Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 22. Jan. 2016 - 1 M 416/15
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 28. September 2015 – 7 B 3350/15 SN – wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht auf 3.755,86 Euro festgesetzt.
Gründe
- 1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen eine Ordnungsverfügung, mit der ihm die Untervermietung zum Zwecke der Prostitution untersagt wurde, sowie gegen eine daraus folgende Festsetzung eines Zwangsgeldes.
- 2
Der Antragsteller ist Mieter einer Wohnung in der C. Straße in C., die er zum Zwecke der Prostitution untervermietete. Mit Ordnungsverfügung vom 28. Mai 2015 untersagte der Antragsgegner ihm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Untervermietung oder Zurverfügungstellung dieser Wohnung zum Zwecke der Ausführung der Prostitution und drohte ihm ein Zwangsgeld an. Dabei stützte sich der Antragsgegner auf § 1 der Landesverordnung über das Verbot der Prostitution. Danach sei die Prostitution in Gemeinden bis 15.000 Einwohnern verboten, die Stadt C. habe zum Stichtag 08. Oktober 2014 6021 Einwohner. Mit Leistungsbescheid vom 23. Juli 2015 setzte der Antragsgegner das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 5.000 € fest. Gegen beide Bescheide legte der Antragsteller Widerspruch ein.
- 3
Am 02. September 2015 suchte der Antragsteller um einstweiligen Rechtschutz nach mit dem Antrag, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung wiederherzustellen und die seines Widerspruchs gegen die Zwangsmittelfestsetzung anzuordnen.
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Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. September 2015 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt.
- 5
Die nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 01. Oktober 2015 mit am 05. Oktober 2015 eingegangenem Schriftsatz fristgemäß eingelegte und gleichermaßen fristgemäß begründete Beschwerde des Antragstellers gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss hat keinen Erfolg.
- 6
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Falle des Abs. 2 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Die gerichtliche Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ergeht auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Interesse des Antragstellers, vorläufig vom Vollzug des Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (Aussetzungsinteresse), und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes (Vollziehungsinteresse). Im Rahmen der Interessenabwägung ist der Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bzw. der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. In der Regel überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, wenn sich der angegriffene Verwaltungsakt nach dem Prüfungsmaßstab des – summarischen – vorläufigen Rechtsschutzverfahrens als rechtmäßig erweist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache ohne Aussicht auf Erfolg sein dürfte. Demgegenüber überwiegt grundsätzlich das private Aussetzungsinteresse, wenn sich der Verwaltungsakt nach diesem Maßstab als rechtswidrig erweist; an der Vollziehung eines rechtswidrigen Bescheides besteht regelmäßig kein schutzwürdiges öffentliches Interesse. Lässt sich die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht in diesem Sinne klären bzw. ist der Ausgang der Hauptsache offen, bedarf es einer Abwägung der (sonstigen) wechselseitigen Interessen.
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Dabei ist in Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Gegenstand der gerichtlichen Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts an Hand derjenigen Gründe nachzuprüfen, die der Beschwerdeführer darlegt.
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Die Ablehnung der Anträge durch das Verwaltungsgericht ist nach diesen Maßstäben und der im Eilverfahren nur summarisch vorzunehmenden Prüfung nicht zu beanstanden.
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Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffender Begründung, auf die der Senat verweist (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass die auf die Landesverordnung über das Verbot der Prostitution (ProstVerbV M-V, GVOBl. M-V 1992, 384) gestützte Ordnungsverfügung rechtmäßig ist und insbesondere gegen die Landesverordnung selbst und Art. 297 EGStGB – als deren Ermächtigungsgrundlage – im Rahmen der summarischen Prüfung keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.
- 10
Soweit der Antragsteller vorträgt, es bestünden verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verordnungsermächtigung im Hinblick auf den aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Bestimmtheitsgrundsatz in Bezug auf den Begriff des „öffentlichen Anstands“, räumt er selbst ein, dass diese Ansicht im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 28.04.2009 – 1 BvR 224/07 –, NVwZ 2009, 905; juris Rn. 15 ff.) steht, der sich der Senat anschließt.
- 11
Auch daraus, dass die Rechtsprechung den Begriff des „öffentlichen Anstands“ dahingehend konkretisiert hat, dass der Erlass einer Sperrgebietsverordnung zum Schutze des öffentlichen Anstandes gerechtfertigt sein kann, wenn die Eigenart des betroffenen Gebietes durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet ist und wenn eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen Unbeteiligter und "milieubedingte Unruhe", wie zum Beispiel das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen, befürchten lässt (BVerfG, Beschl. v. 28.04.2009 – 1 BvR 224/07 –, NVwZ 2009, 905; juris Rn. 16; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 11.08.2015 – 5 A 1188/13 –, juris), kann nicht geschlussfolgert werden – so aber der Antragsteller –, dass ein gänzliches Verbot jeglicher Prostitution in Gemeinden mit bis zu 15.000 Einwohnern, wie es § 1 der ProstVerbV M-V vorsieht, verfassungswidrig sei.
- 12
Zunächst ist darauf zu verweisen, dass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Fall einer Sperrgebietsverordnung auf der Grundlage von Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGStGB zugrunde lag und nicht wie im vorliegenden Fall eine nach Nr. 1 der Vorschrift. Gemäß Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 kann für Teile des Gebietes einer Gemeinde über zwanzigtausend Einwohner oder eines gemeindefreien Gebiets durch Rechtsverordnung verboten werden, der Prostitution nachzugehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte deshalb nur über eine Fallkonstellation zu entscheiden, in der ohnehin nur ein Teilgebiet der Gemeinde betroffen war.
- 13
Damit ist jedoch nicht zugleich gesagt, dass die Vorschrift des Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB – weil von ihr das gesamte Gemeindegebiet betroffen ist – verfassungsrechtlich zu unbestimmt wäre. Vielmehr spricht nach summarischer Prüfung viel dafür, dass in kleineren Gemeinden typischerweise die Prostitution stärker nach außen in Erscheinung tritt, jedenfalls von Unbeteiligten, die davon nicht behelligt werden wollen, stärker wahrgenommen wird, als in größeren anonymeren Städten. Die Festsetzung von Sperrgebieten auf der Grundlage von Art. 297 EGStGB dient der lokalen Steuerung der Prostitutionsausübung aus ordnungsrechtlichen Gründen (BVerfG, Beschl. v. 28.04.2009 – 1 BvR 224/07 –, NVwZ 2009, 905; juris Rn. 16; BVerwG, Urt. v. 17.12.2014 – 6 C 28/13 –, juris Rn. 15). Mithin durfte der Verordnungsgeber auch von der in der Ermächtigungsgrundlage ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen, orientiert an der Einwohnerzahl, die Prostitution im gesamten Gemeindegebiet zu verbieten. Dabei hat er die Grenze nicht voll ausgeschöpft, sondern mit 15.000 Einwohnern (entspricht 30% von 50.000 Einwohnern) auf kleine Gemeinden und Städte festgelegt, die raumordnerisch lediglich Unterzentren – wie im vorliegenden Fall – oder auch kleinere Mittelzentren sind, und damit auch berücksichtigt, dass das ländlich geprägte Mecklenburg-Vorpommern nur wenige Städte aufweist, deren Einwohnerzahl über 50.000 liegt.
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Zudem hat das Bundesverfassungsgericht in einem Fall aus Baden-Württemberg eine auf Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGStGB gestützte Sperrgebietsverordnung für das ganze Gebiet einer Gemeinde bis zu 35.000 Einwohnern nicht beanstandet (BVerfG, Beschl. v. 07.10.2008 – 2 BvR 1101/08 –, NVwZ 2009, 239, juris Rn. 9). Auch das Bundesverwaltungsgericht hält Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGStGB für eine tragfähige Ermächtigungsgrundlage und hat ausgeführt, dass Bedenken gegen die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht nicht ersichtlich seien. Die durch Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGStGB gegebene Möglichkeit, in Gemeinden mit bis zu 50.000 Einwohnern die Prostitution gänzlich zu verbieten, ist auch durch das Prostitutionsgesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) nicht beseitigt worden; vielmehr ist der Vorschlag, Art. 297 EGStGB ersatzlos zu streichen (BT-Drs. 14/4456 S. 3), nicht Gesetz geworden (BVerwG, Urt. v. 20.11.2003 – 4 C 6/02 –, NVwZ 2004, 743, juris Rn. 9).
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Für die Verfassungsmäßigkeit des Erlasses der Landesverordnung kommt es auch nicht darauf an, ob es im konkreten Einzelfall zu einer Beeinträchtigung der zu schützenden Belange gekommen ist. Vielmehr genügt für den Erlass einer Sperrgebietsverordnung die Prognose, dass das betroffene Verhalten (hier die Ausübung der Prostitution) in hinreichender Weise die abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Schutzgüter begründet (BVerwG, Beschl. v. 17.12.2014 – 6 C 28/13 –, juris Rn. 12).
- 16
Weiter kann der Antragsteller auch nicht damit durchdringen, dass der Verordnungsgeber nicht zwischen der Wohnungsprostitution mit geringerer öffentlicher Sichtbarkeit und anderen, wie er vorträgt „typischerweise kriminogeneren“ Formen der Prostitution, wie z. B. dem Straßenstrich differenziert habe. Zwar dürfte eine Verlagerung der Prostitution „von der Straße in die Häuser“ (vgl. Wohlfarth, LKRZ 2014, 393), wie sie auch wohl von dem geplanten Prostitutionsstättengesetz bzw. Prostitutionsschutzgesetz angestrebt wird (siehe hierzu Entschließung des Bundesrates „Maßnahmen zur Regulierung der Prostitution und der Prostitutionsstätten“ BR-Drs. 71/14), vor allem aus sozialen Gründen sinnvoll sein, der Antragsteller unterstellt jedoch bei seiner Argumentation, dass es bei der Wohnungsprostitution keine unerwünschte Begleitkriminalität gebe, also keine „milieubedingte Unruhe“ zu befürchten sei. Das trifft nicht zu. Die Wohnungsprostitution wird zwar häufig deutlich weniger wahrnehmbar sein als die Straßen- und Bordellprostitution. Jedoch können Belästigungen der Anwohner, milieubedingte Unruhe, das Ansprechen Unbeteiligter sowie das Anfahren und Abfahren der Freier als sichtbare Begleiterscheinungen der Prostitution nicht von vornherein für den Bereich der Wohnungsprostitution als ausgeschlossen betrachtet werden (BVerfG, Beschl. v. 28.04.2009 – 1 BvR 224/07 -, NVwZ 2009, 905, juris Rn. 25 mit Hinw. auf BT-Drs. 16/4146, S. 40). Vielmehr ist allgemein bekannt, dass auch bei Wohnungsprostitution enge Verknüpfungen zur organisierten Kriminalität, zum sog. „Rotlicht“milieu bestehen. Allein die gewerbsmäßige Vermietung und das Zurverfügungstellen von Wohnungen für wechselnde Prostituierte – wie auch im vorliegenden Fall – bedürfen eines erheblichen Organisationsaufwandes und legen eine Vernetzung in die Szene nahe. Da mit Wohnungsprostitution hohe Bargeldumsätze geschafft werden können, ist dieses Geschäft, nicht weniger als andere Prostitutionsformen, für die organisierte Kriminalität lukrativ. Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass solche Organisationen auf diese Einnahmen zu Gunsten anderer verzichten würden. Schon dass die Mietzahlungen – wie die Prostituierten bei ihren Befragungen angegeben haben – in bar erfolgten, ist nicht nur für „normale“ Mietverhältnisse untypisch, sondern vielmehr szenetypisch. Da hier nur die Prognose des Verordnungsgebers beim Erlass der Verordnung in Frage steht, bedarf es keiner Vertiefung dahingehend, ob ein solcher „Milieu“-Hintergrund auch im Fall des Antragstellers vorliegt.
- 17
Letztlich mag der Antragsteller aufgrund der gewerblichen Untervermietung in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffen sein, er ist jedenfalls nicht darin durch die angefochtene Ordnungsverfügung verletzt. Denn diese Berufsausübung darf gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetz geregelt werden. Eine solche Berufsausübungsregelung ist gesetzlich mit Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB und der darauf beruhenden Landesverordnung über das Verbot der Prostitution Mecklenburg-Vorpommern getroffen worden. Solche Regelungen dürfen getroffen werden, wenn sie durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt sind, die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und die durch sie bewirkten Beschränkungen den Betroffenen zumutbar sind. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die beiden Schutzzwecke des Art. 297 EGStGB, der Schutz der Jugend und der Schutz des öffentlichen Anstands, diese Voraussetzungen erfüllen und die Ermächtigung auch verhältnismäßig ist (BVerfG, Beschl. v. 28.04.2009 – 1 BvR 224/07 -, NVwZ 2009, 905, juris Rn. 22 ff.). Ebenso verletzt die Vorschrift nicht das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG, zu dem verfassungsrechtlich auch das Wohnungsmietrecht zählt, sondern stellt eine rechtmäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 28 ff.)
- 18
Die Beschwerde hat auch keinen Erfolg, soweit sie sich auf den weiteren Antrag des Antragstellers bezieht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Zwangsgeldfestsetzung anzuordnen. Da sich nach summarischer Prüfung die Ordnungsverfügung als rechtmäßig erweist, konnte auf sie auch die Festsetzung des Zwangsgeldes – nach bereits erfolgter Androhung – gestützt werden. Weitere Angriffe gegen die Festsetzung, die über diejenigen gegen die Ordnungsverfügung hinausgehen, hat der Antragsteller nicht dargelegt.
- 19
Ob die Landesregierung im Zuge der oben genannten beabsichtigten bundesrechtlichen Gesetzesänderungen auch die streitgegenständliche Prostitutionsverordnung einer Überarbeitung unterziehen wird (siehe allgemein die Kleinen Anfragen zum Thema „Prostitution“ vom 21.11.2014, LT-Drs. 6/3448, vom 06.01.2015, LT-Drs. 6/3597 und vom 13.04.2015, LT-Drs. 6/3846), mag gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren Berücksichtigung finden.
- 20
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
- 21
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 2 und 53 Abs. 2 GKG.
- 22
Hinweis:
- 23
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 22. Jan. 2016 - 1 M 416/15
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Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 22. Jan. 2016 - 1 M 416/15 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 3.755,86 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Der Antragsteller vermietet gewerbsmäßig Wohnungen zum Zwecke der Prostitution unter. Er wendet sich gegen die Vollziehbarkeit einer Ordnungsverfügung sowie einer zu deren Durchsetzung erfolgten Zwangsgeldfestsetzung.
- 2
Im vorliegenden Streitfall befindet sich die von ihm gemietete und untervermietete Wohnung in der Stadt C-Stadt im 1. Obergeschoss des Mehrparteien-Mietshauses D-Straße n. C-Stadt ist im Regionalen Raumentwicklungsprogramm G. von 2011 als Grundzentrum ausgewiesen und hatte laut dem Statistischen Bericht des Landesamts für innere Verwaltung vom 22. September 2014 am 31. Dezember 2013 eine Bevölkerung von 6.517 Personen und laut dem jüngsten Bericht vom 18. September 2015 am 31. Dezember 2014 eine Bevölkerung von 6.581 Personen.
- 3
Am 14. April 2014 stellten Beamte der Kriminalpolizei fest, dass in der Wohnung — entsprechend einschlägiger Werbung im Internet — die Prostitution ausgeübt wurde. Den angetroffenen Prostituierten wurde in Umsetzung von § 1 der Landesverordnung über das Verbot der Prostitution vom 30. Juni 1992 (GVOBl. M-V S. 384) – ProstVerbV M-V – die Fortsetzung ihrer Tätigkeit untersagt. Die Eigentümer des Hausgrundstücks wurden aufgesucht und ebenfalls über die ProstVerbV M-V belehrt. Sie kündigten in der Folgezeit das Mietverhältnis mit dem Antragsteller zum August 2014 und forderten diesen zur Räumung der Wohnung auf, zuletzt mit einer Nachfrist zum Ablauf des Jahres 2015; dies belegten sie bei Anhörungen gegenüber dem Antragsgegner.
- 4
Gegenüber dem unter dem 29. Januar 2015 ebenfalls angehörten Antragsteller erließ der Antragsgegner sodann die angegriffene Ordnungsverfügung vom 28. Mai 2015, mit der er ihm „ab dem Tage der Zustellung der Verfügung die Untervermietung oder Zurverfügungstellung der [genannten] Wohnung zum Zwecke der Ausführung der Prostitution“ untersagte (Tenorpunkt I.), die sofortige Vollziehung dieser Untersagung anordnete (II.) und dem Antragsteller ein Zwangsgeld von 5.000 € für den Fall androhte, „dass er die Untervermietung oder Zurverfügungstellung der Wohnung zum Zwecke der Prostitution nicht innerhalb der in Ziffer 1 d[…]es Bescheides festgesetzten Frist einstelle[…]“ (III.). Die Ordnungsverfügung war auf § 13 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes – SOG M-V – und § 1 ProstVerbV M-V gestützt, die Zwangsgeldandrohung auf §§ 86 und 88 SOG M-V; die sofortige Vollziehung wurde gesondert begründet. Hierauf und auf die weiteren Bescheidsgründe, insbesondere zur Störerauswahl, wird Bezug genommen.
- 5
Der Antragsteller ließ gegen die Ordnungsverfügung, die ihm am 1. Juni 2015 zugestellt worden war, am 11. Juni 2015 Widerspruch einlegen; hierüber ist noch nicht entschieden.
- 6
Die Kriminalpolizei setzte nachfolgend den Antragsgegner davon in Kenntnis, dass am 20. Juli 2015 in der genannten Wohnung eine Prostituierte, die wegen verbotener Ausübung der Prostitution auch schon vor Gericht gestanden hatte, zum dritten Mal seit 2014 in einer Gemeinde im Sinne von § 1 ProstVerbV M-V bei der Ausübung ihres Gewerbes angetroffen wurde; sie habe ausgesagt, der Antragsteller habe ihr mitgeteilt, dass die Prostitution in der Wohnung zulässig sei.
- 7
Hierauf erließ der Antragsgegner am 22. Juli 2015 gegen den Antragsteller einen Leistungsbescheid mit einer Zwangsgeldfestsetzung in Höhe von 5.000 €, in dem er auch Verwaltungskosten von 23,45 € erhob.
- 8
Der Antragsteller legte hiergegen am 18. August 2015 anwaltlich Widerspruch ein; hierüber ist ebenfalls noch nicht entschieden. Ferner beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung des Leistungsbescheids.
- 9
Mit Schreiben vom 20. August 2015 setzte der Antragsgegner die Vollziehung aus.
- 10
Am 2. September 2015 hat der Antragsteller sich wegen einstweiligen Rechtsschutzes an das Gericht gewandt. Er bestreitet die Wirksamkeit der ProstVerbV M-V und deren rechtmäßige Anwendung im vorliegenden Fall und beantragt schriftsätzlich,
- 11
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung vom 28. Mai 2015 wiederherzustellen
- 12
und
- 13
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Zwangsmittelfestsetzung vom 23. Juli 2015 anzuordnen.
- 14
Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,
- 15
den Antrag abzulehnen,
- 16
und verteidigt seine Bescheide.
- 17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgänge (eine Heftung) Bezug genommen.
II.
- 18
Die Eilanträge haben keinen Erfolg.
- 19
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – gegen die Grundverfügung vom 28. Mai 2015 ist zulässig, aber unbegründet und daher abzulehnen.
- 20
Denn es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung; unter diesen Umständen gewichtet die Kammer das vom Antragsgegner mit der Verfügung verfolgte und dort im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend begründete öffentliche Interesse höher als das Individualinteresse des Antragstellers, bis zu einer endgültigen Entscheidung über seinen — erkennbar nicht erfolgsträchtigen — Widerspruch weiter seine untersagte gewerbliche Betätigung fortsetzen zu dürfen.
- 21
Der Antragsgegner ist als untere allgemeine Ordnungsbehörde — anders als hinsichtlich der der Bauaufsicht vorbehaltenen Bekämpfung unerlaubter Nutzungsänderungen von Wohnraum — für die Gefahrenabwehr im Zusammenhang mit Verstößen gegen die ProstVerbV M-V zuständig. Gegen die Gestaltung des ordnungsbehördlichen Verwaltungsverfahrens ist nichts zu erinnern. Zutreffend qualifizierte der Antragsgegner die beharrlichen Verstöße gegen die ProstVerbV M-V als eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne der polizeilichen Generalklausel des § 13 SOG M-V, die ihn zur Konkretisierung des in § 1 ProstVerbV M-V normierten Unterlassensgebots durch eine Ordnungsverfügung im Sinne von § 16 SOG M-V gegenüber dem Antragsteller ermächtigt.
- 22
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist nämlich von der Wirksamkeit des Verbots gemäß § 1 ProstVerbV M-V auszugehen. Mit der landesweit geltenden Vorschrift wurde „zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes […] für das gesamte Gebiet von Gemeinden bis zu 15.000 Einwohnern verboten, der Prostitution nachzugehen“.
