Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 17. Dez. 2010 - 10 A 10911/10
Gericht
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 5. November 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der im Jahre 1962 geborene Kläger, der türkischer Staatsangehörigkeit und kurdischer Volkszugehörigkeit ist und aus einem Ort im Kreis Besni in der Provinz Adiyaman stammt, wendet sich gegen den Widerruf eines Bescheides der Beklagten vom 1. März 2001, mit dem für ihn ein Abschiebungshindernis gemäß § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes festgestellt wurde.
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Im Spätsommer 1997 verließ der Kläger die Türkei und gelangte auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland. Seinen alsbald bestellten Asylantrag begründete er nach den Feststellungen des später ergangenen Urteils im Wesentlichen wie folgt:
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Er sei verheiratet und habe fünf zwischen vier und 18 Jahre alte Kinder. Die Familie habe in dem Dorf A….. bei Besni gelebt. Dort habe er seinen eigenen Hof bewirtschaftet. 1990 oder 1991 seien erstmals Guerilla in das Dorf gekommen und hätten die Bevölkerung aufgefordert, sie unter anderem mit Brot zu unterstützen. Auch Sicherheitskräfte des Staates hätten das Dorf aufgesucht und von den Bewohnern verlangt, die Guerilla nicht mehr zu versorgen. Im Jahre 1991 habe der Staat ihn aufgefordert, Dorfschützer zu werden. Erst habe er abgelehnt und sei unter Beobachtung gestellt worden. Weil man Druck auf ihn ausgeübt habe, habe er dann im November 1991 das Amt angenommen und eine Waffe, eine Kalaschnikow, erhalten. Während seiner Tätigkeit als Dorfschützer habe er ein Gehalt bezogen und außerdem zunächst jede Woche und später einmal im Monat eine Unterschrift leisten müssen. Außerdem habe man ihm ständig vorgeworfen, die Guerilla zu unterstützen. Seine Hauptaufgabe als Dorfschützer sei die Beobachtung der Gegend gewesen. Außerdem habe man ihn vier- oder fünfmal zu Operationen mitgenommen. An Auseinandersetzungen habe er nicht teilnehmen müssen. Im Laufe seiner Tätigkeit sei er auch zum Führer der Dorfschützer gewählt worden und habe fünf Leute unter seinem Befehl gehabt. 1995 habe er erstmals bei dem Kommandanten um seine Entlassung aus dem Dorfschützeramt nachgesucht. Dieser habe seinen Antrag jedoch nicht angenommen. Später habe ein kurdischer Alevit im Rang eines Feldwebels das Amt des Kommandanten bekleidet. Dieser habe ihn gewarnt und gesagt, dass er bei einer Operation erschossen werden solle. Daraufhin habe er erneut um seine Entlassung aus dem Amt nachgesucht, allerdings wiederum vergeblich. Zweimal habe man ihn aufgefordert, bei einer Operation nach vorn zu gehen. Dem habe er sich jedoch entziehen können. Einmal habe er gesagt, dass sein Kind krank sei. Nach einiger Zeit sei er zum Dorfvorsteher gegangen und habe dort seine Waffe abgegeben. Seine Kinder habe er bereits zuvor nach Gaziantep gebracht. Er selbst sei am 28. August 1997 dorthin gegangen, habe die Stadt dann am 1. September 1997 wieder verlassen und sei am nächsten Tag in Istanbul angekommen. Von dort sei er mit einem TIR-Lkw ausgereist.
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Nach Ablehnung seines Antrages hat der Kläger seinerzeit Klage zum Verwaltungsgericht Arnsberg erhoben. Mit Urteil vom 16. Januar 2001 (11 K 5224/97.A) hat das Gericht festgestellt, dass in der Person des Klägers Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vorlägen. Das wurde im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Das Gericht hat nach der eingehenden Befragung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seit 1991 in seinem Heimatdorf das Amt eines Dorfschützers ausüben musste. Seine Rekrutierung zu diesem Amt stand im Zusammenhang mit Erkenntnissen, die die Sicherheitskräfte nach der Festnahme bzw. Tötung zweier Guerilla-Kämpfer über die Unterstützungstätigkeit des Klägers gewonnen hatten. Von seiner Arbeit als Dorfschützer und dem Ablauf der Operationen, an denen er teilzunehmen hatte, hat der Kläger gegenüber dem Gericht in einer insgesamt ausführlichen und für die Kammer ohne weiteres nachvollziehbaren Art und Weise berichtet. (…) Der Kläger (…) hat glaubhaft dargetan, dass er sich in seiner Heimat offensiv zu seinem Kurdentum bekannt und namentlich durch die Niederlegung des Dorfschützeramtes exponiert hat.
