Sozialgericht Münster Urteil, 08. Okt. 2015 - S 16 KR 641/14
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Es geht um die Liposuktion der Beine der Klägerin. Die Klägerin leidet an Lipödem. Bei Lipödem handelt es sich um eine schmerzhaft anlagebedingte übermäßige Fettgewebs- vermehrung an der Extremität, insbesondere bei Frauen.
3Die am 21. Juli 1989 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversi-chert. Sie beantragte bei der Beklagten die Übernahme der Kosten unter Vorlage einer die Liposuktion befürwortende Bescheinigung der Fachklinik Hornheide. Die Klägerin habe seit der Pubertät unter schmerzhafter Beinumfangsvermehrung zu leiden. Das Gewicht sei konstant bei 76 kg bei einer Größe von 1,67 m, BMI 27. Sie habe ein Lipödem vom Ganzbeintyp. Eine venöse Insuffizienz könne ausgeschlossen werden. Die konservativen Therapien hätten keine Besserung der Schmerzsympthomatik gebracht, auch Kompressionsstrümpfe nicht. Zur Linderung des Leidensdrucks sei die einzige Möglichkeit die Durchführung mehrfacher Liposuktionssitzungen im Bereich beider Ober- und Unterschenkel. Dies könne nur im Rahmen eines stationären operativen Eingriffs erfolgen.
4Die Klägerin beantragte im Juli 2014 die Genehmigung bei der Beklagten. Die Beklagte forderte weitere Unterlagen an.
5Die Klägerin wies darauf hin, dass sie sich seit dem 28. August 2013 regelmäßig in der phlebologisch lymphologischen Sprechstunde bei Dr. med. Stadel in Rheine befinde. Zusammenfassend habe die Patientin ein massives Lipödem vom Ganzbeintyp Stadium III. Bei der jungen Patientin müsse die berufliche und psychosoziale Situation mit einbezogen werden, die mit einer Stigmatisierung einhergehe. Deswegen könne nur ein stationärer operativer Eingriff in Form der Absaugung des lokalen Fettgewebes erfolgen.
6Die Beklagte schaltete den MDK ein. Der MDK nahm handschriftlich Stellung dahinge-hend, dass eine Gewichtsreduktion und regelmäßige sportliche Aktivität empfohlen werde. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 1. August 2014 ab.
7Dagegen legte die Klägerin am 27. August 2014 Widerspruch ein.
8Die Beklagte schaltete erneut den MDK, diesmal den MDK Münster, ein. Dort nahm Dr. med. Kuhzarani dahingehend Stellung: "Nach aktuellem Stand der Literatur ist die Überlegenheit der operativen Methode gegen-über konservativen Maßnahmen nicht belegt. Evidenzbasierte Vergleichsstudien zwischen konservativer und operativer Therapie liegen aktuell nicht vor. Entsprechend dieser Konstellation ohne bisherige Empfehlung des Bundesausschusses kann die beantragte operative Leistung nicht zu Lasten der GKV ausgeführt werden. Aus sozialmedizinischer Sicht ist deshalb auf die anerkannten konservativen Therapiemaßnahmen, die in den Leitlinien veröffentliche sind, zu verweisen. Nach Durchsicht der vorliegenden Behandlungsberichte und unter kritischer Würdigung der Fotodokumentation ergibt sich im Falle der Versicherten mit Verweis auf die v.g. Aus-führungen aus sozialmedizinisch-fachchirurgischer Sicht kein Aspekt, der eine Empfeh-lung einer Leistungsgewährung von Seiten des Gutachters rechtfertigen könnte. Im vorliegenden Fall kann daher die Kostenübernahme für die beantragte Liposuktion zu Lasten der GKV weiterhin nicht empfohlen werden."
9Mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2014 lehnte der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin als zulässig, aber unbegründet zurück. Die aktuelle Rechtsprechung habe bestätigt, dass die Methode der Liposuktion eine noch nicht evidenzbasierte Therapieoption zur Behandlung eines Lipödems darstelle. So verträten verschiedene Landessozialgerichte (LSG) die Auffassung, dass eine stationäre Liposuktionsbehandlung nicht zum Leistungsspektrum der GKV gehöre, da sie nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspräche. Maßgeblich werde von den Gerichten das "Gutachten Liposuktion bei Lipödemen und Lymphödemen" der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 vom 6. Oktober 2011 zugrunde gelegt. Danach sei das Fazit der Gutachter, dass die Methode der Liposuktion zur Therapie eines Lipödems derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen sei und weitere randomisieerte Studien erforderlich seien, um die Lipsouktion zu einer den Kriterien der evidenzbasierten medizin entsprechenden Behandlungsmethode qualifizieren zu können. Zurzeit gebe es keine neueren kontrollierten Studien mit ausreichendem Aussagewert und einem Beleg für eine langfristigen Nutzen der Liposuktion (LSG Baden-Württemberg, Entscheidungen vom 27. April 2012, Az.: L 4 KR 595/11, vom 28. September 2012, Az.: L 4 KR 4054/11 und vom 12. Februar 2014, Az.: L 1 KR 229/10; LSG Nordrhein-Westfalen, Entscheidung vom 16. Januar 2014, Az.: L 16 KR 558/13). Auch die Einleitung des Beratungsverfahrens des Gemeinsamen Bundesausschusses seit dem 22. Mai 2014 zur operativen Behandlung des Lipödems mittels Liposuktion könne zu keiner anderen Entscheidung führen. Erst das Ergebnis der Prüfung dieser Behandlungsmethode und die abschließende Beratung entscheiden darüber, ob diese künftig zu Lasten der GKV angewendet werden dürfe. Dass ein Anspruch nicht bestehe, ergäben auch die in der Verwaltungsakte vorhandenen Lichtbilder.
