Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 06. Jan. 2011 - L 5 P 36/10

ECLI:ECLI:DE:LSGRLP:2011:0106.L5P36.10.0A
bei uns veröffentlicht am06.01.2011

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 29.06.2010 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch auf Gewährung von Betreuungsleistungen aus der sozialen Pflegeversicherung.

2

Die 1927 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie leidet an einer Hypertonie, einem nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ II, einer rezidivierenden Depression sowie einer 2007 diagnostizierten senilen Demenz vom Alzheimer-Typ. Vom Amt für soziale Angelegenheiten Landau sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und die gesundheitlichen Merkmale für die Nachteilsausgleiche "G" und "B" zuerkannt (Bescheid vom 23.07.2008). Im August 2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Betreuungsleistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz. Im "Selbstauskunftsbogen zur Feststellung des erhöhten Betreuungsbedarfes bei Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz" gab sie an, bei ihr bestehe eine Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen, medikamenteninduziert bestehe eine Appetitlosigkeit. Zudem leide sie an Störungen der höheren Hirnfunktionen im Sinne einer Beeinträchtigung des Gedächtnisses und an einer zeitlich überwiegend vorhandenen Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit auf Grund einer therapieresistenten Depression. Die Pflegefachkraft im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) S gelangte im Gutachten vom 07.10.2008 zum Ergebnis, bei der Klägerin bestehe eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung mit Einschränkungen des Gedächtnisses und des Erinnerungsvermögens. Hieraus resultiere jedoch kein regelmäßiger, dauerhafter Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf. Bisher seien weder Weglauftendenzen noch Eigen- oder Fremdgefährdungen vorgekommen, anamnestisch würden keine Unsinnigkeitshandlungen angegeben. Auf Grund der Defizite in cerebraler Hinsicht bei festgestellter Vergesslichkeit sei lediglich zeitweilig ein intermittierender Beaufsichtigungs- und Anleitungsbedarf gegeben. Im Bereich der Grundpflege bestehe ein Hilfebedarf zweimal wöchentlich in Form der Teilübernahme beim Duschen sowie täglich dreimal in Form der Beaufsichtigung bei der Aufnahme der Nahrung im Umfang von insgesamt vier Minuten täglich im Wochendurchschnitt. Ansonsten könne die Versicherte sämtliche Verrichtungen innerhalb der Grundpflege noch selbstständig durchführen. Gestützt auf diese Beurteilung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.10.2008 den Leistungsantrag ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und legte eine Bescheinigung ihrer behandelnden Nervenärztin Dr. M vom 30.10.2008 vor, in der diese der Klägerin wegen fortgeschrittener Demenz mit resultierender dauerhafter Desorientierung einen ununterbrochenen Aufsichts- und Betreuungsbedarf attestierte. Die Pflegefachkraft im MDK H verneinte im Gutachten vom 11.11.2008 weiterhin das Vorliegen einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

3

Am 04.03.2009 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Speyer (SG) erhoben. Das SG hat von Dr. M einen Befundbericht vom 27.04.2009 eingeholt, in dem dieser eine erhebliche Beeinträchtigung der Alltagskompetenz der Klägerin ebenso bestätigt hat wie der Internist E im Befundbericht vom 07.05.2009. Vom Neurologen und Psychiater Dr. G hat das SG ein Gutachten vom 28.07.2009 eingeholt. Der Sachverständige ist zum Ergebnis gelangt, bei der Klägerin seien von den 13 Punkten im Assessment bezüglich einer Einschränkung der Alltagskompetenz in zwei Bereichen dauerhafte Fähigkeitsstörungen gegeben, nämlich bei dem Punkt 8 Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben und dem Punkt 10 Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren . Ihre Alltagskompetenz sei demnach als "erheblich eingeschränkt" zu bezeichnen, nicht jedoch als "in erhöhtem Maße eingeschränkt". Die Störungen der höheren Hirnfunktionen wie die Schwierigkeiten bei der Planung und Strukturierung des Tagesablaufs hätten bereits bei Antragstellung vorgelegen, wie sich aus den Befunden einer stationären Behandlung in der Neurologischen Universitätsklinik H von Oktober 2007 ergebe. Die Beklagte hat demgegenüber eingewandt, nach den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches (Begutachtungs-Richtlinien) sei der Punkt 10 des Assessment nur zu bejahen, wenn die Beeinträchtigungen der Aktivitäten nicht unter dem Punkt 8 erfasst würden. Dem Sachverständigengutachten des Dr. G und auch dem Gutachten des MDK sei jedoch zu entnehmen, dass Punkt 8 erfüllt sei. Hinweise für die Erfüllung des Punktes 10 ließen sich dem Sachverständigengutachten nicht entnehmen. Mit ergänzender Stellungnahme vom 07.10.2009 hat der Sachverständige Dr. G an seiner Beurteilung festgehalten und betont, bei der Klägerin stehe der Fähigkeit zu eigener Planung und Tagesstrukturierung nicht nur die Merkfähigkeitsstörung und das gestörte Zeitraster entgegen, sondern auch die Antriebsstörung. Sie könne auf Aufforderung und unter Aufsicht bei einzelnen Verrichtungen durchaus noch mitwirken. Bei den Verrichtungen in der Küche mache sie noch mit. Sie sei jedoch nicht aus eigenem Antrieb fähig, etwas einzukaufen und zu regelmäßigen Mahlzeiten zu kochen. Die Tagesstruktur müsse ihr immer wieder vorgegeben werden. Es handele sich dabei um mehr und andere Beeinträchtigungen, als sie unter Punkt 8 zusammengefasst sind, etwa die Unfähigkeit, Absprachen wie Termine nicht mehr einhalten zu können. Bei einer langjährig bestehenden Demenzerkrankung sei die Unfähigkeit, eigenständig den Alltag zu planen und zu strukturieren, eine für die Diagnose elementare Bedingung, die Demenzdiagnose sei aber durchgehend gestellt worden. Die Klägerin erhalte auch Antidementiva.

