Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 17. März 2006 - L 8 AL 2899/04

published on 17/03/2006 00:00
Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 17. März 2006 - L 8 AL 2899/04
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Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Juni 2004 und der Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2004 aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2003 bis zum 31. Januar 2005 Leistungen zur Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer hat.
Der am XX geborene Kläger war vom 01.07.1984 bis 31.12.2002 als Außendienstmitarbeiter (Anzeigen) bei einem Zeitungsverlag in O. beschäftigt. Sein monatliches Bruttoarbeitsentgelt betrug zuletzt 4.500,00 EUR. Von Mitte Dezember 2002 bis zum 12.02.2003 war der Kläger arbeitsunfähig krank und bezog während dieser Zeit Krankengeld.
Am 13.02.2003 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt Offenburg (AA) arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Bei der Antragstellung wurde ihm das Merkblatt mit Stand April 2002 ausgehändigt. Darin war ein Hinweis auf die Möglichkeit einer Entgeltsicherung noch nicht enthalten, da es diese Leistung erst seit 01.01.2003 gibt. Am 13.03.2003 teilte der Kläger dem AA mit, dass er seit 01.03.2003 als Außendienstmitarbeiter (Anzeigen) bei der L. Zeitung beschäftigt sei. Diese Mitteilung erfolgte nicht anlässlich einer persönlichen Vorsprache des Klägers, sondern schriftlich unter Verwendung eines dem Kläger von der Beklagten zur Verfügung gestellten Vordrucks (Veränderungsmitteilung). Das AA bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 13.02.2003 bis 28.02.2003 Alg in Höhe von wöchentlich 311,15 EUR (Bemessungsentgelt wöchentlich 1.040,- EUR, Leistungsgruppe A/O). Mit Bescheid vom 06.05.2003 übernahm die Beklagte auch die Beiträge des Klägers zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Die Beschäftigung des Klägers bei der L. Zeitung dauerte bis 31.01.2005, ab 01.02.2005 war der Kläger wieder arbeitslos. Sein monatliches Bruttoarbeitsentgelt betrug bis Juni 2004 ca. 3.600,00 EUR und danach bis Januar 2005 zwischen ca. 2.222,23 EUR (September 2004) und ca. 4.035,66 EUR (Januar 2005).
Am 14.10.2003 stellte der Kläger beim AA einen Antrag auf Leistungen der Entgeltsicherung und berief sich auf eine unbillige Härte, weil er zu Beginn seiner Arbeitslosigkeit nicht auf die entsprechende gesetzliche Regelung hingewiesen worden sei. Mit Bescheid vom 09.12.2003 lehnte das AA den Antrag ab, weil die Antragstellung verspätet erfolgt sei. Die Leistung sei hier nicht vor dem leistungsbegründenden Ereignis beantragt worden, da die Arbeitsaufnahme bereits am 01.03.2003 erfolgt sei und der Antrag vom 14.10.2003 stamme. Eine unbillige Härte werde ebenfalls nicht anerkannt.
Dagegen legte der Kläger am 15.12.2003 Widerspruch ein und machte geltend, ihm stünden Leistungen der Entgeltsicherung aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Das AA habe es pflichtwidrig unterlassen, ihn auf die erst am 01.01.2003 in Kraft getretene Regelung über Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer hinzuweisen. Dadurch seien ihm entsprechende Leistungen entgangen. Seine am 01.03.2003 aufgenommene Tätigkeit sei mit einem deutlich niedrigeren Gehalt dotiert. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2004 wies die Widerspruchsstelle des AA den Widerspruch als unbegründet zurück. Unstreitig sei, dass die Antragstellung nicht - wie erforderlich - vor dem leistungsbegründenden Ereignis erfolgt sei. Eine verspätete Antragstellung sei auch nicht wegen unbilliger Härte zuzulassen. Bei der hierbei zu treffenden Ermessensentscheidung könnten angesichts des vom Kläger zuvor erzielten überdurchschnittlichen Arbeitsentgelts (monatlich 4.500,00 EUR) wirtschaftliche Erwägungen eine unbillige Härte nicht begründen. Zudem sei insoweit zu berücksichtigen, dass das vom Kläger am 01.03.2003 aufgenommene Beschäftigungsverhältnis nicht vom Arbeitsamt vermittelt und diesem die Arbeitsaufnahme ohne besondere Bedingungen mitgeteilt worden sei, sodass keine Veranlassung bestanden habe, über die Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer zu beraten.
