Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 06. Mai 2013 - 4 L 210/12
Gericht
Gründe
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Der statthafte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die vom Kläger allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nicht.
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Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist immer schon dann erfüllt, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Schlüssige Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn mit dem Zulassungsantrag substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (so BVerfG, Beschl. v. 20. Dezember 2010 - 1 BvR 2011/10 -, zit. nach JURIS).
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die erstinstanzliche Entscheidung jedenfalls im Ergebnis offensichtlich richtig ist (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 10. März 2004 - 7 AV 4/03 -; VGH Bayern, Beschl. v. 16. Mai 2011 - 1 ZB 10.205 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5. August 2009 - 1 A 656/08 -, jeweils zit. nach JURIS).
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Die gegen den beklagten Gemeinderat gerichtete Klage ist darauf gerichtet festzustellen, dass der Beklagte über einen Vertagungsantrag des Klägers nicht mit einem seiner - nach Ansicht des Klägers einem Hinderungsgrund nach § 40 Abs. 1 GO LSA unterliegenden - Mitglieder habe beschließen dürfen. Der Kläger hatte auf die Einladung zu einer am 2. Dezember 2010 stattfindenden Sitzung des Beklagten mit einem unter anderem an den Vorsitzenden des Beklagten gerichteten Schreiben vom 27. November 2010 die Vertagung mehrerer Tagesordnungspunkte beantragt. Nach dem Protokoll der Sitzung, an der der Kläger nicht teilgenommen hat, hat der Beklagte unter Mitwirkung des betroffenen Mitgliedes den Antrag einstimmig abgelehnt.
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Jedenfalls im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die Feststellungsklage unzulässig ist. Der Kläger ist nicht klagebefugt.
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Es kann dahinstehen, ob Gemeinderatsmitgliedern hinsichtlich der Mitwirkung angeblich einem Hinderungsgrund nach § 40 Abs. 1 GO LSA unterliegender anderer Gemeinderatsmitglieder bei einer Beschlussfassung des Gemeinderates überhaupt ein wehrfähiges subjektives Organrecht zustehen kann oder ob ein solches Recht - wie bei dem Ausschluss wegen Befangenheit (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 2. Mai 2006 - 15 A 817/04 - m. w. N.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 29. August 1984 - 7 A 19/84 - jeweils zit. nach JURIS; Quecke u. a., SächsGO, § 20 Rdnr. 103, § 27 Rdnr. 83; vgl. aber auch OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 6. November 2006 - 2 LB 23/06 -, zit. nach JURIS; Quecke u. a., a. a. O. § 20 Rdnr. 103 Fn. 206 bei Beschlüssen zur Geschäftsordnung) - grundsätzlich nicht besteht (vgl. Blum u. a., NKomVG § 54 Rdnr. 29 m. w. N.).
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Der Kläger kann sich jedenfalls nicht mit Erfolg darauf berufen, durch die Mitwirkung des anderen Gemeinderatsmitgliedes in seinem Mitgliedschaftsrecht - hier dem durch den Vertagungsantrag zu sichernden Teilnahmerecht - verletzt worden zu sein. Unabhängig davon, ob der Antrag des Klägers in dem Schreiben vom 27. November 2010 nicht schon lediglich als an den Gemeinderatsvorsitzenden gerichteter Antrag auf Absetzung mehrerer Punkte von der Tagesordnung auszulegen ist, ist jedenfalls ein an den Gemeinderat gerichteter Antrag auf Vertagung von Tagesordnungspunkten erst nach Eröffnung der öffentlichen Sitzung des Gemeinderates zulässig. Das Recht der Mitglieder nach § 42 Abs. 3 Satz 1 GO LSA, im Gemeinderat Anträge zu stellen, ist zumindest bei Vertagungsanträgen von vornherein eingeschränkt (vgl. auch Wiegand, Kommunalverfassungsrecht, GO LSA, § 42 Nr. 4). Denn die Vertagung eines Tagesordnungspunktes setzt begrifflich voraus, dass der Gemeinderat in die Tagesordnung einer Sitzung eingetreten ist. Ein im Voraus gestellter schriftlicher Antrag geht danach ins Leere, falls der Antragsteller, der ohnehin gem. § 52 Abs. 1 GO LSA einer Teilnahmeverpflichtung unterliegt, nicht während der Sitzung anwesend ist. Auch wenn der dennoch gefasste Beschluss des Beklagten zur Ablehnung einer Vertagung möglicherweise auf Grund der Mitwirkung eines einem Hinderungsgrund unterfallenden Mitgliedes unwirksam gewesen sein sollte (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 GO LSA in entsprechender Anwendung), kann dadurch also ein Mitgliedschaftsrecht des Klägers nicht verletzt worden sein. Die Beschlussfassung durch den Beklagten erfolgte nicht auf einen (Vertagungs)Antrag des Klägers, da dieser an der Sitzung nicht teilgenommen hat und es sich der Sache nach damit nicht um einen Vertagungsantrag gehandelt hat.
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Ob etwas anderes gilt, wenn der Vertagungsantrag gerade deshalb gestellt wird, weil der Antragsteller wegen eines durchgreifenden Entschuldigungsgrundes der Teilnahmeverpflichtung des § 52 Abs. 1 GO LSA nicht nachkommen kann und die Vertagung deshalb erfolgen soll, muss nicht geklärt werden. Ein solcher Entschuldigungsgrund ist hier weder substanziiert geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Der im Klageverfahren vorgebrachte Hinweis des Klägers auf eine „inquisitorische Stimmung“ ist dazu ebenso wenig ausreichend wie sein Vorbringen, er sei in dem „(...) Rathausanzeiger vom 20.11.2010 als Gemeinderatsmitglied und als Person schwer beleidigt worden“. Es fehlt jeglicher Anhaltspunkt, dass keine sachgerechte Verhandlungsleitung der Sitzung i. S. d. § 55 GO LSA erfolgen würde.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1 GKG und erfolgt in Anlehnung an den sog. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 ff.) II. Nr. 22.7.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
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wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
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die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.