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Nach Rechtskraft des Urteils hat die Beklagte mit Bescheid vom 1. März 2001 der Entscheidung entsprochen und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes festgestellt.
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Mit Schreiben vom 12. November 2008 hat die Beklagte den Kläger davon in Kenntnis gesetzt, dass sie beabsichtige, den Bescheid zu widerrufen, da sich seit der Ausreise des Klägers aus der Türkei die Rechtslage und Menschenrechts-situation dort so weit zum Positiven verändert habe, dass er wegen der seinerzeitigen Niederlegung des Dorfschützeramtes bei einer Rückkehr in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor Repressalien hinreichend sicher sei.
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Daraufhin hat das Bundesamt mit Bescheid vom 8. Juni 2009 den Bescheid vom 1. März 2001 aus den genannten Gründen widerrufen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen.
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Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und im Wesentlichen vorgetragen:
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Für die Frage, ob sich die Verhältnisse in der Türkei inzwischen wesentlich geändert hätten, komme es zunächst auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16. Januar 2001 an. Dieses Urteil habe bindend festgestellt, dass er wegen Unterstützung der PKK vor der drohenden Verfolgung aus der Türkei seinerzeit geflohen sei. Damit komme ihm für den Widerruf weiterhin der herabgesetzte Prognosemaßstab der hinreichenden Sicherheit zugute. Bei einer Rückkehr in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei er aber keineswegs vor einer erneuten Verfolgung hinreichend sicher. Unabhängig von den zwischenzeitlichen innenpolitischen Veränderungen in der Türkei hätten Personen, die die tatsächlich oder vermeintlich Verbindungen zu staatsfeindlichen Organisationen besäßen, politische Verfolgung zu befürchten. Indessen habe das Verwaltungsgericht Arnsberg bei ihm eine solche Unterstützung der PKK festgestellt.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Bei einer Wiedereinreise in die Türkei würden die türkischen Sicherheitskräfte den Kläger allein deshalb, weil er im Jahr 1997 das Amt eines Dorfschützers niedergelegt habe, nicht mehr als einen exponierten und ernstzunehmenden politischen Gegner ansehen. Selbst eine strafrechtliche Verfolgung dieser Handlung damals sei sehr unwahrscheinlich. Auch könne nicht angenommen, dass der Kläger wegen des Verdachts, die PKK zu unterstützen, Repressalien befürchten müsse. Denn seine Angaben hierzu seien im Verwaltungsverfahren vage und oberflächlich gewesen. Seine Vortrag habe er nicht konkretisiert und nicht durch nähere Einzelheiten belegt.
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Hiergegen hat der Kläger den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat stattgegeben hat. Mit der zugelassenen Berufung trägt er im Wesentlichen vor: Zu Unrecht habe die Vorinstanz ihm unterstellt, er habe im Asylverfahren vage und oberflächliche Angaben gemacht. Dies habe das Verwaltungsgericht Arnsberg gerade nicht festgestellt, sondern vielmehr angenommen, er sei in den Verdacht geraten, die PKK unterstützt zu haben. Von dieser Bewertung könne nicht im Widerrufsverfahren abgewichen werden. Vielmehr müsse davon ausgegangen und bei Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs gefragt werden, ob er bei einer Rückkehr gleichwohl vor Verfolgung hinreichend sicher sei. Das sei aber nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung zu verneinen.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 5. November 2009 den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Juni 2009 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist insbesondere darauf, dass sich das Dorfschützersystem mit dem Nachlassen der PKK-Aktivitäten grundlegend gewandelt habe und wegen der inzwischen vergangenen Zeit kein Interesse an dem Kläger bestehe, zumal er nie behauptet gehabt habe, die PKK unterstützt zu haben.
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Wegen des Sach- und Streitstandes in allen Einzelheiten wird auf die zu den Aktengereichten Schriftsätze und Schriftstücke sowie auf die das Verfahren betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen. Diese Vorgänge lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
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Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Denn der Widerrufsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Juni 2009 ist nicht rechtswidrig.
