Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 04. März 2010 - 1 SsBs 23/10
Gericht
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittlich vom 4. Dezember 2009 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
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Die Nachprüfung der Entscheidung aufgrund der Beschwerderechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 und 3 StPO). Mit Blick auf den Verteidigerschriftsatz vom 1. März 2010 ist anzumerken:
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Abgesehen davon, dass das behauptete Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot nicht mit einer den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend gemacht wurde (siehe dazu OLG Hamm v. 11.11.2009 - 3 Ss OWi 856/09 - juris), wäre ein solches auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. August 2009 (2 BvR 941/08) zu verneinen, denn:
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1. Bei einer sog. Brückenabstandsmessung kommen – jedenfalls in Rheinland-Pfalz – insgesamt 3 Kameras zum Einsatz.
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a) Zwei auf einer Brücke aufgestellte Videokameras ohne Polarisierungsfilter erfassen den auflaufenden Verkehr auf allen Fahrstreifen über eine Gesamtstrecke von mindestens 400 m, wobei eine Nahbereichskamera auf die eigentliche, 50 m lange Messstrecke gerichtet ist, während zweite Kamera den Fernbereich (Beobachtungsstrecke) erfasst. Das Verkehrsgeschehen wird als Schnittbild ständig auf ein VHS-Band aufgezeichnet und auf einen Monitor übertragen, der von Polizeibeamten beobachtet wird. Da die Bildwiederholfrequenz der „Taktgeber“ für den die Zeiteinblendung in die Videoaufnahme generierenden JVC/Piller Charaktergenerator CG-P50E ist, müssen systembedingt analoge 50-Hertz-Kameras nach PAL-Standard verwendet werden. Die Aufnahmequalität entspricht in etwa der einer Digitalaufnahme mit 0,44 Megapixel; sie leidet zudem durch die Aufzeichnung auf VHS-Bänder. Weder Fahrzeugführer noch Kennzeichen sind auch nur andeutungsweise erkennbar. Eine Fahreridentifizierung anhand dieser Aufnahmen ist von vorn herein nicht beabsichtigt und technisch wegen der relativ schlechten Bildqualität auch nicht durch Vergrößerung möglich. Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt deshalb mangels Personenbezug nicht vor.
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b) Der Fahreridentifizierung dient allein die im Brückenbereich am Straßenrand sichtbar aufgestellte dritte Kamera, die von Polizeibeamten, die auf dem Monitor den laufenden Verkehr beobachten, erst dann gezielt in Betrieb gesetzt wird, wenn das Fahrverhalten eines bestimmten Verkehrsteilnehmers den Schluss auf die Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit zulässt. Er wird also jemand mit einer Identifizierungszwecken dienenden Nahaufnahme erfasst, der mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade dabei ist oder war, einen sanktionsbewehrten Verstoß gegen eine Gebots- oder Verbotsnorm in Form einer Geschwindigkeitsüberschreitung oder einer Unterschreitung des Sicherheitsabstandes zu begehen. Diese bestimmte Person ist somit ein Tatverdächtiger. Diesem Status steht selbstverständlich, wie sich aus § 163 b Abs. 1 StPO ergibt, nicht entgegen, dass seine Personalien noch unbekannt sind.
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2. Der in der Anfertigung der verdachtsabhängigen Nahaufnahme zu sehende Grundrechtseingriff ist gesetzlich durch nach § 46 OWiG entsprechend anwendbare strafprozessuale Vorschriften legitimiert.
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a) Nach Auffassung der Oberlandesgerichte Bamberg (Beschl. v. 16.11.2009 - 2 Ss OWi 1215/2009 - NZV 2010, 98) und Dresden (Beschl. v. 02.02.2010 - Ss OWi 788/09 - juris), der sich der Senat anschließt, ergibt sich die Eingriffsgrundlage bei dem hier angewendeten Messverfahren aus § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO (siehe auch OLG Stuttgart v. 29.01.2010 - 4 Ss 1525/09 - juris zu einem ähnlichen Verfahren mit nur einer Überwachungskamera). Dass diese Norm in erster Linie die Beweisgewinnung durch Observation von Personen oder Objekten regelt, steht ihrer Anwendung auf „heimliche“ Momentaufnahmen, die der Identifizierung eines auf frischer Tat ertappten Verdächtigen dienen, nicht entgegen (siehe auch KK-Nack, StPO, § 100h Rn. 2).