Am 08.03.2004 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und einen Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung, hilfsweise auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, geltend gemacht. Er hat vorgebracht, er habe Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung, da die Beklagte ihn nicht auf diesen Anspruch, von dem er keine Kenntnis gehabt habe, hingewiesen habe. Eine entsprechende Beratung der Beklagten wäre erforderlich und auch möglich gewesen, da dieser die notwendigen Daten aufgrund seiner Angaben bekannt gewesen seien. Ob der erhobene Anspruch wegen einer unbilligen Härte - das Ermessen der Beklagten sei infolge der Verletzung der Beratungspflicht in Kenntnis der Sachlage auf Null reduziert - oder im Hinblick auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu bejahen sei, sei im Ergebnis unerheblich.
Mit Gerichtsbescheid vom 15.06.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Die Voraussetzungen des § 324 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (SGB III), wonach die Beklagte zur Vermeidung unbilliger Härten eine verspätete Antragstellung zulassen kann und neben dem für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum mehr bleibe, seien nicht erfüllt. Eine unbillige Härte liege bei bloßer Rechtsunkenntnis darüber, dass ein Leistungsanspruch bei rechtzeitiger Antragstellung bestanden hätte, nicht vor. Auch habe die Beklagte ihre Aufklärungs- und Beratungspflichten gegenüber dem Kläger nicht verletzt. Ein konkreter, für die Beklagte erkennbarer Anlass für eine Beratung des Klägers über die Leistungen der Entgeltsicherung habe hier nicht bestanden. Die Beklagte habe nämlich keine Kenntnis davon gehabt, dass der Kläger im Rahmen seiner neuen Beschäftigung ein geringeres Entgelt als in seiner vorangegangenen Tätigkeit erzielt. Aus der "Veränderungsmitteilung" seien lediglich die Tatsache und der Beginn der Beschäftigungsaufnahme sowie der Arbeitgeber hervorgegangen.
Gegen den ihm am 23.06.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21.07.2004 Berufung eingelegt, mit der er an seinem Ziel festhält. Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen und macht zusätzlich geltend, die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, ihn über die Leistungen der Entgeltsicherung zu informieren. Gerade weil ein Hinweis auf die Möglichkeit der Entgeltsicherung in dem Merkblatt, das ihm anlässlich der Arbeitslosmeldung ausgehändigt worden sei, nicht enthalten gewesen sei, habe eine gesteigerte Informationspflicht der Beklagten bestanden, ihn am 13.02.2003 auf diese neue Leistung hinzuweisen. Aus den vorhandenen Daten sei der Beklagten bekannt gewesen, dass er über 50 Jahre alt sei. Das AA habe bei seiner Arbeitslosmeldung noch gar nicht wissen können, dass er ab 01.03.2003 wieder Arbeit finden werde. Er habe dies selbst auch noch nicht gewusst. Der Kläger verweist auf das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 18.02.2005 (S 3 AL 1305/04), in dem in einem vergleichbaren Fall entschieden worden sei, dass die Beklagte verpflichtet sei, die verspätete Antragstellung mangels Hinweis der Beklagten auf die Möglichkeit der Entgeltsicherungsleistung zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
10 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Juni 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. März 2003 bis zum 31. Januar 2005 Leistungen zur Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer zu gewähren.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
13 
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Eine verspätete Antragstellung könne zwar zur Vermeidung unbilliger Härten zugelassen werden. Hier sei jedoch keine unbillige Härte gegeben. Insbesondere habe keine fehlerhafte Beratung vorgelegen. Im Hinblick auf den für verkündete Gesetze geltenden Grundsatz der formellen Publizität sei es letztlich unbeachtlich, ob und in welchem Umfang sie über die Leistungen zur Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer entsprechende Informationen erteilt habe.
