Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 29. Jan. 2015 - 8 E 986/14
Gericht
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird Ziffer 3 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Minden vom 6. August 2014 geändert.
Der Streitwert für das Verfahren VG Minden 11 L 97/14 wird auf 15.000,- € festgesetzt.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe:
2Die Beschwerde, mit der die Antragstellerin die Herabsetzung des vom Verwaltungsgericht auf 30.000,- € festgesetzten Streitwerts begehrt, hat Erfolg.
3In Ausübung des ihm durch § 52 Abs. 1 GKG eingeräumten Ermessens hält der Senat das Interesse der antragstellenden Gemeinde an der Aufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windkraftanlage mit 15.000,- € für ausreichend bewertet.
4Mit der Befugnis, den Streitwert nach richterlichem Ermessen zu bestimmen, ist dem Gericht im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung die Möglichkeit eingeräumt, den Wert des Streitgegenstandes zu schätzen, sich einer weitgehenden Schematisierung und Typisierung für gleichartige Streitigkeiten zu bedienen und zu pauschalieren.
5Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Januar 2011 - 8 E 23/11 -, NVwZ-RR 2011, 423, vom 17. Februar 2011 - 8 E 1246/10 -, und vom 5. Oktober 2010 - 8 E 1157/10 -, jeweils juris.
6Dafür enthält der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von Juli 2013 (NVwZ-Beilage 2013, Heft 2) Empfehlungen. Dem Streitwertkatalog kommt allerdings keine normative Verbindlichkeit zu. Er ist nur eine Handreichung für die Praxis, keine anwendbare oder auslegungsfähige Rechtsnorm. An der Aufgabe des Gerichts, im jeweiligen Einzelfall das Gesetz anzuwenden und das ihm eingeräumte Ermessen auszuüben, ändert das Vorhandensein des Streitwertkatalogs nichts.
7Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. August 1993 - 2 BvR 1858/92 -, DVBl. 1994, 41 = juris Rn. 32; BayVGH, Beschluss vom 11. Juli 2003 ‑ 25 C 03.1464 -, NVwZ-RR 2004, 158 = juris Rn. 2.
8Ausgehend von diesen Grundsätzen hat sich bislang die Streitwertpraxis des Senats in Verfahren, in denen sich die Standortgemeinde im Hauptsacheverfahren gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine Windkraftanlage wendet, grundsätzlich an Nr. 19.2 i.V.m. Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von Juli 2004 (DVBl. 2004, 1525 = NVwZ 2004, 1327) orientiert (Immissionsschutzrecht: Klage einer drittbetroffenen Gemeinde) und als Streitwert 60.000 € festgesetzt.
9Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Juni 2009 - 8 B 572/90 -, NWVBl 2009, 481, juris Rn. 39; vom 26. Mai 2011 - 1251/10 - n.v., S. 10 des Abdrucks; und vom 30. September 2014 - 8 A 460/13 -, S. 48 f. des Urteilsabdrucks; vgl. auch: Bay. VGH, Beschluss vom 30. April 2014 - 22 ZB 14.680 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. Juli 2014 - 2 B 288/14 -, juris; abweichend Beschluss vom 28. November 2007 - 8 A 2325/06 -, insoweit n.v., S. 33 des Abdrucks, betreffend eine Baugenehmigung für eine Windkraftanlage.
10An dieser Rechtsprechung, die das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrundegelegt hat, hält der Senat nicht mehr fest. Zwar beziffert auch Nr. 19.3 des Streitwertkatalogs 2013 - ebenso wie der Streitwertkatalog 2004 - das Interesse einer drittbetroffenen Gemeinde an der Aufhebung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheides mit 60.000,- €. „Drittbetroffene“ Gemeinde in diesem Sinne ist auch die Standortgemeinde, die gegen einen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid klagt.
11Vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB Band III, Stand 1. Juli 2014, § 36, Rn. 43.
12Allerdings enthält der Streitwertkatalog 2013 - anders als noch der Streitwertkatalog 2004 - für das Bau- und Raumordnungsrecht eine weitere Differenzierung, deren zu Grunde liegende Wertung der Senat auf das Immissionsschutzrecht überträgt. Während Nr. 9.7.2. des Streitwertkataloges 2013 für die Klage einer Nachbargemeinde auf dem Gebiet des Bau- und Raumordnungsrecht einen Streitwert von 30.000 € vorsieht, empfiehlt Nr. 9.10 für die „Ersetzung des Einvernehmens der Gemeinde“ lediglich einen Streitwert in Höhe der Hälfte (15.000 €). Diese Halbierung hält der Senat auch im Immissionsschutzrecht für angemessen; der für Klagen drittbetroffener Gemeinden empfohlene Streitwert i.H.v. 60.000 € ist daher auf 30.000 € zu reduzieren, wenn eine Gemeinde wegen der Ersetzung ihres Einvernehmens klagt. Diese Fallkonstellation erfasst nicht nur isolierte Klagen der Standortgemeinde gegen die ‑ ihr gegenüber als Verwaltungsakt zu qualifizierende - Ersetzung ihres Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB, sondern auch Klagen gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen, mit denen ausschließlich die Rechtswidrigkeit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens geltend gemacht wird. Das Interesse der klagenden Standortgemeinde ist in beiden Fällen im Wesentlichen das gleiche.
13Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes liegen die Voraussetzungen dieser Fallkonstellation vor. Die Antragstellerin hat ausschließlich geltend gemacht, ihr Einvernehmen sei gemessen am Maßstab der §§ 31 ff. BauGB zu Unrecht ersetzt worden. Darüber hinausgehende Verletzungen ihrer Planungshoheit und von Rechten anderer hat sie lediglich im Rahmen der Interessenabwägung thematisiert.
14Der danach in der Hauptsache maßgebliche Streitwert in Höhe von 30.000,- € ist in Anwendung von Nr. 1.5. des Streitwertkataloges 2013 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 15.000,- € zu halbieren.
15Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 68 Abs. 3 GKG.
16Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
moreResultsText
Annotations
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.
(1) Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach den in Satz 1 bezeichneten Vorschriften entschieden wird; dies gilt nicht für Vorhaben der in § 29 Absatz 1 bezeichneten Art, die der Bergaufsicht unterliegen. Richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 30 Absatz 1, stellen die Länder sicher, dass die Gemeinde rechtzeitig vor Ausführung des Vorhabens über Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung nach den §§ 14 und 15 entscheiden kann. In den Fällen des § 35 Absatz 2 und 4 kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung allgemein oder für bestimmte Fälle festlegen, dass die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich ist.
(2) Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde dürfen nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 ergebenden Gründen versagt werden. Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gelten als erteilt, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert werden; dem Ersuchen gegenüber der Gemeinde steht die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde gleich, wenn sie nach Landesrecht vorgeschrieben ist. Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen.
(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.
(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.