Sozialgericht Aachen Urteil, 29. Juli 2014 - S 12 SB 894/13
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
3Der Beklagte stellte bei der Klägerin mit Bescheid vom 06.12.2011 aufgrund einer seelischen Behinderung mit Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, einer Funktionseinschränkung der Wirbelsäule, einer Funktionseinschränkung der Verdauungsorgane und einer Funktionsbeeinträchtigung der Atemorgane, einen GdB von 60 fest.
4Am 06.02.2013 stellte die Klägerin einen Änderungsantrag beim Beklagten und begehrte neben einem höheren GdB die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G und aG. Zur Begründung gab sie an, es seien in der Zwischenzeit viele weitere Erkrankungen bei ihr aufgetreten. Einzelheiten könne der Beklagte von den behandelnden Ärzten erfahren.
5Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht der Internistin Dr. H, des Orthopäden Dr. Q, der HNO-Ärztin Dr. M, der Neurologin und Psychiaterin Dr. J, des Schmerztherapeuten Dr. K sowie des Urologen Dr. O ein und werte diese zusammen mit Arztberichten des Städtischen Krankenhauses O GmbH, des Chirurgen Dr. U, des Krankenhauses E gGmbH, des Chirurgen Dr. O1, des Radiologen Dr. N, des Chirurgen Dr. G, der radiologischen und nuklearmedizinischen Gemeinschaftspraxis E1, des St.-Elisabeth Krankenhauses K, des St.-Marien Hospitals E2, der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde des Krankenhauses Maria-Hilf N, des Labormediziners Dr. S sowie des Internisten S1 durch seinen ärztlichen Dienst aus.
6Dieser kam zu der Einschätzung der GdB für die seelische Behinderung bei Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen sowie Fibromyalgiesyndrom sei mit 40, die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule ebenfalls mit 40, die Funktionsstörung der Verdauungsorgane mit 20, die Funktionsbeeinträchtigung der Atemorgane mit 10, die Funktionsstörung der oberen Gliedmaßen mit 10, die Hörminderung nebst Tinnitus mit 10 sowie die Blasenentleerungsstörung ebenfalls mit 10 zu bewerten. Die Klägerin vorliegende Schilddrüsenerkrankungen bedinge keinen GdB. Insgesamt sei der GdB weiterhin mit 60 zu bewerten. Das vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G oder aG sei nicht zu begründen.
7Mit Bescheid vom 03.05.2013 lehnte der Beklagte darauf hin die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G und aG ab.
8Hiergegen legte die Klägerin am 16.05.2013 Widerspruch mit der Begründung ein, sie leide unter orthopädischen Beeinträchtigungen, die sich nachteilig auf ihre Gehfähigkeit auswirken. Auch die bei ihr diagnostizierte Fibromyalgie wirke sich erheblich einschränkend auf die Gehfähigkeit aus. Nach erneuter Prüfung der Unterlagen kam der medizinische Dienst des Beklagten zu der Einschätzung, ein höherer Grad der Behinderung komme nicht in Betracht, ebenso wenig wie die Feststellung der Merkzeichen G oder aG.
9Im Juli 2013 wandte sich die Klägerin an den Beklagten und vertrat die Auffassung, dieser habe nicht ordnungsgemäß ermittelt bzw. die bei ihr vorliegenden Beeinträchtigungen nicht zutreffend gewürdigt.
10Mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2013 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
11Am 20.08.2013 hat die, anwaltlich vertretene, Klägerin Klage erhoben und beantragt den Grad der Behinderung mit 70 festzustellen. Die Klägerin hat im Rahmen des Klageverfahrens ein umfangreiches Konvolut medizinischer Unterlagen – teilweise in die 1990er Jahre zurückreichend – zu den Akten gereicht.
12Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der Frau Dr. H, des Herrn Dr. Q, der Frau Dr. M sowie der Frau Dr. I und darüber hinaus ein internistisch-rheumatologisch- psychosomatisches Gutachtern des Herrn L eingeholt, welches dieser unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 03.02.2014, gegenüber dem Gericht erstattet hat. Dem Gutachter haben hierbei die vollständige Gerichtsakte, die vollständige Verwaltungsakte sowie die Verfahrensakte S 15 P 101/02 vorgelegen.
13Die Klägerin hat beantragt,
14den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 03.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 08.08.2013 zu verurteilen, ihr einen GdB von 70 zu gewähren.
15Der Beklagte hat beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung wiederholt und vertieft er das Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und beruft sich überdies auf die Feststellungen seiner medizinischen Beraterin im Gerichtsverfahren sowie das Ergebnis des gerichtlichen Gutachtens.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte und die Verfahrensakte S 15 P 101/12, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG nicht beschwert, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Der Klägerin steht derzeit kein höherer GdB als 60 zu.
21Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
22Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht - BSG - Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
23Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
24Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
25Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 -B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
26Die Klägerin leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unter
27(1.) Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule (2.) Funktionsbeeinträchtigungen der oberen Extremitäten (3.) Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten (4) Funktionsbeeinträchtigung der Hörorgane (5.) Funktionsbeeinträchtigung der Atemorgane (6.) Funktionsbeeinträchtigungen der Verdauungsorgane (7.) Entleerungsstörung der Blase (8.) Seelischen Funktionsstörungen
28Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren vorgelegten und eingeholten Befund- und Arztberichte sowie dem Gutachten des Herrn Kohl fest.
29Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einem erfahrenen medizinischen Gutachter unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Beteiligten haben auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben. Soweit die Klägerin sinngemäß gegenüber dem Gericht erklärt hat, es seien die vorhandenen medizinischen Unterlagen nicht hinreichend berücksichtigt worden, bzw. es hätten noch weitere Ermittlungen durchgeführt werden müssen, ist diese Ansicht nach Auffassung der Kammer unzutreffend. Objektiv sind die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, es geht hierbei um diejenigen für den Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung, hinreichend ermittelt und zutreffend bewertet worden. Soweit die Klägerin - trotz der umfangreichen durchgeführten Ermittlungen und vorgelegten Berichte – subjektiv der Auffassung ist der Gutachter und das Gericht verkennten ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen, teilt die Kammer diese Ansicht unter Verweis auf die zahlreichen vorliegenden Unterlagen und das lege artis erstellte und schlüssige Gutachten des Herrn Kohl, der ebendiese Unterlagen ebenfalls berücksichtigt hat, nicht.
301. Für das Funktionssystem der Wirbelsäule sind zunächst die Auswirkungen des bei der Klägerin vorliegenden statisch degenerativen Wirbelsäulen-Syndroms zu berücksichtigen. Der behandelnde Orthopäde Dr. Q führte aus, dass die Klägerin seit 1996 über Schmerzen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule klagt und seit dieser Zeit immer wieder wegen rezidivierender Wirbelsäulenbeschwerden vorstellig wird. Er diagnostiziert eine rezidivierende Blockierung im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule bei degenerativen Veränderungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule. Daneben beschreibt er in seinem Befundbericht - worauf im Zusammenhang mit dem jeweilig betroffenen Funktionssystem noch einzugehen sein wird - ein Carpalunnelsyndrom beidseits, einen Zustand nach Arthroskopie der linken Schulter im Januar 2012 und arthroskopischer Rotatorenmanschetten-Rekonstruktion der linken Schulter im Mai 2012 (dazu unter 2.), eine sog. Fibromyalgie sowie eine schwere Belastungsstörung (dazu unter 8.). Im Rahmen der Untersuchung durch Herrn L erklärte die Klägerin, sie habe Nackenschmerzen und in der Halswirbelsäule würde es "krachen". Sie können nicht lange laufen. Wenn sie zuhause staubsauge habe sie Schmerzen in der Lendenwirbelsäule. Da müssen Sie sich immer wieder hinlegen. Wenn sie länger als 25 Minuten laufe, fange alles an. Sie habe auch Nervenstiche in den Beinen, nicht im Liegen, nur bei Belastung habe sie diese Rückenbeschwerden. Bei der Massage würde ihr erklärt, dass sie "alles verklebt" und "überall Blockaden" habe. Insgesamt sei eine zunehmende Verschlimmerung im Bereich der Halswirbelsäule zu verzeichnen. Hier sei "vor Ewigkeiten" ein Vorfall der Bandscheibe festgestellt worden. Sie habe überall Blockaden, da würde "alles festhängen". Sie sei auch unzählige Male eingerenkt worden, dabei habe sie auch einen Hirnschlag erlitten. Im Bereich der Lendenwirbelsäule habe sie seitlich in 2011 einen Wirbelbruch sowie einen Wirbelkantenbruch erlitten. Dies blockiere alles. Sie habe zudem ein Hohlkreuz. Sie hätte auch Nervenschmerzen. Ihre Beine seien untersucht worden, die Venen. Da sei aber nichts zu erkennen. Sie habe einen Gleitwirbel L4/L5, bezüglich dessen die Ärzte in Bardenberg erklärt hätten, dies sei ein "Phantomschmerz". Im Juni 2011 sie ein Steißbeinbruch gehabt, der letzte Knochen sei gebrochen.
31Im Rahmen der Untersuchung stellte der Gutachter L fest, dass die Klägerin einen weitgehend unauffälligen Gang und eine aufrechte Körperhaltung zeigte. Die Koordination war nicht gestört. Tonus und Trophik der Arme und Beine war regelgerecht. Im Bereich der Außenseite des linken Oberschenkels sowie des linken Unterschenkels fand sich ein hyposensibler Bereich. Die Wirbelsäule selbst zeigt eine etwas betonte Brustkyphose. Die Beweglichkeit im Bereich der Halswirbelsäule zeigte sich um ein Drittel eingeschränkt, wobei endgradig Beschwerden angegeben wurden. Die umgebende Muskulatur im Nacken Schulterbereich war druckdolent und verspannt. Auch im Bereich der Lendenwirbelsäule zeigt sich eine konzentrisch um ein Drittel eingeschränkte Beweglichkeit. Auch hier war die Muskulatur verspannt und druckschmerzhaft. Die Brustwirbelsäule war altersentsprechend ausreichend beweglich. Der ermittelte Finger-Boden-Abstand betrug 25 cm, das Maß nach Schober – welches ein Maß für die Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule darstellt - betrug 10/13 cm. Das Maß Kinn/Sternum (Brustbein), welches die Beweglichkeit der Halswirbelsäule nach vorne angibt, betrug 2/16 cm, das Maß Kinn/Acromion (Schulterblatt), welches die seitliche Beweglichkeit anzeigt, betrug beidseits 13 cm. Das Zeichen nach Flèche (Hinterhaupt–Wand–Abstand) betrug 0 cm. Das Zeichen nach Lasègue war beidseits negativ.
