Sozialgericht Landshut Urteil, 09. Mai 2018 - S 1 BA 1/18
Gericht
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 21.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2017 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt festzustellen, dass der Kläger seine Tätigkeit in der Praxis des Beigeladenen als Physiotherapeut ab 01.01.2016 nicht im Rahmen einer abhängigen, dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ausübt, sondern selbständig tätig ist.
III. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand
* Es fänden keine Kontrollen durch den Beigeladenen statt; seine Tätigkeit richte sich einzig und allein nach der ärztlichen Verordnung.
* Er unterliege keiner Anwesenheitspflicht; er sei nicht in die Physiotherapiepraxis eingegliedert und organisiere seine Arbeitsabläufe selbständig.
* Er unterliege den in der Heilmittelverordnung der gesetzlichen Krankenkassen bestimmten Anforderungen, die nur in den Räumen entsprechend zugelassener Praxen erfüllt seien.
* Er behandle seine eigenen, nicht die ihm durch die Praxis des Beigeladenen vermittelten Patienten.
* Er behandle in den Räumlichkeiten des Beigeladenen die von ihm eigenständig terminierten Patienten.
* Seine Arbeitszeiten seien abhängig von der Nachfrage der Patienten; dienstags und donnerstags befinde er sich in der Praxis C., montags und freitags in einer Regensburger Physiotherapiepraxis.
* Es bestehe kein Urlaubsanspruch. Bei Krankheit habe er keine Vertretung und somit einen Umsatzverlust. Die Termine würden ggf. durch ihn abgesagt.
* Er trage seine eigene Arbeitskleidung.
* Die Erstterminierung erfolge durch ihn entweder in der Praxis vor Ort, am Telefon oder per Email, die Folgetermine würden dann in der Praxis von ihm in den eigenen Terminplaner eingetragen.
* Er benutze nur die Therapieliegen und die Räumlichkeiten, die restlichen Therapiemittel stammten von ihm.
* Die Abrechnung erfolge über die Praxis, mit der 70/30 - Regelung seien die Aufwendungen des Praxisinhabers abgegolten.
* Das Forderungsmanagement übernehme er selbst.
* Er sei im Besitz einer eigenen Berufshaftpflichtversicherung.
* Mangels eigener Betriebsstätte bestehe kein erhebliches unternehmerisches Risiko.
* Die Tätigkeit könne nur ausgeübt werden, sofern die Praxis einen entsprechenden Bedarf an Physiotherapeuten habe.
* Die Praxis könne jederzeit die Räume und/oder Arbeitsmittel anderweitig nutzen mit der Folge, dass der Kläger seine Tätigkeit dann nicht ausüben könne.
* Die Abrechnung der Patienten erfolge ausschließlich durch die Praxis, die Vergütung erfolge ebenfalls ausschließlich durch die Praxis.
* Hinsichtlich der Betreuung ausschließlich eigener Patienten seien keine Nachweise vorgelegt worden.
* Das Risiko, für seine Arbeit (beispielsweise bei Insolvenz des Arbeitgebers) kein Entgelt zu erhalten bzw. bei Patientenrückgang nicht weiter beschäftigt zu werden, stelle kein unternehmerisches Risiko im Sinne der Rechtsprechung dar.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2017 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, beim Kläger in Bezug auf das Vertragsverhältnis mit dem Beigeladenen über die Durchführung einer Tätigkeit als Physiotherapeut die Feststellung zu treffen, dass keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt.
die Klage abzuweisen.
Gründe
* Der Kläger behandelt seine eigenen Patienten, nicht die Patienten der Physiotherapiepraxis des Beigeladenen.
* Der Erstkontakt mit dem (zukünftigen) Patienten erfolgt in aller Regel unmittelbar zwischen diesem und dem Kläger, nicht durch Zuweisung durch die Praxis des Beigeladenen. Soweit gelegentlich eine Vermittlung durch den Beigeladenen erfolgt, weil ansonsten keine zeitnahe Behandlungsmöglichkeit besteht, ändert dies nichts an der ansonsten strikten Trennung der Patientenstämme.
* Der Kläger behandelt seine Patienten nicht nach den Vorgaben des Beigeladenen, sondern entsprechend den fachlichen Erfordernissen, den ärztlichen Diagnosen und Vorgaben sowie den Regeln der Heilmittelverordnung. Für evtl. Schäden durch eine Fehlbehandlung würde der Kläger persönlich haften.
* Der Kläger und die Praxis des Beigeladenen führen getrennte Terminkalender.
* Der Kläger hat, vertraglich zugesichert, feste Behandlungstage. Er ist insoweit nicht, wie die Beklagte meint, auf das Wohlwollen und freie Kapazitäten des Beigeladenen angewiesen.
* Der Kläger tritt selbst am Markt auf, akquiriert neue Patienten selbst und behandelt diese - für jedermann erkennbar - im eigenen Namen als selbständiger Physiotherapeut.
* Der Kläger hat keine festen Arbeitszeiten und besitzt - zur Abdeckung des Haftungsrisikos (= Unternehmerrisiko) - eine eigene Betriebshaftpflichtversicherung.
* Kläger und Beigeladener wollten kein Beschäftigungsverhältnis begründen und haben ihre vertraglichen Beziehungen auch dementsprechend ausgestaltet und durchgeführt.
moreResultsText
Annotations
(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
(1a) Eine Beschäftigung besteht auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn
- 1.
während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b fällig ist und - 2.
das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde.
(1b) Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers zur Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten gilt nicht als eine die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber begründende Tatsache im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes.
(2) Als Beschäftigung gilt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung.
(3) Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Eine Beschäftigung gilt auch als fortbestehend, wenn Arbeitsentgelt aus einem der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben bezogen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn Krankengeld, Krankentagegeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Pflegeunterstützungsgeld oder Mutterschaftsgeld oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Wehrdienst oder Zivildienst geleistet wird. Satz 1 gilt auch nicht für die Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes.
(4) Beschäftigt ein Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Absatz 1 des Dritten Buches erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4a Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit, wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt für den Zeitraum von drei Monaten bestanden hat.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.