4

Durch Urteil vom 29.06.2010 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 14.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009 aufgehoben und festgestellt, dass in der Person der Klägerin die Voraussetzungen des § 45 a SGB XI für die Inanspruchnahme von zusätzlichen Leistungen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf nach den Vorschriften des SGB XI bei erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ab dem 01.08.2008 gegeben sind. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei als Anfechtungs- und Feststellungsklage ausnahmsweise zulässig, da zu erwarten sei, dass auf Grund der Bindung der Beklagten an die Gesetze durch die Klärung der Voraussetzungen des § 45 a SGB XI der Streit der Beteiligten im Ganzen bereinigt werde. Der angefochtene Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides erweise sich als rechtswidrig, da die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von zusätzlichen Leistungen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf gegeben seien. Grundlage für die Feststellung des Bedarfes seien die in § 45 a Abs. 2 SGB XI genannten Kriterien, von denen die Klägerin, die im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf von täglich vier Minuten und in der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten habe, die Punkte 8 und 10 im Sinne dauerhafter und regelmäßiger Fähigkeitsstörungen erfülle. Diese Fähigkeitsstörungen basierten auf einer Kombination der senilen Demenz vom Alzheimer-Typ, welche zu einer zeitlichen Desorientierung und zu einer Störung des Arbeitsgedächtnisses führe, mit einer Depression, welche eine Antriebsstörung zur Folge habe. Der Einwand der Beklagten, dass die in der Person der Klägerin vorhandenen Schädigungen oder Fähigkeitsstörungen nur unter Nummer 8 des § 45 a Abs. 2 Satz 2 SGB XI zu fassen seien, was zur Folge habe, dass diese Beeinträchtigungen nach den Begutachtungsrichtlinien nicht mehr in Nummer 10 Berücksichtigung finden können, treffe nicht zu. Dass durch den Sachverständigen auf Grund der Störung des Arbeitsgedächtnisses dokumentierte Unvermögen der Klägerin, terminliche Absprachen einzuhalten, beziehe sich auf die in Punkt 8 erfasste Fähigkeitsstörung in Bezug auf die Bewältigung sozialer Alltagsleistungen. Die weiter bestehenden Beeinträchtigungen in Form einer zeitlichen Desorientierung und einer Antriebsstörung, die wiederum mit der Störung des Arbeitsgedächtnisses zusammentreffe, führten über die Probleme mit der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen hinaus zu der von § 45 a Abs. 2 Satz 2 Nr. 10 SGB XI erfassten Unfähigkeit, den Tagesablauf selbstständig zu planen und zu strukturieren. Zwar sei der Beklagten zuzugestehen, dass die Klägerin für sich betrachtet durchaus noch in der Lage sei, die im jeweiligen Tagesablauf konkret anfallenden Verrichtungen zu erledigen. Sie müsse hierzu allerdings immer wieder - in Form der Vorgabe einer Tagesstruktur - angehalten werden. Zeitpunkt für den Beginn von zusätzlichen Leistungen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf nach den Vorschriften des SGB XI sei gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB XI der 01.08.2008, weil die festgestellten Schädigungen oder Funktionsstörungen ausweislich der Feststelllungen des Sachverständigen Dr. G jedenfalls bereits zum Zeitpunkt der Behandlung in der Neurologischen Universitätsklinik Homburg vorgelegen hätten.

5

Gegen das Urteil hat die Beklagte am 16.07.2009 Berufung eingelegt. Sie macht weiterhin geltend, neben dem Punkt 8 des Assessment sei vorliegend der Punkt 10 nicht zu dokumentieren, so dass die Klägerin noch nicht zum von § 45 a SGB XI erfassten Personenkreis gehöre.

6

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

7

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 29.06.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

9

die Berufung zurückzuweisen.

10

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

11

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die angefochtenen Bescheide zu Recht aufgehoben, denn die Klägerin hat Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen für Versicherte mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf.

13

Im vorliegenden Fall geht es allein um die Grundentscheidung (zur Unterscheidung zwischen Grund- und Gestaltungsentscheidung siehe BSG 12.08.2010 - B 3 P 3/09 R, juris Rn 9), ob die Klägerin überhaupt zu dem von § 45 a SGB XI erfassten Personenkreis gehört und welcher Leistungsrahmen ihr gegebenenfalls zusteht. Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist § 45 b Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XI in der Fassung des Pflegeversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes (PflegeWEG) vom 28.05.2008 (BGBl. I 874). Danach können Versicherte, die die Voraussetzungen des § 45 a SGB XI erfüllen, je nach dem Umfang des erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs zusätzliche Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen, deren Kosten im Umfang von bis zu 100,00 € monatlich ("Grundbetrag") bzw. bis zu 200,00 € monatlich ("erhöhter Betrag") ersetzt werden. Nach § 45 a Abs. 1 Satz 1 SGB XI betreffen die Leistungen des Fünften Abschnitts im Vierten Kapitel des SGB XI Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, bei denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§§ 14 und 15 SGB XI) ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung besteht. Erfasst wird damit ein nicht speziell verrichtungsbezogener und deshalb bei der Bemessung des Pflegebedarfs nach § 14 SGB XI auch nicht zu berücksichtigender - also allgemeiner - Pflegebedarf. Dies betrifft nach § 45 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI einerseits Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III sowie andererseits Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der jedoch nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, und zwar jeweils beschränkt auf Pflegebedürftige mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK im Rahmen der pflegeversicherungsrechtlichen Begutachtung nach § 18 SGB XI als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt hat, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben. Für die Bewertung, ob die Einschränkung der Alltagskompetenz auf Dauer erheblich ist, sind die in § 45 a Abs. 2 Satz 1 SGB XI im Einzelnen aufgeführten, für diesen Personenkreis typischen 13 Schädigungen und Fähigkeitsstörungen im Alltag - so genannte Assessments - maßgebend. Die Alltagskompetenz ist danach erheblich eingeschränkt, wenn der Gutachter des MDK bei dem Pflegebedürftigen wenigstens in zwei Bereichen, davon mindestens einmal aus einem der Bereiche 1 bis 9, dauerhafte und regelmäßige Schädigungen und Fähigkeitsstörungen feststellt (§ 45 a Abs. 2 Satz 2 SGB XI). Für diese Fälle ist ein Kostenerstattungsbetrag bis zu 100,00 € monatlich ("Grundbetrag") vorgesehen (§ 45 b Abs. 1 Satz 2 SGB XI). Der erhöhte Kostenerstattungsbetrag von bis zu 200,00 € monatlich ("erhöhter Betrag") ist für Fälle vorgesehen, in den über die Mindestvoraussetzungen von zwei Bereichen, davon mindestens einmal aus einem der Bereiche 1 bis 9, hinaus ein dritter Bereich des § 45 a Abs. 2 Satz 1 SGB XI betroffen ist, und zwar nach Nummer 1, 2, 3, 4, 5, 9 oder 11.