32Unter Berücksichtigung der ermittelten Bewegungsausmaße unter Zugrundelegung auch der zahlreich vorliegenden ärztlichen Befunde und Untersuchungsergebnissen sowie der Tatsache, dass mit Ausnahme eines hyposensiblen Bereichs an des Ober- und Unterschenkels, der auf eine Läsion der Wurzel im Bereich L5/S1 schließen lässt, neurologische Einschränkungen, insbesondere motorische Ausfälle, nicht gesichert werden konnten, ist bei der Klägerin vom Vorliegen mittelgradiger funktioneller Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten auszugehen. Gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinische Grundsätze ist hierfür ein GdB von 30 bis 40 vorgesehen. Die Kammer geht mit dem Gutachter davon aus, dass bei der Klägerin unter den gegebenen Umständen, weiterhin für den Bereich der Wirbelsäule ein GdB von 40 in Ansatz gebracht werden kann, wobei dieser – auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin geschilderten Schmerzproblematik – nur so gerade eben erreicht wird.
332. Für das Funktionssystem der oberen Extremitäten sind bei der Klägerin zunächst die Beeinträchtigungen beider Schultergelenke zu berücksichtigen. Im Jahr 2012 wurde - wie sich auch aus dem Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. Q ergibt - ein kompletter Rotatorenmanschettenschaden rechts im antero-lateralen Intervall sowie eine Instabilität der langen Bizepssehne festgestellt. Hier wurden eine Tenodese der langen Bizepssehne (Befestigung der Sehne am Knochen) sowie eine Rotatorenmanschetten-Rekonstruktion vorgenommen. Gegenüber Herrn L gab die Klägerin an, sie habe Beschwerden in den Armen und könne diese nicht mehr richtig bewegen. Sowohl ihre Schultern als auch ihre Finger würden schmerzen. Im Bereich der Schultern sei 2011 Kalk wegoperiert worden. Im Schultergelenk stünden "die Knochen aufeinander". Sie habe einen Bizepssehnenteilanriss rechts gehabt, linksseitig sei sie ganz gerissen. Hier sei sie auch operiert worden. Ebenfalls sein Operationen wegen eines beidseitigen Carpaltunnelsyndroms erforderlich gewesen.
34Im Rahmen der körperlichen Untersuchung beschrieb der Gutachter die oberen Extremitäten als inspektorisch unauffällig. Eine wesentliche Längendifferenz war nicht festzustellen. Die Umfänge im Bereich der Ober- und Unterarme waren seitengleich. Zeichen von wesentlicher Atrophie fanden sich nicht. Im Bereich der rechten und linken Schulter sowie des rechten linken Handgelenks fanden sich reizlose Narben nach Operation. Der Tonus und die Trophik der Arme waren regelgerecht. Die Muskeleigenreflexe zeigten allseits lebhafte seitengleiche Reaktion, pathologische Reflexe bestanden nicht. Die grobe Kraft war nicht wesentlich gemindert und seitengleich. Konkret im Bereich der Schultergelenke fand sich keine Deformierung, keine Schwellung keine Überwärmung. Die aktive und passive Beweglichkeit war altersentsprechend ausreichend und schmerzfrei möglich. Der Nacken- und Schürzengriff waren beidseits möglich. Aufgrund der eigenen erhobenen Untersuchungsbefunde, unter Berücksichtigung der auch insoweit vorliegenden zahlreichen Vorbefunde, kam der Gutachter zu der Einschätzung, dass bei der Klägerin in beiden Schultergelenken eine Periarthritis humeroscapularis vorliegt, dass aber die in diesem Bereich durchgeführten operativen Interventionen sehr erfolgreich gewesen waren. Bei einem insgesamt hypermobilen Gelenksstatus war die Beweglichkeit beider Schultergelenke bei der Untersuchung ausreichend und umfassten das volle Ausmaß. Gemäß Teil B Ziffer 18.13 sei daher für die Schultern ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen. Die Kammer schließt sich nach eigener Prüfung dieser Auffassung an. Daneben ist im Bereich der Hände eine initiale Polyarthrose der Fingergelenke, eine Ruptur der Beugesehne im V. Strahl sowie ein Zustand nach beidseitiger Carpaltunnel-Syndrom-Operation zu berücksichtigen. Bei der körperlichen Untersuchung zeigten sich im Bereich der Handgelenke keine Schwellung, keine Deformierung, keine Überwärmung. Die Handgelenke waren aktiv und passiv schmerzfrei altersentsprechend ausreichend beweglich. Im Bereich der Finger zeigten sich beginnende knotige Auftreibungen der Fingermittel- und Fingerendgelenke im Sinne einer beginnenden Fingergelenkspolyarthrose. Im Bereich des linken V.Strahls im Endglied war die Beugung wegen einer traumatisch bedingten Ruptur nicht möglich. Ansonsten waren sämtliche Fingergelenke aktiv und passiv altersentsprechend ausreichend schmerzfrei beweglich. Die Griffkraft war beidseits gleich und altersentsprechend unauffällig. Fingerspitzgriff und Faustschluss waren beidseits komplett. Gemäß Teil B Ziffer 18.13. der Versorgungsmedizinische Grundsätze ist mit dem Gutachter - unter Berücksichtigung der von der Klägerin geschilderten morgendlichen Steifigkeit - von einem GdB von höchstens 10 auszugehen. Unter Berücksichtigung dieser Beeinträchtigungen ist für Funktionssystem der oberen Gliedmaße insgesamt ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen.
