| |
|
Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin einen chirurgischen Eingriff zur Verkleinerung des Magens ermöglichen muss.
|
|
|
Die 1956 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin ist von Beruf Pflegerin in einem Pflegeheim und hochgradig übergewichtig. Bei einer Körpergröße von 168 cm wog sie im April 2001 und Anfang 2002 zwischen 152 und 154 kg. Unter Vorlage eines Attestes des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Sch. beantragte sie im April 2001 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine operative Maßnahme wie Gastric-Banding. Dr. Sch. führte darin aus, dass bereits in einem ersten Heilverfahren wegen Wirbelsäulenbeschwerden 1978 diätetische Maßnahmen erfolgt seien mit einer Abnahme von 85 kg auf 77 kg. Im Laufe der Jahre sei es zu einer kontinuierlichen Gewichtszunahme gekommen, wobei eigene Diätversuche ohne anhaltenden Erfolg geblieben seien. Unter medikamentöser Behandlung sei 1997 eine Reduktion des Gewichts von 158 kg um 14 kg erreicht worden. Nach zwei Jahren sei das Gewicht jedoch wieder extrem auf 159 kg angestiegen, was zu erneuter medikamentöser Behandlung geführt habe. Im Rahmen eines stationären Reha-Verfahrens wegen Adipositas, Wirbelsäulen- und Knieproblemen sei bei intensiver Ernährungsberatung, Gruppentherapie, Bewegungstherapie und psychotherapeutischen Gesprächen eine Gewichtsreduktion um 7 kg erfolgt. Nach anfänglicher weiterer häuslicher Gewichtsreduktion sei das Gewicht erneut auf 152 kg gestiegen und es bestünden derzeit massive Wirbelsäulen- und Kniegelenksschmerzen, Atemnot bei Belastung sowie erhebliche berufliche Probleme als Nachtwache in einem Pflegeheim.
|
|
|
Gestützt auf ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage von Dr. W. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.05.2001 den Antrag mit der Begründung ab, die Kostenübernahme der empfohlenen Gastric-Banding-Operation könne vom MDK nicht mitgetragen werden, da vor einem formverändernden Eingriff an einem gesunden Organ zuerst sämtliche zur Verfügung stehenden konservativen therapeutischen Maßnahmen über mehrere Jahre hinweg anzuwenden seien. Diese Auffassung teile auch die Deutsche Adipositasgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Adipositasforschung wie auch die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Sie alle seien der Meinung, dass vor einer operativen Therapie die konservativen therapeutischen Ansätze im Sinne eines „Gesamtpakets" zum Tragen kommen müssten. In keinem Fall sei nach Auffassung der Experten der Magen für das Essverhalten allein verantwortlich. Deshalb müsse ein ärztlich geleitetes Gesamtkonzept, welches diätetische Maßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, Bewegungstherapie, gegebenenfalls pharmakologisch-ärztliche Behandlung und psychotherapeutische Interventionen umfasse, erarbeitet und konsequent als Langzeitbehandlung durchgeführt werden.
|
|
|
Im August 2001 wandte sich PD Dr. Sch., Chirurgische Universitätsklinik Tübingen, für die Klägerin an die Beklagte. Der Body-Mass-Index (BMI) betrage bei der Klägerin derzeit 57. Die Klägerin habe beim Laufen Schmerzen, die rechte Hüfte weise eine Coxarthrose auf und beide Knie seien arthrotisch so verändert, dass eine operative Maßnahme kaum zu umgehen sei. Die Klägerin befinde sich zur Zeit in ambulanter psychologischer Behandlung. Nachdem alle von der Krankenkasse vorgeschriebenen Maßnahmen nicht zu einer dringend gebotenen Gewichtsreduktion geführt hätten, sei aus ärztlicher Sicht ein Gastric-Banding mit Nachdruck dringend anzuraten, um den Komplikationen eines Diabetes mellitus vorzubeugen, die Verschlechterung der Arthrosen zu mildern und soziale Konsequenzen wie den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu vermeiden. Bei guten Erfahrungen in der Chirurgie der Adipositas könne eine dauerhafte Gewichtsreduktion bis zu 50 kg erreicht werden, die Komplikationsrate sei verschwindend gering. Um Bewilligung der Kostenübernahme werde daher gebeten.