14

Bei der Klägerin liegen danach die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von zusätzlichen Leistungen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf nach den Vorschriften des SGB XI bei erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz im Umfang des "Grundbetrags" ab dem 01.08.2008 vor. Dies hat das SG im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt, der Senat nimmt hierauf Bezug. Die personellen und sachlichen Voraussetzungen für die Einbeziehung der Klägerin in den nach § 45 a SGB XI geschützten Personenkreis sind erfüllt. Die Klägerin hat einen allgemeinen Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf, der auf demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen beruht (§ 45 a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XI). Dies haben sowohl die Gutachter des MDK als auch der Sachverständige Dr. G bestätigt. Auch hat die Klägerin der nachvollziehbaren Beurteilung des MDK zufolge einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung, auch wenn dieser nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht. Sie erfüllt die Assessments 8 und 10 der in § 45 a Abs. 2 Satz 1 SGB XI aufgeführten 13 Schädigungen und Fähigkeitsstörungen. Dies ist hinsichtlich der Nummer 8 auf Grund der insoweit übereinstimmenden Beurteilungen des MDK und des Sachverständigen Dr. G auch unstreitig. Entgegen der mit der Berufung weiter verfolgten Rechtsauffassung der Beklagten ist auch der von Nummer 10 erfasste Bereich im Sinne einer dauerhaften und regelmäßigen Fähigkeitsstörung bei der Klägerin zu bejahen. Zwar sind nach der Richtlinie zur Feststellung von Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz und zur Bewertung des Hilfebedarfs (PEA-RL) vom 22.03.2002 in der Fassung der Beschlüsse vom 11.05.2006 und 10.06.2008 (abgedruckt bei Udsching, SGB XI, 3. Auflage 2010, S. 547 ff.) bei Punkt 10 Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren nur Beeinträchtigungen der Aktivitäten zu berücksichtigen, die nicht bereits unter Punkt 7 oder 8 erfasst worden sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass neben den Punkten 7 oder 8 der Punkt 10 in keinem Fall vorliegen kann, sondern nur, dass nicht die Beeinträchtigung derselben Aktivitäten sowohl zur Bejahung der Punkte 7 bzw. 8 und des Punktes 10 der Assessments führen kann, also nicht dieselbe beeinträchtige Aktivität doppelt berücksichtigt werden darf. Bei der Klägerin wird hinsichtlich des Punktes 8 Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben die Unfähigkeit berücksichtigt Absprachen einzuhalten, weil sie schon nach kurzer Zeit nicht mehr in der Lage ist, sich hieran zu erinnern. Darüber hinausgehend wird bei der Nummer 10 berücksichtigt, dass sie auf Grund der bei ihr bestehenden Demenz vom Alzheimer-Typ in weiteren Bereichen unfähig ist, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren. Die bei ihr bestehende Störung der Merkfähigkeit wie die Antriebsstörung auf Grund der Depression führen nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. G dazu, dass sie besonders am Morgen und Vormittag apathisch auf der Couch liegt. Sie bedarf, wie auch der Gutachter des MDK festgestellt hat, auch der Hilfe in Form von Beaufsichtigung und Aufforderung zum Essen und Trinken. Zwar kann sie auf Aufforderung und unter Aufsicht bei einzelnen Verrichtungen durchaus noch mitwirken. Sie ist jedoch nicht aus eigenem Antrieb fähig, zum Beispiel etwas einzukaufen und regelmäßig Mahlzeiten zu kochen. Die Tagesstruktur muss ihr immer wieder vorgegeben werden. Damit handelt es sich, wie der Sachverständige Dr. G in seiner ergänzenden Stellungnahme zutreffend hervorhebt, um mehr und andere Beeinträchtigungen, als sie unter Punkt 8 des Assessments berücksichtigt worden sind. Zu Recht hat deshalb das SG festgestellt, dass in der Person der Klägerin die Voraussetzungen des § 45 a SGB XI für die Inanspruchnahme von zusätzlichen Leistungen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf nach den Vorschriften des SGB XI bei erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ab dem 01.08.2008 gegeben sind.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

16

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht geben.

Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 06. Jan. 2011 - L 5 P 36/10

Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 06. Jan. 2011 - L 5 P 36/10

Referenzen - Gesetze

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgesetzbuch (SGB) - Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014) - SGB 11 | § 15 Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument


(1) Pflegebedürftige erhalten nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments er
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 06. Jan. 2011 - L 5 P 36/10 zitiert 8 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche

Sozialgesetzbuch (SGB) - Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014) - SGB 11 | § 18 Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit


(1) Die Pflegekassen beauftragen den Medizinischen Dienst oder andere unabhängige Gutachter mit der Prüfung, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welcher Pflegegrad vorliegt. Im Rahmen dieser Prüfungen haben der Medizinisch

Sozialgesetzbuch (SGB) - Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014) - SGB 11 | § 33 Leistungsvoraussetzungen


(1) Versicherte erhalten die Leistungen der Pflegeversicherung auf Antrag. Die Leistungen werden ab Antragstellung gewährt, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Wird der Antrag nicht in dem Kalendermo

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Bundessozialgericht Urteil, 12. Aug. 2010 - B 3 P 3/09 R

bei uns veröffentlicht am 12.08.2010

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

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(1) Versicherte erhalten die Leistungen der Pflegeversicherung auf Antrag. Die Leistungen werden ab Antragstellung gewährt, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Wird der Antrag nicht in dem Kalendermonat, in dem die Pflegebedürftigkeit eingetreten ist, sondern später gestellt, werden die Leistungen vom Beginn des Monats der Antragstellung an gewährt. Die Zuordnung zu einem Pflegegrad und die Bewilligung von Leistungen können befristet werden und enden mit Ablauf der Frist. Die Befristung erfolgt, wenn und soweit eine Verringerung der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten nach der Einschätzung des Medizinischen Dienstes zu erwarten ist. Die Befristung kann wiederholt werden und schließt Änderungen bei der Zuordnung zu einem Pflegegrad und bei bewilligten Leistungen im Befristungszeitraum nicht aus, soweit dies durch Rechtsvorschriften des Sozialgesetzbuches angeordnet oder erlaubt ist. Der Befristungszeitraum darf insgesamt die Dauer von drei Jahren nicht überschreiten. Um eine nahtlose Leistungsgewährung sicherzustellen, hat die Pflegekasse vor Ablauf einer Befristung rechtzeitig zu prüfen und dem Pflegebedürftigen sowie der ihn betreuenden Pflegeeinrichtung mitzuteilen, ob Pflegeleistungen weiterhin bewilligt werden und welchem Pflegegrad der Pflegebedürftige zuzuordnen ist.

(2) Anspruch auf Leistungen besteht, wenn der Versicherte in den letzten zehn Jahren vor der Antragstellung mindestens zwei Jahre als Mitglied versichert oder nach § 25 familienversichert war. Zeiten der Weiterversicherung nach § 26 Abs. 2 werden bei der Ermittlung der nach Satz 1 erforderlichen Vorversicherungszeit mitberücksichtigt. Für versicherte Kinder gilt die Vorversicherungszeit nach Satz 1 als erfüllt, wenn ein Elternteil sie erfüllt.

(3) Personen, die wegen des Eintritts von Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung oder von Familienversicherung nach § 25 aus der privaten Pflegeversicherung ausscheiden, ist die dort ununterbrochen zurückgelegte Versicherungszeit auf die Vorversicherungszeit nach Absatz 2 anzurechnen.

(4) (weggefallen)

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die 1957 geborene Klägerin ist schwerpflegebedürftig und erhält von der beklagten Pflegekasse seit August 2001 Leistungen nach der Pflegestufe II. Sie wird zu Hause von ihrem Ehemann sowie Mitarbeitern eines ambulanten Pflegedienstes betreut und gepflegt. Im März 2006 beantragte sie zusätzliche Leistungen wegen eines erheblichen allgemeinen Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarfs nach § 45b SGB XI, weil ihre Alltagskompetenz krankheitsbedingt eingeschränkt sei. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, nachdem ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zu dem Ergebnis gekommen war, es lägen zwar leichte kognitive Defizite vor, jedoch keine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, psychische Erkrankung oder geistige Behinderung. Der Beaufsichtigungsbedarf beruhe allein auf der Gefahr der Unterzuckerung und damit auf der langjährigen Diabeteserkrankung, was leistungsrechtlich unbeachtlich sei (Bescheid vom 4.4.2006, Widerspruchsbescheid vom 20.12.2006).

