Oberlandesgericht Bamberg Urteil, 12. Nov. 2014 - 3 OLG 8 Ss 136/14
Gericht
Principles
Tatbestand
Das AG verurteilte den Angekl. am 22.10.2013 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil des Nebenkl. zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Auf die Berufung des Angekl. hat das LG mit Urteil vom 30.05.2014 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und den Angekl. freigesprochen. Hiergegen wendet sich die von der GenStA vertretene Revision des Nebenkl., mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Seine Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LG.
Gründe
I.
[1 ] Die statthafte und auch sonst zulässige sowie nach ihrer näher ausgeführten Begründung und Antragstellung ein zulässiges Anfechtungsziel i. S. d. §§ 395, 400 I StPO verfolgende Revision des Nebenkl. ist begründet. Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[2 ] 1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen hat das Tatgericht gemäß § 267 V S. 1 StPO grundsätzlich zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen festzustellen, die es für erwiesen hält, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen es die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht hat treffen können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (st.Rspr., vgl. nur BGH NStZ 2014, 419; vgl. auch Senatsbeschl.
[3 ] 2. Der Senat braucht nicht darüber zu befinden, ob das angefochtene Urteil - ggf. im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe - diesen Anforderungen hier schon deshalb nicht gerecht wird, weil es nicht erkennen lässt, von welchem festgestellten Sachverhalt das LG im Hinblick auf den Tatvorwurf letztlich ausgegangen ist, namentlich zu der Frage, wer dem Nebenkl. seine Verletzungen zugefügt hat. Denn die Beweiswürdigung des LG ist aus anderen Gründen sachlich-rechtlich rechtsfehlerhaft. Sie zwingt den Senat deshalb zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil er bei der gebotenen Gesamtschau der Urteilsgründe nicht ausschließen kann, dass das LG die Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) überspannt hat und sich seine Beweiswürdigung deshalb im Ergebnis als lückenhaft erweist. Darüber hinaus leidet das angefochtene Urteil an durchgreifenden Darstellungs- und Erörterungsmängeln.
[4 ] a) Nach den Urteilsgründen liegt dem Angekl. laut Anklageschrift vom
[5 ] b) Spricht das Tatgericht den Angekl. frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht zwar in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, dessen Schlussfolgerungen nicht zwingend, sondern nur möglich sein müssen. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt aber die Prüfung, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH NStZ-RR 2009, 210; BGH, Urt. v. 28.05.2014 - 2 StR 70/14 und 17.07.2014 - 4 StR 129/14
[6 ] 3. Diesen Anforderungen wird das Urteil des LG in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht:
[7 ] a) Zum Freispruch der Angekl. führt nach Auffassung des LG, dass es zugunsten der Angekl. nach dem Zweifelssatz ‚in dubio pro reo’, nämlich „aufgrund einer Zusammenschau der Beweisergebnisse […] jedenfalls vernünftige Zweifel an der Täterschaft des Angekl.“ nicht hat überwinden können. Diese Zweifel beruhen darauf, dass sich der Angeklagte erstmals in der Berufungshauptverhandlung und abweichend von seinem gesamten bisherigen Verteidigungsverhalten, namentlich seinen früheren Einlassungen zum Tatvorwurf im Ermittlungsverfahren und noch in der Hauptverhandlung erster Instanz, dahin eingelassen hat, nicht er, sondern ein anderer namentlich benannter und am Tatort ebenfalls anwesender Beteiligter habe die Schläge gegen den Geschädigten und Nebenkl. geführt und sei damit für dessen Verletzungen verantwortlich. Hierzu führt das LG im Rahmen seiner Beweiswürdigung näher aus: [...]
[8 ] b) Die Begründung der Berufungskammer für die Anwendung des Zweifelssatzes hält einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des LG beruht nicht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage, wozu gerade die Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft des Angekl. sprechenden Umstände zählt.
[9 ] aa) Das LG bleibt eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, warum sich der Verletzte bei seiner von hoher Aussagequalität und -konstanz geprägten, den unzweifelhaft am Tatort anwesenden Angekl. als Täter an seiner Physiognomie sicher wiedererkennenden Aussage, geirrt haben sollte. Der Versuch einer Erklärung für das Phänomen, dass der Geschädigte und Zeuge „das Gesicht des Angekl., der schlichtend eingegriffen hatte“ nicht ausschließbar zwar „gesehen […], dieses Gesicht dann aber fälschlich mit der Person in Verbindung“ gebracht haben sollte, „die ihm den Faustschlag versetzte“, wird von der Berufungskammer nicht unternommen. Hierfür bestand umso mehr Veranlassung, als die Schilderung des Tathergangs durch den Geschädigten über eine beachtliche inhaltliche Konstanz hinaus eine Vielzahl spezifischer Details zur Tatausführung und zur Person des Täters (u. a. „Schlagring“, „dunkle schwarze Jacke“, „rundes Gesicht“, „bullige Figur“, „schätzungsweise 170 bis 175 cm groß“, „keine Brille“, Haare „kurz“, „dunkelblond“ bzw. „leicht nach oben“ stehend) enthält, deren Richtigkeit von der Kammer auch gar nicht in Frage gestellt wird.