|
|
|
Unter Hinweis auf den Bescheid vom 18.05.2001 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.08.2001 auch diesen Antrag ab. Nach wie vor seien die medizinischen Voraussetzungen für eine Magenbandverkleinerungsoperation nicht erfüllt.
|
|
|
Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren teilte Dr. Sch. auf telefonische Nachfrage mit, er kenne die Klägerin seit drei Monaten und halte eine rasche Gewichtsreduktion für erforderlich, damit Folgeschäden erst gar nicht eintreten könnten. Die Klägerin legte eine psychologische Stellungnahme des Dr. Dipl.Psych. T. vom September 2001 und einen Arztbrief des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. W., ebenfalls vom September 2001, vor. Danach bestehe ein ausgeprägtes depressives Bild, das sich biographisch und sekundär durch die jetzt bestehende Übergewichtigkeit (160 kg) entwickelt habe. Vorgesehen sei eine verhaltenstherapeutische Therapie und unter diesen Voraussetzungen sei auch die vorgesehene chirurgische Therapie bei der Klägerin zu empfehlen. Dazu holte die Beklagte ein weiteres Gutachten nach Aktenlage des Dr. L. vom MDK ein. Dieser befürwortete die Maßnahme ebenfalls nicht. Die Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion sei unbestritten, festzustellen sei jedoch, dass bei einem nicht unerheblichen Teil der Operierten mittelfristig wieder Gewichtszunahmen zu verzeichnen seien. Neben spezifischen Komplikationen der Operationsmethode fehlten auch Untersuchungen hinsichtlich der Langzeitfolgen. Alle Anwender der chirurgischen Methoden forderten ein langfristig angelegtes interdisziplinäres postoperatives Konzept, da die Behandlung mit der Operation nicht abgetan sei, sondern mit ihr beginne. Auch mit dem chirurgischen Verfahren sei eine kausale Therapie des Übergewichtes nicht möglich. Es würden also somit Bedingungen gefordert, die die klassische konventionelle Adipositas-Therapie begründeten und nachweislich zu einer Gewichtsreduktion führten. Die gewählte Methode greife nicht unmittelbar an der Erkrankung an, vielmehr werde der gesunde Magen in seiner physiologischen Form verändert und beeinflusst, d.h. ein regelwidriger Körperzustand werde durch diesen Eingriff in Bezug auf den Magen hergestellt. Die Klägerin machte ergänzend geltend, das einzige Ergebnis ihrer Bemühungen seit 1978, ihr Gewicht in den Griff zu bekommen, sei ein ständiger „Jo-Jo-Effekt". Eine Magenband-Operation oder das Einsetzen eines Ballons, letztere Möglichkeit sehe sie inzwischen als die für sie günstigste an, solle ihr als Krücke dienen, um aus dem Teufelskreis herauszukommen, in dem sie sich befinde und an dessen Ende die Zerstörung ihrer beruflichen und psychischen Existenz stehen könne. Bereits jetzt leide sie unter Entzündungen unter den Hautfalten und unter Schmerzen an der Hüfte, die zu Schlaflosigkeit führten. Aufgrund der Schmerzen und der Atemnot könne sie nicht mehr Rad fahren, als sehr schwerwiegend und äußerst belastend empfinde sie auch die Körperhygiene, was zur Folge habe, dass sie sich immer mehr zurückziehe.
