Oberlandesgericht München
Az.: 3 U 4388/13
IM NAMEN DES VOLKES
Verkündet am 10.02.2016
32 O 16452/13 LG München I
… Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
…
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
gegen
1) …
- Beklagte und Berufungsklägerin -
2) …
- Beklagte und Berufungsklägerin -
3) …
- Beklagte und Berufungsklägerin -
4) …
- Beklagte und Berufungsklägerin -
5) …
- Beklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte zu 1 - 5: Rechtsanwälte …
wegen Forderung
erlässt das Oberlandesgericht München - 3. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …, den Richter am Oberlandesgericht … und den Richter am Oberlandesgericht … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2016 folgendes
Endurteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 01.10.2013, Az. 32 O 16452/13, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.964,87 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
Von der Abfassung eines Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, weil gegen dieses Urteil gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO unzweifelhaft ein Rechtsmittel nicht zur Verfügung steht. Die Entscheidungsgründe werden gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO in abgekürzter Form abgefasst.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
I. Gegenstand der Klage sind Deckungsansprüche gegen die Beklagten als Versicherer für einen Schadensersatzanspruch gegen deren Versicherungsnehmer, den Wirtschaftsprüfer H. F. Die F. Capital AG legte im März 2003 den F. Zinsfonds auf. Grundlage des Vertriebs war der Verkaufsprospekt vom 11.03.2003. Der Versicherungsnehmer führte die Prospektprüfung durch und übernahm die Mittelverwendungskontrolle. Im Prospekt war auch der Mittelverwendungskontrollvertrag abgedruckt. Die Klägerin erstritt gegen den Versicherungsnehmer ein Urteil (OLG München 5 U 5246/08, Erstinstanz LG München I 35 0 1860/08), mit dem dieser verurteilt wurde, an die Klägerin 2.719,59 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen die Abtretung des weiteren, noch nicht erfüllten Auszahlungsanspruchs auf den Liquidationserlös aus der Beteiligung am ... Zinsfonds vom 19.08.2003 in Höhe von 5.000 € zu zahlen. Der mit hiesigem Urteil des Senats ausgeurteilte Betrag entspricht dem von der Klägerin im Insolvenzverfahren AG Rosenheim Akt.z. 601 IN 277/10 (Schuldner: H. F.) - unter Einschluss von Kosten (2.678,80 €) und Zinsen (14,93 €) geltend gemachten Betrag (2.964,87 €). Nach den im Verfahren OLG München 5 U 5246/08 letztinstanzlich getroffenen Feststellungen war haftungsbegründend, dass der Versicherungsnehmer entgegen seiner Verpflichtung nicht überprüft hatte, ob die Konditionen des Fondssonderkontos mit den in § 1 Abs. 1 Satz 1 des Mittelverwendungskontrollvertrages genannten Kriterien übereinstimmten. Dieser habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Fondsgesellschaft das Fondssonderkonto ordnungsgemäß einrichtete. Bei ordnungsgemäßer Überprüfung hätte er durch Nachfrage bei der Bank feststellen können, dass die geschäftsführenden Gesellschafter zu dritt für dieses Konto zeichnungsbefugt waren, sie mithin nicht nur gemeinsam mit dem Versicherungsnehmer über dieses Konto verfügen durften. Der Versicherungsnehmer sei daher verpflichtet gewesen, den sich neu am Fonds beteiligenden Anlegern mitzuteilen, dass die prospektwerbend herausgestellte Mittelverwendungskontrolle bislang nicht stattgefunden hatte. Er hätte daher entweder auf eine Änderung des Prospekts drängen oder die potentiellen Anleger in geeigneter Weise, ggf. durch eine Nachricht an die Fachpresse unterrichten müssen. Auch wenn der Versicherungsnehmer nur fahrlässig gehandelt haben sollte, hafte er. Die Kausalität der unterlassenen Offenlegung für die hier schadensursächliche Anlageentscheidung wurde bejaht. Mit Urteil der 4. Strafkammer des LG München I vom 18.10.2010 (4 KLs 314 Js 34413/07, Anlage K 14) wurde der Versicherungsnehmer im Zusammenhang mit der nicht ordnungsgemäß durchgeführten Mittelverwendungskontrolle wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten mit Bewährung verurteilt.
