Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 11. Aug. 2016 - 1 RVs 55/16
Gericht
Tenor
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und das Verfahren eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.
1
Gründe
2I.
3Das Amtsgericht Unna hatte den Angeklagten mit Urteil vom 12.01.2016 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt.
4Die hiergegen gerichtete, in der Hauptverhandlung vom 11.04.2016 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht verworfen.
5Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts in allgemeiner Form rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
6II.
7Die Revision hat Erfolg, da eine wirksame Eröffnung des Hauptverfahrens versäumt worden und deshalb das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß § 354 Abs. 1 StPO einzustellen ist (vgl. BGH StV 2011, 457, juris).
81.
9Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde:
10Mit Anklageschrift vom 11.06.2015 (255 Js 1171/15) erhob die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage hinsichtlich der vorliegend insbesondere abgeurteilten Tat vom 19.05.2015.
11Der zunächst zuständige Strafrichter des Amtsgerichts Kamen verfügte am 26.06.2015 die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Mit Beschluss vom 14.09.2015 übernahm das Amtsgericht Unna - Schöffengericht - dieses Verfahren unter dem Aktenzeichen 103 Ls 150/15.
12Hinsichtlich der zweiten vorliegend abgeurteilten Tat vom 02.11.2014 hat die Staatsanwaltschaft Dortmund (922 Js 394/15) mit Verfügung vom 24.07.2015 unter Übersendung eines diesbezüglichen Entwurfs bei dem Amtsgericht Kamen zunächst den Erlass eines Strafbefehls beantragt. Dem entsprach das Amtsgericht Kamen nicht, da ausweislich eines Vermerks vom 31.07.2015 nicht ohne Hauptverhandlung entschieden werden sollte.
13Mit Beschluss vom 09.09.2015 übernahm das Amtsgericht Unna - Schöffengericht - dieses Verfahren unter dem Aktenzeichen 103 Ls 145/15; zugleich mit der diesbezüglichen Beschlussausausfertigung wurden dem Angeklagten und seinem Verteidiger auch Abschriften des Strafbefehlsantrags ohne die beantragte Rechtsfolge zugestellt.
14Mit Beschluss vom 06.10.2015 wurden die beiden vorgenannten Verfahren durch das Amtsgericht Unna zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen 103 Ls 110 Js 582/15 - 150/15 weitergeführt.
15Sodann befindet sich in der Akte (Bl. 85 GA) folgendes teilweise ausgefüllte und vom Vorsitzenden des Schöffengericht am 10.11.2015 unterzeichnete Formular:
16 172.
18Dies genügt nicht, um den nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung wesentlichen Förmlichkeiten eines grundsätzlich schriftlich abzufassenden und zu unterzeichnenden Eröffnungsbeschlusses zu genügen. Danach ist die Verwendung von Vordrucken, auch wenn sie den Eröffnungsbeschluss mit einer Terminsbestimmung und einer Ladungsverfügung kombinieren, zwar grundsätzlich zulässig. Sie müssen jedoch eindeutig abgefasst und vollständig ausgefüllt werden (vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 2009, 288, juris, -zu einem annähernd gleichgelagerten Sachverhalt-; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 02.05.2008 - 1 Ws 142/08 -, juris; BayObLG NStZ-RR 2001, 139; KK-Schneider, StPO, 7. Aufl., § 207 Rn. 15; LR-Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 207 Rn. 34; Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 207 Rn. 8). Das ist hier offensichtlich nicht der Fall, weil sowohl ein Aktenzeichen als auch die Personalien der Person fehlen, gegen die das Verfahren geführt wird. Bei unvollständiger Ausfüllung eines unterschriebenen Vordrucks ist der Eröffnungsbeschluss hingegen nur dann ordnungsmäßig erlassen, wenn sich die fehlenden Teile aus den ausgefüllten Teilen des Vordrucks, auch einer anschließenden Terminsverfügung, unzweideutig ergänzen lassen. Bl. 85 d.A. ist jedoch aus sich heraus nicht verständlich, so dass nicht hinreichend dokumentiert ist, in welchem Verfahren das Hauptverfahren eröffnet wurde; allein die handschriftliche Eintragung des Datums der Anklageschrift genügt nicht (vgl. OLG Koblenz, a.a.O., Rn. 6).
