Oberlandesgericht München Endurteil, 17. Feb. 2017 - 10 U 2007/16
Gericht
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin vom 07.05.2016 gegen das Endurteil des LG München I
II. Das Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die (Kosten-)Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
I.
II.
III.
IV.
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte - wie in erster Instanz beantragt - zu einer gestaffelt gesetzlich verzinsten Zahlung von 27.019,15 € zu verurteilen (BB 1 = Bl. 288 d. A.).
die Berufung zurückzuweisen (Bl. 286/287 d. A.).
V.
B.
I.
- Als K. N. zunächst die Stichstraße rückwärts gefahren war, legte er etwa 40 Meter in sehr langsamer Fahrt (Schrittgeschwindigkeit) zurück. Jedoch war, weil die Stichstraße eine leichte Steigung aufwies, das Standgas in der Automatikhebelstellung „R“ nicht ausreichend, sodass N. etwas Gas geben musste. Er behielt Frau H. während der gesamten Strecke und der gesamten Dauer der Bewegung im Rückspiegel im Blick.
- Nachdem K. N. rückwärts in die Untere W.-straße eingebogen und nahezu parallel zur Straße zum Stillstand gekommen war - bei der anschließenden Vorwärtsfahrt waren die Vorderräder nicht mehr eingeschlagen -, betätigte er die Fußbremse. Anschließend blickte er über die rechte Schulter nach hinten, und will Frau H. während dieses Zeitraums (von der Abwendung des Blicks vom Rückspiegel bis zu einer möglichen Wahrnehmung nach Rückwärtsdrehung) aus dem Sichtfeld verloren haben. Nachdem er sich wieder nach vorne gedreht hatte, stellte er den Wählhebel des Automatikgetriebes auf „D“ und löste die Fußbremse. Angesichts eines Gefälles von etwa 4 Prozent fuhr sein Fahrzeug mit dem Leerlaufgas an. Für den gesamten Vorgang benötigte K. N. einen Zeitraum von vier bis fünf Sekunden, nicht - wie er selbst mutmaßte - von ein bis zwei Sekunden.
- Sofort nach dem Stillstand des Fahrzeugs des Herrn N. ging Frau H. von ihrer bisherigen Stellung hinter der Heckklappe über eine Strecke von sechs bis sieben Metern bis vor die linke vordere Seite der Stoßstange, und benötigte dabei bei einer Fußgängergeschwindigkeit von etwa 5 km/h eine Zeit von 4 bis 5 Sekunden. Jedenfalls 2 Sekunden vor dem späteren Zusammenstoß bewegte sich Frau H. ununterbrochen im Sichtfeld des nach vorne blickenden K. N., was einer Bewegung von der A-Säule des Audi bis vor die vordere Fahrzeugecke entspricht.
- Zum Zeitpunkt des Anstoßes stand Frau H. oder bewegte sich allenfalls geringstfügig nach vorne. Insbesondere eine schnelle Vorwärtsbewegung in Richtung Straßenrand (an der Fahrzeugfront vorbei) ist deswegen ausgeschlossen, weil in einem solchen Fall die Anstoßgeometrie eine vollständig andere Endlage erzeugt hätte. K. N. hätte den Anstoß vermeiden können, wenn er im Anblick von Frau H. auf das Lösen der Bremse und das Anrollen des Fahrzeugs verzichtet hätte.
- K. N. hätte das Überrollen der Beine der Frau H. selbst nach dem Anstoß noch verhindern können. Er fuhr - ohne Beschleunigung und mit Standgas, jedoch bei einem Gefälle von 4% - eine Geschwindigkeit von höchstens 2 km/h, und hätte deswegen bei üblichen Bremsschwell- und Reaktionszeiten (0,2 und 0,8 Sekunden), sowie einer Bremsverzögerung von 6 m/s² bei ordnungsgemäßer Bremsung einen Anhalteweg von 0,5 Metern und eine Anhaltezeit von 0,99 Sekunden benötigt. Dagegen befinden sich die Vorderräder etwa 0,7 Meter von der Fahrzeugfront entfernt, zudem benötigte Frau Herrmann eine Zeit von 1 Sekunde, um zu stürzen und in die Kollisionslage zu gelangen.