- 23
Mit § 1 ProstVerbV M-V nahm die seinerzeitige Landesregierung die Ermächtigung in Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch – EGStGB – wahr, wonach die Landesregierung zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes für das ganze Gebiet einer Gemeinde bis zu fünfzigtausend Einwohnern durch Rechtsverordnung verbieten kann, der Prostitution nachzugehen. Sie tat dies teilweise, nämlich nur hinsichtlich Gemeinden mit bis zu 15.000 Einwohnern, und insoweit „gebündelt“ hinsichtlich aller betroffenen Gemeinden einer solchen Einwohnerzahl; auch diese Verfahrensweise ist durch die Ermächtigungsgrundlage gedeckt, deren Ausnutzung trotz ihrer Formulierung im Singular nicht den Erlass Dutzender oder gar hunderter Einzel-Verordnungen der Landesregierung mit je nur einer betroffenen Gemeinde erfordert(e) (vgl. auch die entsprechende Verordnungsgebungspraxis etwa in § 1 Satz 1 der bayerischen Verordnung über das Verbot der Prostitution vom 26. Mai 1975 [GVBl. S. 80] in der Fassung der Verordnung vom 14. März 1989 [GVBl. S. 91] — Gemeinden bis zu 30.000 Einwohnern —, in § 1 der baden-württembergischen Verordnung der Landesregierung über das Verbot der Prostitution vom 3. März 1976 [GBl. S. 290] — Gemeinden bis zu 35.000 Einwohnern —, in § 1 der saarländischen Verordnung über das Verbot der Prostitution vom 25. Oktober 1982 [Amtsbl. S. 819] — Gemeinden bis zu 35.000 Einwohnern —, in § 1 Abs. 1 der Verordnung der Sächsischen Landesregierung über das Verbot der Prostitution vom 10. September 1991 [SächsGVBl. S. 351] — Gemeinden bis zu 50.000 Einwohnern — und in § 1 Satz 1 der Thüringer Verordnung über das Verbot der Prostitution vom 24. April 1992 [GVBl. S. 157] — Gemeinden bis zu 30.000 Einwohnern).
- 24
Die Möglichkeit des Prostitutionsverbotes gemäß Art. 297 Abs. 1 EGStGB dient dazu, „empfindlichen“ örtlichen Sozialstrukturen Schutz vor den von der Prostitution ausgehenden Gefahren für den öffentlichen Anstand und die Jugend, etwa im Rahmen des Anbahnungsgeschehens oder durch das Verhalten von „Freiern“, zu bieten. Der Verordnungsgeber hat sein Ermessen bei einer auf die Bekämpfung typischer Gefahrenlagen abzielenden Betrachtungsweise auszuüben. Dabei kommt es allerdings nicht auf Anzeichen einer konkreten Gefährdungslage an; Voraussetzung zum Erlass der Verordnung ist lediglich das Bestehen einer abstrakten Gefährdung für die zu schützenden Rechtsgüter. Für die Gültigkeit der Verordnung genügt es, dass ein Bezug auf die gesetzliche Zweckbestimmung vorliegt und dass die Norm geeignet erscheint, dem mit der Ermächtigung verfolgten Zweck zu dienen (vgl. die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 16. November 1982 – Vf. 26-VII-80, Vf. 27-VII-80, Vf. 13-VII-81, Vf. 16-VII-81, Vf. 17-VII-81, Vf. 18-VII-81 –, amtliche Entscheidungssammlung VerfGH Bd. 35, S. 137 [141]). In zulässiger Weise typisierend bejahte der Verordnungsgeber einen solchen Handlungsbedarf allgemein für Gemeinden mit bis zu 15.000 Einwohnern. Wegen der Art und Überschaubarkeit der Sozialstruktur wäre dort Prostitution — im Vergleich zur Anonymität größerer Städte — jeweils verstärkt wahrnehmbar. Auch der Bundesgesetzgeber würdigte die besondere Sozialstruktur kleinerer und mittelgroßer Gemeinden, wie sich aus der Regelung in Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGStGB ergibt, wonach die Einrichtung von Sperrbezirken, die sich auf Teile des Gemeindegebietes beschränken, überhaupt erst bei Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern möglich ist. Bei kleineren Gemeinden käme ein örtlich noch weiterhin beschränktes Prostitutionsverbot regelmäßig mit dem gesetzlichen Kasernierungsverbot des Art. 297 Abs. 3 EGStGB in Konflikt.
- 25
Auch die nach Verordnungserlass erfolgte zivil- und sozialversicherungsrechtliche Anerkennung der Prostitution durch das Prostitutionsgesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) führte nicht zur Relativierung der Bedeutung von Jugendschutz und Schutz des öffentlichen Anstands. Das Bundesverwaltungsgericht – BVerwG – stellte in seinem Urteil vom 17. Dezember 2014 – 6 C 28.13 – (Gewerbearchiv 2015, S. 258) zu Sperrgebietsverordnungen nach Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGStGB klar, dass auch nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes ein Tätigwerden des Verordnungsgebers nicht voraussetzt, dass die Ausübung der Prostitution eine Belästigung der Öffentlichkeit oder Gefährdung Jugendlicher in konkreten Einzelfällen hervorruft; vielmehr genügt für den Erlass einer Verbotsverordnung die prognostische Beeinträchtigung für Gebiete mit einer besonderen Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, also z. B. solche mit hohem Wohnanteil sowie mit Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen; in diesen Gebieten begründet die Ausübung der Prostitution die abstrakte Gefahr von typischerweise mit der Prostitutionsausübung eingehenden Beeinträchtigungen und „milieubedingter Unruhe“. Bei kleineren Wohngemeinden und damit im Anwendungsbereich von Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGStGB liegt diese Prognose auf der Hand.
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Die an die Einwohnerzahl der Gemeinden anknüpfende Regelung des Geltungsbereichs von § 1 ProstVerbV M-V erscheint bei summarischer Betrachtung ebenfalls bedenkenfrei. Für die Anwendung des Verbots ergibt sich zwar bei wörtlicher Betrachtung ein möglicherweise zeitlich variierender Geltungsbereich der Verordnungsregelung, je nachdem, ob infolge Bevölkerungszu- oder -abnahme in einzelnen Gemeinden die Schwelle von 15.000 Einwohnern über- oder unterschritten wird. Dann „schrumpften“ sich etwa seit 1991/1992 laut den verfügbaren statistischen Berichten die Städte Pasewalk, Demmin, Wolgast, Anklam und Bergen auf Rügen in den Geltungsbereich von § 1 ProstVerbV M-V „hinein“; es wäre aber auch denkbar, dass einige hiervon oder weitere Gemeinden etwa durch den gebündelten Zuzug von Flüchtlingen oder auch bei kommunalen Neugliederungen auf Gemeindeebene stark anwüchsen und damit den Geltungsbereich des Verbots künftig verließen. Bedenklich wäre eine solche Regelung vielleicht, weil es dem Normunterworfenen bisweilen nicht ohne eingehendere Erkundigungen möglich wäre, zu ermitteln, ob er sich in einer Gemeinde mit Prostitutionsverbot befindet oder nicht — wenn auch etwa demjenigen, der die für die Anlage einer „Modelwohnung“ notwendigen, nicht ganz unerheblichen Investitionen tätigt, die vorherige Einholung solcher Erkundigungen grundsätzlich zuzumuten sein dürfte. Besonders bei einer ständigen Bevölkerungsfluktuation um den Schwellenwert von 15.000 Einwohnern herum könnten die Schwierigkeiten allerdings groß sein. Jedoch bietet sich alternativ eine Lesart von § 1 ProstVerbV an, die das letztgenannte Problem vermeidet, indem man nämlich das mit der Verordnung Mitte 1992 ausgesprochene Verbot als auf die seinerzeit der Regelung unterfallenden Gemeinden beschränkt ansieht.
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Die genaue Gesamtbedeutung der verordnungsrechtlichen 15.000-Einwohner-Schwelle braucht jedoch vorliegend nicht geklärt zu werden, denn das in § 1 ProstVerbV M-V ausgesprochene Verbot gilt jedenfalls auch für das Gebiet der Stadt C-Stadt und damit für die dort belegene Wohnung in der D-Straße n. Abzustellen ist bei der Betrachtung des zu schützenden Sozialgefüges auf die (auch bei Volkszählungen festzustellende) Zahl der Einwohner mit alleinigem Wohnsitz oder Hauptwohnsitz (vgl. das Urteil des BVerwG vom 20. November 2003 – 4 C 6.02 –, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2004, S. 743 f.). Es braucht daher nicht ermittelt zu werden, ob, wie der Antragsteller geltend macht, mindestens temporär die Schwelle von 15.000 in der Stadt C-Stadt aufhältigen Personen überschritten wird; denn die Bevölkerungszahl der Stadt lag durchweg deutlich darunter (Ende 1991: 7.286 Personen, Ende 2014: 6.581 Personen; auch der leichte Bevölkerungsanstieg im Jahr 2014 stellt diese Feststellung nicht in Frage).
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Auf die vom Antragsteller diskutierte Frage, in welcher konkreten Entfernung vorliegend z. B. soziale Einrichtungen oder Schulen jeweils zum im Streit stehenden Etablissement stehen, kommt es damit nicht an. Im Übrigen ist er der Darlegung nicht entgegengetreten, dass die „E.“ (Schuleinrichtung der Fa. E. GmbH in der D-Straße m) und der F.-Kindergarten recht nahe beim streitgegenständlichen Objekt liegen (letzterer laut Antragsteller allerdings in vierminütiger Entfernung). Die konkrete Situation in der Gemeinde Stadt C-Stadt, bei der es sich im Wesentlichen um einen kleinen, dem Wohnen dienenden Ort mit Gewerbeflächen am Ortsrand und zur nahen Autobahn hin handelt, deutet auch insofern nicht auf atypische Umstände für eine Gefahrenbeurteilung hin. Der vom Antragsteller geltend gemachten „Harmlosigkeit“ und „Unverfänglichkeit“ des Treibens in der offenbar am Klingelschild mit „Pussy Doll“ gekennzeichneten, von unterschiedlichen Bewohnerinnen kurzfristig genutzten Wohnung mag man zudem konkret entgegenhalten, dass die Eingabe der Anschrift in eine gebräuchliche „Internet-Suchmaschine“ eine Vielzahl von für das Gewerbe der Untermieterinnen des Antragstellers einschlägigen Angeboten zutage fördert, u. a. auf einem für den Personenkreis der „Freier“ bezeichnenden Situs „www.ausfahrt-girls.com“.
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Die Ordnungsverfügung genügt auch einzelfallbezogen den Geboten der Verhältnismäßigkeit und der gleichmäßigen Rechtsanwendung. Die Kriminalpolizei und der Antragsgegner gingen gegenüber allen mit dem Rechtsverstoß der Ausübung der Prostitution in Verbindung zu bringenden Verantwortlichen vor. Ein Vorrang, dass Ordnungsverfügungen zur Unterbindung von bereits ausgeübten rechtswidrigen Nutzungen einer Wohnung an den nutzenden Mieter als „Verhaltensstörer“ zu richten seien, ist jedenfalls in den Konstellationen zu verneinen, bei denen die die Wohnung jeweils konkret nutzenden Mieter, namentlich hier die Prostituierten, häufig wechseln (vgl. den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Februar 2007 – 1 ZB 06.2296 –, juris Rdnr. 22 m. w. Nachw.); so liegt es angesichts der von den Prostituierten angegebenen kurzen Mietzeiten auch hier. Im Übrigen wurden jene, wie gesagt, auch polizeilich in Anspruch genommen, ebenso wie die Hauseigentümer. Die ordnungsrechtliche Verantwortung liegt sogar vorrangig bei dem jeweils aktiven (Unter-)Vermieter, wenn er, wie vorliegend ausweislich seiner Antragsschrift der Antragsteller, die Verantwortlichkeit für den Betrieb mit wechselnden, wohl auch nicht ohne sein Zutun ausgewählten Mieterinnen übernimmt und damit die Unterbindung des Betriebes nachhaltig am ehesten durch ihn erfolgen kann. Die Verfügung ist auch verhältnismäßig. Allein der Umstand, dass offenbar seit geraumer Zeit die streitgegenständliche Wohnung für Prostitutionszwecke genutzt wurde und dieses Wissen beim Antragsgegner evtl. vorhanden war oder hätte sein können, vermag nicht die Rechtswidrigkeit des ordnungsbehördlichen Einschreitens zu begründen; Anhaltspunkte für eine bewusste Duldung sind nicht ersichtlich. Der Antragsteller widerspricht sich bei seinem eine solche behauptenden Vorbringen übrigens selbst, wenn er ansonsten die angebliche Unauffälligkeit seiner Gewerbeausübung betont. Den beigezogenen Verwaltungsvorgängen ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass der Antragsgegner auf andere Weise als durch den Einsatzbericht der Kriminalpolizei von der verbotenen Prostitutionsausübung erfahren hätte, der er dann auch zügig entgegenwirkte.
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Der weitere Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Leistungsbescheid mit der Festsetzung des Zwangsgelds und von Verwaltungsgebühren und Auslagen ist bereits unzulässig. Antragsgemäß setzte nämlich der Antragsgegner dessen Vollziehbarkeit bereits vor Befassung des Gerichts mit Schreiben vom 20. August 2015 „bis zur Entscheidung des Landkreises bzw. bis zum Gerichtsentscheid“ aus. Es besteht daher gegenwärtig kein anerkennenswertes Interesse an Rechtsschutz in Gestalt der vom anwaltlich vertretenen Antragsteller begehrten Anordnung gleichen Inhalts.
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Die Kostenentscheidung zu Lasten des unterlegenen Antragstellers ergeht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.
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Der Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren liegen § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 und 7 in Verbindung mit § 53 Abs. 2 Nr. 2 sowie § 39 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – zugrunde. Die Kammer geht für die Grundverfügung von dem „Auffangstreitwert“ gemäß § 52 Abs. 2 GKG aus und halbiert diesen wegen der Vorläufigkeit der erstrebten Eilentscheidung; bei Anwendung des „Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit“ von 2013 wirkt sich die Zwangsgeldandrohung nicht streitwerterhöhend aus. Ebenfalls in Anwendung dieses „Streitwertkatalogs“ setzt die Kammer den Betrag des festgesetzten Zwangsgelds und der festgesetzten Verwaltungskosten zu einem Viertel an.
(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.
(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
(5) u. (6) (weggefallen)
(1) §§ 88, 108 Abs. 1 Satz 1, §§ 118, 119 und 120 gelten entsprechend für Beschlüsse.
(2) Beschlüsse sind zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über einen Rechtsbehelf entscheiden. Beschlüsse über die Aussetzung der Vollziehung (§§ 80, 80a) und über einstweilige Anordnungen (§ 123) sowie Beschlüsse nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 161 Abs. 2) sind stets zu begründen. Beschlüsse, die über ein Rechtsmittel entscheiden, bedürfen keiner weiteren Begründung, soweit das Gericht das Rechtsmittel aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.
(1) Die Landesregierung kann zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes
- 1.
für das ganze Gebiet einer Gemeinde bis zu fünfzigtausend Einwohnern, - 2.
für Teile des Gebiets einer Gemeinde über zwanzigtausend Einwohner oder eines gemeindefreien Gebiets, - 3.
unabhängig von der Zahl der Einwohner für öffentliche Straßen, Wege, Plätze, Anlagen und für sonstige Orte, die von dort aus eingesehen werden können, im ganzen Gebiet oder in Teilen des Gebiets einer Gemeinde oder eines gemeindefreien Gebiets
(2) Die Landesregierung kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf eine oberste Landesbehörde oder andere Behörden übertragen.
(3) Wohnungsbeschränkungen auf bestimmte Straßen oder Häuserblocks zum Zwecke der Ausübung der Prostitution (Kasernierungen) sind verboten.
(1) Durch Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden. Die Rechtsgrundlage ist in der Verordnung anzugeben. Ist durch Gesetz vorgesehen, daß eine Ermächtigung weiter übertragen werden kann, so bedarf es zur Übertragung der Ermächtigung einer Rechtsverordnung.
(2) Der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, vorbehaltlich anderweitiger bundesgesetzlicher Regelung, Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder eines Bundesministers über Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Einrichtungen des Postwesens und der Telekommunikation, über die Grundsätze der Erhebung des Entgelts für die Benutzung der Einrichtungen der Eisenbahnen des Bundes, über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen, sowie Rechtsverordnungen auf Grund von Bundesgesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen oder die von den Ländern im Auftrage des Bundes oder als eigene Angelegenheit ausgeführt werden.
(3) Der Bundesrat kann der Bundesregierung Vorlagen für den Erlaß von Rechtsverordnungen zuleiten, die seiner Zustimmung bedürfen.
(4) Soweit durch Bundesgesetz oder auf Grund von Bundesgesetzen Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, sind die Länder zu einer Regelung auch durch Gesetz befugt.
Tenor
Das auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2013 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen wird geändert, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Unter Einbeziehung des unanfechtbar gewordenen Teils der Kostenentscheidung des Urteils erster Instanz wird die Kostenentscheidung wie folgt neu gefasst:
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin in Dortmund der Straßenprostitution nachgehen darf. Bis zur Schließung des Dortmunder Straßenstrichs im Mai 2011 war die Klägerin auf diesem als Prostituierte tätig.
3Gemäß § 1 der Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes im Bereich der Stadt Dortmund vom 17. Dezember 1974 (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg, S. 494) in der Fassung der Rechtsverordnung zur Änderung der Rechtsverordnung zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes im Bereich der Stadt Dortmund (Sperrbezirksverordnung) vom 17. Oktober 1985 (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg, S. 365) ist in einem im Einzelnen beschriebenen innerstädtischen Bereich, der auch den Fredenbaumpark und den Westfalenpark umfasst, die Ausübung der Prostitution in allen Erscheinungsformen verboten. Ausgenommen von dem Verbot ist die Linienstraße mit dem Eckhaus Steinstraße 17.
4In den Wohngebieten der Dortmunder Nordstadt gehörte – trotz deren Zugehörigkeit zum Sperrbezirk – Straßenprostitution seit Jahrzehnten zum Straßenbild. Vermutlich im Zuge verstärkter ordnungsbehördlicher und polizeilicher Kontrollen verlagerte sich ab dem Jahr 2000 der überwiegende Teil der Straßenprostitution in den seinerzeit schon für diesen Zweck genutzten, außerhalb des damaligen Sperrbezirks liegenden Bereich der Ravensberger Straße mit den Zufahrtstraßen Mindener Straße und Juliusstraße. Im Jahr 2006 wurde (anlässlich der Fußballweltmeisterschaft) der Straßenstrich an der Ravensberger Straße in Umsetzung des sog. „Dortmunder Modells“ insbesondere durch Aufstellen von „Verrichtungsboxen“ auf einer von der Stadt angemieteten östlich an die Ravensberger Straße angrenzenden 3.580 m2 großen Fläche ausgebaut. Ziel des „Dortmunder Modells“ war es, bessere Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten auf die Straßenprostitution zu schaffen, die umliegende Wohnbebauung vor einer Ausweitung der Straßenprostitution zu schützen, die Sicherheit der Prostituierten zu erhöhen und einen verbesserten Gesundheitsschutz zu erreichen. Die vom G. e.V. betriebene Kommunikations- und Beratungsstelle für Prostituierte – L. –, die im Frühjahr 2001 einen „Beratungscontainer“ an der Ravensberger Straße eingerichtet hatte, betreute nach eigenen Angaben im Jahr 2006 ca. 60 auf dem Straßenstrich tätige Prostituierte.
5Mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union am 1. Januar 2007 begann eine deutlich ansteigende Zuwanderung von Menschen aus diesen Ländern in die Dortmunder Nordstadt, in der günstiger Wohnraum in teils stark baufälligen Häusern, für die sich unter anderem die Bezeichnung „Problemhäuser“ einbürgerte, zur Verfügung stand. Die Beklagte zu 2. – die Stadt Dortmund – stellte im Lauf des Jahres 2007 einen extremen Zuwachs von Prostituierten auf dem Dortmunder Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße fest. Die Beratungsstelle L. berichtete für das Jahr 2007 von insgesamt ca. 500 betreuten Prostituierten. Nach vorsichtigen Schätzungen der Beklagten zu 2. stieg die Zahl bis zur Schließung des Straßenstrichs im Mai 2011 weiter auf ca. 700 Prostituierte an. Nach Angaben der Beratungsstelle L. gab es im Sommer 2010 Tage, an denen innerhalb weniger Stunden bis zu 120 Prostituierte gleichzeitig auf dem Straßenstrich tätig waren. Im Zeitraum von Dezember 2010 bis Februar 2011, d. h. selbst in der Winterzeit, wurden von der Beklagten zu 2. im Zusammenhang mit der Erhebung der sog. „Sexsteuer“ täglich durchschnittlich 70 Prostituierte auf dem Straßenstrich gezählt. Laut Informationen des Polizeipräsidiums Dortmund waren ca. 80 Prozent der auf dem Dortmunder Straßenstrich tätigen Prostituierten bulgarische Staatsangehörige. Bei diesen handelte es sich wiederum in der Mehrzahl um Angehörige der Volksgruppe der Roma, die aus der Stadt Q. stammten. Der – schon zuvor bei Freiern bekannte und beliebte – Dortmunder Straßenstrich entwickelte sich in der Folge verstärkt zu einem überregionalen Anziehungspunkt für Freier aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet und den umliegenden ländlichen Regionen. Eine Vielzahl von Kunden kam aus dem Märkischen Kreis, den Kreisen Soest und Unna sowie den Städten Hagen und Hamm.
6Im Zuge des Anwachsens des Straßenstrichs kam es in zunehmendem Ausmaß zu Beschwerden von Bewohnern der angrenzenden Wohngebiete der Nordstadt, Lehrern und Schülern sowie den Eltern der Schüler von Schulen in der Nordstadt und von in der Nähe des Straßenstrichs ansässigen Gewerbetreibenden über eine tägliche Konfrontation mit der Straßenprostitution und deren Begleiterscheinungen. Im Dezember 2009 demonstrierten nach Angaben der Beklagten zu 2. über 2.500 Menschen in Dortmund gegen Prostitution und den begleitenden Drogenhandel sowie eine – auch nach polizeilichen Angaben seit 2007 stark – ansteigende Kriminalität in der Nordstadt. Im Rahmen einer Unterschriftenaktion sprachen sich zuletzt über 5.000 Menschen für eine Schließung des Straßenstrichs aus.
7Als Ergebnis einer seit längerer Zeit geführten politischen Diskussion fasste der Rat der Beklagten zu 2. am 31. März 2011 den Beschluss, bei der Bezirksregierung Arnsberg als zuständiger Landesbehörde – Beklagter zu 1. ist das Land Nordrhein-Westfalen – eine Änderung der Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes im Bereich der Stadt Dortmund vom 17. Dezember 1974, zuletzt geändert durch Rechtsverordnung vom 17. Oktober 1985, dahingehend zu beantragen, dass zusätzlich zum bestehenden Sperrbezirk die Straßenprostitution im gesamten Dortmunder Stadtgebiet mit Ausnahme der Linienstraße verboten wird. Ein entsprechender Antrag wurde mit Schreiben des Oberbürgermeisters der Beklagten zu 2. vom 31. März 2011 bei der Bezirksregierung Arnsberg eingereicht.