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Der Bescheid findet seine Ermächtigungsgrundlage in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, dessen Voraussetzungen hier vorliegen. Danach ist die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr gegeben sind; dies ist nach Satz 2 der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zu seiner Anerkennung geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Der Widerruf kommt damit dann in Betracht, wenn sich die zum Zeitpunkt der Feststellung der Voraussetzungen maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht (BVerwG, Urteil vom 1. November 2005, DVBl. 2006, 511, s. auch die Urteile des Senats vom 19. Mai 2006 [10 A 10795/05.OVG u.a.] und vom 11. August 2006 [10 A 11042/05.OVG u.a.] – alle rechtskräftig). Ein Wegfall der Umstände liegt etwa dann vor, wenn sich aus einem Wechsel des politischen Systems ergibt, dass eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist. Von einem Wegfall der Umstände kann aber dann nicht gesprochen werden, wenn sich im Nachhinein lediglich die Beurteilung der Verfolgungslage ändert, selbst dann nicht, wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht (BVerwG, a.a.O.).
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Maßgeblich für die Frage der Änderung der Umstände sind dabei die Feststellungen, die seinerzeit für die dem Ausländer günstige Entscheidung geführt haben. Demnach kommt es hier auf die Feststellungen des Urteils des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16. Januar 2001 (11 K 5224/97.A) an, die nur noch mit dem Bescheid vom 1. März 2001 von der Beklagten umgesetzt wurden.
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Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Arnsberg drohte dem Kläger unmittelbar vor Verlassen der Türkei Ende August 1997 eine politische Verfolgung, weil er das Amt des Dorfschützers niedergelegt hatte. Dazu heißt es, der Kläger habe seit 1991 in seinem Heimatdorf dieses Amt ausüben müssen; seine Rekrutierung hierzu habe im Zusammenhang mit Erkenntnissen gestanden, die die Sicherheitskräfte nach der Festnahme bzw. Tötung zweier Guerilla-Kämpfer über die Unterstützungstätigkeit des Klägers gewonnen hätten; der Kläger habe sich in seiner Heimat offensiv zu seinem Kurdentum bekannt und namentlich durch die Niederlegung des Dorfschützeramtes exponiert.
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Diese recht spärlichen Angaben enthalten in einer Zusammenschau mit der seinerzeitigen Darstellung des Klägers folgende, hier bedeutsame Feststellungen: Im Heimatdorf des Klägers bzw. dessen näherer Umgebung hatten sich 1990/91 Guerillakämpfer bei der Dorfbevölkerung um die Unterstützung mit Brot und andere Lebensmittel bemüht. Das war auch erfolgreich und wurde von den türkischen Sicherheitskräften bemerkt. Daraufhin forderten die Sicherheitskräfte „die“ Dorfbewohner auf, solche Unterstützungsleistungen zu unterlassen und verlangten von den jüngeren, wehrfähigen Männern, als Dorfschützer und damit als Hilfswillige der Sicherheitskräfte vor Ort tätig zu werden. Der Kläger, der kein assimilierter Kurde war, lehnte das zunächst ab, obwohl diese Tätigkeit recht gut bezahlt wurde. Erst unter Druck übernahm er im November 1991 das Amt des Dorfschützers und erhielt ein Gewehr. Besonders hervorgetan hat er sich dabei nicht. Immerhin wurde er aber Führer der Dorfschützer und hatte fünf andere Dorfschützer zu befehligen. Im Sommer 1997, also nach fast sechs Jahren Tätigkeit als Dorfschützer, zuletzt als Anführer, meldete er sich dann beim Dorfvorsteher aus diesem Amt ab, lieferte die empfangene Waffe ab und verließ sein Heimatdorf. Seine Familie, seine Frau und fünf Kinder, ließ er in der Türkei zurück.
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Danach bleibt von den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Arnsberg, soweit sie sich auf den Kläger individuell beziehen und für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bedeutsam sind, nur der Umstand, dass er nach fast sechsjähriger Tätigkeit als Dorfschützer seines Heimatortes das Amt gegenüber dem Dorfvorsteher niedergelegt und die Waffe abgegeben hat. Das wird gerade auch in der zusammenfassenden Wertung des Verwaltungsgerichts deutlich, in der es heißt, der Kläger habe sich „namentlich durch die Niederlegung des Dorfschützeramtes exponiert“.