[10 ] bb) Hinzu kommt, dass aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich ist, ob und ggf. mit welchem Resultat das LG den Verletzten mit seiner Verwechslungshypothese überhaupt konfrontiert hat.
[11 ] cc) In diesem Zusammenhang wäre weiterhin zu erörtern gewesen, wie die Einlassung des Angekl., am Tatort „habe er gesehen“, wie der von ihm als Täter bezeichnete Zeuge „einen bewusstlos am Boden liegenden Mann“, bei dem es sich wohl um den Verletzten gehandelt haben müsse, „hochgezogen und ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen habe“, wobei der von dem Angekl. als Täter benannte Zeuge „wohl am Mittelfinger einen Ring getragen“ habe, „mit dem er sich bei dieser Tat eine blutende Verletzung zugezogen habe“, mit der Hypothese einer Personenverwechslung durch den Verletzten in Einklang zu bringen sein könnte.
[12 ] dd) In diesem Punkt erweist sich die Beweiswürdigung des LG darüber hinaus, wenn nicht widersprüchlich, so doch zumindest unklar, weil auch der Frage nicht nachgegangen wird, warum der - als offenbar glaubwürdig angesehene - Verletzte seinerseits von dieser Version des Geschehens nichts berichtet hat. Für die Annahme, wonach der Zeuge bar eines erkennbaren Falschbelastungsmotivs oder fremdsuggestiver Beeinflussung nur „subjektiv davon überzeugt“ sei, „dass er sich das Gesicht des Schlägers eingeprägt […] und dieses auf einer Wahllichtbildvorlage der Polizei“ wiedererkannte, fehlt damit eine anhand konkreter Feststellungen begründbare Grundlage.
[13 ] ee) Auch sonst leidet die Beweiswürdigung an durchgreifenden Rechtsfehlern und Darstellungsmängeln.
[14 ] (1) So hat das LG den erstmals in der Berufungshauptverhandlung vorgebrachten Aussagen des Angekl., für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es letztlich außer den auf vertraulichen Äußerungen des Angekl. im Rahmen des jeweiligen Mandats beruhenden Aussagen bzw. Erklärungen seiner beiden Verteidiger keine stichhaltigen Beweise gibt und die sich demgemäß als bloße Vermutungen zugunsten des Angekl. erweisen, nicht nur breiten Raum gewidmet, sondern sie - im Unterschied zur Zeugenaussage des Verletzten - als unwiderlegt, ja sogar als „durchaus möglich und nachvollziehbar“ hingenommen. Dies ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil sich das LG einer jedenfalls aus den für den Senat maßgeblichen Gründen des angefochtenen Urteils hinreichend zu entnehmenden echten Plausibilitätsüberprüfung des geänderten Aussageverhaltens des Angekl. enthalten hat, obwohl sich eine Schlüssigkeitsprüfung insoweit schon aufgrund der offen zu Tage tretenden Widersprüchlichkeiten aufgedrängt hätte.
[15 ] (a) Während einerseits das gegenüber der erstinstanzlichen Hauptverhandlung geänderte Verteidigungsverhalten des Angekl. laut Aussage des als Zeuge vernommenen vormaligen Verteidigers des Angekl. von diesem zunächst damit begründet wird, der Angekl. habe auf der Nichtnennung des nunmehr als Schläger bezeichneten Zeugen deshalb bestanden, um diesen „zu schützen“, weil dieser „zu seiner Clique“ gehöre und „sein Freund“ sei, soll andererseits, von dem nunmehr als Schläger bezeichneten Zeugen „abzulenken“ nach der „persönlichen Einschätzung“ des früheren Verteidigers dadurch motiviert gewesen sein, dass der Angeklagte - Freundschaft hin oder her - „Angst“ vor dem jetzt als Täter bezeichneten Zeugen gehabt habe. Diese schon in sich unstimmige „Einschätzung“ des früheren Verteidigers des Angekl. ist entgegen der Ansicht der Berufungskammer auch nicht deshalb besser „nachvollziehbar“, weil auch der jetzt als Schläger Bezeichnete „früher aktiv Boxen als Sport betrieb“.