- Die Zeugin H. hat die Örtlichkeiten und den Beginn des Fahrvorgangs, von der Abfahrt zu Beginn der Stichstraße bis zum Wendepunkt des Zeugen N., überzeugend und in Übereinstimmung mit den Örtlichkeiten und den Angaben des Zeugen N., geschildert. Anschließend folgt eine neue und überraschende Abweichung von allen bisherigen Darstellungen, die ein Gespräch zwischen ihr und N. auf Höhe des geöffneten Fahrerfensters, bei gleichzeitig stehendem Fahrzeug behauptet. Die Zeugin habe ihre Tochter schreiend und weinend die Stichstraße hochlaufen gesehen, und deswegen das Fahrzeug von N. vorne umrunden müssen, um ihre Tochter abzufangen. Beim Queren der Fahrzeugfront müsse sie von dem Fahrzeug erfasst worden sein, eine Erinnerung an den Anstoß und das Überrollen ihrer Beine habe sie nicht. Aus ihrer Sicht sei die Auseinandersetzung mit N. abgeschlossen gewesen, ihrer Bewegung vor das Fahrzeug habe allein die Sorge um ihre Tochter zugrunde gelegen, nicht etwa der Wunsch, K. N. noch aufzuhalten. Ergänzend wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (v. 17.02.2017, S. 3/5 = Bl. 328/330 d. A.) verwiesen. Die Darstellung der Zeugin und die behaupteten Tatsachen hält der Senat in den entscheidenden Punkten nicht für glaubhaft (BGH NJW 1991, 3284; NJW 1964, 2414; Urt. v. 19.11.2008 - 2 StR 394/08
- Der Zeuge N. hat, wie in allen Verfahren zu dem streitgegenständlichen Vorfall, versucht, den Zusammenstoß und das Überrollen der Frau H. als bedauerlichen, aber für ihn selbst nahezu unvermeidbaren Unfall erscheinen zu lassen. Während er die Rückwärtsfahrt bis zu seinem Wendepunkt noch in Übereinstimmung mit den Angaben der Frau H. und den Planzeichnungen des Sachverständigen beschrieb, fehlt bereits einerseits jegliche Erklärung für sein unvernünftiges und riskantes Verhalten, andererseits jegliche Überlegung, wie der für Frau H. gefährliche Vorgang sich nach seinem Wendemanöver hätte fortsetzen können oder sollen. Seit einem kurzen Umwenden nach rechts habe er Frau H. nicht mehr gesehen, bis sie plötzlich vor seinem Fahrzeug wieder aufgetaucht sei, gerade zu einem Zeitpunkt, als sich sein Fahrzeug wieder nach vorne bewegt habe. Der Vorgang vom Blick nach rückwärts bis zur Wahrnehmung der Frau H. vor dem Fahrzeug sei ein kurzer fließender Ablauf gewesen und habe etwa 1 bis 2 Sekunden gedauert. Vom Erkennen der Frau H. bis zum Anstoß habe es nur Sekundenbruchteile gedauert, plötzlich sei sie „weg gewesen“. Ergänzend wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (v. 17.02.2017, S. 6/8 = Bl. 331/333 d. A.) Bezug genommen. Nach Abschluss der Vernehmung beteuerte der Zeuge nochmals, dass er keinesfalls vorsätzlich gehandelt habe. Der Senat hält die Angaben des Zeugen N. für glaubhaft, soweit sie die Vorgänge bis zum Wenden seines Fahrzeugs in Übereinstimmung mit den Angaben der Zeugin H. und den unfallanalytischen Skizzen beschreiben. Insoweit beschönigte der Zeuge sein gefahrträchtiges, bedenkenloses und gegenüber der Zeugin H. gleichgültiges Verhalten nicht. Für die anschließenden Vorgänge kann der Aussage jedoch schon deswegen nicht gefolgt werden, weil die Zeit- und Bewegungsabläufe aus technischer Sicht ausgeschlossen sind. Hätte der Zeuge N. tatsächlich nur 1 bis 2 Sekunden benötigt, um sich umzudrehen, zurückzublicken, die Bremse zu lösen und, wieder nach vorne blickend, anzufahren, hätte die Zeugin H. die Strecke vom Heck des Fahrzeugs bis vor die Stoßstange nicht zurücklegen und somit die Anstoßstelle nicht erreichen können. Aufgrund der vom Zeugen N. eingestandenen Länge seines Fahrzeugs von 4,5 Metern musste Frau H. einen Weg von 6 bis 7 Metern zurücklegen, um vom Heck des Fahrzeugs bis vor die linke Front zu gelangen. Hierfür wird, selbst