2

Das SG hat im Klageverfahren ein Gutachten des Nervenarztes Dr. B. vom 4.7.2007 eingeholt und die Klage sodann abgewiesen (Urteil vom 1.4.2008). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 18.12.2008): Zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI sehe das Gesetz nur für Menschen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen vor, bei denen als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens bestehen, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben. Daran fehle es hier. Die vom Sachverständigen festgestellte organische Persönlichkeitsstörung führe in den maßgeblichen Bereichen des § 45a Abs 2 Satz 1 SGB XI zu keinerlei Schädigungen oder Fähigkeitsstörungen und begründe deshalb auch keine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz iS des § 45a SGB XI. Nur im Fall der Unterzuckerung träten die Beeinträchtigungen nach § 45a Abs 2 Satz 1 Nr 4, 5, 6, 8, 10 und 12 SGB XI auf. Rechtlich wesentlich für diese Beeinträchtigungen seien deshalb nur die Unterzuckerungszustände und nicht, wie in den §§ 45a, 45b SGB XI vorausgesetzt, demenzbedingte Fähigkeitsstörungen, geistige Behinderungen oder psychische Erkrankungen. Außerdem fehle es an der in § 45a Abs 2 Satz 2 SGB XI geforderten Dauerhaftigkeit und Regelmäßigkeit der Schädigungen und Fähigkeitsstörungen, weil die Unterzuckerungen nur an einzelnen Tagen aufträten, und zwar einmal in zwei Wochen als schwere Fälle und ansonsten etwa einmal wöchentlich als leichte Fälle, wobei die Klägerin von ihrem Ehemann jeweils mit Glukagon therapiert werden müsse. Leistungsrechtlich werde aber ein kontinuierlicher, ohne Unterbrechungen bestehender Zustand von wenigstens sechs Monaten vorausgesetzt, in dem es einen Betreuungsbedarf gebe, der täglich zu leisten sei, um die Einschränkungen der Alltagskompetenz auszugleichen.

3

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§§ 45a, 45b SGB XI). Der Begriff "dauerhaft" verlange keinen ständig andauernden Zustand eingeschränkter Alltagskompetenz, sondern umschreibe nur einen körperlichen oder geistigen Zustand, der innerhalb von wenigstens sechs Monaten eine Besserung oder Genesung nicht erwarten lasse. Das sei sowohl bei der organischen Persönlichkeitsstörung als auch bei der Diabeteserkrankung der Fall. Der Betreuungsbedarf beruhe auf dem Zusammenspiel beider Krankheiten in der Krisensituation der Unterzuckerung, was für die Einbeziehung in den von § 45a SGB XI erfassten Personenkreis ausreiche. Auch das Tatbestandsmerkmal der "regelmäßigen" Schädigung oder Fähigkeitsstörung (§ 45a Abs 2 Satz 2 SGB XI) sei erfüllt, weil insoweit eine ständige Wiederkehr ausreiche. Im Übrigen bestehe ein Beaufsichtigungsbedarf täglich rund um die Uhr, weil die Gefahr der Unterzuckerung permanent vorhanden sei und sich jederzeit realisieren könne.

4

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 18. Dezember 2008 und des SG Koblenz vom 1. April 2008 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI in Höhe von bis zu 460 Euro je Kalenderjahr für die Zeit von März 2006 bis Juni 2008 sowie in Höhe von bis zu 200 Euro monatlich ab Juli 2008 zu gewähren.

5

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI nicht zusteht. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten ist rechtmäßig.

7

1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.

8

a) Die Klägerin hat zu Recht eine Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) erhoben, weil ihr Begehren auf eine Sozialleistung gerichtet ist, die abgelehnt worden ist und auf die bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen (§§ 45a, 45b SGB XI) ein Rechtsanspruch gegen die Pflegekasse besteht.

9

b) Die Regelung des § 45b SGB XI sieht für die zusätzlichen Betreuungsleistungen ein zweiteilig gestuftes Verfahren der Leistungsgewährung vor. In einem ersten Schritt wird entschieden, ob der Versicherte dem Grunde nach leistungsberechtigt ist und wie hoch der Betrag ausfällt, den er ausschöpfen kann, falls er eines der in § 45b Abs 1 Satz 6 SGB XI genannten Pflege- und Betreuungsangebote wahrnimmt(§ 45b Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB XI). In einem zweiten Schritt wird dann festgelegt, wie hoch die Kostenerstattung für tatsächlich in Anspruch genommene zusätzliche Betreuungsleistungen ausfällt (§ 45b Abs 2 Satz 1 SGB XI). Der Gesetzgeber hat hier keine Sachleistung der Pflegekasse vorgesehen, sondern ein reines Kostenerstattungsverfahren eingeführt (§ 45b Abs 1 Satz 2 und 6 sowie Abs 2 Satz 1 SGB XI). Dabei dürfte es sich im Interesse der Rechtssicherheit für die Versicherten und ihre pflegenden Angehörigen empfehlen, dass die Pflegekasse zunächst nur eine Entscheidung darüber trifft, ob ein Versicherter zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI dem Grunde nach beanspruchen kann und wie der finanzielle Rahmen aussieht, den er dabei ausschöpfen kann (Grundbescheid). Liegt eine solche grundsätzliche Bewilligungsentscheidung vor, kann der Versicherte die finanziellen Auswirkungen der beabsichtigten Inanspruchnahme von Leistungen nach § 45b Abs 1 Satz 6 SGB XI sicher kalkulieren und abschätzen, ob und in welchem Umfang er einen eigenen Beitrag aufzubringen haben wird. Über die Höhe der Kostenerstattung entscheidet dann die Pflegekasse nach Vorlage der entsprechenden Belege gemäß § 45b Abs 2 Satz 1 SGB XI (Erstattungsbescheid). Nicht verbrauchte Mittel können sodann nach Maßgabe des § 45b Abs 2 Satz 2 SGB XI in das folgende Kalenderjahr übertragen werden.

10

Im vorliegenden Fall geht es allein um die Grundentscheidung, ob die Klägerin überhaupt zu dem von § 45a SGB XI erfassten Personenkreis gehört und welcher Leistungsrahmen ihr gegebenenfalls zusteht. Die Frage, ob die Klägerin bisher schon Betreuungsleistungen nach § 45b Abs 1 Satz 6 SGB XI in Anspruch genommen (und selbst finanziert) hat, kann also offen bleiben; denn sie ist für das auf die Grundentscheidung gerichtete Klagebegehren unerheblich und berührt das Rechtsschutzinteresse nicht. Der von der Beklagten erhobene Einwand des fehlenden Nachweises in Anspruch genommener derartiger Betreuungsleistungen ist damit unerheblich. Zu Recht hat das LSG davon abgesehen, hierzu Feststellungen zu treffen.

11

2. Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist für die Zeit bis Juni 2008 § 45b Abs 1 Satz 1 SGB XI in der Fassung des Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes (PflEG) vom 14.12.2001 (BGBl I 3728) sowie für die Zeit ab Juli 2008 § 45b Abs 1 Satz 1 und 2 SGB XI in der Fassung des Pflegeversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes (PflegeWEG) vom 28.5.2008 (BGBl I 874).

12

a) Wesentlich für die zum 1.7.2008 in Kraft getretene Gesetzesänderung ist die Erhöhung der Leistung von bis zu 460 Euro kalenderjährlich auf bis zu 100 Euro monatlich ("Grundbetrag") für Versicherte mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz und auf bis zu 200 Euro monatlich ("erhöhter Betrag") für Versicherte mit in erhöhtem Maße eingeschränkter Alltagskompetenz, was einer Anhebung der Leistung auf bis zu 1200 bzw 2400 Euro jährlich entspricht (vgl zu den Auswirkungen der Umstellung die Richtlinie zur Feststellung von Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz und zur Bewertung des Hilfebedarfs vom 22.3.2002 idF der Beschlüsse vom 11.5.2006 und 10.6.2008, abgedruckt bei Udsching, SGB XI, 3. Aufl 2010, S 547 ff, hier Ziffer 4.1 S 552). Das Klagebegehren scheitert in diesem Fall an Tatbestandsvoraussetzungen, die sich in beiden Fassungen des Gesetzes gleichermaßen finden, sodass hier auf eine nach Zeitabschnitten differenzierende Darstellung verzichtet werden kann. Die Vorschriften sind im Folgenden nach dem ab 1.7.2008 geltenden Rechtszustand zitiert.