[16 ] (b) Von der Strafkammer unzureichend unerörtert wird schließlich die Frage, warum der Angeklagte überhaupt einen Anlass sah, sein Verteidigungsverhalten zwischen den Instanzen grundlegend zu verändern, wozu auch eine nachvollziehbare Auseinandersetzung dazu gehört hätte, aufgrund welcher Umstände der Angeklagte für den Ausgang des erstinstanzlichen Verfahren in realistischer Weise davon ausgehen konnte, „dass ihm“ […] nichts nachzuweisen sei“. In jedem Fall hätte sich das LG damit auseinandersetzen müssen, ob und warum nunmehr die „Angst“ des Angekl. vor dem als Schläger benannten Zeugen entweder verflogen oder aber nicht (mehr) derart ausgeprägt gewesen ist, dass es zu dem grundlegenden Wechsel in der Einlassung des Angekl. kommen konnte. Für die Klärung all dieser offenen Fragen durfte sich das LG jedenfalls nicht, wovon nach den Urteilsgründen allerdings auszugehen ist, unkritisch auf Mutmaßungen bzw. ‚Einschätzungen‘ der beiden Verteidiger des Angekl. verlassen und diese letztlich seiner Überzeugungsbildung, insbesondere der Anwendung des den Freispruch des Angekl. bedingenden Zweifelssatzes, zugrunde legen. Denn der Zweifelssatz ‚in dubio pro reo‘ gebietet es gerade nicht, zugunsten des Angekl. Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st.Rspr.; vgl. u. a. BGH NStZ 2004, 35; NStZ-RR 2005, 209; NStZ-RR 2009, 90).
[17 ] (2) Zu Recht beanstandet die Revision, dass die Strafkammer, obwohl ein weiterer Zeuge in der Berufungsverhandlung bekundete, „selbst einen Schlag abbekommen zu haben“ und überdies angab, „sich zu 80% sicher zu sein, dass dieser Schlag von dem Angekl. gekommen sei“, keine Veranlassung gesehen hat, dieser Aussage eine ihr gebührende indizielle Bedeutung für die Glaubhaftigkeit und Richtigkeit der von dem Geschädigten bezeugten Täterschaft gerade des Angekl. zuzuerkennen. Mit der Begründung, dass „auch in diesem Fall [...] jedoch nicht auszuschließen“ sei, dass auch dieser „Zeuge [...] zwar bei der Auseinandersetzung das Gesicht des zweifellos anwesenden Angekl. […] gesehen hat, dieses aber irrtümlich mit der Person in Verbindung brachte, die auf ihn einschlug“, bewegt sich das LG im Rahmen reiner Spekulation.
[18 ] (3) Nachdem der Verletzte, abgesehen von der wiedererkennenden Identifizierung des Gesichts des Angekl. auch eine allgemeine Beschreibung der Person des Schlägers abgegeben hat, hätte sich das LG, wie die Revision ebenfalls zu Recht beanstandet, mit diesen Angaben des Zeugen zur Statur, Körpergröße, Haarfarbe und Frisur sowie Kleidung des Täters im Urteil eingehend auseinander setzen und das Ergebnis in seinem Urteil darstellen müssen. Das LG unternimmt auch nicht den Versuch, aus eigener Anschauung die von dem Zeugen genannten Merkmale entweder mit solchen des Angekl. oder - wenigstens - mit Merkmalen der Person des von dem Angekl. als Täter bezeichneten und in der Verhandlung ebenfalls anwesenden Zeugen zu vergleichen, um auf diese Weise mögliche Übereinstimmungen oder Abweichungen festzustellen, die mögliche Rückschlüsse auf die Identität des Täters erlauben könnten. Zwar enthalten die Urteilsgründe die Feststellung, dass sich „die Berufungskammer [...] im Rahmen der Berufungshauptverhandlung einen Eindruck von dem Körperbau des Angekl.“ habe „verschaffen“ können. Dem folgt allerdings nur die Bemerkung, dass der Angekl., der angab, er habe sich bis zur Tatzeit als Boxer sportlich betätigt, „zwar nicht sehr groß, jedoch kräftig gebaut“ sei. Ob und ggf. welche Rückschlüsse das LG hieraus für seine Überzeugungsbildung gewonnen hat, bleibt ungewiss. Eine sich nach der Sach- und Beweislage geradezu aufdrängende Beschreibung der Person des von dem Angekl. als Täter beschriebenen Zeugen unterbleibt.
II.
[19 ] Nach alledem erweist sich die Beweiswürdigung des LG als unzureichend. Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel bedarf die Sache insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Das angefochtene Urteil ist deshalb auf die Revision des Nebenkl. mitsamt den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels und die dem Nebenkl. im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Jugendkammer des LG zurückzuverweisen (§ 354 II StPO).
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Annotations
(1) Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
(3) Das Gericht kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auch dann zur Bewährung aussetzen, wenn zu erwarten ist, daß der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird.
(4) Absatz 3 gilt auch, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung
- 1.
nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder - 2.
nach § 174 Absatz 3 Nummer 1 oder § 176a Absatz 1 Nummer 1
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.