353. Für das Funktionssystem der unteren Gliedmaße können die anamnestisch von der Klägerin angegebenen Beschwerden in den Knien berücksichtigt werden. Hier finden sich etwa in dem Arztbericht des Herrn S aus Dezember 2012 Hinweise auf ein Reiben im Bereich der Kniescheibe. Gegenüber Frau Dr. I gab die Klägerin 2013 an, sie leide unter Unruhe in beiden Beinen. Frau Dr. I diagnostizierte daraufhin ein sog. "Restless-legs-Syndrom", welches – nach dem Befundbericht der Frau Dr. M – mit Schlafstörungen einhergehe. Insgesamt werden von den behandelnden Ärzten nähere körperliche Beeinträchtigungen nicht beschrieben. Auch bei der Untersuchung durch Herrn L fanden sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen wesentlicher Beeinträchtigungen im Bereich der unteren Extremitäten. Die unteren Extremitäten waren inspektorisch unauffällig, die Umfänge im Bereich der Ober- und Unterschenkel seitengleich. Zeichen von wesentlicher Atrophie fanden sich nicht. Tonus und Trophik der Beine waren regelgerecht. Die Muskeleigenreflexe zeigten eine allseits lebhafte seitengleiche Reaktion. Pathologische Reflexe fanden sich nicht. Hacken- und Zehenstand waren beidseits gut ausführbar. Der Einbeinstand wurde beidseits sicher ausgeführt. Die Klägerin konnte unter Abstürzen in die tiefe Hocke gehen und sich hieraus wieder aufrichten. Die Kontrolle der Beweglichkeit der Hüftgelenke zeigte eine altersentsprechend aktiv und passiv ausreichend freie Beweglichkeit. Die Klägerin klagte über einen Druckschmerz am Trochanter major. Im Bereich der Hüftgelenke sowie der Kniegelenke fanden sich keine Schwellung, keine Deformierung und keine Überwärmung. Beide Kniegelenke waren altersentsprechend schmerzfrei aktiv und passiv ausreichend beweglich. Das Zohlen’sche Zeichen war beidseits negativ. Wesentliche Gelenkgeräusche waren nicht zu vernehmen. Die Bänder waren insgesamt stabil. Es fand sich lediglich eine Druckschmerzhaftigkeit am Kniegelenkinnenspalt. Die Sprunggelenke und Zehengelenke waren ebenfalls weitgehend unauffällig. Es zeigte sich lediglich ein mäßiger Senk-Spreiz-Fuß. Der Gang der Klägerin wurde vom Gutachter als weitgehend unauffällig beschrieben. Ein Tremor fand sich nicht.
36Da die Klägerin sich in der Vergangenheit immer wieder auch wegen Beeinträchtigungen im Bereich der unteren Extremitäten in ärztliche Behandlung begeben hat, ist nach Auffassung der Kammer, trotz der Tatsache, dass im Rahmen der Untersuchung wesentliche Beeinträchtigungen nicht feststellbar waren, für das Funktionssystem der unteren Extremitäten gemäß Teil B Ziffer 18.14 der versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen.
37Unter Berücksichtigung der sorgfältig erhobenen Feststellungen des Gutachters Kohl sowie der eingeholten sowie vorgelegten ärztlichen Unterlagen der behandelnden Orthopäden der Klägerin war die Einholung eines weiteren Gutachtens auf orthopädischem Gebiet von Amts wegen nicht geboten.
384. Für das Funktionssystem der Ohren ist bei der Klägerin entsprechend dem Befundbericht der HNO-Ärztin Dr. M zum einen der chronische Tinnitus sowie zum andere eine geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits im Hochtonbereich zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung des vorliegenden Ergebnisses der Audiometrie sowie des Eindrucks des Hörvermögens der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung ist hierfür insgesamt gemäß Teil B Ziffer 5.2 und 5.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen. Soweit das chronische Ohrgeräusch eine psychische Beeinträchtigung nach sich zieht, ist dies im Rahmen des Funktionssystems der Psyche (dazu unter 8.) entsprechend zu bewerten.