14 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung für die Zeit vom 01.03.2003 bis zum 31.01.2005.
16 
Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist der durch Art 1 Nr. 43 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I S. 4607) mit Wirkung ab 01.01.2003 eingeführte § 421j SGB III. Danach haben Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beenden oder vermeiden, Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung, wenn sie
17 
1. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben und bei Aufnahme der Beschäftigung noch über einen Restanspruch von mindestens 180 Tagen verfügen oder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld über mindestens die gleiche Dauer hätten,
18 
2. ein Arbeitsentgelt beanspruchen können, das den tariflichen oder, wenn eine tarifliche Regelung nicht besteht, ortsüblichen Bedingungen entspricht (§ 421j Abs. 1 SGB III).
19 
Die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer wird als Zuschuss zum Arbeitsentgelt und als zusätzlicher Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet (§ 421j Abs. 2 Satz 1 SGB III). Der Zuschuss zum Arbeitsentgelt beträgt 50% der monatlichen Nettoentgeltdifferenz (§ 421j Abs. 2 Satz 2 SGB III).
20 
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Zeitraum vom 01.03.2003 bis zum 31.01.2005 erfüllt. Der Kläger hatte am 01.03.2003 noch einen Restanspruch auf Zahlung von Alg für 764 Tage und das ihm von der L. Zeitung GmbH gezahlte Entgelt entsprach den ortsüblichen Bedingungen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
21 
Nach § 324 Abs. 1 SGB III werden allerdings Leistungen der Arbeitsförderung, wozu auch die Leistungen der Entgeltsicherung gehören, nur erbracht, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden sind. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Das leistungsbegründende Ereignis ist bei § 421j SGB III der Tag, an dem die "schlechter bezahlte" Beschäftigung aufgenommen wird (Schlegel/Becker in Hennig, SGB III, § 421j RdNr. 51) Dies war hier der 01.03.2003. Den Antrag auf Leistungen der Entgeltsicherung stellte der Kläger erst erheblich später, nämlich am 14.10.2003.
22 
Zur Vermeidung unbilliger Härten kann die Agentur für Arbeit aber gemäß § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III eine verspätete Antragstellung zulassen. Die Härteregelung des § 324 Abs.1 Satz 2 SGB III tritt als lex specialis an die Stelle der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. Gagel, SGB III § 324 RdNr. 16; Urteil des erkennenden Senats vom 23.04.2004 - L 8 AL 4489/03 - ). Die Auffassung, dass im Falle eines unverschuldeten Versäumens der Antragsfrist von vornherein eine unbillige Härte anzunehmen sei, und die Vorschrift nur dahin zu verstehen sei, dass das Vorliegen einer unbilligen Härte nicht auf diese Fallkonstellation beschränkt sei (BayLSG Urteil vom 10.05.2005 - L 8 AL 380/04 - ; Radüge in Hauck/Noftz, SGB III, § 324 RdNr. 11) ist daher abzulehnen (Leitherer in Hennig, SGB III, § 324 RdNr. 30).
23 
Ein verspäteter Antrag ist nach Auffassung des Senats zuzulassen, wenn sich die Berufung auf die verspätete Antragstellung als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde (Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005 § 324 RdNr. 10). Dies ist z.B. der Fall, wenn den Begünstigten kein Verschulden an der verspäteten Antragstellung trifft, die Versäumung der Antragsfrist aber ursächlich auf eine Verletzung der Beratungspflicht der Beklagten zurückzuführen ist (vgl. Schlegel/Becker in Hennig, SGB III, § 421j RdNr. 52). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Agentur allgemein verpflichtet ist, jeden über 50jährigen Arbeitsuchenden von sich aus auf die Möglichkeit einer Entgeltsicherung hinzuweisen.