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b) Sieht man demgegenüber die Herstellung der Nahaufnahme als eine nicht unter 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO fallende Maßnahme der „Spurensicherung“ im weitesten Sinne an (so wohl AG Eilenburg v. 28.10.2009 - 5 Owi 256 Js 32476/09 - juris Rn. 20), ergibt sich die Ermächtigungsgrundlage aus § 163 b Abs. 1 StPO. Danach sind die zur Identifizierung eines Tatverdächtigen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, was auch ohne dessen Wissen geschehen kann. Zu den zulässigen Maßnahmen gehört auch die Anfertigung von Bilddokumenten.
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c) Da jedenfalls auf Autobahnen Anhaltekontrollen mit einem viel zu hohen Risiko für alle Beteiligten verbunden wären, sind auch Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Identifizierungsaufnahme gegeben.
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Kosten: §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 S. 1 StPO
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Annotations
(1) Gegen das Urteil und den Beschluß nach § 72 ist Rechtsbeschwerde zulässig, wenn
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gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist, - 2.
eine Nebenfolge angeordnet worden ist, es sei denn, daß es sich um eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art handelt, deren Wert im Urteil oder im Beschluß nach § 72 auf nicht mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist, - 3.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt oder von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder Strafbefehl eine Geldbuße von mehr als sechshundert Euro festgesetzt, ein Fahrverbot verhängt oder eine solche Geldbuße oder ein Fahrverbot von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war, - 4.
der Einspruch durch Urteil als unzulässig verworfen worden ist oder - 5.
durch Beschluß nach § 72 entschieden worden ist, obwohl der Beschwerdeführer diesem Verfahren rechtzeitig widersprochen hatte oder ihm in sonstiger Weise das rechtliche Gehör versagt wurde.
(2) Hat das Urteil oder der Beschluß nach § 72 mehrere Taten zum Gegenstand und sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 oder Satz 2 nur hinsichtlich einzelner Taten gegeben, so ist die Rechtsbeschwerde nur insoweit zulässig.
(3) Für die Rechtsbeschwerde und das weitere Verfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend. § 342 der Strafprozeßordnung gilt auch entsprechend für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 72 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1.
(4) Die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt mit der Zustellung des Beschlusses nach § 72 oder des Urteils, wenn es in Abwesenheit des Beschwerdeführers verkündet und dieser dabei auch nicht nach § 73 Abs. 3 durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden ist.
(5) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluß. Richtet sich die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil, so kann das Beschwerdegericht auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil entscheiden.
(6) Hebt das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung auf, so kann es abweichend von § 354 der Strafprozeßordnung in der Sache selbst entscheiden oder sie an das Amtsgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wird, oder an ein anderes Amtsgericht desselben Landes zurückverweisen.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.
(2) Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.
(3) Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind unzulässig. § 160 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung über die Gerichtshilfe ist nicht anzuwenden. Ein Klageerzwingungsverfahren findet nicht statt. Die Vorschriften über die Beteiligung des Verletzten am Verfahren und über das länderübergreifende staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister sind nicht anzuwenden; dies gilt nicht für § 406e der Strafprozeßordnung.
(4) § 81a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung ist mit der Einschränkung anzuwenden, daß nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist
- 1.
nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes oder - 2.
nach § 7 Absatz 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes in Verbindung mit einer Vorschrift einer auf Grund des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnung, sofern diese Vorschrift das Verhalten im Verkehr im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes regelt.
(4a) § 100j Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung, auch in Verbindung mit § 100j Absatz 2 der Strafprozessordnung, ist mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Erhebung von Bestandsdaten nur zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zulässig ist, die gegenüber natürlichen Personen mit Geldbußen im Höchstmaß von mehr als fünfzehntausend Euro bedroht sind.
(5) Die Anordnung der Vorführung des Betroffenen und der Zeugen, die einer Ladung nicht nachkommen, bleibt dem Richter vorbehalten. Die Haft zur Erzwingung des Zeugnisses (§ 70 Abs. 2 der Strafprozessordnung) darf sechs Wochen nicht überschreiten.
(6) Im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 des Jugendgerichtsgesetzes) abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist.
(7) Im gerichtlichen Verfahren entscheiden beim Amtsgericht Abteilungen für Bußgeldsachen, beim Landgericht Kammern für Bußgeldsachen und beim Oberlandesgericht sowie beim Bundesgerichtshof Senate für Bußgeldsachen.
(8) Die Vorschriften zur Durchführung des § 191a Absatz 1 Satz 1 bis 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Bußgeldverfahren sind in der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes zu bestimmen.