Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 25. Feb. 2016 - 3 RVs 11/16
Gericht
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückverwiesen.
1
Gründe:
2I.
3Das Amtsgericht Lemgo hat den Angeklagten am 30. Juli 2015 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen in Höhe von je 15 € verurteilt. Auf die gegen dieses Urteil eingelegte unbeschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Detmold mit Urteil 24. November 2015 das Urteil des Amtsgerichts unter Verwerfung der Berufung des Angeklagten im Übrigen dahingehend abgeändert, dass der einzelne Tagessatz auf 10 € herabgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch Fax seines Verteidigers vom 26. November 2015, beim Landgericht eingegangen am selben Tag, Revision eingelegt. Mit rechtzeitigem Schreiben seines Verteidigers vom 4. Januar 2016 hat er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer zurückzuverweisen und zur Begründung unter näheren Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, dass der Angeklagte tateinheitlich der versuchten Körperverletzung und der fahrlässigen Körperverletzung schuldig ist.
4II.
5Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge (zumindest vorläufig) Erfolg.
6Nach den Feststellungen des Landgerichts sprach der Angeklagte im Verlaufe des 19. November 2014 vermehrt dem Alkohol zu. Nachdem seine Freundin die Beziehung zu ihm fernmündlich beendete, trank der Angeklagte weiter Alkohol. In Gegenwart seiner Geschwister verließ er schließlich gegen 23 Uhr bei einer Außentemperatur von ca. 5 Grad nur mit einer Hose und einem Unterhemd bekleidet die Wohnung. Die Geschwister hegten die Befürchtung, der Angeklagte könne sich etwas antun und verständigten die Polizei. Die eingesetzten Polizeibeamten fanden den Angeklagten dicht am Ufer der Werre liegend nahe der dortigen Uferböschung, er schlief. Zum Schutze der Gesundheit des Angeklagten versuchten sie, diesen vergeblich durch Ansprache zu wecken. Durch ein Rütteln an Arm und Schulter erwachte der Angeklagte schließlich und begann unvermittelt um sich zu schlagen und zu treten. Um sich diesen (erfolglosen) Angriffen zu erwehren, kam es zum Einsatz von Pfefferspray. Im Anschluss hieran wurde der Angeklagte mit den Händen auf dem Rücken gefesselt und zum Streifenwagen verbracht. Zwei Beamte hielten ihn dabei in einem sogenannten Transportgriff fest. Als sie diesen Griff etwas lockerten, versuchte der Angeklagte gegen den an seiner linken Seite befindlichen Polizisten einen Kopfstoß auszuführen. Beim Ausweichen schlug der linke Arm des Beamten zurück, was zu einem Ausrenken und Auskugeln der Schulter führte. Der Angeklagte wurde der Polizeiwache zugeführt, eine ihm um 0:29 Uhr abgenommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,38 Promille.
7Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen eines Vergehens gem. § 113 Abs. 1 StGB nicht.
8Polizeibeamte gehören zu dem von § 113 StGB geschützten Personenkreis.
9Geschützt sind sie jedoch nur insoweit als sie sich bei der Vornahme einer Diensthandlung befunden haben. Um die rechtliche Einordnung nachvollziehbar zu machen, ist es erforderlich, dass die Urteilsfeststellungen die Diensthandlung, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr gesetzt hat, genau erkennen lassen. Hierzu ist es nötig, die Diensthandlung nicht nur ihrer Art nach zu benennen, sondern auch Feststellungen zum Zweck, zur Ausführung und den Begleitumständen zu treffen (OLG Celle, Beschluss vom 8. Juli 2011 - 31 Ss 28/11, StV 2011, 678; OLG München, Beschluss vom 8. Dezember 2008 - 5St RR 233/08, juris; KG Berlin, Beschluss vom 30. November 2005 - 1 Ss 321/05, juris).
10Diesen Anforderungen werden die landgerichtlichen Feststellungen nicht gerecht, sie lassen nicht hinreichend klar die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung erkennen. Das beruht wesentlich darauf, dass sich bereits kein eindeutiger Bezug zu einer bestimmten Rechtsgrundlage herstellen lässt. Es liegt insoweit nahe, bei dem Vorfall mit Blick auf das Einschreiten der Polizeibeamten zum einen bis zum Erwachen des Angeklagten am Flussufer und zum anderen bei dessen Gewaltanwendungen rechtlich hinsichtlich der Ermächtigungsgrundlagen zu differenzieren. Es kommen insbesondere folgende Rechtsgrundlagen in Betracht: §§ 8 Abs. 1, 12 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1 Nr. 1 o. Nr. 3, 55 Abs. 1 ff. PolG NRW; §§ 127, 163b Abs. 1, 163c Abs. 1, 164 StPO. Welche Vorschriften das Landgericht dem Handeln der Polizeibeamte zugrunde gelegt hat, bleibt offen.