bei einer zügigen Fußgängergeschwindigkeit von 5 km/h, eine Zeit von 4 bis 5 Sekunden benötigt, in der der Zeuge N., seine Zeitschätzung als richtig unterstellt, die Unfallstelle schon längst verlassen hätte. Zudem ist die Zeugenaussage insoweit technisch widerlegt, als Frau H., wie auch der Zeuge bestätigt, links um das Fahrzeug herum gegangen und jedenfalls ab dem Passieren der A-Säule im Sichtfeld des Zeugen N. sichtbar war. Dabei ist und bleibt unverständlich, dass der Zeuge zwar die Position kurz vor dem Anstoß, wie in Anlage 12 zum Gutachten dargestellt, als durchaus zutreffend erklärt, jedoch jegliche Erklärung unterlässt, wie Frau H. von ihm unbemerkt an diese Stelle gelangt sein könnte. Dies gilt umso mehr, als er auch Anlage 11 als im Grundsatz richtig bezeichnet, und die Bewegung von Frau H. wie in Anlage 10 direkt durch sein Sichtfeld führt. Ebenso ist nach der (geringen) Fahrgeschwindigkeit und der physikalisch notwendigen Sturzdauer der Frau H. nicht möglich, dass das Überrollen der Beine in Sekundenbruchteilen nach dem Anstoß erfolgt sei, und dass der Zeuge nach dem Lösen der Bremse nur wenige Zentimeter zurückgelegt habe. Zuletzt fehlt der Zeugenaussage jegliche Erklärung, mit welchem Verhalten der Frau H. der Zeuge gerechnet habe und aufgrund welcher Umstände er davon ausgegangen sei, ohne Gefährdung losfahren zu können; dies gilt umso mehr, als er durchaus erkannt hatte, dass Frau H. ihn am Wegfahren hindern wollte (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 17.02.2017, S. 7/8 = Bl. 332/333 d. A.). Abgesehen davon, dass - wie vorliegend - nicht glaubhafte und technisch ausgeschlossene Angaben die Glaubwürdigkeit des Aussagenden beseitigen (BGH NJW-RR 1992, 920), vermag der Senat dem Zeugen auch sonst keine Glaubwürdigkeit zu bescheinigen. Eine Prüfung des gesamten Sach- und Streitstandes (BGH NJW 1992, 1966: „Es versteht sich, dass die eigenständige Beurteilung der Glaubwürdigkeit … das Gericht im Übrigen nicht davon entbindet, seine Überzeugung von der Wahrheit der beweisbedürftigen Tatsache unter Berücksichtigung des gesamten Streitstoffs zu bilden“; NJW 1997, 1988) fördert gewichtige Eigeninteressen des Zeugen zu Tage, nämlich sein folgenschweres Fehlverhalten - unabhängig von straf- und zivilgerichtlichen Ergebnissen - in möglichst mildem Licht erscheinen zu lassen. Überdies zielt das Verhalten des Zeugen darauf ab, die Ursachen und Beweggründe seines objektiv sorglosen und gleichgültigen Verhaltens im Unklaren zu lassen, und insoweit nähere Angaben zu verweigern oder durch nichtssagende Floskeln („ganz kurz links … gesehen“; „… habe sofort gestoppt“; „allenfalls ein paar Zentimeter“; „Bruchteile einer Sekunde“) zu ersetzen. Deswegen ist der Senat von der Ehrlichkeit des Zeugen N. nicht überzeugt (Senat
- Der Sachverständige Dr. A. hat genau, prüfbar und folgerichtig ermittelt, sowie überzeugend begründet, dass K. N. Frau H. vor seinem Fahrzeug stehend wahrgenommen hat, als er mit Standgas losfuhr. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (v. 17.02.2017, S. 9/11 = Bl. 34/336 d. A.) und die Vorabunterlagen des Sachverständigen (Bl. 318/319 d. A. samt Anlagen) Bezug genommen. Zwar unterliegen gerichtliche Gutachten der freien Beweiswürdigung (BGH NZV 1997, 228) und haben keinen „Anschein der Richtigkeit“ für sich, der von einer Prozesspartei entkräftet werden müsste (BGH VersR 1981, 1151; Senat in st. Rspr., etwa NJW 2011, 3729). Folglich hat das Gericht solche Gutachten sorgfältig und kritisch zu prüfen (vgl. etwa BVerfGE NJW 1995, 40; BGH NJW 1986, 1928; NJW 1992, 1817; NJW-RR 1995, 914; 1998, 1117; NJW 1999, 3408; 2001, 1787; NJW 2010, 3230; VersR 2011, 400). Insoweit mag die Begründung des Ersturteils