395. Für das Funktionssystem der Atmungsorgane ist bei der Klägerin eine bestehende allergische Neigung, die saisonal zu einer Hyperreagibilität führt und zum Teil auch Asthmaanfälle provoziert, zu berücksichtigen. Insoweit ist insbesondere auf die Feststellungen der HNO- Ärztin Dr. M zurückzugreifen, die bei der Klägerin eine hochgradig allergische Rhinopathie mit Beteiligung der Konjunktiva, ein Asthma bronchiale sowie eine Allergie auf Schimmelpilzsporen, Hausstaubmilben, Pollen und kreuzallergene Nahrungsmittel diagnostiziert hat. Im Rahmen einer durchgeführten Hyposensibilisierung haben sich nach Feststellungen der behandelnden HNO Ärztin die allergischen Beschwerden leicht verbessert. Die Klägerin hat eine Bedarfsmedikation mit einem Betasympathometicum und einem Cortisonspray. Im Rahmen der beim Gutachter L durchgeführten Lungenfunktionsprüfung zeigte sich bei der Klägerin insgesamt eine normale ventilatorische Funktion. Insgesamt ist nach Auffassung der Kammer - in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Gutachters – vor dem Hintergrund von Umfang und Dauer der Beeinträchtigungen insoweit gemäß Teil B Ziffer 8.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze der GdB mit 10 festzusetzen.
406. Für das Funktionssystem der Verdauungsorgane sind bei der Klägerin zum einen die Auswirkungen einer seit Jahren bekannten Divertikulose zu berücksichtigen, die in der Vergangenheit aufgrund einer seinerzeit vorhandenen Entzündung stationär behandelt werden musste. Darüber hinaus ist bei der Klägerin ein Gallensteinleiden bekannt, welches bislang indes bis jetzt zu keinen objektivierten Gallenblasenkoliken geführt hat. Daneben sind bei der Klägerin auch Beschwerden aufgrund mehrfacher Verwachsungslösungen (Briden) beschrieben sowie das Bestehen einer Refluxsymptomatik, aufgrund derer die Klägerin regelmäßig ein Medikament einnimmt. Im Rahmen der Untersuchung zeigte sich ein weicher, nicht druckschmerzhafter Bauchraum ohne Abwehrspannung und einer regen Peristaltik. Unter Berücksichtigung von Teil B Ziffer 10.1 und 10.2.2 ist bei der Klägerin in der Gesamtbetrachtung ein GdB von 20 angemessen.
417. Die Klägerin gibt an, unter einer Blasenentleerungsstörung zu leiden, welches nur durch eine entsprechende Medikation zu behandeln sei. Sie erhält den Wirkstoff Oxybutynin. Besondere Nebenwirkungen der Medikation sind nicht objektiviert. Die Funktionsstörung selbst wird hierdurch nach Angabe der Klägerin indes völlig behoben. Gemäß Teil B Ziffer 12.2.2 der Versorgungsmedizinische Grundsätze ist mit dem Gutachter Kohl davon auszugehen, dass ein GdB von 10 für das Funktionssystem der Harnorgane schon wohlwollend ist.
428. Schließlich leidet die Klägerin unter Beeinträchtigungen der Psyche. Die sie behandelnde Neurologin und Psychiaterin Dr. I diagnostiziert in ihrem Befundbericht der Klägerin eine leichtgradige, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie eine kombinierte und sonstige Persönlichkeitsstörung. Eine entsprechende Diagnose stellt auch der Gutachter L, wobei dieser eine wesentliche depressive Symptomatik bei der Klägerin im Zeitpunkt der Begutachtung nicht feststellen konnte. Hinsichtlich der Depression ist freilich zu berücksichtigen, dass die Klägerin in der Vergangenheit – dies zeigen die vorliegenden Arzt und Befundberichte – teilweise auch unter stärkeren depressiven Episoden litt. So befand sie sich etwa 2009 mit einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome in stationärer Behandlung der Rheinischen Kliniken E.