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Eine wie auch immer geartete dezidiert politische oder in den Augen der türkischen Sicherheitskräfte „separatistische“ oder „staatsfeindliche“ Haltung oder Aktivität des Klägers oder gar eine persönliche Sympathie und Unterstützung der kurdischen Guerilla hinsichtlich ihrer politischen Ziele kann demgegenüber dem Urteil nicht entnommen werden. Zwar heißt es zusammenfassend auch, der Kläger habe sich offensiv zu seinem Kurdentum bekannt, jedoch ist dies als solches nicht sehr aussagekräftig. Gemeint ist damit ersichtlich nur, dass er kein assimilierter Kurde gewesen sei. Zugleich diente es wohl als Erklärung dafür, dass er sein Amt als Dorfschützer nach fast sechs Jahren Tätigkeit niedergelegt hat. Denn die Formulierung wird in diesem Zusammenhang erwähnt, wobei die Niederlegung des Amtes als eindeutig gewichtiger und exponierter angesehen wird.
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Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall auch wesentlich von dem vom Kläger zitierten, der dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vom 11. August 2010 (11 LB 405/08) zugrunde lag. Denn nach den Feststellungen dort war der Kläger jenes Verfahrens „wegen einer individuellen, auf eigenen politischen Aktivitäten beruhenden Verfolgung anerkannt worden“, und zwar „wegen der politischen Aktivitäten des Klägers in einer Jugendgruppe der PKK“ und beruhte „darauf, dass dem Kläger deswegen Verhaftung und Folter drohte“ (vgl. die UA S. 20 oben).
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Demgegenüber ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16. Januar 2001 hinsichtlich einer Unterstützung der PKK als Organisation gerade durch den Kläger unergiebig. Lediglich im Tatbestand heißt es, die türkischen Sicherheitskräfte hätten das Dorf aufgesucht und die Bewohner aufgefordert, von einer Unterstützung der Guerilla abzusehen. Diese Aussage bezieht sich aber nicht individuell auf den Kläger, sondern ganz allgemein auf „die“ Bewohner des Dorfes. Ersichtlich wurde die Aufforderung, sich als Dorfschützer den Sicherheitskräften zur Verfügung zu stellen, nach der Festnahme bzw. Tötung zweier Guerillakämpfer im Rahmen einer alle Bewohner betreffenden Dorfrazzia abgegeben. Im Übrigen hatte auch eine Beteiligung des Klägers bei der Übergabe von Brot und anderer Lebensmittel an die Guerillakämpfer kein selbständiges Gewicht. Denn diese Handlungsweise „des“ Dorfes insgesamt war der Anlass, um Dorfschützer zu rekrutieren, sich der Loyalität der Dorfbewohner zu vergewissern und das „soziale Unterstützernetz“ für die Guerillakämpfer vor Ort zu zerstören bzw. seinen (weiteren) Aufbau zu verhindern.
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Die dabei bestehende Interessenlage der türkischen Sicherheitskräfte beurteilt der Senat in seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung (vgl. etwa das Urteil vom 26. November 1999 – 10 A 12044/98.OVG), die zu ändern kein Anlass besteht und die ersichtlich auch der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16. Januar 2001 zugrunde lag, wie folgt:
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Diese Einschätzung des Dorfschützeramtes und der von den Sicherheitskräften ausgeübte Druck, ein solches zu übernehmen, machen deutlich, dass die türkischen Sicherheitskräfte ein großes Interesse daran hatten, dass vor allem Kurden ein solches Amt übernehmen. Denn dadurch wurde zwischen der Landbevölkerung im Südosten, die vornehmlich aus Kurden besteht, Zwietracht gesät und außerdem schaffte man „klare Verhältnisse“, indem man daraufhin wusste, wer – aus der Sicht der türkischen Sicherheits-kräfte – schutzwürdig war und wer nicht. Im Übrigen erleichterte es die bewaffneten Auseinandersetzungen mit der PKK, indem Dörfer – als Unterstützungspunkte und Nachschubbasen der PKK – ganz oder teilweise geräumt wurden. Nicht zu unterschätzen waren schließlich auch die rekrutierten Dorfschützer als Machtfaktor in den Kämpfen auf Seiten der türkischen Sicherheitskräfte. (…)
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Unter diesen Umständen stellt die Rekrutierung der männlichen Landbevölkerung eine vielschichtige Gemengelage dar. Teilweise war sie für den angehenden Dorfschützer – notgedrungen – unproblematisch, etwa dann, wenn er Angehöriger eines Stammes war, der Dorfschützer stellt. (…)
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Anders ist die Situation schon für denjenigen, der die mit dem Amt verbundenen Probleme erkennt und in seine Entscheidung maßgeblich einstellt. Denn hierbei muss er die individuelle Gefahr berücksichtigen, als Dorfschützer und „Kollaborateur“ einschließlich seiner Familie in das Blickfeld der PKK zu geraten und Zielscheibe deren Übergriffe zu werden. (…)
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In dem letztgenannten Fall stellt sich dann die hier maßgebliche Frage, welche Folgen die Weigerung, das Amt eines Dorfschützers zu übernehmen, hat. Hierbei ist zu sehen, dass die Situation, in der der Einzelne dann zur Übernahme aufgefordert wird, durchaus spannungsgeladen ist. Das Amt wird ihm nämlich in solchen Fällen im Allgemeinen anlässlich einer Dorfrazzia oder dann angetragen, wenn er individuell in das Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte geraten ist. Die sich daraus ergebende Zwangssituation wird noch durch die Erwartungshaltung der türkischen Sicherheitskräfte, die anlässlich solcher Razzien ein Interesse an der Gewinnung von Dorfschützern haben und den einzelnen ins Blickfeld Geratenen überdies hinsichtlich seiner Loyalität testen und mit der Aufforderung zur Amtsübernahme weiter unter Druck setzen wollen, verstärkt.