8Diese erließ daraufhin auf der Grundlage von Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 EGStGB die Rechtsverordnung zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands im Bereich der Stadt Dortmund (Sperrbezirksverordnung) vom 2. Mai 2011 (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg, S. 201). Nach deren § 1 wird für das gesamte Stadtgebiet der Stadt Dortmund mit Ausnahme der Linienstraße verboten, auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen, in öffentlichen Anlagen sowie an sonstigen Orten, die von dort aus eingesehen werden können, der Prostitution (Straßenprostitution) nachzugehen. Nach § 3 Satz 2 der Rechtsverordnung bleiben die bisherigen Regelungen der Rechtsverordnung zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes im Bereich der Stadt Dortmund vom 17. Dezember 1974, geändert durch die Rechtsverordnung vom 17. Oktober 1985, unberührt.
9In dem Prüf- und Abwägungsvermerk der Bezirksregierung Arnsberg vom 19. April 2011 zur Begründung der Erweiterung der Sperrbezirksregelungen wird auf die vorstehend geschilderte Entwicklung des Dortmunder Straßenstrichs Bezug genommen und im Weiteren unter anderem ausgeführt:
10Eine Delegation der Beklagten zu 2. unter Beteiligung der Mitarbeiter des Ordnungsamts habe sich im Rahmen einer Reise in die Stadt Q. vor einigen Wochen ein Bild von den dortigen Lebensverhältnissen der Roma machen können. Die Wohnverhältnisse und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seien so schlecht, dass es sich für die Frauen als Verbesserung ihrer Situation darstelle, ihren Lebensunterhalt durch Prostitution auf dem Dortmunder Straßenstrich zu sichern und in den in der Presse hinlänglich beschriebenen sog. „Problemhäusern“ der Dortmunder Nordstadt zu wohnen. In der Stadt Q. lebten zurzeit 45.000 bis 50.000 Roma allein im Stadtteil T. Der dortige Polizeichef habe erklärt, dass nur eine verschwindend geringe Zahl der dort lebenden Roma einer legalen Beschäftigung nachgehe, der weit überwiegende Teil aber von Prostitution, Diebstahl/Raub, Hehlerei und Drogenhandel (in der Regel verbunden mit Konsum) lebe. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse könne davon ausgegangen werden, dass der Zustrom von Frauen aus der Stadt Q. auf den Dortmunder Straßenstrich anhalten und im Frühjahr mit zunehmend warmer Witterung sogar deutlich ansteigen werde. Dieser Zustrom sei wegen der besonderen Verflechtung des Straßenstrichs an der Ravensberger Straße und der Wohnungsmöglichkeiten in der Nordstadt sowie des bereits vorhandenen Netzwerkes der sich dort aufhaltenden Zuwanderer realistisch. Die über eine direkte Busverbindung aus der Stadt Q. nach Dortmund einreisenden Roma-Frauen seien durchgehend nicht alphabetisiert und würden in Ermangelung anderer Erwerbsquellen ohne jeden Zweifel ebenfalls versuchen, ihren Lebensunterhalt durch Straßenprostitution zu sichern. Trotz ordnungsrechtlicher Maßnahmen sei es der Beklagten zu 2. in der Vergangenheit nicht gelungen, das „Ausfransen“ des Straßenstrichs auf den Einzelhandel beiderseits der Bornstraße und in die Wohngebiete der Nordstadt hinein zu unterbinden. Zusätzlich sei eine gesteigerte Begleitkriminalität zu verzeichnen gewesen. Die rund 35.000 Personenkontrollen der Polizei in 2010 hätten keine positiven Effekte gezeigt. Ein Großteil der Prostituierten sei in den Unterbezirken M.-Straße und C.-Straße wohnhaft und steuere von dort fußläufig und in „Arbeitskleidung“ den Straßenstrich an. Anbahnungskontakte fänden bereits auf dem Weg von den Wohnbezirken der Nordstadt zur Ravensberger Straße unter den Augen von auf der Straße spielenden Kindern statt. Dies habe unter anderem dazu geführt, dass Kinder und Jugendliche gegenüber Medienvertretern sehr konkret Auskunft über die Verhandlungen zwischen den Prostituierten und Freiern über Preise hätten geben können.
11Ein Verbot der Straßenprostitution im gesamten Dortmunder Stadtgebiet sei zur Abwendung abstrakter Gefahren für die Jugend notwendig. Die Schließung nur des Straßenstrichs an der Ravensberger Straße würde nach Einschätzung aller Beteiligten zu einer Verlagerung führen. Die vergleichsweise hohe Zahl der in Dortmund im Jahresverlauf tätigen Straßenprostituierten – aktuell 700 mit ständig steigender Tendenz – lasse in Verbindung mit der bereits geschilderten besonderen Situation der Roma sowie ihren eingeschränkten Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Schluss zu, dass Prostituierte auf andere Stadtteile ausweichen werden. Innerhalb des Stadtgebietes gebe es auch nach Einschätzung der Polizei keine alternativen bzw. geeigneten Flächen für einen Straßenstrich, da die jeweilige Nähe zur Wohnbebauung, einschließlich der flächendeckend angesiedelten Kindergärten, Schulen, Jugendeinrichtungen und sonstigen Einrichtungen, die maßgeblich von Kindern und Jugendlichen genutzt würden, eine erhebliche weitere Beeinträchtigung dieses besonders zu schützenden Personenkreises erwarten lasse. Ferner bestehe fast die Hälfte des Stadtgebietes aus Grün- und Parkanlagen, die von Familien mit Kindern und Jugendlichen als Naherholungsraum genutzt würden. Dies sei anhand der zum Vorgang genommenen Karte des Dortmunder Stadtgebiets überprüft worden. Die Karte verdeutliche, dass Dortmund nicht über öffentliche Straßen, Wege, Plätze oder Anlagen verfüge, an denen Straßenprostitution ausgeübt werden könne, ohne dass Kinder und Jugendliche dadurch nachteilig beeinflusst würden. Darin erfasst seien Wohngebiete, Einzelhandelsbereiche und Marktflächen, Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen, Ausbildungszentren und Bildungseinrichtungen, Einrichtungen und Haltepunkte des öffentlichen Personennahverkehrs, öffentliche Einrichtungen des Gesundheitswesens, religiöse Einrichtungen, Kultureinrichtungen, Sportstätten, Freizeiteinrichtungen sowie Grünflächen und Parkanlagen. Dabei werde nicht verkannt, dass über das Stadtgebiet verteilt auch zahlreiche Gewerbegebiete vorhanden seien. An diese schlössen sich aber – wie der Karte zu entnehmen sei – jeweils unmittelbar wieder Wohngebiete/Stadtteile (Aplerbeck, Brackel, Scharnhorst, Eving, Dorstfeld, Marten, etc.) sowie die oben bereits angeführten Erholungs-/ Grünflächen und Freizeitgebiete an. Strukturell bestehe die Stadt nicht aus einem zentralen Stadtgebiet mit eindeutigen Randzonen, sondern sei durch einen durchgehenden Wechsel von Gebietsstrukturen gekennzeichnet.
12Bei einer Schließung des Straßenstrichs allein an der Ravensberger Straße bestehe im gesamten Stadtgebiet gleichfalls eine abstrakte Gefahr für das Schutzgut „öffentlicher Anstand“. Das Ziel des Art. 297 EGStGB, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen, soweit ihr Verhalten sozialrelevant sei, nach außen in Erscheinung trete und das Allgemeinwohl beeinträchtigen könne, lasse sich in Anbetracht des Verhaltens der (osteuropäischen) Prostituierten, das sich eben nicht als sozialverträglich darstelle, nicht gewährleisten. Angesichts der massiven Zunahme der Straßenprostitution innerhalb weniger Jahre und einem prognostisch anzunehmenden Fortschreiten dieser Entwicklung sei eine nicht vertretbare Überfrachtung selbst einer Großstadt wie Dortmund mit öffentlich wahrnehmbaren Anbahnungs- und Verrichtungshandlungen zu befürchten. Unbeteiligte, insbesondere Kinder- und Jugendliche, aber auch Erwachsene, würden in großem Umfang ungewollt mit den negativen Auswüchsen der Straßenprostitution konfrontiert werden. Hierzu gehörten neben „milieubedingter Unruhe“ vor allem das aufdringliche Werben von Freiern, die Kontaktaufnahme von Freiern und Prostituierten im Wohn- und Lebensumfeld der Menschen sowie anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen.
13Die Sperrbezirksverordnung sei verhältnismäßig. Insbesondere sei die gewählte „große“ Lösung, ein Verbot der Straßenprostitution im gesamten Stadtgebiet, erforderlich. Es hätte nicht eine „mittlere“ Lösung, d. h. eine sehr deutliche Erweiterung des Sperrbezirks in Dortmund mit der Schaffung möglichst geringfügiger Toleranzzonen, umgesetzt werden müssen. Eine solche bewirke lediglich eine Unterbrechung der derzeit für die Prostituierten günstigen Verflechtung zwischen Straßenstrich und Wohnbereichen und würde die Notwendigkeit von Nachbesserungen nach sich ziehen. Die Erweiterung der Sperrbezirksverordnung beinhalte zudem nur ein Verbot des Straßenstrichs. Eine Verpflichtung zur Ausweisung von Toleranzzonen – über die Linienstraße hinaus – oder zur Fortführung des sog. „Dortmunder Modells“ bestehe nicht. Das Projekt habe sich aufgrund geänderter Sachlage nicht mehr als tragfähig erwiesen. Schlechte hygienische Verhältnisse mit steigenden Zahlen von ernst zu nehmenden Geschlechtskrankheiten, wie sie an der Ravensberger Straße vorzufinden seien, und der fehlende Integrationswille der vornehmlich bulgarischen Prostituierten böten keinen Raum mehr für die weitere Anwendung des „Dortmunder Modells“, das gerade die Integration von Prostituierten in ihrem sozialen Umfeld sowie deren Aufnahme in die Sozialsysteme vorsehe. Auch seien andere ordnungsbehördliche Maßnahmen ausgeschöpft. Eine Befristung oder zeitliche Begrenzung komme aufgrund der besonderen Situation als milderes Mittel ebenfalls nicht in Betracht. Die „große“ Lösung sei auch im Übrigen verhältnismäßig. Die Abwägung ergebe, dass das Interesse am Jugendschutz und am Schutz des öffentlichen Anstands gegenüber dem Interesse der Prostituierten, ihren Beruf in Dortmund in Form der Straßenprostitution – Wohnungs- und Bordellprostitution blieben in weiten Bereichen zulässig – ausüben zu können, vorrangig sei.
14Die Sperrbezirksverordnung vom 2. Mai 2011 wurde am 7. Mai 2011 im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg verkündet (S. 201). Sie trat eine Woche später in Kraft. Der Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße wurde „geschlossen“. Die Verrichtungsboxen wurden am 16. Mai 2011 abgebaut. Der „Beratungscontainer“ der Beratungsstelle L. an der Ravensberger Straße wurde aufgegeben. Zur Durchsetzung des Verbots der Straßenprostitution finden seitdem – eingebettet in das Programm „Task Force Nordstadt“ – ordnungsbehördliche und polizeiliche Kontrollen insbesondere in der Dortmunder Nordstadt statt.
15Die Klägerin hat am 17. Mai 2013 Klage erhoben. Einen auf § 123 VwGO gestützten Eilantrag mit dem Hauptantrag vorläufig festzustellen, dass sie durch die Sperrbezirksverordnung vom 2. Mai 2011 nicht gehindert ist, (jedenfalls) im Bereich der Ravensberger Straße in Dortmund der Straßenprostitution nachzugehen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2011 – 16 L 529/11 – ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der erkennende Senat mit Beschluss vom 26. März 2012 – 5 B 892/11 – zurück.
16Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen: Die Klage sei als Feststellungsklage zulässig und auch begründet. Die Voraussetzungen des Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGStGB seien nicht gegeben. Danach könne die Straßenprostitution nur zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstands untersagt werden. Schon vom Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße seien Gefahren für die genannten Schutzgüter nicht ausgegangen. Die Schätzungen der Beklagten zur gestiegenen Anzahl der auf dem Straßenstrich tätigen Prostituierten seien nicht belegt. Ausgehend von den verkauften Steuertickets seit Dezember 2010 müsse von einer deutlich geringeren Anzahl von Straßenprostituierten ausgegangen werden. Eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität des Gebiets, in dem sich bisher der Straßenstrich befunden habe, bestehe nicht. Dieses sei abgetrennt von der umgebenden Wohnbebauung und Einzelhandelsinfrastruktur. Gerade deswegen sei die Straßenprostitution bisher in diesem Bereich zugelassen worden. Mit dem „Ausfransen“ der Straßenprostitution in benachbarte Wohngebiete der Nordstadt könne das Verbot der Straßenprostitution nicht begründet werden. Eine Gefahr für die Schutzgüter des Art. 297 EGStGB müsse im Gebiet des Straßenstrichs selbst drohen, nicht lediglich in angrenzenden Bereichen. Im Übrigen sei der Jugendschutz allein durch den Anblick von Prostituierten in „Arbeitskleidung“ nicht betroffen. Jugendliche kämen heute bereits durch die Medien, auch öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme, mit dem Thema Prostitution in Berührung. Gegen ein etwaiges „Ausfransen“ des Straßenstrichs in die angrenzenden Wohngebiete müsse die Beklagte zu 2. mit ordnungsbehördlichen Maßnahmen vorgehen. Dass dies nicht möglich gewesen sei, habe die Beklagte zu 2. nicht substantiiert dargelegt. Bei einem ähnlich konsequenten ordnungsbehördlichen und polizeilichen Vorgehen in der Dortmunder Nordstadt wie nach dem 16. Mai 2011 hätte es einer Ausdehnung des Sperrbezirks nicht bedurft. Diese führe zu einer erheblichen Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen. Am bisherigen Standort des Straßenstrichs habe es eine Betreuung der Prostituierten durch eine Beratungsstelle und die „Verrichtungsboxen“ gegeben, die den Frauen ein hohes Maß an Sicherheit geboten hätten. Im Rahmen der nun in Dortmund nur noch zulässigen Wohnungs- und Bordellprostitution seien die Prostituierten einer erhöhten Gefahr der Ausbeutung durch Dritte ausgesetzt. Selbst wenn die in Art. 297 EGStGB genannten Schutzgüter vorliegend den Erlass einer Sperrgebietsverordnung erforderten, könne das Verbot der Straßenprostitution auf die Tageszeiten beschränkt werden, in denen eine Gefahr der Beeinträchtigung von Jugendlichen und des öffentlichen Anstands tatsächlich bestünde. Es sei jedenfalls nicht gerechtfertigt, das Verbot der Straßenprostitution auf das gesamte Gebiet der Stadt Dortmund zu erstrecken. Die Stadt Dortmund gehöre mit einer Fläche von ca. 280 km2 zu den größten Deutschlands. Die Annahme, die Straßenprostitution sei nirgendwo im Stadtgebiet tolerabel, bedürfe schon daher einer besonderen Rechtfertigung. Die Beklagten hätten keinen Alternativstandort für einen Straßenstrich gesucht. Als solcher käme etwa ein Teilbereich der F.-Straße in Betracht.
17Die Klägerin hat zunächst beantragt,
18festzustellen, dass es ihr nicht untersagt ist, in der Ravensberger Straße in Dortmund der Straßenprostitution nachzugehen.
19Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
20festzustellen, dass es ihr nicht untersagt ist, in Dortmund der Straßenprostitution nachzugehen,
21hilfsweise festzustellen, dass sie durch die Rechtsverordnung zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands im Bereich der Stadt Dortmund (Sperrbezirksverordnung) vom 2. Mai 2011 nicht gehindert ist, im Bereich der F.-Straße zwischen dem Kreuzungsbereich L0 und der Einmündung der E.-Straße der Straßenprostitution nachzugehen.
22Die Beklagten haben jeweils beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Sie haben zur Begründung im Wesentlichen übereinstimmend vorgetragen: Die Klage sei als Feststellungsklage unzulässig. Die Klägerin begehre die Klärung abstrakter Rechtsfragen, nicht des Bestehens bzw. Nichtbestehens eines konkreten Rechtsverhältnisses. Die Klage sei überdies unbegründet, wie sich aus den Ausführungen der Bezirksregierung Arnsberg im Prüf- und Abwägungsvermerk vom 19. April 2011 ergebe. Die vom Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße ausgehenden Beeinträchtigungen für die Schutzgüter „Jugend“ und „öffentlicher Anstand“ seien massiv gewesen. Im Alltagsleben seien Kinder und Jugendliche mit der Straßenprostitution und ihren Begleiterscheinungen konfrontiert worden, ohne dass Möglichkeiten für die Eltern bestanden hätten, diese hiervor zu schützen. Die direkte reale Konfrontation mit der Rotlichtszene und der damit einhergehenden Begleitkriminalität habe deutlich gravierendere Auswirkungen auf die psychische Entwicklung und Entfaltung von Kindern und Jugendlichen als bloße filmisch in Szene gesetzte Fiktion. Die Schätzungen zur Anzahl der auf dem Dortmunder Straßenstrich tätigen Prostituierten seien belastbar. Die Verkaufszahlen für Steuertickets für Prostituierte seien schon deswegen nicht aussagekräftig, weil sich gerade die bulgarischen Prostituierten der Steuerpflicht vielfach entzogen hätten. Ausgehend hiervon sei auch das stadtweite Verbot der Straßenprostitution gerechtfertigt. Alternative Flächen, auf denen ohne eine Gefährdung der in Art. 297 EGStGB genannten Schutzgüter Straßenprostitution stattfinden könne, gebe es im Gebiet der Stadt Dortmund mit seiner besonderen Siedlungsstruktur und der Verteilung schutzwürdiger und sensibler Bereiche, wie sie schon im Prüf- und Abwägungsvermerk vom 19. April 2011 dargestellt und mit Hilfe der in Bezug genommenen Karte veranschaulicht worden sei, nicht. Die Sondersituation Dortmunds werde zudem durch weitere Faktoren bestimmt: die massive Zunahme der Straßenprostitution in wenigen Jahren, die Bekanntheit des Dortmunder Straßenstrichs als „größter Strich Westdeutschlands“ mit überregionalem Einzugsgebiet, regelmäßige Busverbindungen zwischen Dortmund und der Stadt Q., der ortszugehörige Flughafen und die in Dortmund vorzufindende Infrastruktur einer multikulturellen Großstadt. Hieraus ergebe sich eine Sogwirkung für Prostituierte gerade in Richtung Dortmund, die sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit noch steigern werde. Angesichts dessen sei es lediglich eine Frage der Zeit, bis ein an anderer Stelle im Dortmunder Stadtgebiet eingerichteter Straßenstrich in schutzwürdige und sensible Gebiete „ausfransen“ werde. Der von der Klägerin für einen Straßenstrich vorgeschlagene Bereich der F.-Straße zwischen dem Kreuzungsbereich L0 und der Einmündung der E.-Straße sei wegen dessen Schutzbedürftigkeit für die Einrichtung eines Straßenstrichs nicht geeignet. Ein zeitlich beschränktes Zulassen von Straßenprostitution würde der komplexen Gesamtsituation im Fall der Stadt Dortmund nicht mehr gerecht.
25Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 21. März 2013 teilweise stattgegeben. Es hat festgestellt, dass es der Klägerin im Stadtgebiet von Dortmund außerhalb des in § 1 des Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes im Bereich der Stadt Dortmund vom 17. Dezember 1974 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 17. Oktober 1985 bezeichneten Bereichs und außerhalb der Ravensberger Straße, Mindener Straße und Juliusstraße nicht untersagt ist, der Straßenprostitution nachzugehen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
26Die nach § 91 VwGO zulässigerweise erweiterte Klage mit dem nunmehr gestellten Hauptantrag sei als Feststellungsklage zulässig. Sie beziehe sich auf ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und den Beklagten im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Die Klägerin könne nicht nach § 43 Abs. 2 VwGO auf die Erhebung einer Gestaltungs- oder Leistungsklage verwiesen werden. Die in den Sperrbezirksverordnungen für das Dortmunder Stadtgebiet ausgesprochenen Verbote der Ausübung der (Straßen-)Prostitution seien sog. „self-executing“-Normen, sie wirkten unmittelbar. Es sei der Klägerin nicht zuzumuten, zunächst einen Verstoß gegen diese Normen zu begehen und erst im Rahmen eines Bußgeldverfahrens die Gültigkeit der Rechtsverordnungen prüfen lassen zu müssen.
27Die Klage sei – nur – teilweise begründet. In einem näher bezeichneten Innenstadtbereich der Stadt Dortmund sei die Klägerin bereits durch § 1 der Rechtsverordnung vom 17. Dezember 1974 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 17. Oktober 1985 an der Ausübung jeder Form von Prostitution gehindert. Soweit sie sich auf das in Rede stehende Verbot der Straßenprostitution beziehe, sei diese – weiterhin Geltung beanspruchende – Rechtsverordnung materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Das Verbot der Straßenprostitution für den in Rede stehenden Innenstadtbereich sei geeignet, einer abstrakten Gefahr für die in Art. 297 EGStGB genannten Schutzgüter zu begegnen. Die Wertung des Verordnungsgebers, dass die Zulassung von Straßenprostitution in diesem Gebiet nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine fortdauernde Gefahr für Jugendliche und den öffentlichen Anstand begründen könne, sei ohne Weiteres nachvollziehbar. Es erstrecke sich auf dichtbebaute Gebiete der Innenstadt (Wohngebiete, Einkaufsbereiche, Behörden- und Schulstandorte) sowie auf den Westfalenpark und den Fredenbaumpark. Diese Gebiete würden intensiv von allen Teilen der Bevölkerung, insbesondere aber auch von Jugendlichen genutzt. Straßenprostitution wäre in diesen Gebieten mit den Belangen des Jugendschutzes und des öffentlichen Anstand nicht vereinbar.