43Soweit in der Vergangenheit bei der Klägerin die Diagnose einer Fibromyalgie gestellt wurde, geht diese in der Feststellung der chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren auf. Die Diagnose eines "Fibromyalgie- Syndrom" wird – ausgehend von den 1990 veröffentlichten – und 2010 modifizierten - Kriterien der American College of Rheumatology (ACR) - dann gestellt, wenn die Betroffenen über einen Zeitraum von mindestens drei (teilweise sechs) Monaten ausgedehnte chronische Schmerzen an Muskeln und Sehnen in bestimmten Regionen oder Punkten (ursprünglich war die Schmerzhaftigkeit 11 von 18 typischer sog. "Tender points" gefordert), insbesondere im Bereich der Schultern und des Beckens aber auch des übrigen Bewegungsapparat, klagen, ohne dass andere Ursachen oder Erkrankungen, die diese erklären könnten, beispielweise entsprechende Entzündungszeichen, zu finden wären (vgl. dazu etwa Jaggi, Burnout-praxisnah, 2008, S. 12; Häuser, in: Baron et al. [Hrsg.], Praktische Schmerzmedizin, 2013, S. 423 ff.; kritisch zu den – von ihm seinerzeit mit aufgestellten Kriterien der ACR, Wolfe, Stop using the American College of Rheumatology criteria in the clinic, JRheumatol 2003, S. 1671-1672, abrufbar unter http://www.jrheum.org/content/30/8/1671.full.pdf). Die Betroffenen klagen häufig zudem über eine Vielzahl funktioneller, vegetativer und psychischer Beschwerden, wie schnelle Ermüdbarkeit, Abnahme der Muskelkraft, Kälteempfindlichkeit, Spannungsgefühl im Bereich der Gelenke, Atem- und Herzbeschwerden, Schwindel oder Schlafstörungen (vgl. Heisel/Jerosch, Schmerztherapie der Haltungs- und Bewegungsorgane, S. 346). Ätiologie und Pathogenese der Erkrankung sind derzeit unbekannt. Während teilweise von einem somatischen Hintergrund ausgegangen wird - nach ICD 10 wird die Fibromyalgie als sonstige Erkrankung des Weichteilgewebes unter M 79.7 verschlüsselt - handelt es sich derzeit wohl herrschender Lehrmeinung um ein psychisch bedingtes, somatoformes Schmerzsyndrom (Schreiber, in: Köhler, Fibromyalgie – Ursachen und Therapie einer chronischen Schmerzerkrankung, S. 9; Wolfe, et. al, Symptoms, the Nature of Fibromyalgia, and Diagnostic and Statistical Manual 5 (DSM-5) Defined Mental Illness in Patients with Rheumatoid Arthritis and Fibromyalgia, abrufbar unter: http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0088740; vgl. auch Dohrenbusch, Begutachtung somatoformer Störungen und chronifizierter Schmerzen, 2007, S. 348, wonach "Fibromyalgie" ein "rheumatologische Klassifikationsansatz" für Patienten mit chronischen, nicht weiter erklärbaren Schmerzen bei erhöhter Schmerzempfindlichkeit, ist). Auch der gerichtlich bestellte Gutachter versteht die diagnostizierte Fibromyalgie als chronische Schmerzerkrankung. Nach Auffassung der Kammer sind die Auswirkungen der Fibromyalgie entsprechend den Vorgaben für somatoforme Schmerzstörungen gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu bewerten (so schon Sozialgericht – SG – Aachen, Urteil vom 29.04.2014 – S 12 SB 1155/13 = juris). Vor diesem Hintergrund trifft die Annahme der Klägerin, der Gutachter habe die Fibromyalgie "im Endeffekt als Erkrankung nicht anerkannt" nicht zu. Er hat sich nach Auffassung der Kammer lediglich in den richtigen Kontext gestellt.
44Unabhängig von den medizinischen Fragestellungen der Einordnung der Fibromyalgie ist im Rahmen des Schwerbehindertenrechts im Übrigen die konkrete Klassifizierung letztlich unerheblich. Es geht nicht um die Diagnosen, sondern um die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Bei der Klägerin sind dies die bereits oben beschriebenen körperlichen Beschwerden, sowie – ebenfalls im wesentlichen Umfang – die psychischen Beeinträchtigungen.
45Im Rahmen der Begutachtung durch Herrn L, sowie auch während der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht, wurde bei der Schilderung der bei der Klägerin vorliegenden Symptomatik deutlich, dass sie sehr stark auf körperliche Beschwerden fokussiert ist. Herr L führt aus dass bei dieser Schilderung die körperlichen Beschwerden im Rahmen einer Schmerzverarbeitungsstörung mit affektiver Attributtierung und dysfunktionaler Konnotation vorgetragen werden. Von der Stimmung her wirkte sie bei der Begutachtung etwas verzagt sowie verärgert und zeigte sich sehr darauf bedacht, ihre Vorstellungen durchzusetzen, wobei es ihr offensichtlich schwer fiel, mit all den für sie wohl zum Teil unbekannten Formulierungen und Beschreibungen von Krankheiten, eine gewisse Ordnung in das System ihrer Krankheiten, Befindlichkeitsstörungen und Einschränkungen zu finden. Hierbei erschien es dem Gutachter, dass sie sich sehr benachteiligt, ungerecht behandelt und nicht verstanden fühlt. Einen entsprechenden Eindruck vermittelte die Klägerin nach Auffassung der Kammer auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Anamnestischen gab die Klägerin an, dass sie in ärmlichen Verhältnissen mit sechs Geschwistern groß geworden sei. Die Kindheit sei aber sehr schön gewesen. Ihre seelischen –und auch teilweise körperlichen – Beeinträchtigungen führt die Klägerin auf ihre Ehe von 1982 bis 1994 zurück, die von Alkohol, Lieblosigkeit und Entwertung ihr gegenüber geprägt gewesen sei. Aus dieser Ehe habe sie sich aber befreien können. Hinsichtlich ihres sozialen Aktivitätsniveaus führte die Klägerin gegenüber dem Gutachter aus, dass sie allein mit ihrem Hund in einer Wohnung lebe. Sie würde häufig ihre Zeit "totschlagen", würde gern wieder mehr machen, aber es gehe weder Reiten noch Tanzen und vieles andere auch nicht. Sie führe ihren Haushalt alleine und besuche mal Ihre Brüder und Schwestern, die alle in der Nähe wohnen. Hierzu benutzte sie auch das Auto. Auch zu Untersuchung kam die Klägerin mit dem Auto. Sie fahre allerdings nicht gerne im Dunkeln. Sie habe einen Freundeskreis und würde kein zurückgezogenes Leben führen. Sie sei sehr gesellig. Wenn im Dorf ein Fest sei, gehe sie – auch mit Freunden - hin. Sie gehe einmal in der Woche eine Stunde zum Funktionstraining und ein Stunde zum Reha-Sport. Zu ihrem Sohn habe sie einen sehr guten Kontakt. Sie fahre auch - wenngleich nicht regelmäßig - in Urlaub. Dieses Jahr sei sie für drei Wochen - von Freunden eingeladen - in Spanien. Aufgrund des vorhandenen Tinnitus gibt die Klägerin an, dass er sie am Einschlafen hindert. Insgesamt leidet die Klägerin unter Schlafstörungen, wie auch von der HNO-Ärztin Dr. M beschrieben wird.
46Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen kann bei der Klägerin – insbesondere durch die Tatsache, dass ein Großteil ihres Denkens und Handelns durch die Fokussierung auf ihren Gesundheitszustand bestimmt ist - durchaus schon von wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ausgegangen werden, so dass gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Bewertungsspielraum von 30 bis 40 eröffnet ist. Betrachtet man das von der Klägerin geschilderte – und oben dargelegte – Sozial- und Aktivitätsniveau so steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass mit dem Gutachter die Bewertung mit einem GdB von gerade eben 40 der Klägerin gerecht wird. Das Vorliegen von dauerhaften schweren Störungen, mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, ist bei der Klägerin bislang nicht objektiviert, so dass ein GdB von 50 für den Bereich der Psyche keinesfalls in Betracht kommt.
47Weitere bei der Klägerin vorliegende gesundheitliche Beeinträchtigungen bedingen keinen GdB.
48Vor diesem Hintergrund ist bei der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein weiterhin ein Gesamt-GdB von 60 zu bilden.
49§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
50Im vorliegenden Fall sind zum einen die Beeinträchtigungen der Psyche sowie der der Wirbelsäule, die beide einen GdB von soeben 40 bedingen, zu berücksichtigen. Die hier bestehenden Beeinträchtigungen haben erhebliche Überschneidungen, wurde doch schon der GdB von 40 für die Wirbelsäule nur deshalb in Vorschlag gebracht, weil sich auch dort bereits die Schmerzstörung, sowie das "Fokussiert-sein" der Klägerin auf ihren Gesundheitszustand, berücksichtigt wurde. Auch hinsichtlich der übrigen Beeinträchtigungen bestehen insoweit erhebliche Überschneidungen mit den Beeinträchtigungen der Psyche. Hier ist es nach Auffassung der Kammer gerechtfertigt, den GdB insgesamt mit 60 zu bewerten. Die Feststellung eines höheren GdB, etwa der von der Klägerin begehrte GdB von 70, kommt nach Auffassung der Kammer – die sich insofern auch durch die Einschätzung des erfahrenen Gutachters Kohl bestätigt, sieht, nicht in Betracht.
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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.
(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn
- 1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann, - 2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder - 3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.
(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.
(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.
(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.
(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen
- 1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert, - 2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem
- 1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird, - 2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres, - 3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und - 4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.
(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.
(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.
(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.
(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.
(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:
- a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist, - b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist, - c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte, - d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden, - e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.
(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.
(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.
(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.
(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch
- a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung, - b)
eine Kriegsgefangenschaft, - c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit, - d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist, - e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen, - f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.
(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.
(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.
(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.
(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.
(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn
- 1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann, - 2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder - 3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.
(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.
(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.
(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.
(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen
- 1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert, - 2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem
- 1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird, - 2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres, - 3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und - 4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.
(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.
(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.
(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.
(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.
(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:
- a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist, - b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist, - c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte, - d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden, - e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.
(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.
(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.
(1) Solange Beschädigte infolge der Schädigung hilflos sind, wird eine Pflegezulage von 376 Euro (Stufe I) monatlich gezahlt. Hilflos im Sinne des Satzes 1 sind Beschädigte, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 2 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muß, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Ist die Gesundheitsstörung so schwer, daß sie dauerndes Krankenlager oder dauernd außergewöhnliche Pflege erfordert, so ist die Pflegezulage je nach Lage des Falles unter Berücksichtigung des Umfangs der notwendigen Pflege auf 642, 916, 1 174, 1 524 oder 1 876 Euro (Stufen II, III, IV, V und VI) zu erhöhen. Für die Ermittlung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage sind die in der Verordnung zu § 30 Abs. 17 aufgestellten Grundsätze maßgebend. Blinde erhalten mindestens die Pflegezulage nach Stufe III. Hirnbeschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 erhalten eine Pflegezulage mindestens nach Stufe I.
