewilligungsbescheides. Eine Zielvereinbarung sei ein öffentlich-rechtlicher Vertrag gemäß § 53 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), an den beide Vertragsparteien gebunden seien (vgl. LSG Sachsen-Anhalt vom 31.01.2013 - L 8 SO 4/12 - Juris). Durch den öffentlich-rechtlichen Vertrag in Form der Zielvereinbarung würden die niedergelegten Rechte und Pflichten der Vertragspartner rechtsverbindlich festgestellt und konkretisiert. Nachdem der Kläger die vorgelegte Zielvereinbarung nicht unterschrieben habe bzw. sich geweigert habe, seine Unterschrift zu tätigen, habe der Antrag abgelehnt werden müssen. Damit sei auch der Widerspruch zurückzuweisen.

Dagegen hat der Kläger mit Schreiben vom 25.02.2016, das an diesem Tag beim Sozialgericht Nürnberg eingegangen ist, Klage erhoben. Das Sozialgericht hat dem Kläger Akteneinsicht gewährt. Das Sozialgericht Nürnberg hat in nicht öffentlicher Sitzung am 08.06.2016 den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert. Der Bevollmächtigte des Beklagten hat erklärt, dass aus Sicht des Beklagten die in der Budget-Konferenz vom 29.08.2014 dokumentierten Bedarfe weiterhin als bestehend gesehen würden, zumal der Kläger in der nichtöffentlichen Verhandlung aktuelle Fotos von seiner Wohnung vorgelegt und mitgeteilt habe, dass diese Bilder den Zustand seit 2009 dokumentierten.

Das Sozialgericht hat in der nicht öffentlichen Sitzung angekündigt, dass es eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren oder durch Gerichtsbescheid treffen wolle. Der Kläger hat mitgeteilt, dass er mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren oder mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden ist. Einer Zielvereinbarung, die rechtlich so aufgebaut sei, wie diejenige vom August 2014, werde er auch künftig nicht zustimmen und sie nicht unterschreiben, da das zwingend erforderliche Gesamtplanverfahren nicht durchgeführt worden sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

auf der Grundlage eines noch durchzuführenden Gesamtplanverfahrens ihm Budget-Leistungen zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat die Beklagtenakten beigezogen. Vorgelegen haben die Gerichtsakten im Klageverfahren S 20 SO 209/10. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichts- und beigezogenen Akten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von M. vom 26.01.2016 hält einer gerichtlichen Überprüfung stand. Der Beklagte hat den Antrag auf Budget-Leistungen zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 3 Absatz 5 Satz 1 BudgetV erlässt der Beauftragte den Verwaltungsakt, „wenn eine Zielvereinbarung nach § 4 abgeschlossen ist, und erbringt die Leistung“. Nachdem eine Zielvereinbarung nach § 4 BudgetV nicht abgeschlossen worden ist, weil der Kläger seine Unterschrift darunter verweigert hat, durfte der Beklagte den vom Kläger begehrten Verwaltungsakt über die Bewilligung eines Persönlichen Budgets nicht erlassen. Zur Begründung im Übrigen wird gemäß § 136 Absatz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf den zutreffenden Widerspruchsbescheid der Regierung von M. vom 26.01.2016 Bezug genommen.

Die Verfahrensweise des Beklagten wird von der Rechtsprechung der Sozialgerichte gedeckt; das Bundessozialgericht (BSG) hat im Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 19/15 R - ausgeführt: „Die Regelungssystematik der §§ 17 und 21a SGB IX (§ 21a SGB IX i. d. F. durch Art. 261 Nummer 1 der Neunte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31.10.2006, BGBl I 2407) i. V. m. § 3 und § 4 BudgetV bestätigt die Zukunftsgerichtetheit des Persönlichen Budgets und die strikte Zweckbindung der Geldmittel. Die Regelungen der BudgetV sind auf alle Arten des Persönlichen Budgets anwendbar (vgl § 21a SGB IX; §§ 1, 2 Satz 2 BudgetV). Die Entscheidung des zuständigen Leistungsträgers (Beauftragter; vgl § 3 Absatz 1 Satz 1 BudgetV) über das Persönliche Budget setzt voraus, dass der individuelle Bedarf des Berechtigten beraten (§ 3 Absatz 3 Satz 1 BudgetV), festgestellt (§ 4 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 BudgetV) und eine zuvor beratene Zielvereinbarung mit dem Berechtigten geschlossen ist (§ 3 Absatz 5 Satz 1 BudgetV). Die Zielvereinbarung ist ihrer Natur nach zukunftsgerichtet. Sie sichert die Zielverwirklichung bei Durchführung des Persönlichen Budgets und deren Kontrolle. Hierzu muss sie mindestens Regelungen enthalten über 1. die Ausrichtung der individuellen Förder- und Leistungsziele, 2. die Erforderlichkeit eines Nachweises für die Deckung des festgestellten individuellen Bedarfs sowie 3. die Qualitätssicherung (§ 4 Absatz 1 Satz 2 BudgetV)“(Zitat Ende).