28In der – außerhalb des Geltungsbereichs der Rechtsverordnung vom 17. Dezember 1974 in der Fassung vom 17. Oktober 1985 liegenden – Ravensberger Straße, Mindener Straße und Juliusstraße sei die Klägerin durch § 1 der Sperrbezirksverordnung vom 2. Mai 2011 an der Ausübung der Straßenprostitution gehindert. Bezogen auf diese Straßen sei die Rechtsverordnung vom 2. Mai 2011 auf der Grundlage von Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGStGB wirksam. Durch die Straßenprostitution in der Ravensberger Straße, Mindener Straße und Juliusstraße habe sich bereits eine konkrete Gefahr für die Jugend ergeben. Die Anzahl der auf dem Straßenstrich tätigen Prostituierten sei bis 2011 stark angestiegen. An den von den Beklagten zugrunde gelegten Zahlen bestünden keine Zweifel. Zahlreiche Prostituierte, insbesondere die aus Bulgarien zugezogenen, hätten ihren Wohnsitz in den angrenzenden Wohngebiete der Nordstadt genommen und die Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeit in „Arbeitskleidung“ zu Fuß zurückgelegt; zwischendurch hätten sie in der Nordstadt Einkäufe und Toilettengänge erledigt. Der Straßenstrich sei in der Folge derart in die Nordstadt „ausgefranst“, dass Jugendliche bereits in außerhalb des eigentlichen Straßenstrichs gelegenen Bereichen mit der Straßenprostitution unmittelbar in Berührung gekommen seien. Hierdurch seien Jugendliche in ihrer psychosexuellen Entwicklung konkret beeinträchtigt worden. Dem könne nicht entgegen gehalten werden, dass Jugendliche heute bereits über die Medien mit dem Thema Prostitution in Berührung kämen. Authentische Begegnungen von Jugendlichen mit Prostituierten und deren Freiern und Zuhältern, wie sie im Umfeld des Dortmunder Straßenstrichs stattgefunden hätten, wiesen eine andere Qualität auf als Filmszenen. Auch der öffentliche Anstand sei durch das „Ausfransen“ der Straßenprostitution in die angrenzenden Bereiche der Nordstadt bereits konkret gefährdet gewesen. Anfang 2011 sei zudem eine derart enge räumliche Verflechtung von Prostituierten und Wohnen eingetreten, dass der einzelfallbezogene Einsatz ordnungsbehördlicher und polizeilicher Mittel zur Durchsetzung des für die angrenzenden Wohngebiete der Nordstadt schon seinerzeit geltenden Prostitutionsverbots das „Ausfransen“ der Straßenprostitution in die Nordstadt nicht habe stoppen können. Auch nach zwischenzeitlicher Auflösung des Straßenstrichs sei davon auszugehen, dass bei erneuter Etablierung des Straßenstrichs in demselben Bereich zumindest eine abstrakte Gefahr für die Jugend und den öffentlichen Anstand bestünde. Entscheidende Faktoren, die zum Anwachsen des Straßenstrichs in diesen Straßen und seinem „Ausfransen“ in die benachbarten Gebiete der Nordstadt geführt hätten, bestünden fort. Bei einer Wiedereröffnung des Straßenstrichs am früheren Standort müsse mit einem raschen Wiederaufleben der alten Zustände gerechnet werden.
29Bezüglich der übrigen Teile des Stadtgebiets von Dortmund – außerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung vom 17. Dezember 1974 in der Fassung vom 17. Oktober 1985 und außerhalb der Ravensberger Straße, Mindener Straße und Juliusstraße – entspreche die Rechtsverordnung vom 2. Mai 2011 nicht den Vorgaben des Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGStGB. Es sei nicht zu erkennen, dass ausnahmslos an jedem Ort im übrigen Dortmunder Stadtgebiet durch Straßenprostitution eine Gefahr für die Jugend oder den öffentlichen Anstand entstehen könne. Es spreche einiges dafür, dass nicht flächendeckend mit einer gleich hohen Anzahl von Straßenprostituierten gerechnet werden könne, wie sie zuletzt auf dem Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße tätig gewesen seien. Zu dieser hohen Anzahl sei es auch und vor allem wegen der günstigen Lage des Standorts des ehemaligen Straßenstrichs in fußläufiger Entfernung zu den billigen Wohnquartieren der Nordstadt gekommen, die jedenfalls für die aus Südosteuropa stammenden Prostituierten bedeutsam gewesen sei. Selbst wenn von einer sich erneut auf dem hohen Niveau von 2011 einpendelnden Zahl von Straßenprostituierten auszugehen sei, sei nicht nachvollziehbar, wieso sich ein Straßenstrich in dieser Größenordnung nicht irgendwo im Stadtgebiet von Dortmund – gegebenenfalls auch auf mehrere Standorte verteilt und auf bestimmte Uhrzeiten beschränkt – ansiedeln können sollte, ohne dass damit eine abstrakte Gefahr für die in Art. 297 EGStGB genannten Schutzgüter verbunden wäre. Insoweit sei lediglich pauschal auf die vorhandenen Siedlungsstrukturen hingewiesen worden. Die Vorlage eines Stadtplans, auf dem die baulichen und sonstigen Nutzungsarten grafisch dargestellt seien, reiche als Beleg nicht aus. Die Bezirksregierung Arnsberg habe in ihrem Prüf- und Abwägungsvermerk vom 19. April 2011 selbst ausgeführt, es gebe Stellen im übrigen Dortmunder Stadtgebiet, an denen der Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands „weniger tangiert“ sei, etwa Gewerbegebiete oder Brachflächen. Es hätte einer konkreten Prüfung, die auch hätte dokumentiert werden müssen, bedurft, warum an diesen Stellen Straßenprostitution nicht ohne Gefährdung der Jugend und/oder des öffentlichen Anstands stattfinden können solle.
30Mit Beschluss vom 2. Oktober 2014 hat der Senat die gegen den stattgebenden Teil des Urteils des Verwaltungsgerichts gerichteten Berufungen der Beklagten zugelassen.
31Zu deren Begründung tragen die Beklagten – ihr erstinstanzliches Vorbringen ergänzend und vertiefend – im Wesentlichen vor: Die Klageänderung, der nicht zugestimmt worden sei, hätte vom Verwaltungsgericht nicht als sachdienlich zugelassen werden dürfen. Die Klage sei, auch soweit ihr stattgegeben worden sei, unbegründet. Unter den gegebenen Umständen gehe von einem Straßenstrich auch an jeder anderen Stelle im übrigen Dortmunder Stadtgebiet eine abstrakte Gefahr für die in Art. 297 EGStGB genannten Schutzgüter aus. Im Fall der Etablierung eines Straßenstrichs in einem anderen – insbesondere auch einem von der Nordstadt nicht fußläufig zu erreichenden – Teil des Stadtgebiets sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts mit einer gleich hohen Zahl von Straßenprostituierten wie im Jahr 2011 auf dem alten Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße zu rechnen. Allein der Wegfall der fußläufigen Erreichbarkeit des Straßenstrichs würde einem Wiederaufleben der alten Verhältnisse an einem anderen Standort nicht entgegenstehen. Denn alle sonstigen Faktoren, die zu einem Anwachsen des alten Straßenstrichs geführt hätten, bestünden fort: die historisch gewachsene Bekanntheit des Standorts Dortmund für die Freier aus dem weiten Umland, die Bevölkerungsstruktur der Dortmunder Nordstadt, seit Jahren etablierte familiäre Verbindungen von Zuwanderern aus und nach Südosteuropa, die parallel existierende „gute“ Infrastruktur hinsichtlich der Versorgung des Milieus mit Drogen jeglicher Art. Auch für das Jahr 2014 sei ein Zuzug von bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen – letztere bildeten inzwischen die deutlich größere Gruppe – nach Dortmund insgesamt und in die Nordstadt zu verzeichnen gewesen. Aktuell gebe es in der Nordstadt (immer) noch um die 120 der sog. „Problemhäuser“. In anderen Stadtteilen stünde überdies ebenfalls günstiger Wohnraum zur Verfügung. Die Verteilung der osteuropäischen Zuwanderer auf andere Stadtteile sei – eigentlich – gerade erwünscht, um einer Konzentration in der Nordstadt entgegen zu wirken. Es sei ausgesprochen schwierig, die osteuropäischen Zuwanderer zu integrieren, insbesondere sie in geregelte Arbeit zu bringen. Hieran habe sich durch die unbeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Januar 2014 nichts geändert. Auf dem sog. „Arbeiterstrich“ an der N.-Straße suchten bulgarische und rumänische Zuwanderer Arbeit als Tagelöhner für geringste Löhne. Die Lage in der Nordstadt sei insgesamt weiterhin angespannt. Im Rahmen des fortbestehenden Programms „Task Force Nordstadt“ werde versucht, mit Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen den Problemen zu begegnen. Die Infrastruktur für eine erneute „Versorgung“ eines Straßenstrichs in Dortmund mit Frauen aus Bulgarien – vor der Schließung des Straßenstrichs habe es einen regelmäßigen Hin- und Rücktransport von Frauen gegeben – sei vorhanden und könne jederzeit reaktiviert werden. Es sei davon auszugehen, dass die Mobilität der Zuwanderer noch zugenommen habe, d. h. „Lieferdienste“ von Zuhältern im Fall der Schaffung eines neuen Straßenstrichs in nicht fußläufiger Entfernung von der Nordstadt seien denkbar. Im Übrigen seien die osteuropäischen Zuwanderer mit dem Öffentlichen Personennahverkehr in Dortmund inzwischen vertraut. Die Zahlen zur Entwicklung der Straßenprostitution seit Mai 2011 zeigten, dass auch der „Nachfragedruck“ – das Interesse der Freier an Dortmunder Straßenprostituierten – fortbestehe. Noch im Jahr 2014 sei in 324 Fällen ein Platzverweis ausgesprochen und gegen 348 Freier ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen des Verstoßes gegen das geltende Kontaktaufnahmeverbot eingeleitet worden. Ca. 30 Frauen gingen trotz der Sperrbezirksregelung weiterhin in der Nordstadt der Straßenprostitution nach.
32Eine Untersuchung aller Flächen im übrigen Stadtgebiet im Hinblick auf ihre Geeignetheit für die Aufnahme eines – mit dem früheren vergleichbaren – Straßenstrichs sei erfolgt. Es seien zunächst in einem Stadtplan Informationen aus dem Flächennutzungsplan, dem Liegenschaftskataster, der Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH, aus der Schuldatenbank der Stadt Dortmund und dem Landschaftsplan zusammengeführt worden. Sämtliche im Stadtgebiet befindlichen Wohngebiete, Einzelhandelsbereiche und Marktflächen, Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen, Ausbildungszentren und Bildungseinrichtungen, Einrichtungen und Haltepunkte des öffentlichen Personennahverkehrs, öffentliche Einrichtungen der Verwaltung, Einrichtungen des Gesundheitswesens, religiöse Einrichtungen, Kultureinrichtungen, Sportstätten, Freizeiteinrichtungen sowie Grünflächen und Parkanlagen seien eruiert und in dem Stadtplan farbig markiert worden. Aus der auf diesem Wege entstandenen Karte ergebe sich, dass es keine ausreichend großen Flächen im Dortmunder Stadtgebiet gebe, auf denen ein Straßenstrich ohne eine Gefahr des „Ausfransens“ in benachbarte schützenswerte Bereiche angesiedelt werden könne. Diese Überlegungen seien bereits in dem Prüf- und Abwägungsvermerk vom 19. April 2011 dargelegt worden. Auch als Reaktion auf die erstinstanzliche Entscheidung sei nochmals eine Karte erstellt worden, aus der sich ergebe, dass es keinen geeigneten Standort für einen Straßenstrich im gesamten Dortmunder Stadtgebiet gebe. Erneut sei der Ansatz gewählt worden, zunächst die schutzwürdigen und sensiblen Nutzungen zu verorten. Um diese herum sei nunmehr jeweils ein Kreis mit einem Radius von 350 Metern gezogen worden – in Orientierung an die Regelung in § 16 Abs. 3 des seit dem 1. Dezember 2012 geltenden Gesetzes zur Ausführung des Glücksspielstaatsvertrages (AG GlüStV NRW). Danach solle der Mindestabstand zwischen einer Spielhalle und öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe regelmäßig 350 Meter Luftlinie betragen. Der Gesetzgeber habe hier erstmals einen „Schutzabstand“ zwischen potentiell jugendgefährdenden Einrichtungen und Schulen, Kindergärten etc. gesetzlich festgeschrieben. Bei einer solchen Vorgehensweise ergäben sich insgesamt acht „Potentialflächen“, die auf der neuen Karte eingezeichnet seien. Von diesen Flächen komme – wie näher ausgeführt worden ist – als Standort für einen Straßenstrich offensichtlich keine in Betracht. In der neuen Karte seien dabei noch nicht einmal die in letzter Zeit hinzugekommenen Standorte, an denen Flüchtlinge, insbesondere auch unbegleitete Minderjährige, untergebracht seien, eingetragen worden. Würden diese ebenfalls berücksichtigt, blieben wahrscheinlich nicht einmal mehr im Ansatz freie Flächen übrig.
33Die Möglichkeit, statt eines Großstandorts mehrere Kleinstandorte für die Straßenprostitution auszuwählen, bestehe in der Realität nicht. Die Auswahl eines Standorts durch Prostituierte und Freier werde durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Dies führe zu einer Konzentration der Straßenprostitution an einem Standort. Es gebe keine ordnungsbehördlichen Möglichkeiten, eine „Entzerrung“ durchzusetzen. Eine Fläche – auch nicht etwa eine Grünfläche –, auf der ein Straßenstrich jedenfalls mit einer zeitlichen Beschränkung der Prostitutionsausübung gefahrlos angesiedelt werden könne, sei nicht auszumachen. Dortmund sei eine Großstadt, die „nicht schlafe“. Dem stadtweiten Verbot der Straßenprostitution könne nicht entgegen gehalten werde, ein solches sei bei nordrhein-westfälischen Städten dieser Größenordnung ohne Beispiel. In Dortmund bestehe eine Sondersituation, die mit der in anderen Städten nicht vergleichbar sei.
34Die Beklagten beantragen jeweils,
35das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 21. März 2013 zu ändern, soweit der Klage stattgegeben worden ist, und die Klage auch insoweit abzuweisen.
36Die Klägerin beantragt,
37die Berufungen zurückzuweisen.
38Sie nimmt auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug und trägt ergänzend im Kern vor: Sie beabsichtige weiterhin, der Straßenprostitution in Dortmund nachzugehen, sobald dies wieder zulässig sei. Das Verwaltungsgericht habe der Klage zu Recht teilweise stattgegeben. Entscheidend für das starke Anwachsen des früheren Dortmunder Straßenstrichs seien der relativ günstige Standort in der Nähe eines Wohngebietes und zum Stadtkern sowie das Angebot an sozialen Dienstleistungen für die Prostituierten im Rahmen des sog. „Dortmunder Modells“ und halbwegs sichere Arbeitsbedingungen gewesen. Derartige Bedingungen gebe es an anderen Orten im Stadtgebiet nicht. Daher könne an solchen auch nicht mit einer gleichen Zahl von Straßenprostituierten gerechnet werden. Die zur Begründung des stadtweiten Straßenprostitutionsverbots herangezogene Karte des Dortmunder Stadtgebiets, auf der schutzwürdige und sensible Nutzungen verzeichnet sein sollen, sei nicht aussagekräftig, soweit sie auf dem Flächen-nutzungsplan für die Stadt aufbaue, da in diesem lediglich Nutzungsabsichten dokumentiert, aber nicht tatsächliche Nutzungen dargestellt seien. Der von den Beklagten gewählte Ansatz sei insgesamt fehlerhaft. Es genüge nicht eine allgemeine Schutzwürdigkeit eines Gebiets, es bedürfe vielmehr einer besonderen Schutzbedürftigkeit, um eine abstrakte Gefahr für die in Rede stehenden Schutzgüter im Fall der Berührung mit der Prostitutionsausübung und deren Begleiterscheinungen begründen zu können. Gerade Grünflächen hätten nicht pauschal als sensible Bereiche eingestuft werden dürfen. Werde ein so grobes Raster angelegt wie vorliegend, könne die Straßenprostitution überall in Deutschland verboten werden. Die nachträglich angestellten Erwägungen auf Beklagtenseite seien ohnehin nicht maßgeblich. Die von der Bezirksregierung Arnsberg seinerzeit in dem Prüf- und Abwägungsvermerk vom 19. April 2011 niedergelegten Gründe müssten die Sperrbezirksverordnung tragen. Die Tatsachenfeststellungen und damit die Ermessenserwägungen seien seinerzeit unzureichend gewesen. Die Sperrbezirksverordnung vom 2. Mai 2011 stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit dar. Das Verbot der Straßenprostitution wirke sich im Hinblick darauf, dass andere Formen der Prostitutionsausübung mit höheren Risiken verbunden seien, belastend aus. Weiterhin sei insbesondere nicht dargelegt, warum nicht eine Regelung zur zeitlichen Beschränkung der Straßenprostitution als milderes Mittel in Betracht komme. Gerade für öffentliche Grünflächen dürfte gelten, dass auf ihnen in den Nachtstunden Straßenprostitution ohne Gefährdung der in Rede stehenden Schutzgüter ausgeübt werden könne.
39Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Akten des gerichtlichen Eilverfahrens Bezug genommen.
40Entscheidungsgründe:
41Die zulässigen Berufungen der Beklagten haben Erfolg.
42Nicht zu beanstanden ist, dass das Verwaltungsgericht über die von der Klägerin zuletzt gestellten Anträge entschieden hat, weil es die mit Schriftsätzen vom 1. Juni 2012 und 5. Februar 2013 erfolgte Klageänderung für sachdienlich und danach gemäß § 91 Abs. 1 VwGO für zulässig gehalten hat.
43Eine Klageänderung ist als sachdienlich anzusehen, wenn sie der endgültigen Beilegung des sachlichen Streits zwischen den Beteiligten im laufenden Verfahren dient und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt.
44Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 9 B 20.09 –, juris, Rn. 6, Urteil vom 18. August 2005 – 4 C 13.04 –, BVerwGE 124, 132 = DVBl. 2005, 1583 = juris, Rn. 22, Beschluss vom 21. Oktober 1983 – 1 B 116.83 –, DVBl. 1984, 93 = juris, Rn. 8, und Urteil vom 22. Februar 1980 – IV C 61.77 –, DVBl. 1980, 598 = juris, Rn. 23, jeweils m. w. N.
45Dass hier auch die letztgenannte Voraussetzung gegeben ist, hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung bejaht, es gehe auch nach der erfolgten Klageänderung um die Frage, ob es der Klägerin erlaubt sei, im Stadtgebiet von Dortmund der Straßenprostitution nachzugehen, erweitert werde nur der räumliche Bereich, für den die Klägerin eine entsprechende Feststellung begehre. Rechtsfehler sind hierin nicht zu erkennen. Der Streitstoff, dessen Verarbeitung es bedarf, um die Frage zu beantworten, ob mit der Sperrbezirksverordnung vom 2. Mai 2011 das Verbot der Straßenprostitution im Bereich der Ravensberger Straße auf der Grundlage von Art. 297 EGStGB in rechtmäßiger Weise erfolgt ist, ist zugleich Grundlage für die Beantwortung der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Erstreckung des Verbots der Straßenprostitution auf alle übrigen Teile des Dortmunder Stadtgebiets. Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit des stadtweiten Verbots der Straßenprostitution bedarf es auch in tatsächlicher Hinsicht lediglich in überschaubarem Umfang der Berücksichtigung weiterer Umstände.
46Für die geänderte und in zulässiger Weise auf die Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 VwGO gerichtete Klage,
47vgl. hierzu den Beschluss des Senats im zugehörigen Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 26. März 2012 – 5 B 892/11 –, NVwZ-RR 2012, 516 = juris, Rn. 5,
48fehlt es der Klägerin nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Sie hat in der mündlichen Verhandlung plausibel dargetan, dass sie ernsthaft beabsichtigt, der Straßenprostitution in Dortmund nachzugehen, sobald festgestellt ist, dass ihr dies nicht verboten ist.
49Die Feststellungsklage der Klägerin ist jedoch mit dem Haupt- und Hilfsantrag unbegründet, auch soweit das Verwaltungsgericht ihr stattgegeben hat. Die Klägerin ist im gesamten Dortmunder Stadtgebiet – auch außerhalb des in § 1 der Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes im Bereich der Stadt Dortmund vom 17. Dezember 1974 (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg, S. 494) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 17. Oktober 1985 (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg, S. 365) bezeichneten Bereichs und außerhalb der Ravensberger Straße, Mindener Straße und Juliusstraße – rechtlich gehindert, der Straßenprostitution nachzugehen. Die Rechtsverordnung zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands im Bereich der Stadt Dortmund (Sperrbezirksverordnung) vom 2. Mai 2011 (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg, S. 201) ist auf der Grundlage von Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGStGB rechtmäßig, auch soweit sie für die übrigen Bereiche der Stadt Dortmund – und damit auch für den vom Hilfsantrag erfassten Bereich – ein Verbot der Straßenprostitution ausspricht. Das Verbot der Straßenprostitution dient insoweit ebenfalls dem Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands im Sinne des Art. 297 EGStGB.
50Die Verordnungsermächtigung in Art. 297 EGStGB wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als Norm auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr qualifiziert, die dazu dient, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen, soweit ihr Verhalten sozialrelevant ist, nach außen in Erscheinung tritt und das Allgemeinwohl beeinträchtigen kann.
51Vgl. den Beschluss des Senats vom 26. März 2012 – 5 B 892/11 –, NVwZ-RR 2012, 516 = juris, Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Dezember 2008 – 1 S 2256/07 –, VBlBW 2009, 220 = juris, Rn. 61.
52Verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein solches Verständnis der Norm bestehen auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht.
53Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. April 2009 – 1 BvR 224/07 –, NVwZ 2009, 905 = juris, Rn. 16.
54Mit Art. 297 EGStGB ist dem Verordnungsgeber dementsprechend ein Instrument in die Hand gegeben, zur Abwehr von Gefahren für die dort genannten Schutzgüter tätig zu werden, die durch eine – sozialunverträgliche – Konfrontation mit der Prostitutionsausübung selbst oder aber deren „unliebsamen Begleiterscheinungen“ drohen.
55Vgl. den Beschluss des Senats vom 26. März 2012 – 5 B 892/11 –, NVwZ-RR 2012, 516 = juris, Rn. 14 (unter Bezugnahme auf den Gesetzentwurf eines Zehnten Strafrechtsänderungsgesetzes, BT-Drs. VI/293, S. 3) und Rn. 16. Siehe auch BVerfG, Beschluss vom 28. April 2009 – 1 BvR 224/07 –, NVwZ 2009, 905 = juris, Rn. 23.
56Ungeachtet eines Wandels der gesellschaftlichen Anschauungen zur Prostitution, die in dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Prostitutionsgesetz (Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten – ProstG – vom 20. Dezember 2001, BGBl. I S. 3983) Niederschlag gefunden haben, ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, Art. 297 EGStGB so auszulegen, dass die Vorschrift den Verordnungsgeber ermächtigt, die Prostitution unter der Voraussetzung zu verbieten, dass deren Ausübung abstrakte Gefahren für die genannten Schutzgüter begründet. Der Verordnungsgeber muss das Verbot nicht davon abhängig machen, dass die Ausübung der Prostitution bzw. die mit ihr verbundenen Begleiterscheinungen im konkreten Einzelfall eine Belästigung der Öffentlichkeit hervorrufen.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 6 C 28.13 –, GewArch 2015, 258 = juris, Rn. 9 ff. Siehe auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Dezember 2008 – 1 S 2256/07 –, VBlBW 2009, 220 = juris, Rn. 71; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 13. März 2006 – 8 A 11599/05 –, DÖV 2006, 519 = juris, Rn. 23, 25, Urteil vom 10. Oktober 2005 – 12 C 11236/05 –, GewArch 2006, 262 = juris, Rn. 16, Urteil vom 17. Juli 2002 – 8 A 10692/02 –, DÖV 2003, 36 = juris, Rn. 29; Hess. VGH, Urteil vom 31. Oktober 2003 – 11 N 2952/00 –, NVwZ-RR 2004, 470 = juris, Rn. 34, Beschluss vom 19. Februar 1990 – 11 N 2596/87 –, NVwZ-RR 1990, 472 = juris, Rn. 70.
58Eine abstrakte Gefahr ist nach der anerkannten allgemeinen Definition dann gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz zu bekämpfen; das hat zur Folge, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall – anders als bei der konkreten Gefahr – verzichtet werden kann.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2002 – 6 CN 8.01 –, BVerwGE 116, 347 = DVBl. 2002, 1562 = juris, Rn. 35, Beschluss vom 24. Oktober 1997 – 3 BN 1.97 –, juris, Rn. 4, Urteil vom 26. Juni 1970 – IV C 99.67 –, NJW 1970, 1890 = juris, Rn. 14.
60Für den Erlass einer Sperrgebietsverordnung „zum Schutz des öffentlichen Anstands“ im Sinne des Art. 297 EGStGB genügt ausgehend hiervon – weiterhin – die Prognose, dass die nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen Unbeteiligter und „milieubedingte Unruhe“ hervorrufen wird. Ist ein Gebiet durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z. B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet, darf der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass die Ausübung der Prostitution die abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen des öffentlichen Anstands begründet.
61Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 6 C 28.13 –, GewArch 2015, 258 = juris, Rn. 9 ff. Siehe auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Dezember 2008 – 1 S 2256/07 –, VBlBW 2009, 220 = juris, Rn. 61.
62Dahinter steht der Gedanke, dass Handlungen und Zustände, die eine enge Beziehung zum Geschlechtsleben haben, Belange des Allgemeinwohls insbesondere dann beeinträchtigen können, wenn durch einen Öffentlichkeitsbezug andere Personen, die hiervon unbehelligt bleiben wollen, erheblich belästigt werden.
63Vgl. den Beschluss des Senats vom 26. März 2012 – 5 B 892/11 –, NVwZ-RR 2012, 516 = juris, Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Dezember 2008 – 1 S 2256/07 –, VBlBW 2009, 220 = juris, Rn. 61.
64Die Legalisierung der Prostitutionsausübung im zivil- und sozialversicherungsrechtlichen Bereich und die Einschränkung der Strafbarkeit durch das Prostitutionsgesetz schließen es ebenso wenig wie der Wegfall des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit der Prostitution aus, dass deren Ausübung in bestimmten Erscheinungsformen und damit einhergehenden sozialtypischen Begleiterscheinungen namentlich mit Blick auf sensible Gemeindegebiete gegen den öffentlichen Anstand – im aufgezeigten veräußerlichten Verständnis der Sozialverträglichkeit – verstoßen kann. Die Festsetzung von Sperrbezirken auf der Grundlage des Art. 297 EGStGB dient der lokalen Steuerung der Prostitutionsausübung aus ordnungsrechtlichen Gründen.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 6 C 28.13 –, GewArch 2015, 258 = juris, Rn. 15. Siehe auch BVerfG, Beschluss vom 28. April 2009 – 1 BvR 224/07 –, NVwZ 2009, 905 = juris, Rn. 20; BVerwG, Urteil vom 20. November 2003 – 4 C 6.02 –, NVwZ 2004, 743 = juris, Rn. 9; Beschluss des Senats vom 26. März 2012 – 5 B 892/11 –, NVwZ-RR 2012, 516 = juris, Rn. 16; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Dezember 2008 – 1 S 2256/07 –, VBlBW 2009, 220 = juris, Rn. 56 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 24. Oktober 2002 – 11 KN 4073/01 –, NordÖR 2003, 26 = juris, Rn. 37.
66Die Legalität dieser gewerblichen Betätigung bedeutet hier ebenso wenig wie in anderen Fällen legaler Gewerbe, dass sie an jedem beliebigen Ort ausgeübt werden darf. Dem Gesetz- und Verordnungsgeber bleibt es überlassen, potentiell miteinander unverträgliche Nutzungen räumlich zu trennen.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 6 C 28.13 –, GewArch 2015, 258 = juris, Rn. 15.
68Mit Blick auf das mit Verfassungsrang ausgestattete,
69vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 28. April 2009 – 1 BvR 224/07 –, NVwZ 2009, 905 = juris, Rn. 23,
70Schutzgut „Jugend“ im Sinne des Art. 297 EGStGB hat auch das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass es dem Gesetzgeber obliegt zu entscheiden, ob, wo und wann Jugendliche mit dem gesellschaftlichen Phänomen der Prostitution konfrontiert werden sollen. Von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, die sich, zum Beispiel wegen der Kommerzialisierung sexueller Handlungen, auf ihre Einstellung zur Sexualität und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können, ist ein – unverändert – legitimes Ziel staatlichen Handelns.
71Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 6 C 28.13 –, GewArch 2015, 258 = juris, Rn. 19. Siehe auch den Beschluss des Senats vom 26. März 2012 – 5 B 892/11 –, NVwZ-RR 2012, 516 = juris, Rn. 20; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Dezember 2008 – 1 S 2256/07 –, VBlBW 2009, 220 = juris, Rn. 60.
72Dass Jugendliche heutzutage mit dem Thema Prostitution – unter anderem wegen dessen Präsenz in den Medien – in ihrem Alltag ohnehin in Berührung kommen, steht dem nicht entgegen. Die Annahme, dass Jugendliche infolge einer direkten Konfrontation mit der Prostitutionsausübung bzw. deren Begleiterscheinungen in der Realität in ihrer psychosexuellen Entwicklung erheblich beeinträchtigt werden können, wird hierdurch nicht in Frage gestellt.
73Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Dezember 2008 – 1 S 2256/07 –, VBlBW 2009, 220 = juris, Rn. 60.
74Dies zugrundegelegt ist die Einschätzung des Verordnungsgebers nicht zu beanstanden, unter den gegebenen Umständen werde ein Straßenstrich an jeder anderen Stelle im übrigen Dortmunder Stadtgebiet eine abstrakte Gefahr für die in Art. 297 EGStGB genannten Schutzgüter begründen, weil hierdurch eine – sozialunverträgliche – Konfrontation unbeteiligter Dritter, Kinder und Jugendlicher sowie Erwachsener, mit der Prostitutionsausübung bzw. deren Begleiterscheinungen drohe. Es sind bei der anzustellenden abstrakt-generellen Betrachtung hinreichende Anhaltspunkte vorhanden, die den Schluss rechtfertigen, ein Straßenstrich an jeder anderen Stelle im übrigen Dortmunder Stadtgebiet bzw. dessen negative Auswirkungen werden immer auch schutzbedürftige und sensible Gebiete räumlich betreffen.
75Anders als das Verwaltungsgericht hält der Senat die Prognose des Verordnungsgebers für tragfähig, ein Straßenstrich an jeder anderen Stelle im übrigen Dortmunder Stadtgebiet werde vergleichbare Dimensionen annehmen wie der frühere Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße. Eine solche Entwicklung erscheint auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse als hinreichend wahrscheinlich.
76Im Ausgangspunkt erweisen sich zunächst die Annahmen des Verordnungsgebers hinsichtlich des Umfangs der Prostitution auf dem früheren Dortmunder Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße und den damit einhergehenden Begleiterscheinungen als belastbar. Der Senat hat ebenso wie das Verwaltungsgericht keinen Zweifel daran, dass die vom Verordnungsgeber herangezogenen Informationen zur Anzahl der auf dem Straßenstrich tätigen Prostituierten valide sind. Diese beruhen auf Ermittlungen der Beklagten zu 2., Erkenntnissen des Polizeipräsidiums Dortmund und Angaben der Beratungsstelle L. Das massive Anwachsen des Dortmunder Straßenstrichs – von ca. 60 dort tätigen Prostituierten im Jahr 2006 auf schätzungsweise 700 im Jahr 2011 – ist sowohl in seinen Ursachen als auch in seinem Ausmaß nachvollziehbar dargestellt. Die Anzahl der von den Straßenprostituierten nach Einführung der sog. „Sexsteuer“ erworbenen Steuertickets bzw. -coupons ist nach den plausiblen Angaben der Beklagten zu 2., die bestätigt werden durch die polizeilichen Erkenntnisse, im Hinblick auf die tatsächliche Anzahl der auf dem Straßenstrich tätigen Prostituierten nicht aussagekräftig, da davon auszugehen ist, dass eine Vielzahl der Straßenprostituierten der Steuerpflicht nicht nachgekommen ist; Mitarbeiter der Beklagten zu 2. haben dies im Rahmen von Kontrollen konkret feststellen können. Wie sich aus den vorliegenden polizeilichen Informationen schlussfolgern lässt, spricht überdies ohnehin viel für eine milieubedingte hohe Dunkelziffer (gerade) bei den als Straßenprostituierte tätigen (bulgarischen) Frauen.
77Die Annahmen des Verordnungsgebers erweisen sich auch insoweit als schlüssig, als er davon ausgegangen ist, dass durch den kontinuierlichen und zunehmend stärkeren Zuzug von Frauen insbesondere aus den Elendsvierteln der bulgarischen Stadt Q. nicht nur die Anzahl der auf dem Dortmunder Straßenstrich tätigen Prostituierten rasant wuchs, sondern sich die Situation auf und um den Straßenstrich auch dadurch signifikant änderte, dass die Lebensumstände dieser Frauen äußerst prekär waren. In den Berichten der Beratungsstelle L. wird dies anschaulich geschildert. Die zu einem großen Teil aus – finanziellen, gesellschaftlichen/familiären und/oder psychischen, auch suchtbedingten – Zwangssituationen heraus als Prostituierte tätigen Frauen wohnten mehrheitlich in verkommenen und verfallenen Häusern der Dortmunder Nordstadt, verfügten weder über hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache noch hinreichendes Vorwissen in Bezug auf sexuelle Dienstleistungen (die Beratungsstelle L. sprach von einem großen Informationsbedarf beim Themenkomplex „Rechte und Pflichten von Prostituierten in Deutschland“); sie waren in großem Umfang in einem schlechten Gesundheits- und auch schlechten Ernährungszustand. Die Frauen waren oftmals sehr jung, arbeiteten viele Stunden am Tag – in den Berichten der Beratungsstelle L. werden tägliche Arbeitszeiten von 10 bis 14 Stunden, aber auch 14 bis 18 Stunden genannt – und boten ihre Dienstleistungen zu vergleichsweise niedrigen Preisen an, was wiederum die Anziehungskraft des Dortmunder Straßenstrichs für die aus einem weiten Umkreis anreisenden Freier steigerte. Die auf dem Straßenstrich tätigen Ärzte diagnostizierten gehäuft Geschlechtskrankheiten und Parasiten. Auch kam es vermehrt zu ungewollten Schwangerschaften. Eine gesellschaftliche Integration der bulgarischen Prostituierten gelang auch nach den vorliegenden polizeilichen Erkenntnissen weitestgehend nicht. Sie bewegten sich – ebenso wie die mit ihnen zunehmend eingewanderten männlichen Begleitpersonen, die ihren Lebensunterhalt mittels der Einkünfte der Prostituierten (mit)finanzierten – in einer über Teestuben, Internetcafés, Wettbüros, Spielhallen und Gaststätten der Nordstadt vernetzten Parallelgesellschaft.
78Die mit dem sog. „Dortmunder Modell“ verfolgten Ziele, namentlich die Steuerung und Kontrolle der Prostitutionsausübung und ihrer Begleiterscheinungen, konnten vor diesem Hintergrund in der Folge des massiven Zuzugs der bulgarischen Prostituierten – so das ebenfalls plausible Fazit des Verordnungsgebers – nicht mehr erreicht werden. Dass im Zuge der vorstehend skizzierten Entwicklung die Ausübung der Prostitution bzw. deren Begleiterscheinungen weit bis in die bewohnten Bereiche der Nordstadt in einer die Grenze der Sozialverträglichkeit in außergewöhnlichem Maße überschreitenden Art und Weise öffentlich wahrnehmbar wurden, ist auf der Grundlage der Feststellungen der Beklagten zu 2., der polizeilichen Stellungnahmen, der Angaben der Beratungsstelle L. sowie der Äußerungen von Bewohnern und Gewerbetreibenden in der Nordstadt sowie von Angehörigen der dort ansässigen Schulen hinreichend belegt. Ohne Weiteres belastbar ist auch die Prämisse des Verordnungsgebers, selbst durch ein ausgeweitetes ordnungsbehördliches und polizeiliches Einschreiten sei es nicht möglich gewesen, das „Ausfransen“ des Straßenstrichs einzudämmen; es sei dennoch täglich zu Schutzgutsverletzungen durch eine direkte Konfrontation von Kindern und Jugendlichen, aber auch unbeteiligten Erwachsenen, mit der Prostitutionsausübung bzw. ihren Begleiterscheinungen gekommen. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten nimmt der Senat an dieser Stelle zur Vermeidung von Wiederholungen ergänzend Bezug auf seine diesbezüglichen Ausführungen in dem im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (5 B 892/11 –, NVwZ-RR 2012, 516 = juris, Rn. 28 ff.) ergangenen Beschluss vom 26. März 2012.
79Die Prognose des Verordnungsgebers erweist sich auch insoweit als tragfähig, als er davon ausgegangen ist, dass die Faktoren, die zu einem starken Anwachsen des Straßenstrichs im Bereich der Ravensberger Straße durch den Zuzug bulgarischer Prostituierter geführt haben, überwiegend fortwirken. Für eine Verbesserung der Lebensumstände der in der bulgarischen Stadt Q. lebenden Roma ist nichts ersichtlich. Es kann davon ausgegangen werden, dass dort unverändert ein Migrationsdruck besteht, der sich insbesondere auf schlechte wirtschaftliche Verhältnisse und das Fehlen von Perspektiven im Heimatland gründet. Für die regelmäßig über keinerlei Ausbildung verfügenden, überwiegend nicht einmal alphabetisierten Frauen aus den Elendsvierteln der Stadt Q. stellt sich die Arbeit als Straßenprostituierte weiterhin als eine der wenigen Möglichkeiten dar, sich und den hinter ihnen stehenden Personen ein Einkommen zu verschaffen. Es ist nicht erkennbar, dass sich dies durch die Einführung der uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit unter anderem für Bulgaren zum 1. Januar 2014 wesentlich geändert hätte. Die Vertreter der Beklagten zu 2. haben in der mündlichen Verhandlung vielmehr anschaulich die fortbestehenden Schwierigkeiten, die nach Dortmund zugewanderten Osteuropäer in geregelte Arbeit zu bringen, geschildert. Damit bleibt die Straßenprostitution eine entscheidende Einnahmequelle. Nach den Informationen, die Mitarbeiter der Beklagten zu 2. unter anderem im Rahmen einer Reise in die Stadt Q. im Februar 2011 sammeln konnten, war der Dortmunder Straßenstrich mit seinen Verdienstmöglichkeiten den Menschen dort seinerzeit äußerst präsent; der Gelegenheit, in den sog. „Problemhäusern“ in der Dortmunder Nordstadt zugleich günstigen Wohnraum zu finden, waren sich die Menschen bewusst. Nach den Angaben des Polizeipräsidiums Dortmund kann damit gerechnet werden, dass die Kombination „Dortmund-Straßenstrich“ in den bulgarischen Städten weiterhin als gewinnträchtige „Marke“ bekannt ist. Bestehende familiäre und andere persönliche Verbindungen zu bereits nach Dortmund, insbesondere in die Nordstadt, zugewanderten Bulgaren erleichtern weiterhin, wenn nicht sogar verstärkt, den Zuzug. Dies gilt auch für die Möglichkeiten, Dortmund von der Stadt Q. aus mit einer – jederzeit reaktivierbaren – direkten Busverbindung oder einer Flugverbindung vom nur 150 km entfernten Sofia vergleichsweise einfach und kostengünstig zu erreichen. In der Dortmunder Nordstadt gibt es nach den Angaben der Vertreter der Beklagten zu 2. in der mündlichen Verhandlung derzeit immer noch ca. 120 sog. „Problemhäuser“, in denen Zuwanderer (billigen) Wohnraum finden können und die ein Niederlassen in Dortmund besonders begünstigen. Dies gilt gleichfalls für die in der Dortmunder Nordstadt anzutreffende, vorstehend bereits erwähnte sog. „negative Infrastruktur“. Bei Freiern war der Dortmunder Straßenstrich als „größter Strich Westdeutschlands“ schon in der Vergangenheit besonders beliebt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies für einen sich in Dortmund an anderer Stelle neu etablierenden Straßenstrich nicht ebenfalls gelten wird. Das Interesse der Freier an Dortmunder Straßenprostituierten besteht vielmehr fort. Dies zeigt sich daran, dass es konstant – und sogar mit steigender Tendenz – zu Verstößen gegen das mit den Sperrbezirksregelungen verbundene Kontaktaufnahmeverbot gekommen ist. Nach den Angaben der Vertreter der Beklagten zu 2. in der mündlichen Verhandlung ist der „Freiersuchverkehr“ ein in der Nordstadt immer noch wahrzunehmendes Phänomen. Insgesamt befindet sich die Stadt Dortmund damit weiterhin in einer Sondersituation, aus der heraus die vom Verordnungsgeber so bezeichnete „Sogwirkung“ im Fall der erneuten Zulassung der Straßenprostitution jederzeit wieder einsetzen kann.
80Zwar trifft es zu, dass die besondere räumliche Nähe zwischen dem früheren Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße und dem zur Verfügung stehenden Wohnraum in der Dortmunder Nordstadt die Ausübung der Straßenprostitution für die bulgarischen Prostituierten besonders attraktiv – weil im Hinblick auf die Organisation der täglichen Anreise zum Arbeitsplatz einfach – gemacht hat. Die Frauen konnten ihren Arbeitsplatz fußläufig erreichen. Diese enge Verzahnung von Wohn- und Arbeitsmöglichkeit wird im Fall der Etablierung eines Straßenstrichs an einer anderen Stelle im übrigen Dortmunder Stadtgebiet nicht mehr ohne Weiteres gegeben sein. Deren Wegfall stellt die Prognose des Verordnungsgebers, eine vergleichbare Entwicklung, wie sie für den Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße eingetreten ist, könne auch für einen neuen Straßenstrich an anderer Stelle im Dortmunder Stadtgebiet erwartet werden, jedoch letztlich nicht in Frage. Die Aussichten auf vergleichsweise gute Verdienstmöglichkeiten durch eine Tätigkeit auf einem neu etablierten Dortmunder Straßenstrich bei unkompliziertem Zuzug nach Dortmund wegen der zur Nordstadt bestehenden Verbindungen und in der Nordstadt zur Verfügung stehenden Wohnmöglichkeiten bieten bei lebensnaher Betrachtung bereits gesteigert Anlass und Motivation für eine Zuwanderung der unter Migrationsdruck stehenden Frauen aus den Elendsvierteln der Stadt Q. Angesichts dieser besonderen, in anderen Großstädten nicht in vergleichbarer Art und Weise vorzufindenden Standortvorteile Dortmunds erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass sich aus der Perspektive dieser Frauen bzw. maßgeblicher Personen in ihrem Umfeld die Ausübung von Straßenprostitution in Dortmund auch dann auszahlt, wenn diese mit einer täglichen Anfahrt zu einem nicht fußläufig zu erreichenden Straßenstrich verbunden ist. Schließlich treffen die bulgarischen Zuwanderinnen in Dortmund auf eine Infrastruktur, aus der heraus sich ein Transport aus der – zentral gelegenen – Nordstadt zu einem Straßenstrich an anderer Stelle im Dortmunder Stadtgebiet problemlos organisieren lassen dürfte.
