Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 15. März 2017 - 22 Ws_Reha 6/17
Gericht
Tenor
1. Der Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 23.05.2016 - 41 Rh 98/11 - wird aufgehoben.
2. Die Unterbringung der Betroffenen in den Kinderheimen „M.“ in der Zeit vom 30. Oktober 1954 bis zum 15. August 1955 und “K.“ in der Zeit vom 08. September 1955 bis zum 17. Dezember 1957 wird für rechtsstaatswidrig erklärt und die Betroffene insoweit rehabilitiert.
3. Es wird festgestellt, dass die Betroffene in den genannten Zeiträumen zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat.
4. Kosten werden im Rehabilitierungsverfahren nicht erhoben. Die der Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
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Die Betroffene erstrebt ihre Rehabilitierung im Hinblick auf ihren Aufenthalt in den Kinderheimen „X.“ (Kreis A.) in der Zeit vom 30. Oktober 1954 bis 15. August 1955 und “Y.“ in B. (Kreis H.) in der Zeit vom 08. September 1955 bis zum 17. Dezember 1957.
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Zu den Hintergründen der Heimunterbringung führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 08.03.2017 wie folgt zutreffend aus (Auslassung der Aktenfundstellen durch den Senat):
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„Trotz intensiver Bemühungen ist es der Staatsanwaltschaft Schwerin nicht gelungen, die Entscheidungen, auf deren Grundlage die Heimunterbringung seinerzeit vollzogen wurde, zu ermitteln.
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Aus den wenigen auffindbaren Unterlagen zur Heimerziehung der Betroffenen, insbesondere des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, ergibt sich lediglich, dass die Betroffene am 12.09.1955 in B. mit dem Aufenthaltsort „Vorschulheim B.-Kinderheim“ und am 15.12.1959 unter der Anschrift „A., …-Straße 42“ (offenbar Wohnanschrift der Mutter) zur Anmeldung gekommen war. Den Unterlagen über ihren Bruder W. U., der ebenfalls im Kinderheim „X.“ untergebracht war, kann entnommen werden, dass die Betroffene und ihre beiden jüngeren Brüder am 30.10.1954 in die Kindergrippe „X.“ aufgenommen und im Dezember 1957 („Ende des Jahres“) zu ihrer Mutter zurückgeführt wurden. Mithin ist davon auszugehen, dass die Betroffene jedenfalls in den von ihr genannten Zeiträumen in Kinderheimen der früheren DDR untergebracht war.
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Ferner ist davon auszugehen, dass Anlass für den Heimaufenthalt der Betroffenen und ihrer beiden jüngeren Brüder die Inhaftierung der Eltern L. U. und T. U. war. L. U. wurde seinerzeit im Wesentlichen vorgeworfen, für einen Nachrichtendienst der damaligen Bundesrepublik („Organisation Gehlen“) gearbeitet und versucht zu haben, weitere Bewohner der früheren DDR für diese Organisation anzuwerben. T. U. soll ihren Ehemann dabei „aktiv unterstützt“ haben. Wegen dieser Vorwürfe wurden beide Elternteile am 25.10.1954 in Untersuchungshaft genommen und unter dem 19.01.1955 vor dem Bezirksgericht Schwerin angeklagt. Mit dessen Urteil vom 08.02.1955 wurden der Vater der Betroffenen „wegen Verbrechens gegen Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit der Kontrollratsdirektive Nr. 38 Abschnitt II, Artikel III A III“ zu einer Zuchthausstrafe von 12 Jahren und die Mutter der Betroffenen auf derselben gesetzlichen Grundlage zu einer Zuchthausstrafe von 5 Jahren verurteilt. L. U. wurde am 16.11.1964 aufgrund einer Amnestie aus dem Strafvollzug entlassen; T. U. wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts vom 25.11.1957 zum 10.12.1957 „bedingte Strafaussetzung“ gewährt. Beide - inzwischen verstorbenen - Eltern der Betroffenen sind auf Betreiben der Betroffenen rehabilitiert worden.
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Zum Zeitpunkt der Inhaftierung ihrer Eltern waren die Betroffene 3 Jahre und 4 Monate, ihre beiden jüngeren Brüder 2 Jahre und 3 Monate (W.) bzw. annähernd 2 Monate (R.) alt. T. U. hatte aus ihrer ersten Ehe eine weitere Tochter (J.), die im Zeitpunkt der Inhaftierung 9 Jahre alt war und anschließend von den Pflegeeltern der T. U. (nachfolgend als Großeltern bezeichnet) aufgenommen wurde.