13

b) Nach § 45b Abs 1 Satz 1 SGB XI können Versicherte, die die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen, je nach dem Umfang des erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs zusätzliche Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen, deren Kosten bis zu den genannten Höchstbeträgen ersetzt werden(§ 45b Abs 1 Satz 2 SGB XI). Die Regelung verweist somit auf § 45a SGB XI, in dem der "berechtigte Personenkreis" normiert ist.

14

c) Nach § 45a Abs 1 Satz 1 SGB XI betreffen die Leistungen des Fünften Abschnitts im Vierten Kapitel des SGB XI Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, bei denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung(§§ 14 und 15 SGB XI) ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung besteht. Erfasst wird damit ein nicht speziell verrichtungsbezogener und deshalb bei der Bemessung des Pflegebedarfs nach § 14 SGB XI auch nicht zu berücksichtigender - also allgemeiner - Pflegebedarf. Dies betrifft nach § 45a Abs 1 Satz 2 SGB XI einerseits Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III sowie andererseits Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der jedoch nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, und zwar jeweils beschränkt auf Pflegebedürftige mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK im Rahmen der pflegeversicherungsrechtlichen Begutachtung nach § 18 SGB XI als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt hat, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben. Für die Bewertung, ob die Einschränkung der Alltagskompetenz auf Dauer erheblich ist, sind die in § 45a Abs 2 Satz 1 SGB XI im Einzelnen aufgeführten, für diesen Personenkreis typischen 13 Schädigungen und Fähigkeitsstörungen im Alltag - sogenannte Assessments(vgl PEA-RL Ziffer 2.2) - maßgebend. Die Alltagskompetenz ist danach erheblich eingeschränkt, wenn der Gutachter des MDK bei dem Pflegebedürftigen wenigstens in zwei Bereichen, davon mindestens einmal aus einem der Bereiche 1 bis 9, dauerhafte und regelmäßige Schädigungen und Fähigkeitsstörungen feststellt (§ 45a Abs 2 Satz 2 SGB XI). Für diese Fälle ist ein Kostenerstattungsbetrag bis zu 100 Euro monatlich ("Grundbetrag") vorgesehen (§ 45b Abs 1 Satz 2 SGB XI). Der erhöhte Kostenerstattungsbetrag von bis zu 200 Euro monatlich ("erhöhter Betrag") ist für Fälle vorgesehen, in denen über die Mindestvoraussetzungen von 2 Bereichen, davon mindestens einmal aus einem der Bereiche 1 bis 9, hinaus ein dritter Bereich des § 45a Abs 2 Satz 1 SGB XI betroffen ist, und zwar nach Nr 1, 2, 3, 4, 5, 9 oder 11(so Ziffer 4.1 PEA-RL). Auf im Schrifttum geäußerte verfassungsrechtliche Bedenken (zB Udsching, aaO, § 45b RdNr 4)gegen diese Form "administrativer Leistungszuteilung" braucht der erkennende Senat indes nicht einzugehen, weil die Klägerin die Voraussetzungen des § 45a SGB XI ohnehin nicht erfüllt.

15

3. Es fehlt an den personellen und sachlichen Voraussetzungen für die Einbeziehung der Klägerin in den nach § 45a SGB XI geschützten Personenkreis.

16

a) Der Gesetzgeber hat nicht jeden durch eine Krankheit oder Behinderung bedingten allgemeinen Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf erfasst, sondern nur denjenigen, der auf demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen beruht (§ 45a Abs 1 Satz 1 und 2 SGB XI). Nach den Feststellungen des LSG lag eine solche Erkrankung oder Behinderung bei der Klägerin jedenfalls bis zur mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren (18.12.2008) als dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 34) nicht vor. Die bei ihr diagnostizierte organische Persönlichkeitsstörung als Folge eines Schlaganfalls und früherem chronischem Alkoholismus ist keiner der drei genannten Krankheitsgruppen zuzuordnen. Insbesondere lag keine Demenz (chronisch degenerative Veränderung des Gehirns) vor. Der Betreuungsbedarf beruht im vorliegenden Fall auf der Diabeteserkrankung und den darauf basierenden Unterzuckerungszuständen. Ohne diese körperliche Erkrankung gäbe es bei der Klägerin keinen allgemeinen Betreuungsbedarf. Diese Feststellung ist für den erkennenden Senat bindend, weil sie nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen worden ist (§ 163 SGG).

17

b) Es kann offen bleiben, ob nach der Berufungsverhandlung die vom Gutachter festgestellte organische Persönlichkeitsstörung in eine beginnende Demenz übergegangen und deshalb mittlerweile eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung eingetreten ist. Hinweise darauf finden sich in dem von der Beklagten eingereichten, erst nach der Berufungsverhandlung erstellten neuen MDK-Gutachten vom 26.1.2009, in dem erstmals die Frage nach einer demenzbedingten Fähigkeitsstörung bejaht worden ist. Diese erst nach der Entscheidung des LSG eingetretene gesundheitliche Entwicklung bietet indes keinen Anlass zu Ermittlungen, weil ein entsprechender Sachvortrag im vorliegenden Revisionsverfahren nicht mehr zu berücksichtigen ist. Deshalb kann auch offen bleiben, ob die Feststellung des MDK, es liege nunmehr eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung vor, lediglich auf einer Einschätzung der als Gutachter eingesetzten Pflegefachkraft oder auf einer ärztlichen Diagnose beruht und ob es dabei um eine bewusste oder nur versehentliche Abkehr von früheren Begutachtungen geht. Grundsätzlich ist eine solche rein medizinische Feststellung Ärzten vorbehalten. Im Übrigen bleibt aber anzumerken, dass auch in diesem neuen Gutachten der Betreuungsbedarf allein auf die Unterzuckerungszustände zurückgeführt wird.

18

c) Der allgemeine Betreuungsbedarf muss auf demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen beruhen (§ 45a Abs 1 Satz 2 SGB XI). Ein aus anderen Ursachen resultierender allgemeiner Betreuungsbedarf ist nicht zu berücksichtigen. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zum PflEG (BT-Drucks 14/6949 S 15, 16 zu §§ 45a und 45b des Entwurfs) ergibt, hat der Gesetzgeber den Kreis der Berechtigten auf demenzkranke, geistig behinderte und psychisch erkrankte Versicherte beschränkt, deren Beaufsichtigungs- und Pflegebedarf von den Kriterien der auf die Gebrechlichkeitspflege zugeschnittenen Vorschriften des Gesetzes (§§ 14, 15 SGB XI) vielfach nur unzureichend erfasst wird. Vor allem Demenzkranke und deren Angehörige sollten - wenn auch nur in bescheidenem Umfang - durch die zusätzlichen Betreuungsleistungen besser gestellt werden. Die Regelung des § 45a Abs 1 Satz 2 SGB XI über den geschützten Personenkreis ist daher als abschließend zu verstehen. Den Pflegebedarf der sonstigen Versicherten sieht der Gesetzgeber bei pauschalierender Betrachtung durch die Regelungen der §§ 14, 15 SGB XI als hinreichend berücksichtigt an.

19

d) Außerdem ist hier der geltend gemachte Leistungsanspruch nach § 45b SGB XI auch deshalb unbegründet, weil die Schädigung oder Fähigkeitsstörung nicht nur "dauerhaft", sondern auch "regelmäßig" vorliegen muss(§ 45a Abs 2 Satz 2 SGB XI).

