Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 18. Aug. 2015 - 12 A 833/14
Gericht
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Das Zulassungsvorbringen vermag nicht hinreichend in Frage zu stellen, dass die Voraussetzungen des § 36a Abs. 3 SGB VIII für die im Streit stehende Übernahme der Internatskosten vorgelegen haben, wie vom Verwaltungsgericht angenommen.
3Nach § 36a Abs. 3 SGB VIII ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für Hilfen, die abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft wurden, nur verpflichtet,
41. wenn der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1),
52. die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen (Nr. 2) und
63. die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3).
7Soweit die Beklagte zunächst geltend macht, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe nicht vorgelegen hätten, weil die Unterbringung des Klägers in einem Internat nach der fachlichen Auffassung des Jugendamtes nicht die „zutreffende Hilfeart“ dargestellt habe, hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass dem Jugendamt bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit einer Maßnahme der Jugendhilfe ein Beurteilungsspielraum zukommt (vgl. S. 21 des Urteilsabdrucks).
8Vgl. zum Beurteilungsspielraum des Träger des öffentlichen Jugendhilfe insoweit nur OVG NRW, Beschluss vom 22. Januar 2015 - 12 B 1483/14 -, juris, m. w. N.
9Die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass sich der Kläger auf eine Unterbringung in einer Hausgruppe des D. I. H. nicht habe verweisen lassen müssen, weil vollkommen offen gewesen sei, welche Unterbringungsform für ihn auf Dauer in dieser oder einer anderen Einrichtung zur Verfügung gestanden hätte und in welcher Weise der externe Besuch einer Schule oder Berufsschule sichergestellt worden wäre, zielen der Sache nach auf eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums, indem der Beklagten vorgehalten wird, sie habe bei ihrer Entscheidungsfindung allgemein gültige fachliche Maßstäbe nicht hinreichend beachtet. Mit dieser Argumentation setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
10Die Beklagte zeigt auch nicht auf, dass sich das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang mit weiteren in den Blick genommenen „konkreten Jugendhilfeeinrichtungen“ hätte befassen müssen. Soweit die Beklagte hierbei auf die Entscheidungsvorlage zu der Erziehungskonferenz, die am 5. September 2012 stattfand, verweist, ist dort als weitere in Betracht kommende Alternative nur eine mögliche „Berufsvorbereitungsmaßnahme in C. “ (Bl. 223 des Verwaltungsvorgangs) erwähnt, bei der es sich jedoch ersichtlich nicht um eine Jugendhilfemaßnahme gehandelt hätte. Auch ist weder dargelegt noch sonst erkennbar gemacht, dass Aussicht darauf bestanden hätte, den auf Seiten des Klägers bestehenden Erziehungsbedarf im Zuge einer solchen Berufsvorbereitungsmaßnahme adäquat zu befriedigen.
11Dass die Unterbringung des Klägers in dem L. -Internat ihrerseits als Hilfe ungeeignet war, wird mit dem Zulassungsantrag zwar behauptet, aber nicht hinreichend herausgearbeitet. Insoweit genügt es nicht, der Gedankenführung des Verwaltungsgerichts (vgl. S. 20, 22 f. des Urteilsabdrucks) entgegen zu halten, in dem Internat stehe „vorrangig die Erreichung eines Schulabschlusses als pädagogisches Ziel im Vordergrund, so dass die Zielsetzung der Verselbständigung bis zur Volljährigkeit mit dieser Maßnahme nicht erreicht wird“. Dass das erzieherische Angebot des Internats namentlich auf eine Verbesserung sozialer Kompetenzen zielt und „Hilfestellungen zur Verselbständigung“ beinhaltet, ist den Informationen zu entnehmen, die dem Beklagten bereits im Juli 2012 vorgelegt worden waren. Woran die Beklagte konkret festmacht, die angestrebte Vermittlung eines Schulabschlusses hätte derart im Vordergrund gestanden, dass eine Verselbständigung im Fall des Klägers gescheitert wäre, bleibt offen. In Anbetracht der Maßgeblichkeit der Perspektive im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung kommt es nicht darauf an, ob die Internatsunterbringung rückblickend ungeeignet erscheint, weil der Kläger die Einrichtung bereits zum 30. April 2013 wieder verlassen hat.
12Vor diesem Hintergrund kann die Beklagte auch nicht mit ihrem Einwand durchdringen, die Voraussetzungen des § 36a Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII hätten nicht vorgelegen. Dass sich die Situation im Haushalt der Großeltern des Klägers bereits im April 2012 erneut zugespitzt hatte und akuter Handlungsbedarf bestand, wie vom Verwaltungsgericht ausgeführt (vgl. S. 18 des Urteilsabdrucks), wird durch das Zulassungsvorbringen nicht in Zweifel gezogen. Dies berücksichtigend, ergab sich die Unaufschiebbarkeit der Bedarfsdeckung im Zeitpunkt der Anmeldung des Klägers auf dem Internat ohne Weiteres daraus, dass die Großeltern aus gesundheitlichen Gründen absehbar nicht mehr für den Kläger würden sorgen können, ein Unterkommen bei der Klägerin jedenfalls akut nicht in Betracht kam und der Beginn des Schuljahres 2012/2013 unmittelbar bevorstand. Dass die Erziehungskonferenz erst am 5. September 2012 stattfand, war den Klägern nicht anzulasten.
13Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
14Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
moreResultsText
Annotations
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den Fällen, in denen Eltern durch das Familiengericht oder Jugendliche und junge Volljährige durch den Jugendrichter zur Inanspruchnahme von Hilfen verpflichtet werden. Die Vorschriften über die Heranziehung zu den Kosten der Hilfe bleiben unberührt.
(2) Abweichend von Absatz 1 soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die niedrigschwellige unmittelbare Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung nach § 28, zulassen. Dazu soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Leistungserbringern Vereinbarungen schließen, in denen die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der Leistungserbringung sowie die Übernahme der Kosten geregelt werden. Dabei finden der nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelte Bedarf, die Planungen zur Sicherstellung des bedarfsgerechten Zusammenwirkens der Angebote von Jugendhilfeleistungen in den Lebens- und Wohnbereichen von jungen Menschen und Familien nach § 80 Absatz 2 Nummer 3 sowie die geplanten Maßnahmen zur Qualitätsgewährleistung der Leistungserbringung nach § 80 Absatz 3 Beachtung.
(3) Werden Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn
- 1.
der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, - 2.
die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und - 3.
die Deckung des Bedarfs - a)
bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder - b)
bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.
(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.
(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.
(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.
(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.