etwas knapp ausgefallen sein (EU 3 = Bl. 267 d. A.), das ist im Streitfall jedoch unbedenklich, weil die Einwände der Klägerin gegen die Gutachtensergebnisse nicht erhoben werden, und diese Ergebnisse sachlich-inhaltlich - nach Überprüfung und eigenständiger Beurteilung durch den Senat - nicht nur nicht zu beanstanden, sondern unabweisbar sind. K. N. hat als einzigen Grund dafür, dass er Frau H. mit seinem Fahrzeug umgestoßen habe, angegeben, dass sie plötzlich und unerwartet vor seinem Fahrzeug aufgetaucht und bis dahin nicht wahrzunehmen gewesen sei. Um diesen Ablauf nachvollziehbar oder wahrscheinlich zu machen, war ein sehr kurzer Zeitraum zwischen dem Blick zurück, dem Anfahren und dem Anstoß notwendig, den N. zwar behaupten wollte, aber nicht plausibel machen konnte. Eindeutig und belastbar sind die Berechnungen des Sachverständigen, die sich auf objektive Tatsachen wie Entfernungen, Fahrzeugabmessungen und Geschwindigkeiten stützen. Danach kann einerseits K. N. Frau H. nicht übersehen haben, weil sie sich durch sein Blickfeld bewegen musste; andererseits kann der Vorgang nicht so plötzlich stattgefunden habe, weil Frau H. eine längere Zeit (4 bis 5 Sekunden) benötigte, um die Entfernung vom Heck des Fahrzeugs bis vor die Front zurückzulegen, während der anschließende Anstoß unbezweifelbar ist und unabhängig von den Angaben der Beteiligten belegt ist. Hinsichtlich des Überrollens der Zeugin konnte K. N. lediglich begründen, dass der Vorgang so schnell abgelaufen sei, dass er nicht mehr habe reagieren können. Dies ist ebenfalls durch die sachverständigen Anhalteweg- und -zeit-Berechnungen widerlegt: K. N. ist auch in diesem Abschnitt des Geschehens noch ein Reaktionsverzug von 1 Sekunde vorzuwerfen, der sich aus seiner Einlassung nicht erklärt.
- Die Einwände der Klägerin gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung, von der der Senat im Ergebnis nicht abweicht, vermögen nicht zu überzeugen. Die Klägerin meint, eine sachgerechte Beweiswürdigung habe nicht allein den Ausführungen des Sachverständigen zu folgen, sondern müsse auch die Zeugenaussagen berücksichtigen (BB 2/4 = Bl. 289/291 d. A.). Dem kann der Senat nicht beitreten, weil die sachverständigen Berechnungen entscheidende Teile der Aussagen als nicht nur unrichtig, sondern sogar als technisch nicht möglich erwiesen haben. Dies gilt auch für die Auffassung, dass unfallursächliche Gesamtgeschehen habe sich in Sekundenbruchteilen ereignet (BB 2 = Bl. 289 d. A.). Soweit die Berufungsbegründung meint, Frau H. sei für den Zeugen N. „völlig unerwartet“ an der vorderen linken Fahrzeugkante aufgetaucht (BB 4 = Bl. 291 d. A.), kann dies nach der Beweisaufnahme des Senats nicht als feststehend, sondern lediglich als unverständlich bezeichnet werden. Die Mutmaßung, der Unfall sei für den Zeugen N. unvermeidbar gewesen, ist durch die sachverständigen Berechnungen widerlegt. Die in der Berufungsbegründung zum Teil vorweggenommene (BB 4 = Bl. 291 d. A.) Auffassung der Frau H., sie sei an der Fahrzeugfront vorbei in Richtung ihrer Tochter geeilt, konnte und musste ebenfalls aus unfallanalytischen und verletzungsmechanischen Notwendigkeiten ausscheiden. Soweit die Klägerin eine Position der Frau H. seitlich des Fahrzeugs für möglich halten will (BB 6 = Bl. 293 d. A.), ist dies in der Verhandlung vor dem Senat nicht einmal mehr von dem Zeugen N. behauptet worden, und im übrigen wiederum durch das Sachverständigengutachten widerlegt. Zuletzt kann der Senat keine für die Klägerin günstigen Folgerungen aus der strafgerichtlichen Verurteilung des Zeugen N. (BB 6 = Bl. 293 d. A.) ziehen. Dort wurde der hier streitgegenständliche Tatbeitrag vernachlässigt und nicht einmal im Ansatz aufgeklärt.