20

aa) Erfüllt ist allerdings das Tatbestandsmerkmal der "Dauerhaftigkeit" der Einschränkung der Alltagskompetenz (§ 45a Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 SGB XI)bzw der "Dauerhaftigkeit" der Schädigungen (§ 45a Abs 2 Satz 2 SGB XI). Der Begriff "dauerhaft" ist in diesem Zusammenhang nicht gleichzusetzen mit Begriffen wie permanent, ununterbrochen oder täglich. Vielmehr ist damit nur ein Zustand gemeint, der "auf Dauer", dh voraussichtlich für wenigstens sechs Monate, bestehen wird, was bei der festgestellten organischen Persönlichkeitsstörung und der langjährigen Diabeteserkrankung der Fall ist. Es geht dabei um nicht besserungsfähige Dauerzustände. Die Zeitdauer von wenigstens sechs Monaten folgt dabei aus einer Analogie zu § 14 Abs 1 SGB XI, auf den ersichtlich auch die Regelung in Ziffer 2.2 PEA-RL (Udsching, aaO, Ziffer 2.1, S 548) Bezug nimmt.

21

bb) Es fehlt hier jedoch am Tatbestandsmerkmal der "Regelmäßigkeit" der Schädigung (§ 45a Abs 2 Satz 2 SGB XI). Dabei ist es zumindest zweifelhaft, ob "regelmäßig" in diesem Sinne bedeutet, dass grundsätzlich ein täglicher Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf wegen einer "dauerhaft" bestehenden Schädigung vorhanden ist, dessen Ausprägung sich allerdings unterschiedlich darstellen kann (so aber Ziffer 2.2 PEA-RL, Udsching, aaO, S 548). Bedenken bestehen insoweit, als der Gesetzgeber, wenn er eine "täglich" auftretende Schädigung oder Fähigkeitsstörung hätte fordern wollen, dies auch so im Gesetz hätte normieren können. Im vorliegenden Fall kann die Frage, ob "regelmäßig" als "täglich" auszulegen ist, jedoch offen bleiben. Auf jeden Fall reicht es nicht aus, wenn eine Schädigung oder Fähigkeitsstörung - wie hier - nur einmal oder zweimal wöchentlich auftritt. Die entgegenstehende Ansicht der Klägerin wäre auch unvereinbar mit dem Begriff der "Alltagskompetenz", der Fähigkeiten und Fertigkeiten umfasst, die praktisch täglich - also im "Alltag" - vom Menschen gefordert werden und bei gesunden, nicht behinderten Menschen praktisch stets verfügbar sind. Die Schädigungen bzw Fähigkeitsstörungen der Klägerin sind in diesem Sinne nicht "regelmäßig" vorhanden, sondern nur während der Unterzuckerungszustände, die sporadisch auftreten. Dies reicht für die Einbeziehung in den von den §§ 45a, 45b SGB XI geschützten Personenkreis nicht aus.

22

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.

(2) Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:

1.
Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
2.
kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
3.
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
4.
Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
5.
Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:
a)
in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
b)
in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
c)
in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
d)
in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
6.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.

(3) Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, werden bei den Kriterien der in Absatz 2 genannten Bereiche berücksichtigt.

(1) Pflegebedürftige erhalten nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt.

(2) Das Begutachtungsinstrument ist in sechs Module gegliedert, die den sechs Bereichen in § 14 Absatz 2 entsprechen. In jedem Modul sind für die in den Bereichen genannten Kriterien die in Anlage 1 dargestellten Kategorien vorgesehen. Die Kategorien stellen die in ihnen zum Ausdruck kommenden verschiedenen Schweregrade der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten dar. Den Kategorien werden in Bezug auf die einzelnen Kriterien pflegefachlich fundierte Einzelpunkte zugeordnet, die aus Anlage 1 ersichtlich sind. In jedem Modul werden die jeweils erreichbaren Summen aus Einzelpunkten nach den in Anlage 2 festgelegten Punktbereichen gegliedert. Die Summen der Punkte werden nach den in ihnen zum Ausdruck kommenden Schweregraden der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten wie folgt bezeichnet:

1.
Punktbereich 0: keine Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
2.
Punktbereich 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
3.
Punktbereich 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
4.
Punktbereich 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten und
5.
Punktbereich 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten.
Jedem Punktbereich in einem Modul werden unter Berücksichtigung der in ihm zum Ausdruck kommenden Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sowie der folgenden Gewichtung der Module die in Anlage 2 festgelegten, gewichteten Punkte zugeordnet. Die Module des Begutachtungsinstruments werden wie folgt gewichtet:
1.
Mobilität mit 10 Prozent,
2.
kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen zusammen mit 15 Prozent,
3.
Selbstversorgung mit 40 Prozent,
4.
Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen mit 20 Prozent,
5.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte mit 15 Prozent.

(3) Zur Ermittlung des Pflegegrades sind die bei der Begutachtung festgestellten Einzelpunkte in jedem Modul zu addieren und dem in Anlage 2 festgelegten Punktbereich sowie den sich daraus ergebenden gewichteten Punkten zuzuordnen. Den Modulen 2 und 3 ist ein gemeinsamer gewichteter Punkt zuzuordnen, der aus den höchsten gewichteten Punkten entweder des Moduls 2 oder des Moduls 3 besteht. Aus den gewichteten Punkten aller Module sind durch Addition die Gesamtpunkte zu bilden. Auf der Basis der erreichten Gesamtpunkte sind pflegebedürftige Personen in einen der nachfolgenden Pflegegrade einzuordnen:

1.
ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
2.
ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
3.
ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
4.
ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
5.
ab 90 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.

(4) Pflegebedürftige mit besonderen Bedarfskonstellationen, die einen spezifischen, außergewöhnlich hohen Hilfebedarf mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung aufweisen, können aus pflegefachlichen Gründen dem Pflegegrad 5 zugeordnet werden, auch wenn ihre Gesamtpunkte unter 90 liegen. Der Medizinische Dienst Bund konkretisiert in den Richtlinien nach § 17 Absatz 1 die pflegefachlich begründeten Voraussetzungen für solche besonderen Bedarfskonstellationen.

(5) Bei der Begutachtung sind auch solche Kriterien zu berücksichtigen, die zu einem Hilfebedarf führen, für den Leistungen des Fünften Buches vorgesehen sind. Dies gilt auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen. Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf aus medizinisch-pflegerischen Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer pflegerischen Maßnahme in den in § 14 Absatz 2 genannten sechs Bereichen ist oder mit einer solchen notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht.

(6) Bei pflegebedürftigen Kindern wird der Pflegegrad durch einen Vergleich der Beeinträchtigungen ihrer Selbständigkeit und ihrer Fähigkeiten mit altersentsprechend entwickelten Kindern ermittelt. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 5 entsprechend.

(7) Pflegebedürftige Kinder im Alter bis zu 18 Monaten werden abweichend von den Absätzen 3, 4 und 6 Satz 2 wie folgt eingestuft:

1.
ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2,
2.
ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3,
3.
ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4,
4.
ab 70 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5.

(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.

(2) Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:

1.
Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
2.
kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
3.
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
4.
Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
5.
Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:
a)
in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
b)
in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
c)
in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
d)
in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
6.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.

(3) Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, werden bei den Kriterien der in Absatz 2 genannten Bereiche berücksichtigt.