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Die Frage, wann sich in diesen Fällen wegen der Weigerung ein weitergehendes Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an dem Betreffenden ergibt, lässt sich nicht generell beantworten. Dabei spielt nicht nur eine „Vorbelastung“ eine Rolle, sondern auch das weitere Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte. Immer schwieriger und kritischer wird die Lage für den Betroffenen, je mehr er individuell auffällt und keine plausiblen Gründe für seine Weigerung hat. So kann sich etwa aus einer Dorfrazzia zur Zwangsrekrutierung die Gefahr für den Einzelnen erhöhen, wenn er – was in solchen Fällen öfter vorkommt (vgl. dazu u.a.: Oberdiek, Gutachten vom 14. März 1997 an das VG Berlin, S. 85 ff.) – hernach auf die Wache gebracht und dort weiter mit Schlägen, Drohungen u.ä. unter Druck gesetzt wird. Gefahrerhöhend ist auch der wiederholte Zugriff auf den Betreffenden, denn dadurch prägt er sich bei den Sicherheitskräften ein und erscheint immer weiter „renitent“.
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Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht Arnsberg in seinem Urteil vom 16. Januar 2001 in der Niederlegung des Dorfschützeramtes und der Abgabe der Waffe eine der Weigerung, das Amt zu übernehmen, ähnlich exponierte Handlung gesehen, die den Kläger in den Augen der türkischen Sicherheitskräfte „verdächtig“ gemacht hat. Das in diesen Fällen darüber hinaus gehende „weitergehende Interesse“ der Sicherheitskräfte hat es dabei nicht in einer – wie zuvor erörtert – „Vorbelastung“ gesehen. Denn anders als in den typischen „Weigerungsfällen“ hat der Kläger – wenn auch mit einem gewissen Zögern – das Dorfschützeramt tatsächlich angenommen, es fast sechs Jahre lang ersichtlich beanstandungsfrei ausgeübt und ist dann sogar zum Chef der Dorfschützer seines Ortes aufgestiegen. Überdies war er bei der Rekrutierung fast sechs Jahre zuvor nicht individuell als politisch „missliebig“ aufgefallen, sondern vielmehr nach einer Guerillaaktion in der Umgebung bei einer Dorfrazzia als Teil der Dorfbevölkerung zur Übernahme des Amtes aufgefordert worden. Von daher schied – auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Arnsberg – eine „Vorbelastung“ aus.
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Damit blieb für ein „weitergehendes Interesse“ der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger nur sein Verhalten bei der Niederlegung des Amtes. Aber auch hierbei sind keine Umstände erkennbar, die ihn über die Niederlegung des Amtes hinaus mit Blick auf die PKK besonders verdächtig machten. So war diese Handlung etwa keine unberechenbare und nachvollziehbare Augenblickstat – hinter der man „Machenschaften“ vermuten konnte -, sondern vielmehr hatte der Kläger nach seinen eigenen Angaben zuvor schon wiederholt gegenüber dem Kommandanten das Amt niederlegen wollen, dies war ihm aber nicht gestattet worden. Nun bemühte er sich ein drittes Mal darum und legte das Amt - da er dort keinen größeren Widerstand vermutete - gegenüber dem Dorfvorsteher nieder. Überdies geschah die Abmeldung aus dem Amt ganz geordnet, indem er sie nicht nur „offiziell“ gegenüber dem Dorfvorsteher vornahm, sondern auch noch die ihm zur Verfügung gestellte Waffe bei diesem abgab und für die Dorfbevölkerung erkennbar dann das Land verließ.
