I.
Die Klägerin begehrt die Rückzahlung des von ihr an die Beklagte entrichteten Reisepreises für eine gebuchte Pauschalreise.
Die Klägerin buchte bei der Beklagten am 17.01.2013 für den 19.05.–01.06.2013 eine USA-Pauschalreise für sich, Ehemann und Tochter bestehend aus Flügen, Hotels und Mietwagen zum Preis von 4.149,00 €.
Die Klägerin beantragte am 24.01.2013 für sich und ihre Tochter bei der Stadt A..., der späteren Streithelferin der Klägerin, neue Reisepässe, welche auch von der Streithelferin ausgestellt wurden. Keinem war bekannt, dass beide Pässe zu 15 Pässen gehörten, die die Bundesdruckerei an die Streithelferin verschickte und dann aber als gestohlen meldete. Diese Meldung erfolgte, weil die Streithelferin gegenüber der Bundesdruckerei den Eingang der Pässe nicht bestätigt hatte. Somit waren die beiden Pässe der Klägerin und ihrer Tochter ohne Kenntnis der Parteien zur Fahndung ausgeschrieben.
Am 19.05.2013 erfuhr die Klägerin erstmals von diesem Umstand, als ihr und ihrer Tochter in F... der Abflug in die USA verweigert wurde. Mit E-Mail vom 21.05.2013 bat die Klägerin um Stornierung der Reise gegenüber der Beklagten. Diese bot eine Teilrückzahlung in Höhe von 1.047,40 € an, die auch erfolgte.
Die Klägerin ist der Auffassung, es liege ein Fall von höherer Gewalt i.S.d. § 651 j Abs. 1 BGB vor, weshalb sie Rückzahlung des entrichteten Reisepreises abzüglich der bereits geleisteten Teilrückzahlung und abzüglich der Kosten der Reiserücktrittsversicherung in Höhe von 208,00 € verlangen könne. Mit Schreiben vom 18.09.2013 wurde der Beklagten letztmals Frist zur Zahlung bis spätestens 02.10.2013 gesetzt.
Die Klägerin hat daher erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.893,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.10.2013 zu bezahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Amtsgericht N... hat die Klage mit Endurteil vom 25.11.2014 abgewiesen, weil kein Fall von höherer Gewalt i.S.d. § 651 j Abs. 1 BGB gegeben sei (vgl. Urteil Bl. 35–40 d.A.).
Mit der vorliegenden Berufung, eingelegt mit Schreiben vom 29.12.2013 am 30.12.2013 (Bl. 51–52 d.A.) und begründet mit Schreiben vom 10.02.2014, eingegangen am 13.02.2014 (Bl. 57–60 d.A.), verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Entgegen der Meinung des Erstgerichts liege kein ungültiger Pass vor, sie seien vielmehr nur versehentlich als gestohlen gemeldet gewesen. Aufgrund eines behördlichen Fehlversagens sei es zu der Verlustmeldung gekommen. Auch behördliche Umstände oder Verschärfungen von Einreisebestimmungen erfüllten den Begriff der höheren Gewalt, vgl. Urteile des OLG Frankfurt vom 16.09.2004, Az. 16 U 49/04, und des LG Mönchengladbach vom 21.02.2007, Az. 4 S 64/06 sowie den Aufsatz von Führich in RRa 2005, 50–53 (Anlage K 15). Die reisevertragsrechtlichen Regelungen sollen zu einer interessengerechten Lösung führen, wenn für beide Vertragspartner unvorhergesehene Ereignisse eintreten. Hier wäre es nicht interessengerecht, den völlig überraschenden Vorgang des behördlichen Fehlverhaltens der Risikosphäre der Klägerin zuzuordnen und dieser die hohen Stornokosten tragen zu lassen. Der Gesetzgeber habe die Wertung vorgenommen, dass bei höherer Gewalt der Reiseveranstalter den Reisepreis zurückzuzahlen habe.
Die Klägerin beantragt daher in der Berufungsinstanz,
das Urteil des Amtsgerichts N... vom 25.11.2014, Az. 13 C 4487/14, aufzuheben und unter Abänderung dieses Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.893,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.10.2013 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Sie habe vielmehr Amtshaftungsansprüche gegen die Streithelferin. Höhere Gewalt könne nur dann vorliegen, wenn kein Schuldner oder Verursacher eines Ereignisses vorliege, der für das Ereignis verantwortlich gemacht werden könne.
Die Kammer hat am 31.03.2015 einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilt (Bl. 66–68 d.A.). Mit Schreiben vom 24.04.2015 hat die Klägerin der Stadt A... den Streit verkündet (Bl. 72–73 d.A.). Diese ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin mit Schreiben vom 21.05.2015 beigetreten (Bl. 78 d.A.).
Mit Schreiben vom 14. und 16.09.2015 haben die Klägerin und die Beklagte ihr Einverständnis zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt (Bl. 82 bzw. 83 d.A.). Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, ist durch Beschluss der Kammer vom 05.10.2015 der 02.11.2015 bestimmt worden (Bl. 84–85 d.A.).
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des Ersturteils sowie auf die zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg, weshalb sie zurückzuweisen war:
Die rechtliche Einstufung durch das Amtsgericht N..., den vorliegenden Sachverhalt nicht unter den Begriff der „höheren Gewalt“ i.S.d. § 651 j Abs. 1 BGB zu subsumieren, begegnet zur Überzeugung der Kammer keine Bedenken.
