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Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung für die Zeit vom 01.03.2003 bis zum 31.01.2005.
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Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist der durch Art 1 Nr. 43 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I S. 4607) mit Wirkung ab 01.01.2003 eingeführte § 421j SGB III. Danach haben Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beenden oder vermeiden, Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung, wenn sie
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1. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben und bei Aufnahme der Beschäftigung noch über einen Restanspruch von mindestens 180 Tagen verfügen oder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld über mindestens die gleiche Dauer hätten,
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2. ein Arbeitsentgelt beanspruchen können, das den tariflichen oder, wenn eine tarifliche Regelung nicht besteht, ortsüblichen Bedingungen entspricht (§ 421j Abs. 1 SGB III).
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Die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer wird als Zuschuss zum Arbeitsentgelt und als zusätzlicher Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet (§ 421j Abs. 2 Satz 1 SGB III). Der Zuschuss zum Arbeitsentgelt beträgt 50% der monatlichen Nettoentgeltdifferenz (§ 421j Abs. 2 Satz 2 SGB III).
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Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Zeitraum vom 01.03.2003 bis zum 31.01.2005 erfüllt. Der Kläger hatte am 01.03.2003 noch einen Restanspruch auf Zahlung von Alg für 764 Tage und das ihm von der L. Zeitung GmbH gezahlte Entgelt entsprach den ortsüblichen Bedingungen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
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Nach § 324 Abs. 1 SGB III werden allerdings Leistungen der Arbeitsförderung, wozu auch die Leistungen der Entgeltsicherung gehören, nur erbracht, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden sind. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Das leistungsbegründende Ereignis ist bei § 421j SGB III der Tag, an dem die "schlechter bezahlte" Beschäftigung aufgenommen wird (Schlegel/Becker in Hennig, SGB III, § 421j RdNr. 51) Dies war hier der 01.03.2003. Den Antrag auf Leistungen der Entgeltsicherung stellte der Kläger erst erheblich später, nämlich am 14.10.2003.
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Zur Vermeidung unbilliger Härten kann die Agentur für Arbeit aber gemäß § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III eine verspätete Antragstellung zulassen. Die Härteregelung des § 324 Abs.1 Satz 2 SGB III tritt als lex specialis an die Stelle der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. Gagel, SGB III § 324 RdNr. 16; Urteil des erkennenden Senats vom 23.04.2004 - L 8 AL 4489/03 - ). Die Auffassung, dass im Falle eines unverschuldeten Versäumens der Antragsfrist von vornherein eine unbillige Härte anzunehmen sei, und die Vorschrift nur dahin zu verstehen sei, dass das Vorliegen einer unbilligen Härte nicht auf diese Fallkonstellation beschränkt sei (BayLSG Urteil vom 10.05.2005 - L 8 AL 380/04 - ; Radüge in Hauck/Noftz, SGB III, § 324 RdNr. 11) ist daher abzulehnen (Leitherer in Hennig, SGB III, § 324 RdNr. 30).
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Ein verspäteter Antrag ist nach Auffassung des Senats zuzulassen, wenn sich die Berufung auf die verspätete Antragstellung als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde (Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005 § 324 RdNr. 10). Dies ist z.B. der Fall, wenn den Begünstigten kein Verschulden an der verspäteten Antragstellung trifft, die Versäumung der Antragsfrist aber ursächlich auf eine Verletzung der Beratungspflicht der Beklagten zurückzuführen ist (vgl. Schlegel/Becker in Hennig, SGB III, § 421j RdNr. 52). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Agentur allgemein verpflichtet ist, jeden über 50jährigen Arbeitsuchenden von sich aus auf die Möglichkeit einer Entgeltsicherung hinzuweisen.
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Im vorliegenden Fall bestand eine Pflicht der Beklagten zur Beratung auch ohne Nachfrage seitens des Klägers (Pflicht zur Spontanberatung) aus zwei Gründen. Zum einen ist die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer am 01.01.2003 und damit nur wenige Wochen bevor sich der Kläger arbeitslos gemeldet hat - dies war am 13.02.2003 - als neue Leistung eingeführt worden. Zum anderen hat die Beklagte dem Kläger das Merkblatt 1 für Arbeitslose mit dem Stand von April 2002 ausgehändigt und in diesem Merkblatt war - anders als in den Merkblättern für die Jahre danach - noch kein Hinweis auf die Leistung der Entgeltsicherung enthalten. Im Merkblatt 1 für Arbeitslose wird (auf der letzten Seite) auf die weiteren von der Beklagten aufgelegten Merkblätter hingewiesen, die den Arbeitsuchenden über die Dienste und Leistungen der Arbeitsagentur informieren sollen. Während in den Ausgaben für die Jahre 2003 und später ein Hinweis auf das "Merkblatt 19 - Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer" enthalten ist, fehlt dieser Hinweis in dem Merkblatt, das der Kläger bei seiner Arbeitslosmeldung erhalten hat.
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Hinzu kommt, dass die Folgen der Nichtgewährung der Leistungen der Entgeltsicherung für den Kläger erheblich sind. Er würde für die Zeit der Beschäftigung vom 01.03.2003 bis 31.01.2005 Leistungen der Beklagten (in Form eines Zuschusses zum Arbeitsentgelt und eines zusätzlichen Beitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung) in beträchtlicher Höhe verlieren. Dies folgt schon aus einem Vergleich seiner früheren monatlichen Bruttoeinkünfte (4.500,00 EUR) mit den während der neuen Tätigkeit erzielten Bruttoeinkünften (ca. 2.300,00 EUR bis ca. 4.000,00 EUR). Damit ist nach Überzeugung des Senats entgegen der Auffassung der Beklagten eine unbillige Härte zu bejahen.
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Die Beklagte ist daher verpflichtet, die verspätete Antragstellung zuzulassen. Ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum steht ihr nicht zu. Ob das Wort "kann" in § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III der Beklagten ein Ermessen einräumt oder ihr nur die Möglichkeit eröffnet, verspätet gestellte Anträge nachträglich zuzulassen (sog "Kompetenz-Kann"), braucht hier nicht entschieden zu werden. In beiden Fällen ist die Beklagte verpflichtet, den verspätet gestellten Antrag des Klägers zuzulassen. Wird - wie hier - eine unbillige Härte deshalb angenommen, weil sich die Berufung auf die Versäumung der Antragsfrist als ein Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde, gibt es keinen sachlichen Grund mehr, der die Beklagte berechtigen könnte, einen verspätet gestellten Antrag dennoch nicht zuzulassen. Folglich wäre jede andere Entscheidung als die Zulassung des verspäteten Antrags ermessensfehlerhaft (Fall der Ermessensreduzierung auf Null).
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Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier zu entscheidenden Rechtsfragen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
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