- Beide Elemente der inneren Tatseite, also die Erkenntnis eines nicht ganz fernliegenden tatbestandlichen Erfolgs und ein Billigen der oder Abfinden mit der Tatbestandverwirklichung, müssen in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, Beschluss vom 07.09.2015 - 2 StR 194/15 [juris]). Insoweit ist eine Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände notwendig (BGH NStZ 2012, 443, 444), wobei die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator darstellt (BGH NJW 1999, 2533, 2534). Diese Anforderungen mindern sich, wenn das äußere Unfallgeschehen einen eindeutigen Schluss auf die innere Tatseite zulässt (BGH NStZ 2000, 583; KG NZV 2012, 497; OLG Schleswig Urt. v. 17.04.2008 - 5 U 156/07 [IBRRS 2008, 2896]).
- Die genannten subjektiven Elemente können fehlen, wenn der Schadensverursacher insoweit in „gutem Glauben“ gehandelt habe (OLG Hamm, Urt. v. 27.03.2013 - 11 U 25/12 [BeckRS 2013, 9145]), typische Verhaltensweisen in besonderen Situationen (OLG Koblenz, r+s 2014, 154), oder Einschränkungen der Einsichts- oder Hemmungsfähigkeit vorlägen (OLG Frankfurt, Urt. v. 02.07.2010 - 3 U 21/10 [BeckRS 2011, 24553]).
- Das Willenselement des bedingten Vorsatzes wird maßgeblich bestimmt durch das Handlungsziel des Verursachers, dessentwegen er sich mit dem Erfolg zumindest abgefunden hat, mag er ihm auch unerwünscht sein. Gleichgültigkeit hinsichtlich des Erfolgseintrittes kann zwar das zum bedingten Vorsatz gehörende Willenselement der Billigung sein, aber nur dann, wenn das Wissenselement des bedingten Vorsatzes gegeben ist (BayObLG Beschluss vom 28.08.2002 - 5 St RR 179/02 [BeckRS 2002, 9396]).
- K. N. war bewusst, dass er Frau H. anfahren werde, nachdem er sie vor seinem Fahrzeug stehend wahrnahm und dennoch darauf verzichtete, anzuhalten. Angesichts des für jeden Verkehrsteilnehmer und somit auch für K. N. sicheren Eintritts der Rechtsgutsverletzung ist insoweit kein Raum für Erwägungen, ob der Eintritt des Erfolges - hinsichtlich der Körperverletzung - nur möglich oder nicht völlig unwahrscheinlich empfunden wurde. Derartiges hat Herr N. auch nicht behaupten wollen (etwa: er habe gemeint oder gehofft, Frau H. werde noch beiseite springen können), vielmehr schließt die Aussage, Frau H. sei so plötzlich und überraschend erschienen, dass ein Zusammenstoß nicht mehr habe vermieden werden können, jegliches Vertrauen und sogar jegliche Hoffnung aus, dass es - aus welchen Gründen auch immer - doch nicht zu einem Aufprall kommen werde. Die Einlassung des Herrn N. war grundsätzlich geeignet, jegliche Schuldform zu beseitigen oder hinsichtlich der Fahrlässigkeit wenigstens in Frage zu stellen, jedoch ist sie durch die Beweisaufnahme als unrichtig erwiesen worden.