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Die Betroffene hält ihre Unterbringung in den beiden Kinderheimen für rechtsstaatswidrig, weil seinerzeit diverse Familienangehörige bereit und in der Lage gewesen seien, die Kinder der Eheleute U. aufzunehmen. Von dieser Möglichkeit hätten die Organe der früheren DDR indes keinen Gebrauch gemacht, sondern die drei jüngeren Kinder der T. U. in ein Kinderheim verbracht, um auf diese Weise Druck auf die Kindesmutter auszuüben.“
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Die Rehabilitierungskammer des Landgerichts Schwerin ist dem mit Beschluss vom 23.05.2016 nicht gefolgt und hat den Rehabilitierungsantrag der Betroffenen als unbegründet zurückgewiesen Im Hinblick auf das vorgerückte Alter der Großeltern der Betroffenen sei es naheliegend, dass diese mit einer langfristigen Betreuung dreier derart kleiner Kinder überfordert gewesen seien. Auch belege die Rückkehr der Kinder in den Haushalt ihrer Mutter unmittelbar nach der Haftentlassung, dass gerade kein Druck auf die Kindesmutter ausgeübt worden sei. Im Übrigen spreche gegen eine politisch motivierte Heimunterbringung der Kinder, dass wegen der Linientreue des Großvaters auch im Haushalt der Großeltern eine systemfreundliche Erziehung gewährleistet gewesen sei. Weitere aufnahmebereite Angehörige oder enge Freunde der Eltern habe es ersichtlich nicht gegeben.
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Der angefochtene Beschluss ist der Betroffenen über ihre Verfahrensbevollmächtigte am 31.05.2016 förmlich zugestellt worden. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Betroffenen vom 19.06.2016, die 20.06.2016 beim Landgericht eingegangen ist.
II.
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Die gemäß § 13 Abs. 1 StrRehaG statthafte Beschwerde ist innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist angebracht worden, mithin zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
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Die Voraussetzungen für eine strafrechtliche Rehabilitierung gemäß den §§ 1, 2 StrRehaG liegen hinsichtlich der Unterbringung der Betroffenen in den o.g. Kinderheimen vor.
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Dazu führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer o.g. Zuschrift weiter aus:
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„1. Nach der Neufassung des Gesetzes im Dezember 2010 (BGBl. I 2010, 1744) findet das StrRehaG gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 auf Anordnungen der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der früheren DDR Anwendung. Voraussetzung ist auch insoweit, dass diese Unterbringung der politischen Verfolgung oder sonstigen sachfremden, d.h. rechtsstaatswidrigen Zwecken gedient hat. Im vorliegenden Fall gibt es Hinweise, dass jedenfalls mit der Heimunterbringung der Beschwerdeführerin rechtsstaatswidrige Ziele verfolgt worden sind.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 25.03.2015 - 4 StR 525/13) hat eine im Wege politischer Verfolgung erfolgte rechtstaatswidrige Inhaftierung der Eltern betreuungsbedürftiger Kinder - wovon im vorliegenden Fall auszugehen ist - nicht zwangsläufig zur Folge, dass eine daraufhin veranlasste Unterbringung der Kinder in einem Heim ebenfalls der politischen Verfolgung gedient hat und deshalb der Rehabilitierung unterliegt. Dass die Eltern wegen ihrer rechtsstaatswidrigen Inhaftierung an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert waren, begründet demnach für sich allein noch keine eigene politische Verfolgung der betroffenen Kinder. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Heimunterbringung gerade zur (weiteren) politischen Disziplinierung der aus politischen Gründen inhaftierten Eltern angeordnet wurde. Ein weiteres deutliches Indiz für eine rechtsstaatswidrige und deshalb rehabilitierungsfähige Heimunterbringung ist, wenn diese angeordnet worden ist, obwohl es im Zeitpunkt der Unterbringung Familienangehörige gegeben hat, die bereit und in der Lage waren, die betroffenen Kinder bei sich aufzunehmen und für diese zu sorgen. In einem derartigen Fall ist bereits die Entfernung aus der Familie und die damit regelmäßig verbundene Entfremdung wenn nicht politisch motiviert, so doch jedenfalls sachfremd und damit rechtsstaatswidrig. Nur wenn solche nahen Angehörigen oder andere aufnahmebereite Dritte nicht vorhanden waren, gab es eine sachliche Rechtfertigung für eine Heimunterbringung, weil das betroffene Kind selbstverständlich nicht sich selbst überlassen bleiben konnte und durfte.