II. Zwischen den Parteien ist allein streitig, ob sich die Beklagten gemäß § 4 Nr. 5 AVB - RSW, wónach der Deckungsanspruch ausgeschlossen ist, wenn der Schadensersatzanspruch gegen den Versicherungsnehmer auf dessen wissentlicher Pflichtverletzung beruht, auf Leistungsfreiheit berufen können.
1) Soweit die Klagepartei geltend macht, § 4 Nr. 5 AVB - RSW sei nicht wirksam in den Versicherungsvertrag einbezogen worden sei, stellt der Senat fest, dass sich aus dem Schreiben der Beklagten zu 1) vom 28.01.2004 an den Versicherungsnehmer ergibt, dass diesem die Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen (AVB-RSW) übersandt und der Versicherungsnehmer in Fettdruck darauf hingewiesen wurde, dass Abweichungen vom Antrag oder von bisher getroffenen Vereinbarungen als genehmigt gelten, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats widerspricht. Der Senat geht vom Zugang dieses Schreibens und dem Unterbleiben eines Widerspruchs des Versicherungsnehmers aus.
2) Entgegen der Auffassung der Klagepartei ist der in § 4 Nr. 5 AVB - RSW vorgesehene Haftungsausschluss auch wirksam, obwohl er weiter geht als § 152 VVG a. F. (vgl. Voith/Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl. § 152 Rz. 7; BGH, Urteil vom 17.12.1986, IV a ZR 166/85, hier zitiert nach Juris Tz. 15 und BGH, Urteil vom 17.12.2014, IV ZR 90/13, hier zitiert nach Juris Tz. 8 ff).
3) Ob eine wissentliche Pflichtverletzung für den Schadensersatzanspruch gegen den Versicherungsnehmer haftungsbegründend war oder nicht, ist auch nicht durch das Berufungsurteil im Prozess der Klagepartei gegen den Versicherungsnehmer bindend entschieden worden. Dort war diese Frage zum einen schon nicht entscheidungserheblich, da Fahrlässigkeit als Haftungsvoraussetzung ausreichte und der Vorsatz des Versicherungsnehmers daher im dortigen Rechtsstreit nicht abschließend beurteilt werden musste, insbesondere über diese Frage dort auch nicht im Rahmen einer Zwischenfeststellungsklage entschieden worden ist.
4) Gleichwohl greift der Haftungsausschluss im vorliegenden Fall nicht.
a) Von einer wissentlichen Pflichtverletzung im Sinne des § 4 Nr. 5 AVB - RSW ist nur dann auszugehen, wenn der Versicherungsnehmer die Pflicht positiv kennt und sich wissentlich und willentlich darüber hinwegsetzt. Bedingter Vorsatz genügt für einen Haftungsausschluss nicht. Es muss vielmehr festzustellen sein, dass der Versicherte die Pflicht zutreffend gesehen hat und das Bewusstsein hatte, pflichtwidrig zu handeln. Voraussetzung für den Haftungsausschluss ist also die Feststellung, dass sich der Versicherungsnehmer „bewusst“ über die ihm bekannten Pflichten hinweggesetzt hat (so dezidiert BGH, Urteil vom 28.09.2005; IV ZR 255/04, NJW 2006, 289, 291 Rz. 27 am Ende).