24 
Im vorliegenden Fall bestand eine Pflicht der Beklagten zur Beratung auch ohne Nachfrage seitens des Klägers (Pflicht zur Spontanberatung) aus zwei Gründen. Zum einen ist die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer am 01.01.2003 und damit nur wenige Wochen bevor sich der Kläger arbeitslos gemeldet hat - dies war am 13.02.2003 - als neue Leistung eingeführt worden. Zum anderen hat die Beklagte dem Kläger das Merkblatt 1 für Arbeitslose mit dem Stand von April 2002 ausgehändigt und in diesem Merkblatt war - anders als in den Merkblättern für die Jahre danach - noch kein Hinweis auf die Leistung der Entgeltsicherung enthalten. Im Merkblatt 1 für Arbeitslose wird (auf der letzten Seite) auf die weiteren von der Beklagten aufgelegten Merkblätter hingewiesen, die den Arbeitsuchenden über die Dienste und Leistungen der Arbeitsagentur informieren sollen. Während in den Ausgaben für die Jahre 2003 und später ein Hinweis auf das "Merkblatt 19 - Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer" enthalten ist, fehlt dieser Hinweis in dem Merkblatt, das der Kläger bei seiner Arbeitslosmeldung erhalten hat.
25 
Hinzu kommt, dass die Folgen der Nichtgewährung der Leistungen der Entgeltsicherung für den Kläger erheblich sind. Er würde für die Zeit der Beschäftigung vom 01.03.2003 bis 31.01.2005 Leistungen der Beklagten (in Form eines Zuschusses zum Arbeitsentgelt und eines zusätzlichen Beitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung) in beträchtlicher Höhe verlieren. Dies folgt schon aus einem Vergleich seiner früheren monatlichen Bruttoeinkünfte (4.500,00 EUR) mit den während der neuen Tätigkeit erzielten Bruttoeinkünften (ca. 2.300,00 EUR bis ca. 4.000,00 EUR). Damit ist nach Überzeugung des Senats entgegen der Auffassung der Beklagten eine unbillige Härte zu bejahen.
26 
Die Beklagte ist daher verpflichtet, die verspätete Antragstellung zuzulassen. Ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum steht ihr nicht zu. Ob das Wort "kann" in § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III der Beklagten ein Ermessen einräumt oder ihr nur die Möglichkeit eröffnet, verspätet gestellte Anträge nachträglich zuzulassen (sog "Kompetenz-Kann"), braucht hier nicht entschieden zu werden. In beiden Fällen ist die Beklagte verpflichtet, den verspätet gestellten Antrag des Klägers zuzulassen. Wird - wie hier - eine unbillige Härte deshalb angenommen, weil sich die Berufung auf die Versäumung der Antragsfrist als ein Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde, gibt es keinen sachlichen Grund mehr, der die Beklagte berechtigen könnte, einen verspätet gestellten Antrag dennoch nicht zuzulassen. Folglich wäre jede andere Entscheidung als die Zulassung des verspäteten Antrags ermessensfehlerhaft (Fall der Ermessensreduzierung auf Null).
27 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
28 
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier zu entscheidenden Rechtsfragen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.

Gründe

 
15 
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung für die Zeit vom 01.03.2003 bis zum 31.01.2005.
16 
Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist der durch Art 1 Nr. 43 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I S. 4607) mit Wirkung ab 01.01.2003 eingeführte § 421j SGB III. Danach haben Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beenden oder vermeiden, Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung, wenn sie
17 
1. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben und bei Aufnahme der Beschäftigung noch über einen Restanspruch von mindestens 180 Tagen verfügen oder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld über mindestens die gleiche Dauer hätten,
18 
2. ein Arbeitsentgelt beanspruchen können, das den tariflichen oder, wenn eine tarifliche Regelung nicht besteht, ortsüblichen Bedingungen entspricht (§ 421j Abs. 1 SGB III).
