Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 27. Feb. 2014 - L 9 SO 51/13 ER
Gericht
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Rostock vom 29. Oktober 2013 aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab dem 1. März 2014 längstens bis zum 14. Juli 2014 (Beginn der Sommerferien) vorläufig dem Antragsteller für die Beauftragung entstehende Kosten für die Bereitstellung eines Integrationshelfers zur Begleitung des Antragstellers während des Schulunterrichts bis zu einem Betrag von 700 € monatlich zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt P., A-Stadt, beigeordnet.
Gründe
I.
- 1
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Form eines Integrationshelfers für den Schulbesuch des Antragstellers.
- 2
Der Antragsteller wurde am 20. November 1999 geboren. Ausweislich des ärztlichen Attests der Universitätsmedizin A-Stadt (vom 26. November 2013) bestehen bei dem Antragsteller eine mittelgradige Intelligenzminderung, deutliche Verhaltensstörungen und Artikulationsstörungen. Insbesondere sind das Sozialverhalten des Antragstellers und seine Emotionen gestört, bei stark eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit, geringer Ausdauer und Aggressionen.
- 3
Der Antragsteller besucht die von der Beigeladenen betriebene St. Michael-Schule, Staatlich anerkannte Förderschule zur individuellen Lebensbewältigung.
- 4
Seit Juli 2008 erhielt die Erziehungsberechtigte des Antragstellers Hilfe zur Erziehung nach dem SGB VIII vom Antragsgegner – Amt für Jugend und Soziales.
- 5
Der Antragsteller beantragte am 2. Februar 2010 die Finanzierung eines Integrationshelfers.
- 6
In ihrer Stellungnahme vom 30. August 2010 riet die St. Michael–Schule einem anonymisierten Antragsteller, einen Antrag auf Finanzierung eines Integrationshelfers zu stellen.
- 7
In einer Einschätzung vom 21. Januar 2011 kam das DRK zu dem Ergebnis, die schulische Integration des Antragstellers sei nicht erfolgt.
- 8
Den Antrag auf Finanzierung eines Integrationshelfers lehnte der Antragsgegner durch Bescheid vom 25. Mai 2012 ab. Der Antragsteller erhob Widerspruch.
- 9
In ihrer Stellungnahme vom 20. Juni 2012 führte die St. Michael–Schule unter anderem aus, der Antragsteller benötige eine konkrete Bezugsperson.
- 10
Der kommunale Sozialverband Mecklenburg-Vorpommern wies mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2013 den Widerspruch des Antragstellers zurück.
- 11
Der Antragsteller hat am 17. Mai 2013 Klage erhoben (S 8 SO 53/13), die beim Sozialgericht noch anhängig ist.
- 12
Am 4. September 2013 hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er hat im Wege der Eingliederungshilfe die Gewährung eines schulbegleitenden Integrationshelfers begehrt.
- 13
Das Sozialgericht hat am 22. Oktober 2013 die Sach- und Rechtslage erörtert und die Klassenlehrerin des Antragstellers und die Schulleiterin vernommen.
- 14
Durch Beschluss vom 29. Oktober 2013 hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nach § 86b Abs. 2 SGG nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen der §§ 19, 53, 54 SGB XII lägen nicht vor. Das Gericht gehe davon aus, dass der Antragsteller aufgrund seiner bestehenden Behinderung dem Grunde nach zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 53 SGB XII gehöre. Die hier begehrte Leistung liege jedoch außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialhilfeträgers, sondern im Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule. Soweit das BSG ausführe, dass sich dieser Kernbereich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimme, vermöge die Kammer dem nicht zu folgen. Aus diesem Grund kommt das Sozialgericht zu dem Ergebnis, dass der Hilfebedarf des Antragstellers vollständig innerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Förderschule liege und damit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialhilfeträgers: Es sei grundsätzlich Aufgabe der Schulverwaltung und der Schulträger sicherzustellen, dass die Schulen über die erforderliche personelle und finanzielle Ausstattung verfügten, um den Anspruch eines jeden Schülers auf schulische Bildung und Erziehung und den Anspruch auf sonderpädagogische Förderung von Kindern und Jugendlichen, die zur Entwicklung ihrer geistigen, körperlichen, seelischen, sozialen oder kommunikativen Fähigkeiten sonderpädagogischer Hilfe bedürften, zu erfüllen. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Schulverwaltung und die Schulträger dieser Aufgabe gegenwärtig nicht in vollem Umfange gerecht würden, könne dies nicht dazu führen, dass die Erfüllung der Kernaufgaben der pädagogischen Arbeit der Schulen in die Zuständigkeit der Sozialhilfe falle.
- 15
Mit seiner am 4. Dezember 2013 erhobenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.
- 16
Er beantragt,
- 17
dem Antragsteller die beantragte Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für einen Integrationshelfer in der St. Michael-Schule, A-Stadt, zu gewähren.
- 18
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.
II.