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2. Die Erwägungen, mit denen die Rehabilitierungskammer zur Aufnahme bereite und geeignete Dritte als nicht vorhanden angesehen hat, tragen diese Entscheidung nicht. Jedenfalls die Großeltern der Beschwerdeführerin standen zur Verfügung, wobei es ohne jede Bedeutung ist, dass es sich bei diesen offenbar nicht um die leiblichen Großeltern gehandelt hat.
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a) Es gibt keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass Personen in vorgerücktem Alter von 65 bzw. 60 Jahren nicht in der Lage sind, für Kinder im Alter von 3 Jahren angemessen zu sorgen. Soll im Einzelfall das Gegenteil angenommen werden, muss es hierfür konkrete Anhaltspunkte geben. Solche Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich. Ebenso wenig gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Großeltern nicht bereit gewesen sein könnten, die Beschwerdeführerin bei sich aufzunehmen bzw. zu behalten. Nach den nachvollziehbaren, jedenfalls unwiderlegten Angaben der Beschwerdeführerin lebten sie und ihre Geschwister bis zur Inhaftierung der Mutter gemeinsam mit dieser im Haus der Großeltern. Es muss mithin in Ermangelung entgegenstehender Hinweise davon ausgegangen werden, dass das Verhältnis zwischen den Großeltern einerseits und der Kindesmutter sowie deren Kinder andererseits gut war, was grundsätzlich für eine Aufnahmebereitschaft spricht. Für eine generelle Aufnahmebereitschaft der Großeltern streitet ferner, dass die älteste Tochter der Kindesmutter aus deren erster Ehe im Haushalt der Großeltern verblieben ist. Zudem belegt der Ermittlungsbericht vom 26.04.1958, der in den Gründen der angefochtenen Entscheidung keine Erwähnung findet, hinreichend deutlich, dass beide Großeltern ihre Verantwortung gegenüber den Kindern wahrnehmen wollten und im Rahmen der verbliebenen Möglichkeit auch tatsächlich wahrgenommen haben.
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b) Es mag sein, dass die Großeltern mit der Sorge für drei weitere Kinder und insbesondere für einen Säugling im Alter von zwei Monaten überfordert waren. Im Hinblick darauf wird die Entscheidung der zuständigen Behörde, nicht sämtliche Kinder im Haushalt der Großeltern zu belassen, nicht als von vornherein sachfremd und rechtsstaatswidrig angesehen werden können, wovon die Rehabilitierungskammer im Ansatz zutreffend ausgeht. Die Kammer lässt dabei aber außer Betracht, dass es im vorliegenden Fall ausschließlich um die Rehabilitierung der damals 3-jährigen Beschwerdeführerin geht, nicht aber auch ihrer beiden jüngeren Geschwister. Die maßgebliche Frage kann mithin nur sein, ob es für die Entscheidung, auch für die Beschwerdeführerin die Heimunterbringung anzuordnen, einen sachlichen, nachvollziehbaren Grund gegeben haben könnte. Ein solcher Grund ist nicht ersichtlich. Es spricht nichts dagegen, dass die Großeltern neben der 9-jährigen ältesten Tochter der Kindesmutter auch noch für die Beschwerdeführerin sorgen konnten und wollten. Vielmehr streitet die grundsätzlich anzunehmende Bereitschaft von Großeltern, sich unter Ausschöpfung aller ihrer Möglichkeiten selbst um ihre Enkelkinder zu kümmern, für eine solche Bereitschaft auch im vorliegenden Fall.
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Dass sich die Behörden der DDR seinerzeit im wohlverstandenen Interesse der Kinder von der Vorstellung leiten ließen, es könne für die drei kleineren Geschwister seelisch zu belastend und damit sachwidrig sein, diese zu trennen, kann angesichts der Altersunterschiede der Kinder, vor allem aber im Hinblick der seinerzeit herrschenden Umstände und Sichtweisen ausgeschlossen werden. Eine solche Trennung war, insbesondere wenn sie unvermeidlich war, für das Kindeswohl allemal besser als eine gemeinsame Heimunterbringung unter den damaligen Bedingungen.