19 
Die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer wird als Zuschuss zum Arbeitsentgelt und als zusätzlicher Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet (§ 421j Abs. 2 Satz 1 SGB III). Der Zuschuss zum Arbeitsentgelt beträgt 50% der monatlichen Nettoentgeltdifferenz (§ 421j Abs. 2 Satz 2 SGB III).
20 
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Zeitraum vom 01.03.2003 bis zum 31.01.2005 erfüllt. Der Kläger hatte am 01.03.2003 noch einen Restanspruch auf Zahlung von Alg für 764 Tage und das ihm von der L. Zeitung GmbH gezahlte Entgelt entsprach den ortsüblichen Bedingungen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
21 
Nach § 324 Abs. 1 SGB III werden allerdings Leistungen der Arbeitsförderung, wozu auch die Leistungen der Entgeltsicherung gehören, nur erbracht, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden sind. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Das leistungsbegründende Ereignis ist bei § 421j SGB III der Tag, an dem die "schlechter bezahlte" Beschäftigung aufgenommen wird (Schlegel/Becker in Hennig, SGB III, § 421j RdNr. 51) Dies war hier der 01.03.2003. Den Antrag auf Leistungen der Entgeltsicherung stellte der Kläger erst erheblich später, nämlich am 14.10.2003.
22 
Zur Vermeidung unbilliger Härten kann die Agentur für Arbeit aber gemäß § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III eine verspätete Antragstellung zulassen. Die Härteregelung des § 324 Abs.1 Satz 2 SGB III tritt als lex specialis an die Stelle der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. Gagel, SGB III § 324 RdNr. 16; Urteil des erkennenden Senats vom 23.04.2004 - L 8 AL 4489/03 - ). Die Auffassung, dass im Falle eines unverschuldeten Versäumens der Antragsfrist von vornherein eine unbillige Härte anzunehmen sei, und die Vorschrift nur dahin zu verstehen sei, dass das Vorliegen einer unbilligen Härte nicht auf diese Fallkonstellation beschränkt sei (BayLSG Urteil vom 10.05.2005 - L 8 AL 380/04 - ; Radüge in Hauck/Noftz, SGB III, § 324 RdNr. 11) ist daher abzulehnen (Leitherer in Hennig, SGB III, § 324 RdNr. 30).
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Ein verspäteter Antrag ist nach Auffassung des Senats zuzulassen, wenn sich die Berufung auf die verspätete Antragstellung als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde (Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005 § 324 RdNr. 10). Dies ist z.B. der Fall, wenn den Begünstigten kein Verschulden an der verspäteten Antragstellung trifft, die Versäumung der Antragsfrist aber ursächlich auf eine Verletzung der Beratungspflicht der Beklagten zurückzuführen ist (vgl. Schlegel/Becker in Hennig, SGB III, § 421j RdNr. 52). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Agentur allgemein verpflichtet ist, jeden über 50jährigen Arbeitsuchenden von sich aus auf die Möglichkeit einer Entgeltsicherung hinzuweisen.
24 
Im vorliegenden Fall bestand eine Pflicht der Beklagten zur Beratung auch ohne Nachfrage seitens des Klägers (Pflicht zur Spontanberatung) aus zwei Gründen. Zum einen ist die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer am 01.01.2003 und damit nur wenige Wochen bevor sich der Kläger arbeitslos gemeldet hat - dies war am 13.02.2003 - als neue Leistung eingeführt worden. Zum anderen hat die Beklagte dem Kläger das Merkblatt 1 für Arbeitslose mit dem Stand von April 2002 ausgehändigt und in diesem Merkblatt war - anders als in den Merkblättern für die Jahre danach - noch kein Hinweis auf die Leistung der Entgeltsicherung enthalten. Im Merkblatt 1 für Arbeitslose wird (auf der letzten Seite) auf die weiteren von der Beklagten aufgelegten Merkblätter hingewiesen, die den Arbeitsuchenden über die Dienste und Leistungen der Arbeitsagentur informieren sollen. Während in den Ausgaben für die Jahre 2003 und später ein Hinweis auf das "Merkblatt 19 - Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer" enthalten ist, fehlt dieser Hinweis in dem Merkblatt, das der Kläger bei seiner Arbeitslosmeldung erhalten hat.