- Den tatbestandsmäßigen Erfolg dieser Rechtsgutsverletzung hat K. N. in Kauf genommen, also gebilligt oder sich damit abgefunden. Ein sicher oder notwendig eintretendes Ereignis hat schon denkgesetzlich zur Folge, dass der Verursacher nicht gehofft oder darauf vertraut haben kann, dass dieses Ereignis doch nicht eintreten werde. Das äußere Unfallereignis schließt vorliegend aus, dass Herr N. auf dessen Ausbleiben vertraut haben könnte. In der Tat will er derartiges auch nicht geltend machen, insoweit gelten unverändert die vorstehenden Erwägungen. Wiederum war die genannte Einlassung geeignet, auch das Willenselement des Vorsatzes zu entkräften, scheiterte jedoch am Nachweis ihres Gegenteils.
- Die tatsächliche Schädigung der Frau H., also den Sturz auf die Straße mit anschließenden schweren Schädelverletzungen und dem Überrollen beider Beine, hat K. N. für wenigstens naheliegend gehalten. Zwar hat er sich hierzu nicht prüfbar geäußert („plötzlich war sie weg“), jedoch kann er nicht davon ausgegangen sein, dass der tatbestandliche Erfolg mit einiger Wahrscheinlichkeit ausbleiben werde. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass bei langsamer Geschwindigkeit angestoßene Fußgänger stürzen und unter das Fahrzeug gezogen werden können. Diese Erkenntnis stand auch K. N. zur Verfügung, während die Erwartung, Frau H. werde stehen bleiben und das Fahrzeug allein mit ihrer Körpermasse zum Stillstand bringen, vollständig fernliegend war. Insbesondere ist die vom Sachverständigen zu Recht erörterte objektiver Gefährlichkeit der Tathandlung zu berücksichtigen, die einen eindeutigen Schluss auf Kenntnis und Bewusstsein des Herrn N. nicht nur zulässt, sondern erzwingt. Wiederum hat K. N. sich nicht darauf berufen wollen, mit den Verletzungsfolgen nicht gerechnet oder diese nicht erkannt zu haben. Vielmehr hat er - wie vorstehend - behauptet, er habe wegen der Ablaufgeschwindigkeit des Vorgangs und der kurzen Reaktionszeit auch das Überfahren der Frau H. nicht vermeiden können. Wiederum wäre diese Behauptung geeignet gewesen, die Kenntnis von der Schadenszufügung zu beseitigen; allerdings ist auch diese Einlassung durch die Berechnungen des Sachverständigen widerlegt.
- Der Sturz und die Verletzungen der Frau H. waren insoweit vom Willen des Herrn N. umfasst, als er sich wenigstens damit abgefunden hat. Zunächst konnte das eigentliche Handlungsziel, dem er - an sich nicht erwünschte - Folgen untergeordnet hätte, nicht ermittelt werden. Insbesondere lässt sich nicht begründen, dass er vor der Polizei flüchten und sich „koste es, was es wolle“ von der Unteren W.-straße entfernen wollte. Jedoch lässt sich eine auffällige und merkwürdig gefühlskalte Einstellung feststellen, da Herr N. zuvor Frau H. über etwa 40 Meter gegen deren Willen vor sich herschob, sich keinerlei Gedanken machte, ob sich eine Gefährdung fortsetzen könnte und für sein gesamtes Verhalten keine halbwegs nachvollziehbare Erklärung finden konnte. Diese Gleichgültigkeit kann im Streitfall nur als Billigung auch des Verletzungserfolges gesehen werden, weil der Erfolgseintritt angesichts des äußerst gefährlichen Handelns offensichtlich war. Besondere Umstände, die das Willenselement des Vorsatzes beseitigen oder schwächen könnten, fehlen im Streitfall: auch in Beziehungsstreitigkeiten kann nicht als üblich angesehen werden, dass der Streitgegner mit dem Fahrzeug 40 Meter weggeschoben, und anschließend gleichgültig mit dem Fahrzeug umgestoßen und überfahren wird. Auch bezüglich der Billigung des Verletzungserfolgs hat K. N. nicht die Verteidigung gewählt, er habe den Schadenseintritt nicht gewollt und sich damit nicht abgefunden. Vielmehr schließt auch insoweit seine - widerlegte - Behauptung, der Vorgang sei so schnell abgelaufen, dass er auch das Überrollen der Frau H. nicht mehr habe vermeiden können, denkgesetzlich aus, dass er sich Gedanken über die Folgen seines Handelns gemacht habe.
II.
III.
IV.
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.