10Gegen diesen Widerspruchsbescheid sowie den zugrundeliegenden Ausgangsbescheid richtet sich die vorliegende am 18. November 2014 erhobene Klage der Klägerin.
11Die Klägerin beantragt sinngemäß,
12den Bescheid der Beklagten vom 1. August 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie mit Liposuktion bzw. Lipoaspirationen zur Behandlung des Lipödems der Beine im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts zu versorgen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie wiederholt und vertieft die Argumentationen in den angefochtenen Bescheides.
16Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte so-wie auf den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe:
18Das Gericht kann im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch die Kammer entscheiden; § 124 Abs. 2 SGG.
19Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
20Das Gericht weist zur Begründung gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf die zutreffenden Gründe des Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses der Beklagten vom 13. November 2014 hin, denen das Gericht folgt.
21Hervorheben möchte das Gericht noch, dass nach der vorliegenden Rechtsprechung die ambulante Liposuktion unter allen Umständen eine nicht anerkannte neue Untersu-chungs- und Behandlungsmethode ist, für die auch kein Einheitlicher Bewertungsmaß-stab (EBM) vorliegt. Dementsprechend würde auch eine Privatrechnung erteilt.
22Ein Erfolg der Klage würde sich auch nicht einstellten, wenn die Liposuktion ambulant statt, stationär durchgeführt werden würde. Eine solche kann derzeit auf keine Weise auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden – vgl. hierzu die Entscheidungen erster, zweiter und dritter Instanz, nämlich: SG Aachen vom 13.07.2010 – S 13 KR 62/10 – SG Mainz vom 23.04.2012 – S 14 KR 143/11 – LSG NRW vom 22.01.2010 – L 5 KR 145/09 – LSG Berlin-Brandenburg vom 24.11.2009 – L 9 KR 29/08 – sowie LSG Thüringen vom 29.08.2012 – L 6 KR 49/12 B – und BSG vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R
23Dem entspricht auch die allerneuste Entscheidung des für Nordrhein-Westfalen zuständigen Landessozialgerichts Essen zur Liposuktion, Urteil vom 02.05.2013 – L 16 KR 291/12, und die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.04.2012 – L 4 KR 559/11 – sowie LSG Thüringen vom 29.08.2012 – L 6 KR 49/12 B – und Sächsi-sches LSG vom 16.01.2014 – L 1 KR 229/10 –. Dieser festen obergerichtlichen Recht-sprechung folgt das Gericht in ständiger Rechtsprechung, so auch hier. Die Klägerin ist auch auf die Vorschläge des MDK zu verweisen. Sollten der Klägerin Kompressionsstrümpfe oder Lymphdrainage helfen, gebieten letztlich die üblichen Schwierigkeiten beim An- und Ausziehen der Kompressi-onsstrümpfe und die Unannehmlichkeiten mit den Kompressionsstrümpfen sowie die Schwierigkeiten der beruflich tätigen Klägerin, Lymphdrainagetermine unterzubringen und auch die hierfür letztlich bei der Beklagten für beides anfallenden erheblichen Kosten, die streitige Kostenübernahme nicht.
24Schließlich besteht kein Anspruch der Klägerin auf Durchführung der begehrten Liposuk-tion aus dem Gesichtspunkt einer notstandsähnlichen Krankheitssituation. Die vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – aufgestell-ten und inzwischen in § 2 Abs. 1a SGB V kodifizierten Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor. Denn das Lipödem stellt weder eine lebensbedrohliche noch eine regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung dar.
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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Das Urteil enthält
- 1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren, - 2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, - 3.
den Ort und Tag der mündlichen Verhandlung, - 4.
die Urteilsformel, - 5.
die gedrängte Darstellung des Tatbestands, - 6.
die Entscheidungsgründe, - 7.
die Rechtsmittelbelehrung.
(2) Die Darstellung des Tatbestands kann durch eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zu Protokoll erfolgten Feststellungen ersetzt werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand richtig und vollständig ergibt. In jedem Fall sind jedoch die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben.
(3) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsaktes oder des Widerspruchsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(4) Wird das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet, so bedarf es des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe nicht, wenn Kläger, Beklagter und sonstige rechtsmittelberechtigte Beteiligte auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichten.
(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.
(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.
(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.
(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.
(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.
Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.