|
|
|
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2001 gab die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin nicht statt: Eine Verkleinerung des Magenvolumens bedeute keine kausale Behandlung der Adipositas. Vielmehr handle es sich häufig um Erkrankungen, die ihren Ursprung im psychischen oder seelischen Bereich hätten. Somit müsse die entsprechende Behandlung auch dort ansetzen. Dies bedeute für die Betroffenen neben einer Umstellung der Ess- und Lebensgewohnheiten auch eine psychotherapeutische Betreuung für die Zeit der Behandlung. Dabei sei auch klar, dass eine Gewichtsreduktion - vergleichbar mit der Gewichtszunahme zuvor - nur über einen Zeitraum von mehreren Jahren erfolgreich sei.
|
|
|
Deswegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Sie machte unter Vorlage verschiedener Unterlagen (Arztbrief des Orthopäden B. vom April 2002, Entlassungsbericht der S.-Reha-Klinik der BfA B. K. vom März 2002) geltend, alle bisherigen Maßnahmen (diätetische Maßnahmen in den letzten Jahren, Umstellung des Ess- und Ernährungsverhaltens im April 2000, mehrere Kurmaßnahmen) hätten zu keinem dauerhaften Erfolg geführt. Ein entsprechendes Behandlungskonzept sei von dem Dipl.Psych. T. vorgesehen, bei dem sie seit ca. einem Jahr in psychotherapeutischer Behandlung stehe. Gestützt werde dieses Konzept durch den Neurologen Dr. W. Diese Therapie habe ihr auch sichtlich gut getan, trotz Ernährungsumstellung habe sie jedoch keine Gewichtsreduktion erreichen können. Während der Kur in B. K. habe sie nur 2,6 kg abgenommen. Mittlerweile habe sie mit einer Gruppe (Slimpoint in N.-U.) etliche kg abgenommen, dieses Programm könne sie jedoch nicht mehr machen, da der Weg für eine Fahrstrecke 61 km betrage und sie mindestens dreimal die Woche hin müsste. Dazu kämen noch die Kosten für Betreuung und Spritze (740,00 EUR), was sie nicht aufbringen könne.
|
|
|
Die Beklagte hielt daran fest, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für eine Implantation eines Magenbandes als „Ultima ratio" im Sinne des BSG-Urteils vom 19.02.2003 nicht vorlägen.
|
|
|
Das SG hörte Dr. Sch. als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte mit, die Klägerin habe sich immer wieder vorgestellt wegen belastungsabhängiger Schmerzen im Rücken, Hüft- und Kniebereich beidseits, gelegentlicher Taubheitsgefühle in den Händen und Oberschenkeln, Schwierigkeiten beim Liegen in Rückenlage, Schlafproblemen, Schwermütigkeit, Atemnot bei Belastung und massiven Problemen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Nachtwache im Pflegeheim. Trotz Verlängerung der Reha-Maßnahmen auf vier Wochen sei keine wesentliche Gewichtsabnahme erzielt worden, das Entlassungsgewicht habe bei 153 kg gelegen. Derzeit nehme die Klägerin an einer Gruppentherapie in U. teil mit diätetisch kohlenhydratfreier Ernährung. Hierunter habe die Klägerin nach eigenen Angaben im Juni 2003 eine Gewichtsreduktion von 37 kg erzielt.