81Gegen die vorstehende Prognose lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, die Entwicklung nach Schließung des Straßenstrichs im Bereich der Ravensberger Straße bestätige, dass ein aus den Wohnquartieren der Nordstadt nicht mehr fußläufig zu erreichender Straßenstrich für die bulgarischen Prostituierten nicht attraktiv sei. Zwar konnte, anders als insbesondere von den angrenzenden Städten befürchtet worden war, in der Zeit nach der Schließung des Dortmunder Straßenstrichs zunächst nicht festgestellt werden, dass die bulgarischen Prostituierten ihren Arbeitsplatz in signifikantem Umfang ins Umland von Dortmund verlagerten. Der regelmäßige Hin- und Rücktransport von Frauengruppen aus Bulgarien nach Dortmund hörte mit der Schließung des Dortmunder Straßenstrichs offenbar auf. Hieraus muss aber nicht der Schluss gezogen werden, ein von der Nordstadt aus nicht mehr fußläufig zu erreichender Straßenstrich an einer anderen Stelle im Dortmunder Stadtgebiet sei für die in der Nordstadt wohnenden bulgarischen Prostituierten grundsätzlich als Arbeitsort nicht attraktiv. Eine tägliche Anfahrt zu einem Straßenstrich in Dortmund ist offenkundig immer noch weniger aufwändig als eine Anfahrt zu einem Straßenstrich in den umliegenden (Ruhrgebiets-)Städten. Diese verfügen überdies insbesondere nicht über die Standortvorteile Dortmunds, dessen Straßenstrich besonders bekannt und gerade bei Freiern aus im Süden und Osten an Dortmund angrenzenden Kreisen besonders beliebt war. Eine denkbare Ursache dafür, warum ein Arbeiten als Straßenprostituierte vom Wohnstandort Dortmunder Nordstadt aus mit Schließung des angrenzenden Straßenstrichs für die bulgarischen Prostituierten nicht attraktiv war, kann etwa auch darin liegen, dass ein Ausweichen in andere Formen der Ausübung der Prostitution auf Dortmunder Stadtgebiet sich nunmehr als lukrativer darstellte. Dass die Ausübung der Prostitution auf einem Straßenstrich außerhalb Dortmunds für die Mehrheit der in der Nordstadt wohnenden bulgarischen Frauen offenbar überwiegend keine Option war, erschüttert jedenfalls nicht die auf die vorstehend genannten Tatsachen gestützte Prognose, ein neuer Straßenstrich auf Dortmunder Stadtgebiet werde, selbst wenn er nicht in fußläufiger Entfernung zur Nordstadt liege, insbesondere auch für die Gruppe der bulgarischen Frauen ein vergleichbar attraktiver Arbeitsplatz sein wie zuvor der Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße. Letztlich lässt sich nicht genau vorhersagen – ebenso wenig weiter aufklären –, wie das „Milieu“ auf bestimmte Entwicklungen reagiert. Die Plausibilität der vom Verordnungsgeber angestellten Gefahrenprognose wird hierdurch nicht in Frage gestellt.
82Dies gilt auch für das Vorbringen der Klägerin, das starke Anwachsen des Straßenstrichs im Bereich der Ravensberger Straße sei entscheidend mit verursacht worden durch das dortige Angebot an sozialen Dienstleistungen für die Prostituierten und „halbwegs“ sichere Arbeitsbedingungen. Derartige Bedingungen gebe es an anderen Orten im Stadtgebiet jedoch nicht. Diese Einschätzung der Motivlage der auf dem Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße tätigen Prostituierten erscheint im Hinblick auf die große Gruppe der bulgarischen Frauen insbesondere unter Berücksichtigung der sich aus den Berichten der Beratungsstelle L. ergebenden Erkenntnisse als unzutreffend. Diesen lässt sich entnehmen, dass die bulgarischen Prostituierten auf das Angebot der Beratungsstelle L. aufmerksam gemacht werden mussten, ihnen dieses also nicht bekannt war. Auch wird hervorgehoben, dass gegenüber den bulgarischen Frauen gerade wegen ihrer fehlenden Professionalität und angesichts mangelnder Kenntnisse der deutschen Sprache ein „besonders niederschwelliger Arbeitsansatz von Nöten“ gewesen sei, „vor allem hinsichtlich der Aufgabenkreise ‚sicheres Arbeiten‘, ‚schonendes Arbeiten‘ sowie ‚geschütztes Arbeiten‘“. Hieraus lässt sich zwar schließen, dass auch die bulgarischen Prostituierten bzw. eine nicht näher zu quantifizierende Anzahl von ihnen die Hilfsangebote der Beratungsstelle L. annahmen; dass die Existenz dieser Hilfsangebote ebenso wie die von der Klägerin selbst lediglich als „halbwegs“ sicher bezeichneten Arbeitsbedingungen auf dem mit „Verrichtungsboxen“ ausgestatteten Dortmunder Straßenstrich die Entscheidung für einen Zuzug dieser Frauen maßgeblich beeinflusst haben, erscheint jedoch als unwahrscheinlich. Den Berichten der Beratungsstelle L. sowie den polizeilichen Stellungnahmen kann überdies entnommen werden, dass sich jedenfalls die hygienischen Bedingungen auf dem Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße mit dem starken Anwachsen des Straßenstrichs dauerhaft verschlechterten mit der Folge, dass es dazu kam, dass Freier die Benutzung der ohnehin nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung stehenden „Verrichtungsboxen“ wegen deren Verschmutzung ablehnten. In dieser Hinsicht stellten sich die Arbeitsbedingungen auf dem Dortmunder Straßenstrich (gerade) nicht (mehr) als attraktiv dar. Im Fall der Etablierung eines Straßenstrichs an einer anderen Stelle im Dortmunder Stadtgebiet ist im Übrigen damit zu rechnen, dass jedenfalls der G. e.V. wiederum mit spezifischen Hilfsangeboten an die Straßenprostituierten herantreten wird.
83Ausgehend von dem Vorstehenden ist auch die der Prognose des Verordnungsgebers zugrunde liegende Annahme plausibel, im Zuge eines zu erwartenden erneuten starken Anwachsens eines Straßenstrichs im Dortmunder Stadtgebiet durch einen Zuzug bulgarischer Prostituierter sei wiederum mit einer – aus hier maßgeblicher ordnungsbehördlicher Sicht – besonders sozialunverträglichen Art und Weise der Ausübung der Prostitutionstätigkeit durch eine große Anzahl der Prostituierten zu rechnen. Es hat sich gezeigt, dass gerade die als Straßenprostituierte arbeitenden Bulgarinnen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Sperrbezirksregelungen nicht eingehalten, aber auch im Übrigen auf die schutzwürdigen Interessen unbeteiligter Dritter, mit der Prostitutionsausübung nicht konfrontiert zu werden, keine Rücksicht genommen haben. Dem – objektiv betrachtet – offensiven Verhalten der Prostituierten stand ein entsprechend sozialunverträgliches Verhalten auf Seiten der Freier gegenüber. Auf der Grundlage von Berichten speziell aus den Schulen der Nordstadt ist davon auszugehen, dass Prostituierte und Freier es insbesondere regelmäßig zuließen, dass Kinder und Jugendliche im Sperrbezirk – z. B. auf dem Weg zur Schule – direkt Zeugen von Anbahnungskontakten einschließlich der Preisverhandlungen wurden. Auch im Umfeld von Schulen kam es zu Verunreinigungen durch benutzte Kondome und Spritzen. Die Beratungsstelle L. bestätigte, dass Kinder auf dem Kindersitz auf den Straßenstrich mitgenommen und auf diese Weise direkt Zeugen sexueller Dienstleistungen wurden. Auch wenn es sich insoweit um vereinzelte Fälle gehandelt haben mag, zeigt sich hieran doch, dass sich im Bereich des Straßenstrichs ein Umfeld entwickelt hatte, in dem Prostituierte und Freier in erheblichem Maße enthemmt agierten. Nach den Angaben der Inhaber von an den Straßenstrich angrenzenden Geschäften und Betrieben folgten Prostituierte Männern auf den Parkplätzen, um ihre Dienste anzubieten. Freier wiederum zeigten im Umfeld des Straßenstrichs anstößiges Verhalten gegenüber Mitarbeiterinnen und Kundinnen von dort ansässigen Geschäften und Betrieben, gegenüber Anwohnerinnen und Passantinnen; Schulen berichteten über Belästigungen von Kindern, Eltern und Lehrern. Die vom Dortmunder Straßenstrich ausgehende Prostitutionstätigkeit war begleitet von ständigen Verletzungen der von Art. 297 EGStGB erfassten Schutzgüter, ohne dass diesen mit ausgeweiteten ordnungsbehördlichen und polizeilichen Kontrollen effektiv begegnet werden konnte.
84Mit einer vergleichbaren, erneut nicht erfolgreich zu steuernden bzw. zu kontrollierenden Entwicklung wird auch bei der Etablierung eines Straßenstrichs an jeder anderen Stelle im übrigen Dortmunder Stadtgebiet zu rechnen sein. Die insoweit maßgeblichen Faktoren – die prekären Lebenssituationen der bulgarischen Frauen und die Schwierigkeiten, diese und ihr Umfeld zu integrieren – wirken ebenfalls fort. Eine Verlagerung von Anbahnungskontakten vom Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße in die angrenzenden Wohngebiete der Nordstadt mag zwar noch dadurch begünstigt worden sein, dass ein großer Teil der bulgarischen Prostituierten hier wohnte und „in Arbeitskleidung“ zu Fuß zum Arbeitsplatz ging. Eine hinreichende Gefahr eines „Ausfransens“ des Straßenstrichs in angrenzende schutzwürdige und sensible Gebiete besteht aber auch dann, wenn die Prostituierten in diesen nicht selbst wohnen. Ein Straßenstrich der zu erwartenden „Dichte“ birgt schon aus sich heraus die Gefahr eines Ausweichens ins Umfeld. Bei lebensnaher Betrachtung werden sich die auf dem Straßenstrich – täglich von 10 bis 14 oder sogar 14 bis 18 Stunden – tätigen Frauen, zudem wie zuvor, z. B. zur Erledigung von Einkäufen und für Toilettengänge, zwischenzeitlich vom Straßenstrich weg ins fußläufig zu erreichende Umfeld bewegen. Ein erwartungsgemäß weiterhin offensives Vorgehen einer Mehrzahl der Frauen und – damit korrespondierend – der Freier unterstellt, ergibt sich hieraus ein vergleichbar hohes Gefahrenpotential wie in der Vergangenheit.
85Nicht zu beanstanden ist im Weiteren, dass der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, ein – erwartungsgemäß mit dem früheren Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße in seinen Dimensionen vergleichbarer neuer – Straßenstrich an jeder anderen Stelle im übrigen Dortmunder Stadtgebiet bzw. die Begleiterscheinungen eines solchen Straßenstrichs werden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit immer auch schutzbedürftige und sensible Gebiete der Stadt räumlich betreffen.
86Wie konkret gebietsbezogen die diesbezügliche Betrachtung des Verordnungsgebers ausfallen muss, lässt sich nicht allgemein festlegen. Auszugehen ist von dem gesetzlichen Erfordernis, dass das Verbot der Straßenprostitution – auch soweit es stadtweit ausgesprochen wird – nachvollziehbar dem Schutz der Jugend und/oder des öffentlichen Anstands dient.
87Vgl. Hess. VGH, Urteil vom 31. Oktober 2003 – 11 N 2952/00 –, NVwZ-RR 2004, 470 = juris, Rn. 40.
88Dass darüber hinaus an ein stadtweites Verbot der Straßenprostitution besondere (Begründungs-)Anforderungen zu stellen wären, lässt sich der gesetzlichen Ermächtigung in Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGStGB nicht entnehmen.
89Ausgehend hiervon hält der Senat die Annahme des Verordnungsgebers für plausibel, es stehe unter den gegebenen besonderen Bedingungen keine geeignete Fläche für einen Straßenstrich des in Rede stehenden Umfangs und Ausmaßes im übrigen Dortmunder Stadtgebiet zur Verfügung, d. h. es gebe keine Fläche, auf der ein solcher Straßenstrich etabliert werden könnte, ohne dass von diesem Gefahren für die Jugend und den öffentlichen Anstand auszugehen drohen.
90Unter Rückgriff auf eine speziell angefertigte Karte hat der Verordnungsgeber seine Vorgehensweise im Prüf- und Abwägungsvermerk vom 19. April 2011 erläutert, schutzwürdige und sensible Bereich im Stadtgebiet zu identifizieren, deren Verteilung zu veranschaulichen und sodann zu ermitteln, ob in ausreichender Entfernung zu diesen schutzwürdigen und sensiblen Bereichen ausreichend große Flächen existieren, auf denen der zu erwartende Straßenstrich angesiedelt werden könnte. Dies ist nicht zu beanstanden.
91Dass der Verordnungsgeber hier fehlerhaft Bereiche als schutzwürdig und sensibel eingestuft – und auf der die Grundlage für die Gefahrenabschätzung bildenden Karte vom Dortmunder Stadtgebiet markiert – hätte, ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich. Ein Gebiet ist bereits dann durch eine „besondere“ Schutzbedürftigkeit und Sensibilität gekennzeichnet, die im Fall der Konfrontation mit der Prostitutionsausübung bzw. deren Begleiterscheinungen eine abstrakte Gefahr für die in Art. 297 EGStGB genannten Schutzgüter erwarten lässt, wenn es sich um ein Gebiet mit einem hohen Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen handelt.
92Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 6 C 28.13 –, GewArch 2015, 258 = juris, Rn. 6.
93Hier hat der Verordnungsgeber sich zunächst unter Heranziehung verschiedener Informationsquellen der flächenmäßigen Verteilung von Nutzungsarten – nicht nur (theoretischen) Nutzungsabsichten – im Stadtgebiet vergewissert (insbesondere Wohngebiete und Grünflächen gegenüber Gewerbe- und Industrieflächen). Sodann hat er schutzwürdige und sensible Nutzungen – Kinderbetreuung, Schule, Ausbildung, öffentliche Einrichtung, Einrichtung des Gesundheitswesens/Altenbetreuung, religiöse Einrichtung, Kultureinrichtung, Sporteinrichtung und Freizeiteinrichtung – ermittelt und deren Standorte auf der Karte markiert. Dass er bei dieser Vorgehensweise Bereiche als schutzwürdig und sensibel im Hinblick auf eine Gefährdung durch die negativen Auswirkungen der Ausübung von Straßenprostitution eingestuft hätte, obwohl diese die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllen, ergibt sich weder aus dem klägerischen Vorbringen noch ist dies sonst erkennbar. Die Klägerin rügt insoweit konkret allein, der Verordnungsgeber hätte nicht pauschal alle Grünflächen im Stadtgebiet als schutzbedürftig und sensibel ansehen dürfen. Solche – und dies gilt vergleichbar für Waldstücke und Feldwege in Bereichen landwirtschaftlicher Nutzung – werden gerade in einer Großstadt jedoch regelmäßig und intensiv als Naherholungsflächen von allen Stadtbewohnern, insbesondere von Familien mit Kindern und Jugendlichen sowie älteren Menschen, genutzt. Deren Einbeziehung als schutzbedürftig und sensibel ist danach nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat auch nicht im Einzelnen etwa vom Verordnungsgeber einbezogene Grünflächen, denen eine solche Funktion tatsächlich nicht zukommen würde, benannt.
94Es ist im Weiteren nicht erkennbar – und wurde im Übrigen von der Klägerin ebenfalls nicht konkret gerügt –, dass der Verordnungsgeber die um die schutzwürdigen und sensiblen Bereich im Stadtgebiet gezogene „Pufferzone“ um einem etwaigen Standort für den zu erwartenden Straßenstrich zu groß bemessen hätte.
95Nicht zu beanstanden ist, wenn der Verordnungsgeber seinen diesbezüglichen Erwägungen im Ausgangspunkt die Annahme zugrunde legt, dass die Fläche für den (zukünftigen) Standort eines Straßenstrichs umso größer und dessen stadträumliche Trennung von schutzwürdigen und sensiblen Bereichen umso deutlicher sein muss, je eher von dem Straßenstrich Verletzungen der von Art. 297 EGStGB erfassten Schutzgüter auszugehen drohen. Wenn es – wie hier – um die „Verlagerung“ eines Straßenstrichs geht, der bereits in der Vergangenheit an einem anderen Standort zu massiven Schutzgutverletzungen in seinem weiteren Umfeld geführt hat, ist es gerechtfertigt, davon auszugehen, dass ein neuer Standort eine größere flächenmäßige Ausdehnung aufweisen und die „Pufferzone“ zwischen dem neuen Standort sowie schutzwürdigen und sensiblen Nutzungen deutlich größer bzw. „stabiler“ ausfallen muss als beim alten Standort.
96Der frühere Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße – eine immerhin 800 m lange Straßenstrecke zuzüglich einer „Verrichtungsfläche“ von 3.580 m2 – hat sich in der Vergangenheit als deutlich zu klein erwiesen. Wenn zu Spitzenzeiten 100 bis 120 Prostituierte gleichzeitig auf dem Straßenstrich arbeiteten, bedeutete dies – wie das Polizeipräsidium Dortmund in seiner Stellungnahme vom 28. Juni 2011 anschaulich beschrieben hat – eine Dichte von mindestens einer Frau im Abstand von fünf bis sieben Metern. Dementsprechend kam es zu einem massiven Ausweichen der Prostituierten – ihnen folgten die Freier – auf benachbarte Einzelhandels- und Gewerbeflächen. Sogar die angrenzenden Wohngebiete der Nordstadt waren weit in diese hinein betroffen. Dies ist gerade auf der Grundlage der massiven Beschwerden der Bewohner der Nordstadt und der Angehörigen verschiedener Schulen in der Nordstadt hinreichend belegt. Zum Zeitpunkt des Ausbaus des Straßenstrichs im Jahr 2006 ging man von einer Anzahl von ca. 60 als Straßenprostituierten tätigen Frauen aus. Diese Zahl hatte sich bis 2011 vervielfacht. Um eine solche Anzahl an Prostituierten mit ihren Kunden so aufzufangen, dass ein „Ausfransen“ des Straßenstrichs nicht erfolgt, bedarf es prognostisch zunächst einer erheblich größeren Fläche als sie bisher im Bereich der Ravensberger Straße zur Verfügung stand. Die – relative – stadträumliche Abgegrenztheit des Bereichs des alten Straßenstrichs war unter den gegebenen – durch ein offensives und damit besonders sozialunverträgliches Verhalten auf Seiten einer großen Anzahl von Prostituierten und Freiern gekennzeichneten – Bedingungen in keiner Weise ausreichend, um ein Übergreifen der Straßenprostitutionstätigkeit und ihrer Begleiterscheinungen auf schutzwürdige und sensible Bereiche auch im weiteren Umfeld zu verhindern. Dies rechtfertigt es, zudem eine größere „Pufferzone“ zwischen einem neuen Standort für einen Straßenstrich sowie schutzwürdigen und sensiblen Nutzungen zur Abwehr von Gefahren für die in Rede stehenden Schutzgüter für geboten zu halten. Um einen Straßenstrich der zu erwartenden Dimensionen ohne Gefahr für die Jugend und den öffentlichen Anstand unterzubringen, bedürfte es letztlich eines im Hinblick auf seine Größe und stadträumliche Trennung von schutzwürdigen und sensiblen Gebieten idealen Standorts. Ein solcher müsste sich beim Blick auf die vom Verordnungsgeber erstellte Karte quasi aufdrängen.
97Dies ist jedoch nicht der Fall. Es ist auf der Grundlage der diesbezüglichen Ausführungen im Prüf- und Abwägungsvermerk vom 19. April 2011 in Zusammenschau mit der die flächenmäßige Verteilung von Nutzungsarten im Stadtgebiet von Dortmund darstellenden Karte nachvollziehbar, dass die Siedlungsstrukturen, die das Dortmunder Stadtgebiet kennzeichnen, dem Auffinden eines nach den vorstehenden Maßgaben flächenmäßig ausreichend großen und stadträumlich von schutzwürdigen und sensiblen Nutzungen deutlich getrennten Standorts für den hier konkret zu erwartenden Straßenstrich allgemein entgegenstehen. Schon auf den ersten Blick zeigt sich zudem, dass die Standorte konkret schutzwürdiger und sensibler Nutzungen ein enges Netz bilden, in dem eine ausreichend große, von den schutzwürdigen und sensiblen Stadtbereichen ausreichend entfernte Fläche – die zudem rein faktisch, insbesondere verkehrstechnisch, als Standort für einen Straßenstrich überhaupt in Betracht kommt – nicht auszumachen ist. Es lässt sich insbesondere auch erkennen, dass die über das Stadtgebiet verteilten Gewerbe- bzw. Industriegebietsbereiche und Brachflächen, die als Standorte für einen Straßenstrich vorrangig in Betracht zu ziehen sein könnten,
98siehe aber auch Hess. VGH, Urteil vom 31. Oktober 2003 – 11 N 2952/00 –, NVwZ-RR 2004, 407 = juris, Rn. 40,
99flächenmäßig zu klein und/oder stadträumlich von schutzwürdigen und sensiblen Nutzungen nicht deutlich getrennt sind. Ausgehend hiervon bedurfte es vorliegend zur Plausibilisierung der Gefahrenprognose keiner weiteren Darlegung, warum bestimmte in Rede stehende Stadtgebietsbereiche im Einzelnen als Standort für einen Straßenstrich nicht geeignet sind. Die „großmaßstäbige“ Herangehensweise des Verordnungsgebers ist jedenfalls im vorliegenden Sonderfall ausreichend, um eine stadtweite Gefahr für die in Rede stehenden Schutzgüter zu begründen. Hier geht es schließlich um die „Verlagerung“ eines Straßenstrichs mit einer besonders großen Anzahl an Prostituierten, die ihre Tätigkeit in besonders sozialunverträglicher Art und Weise ausüben, was in der Vergangenheit bereits trotz ausgeweiteten ordnungsbehördlichen und polizeilichen Einschreitens zu massiven Verletzungen der Schutzgüter „Jugend“ und „öffentlicher Anstand“ geführt hat. Der Einwand der Klägerin, bei Anlegung eines solch „groben“ Rasters könne Straßenprostitution überall verboten werden, greift nicht durch. Wie „grob“ das Raster sein kann, das bei der Gefahrenprognose angelegt wird, hängt maßgeblich davon ab, welche Dimensionen der zu erwartende Straßenstrich annehmen wird und – damit zusammenhängend – wie groß das Gefahrenpotential ist, das von diesem ausgeht. Eine Betrachtung nach einem verfeinerten Maßstab mag desto eher geboten sein, je geringer dieses ist.
