Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 12. Sept. 2016 - 1 OLG 1 Ss 36/16
Gericht
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 10. Februar 2016 wird mit der Maßgabe kostenfällig als unbegründet verworfen, dass der Ausspruch über die Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe entfällt.
Gründe
I.
- 1
Das Amtsgericht Pirmasens hat den Angeklagten wegen Erschleichens von Leistungen in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen, soweit es um den Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – Verkauf von mindestens 711 Gramm Amphetamin im April 2013 an den Zeugen … – ging. Die hiergegen gerichtete und im weiteren Verlauf auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat dieser noch vor der Berufungshauptverhandlung zurückgenommen. Auf die gegen den freisprechenden Teil des amtsgerichtlichen Urteils gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung der der Verurteilung des Amtsgerichts zugrundeliegenden Einzelstrafen nach Auflösung der dort erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt.
II.
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Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten ist unbegründet.
- 3
1. Der Tenor des angefochtenen Urteils war zu berichtigen, da es der Auflösung der im amtsgerichtlichen Urteil erkannten Gesamtfreiheitsstrafe nicht bedurfte; sie war vielmehr noch Gegenstand des berufungsgerichtlichen Verfahrens. Nach Rücknahme der Berufung durch den Angeklagten und wirksam beschränkter Berufung der Staatsanwaltschaft auf den freisprechenden Teil des Urteils wurden lediglich die Einzelstrafen des verurteilenden Teils, nicht jedoch die Gesamtstrafe, rechtskräftig. Denn das Ziel des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft war auch, dass die Gesamtfreiheitsstrafe überprüft und erhöht wird (vgl. für den umgekehrten Fall OLG Oldenburg, Beschluss vom 31. Januar 1995 – 1 Ws 14/95, juris, Rn. 5).
- 4
2. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.
- 5
3. Einzig der Erörterung bedarf die erhobene Verfahrensrüge. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
- 6
In der Hauptverhandlung vom 10. Februar 2016 wurde der Zeuge KHK … als Ermittlungsperson aus dem Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen … hinsichtlich der Vernehmung einer Vertrauensperson vernommen. Im Rahmen der Vernehmung verlas die Vorsitzende das Vernehmungsprotokoll des Zeugen KHK … vom 4. Juli 2013 auszugsweise. Einen Beschluss im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO fasste die Kammer nicht. Auch erklärten die Verfahrensbeteiligten nicht ihr Einverständnis mit der Verlesung. Im Folgenden wurde der Zeuge unvereidigt entlassen.
- 7
Die hiergegen zulässig erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Der Beschwerdeführer rügt die Verlesung einer Vernehmungsniederschrift ohne vorherigen Gerichtsbeschluss im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 1 StPO; ein solcher war jedoch nicht erforderlich. Die Verlesung war, ergänzend zur Vernehmung des Zeugen KHK … – als Vernehmungsbeamten –, bereits nach den §§ 249, 250 StPO zulässig. Eines Rückgriffs auf § 251 StPO bedurfte es daher nicht.
- 8
§ 250 StPO verbietet nicht die vernehmungsergänzende Verlesung einer Vernehmungsniederschrift im Rahmen der Vernehmung des Vernehmungsbeamten (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 4 StR 493/11, juris; LR-Sander/Cirener, § 250, Rn. 17). § 253 StPO ist bei der Vernehmung eines Vernehmungsbeamten nicht anwendbar (BGH, Urteil vom 11. November 1953 – 1 StR 465/52, NJW 1953, 115) und regelt nicht abschließend, wann Vernehmungsprotokolle verlesen werden dürfen (BGH, Beschluss vom 27. März 1990 – 1 StR 67/90, juris, Rn. 3; KK-Diemer, 7. Aufl., § 250, Rn. 2 m.w.N.; a.A. wohl BGH, Beschluss vom 19. März 2013 – 3 StR 26/13, juris, Rn. 2; vgl. zusammenfassend Mosbacher, NStZ 2014, 1 <4 ff.>). Ein Vernehmungsprotokoll wird von dem Vernehmungsbeamten gerade für das Verfahren als Berichtsurkunde gefertigt (BGHSt 1, 4 <8>). Der aus § 250 S. 2 StPO folgende Gedanke der bestmöglichen Sachaufklärung kann es erfordern, von dem Vernehmungsprotokoll als Beweismittel Gebrauch zu machen (Mosbacher, NStZ 2014, 1<5>; BGH, Beschluss vom 29. August 2001 – 2 StR 266/01, juris, Rn. 10). Ob dies auch für Fälle gänzlich fehlender Erinnerung der Auskunftsperson bzw. des Vernehmungsbeamten gilt (dafür Mosbacher, NStZ 2014, 1 <5 f.>; dagegen BGH, Beschluss vom 19. März 2013 – 3 StR 26/13, juris, Rn. 2), kann vorliegend dahinstehen; denn der Beschwerdeführer trägt vor, der Zeuge KHK … als Vernehmungsbeamter habe zum Umfang des Drogenhandels des Zeugen … bekundet. Die §§ 253, 254 StPO regeln die Zulässigkeit vernehmungsergänzender Verlesungen nicht abschließend, sondern nur die Fälle echter Ersetzung der Vernehmung der Auskunfts- oder der Vernehmungsperson (LR-Mosbacher, 26. Aufl., § 253, Rn. 1; Kölbel, NStZ 2005, 220 <221>). Wird jedoch, wie hier, eine Vernehmungsperson zu ihren Wahrnehmungen bei einer früheren Vernehmung vernommen, ist bereits der Anwendungsbereich der §§ 253, 254 StPO nicht eröffnet (BGHSt 1, 337<339 f.>).