- 19
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und im Wesentlichen begründet. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben. Der Antragsgegner ist im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG dem Grunde zu verpflichten, dem Antragsteller im Grundsatz die begehrten Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 2 SGB IX i. V. m. §§ 53, 54 SGB XII in Verbindung mit §§ 2, 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung zu gewähren.
- 20
Der Senat sieht das Vorliegen eines Anordnungsanspruches als überwiegend wahrscheinlich an. Der Kläger ist, wie die Beweisaufnahme vor dem Sozialgericht ergeben hat, nur noch in Einzelsituationen förderbar (Klassenlehrerin S.). Weiter hat die Beweisaufnahme durch die genannte Zeugin ergeben, dass mit zunehmendem Alter eine positive Beeinflussung des Antragstellers schwieriger wird. Daher sieht der Senat auch einen Anordnungsgrund als glaubhaft gemacht an. Im Rahmen des dem Senat zustehenden Ermessens wird die einstweilige Anordnung für die Zukunft ausgesprochen, weil ein Integrationshelfer in der Vergangenheit ersichtlich nicht tätig geworden ist. Zudem wird die einstweilige Anordnung bis zum Ende des laufenden Schuljahres zeitlich begrenzt.
- 21
Die Tatsache, dass der Antragsteller zum Kreis der berechtigten Personen der Eingliederungshilfe gehört, ist bereits vom Sozialgericht im angefochtenen Beschluss herausgearbeitet worden und bedarf keiner weiteren Vertiefung. Insbesondere hat die vom Sozialgericht vorgenommene Beweisaufnahme plastisch dargelegt, dass der Antragsteller zu den geistig behinderten Kindern gehört, bei denen Maßnahmen der Eingliederungshilfe erforderlich und geeignet sind. Gegenwärtig ist der Antragsteller nämlich nicht in der Lage, seiner allgemeinen Schulpflicht - auch im Rahmen der von ihm besuchten Förderschule - gerecht zu werden. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Stellungnahme der St. Michael-Schule vom 20. Juni 2012 und aus der Aufforderung der St. Michael-Schule, die Förderung eines Integrationshelfers (durch den Antragsteller?) zu beantragen (Blatt 81 der Verwaltungsakte). Selbst der dem Antragssteller von der St. Michael-Schule dort gebotene Unterricht in einer kleinen Gruppe wird vom Antragsteller nicht toleriert. Auch die Tatsache, dass dieser von mehr als einer Lehrkraft gegeben wird, reicht nicht aus. Damit kommt nach Auffassung des Senates - bei der hier im Rahmen des Eilverfahrens nur möglichen vorläufigen Einschätzung des Sachverhaltes - letztlich nur eine zusätzliche Einzelbetreuung des Antragstellers durch einen Integrationshelfer während des Unterrichts und in den Pausen in Betracht, zu der der Senat den Antragsgegner hiermit auch verpflichtet.
- 22
Der Senat folgt der Auffassung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R -, Juris), wonach Eingliederungshilfeleistungen der Sozialhilfeträger nur im Rahmen des sozialhilferechtlich zu bestimmenden Kernbereichs der pädagogischen Aufgaben der Schule nicht zu erbringen sind (Leitsatz). Wie bereits § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verdeutlicht, liegt § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung ein individualisiertes Verständnis zugrunde. Eine Unterscheidung der Maßnahme nach ihrer Art, etwa nach pädagogischen oder nichtpädagogischen bzw. begleitenden, ist rechtlich nicht geboten. Deshalb können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulischen Belange (so aber der angefochtene Beschluss des SG), sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt (BSG, a. a. O., Rn. 21). Die schulischen Verpflichtungen stehen mithin grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen. (Nur) der Kernbereich der schulischen Arbeit liegt damit nach dem Sinn und Zweck der §§ 53, 54 SGB XII grundsätzlich außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialhilfeträgers (BSG, a. a. O., Rn. 21).
- 23
Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um den eigentlichen Kernbereich der schulischen Arbeit. Die beantragte Assistenz durch einen Integrationshelfer weist den Charakter einer Unterstützung auf und liegt außerhalb der pädagogischen Arbeit der Lehrer der vom Antragsteller besuchten Schule (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O., Rn. 28). Auch das DRK führt in seiner Stellungnahme vom 27. Januar 2011 aus, eine schulische Integration des Antragstellers sei gerade nicht erfolgt. Auch die St. Michael-Schule hält eine konkrete Bezugsperson des Antragstellers für geboten. Nach Auffassung des Senates ist damit das Zurseitestellen eines Integrationshelfers eine Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine schulische Integration und damit pädagogische Arbeit im eigentlichen Sinne ermöglicht werden kann.
- 24
Im Rahmen der Interessenabwägung, die bei dem im vorliegenden Fall nicht hinreichend aufgeklärten Sachverhalts allein nur möglich ist, schätzt der Senat die im Wege der einstweiligen Anordnung zuzusprechenden Kosten auf monatlich maximal 700 € (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Dezember 2013 – L 9 SO 429/13 B -, Juris, Rn. 45).