|
|
|
Mit Urteil vom 23.03.2004, an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 22.04.2004, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im Wesentlichen aus, soweit der Magen der Klägerin betroffen sei, seien die Voraussetzungen einer Krankheit im Sinne eines regelwidrigen Körper- und Geisteszustandes, der ärztlicher Behandlung bedürfe, nicht erfüllt. Dagegen stelle die Adipositas per magna in Verbindung mit den von Dr. Sch. beschriebenen Begleiterkrankungen eine Krankheit dar. Mit der Durchführung einer Magenbandoperation werde damit aber nicht an den vorliegenden Erkrankungen direkt angesetzt, es handle sich vielmehr um eine mittelbare Behandlung der Adipositas und der übergewichtsbedingten Begleiterkrankungen. Dies sei nach Überzeugung der Kammer zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gerechtfertigt (Hinweis auf Urteile des BSG vom 06.10.1999 - B 1 KR 13/97 R - SozR 3-2500 § 28 Nr. 4, SGB 2000, 485, 487; Urteil vom 19.02.2003 - B 1 KR 1/02 R -). Nach der Rechtsprechung des BSG sei eine mittelbare Therapie vom Leistungsanspruch nicht grundsätzlich ausgeschlossen, wenn sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sei sowie dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspreche. Für chirurgische Eingriffe habe der Senat diesen Grundsatz allerdings eingeschränkt: Werde durch eine solche Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, wie das bei der Applikation eines Magenbandes geschehe, bedürfe die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen seien. Angesichts der unsicheren Prognose lasse sich eine Leistungsgewährung durch die Krankenkasse regelmäßig nicht rechtfertigen, wenn der operative Eingriff zur Behandlung einer psychischen Störung dienen solle. Nach den Leitlinien der deutschen Adipositas-Gesellschaft komme die Implantation eines Magenbandes nur als ultima ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllten (u.a. Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten). Die Kammer sei nicht davon überzeugt, dass die vollstationäre chirurgische Behandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen wie diätetische Therapie, Bewegungstherapie und Psychotherapie notwendig sei. Eine hormonelle Ursache bzw. das Vorliegen einer Stoffwechselerkrankung sei bei der Klägerin nicht ersichtlich. Bei dauerhafter Umstellung des Essverhaltens sei eine allmähliche Gewichtsreduktion auch ohne Magenbandoperation möglich, dies sei von der Klägerin durch die Teilnahme an einem Diätprogramm nachhaltig unter Beweis gestellt worden. Nach Ansicht der Kammer könne es sich bei Fällen, in denen die Gewährung einer Magenbandoperation in Betracht komme, nur um ganz extreme Ausnahmefälle handeln. Mit dem gewünschten Eingriff solle letztlich ein suchthaftes Essverhalten beeinflusst werden. Ein extremer Ausnahmefall liege bei der Klägerin nicht vor. Der Gewichtsverlauf, die Erfolge bzw. Misserfolge bei Diäten und die bestehenden Begleiterkrankungen hätten im Vergleich mit anderen, an Adipositas leidenden Menschen, keinen Ausnahmecharakter.
|
|
|
Hiergegen richtet sich die am 23.04.2004 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung trägt sie vor, das SG habe sich ohne hinreichende Begründung über die ärztlichen Stellungnahmen des Dr. Sch., des Dr. W. und des Dr. Sch., die ein Gastric-Banding mit Nachdruck dringend angeraten hätten, hinweggesetzt. Das SG habe sich auch gedrängt fühlen müssen, bei dem von ihr genannten Ernährungswissenschaftler und Arzt Dr. de L. eine sachverständige Zeugenauskunft einzuholen. Dies insbesondere deshalb, da dieser das Einsetzen eines Magenbandes bzw. alternativ eines Ballons, wie es von ihr angestrebt werde, ausdrücklich als Therapie anerkannt habe. Bei Dr. de L. handle es sich um keinen behandelnden Arzt. Sie habe ausführlich dargelegt, dass alle eigenverantwortlichen möglichen Therapieansätze durchgeführt bzw. wahrgenommen worden seien und letztendlich nur noch die beantragte chirurgische Maßnahme einen nachhaltigen Heilungserfolg verspreche. Die Klägerin hat die „Evidenzbasierte Leitlinie Chirurgische Therapie der extremen Adipositas", herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas und der Deutschen Adipositasgesellschaft, sowie ein Schreiben des Dr. de L. vom September 2004 vorgelegt.
|
|
|
|
|
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. März 2004 sowie den Bescheid vom 8. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr einen stationären Krankenhausaufenthalt zur Durchführung einer Gastric-Banding-Operation zu gewähren.
|
|
|
|
|
die Berufung zurückzuweisen.
|
|
|
Sie erachtet das angefochtene Urteil für zutreffend.
|
|
|
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
|
|
|
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
|
|