11Zwar dürften die Polizeibeamten nach allen in Betracht kommenden Normen grundsätzlich sachlich und örtlich zuständig gewesen sein. Ob sie jedoch die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten haben, hängt je nach Rechtsgrundlage von unterschiedlichen Voraussetzungen ab. Entsprechend ist bei Identifizierungsmaßnahmen grundsätzlich der dafür maßgebliche Grund mitzuteilen (Senatsbeschluss vom 10. Mai 2012 - 3 RVs 33/12, NStZ 2012, 62 m.w.N.), bei der Anwendung von unmittelbarem Zwang ist in der Regel dessen vorherige Androhung erforderlich (OLG Dresden, Beschluss vom 1. August 2001 - 3 Ss 25/01, NJW 2001, 3643). Eine entsprechende Überprüfung ist dem Senat anhand der insoweit lückenhaften Urteilsgründe verwehrt.
12Ferner ist nicht erkennbar, ob die Beamten ihr Ermessen – auch hinsichtlich der Beurteilung der Sachlage – pflichtgemäß ausgeübt haben, weil sich die Eingriffsvoraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen deutlich unterscheiden.
13Die Aufhebung des Schuldspruchs führte zwangsläufig zur Aufhebung der festgesetzten Geldstrafe.
14Nach alledem war die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revision zu befinden haben wird.
15Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
16Das Eingreifen von Polizeibeamten zur Verhinderung eines Selbstmordversuches fällt grundsätzlich in den Schutzbereich des § 113 StGB (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 18. November 1988 - 1 St 186/88, NJW 1989, 1815). Ein Grund zu polizeilichem Einschreiten kann auch bereits beim Anschein einer Gefahr vorliegen, wobei bei Hilfsbedürftigen ein geringer Gefahrengrad ausreichend sein kann (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1983 - 4 StR 467/83, juris). Die Rechtmäßigkeit hoheitlichen Handelns hängt sodann davon ab, dass die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Beamten gegeben sind, er also örtlich und sachlich zuständig ist, die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhält und ein ggfls. eingeräumtes Ermessen pflichtgemäß ausübt (BGH, Urteil vom 9. Juni 2015 - 1 StR 606/14, NJW 2015, 3109).
17Zu den Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen zum Unrechtsbewusstsein und zu einer etwaigen Irrtumsproblematik wird auf den Beschluss des OLG Hamm vom 30. Juli 2013 - 5 RVs 67/13, StV 2014, 225 hingewiesen, hinsichtlich der Blutalkoholkonzentration von unter 2 Promille zur Tatzeit und der fehlenden erheblichen Ausfallerscheinungen im Leistungsverhalten wird zum Umfang der erforderlichen Erörterungen auf Fischer, StGB, 63. Auflage, § 20 Rn. 21, 21a, 23 sowie BGH, Beschluss vom 8. August 2007 - 2 StR 296/07, StraFo 2007, 468 hingewiesen.
18Mit Blick auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift weist der Senat daraufhin, dass Tateinheit zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Körperverletzung bei einer gegen ein und dieselbe Person durch eine Handlung verübten Tat ausgeschlossen ist (BGH, Beschluss vom 11. Juni 1997 - 2 StR 231/97, NStZ 1997, 493). Bei dem gegenständlichen Geschehen liegt die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit nahe.
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(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder - 3.
die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.
(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.
(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.
(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.
(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.
(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.
(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend.
(1) Ist jemand einer Straftat verdächtig, so können die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung seiner Identität erforderlichen Maßnahmen treffen; § 163a Abs. 4 Satz 1 gilt entsprechend. Der Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Unter den Voraussetzungen von Satz 2 sind auch die Durchsuchung der Person des Verdächtigen und der von ihm mitgeführten Sachen sowie die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zulässig.
(2) Wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist, kann auch die Identität einer Person festgestellt werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist; § 69 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. Maßnahmen der in Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Art dürfen nicht getroffen werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis stehen; Maßnahmen der in Absatz 1 Satz 3 bezeichneten Art dürfen nicht gegen den Willen der betroffenen Person getroffen werden.
(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder - 3.
die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.
(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.
(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.