19Zu keinem anderem Ergebnis führt der Umstand, dass der Vorsitzende des Schöffengerichts am selben Tag (was die Bezifferung der Verfügung Bl. 85 GA erklärt) auf einer zunächst an die Staatsanwaltschaft Dortmund zum dortigen Aktenzeichen 106 Js 294/07 gerichteten und von dort an das Amtsgericht Unna weitergeleiteten schriftlichen Bitte des Amtsgerichts Hamm (53 Ds 922 Js 1230/15 - 578/15) „in der Strafsache gegen I“ um „Übersendung der Akte“ handschriftlich eine Benachrichtigung verfügt hat, dass „das hiesige Verf. gegen H läuft“ (Bl. 84 GA). Allein diese auf zu verfahrensfremden Aktenzeichen erfolgte Anfrage erfolgte gesonderte Mitteilung unter Nennung des Nachnamens des Beschuldigten genügt auch bei einer Gesamtschau nicht, um mit der erforderlichen Gewissheit auf eine Eröffnung gerade des vorliegenden Verfahrens zu schließen.
20Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses auch nicht dadurch geheilt worden wäre, wenn - was sich den Akten nicht entnehmen lässt - die dem Angeklagten und seinem Verteidiger anschließend als Ausfertigungen übermittelten Schriftstücke Aktenzeichen und Rubrum enthalten haben sollten. Denn eine Ausfertigung hat die Urschrift so - und nur so - wiederzugeben, wie sie erstellt wurde. Andernfalls würde die Geschäftsstelle, ohne dazu befugt zu sein, erstmals ein Schriftstück herstellen und versenden, das die äußere Form eines richterlichen Beschlusses hat, aber keiner ist, weil ihm die richterliche Bestätigung fehlt (vgl. OLG Koblenz, a.a.O., Rn. 7 m.w.N.).
21Ein Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Anklageschrift vom 11.06.2015 wurde danach nicht getroffen.
223. Ähnliches gilt für den mit dem am 24.07.2015 verfügten Strafbefehlsentwurf erhobenen Tatvorwurf. Zwar kommt einer gemäß § 408 Abs. 3 S. 2 StPO erfolgten Terminsverfügung unter - hier bereits zugleich mit dem Übernahmebeschluss vom 09.09.2015 erfolgten - Übersendung einer Abschrift des Strafbefehlsantrags (§ 408 Abs. 3 S. 3 StPO) nach verbreiteter Auffassung die Wirkung eines Eröffnungsbeschlusses zu (vgl. Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 408 Rn. 15 m.w.N.). Die Anforderungen an die Eindeutigkeit einer solchen Anordnung können dann aber nach Auffassung des Senats nicht wesentlich geringer ausfallen als bei einem Eröffnungsbeschluss, so dass die mangels Angabe eines Aktenzeichens oder des Namens des Angeklagten aus sich heraus nicht verständliche Terminsverfügung vom 10.11.2015 auch hinsichtlich dieses Tatvorwurfs nicht die Wirkung eines Eröffnungsbeschlusses entfalten kann.
234. Diesem Gesamtergebnis stehen auch nicht die Übernahme- bzw. Verbindungsbeschlüsse vom 09.09.2015, 14.09.2015 und 06.10.2015 entgegen. Eine schlüssige Erklärung des Gerichts (vgl. KK-Schneider, a.a.O., § 207 Rn. 17; LR-Stuckenberg, a.a.O., § 207 Rn. 54; Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 207 Rn. 8; jew. m.w.N.), die Eröffnungsvoraussetzungen bereits geprüft zu haben und bestimmte Anklagevorwürfe zur Hauptverhandlung zuzulassen, lässt sich diesen Entscheidungen unter Berücksichtigung des unter II.1. dargestellten Verfahrensablaufs gerade nicht entnehmen.
24III.
25Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
(1) Hält der Vorsitzende des Schöffengerichts die Zuständigkeit des Strafrichters für begründet, so gibt er die Sache durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft an diesen ab; der Beschluß ist für den Strafrichter bindend, der Staatsanwaltschaft steht sofortige Beschwerde zu. Hält der Strafrichter die Zuständigkeit des Schöffengerichts für begründet, so legt er die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dessen Vorsitzenden zur Entscheidung vor.
(2) Erachtet der Richter den Angeschuldigten nicht für hinreichend verdächtig, so lehnt er den Erlaß eines Strafbefehls ab. Die Entscheidung steht dem Beschluß gleich, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden ist (§§ 204, 210 Abs. 2, § 211).
(3) Der Richter hat dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu entsprechen, wenn dem Erlaß des Strafbefehls keine Bedenken entgegenstehen. Er beraumt Hauptverhandlung an, wenn er Bedenken hat, ohne eine solche zu entscheiden, oder wenn er von der rechtlichen Beurteilung im Strafbefehlsantrag abweichen oder eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharrt. Mit der Ladung ist dem Angeklagten eine Abschrift des Strafbefehlsantrags ohne die beantragte Rechtsfolge mitzuteilen.
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
- 1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder - 2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.