(1) Die Pflegekassen beauftragen den Medizinischen Dienst oder andere unabhängige Gutachter mit der Prüfung, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welcher Pflegegrad vorliegt. Im Rahmen dieser Prüfungen haben der Medizinische Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter durch eine Untersuchung des Antragstellers die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten bei den in § 14 Absatz 2 genannten Kriterien nach Maßgabe des § 15 sowie die voraussichtliche Dauer der Pflegebedürftigkeit zu ermitteln. Darüber hinaus sind auch Feststellungen darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang Maßnahmen zur Beseitigung, Minderung oder Verhütung einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit einschließlich der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation geeignet, notwendig und zumutbar sind; insoweit haben Versicherte einen Anspruch gegen den zuständigen Träger auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Jede Feststellung hat zudem eine Aussage darüber zu treffen, ob Beratungsbedarf insbesondere in der häuslichen Umgebung oder in der Einrichtung, in der der Anspruchsberechtigte lebt, hinsichtlich Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention nach § 20 Absatz 5 des Fünften Buches besteht.

(1a) Die Pflegekassen können den Medizinischen Dienst oder andere unabhängige Gutachter mit der Prüfung beauftragen, für welchen Zeitanteil die Pflegeversicherung bei ambulant versorgten Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben und die Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 und der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Absatz 2 des Fünften Buches beziehen, die hälftigen Kosten zu tragen hat. Von den Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 sind nur Maßnahmen der körperbezogenen Pflege zu berücksichtigen. Bei der Prüfung des Zeitanteils sind die Richtlinien nach § 17 Absatz 1b zu beachten.

(2) Der Medizinische Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter haben den Versicherten in seinem Wohnbereich zu untersuchen. Erteilt der Versicherte dazu nicht sein Einverständnis, kann die Pflegekasse die beantragten Leistungen verweigern. Die §§ 65, 66 des Ersten Buches bleiben unberührt. Die Untersuchung im Wohnbereich des Pflegebedürftigen kann ausnahmsweise unterbleiben, wenn auf Grund einer eindeutigen Aktenlage das Ergebnis der medizinischen Untersuchung bereits feststeht. Die Untersuchung ist in angemessenen Zeitabständen zu wiederholen.

(2a) Bei pflegebedürftigen Versicherten werden vom 1. Juli 2016 bis zum 31. Dezember 2016 keine Wiederholungsbegutachtungen nach Absatz 2 Satz 5 durchgeführt, auch dann nicht, wenn die Wiederholungsbegutachtung vor diesem Zeitpunkt vom Medizinischen Dienst oder anderen unabhängigen Gutachtern empfohlen wurde. Abweichend von Satz 1 können Wiederholungsbegutachtungen durchgeführt werden, wenn eine Verringerung des Hilfebedarfs, insbesondere aufgrund von durchgeführten Operationen oder Rehabilitationsmaßnahmen, zu erwarten ist.

(2b) Abweichend von Absatz 3a Satz 1 Nummer 2 ist die Pflegekasse vom 1. November 2016 bis zum 31. Dezember 2016 nur bei Vorliegen eines besonders dringlichen Entscheidungsbedarfs gemäß Absatz 2b dazu verpflichtet, dem Antragsteller mindestens drei unabhängige Gutachter zur Auswahl zu benennen, wenn innerhalb von 20 Arbeitstagen nach Antragstellung keine Begutachtung erfolgt ist.

(3) Die Pflegekasse leitet die Anträge zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit unverzüglich an den Medizinischen Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter weiter. Dem Antragsteller ist spätestens 25 Arbeitstage nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse die Entscheidung der Pflegekasse schriftlich mitzuteilen. Befindet sich der Antragsteller im Krankenhaus oder in einer stationären Rehabilitationseinrichtung und

1.
liegen Hinweise vor, dass zur Sicherstellung der ambulanten oder stationären Weiterversorgung und Betreuung eine Begutachtung in der Einrichtung erforderlich ist, oder
2.
wurde die Inanspruchnahme von Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz gegenüber dem Arbeitgeber der pflegenden Person angekündigt oder
3.
wurde mit dem Arbeitgeber der pflegenden Person eine Familienpflegezeit nach § 2 Absatz 1 des Familienpflegezeitgesetzes vereinbart,
ist die Begutachtung dort unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse durchzuführen; die Frist kann durch regionale Vereinbarungen verkürzt werden. Die verkürzte Begutachtungsfrist gilt auch dann, wenn der Antragsteller sich in einem Hospiz befindet oder ambulant palliativ versorgt wird. Befindet sich der Antragsteller in häuslicher Umgebung, ohne palliativ versorgt zu werden, und wurde die Inanspruchnahme von Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz gegenüber dem Arbeitgeber der pflegenden Person angekündigt oder mit dem Arbeitgeber der pflegenden Person eine Familienpflegezeit nach § 2 Absatz 1 des Familienpflegezeitgesetzes vereinbart, ist eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse durchzuführen und der Antragsteller seitens des Medizinischen Dienstes oder der von der Pflegekasse beauftragten Gutachter unverzüglich schriftlich darüber zu informieren, welche Empfehlung der Medizinische Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter an die Pflegekasse weiterleiten. In den Fällen der Sätze 3 bis 5 muss die Empfehlung nur die Feststellung beinhalten, ob Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14 und 15 vorliegt. Die Entscheidung der Pflegekasse ist dem Antragsteller unverzüglich nach Eingang der Empfehlung des Medizinischen Dienstes oder der beauftragten Gutachter bei der Pflegekasse schriftlich mitzuteilen. Der Antragsteller ist bei der Begutachtung auf die maßgebliche Bedeutung des Gutachtens insbesondere für eine umfassende Beratung, das Erstellen eines individuellen Versorgungsplans nach § 7a, das Versorgungsmanagement nach § 11 Absatz 4 des Fünften Buches und für die Pflegeplanung hinzuweisen. Das Gutachten wird dem Antragsteller durch die Pflegekasse übersandt, sofern er der Übersendung nicht widerspricht. Das Ergebnis des Gutachtens ist transparent darzustellen und dem Antragsteller verständlich zu erläutern. Der Medizinische Dienst Bund konkretisiert im Benehmen mit dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen in den Richtlinien nach § 17 Absatz 1 die Anforderungen an eine transparente Darstellungsweise und verständliche Erläuterung des Gutachtens. Der Antragsteller kann die Übermittlung des Gutachtens auch zu einem späteren Zeitpunkt verlangen. Die Pflegekasse hat den Antragsteller auf die Möglichkeit hinzuweisen, sich bei Beschwerden über die Tätigkeit des Medizinischen Dienstes vertraulich an die Ombudsperson nach § 278 Absatz 3 des Fünften Buches zu wenden.

(3a) Die Pflegekasse ist verpflichtet, dem Antragsteller mindestens drei unabhängige Gutachter zur Auswahl zu benennen,

1.
soweit nach Absatz 1 unabhängige Gutachter mit der Prüfung beauftragt werden sollen oder
2.
wenn innerhalb von 20 Arbeitstagen ab Antragstellung keine Begutachtung erfolgt ist.
Auf die Qualifikation und Unabhängigkeit des Gutachters ist der Versicherte hinzuweisen. Hat sich der Antragsteller für einen benannten Gutachter entschieden, wird dem Wunsch Rechnung getragen. Der Antragsteller hat der Pflegekasse seine Entscheidung innerhalb einer Woche ab Kenntnis der Namen der Gutachter mitzuteilen, ansonsten kann die Pflegekasse einen Gutachter aus der übersandten Liste beauftragen. Die Gutachter sind bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nur ihrem Gewissen unterworfen. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht, wenn die Pflegekasse die Verzögerung nicht zu vertreten hat.

