Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss, 06. Jan. 2010 - L 8 B 227/09 SF SA

ECLI: ECLI:DE:LSGSH:2010:0106.L8B227.09SFSA.0A
published on 06/01/2010 00:00
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss, 06. Jan. 2010 - L 8 B 227/09 SF SA
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Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 13. Oktober 2009 aufgehoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren sind von der Staatskasse zu erstatten.

Gründe

1

Der Kläger wendet sich mit seiner am 3. November 2009 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 13. Oktober 2009, mit dem sein Antrag, den vom Sozialgericht beauftragten Sachverständigen Dr. E wegen der Besorgnis der Befangenheit vom Verfahren auszuschließen, abgelehnt worden ist, nachdem bereits eine instanzbeendende Entscheidung in der Hauptsache ergangen war.

2

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und auch insoweit begründet, als das Sozialgericht nach Zustellung des Gerichtsbescheides vom 30. September 2009 noch förmlich durch Beschluss über das Ablehnungsgesuch entschieden hat. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben.

3

Das Sozialgericht hätte in der Hauptsache nicht entscheiden dürfen, ohne über das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Dr. E zu befinden. Der mit der Berufung ebenfalls angefochtene Gerichtsbescheid vom 30. September 2009 leidet deshalb an einem wesentlichen Verfahrensmangel (vgl. BSG, Urteil vom 23.05.2000 – B 1 KR 9/00 R -, veröffentlicht in juris, Rdnr. 11). Dabei kann offenbleiben, ob den prozessualen Erfordernissen genügt worden wäre, wenn sich das Sozialgericht mit dem Ablehnungsgesuch in den schriftlichen Entscheidungsgründen auseinandergesetzt hätte, denn dies ist nicht geschehen. Das fragliche Gutachten war für die Entscheidung des Sozialgerichts auch erheblich. Das Sozialgericht folgt mit seinen Feststellungen zum Leistungsvermögen des Klägers im angefochtenen Gerichtsbescheid ausdrücklich den Ausführungen des Sachverständigen.

4

Den Verfahrensfehler konnte das Sozialgericht nach Zustellung des instanzbeendenden Gerichtsbescheides vom 30. September 2009 nicht mehr durch die angefochtene förmliche Entscheidung über das Ablehnungsgesuch heilen. Hierfür fehlte dem Sozialgericht die gesetzliche Legitimation, nachdem es das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen bereits bei seiner Entscheidungsfindung verwertet hatte. Gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 318 Zivilprozessordnung (ZPO) ist das Gericht an die Entscheidung, die in den von ihm erlassenen End- und Zwischenurteilen enthalten ist, gebunden. Daraus folgt, dass das Gericht seinen eigenen Entscheidungssatz grundsätzlich nicht aufheben oder abändern darf. Eine Ausnahme hiervon ist nur bei Vorliegen der gesetzlich ausdrücklich geregelten Tatbestände der Berichtigung des Urteils (§ 138 SGG), der Berichtigung des Tatbestands (§ 139 SGG) oder der Urteilsergänzung (§ 140 SGG) von Amts wegen bzw. auf Antrag möglich. Die Voraussetzungen dieser der Verfahrensökonomie dienenden Vorschriften sind hier jedoch nicht gegeben. Sie erfassen nicht die unterbliebene, gesetzlich jedoch vorgesehene förmliche Entscheidung durch Beschluss über das Ablehnungsgesuch (§ 202 SGG i.V.m. § 406 Abs. 4 ZPO). Nachdem das Sozialgericht mit Bindungswirkung über die Hauptsache entschieden und das Gutachten verwertet hatte, war es ihm somit verwehrt, durch Beschluss über den Ablehnungsantrag zu entscheiden. Würde einem Gericht auch in diesem Fall weiterhin die Entscheidungsbefugnis eingeräumt, bestünde die Gefahr divergierender Entscheidungen im selben Verfahren, die mit § 318 ZPO nicht vereinbar sind.