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Von daher beruhte das für den Kläger ausgesprochene Abschiebungsverbot nicht auf einem politischen Hintergrund (im engeren Sinne), im Sinne einer herausgehobenen eigenen politischen oder paramilitärischen Unterstützung der PKK (in den Worten des Klägers: „Verbindung zu einer staatsfeindlichen Organisation“), sondern auf der bloßen Niederlegung des Dorfschützeramtes bei einem „offensiven Bekenntnis zum Kurdentum“.
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Deshalb kommt es für den Widerruf entscheidend darauf an, ob allein die Niederlegung des Dorfschützeramtes und die Ablieferung der empfangenen Waffe beim Dorfvorsteher nach einer fast sechsjährigen Tätigkeit - zuletzt als Anführer der Dorfschützergruppe – und ohne ersichtlichen Grund bei einer Rückkehr in die Türkei Repressalien befürchten lassen.
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Hierbei ist allerdings – was die Vorinstanz nicht beachtet hat – von dem herab-gestuften Prognosemaßstab auszugehen. Im Rahmen der Widerrufsentscheidung ist nämlich derselbe Maßstab anzulegen, der bereits im Anerkennungsverfahren maßgeblich war. Da der Kläger nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Arnsberg bei seiner Ausreise aus der Türkei im Spätsommer 1997 eine unmittel-bar bevorstehende Verfolgung zu befürchten hatte, er also vorverfolgt ausgereist war, sind die Voraussetzungen für das Abschiebungsverbot nur dann weggefallen, wenn er vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher ist (vgl. zu diesen Anforderun-gen: BVerwG, Urteil vom 1. November 2005, a.a.O.). In dieser Situation dürfen also keine ernsthaften Zweifel an der Sicherheit des Ausländers an erneut einsetzender Verfolgung im Fall einer Rückkehr in seine Heimat bestehen (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab).
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Aber auch unter Zugrundelegung des herabgestuften Prognosemaßstabes ist der Widerrufsbescheid rechtmäßig. Denn der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger heutzutage vor einer künftigen Verfolgung hinreichend sicher ist. Die für die Beurteilung der Gefährdungslage maßgeblichen Umstände haben sich seit Januar 2001 nachhaltig zu seinen Gunsten geändert, so dass er wegen der damaligen Vorgänge nicht mehr mit Repressalien der türkischen Sicherheitskräfte zu rechnen hat.
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Bei dieser Beurteilung kommt es nach dem zuvor Gesagten auf das Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an, gegenwärtig eines ehemaligen Dorfschützers allein wegen dessen früherer bloßen Weigerung, das Amt eines Dorfschützers nicht (mehr) auszuüben, habhaft zu werden – ohne dass er dabei zugleich auch als (exponierter) politischer Gegner aufgefallen wäre.
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Hierfür haben sich indessen die Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Klägers in die Türkei eine Wiederholung einer unmittelbar drohenden Verfolgung auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Das ist aus mehreren Gründen der Fall.
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Einmal ergibt sich das daraus, dass sich die Verhältnisse in der Türkei hinsichtlich des Dorfschützersystems generell so verändert haben, dass – unabhängig von der Frage, ob eine erneute zwangsweise Rekrutierung eine politische Verfolgung darstellt – eine solche von vornherein recht unwahrscheinlich ist. Denn seit dem Frühjahr 2000 wird das bisher praktizierte System der Dorfschützer nicht mehr aufrecht erhalten. Mit Runderlass des Innenministeriums an die Gouverneursäm-ter der Provinzen vom 24. April 2000 ist angeordnet, dass keine neuen „vorläufigen“ Dorfschützer mehr eingestellt werden. Durch Kündigung, Tod oder andere Gründe freiwerdende Stellen vorläufiger Dorfschützer werden nicht mehr besetzt (vgl.: Kaya, Gutachten vom 21. Juni 2003, S. 2 und vom 25. Oktober 2004, S. 6). Diese Anordnung des Innenministeriums wird seitdem, also seit nunmehr zehn Jahren, ersichtlich auch eingehalten.
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Im Übrigen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anordnung in absehbarer Zeit außer Kraft gesetzt wird oder ihre Bedeutung verliert. Denn die Bedingungen, deretwegen das Dorfschützersystem seinerzeit geschaffen und ausgebaut wurde, haben sich inzwischen wesentlich geändert.