25 
Hinzu kommt, dass die Folgen der Nichtgewährung der Leistungen der Entgeltsicherung für den Kläger erheblich sind. Er würde für die Zeit der Beschäftigung vom 01.03.2003 bis 31.01.2005 Leistungen der Beklagten (in Form eines Zuschusses zum Arbeitsentgelt und eines zusätzlichen Beitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung) in beträchtlicher Höhe verlieren. Dies folgt schon aus einem Vergleich seiner früheren monatlichen Bruttoeinkünfte (4.500,00 EUR) mit den während der neuen Tätigkeit erzielten Bruttoeinkünften (ca. 2.300,00 EUR bis ca. 4.000,00 EUR). Damit ist nach Überzeugung des Senats entgegen der Auffassung der Beklagten eine unbillige Härte zu bejahen.
26 
Die Beklagte ist daher verpflichtet, die verspätete Antragstellung zuzulassen. Ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum steht ihr nicht zu. Ob das Wort "kann" in § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III der Beklagten ein Ermessen einräumt oder ihr nur die Möglichkeit eröffnet, verspätet gestellte Anträge nachträglich zuzulassen (sog "Kompetenz-Kann"), braucht hier nicht entschieden zu werden. In beiden Fällen ist die Beklagte verpflichtet, den verspätet gestellten Antrag des Klägers zuzulassen. Wird - wie hier - eine unbillige Härte deshalb angenommen, weil sich die Berufung auf die Versäumung der Antragsfrist als ein Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde, gibt es keinen sachlichen Grund mehr, der die Beklagte berechtigen könnte, einen verspätet gestellten Antrag dennoch nicht zuzulassen. Folglich wäre jede andere Entscheidung als die Zulassung des verspäteten Antrags ermessensfehlerhaft (Fall der Ermessensreduzierung auf Null).
27 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
28 
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier zu entscheidenden Rechtsfragen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu
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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu
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published on 23/04/2004 00:00

Tatbestand   1  Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung eines Existenzgründungszuschusses zusteht. 2  Der Kläger bezog vom Arbeitsamt Lahr (AA) Arbei
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published on 20/05/2015 00:00

Tenor Unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 02.07.2014 wie folgt neu gefasst: Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Versicherte H I für die Zeit vom 01.04.2010 bis 28.02.2011 weitere
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Annotations

(1) Leistungen der Arbeitsförderung werden nur erbracht, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden sind. Zur Vermeidung unbilliger Härten kann die Agentur für Arbeit eine verspätete Antragstellung zulassen.

(2) Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsgeld und Arbeitslosengeld können auch nachträglich beantragt werden. Kurzarbeitergeld, die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge und Lehrgangskosten für die Bezieherinnen und Bezieher von Kurzarbeitergeld und ergänzende Leistungen nach § 102 sind nachträglich zu beantragen.

(3) Insolvenzgeld ist abweichend von Absatz 1 Satz 1 innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Wurde die Frist aus nicht selbst zu vertretenden Gründen versäumt, wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt worden ist. Ein selbst zu vertretender Grund liegt vor, wenn sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemüht haben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Leistungen der Arbeitsförderung werden nur erbracht, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden sind. Zur Vermeidung unbilliger Härten kann die Agentur für Arbeit eine verspätete Antragstellung zulassen.

(2) Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsgeld und Arbeitslosengeld können auch nachträglich beantragt werden. Kurzarbeitergeld, die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge und Lehrgangskosten für die Bezieherinnen und Bezieher von Kurzarbeitergeld und ergänzende Leistungen nach § 102 sind nachträglich zu beantragen.

(3) Insolvenzgeld ist abweichend von Absatz 1 Satz 1 innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Wurde die Frist aus nicht selbst zu vertretenden Gründen versäumt, wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt worden ist. Ein selbst zu vertretender Grund liegt vor, wenn sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemüht haben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.