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c) Den zur Verfügung stehenden Akten zum damaligen Strafverfahren gegen die Eltern kann nichts entnommen werden, was gegen eine Bereitschaft der Großeltern, auch für die Beschwerdeführerin zu sorgen, streiten könnte. Die Kinder hatten in dem Strafverfahren offenbar keine wesentliche Bedeutung. Sie werden zwar in Formularen und auch in einigen Vernehmungsprotokollen kurz angesprochen; Vermerke zu ihrem Verbleib während der Inhaftierung finden sich jedoch nicht in den Akten. In der Anklageschrift vom 19.01.1955 heißt es allerdings zu den Personalien des angeklagten Kindesvaters: „Er hat drei Kinder, überließ die Sorge um die Kinder jedoch seinen Schwiegereltern.“. Dies ist Beleg dafür, dass die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe vor der Inhaftierung ihrer Mutter mit dieser und ihren Geschwistern bei den Großeltern gelebt, zutrifft. Wenn die Großeltern bereits vor der Inhaftierung der Mutter ersichtlich bereit waren, für die Kinder zu sorgen, ist nichts dafür ersichtlich, dass diese Bereitschaft danach nicht mehr gegeben gewesen sein könnte.
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3. Darüber hinaus gibt es auch deutliche Anhaltspunkte dafür, dass die weitere Behauptung der Beschwerdeführerin, ihre Mutter habe durch die Heimunterbringung der Kinder unter Druck gesetzt und aus politischen Gründen diszipliniert werden sollen und sie habe sich vor diesem Hintergrund dem Druck gebeugt, zutrifft. Zwar wird dieses Argument in Rehabilitierungsverfahren häufig bemüht, um die Rechtsstaatswidrigkeit der Heimunterbringung zu begründen. Im vorliegenden Fall spricht für die Behauptung allerdings, dass die Beschwerdeführerin hierzu immerhin eine für ihre Mutter durchaus ehrenrührige Tatsache, deren spätere Tätigkeit als IM für den Staatssicherheitsdienst der früheren DDR, mitteilt. Ferner findet diese Behauptung auch in den Haftdaten Bestätigung. Die Kindesmutter ist bereits nach Verbüßung von 3 Jahren und einem Monat auf Antrag der Staatsanwaltschaft aus der Haft entlassen worden. In dem hierzu ergangenen Beschluss wird ihr eine einwandfreie Führung während der Strafhaft bescheinigt. Hierfür spricht schließlich, dass die Kinder unmittelbar nach der Haftentlassung der Kindesmutter übergeben worden sind. Unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände streitet gerade dieser Umstand eher für die Sichtweise der Beschwerdeführerin als für die Bedeutung, die das Landgericht dem Umstand beimisst. Die sofortige Rückgabe der Kinder ist dann kein Beleg für fehlenden Druck, wenn diese Wohltat mit mindestens gleicher Plausibilität die Gegenleistung dafür sein kann, dass sich die Kindesmutter dem Druck gebeugt hat.
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4. Der angefochtene Beschluss weist abschließend zwar zutreffend darauf hin, dass im Rehabilitierungsverfahren etwaige Zweifel - anders als im Strafverfahren - zu Lasten des jeweiligen Antragstellers gehen. Es muss sich dabei aber um Zweifel von Gewicht handeln. Derartige Zweifel sehe ich aus den genannten Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände nicht.
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Auf die in der angefochtenen Entscheidung und in der Beschwerdebegründung vertiefte Frage, ob neben den Großeltern weitere aufnahmebereite Verwandte zur Verfügung standen und aus welchen Gründen diese seinerzeit nicht zu ihrer Aufnahmebereitschaft befragt wurden, kommt es aus den genannten Gründen nicht an. Die in der Beschwerdebegründung vermissten weiteren Ermittlungen sind deshalb nicht veranlasst.“
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Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Nach alldem hat die Betroffene durch den zwangsweisen Aufenthalt in den o.g. Kinderheimen zu Unrecht Freiheitsentzug erlitten; sie war deshalb insoweit zu rehabilitieren.
III.
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Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 14 StrRehaG.
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Annotations
(1) Gegen den Beschluss kann innerhalb eines Monats nach seiner Zustellung Beschwerde eingelegt werden.
(2) Der Beschluss unterliegt nicht der Beschwerde, soweit
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einem Rehabilitierungsantrag stattgegeben worden ist und kein Verfahrensbeteiligter dem Antrag widersprochen hat, - 2.
das Gericht einstimmig und auf Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, - a)
entschieden hat, dass die Rechtsfolgen der angegriffenen Entscheidung nicht in grobem Missverhältnis zu der zu Grunde liegenden Tat stehen, oder - b)
einen Antrag nach § 1 Abs. 6 als unzulässig verworfen hat.