5

Aus diesem Grund kann im Beschwerdeverfahren auch dahingestellt bleiben, ob das Ablehnungsgesuch des Klägers nach Zustellung des Gerichtsbescheides überhaupt noch zulässig war oder der geltend gemachte Ablehnungsgrund durch den instanzbeendenden Gerichtsbescheid prozessual überholt wurde. Zwar ist für den Fall der Richterablehnung nach § 60 SGG i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO umstritten, ob ein Ablehnungsgesuch im sozialgerichtlichen Verfahrens ausnahmsweise auch dann zulässig bleibt, wenn der abgelehnte Richter unter Verstoß gegen die mit der Anbringung des Ablehnungsgesuchs ausgelöste Wartepflicht eine Endentscheidung getroffen hat und die fehlende Entscheidung im Rechtsmittelverfahren relevant ist (vgl. zum Streitstand: Vollkommer in Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 46 ZPO Rdnr. 18a und 18b m.w.N.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 60 Rdnr. 11; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Juli 2007 – L 1 SF 116/07 -, veröffentlicht in juris). Unabhängig von der Entscheidung dieser Streitfrage und der Übertragbarkeit auf die Ablehnung eines Sachverständigen, könnte aus den oben ausgeführten Gründen aus der Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs nicht die fortbestehende Entscheidungsbefugnis des Sozialgerichtes über den Antrag abgeleitet werden. Macht der Beteiligte – wie hier - die Ablehnung im Berufungsverfahren weiter geltend, so wird in dem beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht anhängigen Berufungsverfahren L 8 R 190/09 inzident zu prüfen sein, ob das Sozialgericht das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen Dr. E zu Recht verwertet hat (vgl. hierzu auch Keller, a.a.O., § 118 Rdnr. 12m).

6

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG. Dabei ist zu beachten, dass das erfolgreiche Beschwerdeverfahren durch richterliches Handeln veranlasst war, so dass die Kostenlast nicht der Gegenpartei auferlegt werden kann, sondern von der Staatskasse zu tragen ist (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. Januar 2009 – L 13 AS 5633/08 B -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Oktober 2008 – L 5 B 1180/09 AS -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. April 1997 – L 11 S 2/97 -; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – L 9 B 154/09 SO -).

7

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialger
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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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published on 14/01/2009 00:00

Tenor Auf die Beschwerden des Klägers werden die Beschlüsse des Sozialgerichts Ulm vom 13. Oktober 2008 (S 2 AS 3614/08 A, S 2 AS 3615/08 A, S 2 AS 3616/08 A, S 2 AS 3617/08 A und S 2 AS 3618/08 A) aufgehoben. Die Sta
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Das Gericht ist an die Entscheidung, die in den von ihm erlassenen End- und Zwischenurteilen enthalten ist, gebunden.

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(3) Ist das Urteil elektronisch abgefasst, ist auch der Beschluss elektronisch abzufassen und mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Hat das Urteil einen von einem Beteiligten erhobenen Anspruch oder den Kostenpunkt ganz oder teilweise übergangen, so wird es auf Antrag nachträglich ergänzt. Die Entscheidung muß binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils beantragt werden.

(2) Über den Antrag wird in einem besonderen Verfahren entschieden. Die Entscheidung ergeht, wenn es sich nur um den Kostenpunkt handelt, durch Beschluß, der lediglich mit der Entscheidung in der Hauptsache angefochten werden kann, im übrigen durch Urteil, das mit dem bei dem übergangenen Anspruch zulässigen Rechtsmittel angefochten werden kann.

(3) Die mündliche Verhandlung hat nur den nicht erledigten Teil des Rechtsstreits zum Gegenstand.

(4) Die ergänzende Entscheidung wird auf der Urschrift des Urteils und den Ausfertigungen vermerkt. Liegt das Urteil als elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 65a Absatz 3) vor, bedarf auch die ergänzende Entscheidung dieser Form und ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, dass der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.

(2) Der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Der Antrag kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden.

(4) Die Entscheidung ergeht von dem im zweiten Absatz bezeichneten Gericht oder Richter durch Beschluss.

(5) Gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den sie für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt.

Das Gericht ist an die Entscheidung, die in den von ihm erlassenen End- und Zwischenurteilen enthalten ist, gebunden.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 46 Absatz 1 und die §§ 47 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozeßordnung gilt stets als begründet, wenn der Richter dem Vorstand einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts angehört, deren Interessen durch das Verfahren unmittelbar berührt werden.

(4) (weggefallen)

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.