(2) Wird fremde Hilfe im Sinne des Absatzes 1 von Dritten aufgrund eines Arbeitsvertrages geleistet und übersteigen die dafür aufzuwendenden angemessenen Kosten den Betrag der pauschalen Pflegezulage nach Absatz 1, wird die Pflegezulage um den übersteigenden Betrag erhöht. Leben Beschädigte mit ihren Ehegatten, Lebenspartnern oder einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft, ist die Pflegezulage so zu erhöhen, dass sie nur ein Viertel der von ihnen aufzuwendenden angemessenen Kosten aus der pauschalen Pflegezulage zu zahlen haben und ihnen mindestens die Hälfte der pauschalen Pflegezulage verbleibt. In Ausnahmefällen kann der verbleibende Anteil bis zum vollen Betrag der pauschalen Pflegezulage erhöht werden, wenn Ehegatten, Lebenspartner oder ein Elternteil von Pflegezulageempfängern mindestens der Stufe V neben den Dritten in außergewöhnlichem Umfang zusätzliche Hilfe leisten. Entstehen vorübergehend Kosten für fremde Hilfe, insbesondere infolge Krankheit der Pflegeperson, ist die Pflegezulage für jeweils höchstens sechs Wochen über Satz 2 hinaus so zu erhöhen, dass den Beschädigten die pauschale Pflegezulage in derselben Höhe wie vor der vorübergehenden Entstehung der Kosten verbleibt. Die Sätze 2 und 3 gelten nicht, wenn der Ehegatte, Lebenspartner oder Elternteil nicht nur vorübergehend keine Pflegeleistungen erbringt; § 40a Abs. 3 Satz 3 gilt.
(3) Während einer stationären Behandlung wird die Pflegezulage nach den Absätzen 1 und 2 Empfängern von Pflegezulage nach den Stufen I und II bis zum Ende des ersten, den übrigen Empfängern von Pflegezulage bis zum Ablauf des zwölften auf die Aufnahme folgenden Kalendermonats weitergezahlt.
(4) Über den in Absatz 3 bestimmten Zeitpunkt hinaus wird die Pflegezulage während einer stationären Behandlung bis zum Ende des Kalendermonats vor der Entlassung nur weitergezahlt, soweit dies in den folgenden Sätzen bestimmt ist. Beschädigte erhalten ein Viertel der pauschalen Pflegezulage nach Absatz 1, wenn der Ehegatte, Lebenspartner oder der Elternteil bis zum Beginn der stationären Behandlung zumindest einen Teil der Pflege wahrgenommen hat. Daneben wird die Pflegezulage in Höhe der Kosten weitergezahlt, die aufgrund eines Pflegevertrages entstehen, es sei denn, die Kosten hätten durch ein den Beschädigten bei Abwägung aller Umstände zuzumutendes Verhalten, insbesondere durch Kündigung des Pflegevertrages, vermieden werden können. Empfänger einer Pflegezulage mindestens nach Stufe III erhalten, soweit eine stärkere Beteiligung der schon bis zum Beginn der stationären Behandlung unentgeltlich tätigen Pflegeperson medizinisch erforderlich ist, abweichend von Satz 2 ausnahmsweise Pflegezulage bis zur vollen Höhe nach Absatz 1, in Fällen des Satzes 3 jedoch nicht über den nach Absatz 2 Satz 2 aus der pauschalen Pflegezulage verbleibenden Betrag hinaus.
(5) Tritt Hilflosigkeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 gleichzeitig mit der Notwendigkeit stationärer Behandlung oder während einer stationären Behandlung ein, besteht für die Zeit vor dem Kalendermonat der Entlassung kein Anspruch auf Pflegezulage. Für diese Zeit wird eine Pflegebeihilfe gezahlt, soweit dies in den folgenden Sätzen bestimmt ist. Beschädigte, die mit ihren Ehegatten, Lebenspartnern oder einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft leben, erhalten eine Pflegebeihilfe in Höhe eines Viertels der pauschalen Pflegezulage nach Stufe I. Soweit eine stärkere Beteiligung der Ehegatten, Lebenspartner oder eines Elternteils oder die Beteiligung einer Person, die den Beschädigten nahesteht, an der Pflege medizinisch erforderlich ist, kann in begründeten Ausnahmefällen eine Pflegebeihilfe bis zur Höhe der pauschalen Pflegezulage nach Stufe I gezahlt werden.
(6) Für Beschädigte, die infolge der Schädigung dauernder Pflege im Sinne des Absatzes 1 bedürfen, werden, wenn geeignete Pflege sonst nicht sichergestellt werden kann, die Kosten der nicht nur vorübergehenden Heimpflege, soweit sie Unterkunft, Verpflegung und Betreuung einschließlich notwendiger Pflege umfassen, unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge übernommen. Jedoch ist den Beschädigten von ihren Versorgungsbezügen zur Bestreitung der sonstigen Bedürfnisse ein Betrag in Höhe der Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 und den Angehörigen ein Betrag mindestens in Höhe der Hinterbliebenenbezüge zu belassen, die ihnen zustehen würden, wenn Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben wären. Bei der Berechnung der Bezüge der Angehörigen ist auch das Einkommen der Beschädigten zu berücksichtigen, soweit es nicht ausnahmsweise für andere Zwecke, insbesondere die Erfüllung anderer Unterhaltspflichten, einzusetzen ist.
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.