100Im Übrigen vermochte auch die Klägerin einen Standort, an dem ein Straßenstrich der zu erwartenden Dimensionen ohne Gefahr für die Jugend und die öffentliche Sicherheit untergebracht werden könnte, nicht anzugeben. Der von ihr mit dem Hilfsantrag genannte Bereich der F.-Straße zwischen dem Kreuzungsbereich L0 und der Einmündung der E.-Straße ist offenkundig ungeeignet. Bei dem Straßenabschnitt handelt es sich um eine außerhalb geschlossener Ortschaften liegende Hauptverkehrsstraße, über die – wie sich schon aus der Karte ergibt – zudem eine Busverbindung Richtung Innenstadt führt. Ungeachtet dessen, dass auf dem Straßenabschnitt ein Straßenstrich der zu erwartenden Größe wohl keinesfalls ohne Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs untergebracht werden könnte, würde hier Straßenprostitution für alle Straßenverkehrsteilnehmer deutlich sichtbar stattfinden. Überdies liegt der Straßenabschnitt noch im Nahbereich von Wohngebietsbereichen westlich der L0 sowie von Naherholungsflächen nahe der Emscher. Direkt angrenzend befindet sich – worauf die Beklagtenseite hingewiesen hat – die Einrichtung H., ein Ort für Veranstaltungen, die sich unter anderem an Familien mit Kindern richten, und Sitz eines Kindergartens.
101Dass im gesamten Dortmunder Stadtgebiet eine ausreichend große, von schutzwürdigen und sensiblen Stadtbereichen ausreichend entfernte Fläche für den zu erwartenden Straßenstrich offenkundig nicht zur Verfügung steht, wird letztlich bestätigt durch die von den Vertretern der Beklagten zu 2. in der mündlichen Verhandlung vorgelegte, etwaige „Potentialflächen“ für einen Straßenstrich darstellende weitere Karte des Stadtgebiets. Auf dieser neuen Karte wurde nunmehr – nicht nur gedanklich, sondern tatsächlich – um die schutzwürdigen und sensiblen Nutzungen herum jeweils eine „Pufferzone“ gezogen. Der unter Rückgriff auf § 16 Abs. 3 AG GlüStV NRW gewählte Radius von 350 Metern erscheint dabei unter den gegebenen Umständen als sehr gering. Die hierbei verbleibenden Flächen sind allesamt – wie die Vertreter der Beklagten zu 2. in der mündlichen Verhandlung anschaulich erläutern konnten – offensichtlich als Standort für einen Straßenstrich der zu erwartenden Dimensionen nicht geeignet. Vielfach scheiden sie schon faktisch aus, weil sie im Eigentum Privater stehen. Im Übrigen sind sie offensichtlich zu klein, um einen Straßenstrich der zu erwartenden Größe aufnehmen zu können, oder liegen erneut im Nahbereich der Dortmunder Nordstadt. Die Klägerin hat den diesbezüglichen Darlegungen der Vertreter der Beklagten zu 2. auch nichts entgegengesetzt.
102Der Senat hält im Übrigen die Einschätzung des Verordnungsgebers, weder durch eine räumliche Trennung von Standorten noch eine zeitliche Beschränkung der Prostitutionstätigkeit könne den Gefahren für die in Rede stehenden Schutzgüter begegnet werden, für zutreffend. Die Annahme, eine zukünftige Entwicklung könne bei realistischer Betrachtung nicht etwa dahingehend gesteuert werden, dass sich anstatt eines „Großstandorts“ mehrere „Kleinstandorte“ für die Straßenprostitution etablierten, vielmehr sei aufgrund der „Marktgegebenheiten“ nur eine Konzentration der Straßenprostitution an einem Standort wahrscheinlich, ist ohne Weiteres plausibel. Dass auch bei einer Einführung von zeitlichen Beschränkungen für die Straßenprostitutionstätigkeit von einem Straßenstrich der zu erwartenden Dimensionen Gefahren für die Schutzgüter „Jugend“ und „öffentlicher Anstand“ ausgehen werden, ist schon deswegen hinreichend wahrscheinlich, weil sich sowohl Jugendliche als auch Erwachsene gerade in Großstädten wie Dortmund auch zur Nachtzeit in schutzbedürftigen und sensiblen Bereichen auf der Straße bewegen. Dies gilt in gleicher Weise für als Naherholungsbereiche genutzte Grünflächen, so dass sich auch auf diesen ein Straßenstrich nicht – wie die Klägerin vorgeschlagen hat – bei einer Beschränkung auf die Nachtzeiten ohne Gefahr für die in Rede stehenden Schutzgüter betreiben ließe. Ohnehin ist damit zu rechnen, dass ein Straßenstrich der zu erwartenden Dimensionen – wie in der Vergangenheit – zu Verschmutzungen der Örtlichkeiten führen wird, die eine ungestörte Nutzung des Bereichs als Naherholungsfläche in sozialunverträglicher Art und Weise beeinträchtigen. Unter den gegebenen Bedingungen ist schließlich aber auch nicht einmal wahrscheinlich, dass sich eine zeitliche Beschränkung der Straßenprostitutionsausübung überhaupt konsequent durchsetzen ließe.
103Ist der Verordnungsgeber danach in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, unter den gegebenen Umständen werde ein Straßenstrich an jeder anderen Stelle im übrigen Dortmunder Stadtgebiet eine abstrakte Gefahr für die in Art. 297 EGStGB genannten Schutzgüter begründen, bestehen im Weiteren auch keine Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Maßnahme. Der Verordnungsgeber hat das stadtgebietsweite Verbot der Straßenprostitution auch ermessensfehlerfrei erlassen.
104Der durch das Verbot verursachte Eingriff in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Prostituierten ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Mit der Berufsausübungsregelung – verboten wird nur eine Form der Ausübung der Prostitution, die Straßenprostitution – verfolgt der Verordnungsgeber nach den vorstehenden Ausführungen auch hier einen legitimen Zweck, namentlich den mit Verfassungsrang ausgestatteten Schutz der Jugend sowie den Schutz des gewichtigen Gemeinschaftsgutes „öffentlicher Anstand“. Zur Erreichung dieses Zwecks ist das stadtweite Verbot der Straßenprostitution offenkundig geeignet.
105Auch im Hinblick auf die Erforderlichkeit des stadtweiten Straßenprostitutionsverbots bestehen keine Bedenken. Liegt eine abstrakte Gefahr für die Jugend und den öffentlichen Anstand bezogen auf das ganze Gebiet einer Gemeinde vor, ist der Verordnungsgeber auch bei großen Gemeinden grundsätzlich nicht gehalten, Toleranzzonen für die Straßenprostitution auszuweisen, um eine Prostitution dieser Art zu ermöglichen. Die Ermächtigung in Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGStGB schließt zweifelsfrei die Möglichkeit ein, auch ein ganzes Gemeindegebiet zum Sperrgebiet zu erklären. Anders als Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EGStGB ist der Ermächtigung in Nr. 3 gerade keine Entscheidung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass oberhalb einer nach der Einwohnerzahl bemessenen Gemeindegröße die Straßenprostitution grundsätzlich zuzulassen ist.
106Vgl. Hess. VGH, Urteil vom 31. Oktober 2003 – 11 N 2952/00 –, NVwZ-RR 2004, 407 = juris, Rn. 45.
107Ausgehend hiervon musste der Verordnungsgeber auch nicht unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten auf die sog. „mittlere Lösung“, d. h. eine sehr deutliche Erweiterung des Sperrbezirks mit der Schaffung geringfügiger Toleranzzonen, zurückzugreifen. Er musste nicht etwa das mit der Schaffung von Toleranzzonen verbundene Risiko für die in Rede stehenden Schutzgüter in Kauf nehmen – zumal hier auch nicht davon auszugehen ist, dass diesem mit ordnungsbehördlichen und polizeilichen Maßnahmen effizient begegnet werden könnte. Dies gilt gleichermaßen für eine zeitliche Beschränkung eines Straßenprostitutionsverbots.
108Das stadtweite Verbot der Straßenprostitution erweist sich auch als angemessen. Das Interesse der Straßenprostituierten an der Ausübung dieser Form der Prostitution – Bordell- und Wohnungsprostitution bleiben in weiten Teilen des Dortmunder Stadtgebiets zulässig – tritt vorliegend hinter den mit Verfassungsrang ausgestatteten Jugendschutzinteressen und dem vom Schutzgut des öffentlichen Anstands erfassten gewichtigen Gemeinwohlinteresse an einem sozialverträglichen Zusammenleben der Menschen zurück. Die Klägerin kann sich insoweit nicht mit Erfolg darauf berufen, die Straßenprostitution sei gegenüber der Wohnungs- und Bordellprostitution nicht nur lukrativer, sondern auch sicherer. Letzteres erscheint schon grundsätzlich zweifelhaft und dürfte erst Recht für den hier zu erwartenden Straßenstrich schon wegen seiner großen Anzahl an Prostituierten und Freiern nicht ohne Weiteres gelten. Dass die Verhältnisse auf dem Straßenstrich im Bereich der Ravensberger Straße, mit deren Wiederaufleben an einem Straßenstrich an anderer Stelle im Dortmunder Stadtgebiet zu rechnen ist, in hygienischer Hinsicht alles andere als „sicher“ waren, haben die Beklagten zutreffend hervorgehoben. Dass Prostituierte mit der Straßenprostitution regelmäßig mehr Geld verdienen als mit anderen Formen der Prostitution ist gleichfalls zweifelhaft. Unter den gegebenen Umständen dürfte jedenfalls davon auszugehen sein, dass auf einem Dortmunder Straßenstrich auch an anderer Stelle die Preise für sexuelle Dienstleistungen insgesamt niedrig sein werden, wenn – womit erneut zu rechnen ist – dort eine große Anzahl an Frauen diese für vergleichsweise wenig Geld anbietet. Ungeachtet dessen überwiegen aber auch die mit dem Straßenprostitutionsverbot verfolgten Jugendschutzinteressen sowie das Interesse am Schutz des öffentlichen Anstands gegenüber dem Interesse der Prostituierten an der Ausübung der etwaig lukrativeren und weniger gefährlichen Straßenprostitution.
109Von der Klägerin gerügte Ermessensfehler sind schließlich nicht gegeben. Der Verordnungsgeber hat – wie sich aus dem Vorstehenden ergibt – die für seine Entscheidung maßgeblichen Tatsachen ausreichend ermittelt und auf dieser Tatsachengrundlage das Straßenprostitutionsverbot unter Befassung mit Handlungsalternativen und Abwägung der gegenläufigen Interessen erlassen. Ermessensfehler sind insoweit nicht zu erkennen.
110[…]
(1) Die Landesregierung kann zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes
- 1.
für das ganze Gebiet einer Gemeinde bis zu fünfzigtausend Einwohnern, - 2.
für Teile des Gebiets einer Gemeinde über zwanzigtausend Einwohner oder eines gemeindefreien Gebiets, - 3.
unabhängig von der Zahl der Einwohner für öffentliche Straßen, Wege, Plätze, Anlagen und für sonstige Orte, die von dort aus eingesehen werden können, im ganzen Gebiet oder in Teilen des Gebiets einer Gemeinde oder eines gemeindefreien Gebiets
(2) Die Landesregierung kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf eine oberste Landesbehörde oder andere Behörden übertragen.
(3) Wohnungsbeschränkungen auf bestimmte Straßen oder Häuserblocks zum Zwecke der Ausübung der Prostitution (Kasernierungen) sind verboten.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen eine Verfügung, durch welche ihm die beklagte Stadt Frankfurt am Main untersagt hat, das Hinterhaus auf einem ihm gehörenden Hausgrundstück für einen bordellartigen Betrieb zur Verfügung zu stellen.
- 2
-
Der Kläger vermietete die Räume eines Hinterhauses auf einem ihm gehörenden Hausgrundstück in Frankfurt am Main zum Betrieb eines sogenannten Massagestudios, in dem Prostituierte sexuelle Dienstleistungen anboten. Am Grundstück selbst wurde nicht auf diese Nutzung hingewiesen. Für das Massagestudio wurde auf einer Werbetafel im Bereich der Frankfurter Hauptwache und im Internet geworben. Das Grundstück liegt in einem bauplanungsrechtlich ausgewiesenen Mischgebiet, an das ein allgemeines Wohngebiet angrenzt. Etwa 200 Meter entfernt befinden sich zwei Kindertagesstätten, etwa 100 Meter entfernt befindet sich eine Realschule.
- 3
-
Für den Bereich des Grundstücks verbietet die Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstands in Frankfurt am Main vom 23. Dezember 1986 (Sperrgebietsverordnung) unter anderem, in Prostituiertenwohnheimen, Prostituiertenunterkünften und ähnlichen Einrichtungen (unter anderem in sogenannten Massagesalons und sonstigen überwiegend von Prostituierten genutzten Häusern) der Prostitution nachzugehen.
- 4
-
Gestützt auf einen Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung untersagte die Beklagte dem Kläger durch die angegriffene Verfügung, seine Liegenschaft zur Ausübung der Prostitution zur Verfügung zu stellen.
- 5
-
Nach Zurückweisung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs hat der Kläger gegen die Verfügung Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht abgewiesen hat.
- 6
-
Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof die Verfügung der Beklagten aufgehoben: Die Verfügung könne nicht auf einen Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung gestützt werden. Rechtsgrundlage für deren Erlass sei Art. 297 Abs. 1 EGStGB. Die weitgehende Legalisierung der Prostitution durch das Prostitutionsgesetz mache diese Verordnungsermächtigung zwar nicht obsolet; das Prostitutionsgesetz und der darin manifestierte Wandel der gesellschaftlichen Akzeptanz der Prostitution verböten es jedoch, bei der Anwendung der Ermächtigungsgrundlage des Art. 297 EGStGB die Ausübung der Prostitution außerhalb ausgewiesener Toleranzzonen als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung einzustufen, ohne die aus ihrer Ausübung resultierenden schädlichen Auswirkungen auf die Nachbarschaft, insbesondere auf dort lebende Jugendliche und Kinder konkret zu bewerten. Eine öffentlich nicht wahrnehmbare Ausübung der Prostitution könne deshalb nicht mehr durch den Vollzug einer Sperrgebietsverordnung unterbunden werden, die keine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution voraussetze. Die Sperrgebietsverordnung sei bundesrechtskonform dahin auszulegen, dass die dort beschriebene Ausübung der Prostitution außerhalb der Toleranzzonen nur noch dann verboten sei, wenn sie nach außen in Erscheinung trete und eine „milieubedingte Unruhe“ befürchten lasse. Beides sei hier offensichtlich nicht gegeben.
- 7
-
Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte, die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen: Art. 297 EGStGB sei auch nach Erlass des Prostitutionsgesetzes eine geeignete Ermächtigungsgrundlage für eine Sperrgebietsverordnung, durch welche aufgrund einer typisierenden Betrachtung der Prostitution von ihr ausgehende abstrakte Gefahren der Belästigung der Wohnbevölkerung und der Jugend unterbunden werden sollten.
- 8
-
Der Kläger tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat Art. 297 Abs. 1 EGStGB zu Unrecht einschränkend ausgelegt. Entgegen seiner Auffassung ermächtigt diese Vorschrift nicht nur zum Erlass solcher Sperrgebietsverordnungen, welche die Prostitution nur unter der Voraussetzung verbieten, dass mit ihr im konkreten Fall Belästigungen der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution verbunden sind. Hiervon ausgehend gebietet Bundesrecht nicht, § 1 Abs. 2 Halbs. 2 der Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstands in Frankfurt am Main vom 23. Dezember 1986 (Sperrgebietsverordnung) einschränkend dahin auszulegen, dass die dort beschriebene Ausübung der Prostitution nur dann verboten ist, wenn sie nach außen in Erscheinung tritt und Belästigungen der Anwohner als milieubedingte Begleiterscheinungen der Prostitution befürchten lässt. Bei zutreffender Auslegung des Art. 297 Abs. 1 EGStGB hätte der Verwaltungsgerichtshof vielmehr zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Ausübung der Prostitution auf dem Hausgrundstück des Klägers gegen § 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung verstößt, deshalb zugleich einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 11 HSOG darstellt und - weil auch die übrigen Voraussetzungen für ein ordnungsbehördliches Einschreiten vorliegen - nach dieser Vorschrift untersagt werden durfte. Weiterer tatsächlicher Feststellung bedarf es hierfür nicht. Der Senat kann deshalb in der Sache entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückweisen.
- 10
-
Nach Art. 297 Abs. 1 EGStGB kann die Landesregierung oder nach Abs. 2 eine von ihr bestimmte Behörde zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstands für Teile des Gebiets einer Gemeinde durch Rechtsverordnung verbieten, der Prostitution nachzugehen.
- 11
-
Schon der eindeutige Wortlaut steht einem Verständnis der Norm entgegen, nach dem der Verordnungsgeber das Verbot von der Voraussetzung abhängig machen muss, dass die Ausübung der Prostitution im konkreten Einzelfall eine Belästigung der Öffentlichkeit durch die Begleiterscheinungen der Prostitution hervorruft. Von einer solchen Einschränkung ist in der Vorschrift nicht die Rede.
- 12
-
Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, der es geböte, den Schutz ordnungsrechtlicher Belange stets in der Weise auszugestalten, dass nur ein Verhalten rechtlich untersagt wird, von dem im konkreten Einzelfall erwiesen ist, dass es diese Belange tatsächlich beeinträchtigt. Für den Erlass einer Verordnung genügt die Prognose, dass das betroffene Verhalten (hier die Ausübung der Prostitution) in hinreichender Weise die abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Schutzgüter begründet. Es bestehen deshalb keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber den Verordnungsgeber ermächtigt, die Prostitution unter der Voraussetzung zu verbieten, dass deren Ausübung abstrakte Gefahren für den öffentlichen Anstand oder den Schutz der Jugend begründet.
- 13
-
Demgemäß kann der Erlass einer Sperrgebietsverordnung zum Schutze des öffentlichen Anstands gerechtfertigt sein, wenn die Eigenart des betroffenen Gebietes durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet ist und wenn eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen Unbeteiligter und „milieubedingte Unruhe“, wie zum Beispiel das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen, befürchten lässt (VGH Kassel, Urteil vom 31. Oktober 2003 - 11 N 2952/00 - NVwZ-RR 2004, 470 <471>; VGH Mannheim, Urteil vom 15. Dezember 2008 - 1 S 2256/07 - VBlBW 2009, 220). Für den Erlass der Verordnung genügt die Prognose, dass die Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen hervorruft. Ist ein Gebiet durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet, darf der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass die Ausübung der Prostitution die abstrakte Gefahr von derartigen Beeinträchtigungen des öffentlichen Anstands begründet.
- 14
-
Der Erlass des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz - ProstG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) führt nicht dazu, dass Art. 297 EGStGB in dieser Auslegung nunmehr gegen das Gebot der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit gesetzlicher Regelungen verstößt. Der Gesetzgeber hat sich mit dem Prostitutionsgesetz darauf beschränkt, zum einen die Rechtswirksamkeit des Anspruchs der Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt (§ 1 ProstG), die fehlende Abtretbarkeit des Anspruchs und den weitgehenden Ausschluss von Einwendungen gegen diesen (§ 2 ProstG) und den Zugang zur Sozialversicherung trotz des nur eingeschränkten Weisungsrechts gegenüber abhängig beschäftigten Prostituierten (§ 3 ProstG) zu regeln sowie zum anderen die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution und der Zuhälterei einzuschränken (Art. 2 ProstG). Dabei ging er ausweislich der Gesetzesbegründung davon aus, dass die Vereinbarung über ein Entgelt für sexuelle Leistungen und auch die Tätigkeit selbst nicht gegen die guten Sitten verstoßen (vgl. BT-Drs. 14/5958 S. 4, 6).
- 15
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Die Legalisierung der Prostitutionsausübung im zivil- und sozialversicherungsrechtlichen Bereich und die Einschränkung der Strafbarkeit durch das Prostitutionsgesetz schließen es ebenso wenig wie der Wegfall des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit der Prostitution aus, dass die Prostitutionsausübung in bestimmten Erscheinungsformen und damit einhergehenden sozialtypischen Begleiterscheinungen namentlich mit Blick auf sensible Gemeindegebiete gegen den öffentlichen Anstand verstoßen kann. Davon ausgehend stellt die Festsetzung von Sperrbezirken auf der Grundlage des Art. 297 EGStGB weder die zivilrechtliche Wirksamkeit des Entgeltanspruchs der Prostituierten noch den Zugang zur Sozialversicherung in Frage; sie ist auch nicht mit dem generellen Vorwurf der Sittenwidrigkeit der Ausübung der Prostitution im Sperrbezirk verbunden, sondern dient der lokalen Steuerung der Prostitutionsausübung aus ordnungsrechtlichen Gründen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. April 2009 - 1 BvR 224/07 - NVwZ 2009, 905 <906 f.>). Die Legalität dieser gewerblichen Betätigung bedeutet hier ebenso wenig wie in anderen Fällen legaler Gewerbe, dass sie an jedem beliebigen Ort ausgeübt werden darf. Dem Gesetz- und Verordnungsgeber bleibt es überlassen, potentiell miteinander unverträgliche Nutzungen räumlich zu trennen.