Diesen rechtlichen Vorgaben hat der Beklagte entsprochen. Zu Unrecht kritisiert der Kläger auch, es habe kein gesetzlich vorgegebenes Gesamtplanverfahren gegeben. Ein solches Verfahren ist in der Regel dann angezeigt, wenn ein Persönliches Budget beantragt ist, bei dem mehrere Leistungsträger beteiligt sind. Dies war im vorliegenden Fall nicht gegeben. Denn der Kläger hat budgetfähige Ansprüche nur gegenüber dem Beklagten auf der Grundlage der §§ 53 ff. und 67 ff. SGB XII. Damit entspricht die vom Beklagten vorgelegte Zielvereinbarung im Ergebnis einem Gesamtplanverfahren.

Somit musste die Klage ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
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published on 08/03/2016 00:00

Tenor Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. April 2014 wird zurückgewiesen.
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Annotations

(1) Ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts kann durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden (öffentlich-rechtlicher Vertrag), soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Insbesondere kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde.

(2) Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag über Sozialleistungen kann nur geschlossen werden, soweit die Erbringung der Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht.

(1) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
den Ort und Tag der mündlichen Verhandlung,
4.
die Urteilsformel,
5.
die gedrängte Darstellung des Tatbestands,
6.
die Entscheidungsgründe,
7.
die Rechtsmittelbelehrung.

(2) Die Darstellung des Tatbestands kann durch eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zu Protokoll erfolgten Feststellungen ersetzt werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand richtig und vollständig ergibt. In jedem Fall sind jedoch die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben.

(3) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsaktes oder des Widerspruchsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(4) Wird das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet, so bedarf es des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe nicht, wenn Kläger, Beklagter und sonstige rechtsmittelberechtigte Beteiligte auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichten.

(1) Ist für die Feststellung des Rehabilitationsbedarfs ein Gutachten erforderlich, beauftragt der leistende Rehabilitationsträger unverzüglich einen geeigneten Sachverständigen. Er benennt den Leistungsberechtigten in der Regel drei möglichst wohnortnahe Sachverständige, soweit nicht gesetzlich die Begutachtung durch einen sozialmedizinischen Dienst vorgesehen ist. Haben sich Leistungsberechtigte für einen benannten Sachverständigen entschieden, wird dem Wunsch Rechnung getragen.

(2) Der Sachverständige nimmt eine umfassende sozialmedizinische, bei Bedarf auch psychologische Begutachtung vor und erstellt das Gutachten innerhalb von zwei Wochen nach Auftragserteilung. Das Gutachten soll den von den Rehabilitationsträgern vereinbarten einheitlichen Grundsätzen zur Durchführung von Begutachtungen nach § 25 Absatz 1 Nummer 4 entsprechen. Die in dem Gutachten getroffenen Feststellungen zum Rehabilitationsbedarf werden den Entscheidungen der Rehabilitationsträger zugrunde gelegt. Die gesetzlichen Aufgaben der Gesundheitsämter, des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nach § 275 des Fünften Buches und die gutachterliche Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit nach § 54 bleiben unberührt.

(3) Hat der leistende Rehabilitationsträger nach § 15 weitere Rehabilitationsträger beteiligt, setzt er sich bei seiner Entscheidung über die Beauftragung eines geeigneten Sachverständigen mit den beteiligten Rehabilitationsträgern über Anlass, Ziel und Umfang der Begutachtung ins Benehmen. Die beteiligten Rehabilitationsträger informieren den leistenden Rehabilitationsträger unverzüglich über die Notwendigkeit der Einholung von Gutachten. Die in dem Gutachten getroffenen Feststellungen zum Rehabilitationsbedarf werden in den Teilhabeplan nach § 19 einbezogen. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.

(4) Die Rehabilitationsträger stellen sicher, dass sie Sachverständige beauftragen können, bei denen keine Zugangs- und Kommunikationsbarrieren bestehen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.