- 9
Einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO) rügt der Beschwerdeführer nicht.
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Annotations
(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,
- 1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind; - 2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen; - 3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann; - 4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.
(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn
- 1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen; - 2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann; - 3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.
(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.
(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.
(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.
(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.
Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.
(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,
- 1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind; - 2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen; - 3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann; - 4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.
(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn
- 1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen; - 2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann; - 3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.
(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.
(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.
Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.
(1) Erklärt ein Zeuge oder Sachverständiger, daß er sich einer Tatsache nicht mehr erinnere, so kann der hierauf bezügliche Teil des Protokolls über seine frühere Vernehmung zur Unterstützung seines Gedächtnisses verlesen werden.
(2) Dasselbe kann geschehen, wenn ein in der Vernehmung hervortretender Widerspruch mit der früheren Aussage nicht auf andere Weise ohne Unterbrechung der Hauptverhandlung festgestellt oder behoben werden kann.
Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.
(1) Erklärt ein Zeuge oder Sachverständiger, daß er sich einer Tatsache nicht mehr erinnere, so kann der hierauf bezügliche Teil des Protokolls über seine frühere Vernehmung zur Unterstützung seines Gedächtnisses verlesen werden.
(2) Dasselbe kann geschehen, wenn ein in der Vernehmung hervortretender Widerspruch mit der früheren Aussage nicht auf andere Weise ohne Unterbrechung der Hauptverhandlung festgestellt oder behoben werden kann.
(1) Erklärungen des Angeklagten, die in einem richterlichen Protokoll oder in einer Bild-Ton-Aufzeichnung einer Vernehmung enthalten sind, können zum Zweck der Beweisaufnahme über ein Geständnis verlesen beziehungsweise vorgeführt werden.
(2) Dasselbe kann geschehen, wenn ein in der Vernehmung hervortretender Widerspruch mit der früheren Aussage nicht auf andere Weise ohne Unterbrechung der Hauptverhandlung festgestellt oder behoben werden kann.
(1) Erklärt ein Zeuge oder Sachverständiger, daß er sich einer Tatsache nicht mehr erinnere, so kann der hierauf bezügliche Teil des Protokolls über seine frühere Vernehmung zur Unterstützung seines Gedächtnisses verlesen werden.
(2) Dasselbe kann geschehen, wenn ein in der Vernehmung hervortretender Widerspruch mit der früheren Aussage nicht auf andere Weise ohne Unterbrechung der Hauptverhandlung festgestellt oder behoben werden kann.
(1) Erklärungen des Angeklagten, die in einem richterlichen Protokoll oder in einer Bild-Ton-Aufzeichnung einer Vernehmung enthalten sind, können zum Zweck der Beweisaufnahme über ein Geständnis verlesen beziehungsweise vorgeführt werden.
(2) Dasselbe kann geschehen, wenn ein in der Vernehmung hervortretender Widerspruch mit der früheren Aussage nicht auf andere Weise ohne Unterbrechung der Hauptverhandlung festgestellt oder behoben werden kann.
Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.