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§ 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung stimmt, soweit es auf die Norm hier entscheidungserheblich ankommt, mit diesen bundesrechtlichen Anforderungen an den Erlass einer Sperrgebietsverordnung überein.
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Das Grundstück des Klägers liegt in einem Gebiet, das durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität gekennzeichnet ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs befinden sich dort Kindertagesstätten und eine Schule sowie Wohnanlagen.
- 18
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Weil das hier in Rede stehende Gebiet diese Eigenart aufweist, durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass die Ausübung der Prostitution dort die abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen des öffentlichen Anstands begründet. Für die lokale Steuerung der Prostitution, welcher die Sperrgebietsverordnung zulässigerweise dient, musste der Verordnungsgeber nicht für jedes einzelne Grundstück, das von dem Verbotsbereich erfasst werden soll, konkret feststellen, ob es in einer Weise genutzt wird, die dort die abzuwehrenden Gefahren und Belästigungen der Prostitutionsausübung erwarten lassen. Die Abgrenzung muss nicht grundstücksscharf getroffen werden, sondern kann größere durch ihre Eigenart geprägte Gebiete erfassen. Dies genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der bei der Abgrenzung der Verbotsbereiche zu berücksichtigen ist.
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Ob § 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung bezogen auf den hier in Rede stehenden Bereich zugleich durch den Schutz der Jugend getragen wird, bedarf keiner abschließenden Entscheidung, da die Verordnung bereits von dem Schutz des öffentlichen Anstands getragen wird. Jedenfalls sind die Erwägungen, mit denen der Verwaltungsgerichtshof dies verneint hat, zumindest teilweise mit Bundesrecht nicht vereinbar. Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend darauf abgestellt, es sei auszuschließen, dass die Schüler und Schülerinnen der nahegelegenen Schule bei Kenntnisnahme von der Werbung für das Massagestudio seelischen Schaden nähmen, weil Kinder und Jugendliche dieser Altersgruppe - zumal in einer Großstadt wie Frankfurt am Main - jederzeit durch allgemein zugängliche Quellen und geradezu zwangsläufig mit Prostitution konfrontiert würden und sich im Zuge ihres Reifeprozesses mit diesem mittlerweile gesellschaftlich als unvermeidlich akzeptierten Phänomen auch auseinandersetzen sollten. Diese Erwägungen verkennen den bundesrechtlich eingeräumten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Der Staat ist berechtigt, von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, welche sich, zum Beispiel wegen der Kommerzialisierung sexueller Handlungen, auf ihre Einstellung zur Sexualität und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können. Es obliegt dem Gesetzgeber zu entscheiden, ob, wo und wann Jugendliche mit dem gesellschaftlichen Phänomen der Prostitution konfrontiert werden sollen (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 28. April 2009 - 1 BvR 224/07 - NVwZ 2009, 905).
- 20
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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist hinsichtlich des Verbotstatbestandes gewahrt. Gegenteiliges lässt sich nicht aus dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 2009 - 1 BvR 224/07 - (NVwZ 2009, 905) herleiten. Das Bundesverfassungsgericht hat dort zwar angemerkt, die Wohnungsprostitution werde häufig deutlich weniger wahrnehmbar sein als die Straßen- und die Bordellprostitution; bei Erlass der jeweiligen Sperrgebietsverordnung könne unter Abwägung aller betroffenen Rechtspositionen und öffentlichen Belange auch einer geringeren öffentlichen Sichtbarkeit der Wohnungsprostitution beim Ausgleich aller Interessen angemessen Rechnung getragen werden.
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§ 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung erfasst jedoch keine Wohnungsprostitution in dem Sinne, wie dieser Begriff üblicherweise verstanden wird und ersichtlich auch vom Bundesverfassungsgericht verwendet wird. Die Prostitution wird hier auch tatsächlich nicht in der Gestalt einer Wohnungsprostitution ausgeübt. Die Prostitution wird nicht in einer einzelnen Wohnung ausgeübt, in welcher die Prostituierte wohnt und dabei nebenher der Prostitution nachgeht. Vielmehr dient das Hinterhaus ausschließlich der Ausübung der Prostitution und ist damit eine ähnliche Einrichtung im Sinne des § 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung (Massagesalons und sonstige überwiegend von Prostituierten genutzte Häuser).
- 22
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
(1) Die Landesregierung kann zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes
- 1.
für das ganze Gebiet einer Gemeinde bis zu fünfzigtausend Einwohnern, - 2.
für Teile des Gebiets einer Gemeinde über zwanzigtausend Einwohner oder eines gemeindefreien Gebiets, - 3.
unabhängig von der Zahl der Einwohner für öffentliche Straßen, Wege, Plätze, Anlagen und für sonstige Orte, die von dort aus eingesehen werden können, im ganzen Gebiet oder in Teilen des Gebiets einer Gemeinde oder eines gemeindefreien Gebiets
(2) Die Landesregierung kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf eine oberste Landesbehörde oder andere Behörden übertragen.
(3) Wohnungsbeschränkungen auf bestimmte Straßen oder Häuserblocks zum Zwecke der Ausübung der Prostitution (Kasernierungen) sind verboten.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen eine Verfügung, durch welche ihm die beklagte Stadt Frankfurt am Main untersagt hat, das Hinterhaus auf einem ihm gehörenden Hausgrundstück für einen bordellartigen Betrieb zur Verfügung zu stellen.
- 2
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Der Kläger vermietete die Räume eines Hinterhauses auf einem ihm gehörenden Hausgrundstück in Frankfurt am Main zum Betrieb eines sogenannten Massagestudios, in dem Prostituierte sexuelle Dienstleistungen anboten. Am Grundstück selbst wurde nicht auf diese Nutzung hingewiesen. Für das Massagestudio wurde auf einer Werbetafel im Bereich der Frankfurter Hauptwache und im Internet geworben. Das Grundstück liegt in einem bauplanungsrechtlich ausgewiesenen Mischgebiet, an das ein allgemeines Wohngebiet angrenzt. Etwa 200 Meter entfernt befinden sich zwei Kindertagesstätten, etwa 100 Meter entfernt befindet sich eine Realschule.
- 3
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Für den Bereich des Grundstücks verbietet die Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstands in Frankfurt am Main vom 23. Dezember 1986 (Sperrgebietsverordnung) unter anderem, in Prostituiertenwohnheimen, Prostituiertenunterkünften und ähnlichen Einrichtungen (unter anderem in sogenannten Massagesalons und sonstigen überwiegend von Prostituierten genutzten Häusern) der Prostitution nachzugehen.
- 4
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Gestützt auf einen Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung untersagte die Beklagte dem Kläger durch die angegriffene Verfügung, seine Liegenschaft zur Ausübung der Prostitution zur Verfügung zu stellen.
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Nach Zurückweisung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs hat der Kläger gegen die Verfügung Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht abgewiesen hat.
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Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof die Verfügung der Beklagten aufgehoben: Die Verfügung könne nicht auf einen Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung gestützt werden. Rechtsgrundlage für deren Erlass sei Art. 297 Abs. 1 EGStGB. Die weitgehende Legalisierung der Prostitution durch das Prostitutionsgesetz mache diese Verordnungsermächtigung zwar nicht obsolet; das Prostitutionsgesetz und der darin manifestierte Wandel der gesellschaftlichen Akzeptanz der Prostitution verböten es jedoch, bei der Anwendung der Ermächtigungsgrundlage des Art. 297 EGStGB die Ausübung der Prostitution außerhalb ausgewiesener Toleranzzonen als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung einzustufen, ohne die aus ihrer Ausübung resultierenden schädlichen Auswirkungen auf die Nachbarschaft, insbesondere auf dort lebende Jugendliche und Kinder konkret zu bewerten. Eine öffentlich nicht wahrnehmbare Ausübung der Prostitution könne deshalb nicht mehr durch den Vollzug einer Sperrgebietsverordnung unterbunden werden, die keine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution voraussetze. Die Sperrgebietsverordnung sei bundesrechtskonform dahin auszulegen, dass die dort beschriebene Ausübung der Prostitution außerhalb der Toleranzzonen nur noch dann verboten sei, wenn sie nach außen in Erscheinung trete und eine „milieubedingte Unruhe“ befürchten lasse. Beides sei hier offensichtlich nicht gegeben.
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Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte, die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen: Art. 297 EGStGB sei auch nach Erlass des Prostitutionsgesetzes eine geeignete Ermächtigungsgrundlage für eine Sperrgebietsverordnung, durch welche aufgrund einer typisierenden Betrachtung der Prostitution von ihr ausgehende abstrakte Gefahren der Belästigung der Wohnbevölkerung und der Jugend unterbunden werden sollten.
- 8
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Der Kläger tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat Art. 297 Abs. 1 EGStGB zu Unrecht einschränkend ausgelegt. Entgegen seiner Auffassung ermächtigt diese Vorschrift nicht nur zum Erlass solcher Sperrgebietsverordnungen, welche die Prostitution nur unter der Voraussetzung verbieten, dass mit ihr im konkreten Fall Belästigungen der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution verbunden sind. Hiervon ausgehend gebietet Bundesrecht nicht, § 1 Abs. 2 Halbs. 2 der Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstands in Frankfurt am Main vom 23. Dezember 1986 (Sperrgebietsverordnung) einschränkend dahin auszulegen, dass die dort beschriebene Ausübung der Prostitution nur dann verboten ist, wenn sie nach außen in Erscheinung tritt und Belästigungen der Anwohner als milieubedingte Begleiterscheinungen der Prostitution befürchten lässt. Bei zutreffender Auslegung des Art. 297 Abs. 1 EGStGB hätte der Verwaltungsgerichtshof vielmehr zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Ausübung der Prostitution auf dem Hausgrundstück des Klägers gegen § 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung verstößt, deshalb zugleich einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 11 HSOG darstellt und - weil auch die übrigen Voraussetzungen für ein ordnungsbehördliches Einschreiten vorliegen - nach dieser Vorschrift untersagt werden durfte. Weiterer tatsächlicher Feststellung bedarf es hierfür nicht. Der Senat kann deshalb in der Sache entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückweisen.
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Nach Art. 297 Abs. 1 EGStGB kann die Landesregierung oder nach Abs. 2 eine von ihr bestimmte Behörde zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstands für Teile des Gebiets einer Gemeinde durch Rechtsverordnung verbieten, der Prostitution nachzugehen.
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Schon der eindeutige Wortlaut steht einem Verständnis der Norm entgegen, nach dem der Verordnungsgeber das Verbot von der Voraussetzung abhängig machen muss, dass die Ausübung der Prostitution im konkreten Einzelfall eine Belästigung der Öffentlichkeit durch die Begleiterscheinungen der Prostitution hervorruft. Von einer solchen Einschränkung ist in der Vorschrift nicht die Rede.
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Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, der es geböte, den Schutz ordnungsrechtlicher Belange stets in der Weise auszugestalten, dass nur ein Verhalten rechtlich untersagt wird, von dem im konkreten Einzelfall erwiesen ist, dass es diese Belange tatsächlich beeinträchtigt. Für den Erlass einer Verordnung genügt die Prognose, dass das betroffene Verhalten (hier die Ausübung der Prostitution) in hinreichender Weise die abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Schutzgüter begründet. Es bestehen deshalb keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber den Verordnungsgeber ermächtigt, die Prostitution unter der Voraussetzung zu verbieten, dass deren Ausübung abstrakte Gefahren für den öffentlichen Anstand oder den Schutz der Jugend begründet.
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Demgemäß kann der Erlass einer Sperrgebietsverordnung zum Schutze des öffentlichen Anstands gerechtfertigt sein, wenn die Eigenart des betroffenen Gebietes durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet ist und wenn eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen Unbeteiligter und „milieubedingte Unruhe“, wie zum Beispiel das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen, befürchten lässt (VGH Kassel, Urteil vom 31. Oktober 2003 - 11 N 2952/00 - NVwZ-RR 2004, 470 <471>; VGH Mannheim, Urteil vom 15. Dezember 2008 - 1 S 2256/07 - VBlBW 2009, 220). Für den Erlass der Verordnung genügt die Prognose, dass die Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen hervorruft. Ist ein Gebiet durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet, darf der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass die Ausübung der Prostitution die abstrakte Gefahr von derartigen Beeinträchtigungen des öffentlichen Anstands begründet.
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Der Erlass des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz - ProstG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) führt nicht dazu, dass Art. 297 EGStGB in dieser Auslegung nunmehr gegen das Gebot der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit gesetzlicher Regelungen verstößt. Der Gesetzgeber hat sich mit dem Prostitutionsgesetz darauf beschränkt, zum einen die Rechtswirksamkeit des Anspruchs der Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt (§ 1 ProstG), die fehlende Abtretbarkeit des Anspruchs und den weitgehenden Ausschluss von Einwendungen gegen diesen (§ 2 ProstG) und den Zugang zur Sozialversicherung trotz des nur eingeschränkten Weisungsrechts gegenüber abhängig beschäftigten Prostituierten (§ 3 ProstG) zu regeln sowie zum anderen die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution und der Zuhälterei einzuschränken (Art. 2 ProstG). Dabei ging er ausweislich der Gesetzesbegründung davon aus, dass die Vereinbarung über ein Entgelt für sexuelle Leistungen und auch die Tätigkeit selbst nicht gegen die guten Sitten verstoßen (vgl. BT-Drs. 14/5958 S. 4, 6).
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Die Legalisierung der Prostitutionsausübung im zivil- und sozialversicherungsrechtlichen Bereich und die Einschränkung der Strafbarkeit durch das Prostitutionsgesetz schließen es ebenso wenig wie der Wegfall des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit der Prostitution aus, dass die Prostitutionsausübung in bestimmten Erscheinungsformen und damit einhergehenden sozialtypischen Begleiterscheinungen namentlich mit Blick auf sensible Gemeindegebiete gegen den öffentlichen Anstand verstoßen kann. Davon ausgehend stellt die Festsetzung von Sperrbezirken auf der Grundlage des Art. 297 EGStGB weder die zivilrechtliche Wirksamkeit des Entgeltanspruchs der Prostituierten noch den Zugang zur Sozialversicherung in Frage; sie ist auch nicht mit dem generellen Vorwurf der Sittenwidrigkeit der Ausübung der Prostitution im Sperrbezirk verbunden, sondern dient der lokalen Steuerung der Prostitutionsausübung aus ordnungsrechtlichen Gründen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. April 2009 - 1 BvR 224/07 - NVwZ 2009, 905 <906 f.>). Die Legalität dieser gewerblichen Betätigung bedeutet hier ebenso wenig wie in anderen Fällen legaler Gewerbe, dass sie an jedem beliebigen Ort ausgeübt werden darf. Dem Gesetz- und Verordnungsgeber bleibt es überlassen, potentiell miteinander unverträgliche Nutzungen räumlich zu trennen.
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§ 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung stimmt, soweit es auf die Norm hier entscheidungserheblich ankommt, mit diesen bundesrechtlichen Anforderungen an den Erlass einer Sperrgebietsverordnung überein.
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Das Grundstück des Klägers liegt in einem Gebiet, das durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität gekennzeichnet ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs befinden sich dort Kindertagesstätten und eine Schule sowie Wohnanlagen.
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Weil das hier in Rede stehende Gebiet diese Eigenart aufweist, durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass die Ausübung der Prostitution dort die abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen des öffentlichen Anstands begründet. Für die lokale Steuerung der Prostitution, welcher die Sperrgebietsverordnung zulässigerweise dient, musste der Verordnungsgeber nicht für jedes einzelne Grundstück, das von dem Verbotsbereich erfasst werden soll, konkret feststellen, ob es in einer Weise genutzt wird, die dort die abzuwehrenden Gefahren und Belästigungen der Prostitutionsausübung erwarten lassen. Die Abgrenzung muss nicht grundstücksscharf getroffen werden, sondern kann größere durch ihre Eigenart geprägte Gebiete erfassen. Dies genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der bei der Abgrenzung der Verbotsbereiche zu berücksichtigen ist.
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Ob § 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung bezogen auf den hier in Rede stehenden Bereich zugleich durch den Schutz der Jugend getragen wird, bedarf keiner abschließenden Entscheidung, da die Verordnung bereits von dem Schutz des öffentlichen Anstands getragen wird. Jedenfalls sind die Erwägungen, mit denen der Verwaltungsgerichtshof dies verneint hat, zumindest teilweise mit Bundesrecht nicht vereinbar. Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend darauf abgestellt, es sei auszuschließen, dass die Schüler und Schülerinnen der nahegelegenen Schule bei Kenntnisnahme von der Werbung für das Massagestudio seelischen Schaden nähmen, weil Kinder und Jugendliche dieser Altersgruppe - zumal in einer Großstadt wie Frankfurt am Main - jederzeit durch allgemein zugängliche Quellen und geradezu zwangsläufig mit Prostitution konfrontiert würden und sich im Zuge ihres Reifeprozesses mit diesem mittlerweile gesellschaftlich als unvermeidlich akzeptierten Phänomen auch auseinandersetzen sollten. Diese Erwägungen verkennen den bundesrechtlich eingeräumten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Der Staat ist berechtigt, von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, welche sich, zum Beispiel wegen der Kommerzialisierung sexueller Handlungen, auf ihre Einstellung zur Sexualität und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können. Es obliegt dem Gesetzgeber zu entscheiden, ob, wo und wann Jugendliche mit dem gesellschaftlichen Phänomen der Prostitution konfrontiert werden sollen (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 28. April 2009 - 1 BvR 224/07 - NVwZ 2009, 905).
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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist hinsichtlich des Verbotstatbestandes gewahrt. Gegenteiliges lässt sich nicht aus dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 2009 - 1 BvR 224/07 - (NVwZ 2009, 905) herleiten. Das Bundesverfassungsgericht hat dort zwar angemerkt, die Wohnungsprostitution werde häufig deutlich weniger wahrnehmbar sein als die Straßen- und die Bordellprostitution; bei Erlass der jeweiligen Sperrgebietsverordnung könne unter Abwägung aller betroffenen Rechtspositionen und öffentlichen Belange auch einer geringeren öffentlichen Sichtbarkeit der Wohnungsprostitution beim Ausgleich aller Interessen angemessen Rechnung getragen werden.
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§ 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung erfasst jedoch keine Wohnungsprostitution in dem Sinne, wie dieser Begriff üblicherweise verstanden wird und ersichtlich auch vom Bundesverfassungsgericht verwendet wird. Die Prostitution wird hier auch tatsächlich nicht in der Gestalt einer Wohnungsprostitution ausgeübt. Die Prostitution wird nicht in einer einzelnen Wohnung ausgeübt, in welcher die Prostituierte wohnt und dabei nebenher der Prostitution nachgeht. Vielmehr dient das Hinterhaus ausschließlich der Ausübung der Prostitution und ist damit eine ähnliche Einrichtung im Sinne des § 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung (Massagesalons und sonstige überwiegend von Prostituierten genutzte Häuser).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Die Landesregierung kann zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes
- 1.
für das ganze Gebiet einer Gemeinde bis zu fünfzigtausend Einwohnern, - 2.
für Teile des Gebiets einer Gemeinde über zwanzigtausend Einwohner oder eines gemeindefreien Gebiets, - 3.
unabhängig von der Zahl der Einwohner für öffentliche Straßen, Wege, Plätze, Anlagen und für sonstige Orte, die von dort aus eingesehen werden können, im ganzen Gebiet oder in Teilen des Gebiets einer Gemeinde oder eines gemeindefreien Gebiets
(2) Die Landesregierung kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf eine oberste Landesbehörde oder andere Behörden übertragen.
(3) Wohnungsbeschränkungen auf bestimmte Straßen oder Häuserblocks zum Zwecke der Ausübung der Prostitution (Kasernierungen) sind verboten.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.
(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn
- 1.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder - 2.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.
(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.
(1) Über Erinnerungen des Kostenschuldners und der Staatskasse gegen den Kostenansatz entscheidet das Gericht, bei dem die Kosten angesetzt sind. Sind die Kosten bei der Staatsanwaltschaft angesetzt, ist das Gericht des ersten Rechtszugs zuständig. War das Verfahren im ersten Rechtszug bei mehreren Gerichten anhängig, ist das Gericht, bei dem es zuletzt anhängig war, auch insoweit zuständig, als Kosten bei den anderen Gerichten angesetzt worden sind. Soweit sich die Erinnerung gegen den Ansatz der Auslagen des erstinstanzlichen Musterverfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz richtet, entscheidet hierüber das für die Durchführung des Musterverfahrens zuständige Oberlandesgericht.
(2) Gegen die Entscheidung über die Erinnerung findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde ist auch zulässig, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt.
(3) Soweit das Gericht die Beschwerde für zulässig und begründet hält, hat es ihr abzuhelfen; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Beschwerdegericht ist das nächsthöhere Gericht. Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet nicht statt. Das Beschwerdegericht ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden; die Nichtzulassung ist unanfechtbar.
(4) Die weitere Beschwerde ist nur zulässig, wenn das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden und sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht; die §§ 546 und 547 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. Absatz 3 Satz 1 und 4 gilt entsprechend.
(5) Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend. Die Erinnerung ist bei dem Gericht einzulegen, das für die Entscheidung über die Erinnerung zuständig ist. Die Erinnerung kann auch bei der Staatsanwaltschaft eingelegt werden, wenn die Kosten bei dieser angesetzt worden sind. Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird.
(6) Das Gericht entscheidet über die Erinnerung durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter; dies gilt auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren der Kammer oder dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Gericht entscheidet jedoch immer ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter. Auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden.
(7) Erinnerung und Beschwerde haben keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht oder das Beschwerdegericht kann auf Antrag oder von Amts wegen die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen; ist nicht der Einzelrichter zur Entscheidung berufen, entscheidet der Vorsitzende des Gerichts.
(8) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.