Der Klägerin ist zwar mir ihrer Berufungsschrift zuzustimmen, dass es vorliegend aufgrund eines fehlerhaften behördlichen Handelns zu einer Verlustmeldung von Reisepässen kam, aufgrund derer der Abflug in die USA verweigert wurde. Der vom Erstgericht gewählte Begriff des ungültigen Passes ist daher zumindest unscharf. Dies ändert aber nichts an der zutreffenden rechtlichen Bewertung des Amtsgerichts N....
Höhere Gewalt ist nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHZ 100, 185) ein von außen kommendes und keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, nicht voraussehbares und auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis. Ein solches Ereignis liegt hier nicht vor. Die Verlustmeldung der Reisepässe der Klägerin und ihrer Tochter betrifft bereits nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nur 15 bestimmte Reisepässe und nicht alle Reisepässe schlechthin. Somit liegt noch ein individuelles Ereignis vor, welches dazu führte, dass der Klägerin und ihrer Tochter der Abflug in die USA am Tag der Abreise verweigert wurde. Höhere Gewalt könnte nur angenommen werden, wenn die Verweigerung der Abreise alle Reisende betroffen hätte, so zum Beispiel aufgrund einer Luftraumsperrung nach den Terrorangriffen vom 11.09.2001 oder aufgrund des Ausbruchs einer Epidemie (Ebolafieber seit Februar 2014 in West- und Teilen von Zentralafrika). Es wurde auch nicht vorgetragen, dass alle 15 Personen, deren Reisepässe versehentlich als Verlust gemeldet wurde, die Reisegruppe der Klägerin umfassten bzw. die Reise der Klägerin gebucht hatten.
Die Verlustmeldung der Reisepässe der Klägerin und ihrer Tochter stellt eine behördliche Maßnahme dar. Diese fallen nicht zwingend unter den Begriff der höheren Gewalt, sondern nur soweit sie unvorhersehbar und erheblich sind und von außen auf die Reise einwirken (vgl. Führich, Reiserecht, 6. Auflage 2010, § 15, Rn. 544). Die ursprüngliche namentliche Erwähnung des Begriffs „behördliche Maßnahmen“ im Rahmen einer Konkretisierung von außergewöhnlichen Umständen im Regierungsentwurf wurde aber im Rechtsausschuss nicht mehr genannt (vgl. auch Führich, RRa 2005, 52). Nur wenn behördliche Maßnahmen alleine dem Schutz des Reisenden dienen, zählen sie nicht zur Verantwortungssphäre des Veranstalters, sondern gehören noch zu dem privaten allgemeinen Lebensrisiko des Reisenden, weshalb dann kein Fall der höheren Gewalt vorliegen kann. Hier wurde die behördliche Maßnahme durch die Bundesdruckerei veranlasst, da die Bestätigung des Erhalts der Pässe der Klägerin und ihrer Tochter durch die Streithelferin nicht erfolgte. Die sodann ergriffene Maßnahme (Ausschreibung der Pässe zur Fahndung) dient nicht dem Schutz der Allgemeinheit, sondern vielmehr dem Schutz der Klägerin. Nur durch diesen Vorgang ist sie für den tatsächlichen Fall des Verlusts der Pässe geschützt, dass andere Personen nicht unter ihrem Namen auftreten oder Reisen antreten können und somit ggfs. unter Verschleierung ihrer wahren Identität auch Straftaten bis hin zu Terroranschlägen begehen können.
Der vorliegende Sachverhalt ist auch nicht vergleichbar mit den Sachverhalten, die das OLG Frankfurt mit Urteil vom 16.09.2004 (Az. 16 U 49/04) und das LG Mönchengladbach mit Urteil vom 21.02.2007 (Az. 4 S 64/06) zu entscheiden hatten. Die Klägerin führt insoweit zwar zutreffend aus, dass die Regelungen im Reisevertragsrecht zur höheren Gewalt zu einer interessensgerechten Lösung führen sollen. Im Gegensatz zu den beiden genannten Sachverhalten betrifft hier aber die Verweigerung des Abflugs in die USA nur die Klägerin und ihre Tochter und gerade nicht alle Reisenden in ein bestimmtes Zielland oder alle Reisenden einer bestimmten Staatsangehörigkeit. Weshalb es dann aber interessensgerecht sei, den vorliegenden Fall behördlichen Fehlversagens allein der Risikosphäre der Beklagten zuzuordnen, kann die Klägerin nach Auffassung der Kammer nicht begründen.
Ein Fall der höheren Gewalt i.S.d. § 651 j Abs. 1 BGB und damit ein Anspruch gegen die Beklagte ist in Übereinstimmung mit dem Erstgericht zu verneinen.
Der Klägerin stehen vielmehr Ansprüche gegen die Streithelferin wegen des behördlichen Fehlversagens zu.
III.
Die getroffene Kostenentscheidung folgt §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 2. HS ZPO.
IV.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, S. 2 ZPO.
V.
Die Revision gegen dieses Urteil war gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, insbesondere zum Begriff der höheren Gewalt i.S.d. § 651 j Abs. 1 BGB. Soweit ersichtlich wurde ein vergleichbarer Sachverhalt behördlichen Fehlverhaltens höchstrichterlich noch nicht entschieden.
VI.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß § 3 ZPO auf 2.893,60 € festzusetzen.