- 25
Der Senat kann es im vorliegenden Fall offen lassen, ob ein Anspruch nach Sozialhilferecht eventuell nachrangig (§ 2 SGB XII) ist gegenüber einem Anspruch nach § 35a SGB VIII (vgl. § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Für die Nachrangigkeit gegenüber der Jugendhilfe genügt nicht, dass eine anderweitige Verpflichtung besteht. Vielmehr muss diese anderweitige Verpflichtung auch rechtzeitig realisierbar und nach den Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckenden Hilfe zu erhalten sein (LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O., Rn. 44, mit weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; ebenso BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R -, Juris, Rn. 25, mit weiteren Nachweisen). Aus dem Schreiben der St. Michael–Schule vom 30. August 2010 folgt, dass diese sich jedenfalls bei Schülern mit Behinderungen, wie sie der Antragsteller aufweist, außer Stande sieht, ihren Bildungsauftrag adäquat zu erfüllen.
- 26
Da die Sache keinen weiteren Aufschub duldet, ist die einstweilige Anordnung zu erlassen. Im Übrigen ist der Antragsgegner selbst örtlicher Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII. Daher braucht der Senat nicht zu prüfen, ob vorrangig Ansprüche aus diesem Gesetzbuch in Betracht kommen. Gegebenenfalls muss der Sozialhilfeträger mittels einer Überleitungsanzeige (§ 93 SGB XII) (auch) beim zuständigen Schulträger Rückgriff nehmen (vgl. BSG, a. a. O. Rn. 25). Die Frage, wer letztendlich der zuständige Leistungsträger ist, muss dem Verfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben. Angesichts der Tatsache, dass dieses bereits seit 17. Mai 2013 beim Sozialgericht anhängig ist und auf einem Antrag vom 2. Februar 2010 beruht, dürfte einer baldigen Förderung des Verfahrens in der Hauptsache nichts entgegen stehen.
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(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag
- 1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, - 2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, - 3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.
(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.
(2) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor.
(3) Hilfen zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.
(4) Lebt eine Person bei ihren Eltern oder einem Elternteil und ist sie schwanger oder betreut ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, werden Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils nicht berücksichtigt.
(5) Ist den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Absätze 1 und 2 möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu ersetzen. Mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.
(6) Der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld steht, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.
(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag
- 1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, - 2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, - 3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind.
(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
- 1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und - 2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme
- 1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, - 2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder - 3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall
- 1.
in ambulanter Form, - 2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen, - 3.
durch geeignete Pflegepersonen und - 4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.
(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.
(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.
(1) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach diesem Buch entsprechende Leistungen vorgesehen sind.
(2) Unterhaltspflichtige Personen werden nach Maßgabe der §§ 90 bis 97b an den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch beteiligt. Soweit die Zahlung des Kostenbeitrags die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen mindert oder der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch gedeckt ist, ist dies bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen.
(3) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Zweiten Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 3 Absatz 2, den §§ 14 bis 16g, 16k, § 19 Absatz 2 in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches sowie Leistungen nach § 6b Absatz 2 des Bundeskindergeldgesetzes in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches den Leistungen nach diesem Buch vor.
(4) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Neunten und Zwölften Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 27a Absatz 1 in Verbindung mit § 34 Absatz 6 des Zwölften Buches und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach diesem Buch vor. Landesrecht kann regeln, dass Leistungen der Frühförderung für Kinder unabhängig von der Art der Behinderung vorrangig von anderen Leistungsträgern gewährt werden.
(1) Hat eine leistungsberechtigte Person oder haben bei Gewährung von Hilfen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel auch ihre Eltern, ihr nicht getrennt lebender Ehegatte oder ihr Lebenspartner für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, einen Anspruch gegen einen anderen, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 des Ersten Buches ist, kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht. Er kann den Übergang dieses Anspruchs auch wegen seiner Aufwendungen für diejenigen Leistungen des Dritten und Vierten Kapitels bewirken, die er gleichzeitig mit den Leistungen für die in Satz 1 genannte leistungsberechtigte Person, deren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und deren minderjährigen unverheirateten Kindern erbringt. Der Übergang des Anspruchs darf nur insoweit bewirkt werden, als bei rechtzeitiger Leistung des anderen entweder die Leistung nicht erbracht worden wäre oder in den Fällen des § 19 Abs. 5 Aufwendungsersatz oder ein Kostenbeitrag zu leisten wäre. Der Übergang ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Anspruch nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden kann.
(2) Die schriftliche Anzeige bewirkt den Übergang des Anspruchs für die Zeit, für die der leistungsberechtigten Person die Leistung ohne Unterbrechung erbracht wird. Als Unterbrechung gilt ein Zeitraum von mehr als zwei Monaten.
(3) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Verwaltungsakt, der den Übergang des Anspruchs bewirkt, haben keine aufschiebende Wirkung.
(4) Die §§ 115 und 116 des Zehnten Buches gehen der Regelung des Absatzes 1 vor.
(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.
(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.
(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.
(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.
(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.