b) Die Beweislast dafür, dass eine wissentliche Pflichtverletzung in diesem Sinne vorliegt, tragen hier die Beklagten, die sich auf den dadurch bedingten Haftungsausschluss berufen. Insoweit ist zunächst festzuhalten, dass aus den Feststellungen des Strafurteils gegen den Versicherungsnehmer folgt, dass dieser spätestens seit März 2004 im Sinne von § 266 StGB vorsätzlich handelte, weil er die Sicherstellung, dass nur mit seiner Gegenzeichnung über die Anlegergelder auf dem Fondssonderkonto verfügt werden konnte, nicht gewährleistete, obwohl er wusste, dass er dazu verpflichtet war. Auch wenn es nicht entscheidungserheblich ist, weist der Senat darauf hin, dass er die Angaben des vom Senat persönlich als Zeugen einvernommenen Versicherungsnehmers, er habe erst im Herbst 2004 positiv Kenntnis davon gehabt, dass ohne seine Gegenzeichnung über die Anlegergelder auf dem Fondssonderkonto verfügt werden konnte, für unzutreffend erachtet. Mit dem Strafurteil ist festzuhalten, dass der Zeuge ab der Erstellung des Mittelverwendungskontrollberichts am 4.3.2004 durch ihn damit gerechnet haben muss, dass große Teile des Zinsfondsgeldes ohne seine vorherige Kontrolle ausgereicht werden würden. Aus diesem Bericht war ersichtlich, dass von den vom Fondssonderkonto ausgereichten ca. 45 Millionen € ca. 14 Millionen € ausgereicht worden waren, ohne dass der Zeuge entsprechende Überweisungen gegengezeichnet hatte.
c) Aus diesen Feststellungen folgt aber auch, dass bis zu diesem Zeitpunkt dem Zeugen für ca. 31 Millionen € Überweisungen zur Gegenzeichnung vorgelegt worden waren. Dass der Zeuge nicht erkannt haben will, dass über das Konto auch ohne seine Gegenzeichnung verfügt werden konnte, gewinnt durch diesen Umstand eine gewisse Plausibilität. Erst recht gilt dies, wenn man die Behauptung des Zeugen zugrunde legt, dass ihm von der Fondsgesellschaft Ende 2003 ein Formular für die Durchführung des elektronischen Zahlungsverkehrs über das Fondssonderkonto vorgelegt wurde, wonach ohne seine Zustimmung im elektronischen Zahlungsverkehr nicht über das Konto verfügt werden konnte.
d) Der Umstand, dass dem Zeugen bei der Prospektüberprüfung und dem Abschluss des Mittelverwendungskontrollvertrages durch ihn seine Pflicht, zu überprüfen, dass über das Fondssonderkonto nur mit seiner Unterschrift verfügt werden konnte, bekannt gewesen sein muss, bedeutet nicht, dass er in der Folgezeit mit direktem Vorsatz handelte, indem er eine eingehende Prüfung insoweit unterließ. Dadurch, dass ihm in hoher Zahl und mit namhaften Beträgen Überweisungen zur Gegenzeichnung vorgelegt wurden, konnte bei ihm der Eindruck entstanden sein, dass das Konto vertragskonform errichtet worden war.
Die Behauptung des Zeugen, für die Erstellung des Mittelverwendungskontrollberichts habe er drei bis vier Tage benötigt, ist angesichts des Umstands, dass dieser Bericht allein auf der Grundlage der beim Zeugen vorliegenden Datev-Konten erstellt wurde, nicht völlig unplausibel.
e) Vor diesem Hintergrund sieht der Senat keine so zwingenden Anknüpfungstatsachen für eine vorsätzliche Pflichtverletzung durch den Zeugen, dass der Klagepartei im Rahmen einer sekundären Darlegungslast aufzuerlegen wäre, diese Anknüpfungstatsachen zu erschüttern.
Die streitgegenständliche Zeichnung erfolgte am 19.08.2003 und mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem von einem vorsätzlichen Pflichtenverstoß, also vom Bewusstsein des Zeugen, durch die Nichtüberprüfung der Zeichnungsberechtigung auf dem Fondssonderkonto gegen die Pflichten aus dem Mittelverwendungskontrollvertrag zu verstoßen, nicht ausgegangen werden kann. Vielmehr liegt - namentlich auch aufgrund des persönlichen Gesamteindrucks, den der Zeuge auf den Senat machte - eine grob fahrlässige Verhaltensweise des Zeugen zu diesem Zeitpunkt noch nahe. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Zeuge durch die Verletzung seiner Pflicht keinen wirtschaftlichen Vorteil erlangte und aufgrund der vorangegangenen Zusammenarbeit mit der F.-Gruppe dieser einen gewissen Vertrauensvorschuss eingeräumt haben mag.