(3b) Erteilt die Pflegekasse den schriftlichen Bescheid über den Antrag nicht innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Eingang des Antrags oder wird eine der in Absatz 3 genannten verkürzten Begutachtungsfristen nicht eingehalten, hat die Pflegekasse nach Fristablauf für jede begonnene Woche der Fristüberschreitung unverzüglich 70 Euro an den Antragsteller zu zahlen. Dies gilt nicht, wenn die Pflegekasse die Verzögerung nicht zu vertreten hat oder wenn sich der Antragsteller in vollstationärer Pflege befindet und bereits bei ihm mindestens erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten (mindestens Pflegegrad 2) festgestellt ist. Entsprechendes gilt für die privaten Versicherungsunternehmen, die die private Pflege-Pflichtversicherung durchführen. Die Träger der Pflegeversicherung und die privaten Versicherungsunternehmen veröffentlichen jährlich jeweils bis zum 31. März des dem Berichtsjahr folgenden Jahres eine Statistik über die Einhaltung der Fristen nach Absatz 3. Die Sätze 1 bis 3 finden vom 1. November 2016 bis 31. Dezember 2017 keine Anwendung.

(4) Der Medizinische Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter sollen, soweit der Versicherte einwilligt, die behandelnden Ärzte des Versicherten, insbesondere die Hausärzte, in die Begutachtung einbeziehen und ärztliche Auskünfte und Unterlagen über die für die Begutachtung der Pflegebedürftigkeit wichtigen Vorerkrankungen sowie Art, Umfang und Dauer der Hilfebedürftigkeit einholen. Mit Einverständnis des Versicherten sollen auch pflegende Angehörige oder sonstige Personen oder Dienste, die an der Pflege des Versicherten beteiligt sind, befragt werden.

(5) Die Pflege- und Krankenkassen sowie die Leistungserbringer sind verpflichtet, dem Medizinischen Dienst oder den von der Pflegekasse beauftragten Gutachtern die für die Begutachtung erforderlichen Unterlagen vorzulegen und Auskünfte zu erteilen. § 276 Abs. 1 Satz 2 und 3 des Fünften Buches gilt entsprechend.

(5a) Bei der Begutachtung sind darüber hinaus die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten in den Bereichen außerhäusliche Aktivitäten und Haushaltsführung festzustellen. Mit diesen Informationen sollen eine umfassende Beratung und das Erstellen eines individuellen Versorgungsplans nach § 7a, das Versorgungsmanagement nach § 11 Absatz 4 des Fünften Buches und eine individuelle Pflegeplanung sowie eine sachgerechte Erbringung von Hilfen bei der Haushaltsführung ermöglicht werden. Hierbei ist im Einzelnen auf die nachfolgenden Kriterien abzustellen:

1.
außerhäusliche Aktivitäten: Verlassen des Bereichs der Wohnung oder der Einrichtung, Fortbewegen außerhalb der Wohnung oder der Einrichtung, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Nahverkehr, Mitfahren in einem Kraftfahrzeug, Teilnahme an kulturellen, religiösen oder sportlichen Veranstaltungen, Besuch von Schule, Kindergarten, Arbeitsplatz, einer Werkstatt für behinderte Menschen oder Besuch einer Einrichtung der Tages- oder Nachtpflege oder eines Tagesbetreuungsangebotes, Teilnahme an sonstigen Aktivitäten mit anderen Menschen;
2.
Haushaltsführung: Einkaufen für den täglichen Bedarf, Zubereitung einfacher Mahlzeiten, einfache Aufräum- und Reinigungsarbeiten, aufwändige Aufräum- und Reinigungsarbeiten einschließlich Wäschepflege, Nutzung von Dienstleistungen, Umgang mit finanziellen Angelegenheiten, Umgang mit Behördenangelegenheiten.
Der Medizinische Dienst Bund wird ermächtigt, in den Richtlinien nach § 17 Absatz 1 die in Satz 3 genannten Kriterien im Benehmen mit dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen pflegefachlich unter Berücksichtigung der Ziele nach Satz 2 zu konkretisieren.

(6) Der Medizinische Dienst oder ein von der Pflegekasse beauftragter Gutachter hat der Pflegekasse das Ergebnis seiner Prüfung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch Übersendung des vollständigen Gutachtens unverzüglich mitzuteilen. In seiner oder ihrer Stellungnahme haben der Medizinische Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter auch das Ergebnis der Prüfung, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen der Prävention und der medizinischen Rehabilitation geeignet, notwendig und zumutbar sind, mitzuteilen und Art und Umfang von Pflegeleistungen sowie einen individuellen Pflegeplan zu empfehlen. Die Feststellungen zur Prävention und zur medizinischen Rehabilitation sind durch den Medizinischen Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter auf der Grundlage eines bundeseinheitlichen, strukturierten Verfahrens zu treffen und in einer gesonderten Präventions- und Rehabilitationsempfehlung zu dokumentieren. Beantragt der Pflegebedürftige Pflegegeld, hat sich die Stellungnahme auch darauf zu erstrecken, ob die häusliche Pflege in geeigneter Weise sichergestellt ist.

(6a) Der Medizinische Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter haben gegenüber der Pflegekasse in ihrem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit konkrete Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung abzugeben. Die Empfehlungen gelten hinsichtlich Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln, die den Zielen von § 40 dienen, jeweils als Antrag auf Leistungsgewährung, sofern der Versicherte zustimmt. Die Zustimmung erfolgt gegenüber dem Gutachter im Rahmen der Begutachtung und wird im Begutachtungsformular schriftlich oder elektronisch dokumentiert. Bezüglich der empfohlenen Pflegehilfsmittel wird die Notwendigkeit der Versorgung nach § 40 Absatz 1 Satz 2 vermutet. Bezüglich der empfohlenen Hilfsmittel, die den Zielen nach § 40 dienen, wird die Erforderlichkeit nach § 33 Absatz 1 des Fünften Buches vermutet; insofern bedarf es keiner ärztlichen Verordnung gemäß § 33 Absatz 5a des Fünften Buches. Welche Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel im Sinne von Satz 2 den Zielen von § 40 dienen, wird in den Begutachtungs-Richtlinien nach § 17 konkretisiert. Dabei ist auch die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Absatz 1 des Fünften Buches über die Verordnung von Hilfsmitteln zu berücksichtigen. Die Pflegekasse übermittelt dem Antragsteller unverzüglich die Entscheidung über die empfohlenen Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel.

(7) Die Aufgaben des Medizinischen Dienstes werden durch Pflegefachkräfte oder Ärztinnen und Ärzte in enger Zusammenarbeit mit anderen geeigneten Fachkräften wahrgenommen. Die Prüfung der Pflegebedürftigkeit von Kindern ist in der Regel durch besonders geschulte Gutachter mit einer Qualifikation als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin oder Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder als Kinderärztin oder Kinderarzt vorzunehmen. Der Medizinische Dienst ist befugt, den Pflegefachkräften oder sonstigen geeigneten Fachkräften, die nicht dem Medizinischen Dienst angehören, die für deren jeweilige Beteiligung erforderlichen personenbezogenen Daten zu übermitteln. Für andere unabhängige Gutachter gelten die Sätze 1 bis 3 entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.