(3) Über die Beschwerde entscheidet das Bezirksgericht oder das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat, in Berlin das Kammergericht. Das Beschwerdegericht entscheidet durch besondere Beschwerdesenate für Rehabilitierungssachen. § 9 gilt entsprechend.
(4) Will der Beschwerdesenat bei der Entscheidung einer Rechtsfrage von einer Entscheidung eines anderen Bezirksgerichts oder eines Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofes abweichen, hat er die Sache dem Bundesgerichtshof in entsprechender Anwendung von § 121 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorzulegen.
(1) Die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 ist auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben (Rehabilitierung), soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, insbesondere weil
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die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat; dies gilt in der Regel für Verurteilungen nach folgenden Vorschriften: - a)
Landesverräterische Nachrichtenübermittlung (§ 99 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33); - b)
Staatsfeindlicher Menschenhandel (§ 105 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33); - c)
Staatsfeindliche Hetze (§ 106 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33); - d)
Ungesetzliche Verbindungsaufnahme (§ 219 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33); - e)
Ungesetzlicher Grenzübertritt (§ 213 Abs. 1, 2, 3 Satz 2 Nr. 3 bis 6, oder Abs. 4 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33); - f)
Boykotthetze gemäß Artikel 6 Abs. 2 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949 (GBl. I Nr. 1 S. 5); - g)
Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung (§ 256 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33) oder § 43 des Gesetzes über den Wehrdienst in der Deutschen Demokratischen Republik vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 12 S. 221); - h)
nach Vorschriften, die den unter den Buchstaben a bis g genannten Vorschriften inhaltlich entsprechen, sowie - i)
Hochverrat, Spionage, Anwerbenlassen zum Zwecke der Spionage, Landesverräterische Agententätigkeit, Staatsverbrechen, die gegen einen verbündeten Staat gerichtet sind, Unterlassung der Anzeige einer dieser Straftaten, Geheimnisverrat (§§ 96, 97, 98, 100, 108, 225 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit diesen Vorschriften, §§ 245 oder 246 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33) oder nach inhaltlich entsprechenden Vorschriften, wenn die Tat für die Bundesrepublik Deutschland, einen mit ihr verbündeten Staat oder für eine Organisation begangen worden sein soll, die den Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung verpflichtet ist, oder
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die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zu der zu Grunde liegenden Tat stehen.
(2) Mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sind die Entscheidungen des Landgerichts Chemnitz, Außenstelle Waldheim, aus dem Jahr 1950 ("Waldheimer Prozesse").
(3) Ist eine Entscheidung auf die Verletzung mehrerer Strafvorschriften gestützt und liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 nur hinsichtlich eines Teiles der Strafvorschriften vor, kann die Entscheidung insgesamt aufgehoben werden, wenn die übrigen Gesetzesverletzungen für die Anordnung der Rechtsfolgen von untergeordneter Bedeutung gewesen sind.
(4) Kommt eine vollständige Aufhebung der Entscheidung nicht in Betracht, hebt das Gericht den Teil der Entscheidung auf, für den die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen.
(5) Für strafrechtliche Maßnahmen, die keine gerichtlichen Entscheidungen sind, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend.
(6) Ein Antrag nach Absatz 1 ist unzulässig, soweit nach dem 2. Oktober 1990 über einen auf denselben Sachverhalt gestützten zulässigen Antrag auf Rehabilitierung oder Kassation rechtskräftig entschieden worden ist. Dies gilt nicht, soweit dargelegt wird, dass der frühere Antrag nach den Vorschriften dieses Gesetzes Erfolg gehabt hätte.
(1) Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf eine außerhalb eines Strafverfahrens ergangene gerichtliche oder behördliche Entscheidung, mit der eine Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, entsprechende Anwendung. Dies gilt insbesondere für eine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt sowie eine Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat.
(2) Der Freiheitsentziehung werden Leben unter haftähnlichen Bedingungen oder Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen gleichgestellt.
(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben.
(2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragstellers ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegen, wenn es unbillig wäre, den Antragsteller damit zu belasten.
(3) Die Entscheidung nach Absatz 2 Satz 2 ist unanfechtbar.
(4) Für die notwendigen Auslagen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren gilt § 473 Abs. 1 bis 4 der Strafprozessordnung entsprechend.