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Das Mitte der 1980er Jahre geschaffene und in den 1990er Jahren weiter ausgebaute System diente u.a. dazu, die Dorfbewohner in den vier Notstandsprovinzen (Diyarbakir, Hakkari, Mardin und Siirt) und später – entsprechend der Ausweitung der Guerillatätigkeit - auch in der weiteren Provinzen mit starker kurdischer Bevölkerung - als „verlängerter Arm“ der Sicherheitskräfte vor Ort zu rekrutieren und damit zugleich die kurdische Bevölkerung zu spalten („Kurden gegen Kurden“) (st. Rspr. d. Sen., vgl. z.B. Urteile vom 26. November 1999 – 10 A 12044/98.OVG – und vom 24. November 2000 – 10 A 11228/00.OVG -). Seit der Gefangennahme des Anführers der PKK Abdullah Öcalan („Apo“) und dessen Verurteilung durch ein türkisches Staatssicherheitsgericht im Jahre 1999 sowie nach dem von der PKK 1999 einseitig ausgerufenen Waffenstillstand und dem Abflauen der Guerillatätigkeit im Südosten der Türkei hat sich das dagegen gerichtete Dorfschützersystem weitgehend überlebt (vgl. Kaya, Gutachten vom 21. Juni 2003, S. 1 ff., und vom 25. Oktober 2004, S. 1 und 7). Die türkischen Sicherheitskräfte brauchten keinen „Druck“ mehr auf die Bevölkerung zur Rekrutierung auszuüben, weil sie Dorfschützer in dieser veränderten und auch über Jahre hinweg stabilisierten Situation nicht mehr benötigte.
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Im Gegenteil waren die weiter vorhandenen Dorfschützer ein erheblicher Kosten-faktor und auch ein Sicherheitsrisiko. Denn sie erhielten ein für die Verhältnisse in der Südosttürkei auskömmliches Gehalt und erwarben sogar einen Renten-anspruch (vgl. Kaya, Gutachten vom 25. Oktober 2004, S. 6). Zudem bildeten sie ein Sicherheitsrisiko, weil damit viele Dorfbewohner unter Waffen und mit einem Amt ausgestattet waren. Damit konnte man - unter dem Deckmantel des Dorf-schützersystems - persönliche Rivalitäten mit dem Anschein der Legalität und effektiv austragen. Das ging soweit, dass das Dorfschützeramt nicht selten für Straftaten zum eigenen Vorteil missbraucht wurde (vgl. Der Spiegel Nr. 20 vom 11. Mai 2009, FR und Die Welt vom 7. Mai 2009). Zudem agierten diese Dorf-schützer vielfach nicht isoliert, sondern im Interesse und im Auftrag eines Clan-chefs, Agha. Bei größeren Clans bildeten sie geradezu eine Privatarmee der Clanchefs. Damit ist das Macht- und Gewaltmonopol des türkischen Staates bisweilen lokal gefährdet. Das führte erst vor kürzerer Zeit beispielsweise zu dem Massaker in dem südostanatolischen Dorf Bilge (vgl. Der Spiegel, FR und Die Welt, a.a.O.). Dies und weitere Vorfälle haben dazu beigetragen, dass das Dorf-schützersystem immer wieder in der Kritik steht, zum einen innenpolitisch, aber auch europaweit (vgl. die Beschlüsse und Fortschrittsberichte der EU-Kommis-sion, vgl. Kaya, Gutachten vom 25. Oktober 2004, S. 6 sowie Nützliche Nachrichten 10/2009, S. 4).
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All dies hat zu einem gewissen Bedeutungsverlust des Dorfschützersystems in den letzten Jahren geführt. Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Dorfschützersystem bisher nicht abgeschafft wurde und eine solche Maßnahme auch nicht ernstlich in die Wege geleitet ist. Im Gegenteil wollen der türkische Staat und die Sicherheitskräfte hierauf nicht gänzlich verzichten. Maßgeblich hierfür ist zum einen, dass eine vollständige und zügige Abschaffung der Dorfschützer eine erhebliche Unruhe in den für den türkischen Staat ohnehin schwierigen kurdischen Provinzen mit sich brächte, denn damit verlören viele – zudem bisher staatsloyale – Kurden ihren auskömmlichen Broterwerb, bis hin zu ihrer Rentenberechtigung. Zudem scheut er wohl auch den Konflikt mit den Clanchefs, die ihre Macht durch das Dorfschützersystem weiter haben ausbauen konnten, und diese bei einer völligen Abschaffung sicherlich verlören. Zum anderen will der türkische Staat offensichtlich auf diesen Machtfaktor vor Ort nicht verzichten, da er bei einer Zunahme der Guerillatätigkeit hierauf wieder zurückgreifen könnte – ohne dass allerdings eine solche Entwicklung heutzutage absehbar wäre (vgl. ai, Gutachten vom 18. Juli 2003, S. 1 f. sowie Der Spiegel Nr. 20 vom 11. Mai 2009).