Die Darstellung des Zeugen, dass ihm die Kontoauszüge für das Fondssonderkonto in der entscheidungserheblichen Zeit nicht vorgelegen hätten und er diese sich erst im Herbst 2004 verschafft haben will, wird auch durch die sonstigen Angaben des Zeugen, namentlich die im Aktenvermerk der Rechtsanwaltskanzlei der Beklagten vom 4.05.2010 (Anlage B3) niedergelegten bestätigt. Zu den dort getroffenen Angaben stehen die Angaben des Zeugen nicht in relevantem Widerspruch, sieht man einmal davon ab, dass er dort die Vorlage des Formulars für den elektronischen Zahlungsverkehr auf den Dezember 2003 datierte. Eine solche geringfügige zeitliche Differenz erklärt sich durch den zwischenzeitlich verstrichenen Zeitraum und bekräftigt nur den Eindruck, dass der Zeuge insoweit aus seiner Erinnerung schöpfte und nicht ergebnisorientierte Angaben machen wollte. Sein unbeholfener Versuch, den Zeitpunkt seiner Kenntnis zeitlich nach hinten zu verlagern, bestätigt indirekt diesen Eindruck nur. Es liegt in der menschlichen Natur, eigenes Fehlverhalten in der Erinnerung zu bagatellisieren. Zweifel an den Angaben des Zeugen zu den hier entscheidungsrelevanten Fragen lassen sich daraus nicht gewinnen.
f) Abgesehen davon würde auch dann, wenn man unterstellen wollte, der Zeuge hätte den Senat gezielt mit der Unwahrheit bedient, was eine enorme schauspielerische Leistung im Hinblick auf die Darlegung geschäftlicher Unbedarftheit voraussetzen würde, sich die Beweissituation der Beklagten dadurch nicht verbessern. Aus dem Umstand, dass man die Angaben eines Zeugen für unglaubwürdig erachtet, kann nicht auf den Beweis des Gegenteils geschlossen werden. Andere Beweismittel als die hier angesprochenen stehen aber zur Erschütterung der strafgerichtlichen Feststellung, wonach von Vorsatz erst mit der Erstellung des Mittelverwendungskontrollberichts ausgegangen werden kann, nicht zur Verfügung.
5) Auf die von den Parteien und auch anderen Senaten des OLG München kontrovers diskutierte Frage, ob man zwischen einer vorsätzlichen Pflichtverletzung durch Nichtkontrolle der Zeichnungsberechtigung für das Fondssonderkonto einerseits und den unterbliebenen Bemühungen, potentielle Anleger darauf hinzuweisen, dass die Prospektvorgaben zur Mittelverwendungskontrolle nicht korrekt praktiziert wurden, andererseits differenzieren kann, kommt es daher im vorliegenden Rechtsstreit nicht an.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
IV. Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 543 ZPO die Revision zuzulassen ist, liegen nicht vor. Dem Senat ist bewusst, dass vergleichbare Fragestellungen wie im vorliegenden Rechtsstreit auch vor anderen Senaten im Haus und an anderen Oberlandesgerichten zu prüfen waren. Der Senat hat auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.09.2005 (IV ZR 255/04, NJW 2006, 289, 291 Rz. 27 am Ende) zu den Voraussetzungen der wissentlichen Pflichtverletzung im Sinne von § 4 Nr. 5 AVB - RSW aufgrund der bei ihm vorliegenden und durch Zeugeneinvernahme erhobenen Beweismittel geurteilt. Dass es sich dabei um eine auf den tatsächlichen Umständen beruhende Einzelfallentscheidung handelt, ergibt sich auch daraus, dass der BGH in der genannten Entscheidung die wissentliche Pflichtverletzung einer Rechtsanwältin auch unter Hinweis auf deren berufliche Unerfahrenheit problematisierte. Dass andere Gerichte mit den dort vorliegenden möglicherweise anders gelagerten Beweismitteln zu anderen Ergebnissen gelangen, rechtfertigt die Revisionszulassung gerade nicht.
V.
Streitwert: § 3 ZPO