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Nur der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass in besonderen Fällen auch in der letzten Zeit und auch wohl heute noch Dorfschützer rekrutiert werden. Die geschieht aufgrund der Dorfschützerverordnung vom 1. Juli 2000, aber nur auf freiwilliger Basis und nur in ehedem von den türkischen Sicherheitskräften zwangsgeräumten Dörfern. Diese Personen sind rückkehrwillige Bewohner zwangsgeräumter Dörfer. Ihre Wiederansiedlung in den Dörfern wird häufig davon abhängig gemacht, dass sie Dorfschützer stellen. Diese erhalten zwar auch eine Waffe, die Übernahme des Amtes erfolgt jedoch „ehrenamtlich“, ohne Sold und zudem freiwillig (vgl. ai, Gutachten vom 18. Juli 2003, S. 5 und Kaya, Gutachten vom 25. Oktober 2004, S. 7). Eine solche Fallkonstellation liegt beim Kläger indessen eindeutig nicht vor.
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Vor diesem Hintergrund ist für den Senat nichts ersichtlich, dass der Kläger wegen der Niederlegung des Dorfschützeramtes vor nunmehr mehr als 13 Jahren politische Verfolgung befürchten müsste. Das entspricht auch der Einschätzung des Sachverständigen Kaya (Gutachten vom 25. Oktober 2004, S. 7). Da der Kläger zudem seine Waffe beim Dorfvorsteher abgeliefert hat, droht ihm noch nicht einmal eine strafrechtliche Verfolgung - ganz abgesehen davon, dass eine solche nur unter engen Grenzen zugleich auch eine politische Verfolgung wäre.
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Zum anderen hat der Kläger umso weniger eine (erneute) Zwangsrekrutierung als Dorfschützer zu befürchten, als seine Heimatprovinz Adiyaman nicht zu den bekanntermaßen mehrheitlich von Kurden bewohnten Provinzen in der Südosttürkei (wie Diyarbakir, Hakkari, Mardin und Siirt, in denen bis 1987 auch das Kriegsrecht bestanden hatte) gehört, sondern weiter westlich liegt und auch nur eine kurdische Minderheit aufweist. Auch dürfte der Kläger für eine Dorfschützertätigkeit in seinem Heimatdorf aus persönlichen Gründen kaum in Frage kommen. Denn aufgrund seines mehr als 13 Jahre langen Aufenthalts im Ausland ist er mit den aktuellen Verhältnissen in seinem Heimatdorf und dessen Umgebung nicht vertraut. Zudem hat er mit nunmehr 50 Jahren ein Alter erreicht, in dem er für eine solche Tätigkeit noch weniger interessant ist.
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Zum dritten ist für den Senat recht unwahrscheinlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei überhaupt wieder in sein Heimatdorf bzw. seine Heimatregion zurückkehrt. Denn dort hat er nach seiner Ausreise aus der Türkei vor mehr als 13 Jahren seine erste Frau mit fünf Kindern zurückgelassen. Von diesen hat er sich längst abgewandt und ist eine neue Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen eingegangen. Diese hat offensichtlich drei Kinder in die Ehe mitgebracht (vgl. dazu die vom Kläger vorgelegten Unterlagen zur Gewährung von Prozesskostenhilfe). Mit dieser neuen Familie wird der Kläger kaum in das frühere soziale Umfeld des Heimatortes und der Heimatregion zurückkehren und damit eine mehr oder minder große Konfrontation damit suchen. Das gilt umso mehr, als er durch seinen langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und seine aktuelle Tätigkeit in einem Logistikunternehmen dem Berufsfeld eines traditionell wirtschaftenden Bauers in der Türkei entfremdet ist. Deshalb wird er bei einer Rückkehr in die Türkei sehr viel eher seinen Wohnsitz in einer Großstadt der Westtürkei suchen, so dass sich das Problem einer Zwangsrekrutierung als Dorfschützer für ihn noch weniger stellen wird.
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Nach alledem ist der Widerruf des Abschiebungsverbots gemäß § 51 Abs. 1 AuslG wegen der veränderten Verhältnisse rechtmäßig.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.
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Annotations
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.