Landgericht Nürnberg-Fürth Beschluss, 21. Nov. 2016 - 13 T 7820/16

published on 21/11/2016 00:00
Landgericht Nürnberg-Fürth Beschluss, 21. Nov. 2016 - 13 T 7820/16
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Tenor

Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 22.09.2016 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Mit Beschluss vom 06.06.2016 ordnete das Amtsgericht Nürnberg zunächst durch einstweilige Anordnung, befristet bis 05.12.2016 die Betreuung für den Betroffenen an. Zum Betreuer bestellt wurde vorläufig Herr A... B...

Mit Datum vom 09.08.2016 erstattete der Sachverständige Z... das psychiatrische Gutachten für den Betroffenen.

Am 22.09.2016 wurde der Betroffene persönlich durch das Amtsgericht Nürnberg angehört.

Mit Beschluss vom 22.09.2016 ordnete das Amtsgericht Nürnberg die Betreuung für den Betroffenen an. Die Betreuung umfasst die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflege-Vertrages, Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise sowie Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern und Wohnungsangelegenheiten. Zum Betreuer bestellt wurde Herr A... B....

Mit Schreiben vom 25.10.2016 legte der Betroffene Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg ein.

Mit Beschluss vom 27.10.2016 half das Amtsgericht Nürnberg der Beschwerde nicht ab und legte die Akten der Kammer zur Entscheidung vor.

Den Verfahrensbeteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt.

II.

Die Beschwerde des Betroffenen ist zulässig aber unbegründet. Die Voraussetzungen zur Anordnung einer Betreuung liegen vor.

1. Eine Betreuung kann angeordnet werden, wenn ein betroffener Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Die subjektive Betreuungsbedürftigkeit einer Person erfordert damit neben dem Vorliegen eines bestimmten medizinischen Befundes das hierdurch bedingte Unvermögen des Betroffenen zur Besorgung seiner Angelegenheiten (Zweigliedrigkeit des Betreuungstatbestands), § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB (Bamberger/Roth-Müller, BGB, Kommentar, Stand 01.02.2016, § 1896 Rn. 9). Außerdem darf er nicht mehr zur Bildung eines freien Willens fähig sein, § 1896 Abs. 1 a BGB. Wer also seinen Willen im Hinblick auf die betreuungsrelevanten Umstände frei zu bestimmen vermag, entscheidet auch selbst über die mögliche Bestellung eines Betreuers. Dabei geht es um den auf die jeweilige Aufgabe bezogenen Willen, wobei an die Auffassungsgabe keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Ist der Betroffene im Wesentlichen in der Lage, sich ein eigenes Urteil zu bilden, nach diesem Urteil zu handeln und insbesondere sich von Einflüssen Dritter abzugrenzen, kommt eine Betreuerbestellung gegen den Willen des Betroffenen nicht in Betracht (OLG Brandenburg, BtPrax 2008, 265). Schließlich muss die Anordnung der Betreuung erforderlich sein, § 1896 Abs. 2 BGB, sodass die Bestellung eines Betreuers nur soweit und solange erfolgen darf, wie der Betroffene seine Angelegenheiten nicht selbst zu besorgen in der Lage ist, wobei das Gericht die konkrete Lebenssituation zu beachten hat (Jürgens, Betreuungsrecht, 5. Auflage 2014, § 1896 BGB Rn. 15, 16).

Nach den Feststellungen des Sachverständigen im Gutachten vom 09.08.2016 leidet der Betroffene unter einer psychischen Erkrankung in Form eines schizophrenen Residuums mit chronischem Wahn (ICD 10 F 20.5). Nach Angaben des Büroleiters der Obdachlosenunterkunft, in der der Betroffene lebt, lebe der Betroffene zusammen mit anderen Personen in einem Zimmer. Diese hätten berichtet, dass der Betroffene ständig paranoide Äußerungen von sich gebe, zumeist drehe es sich hierbei um Polizisten, Mörder, Kinder, getötet werden und anderen bizarre Gedanken. Der Betroffene selbst habe niemanden bedroht, sondern fühle sich selbst durch andere bedroht und beeinträchtigt. Bereits seit 1998 sei eine schizo-typische Störung beim Betroffenen bekannt. Im Februar 2016 habe der Betroffene den Schornsteinfeger nicht in die Wohnung gelassen, auch habe er die Wohnung nicht bezahlt. Der Betroffene habe verworren davon gesprochen, dass in Hannover vom Satan Kinder getötet werden sollten, das Armageddon wieder in Nürnberg sei und Ähnliches. Bei einem persönlichen Gespräch habe der Betroffene oft nicht adäquat auf die gestellten Fragen geantwortet, sondern rasch in klagsamen Ton über seine ungerechte Behandlung gesprochen. Seit April 2016 lebe er in der Obdachlosenpension, da er „entmietet“ worden sei. Als Grund für diese Entmietung nannte er, dass er den Schornsteinfeger nicht in die Wohnung hineingelassen habe, dieser sei ein Mörder gewesen. Der Betroffene habe mehrfach betont, dass er nicht freiwillig in der Obdachlosenunterkunft sei, sondern entmietet, beraubt und bestohlen worden sei. Hieran seien immer wieder dieselben Personen beteiligt, auch das Sozialamt. Auf Stimmen angesprochen, die er hören solle, habe der Betroffene angegeben, Stimmen höre er, Befehle nicht. Der Betroffene verneine, eine Psychose zu haben. Der formale Gedankengang beim Betroffenen sei eingeengt und fixiert auf das Wahnerleben, inhaltliche Denkstörungen in Form von paranoiden Beobachtungs- und Verfolgungsideen beherrschten sein Denken, ohne dass hier ausreichende Distanz hergestellt werden konnte. Aktuelle Wahrnehmungsstörungen in Form von Stimmen wurden bestätigt. Diagnostisch sei bei dem Betroffenen von einer seit vielen Jahren bestehenden Schizophrenie auszugehen, die nach eigenmächtigem Absetzen der Medikamente vor vielen Jahren in einem Residualzustand mit chronischer wahnhafter Symptomatik übergegangen sei. Derzeit gehe diese Erkrankung mit chronischen, paranoiden Verfolgungs- und Beeinträchtigungsideen einher. Zum Krankheitsbild sei der Betroffene kaum orientiert, neige zu Realitätsverkennung und Verleugnung und könne daher nicht als einsichtsfähig bezeichnet werden. Aufgrund der massiven paranoid gefärbten Ängste sei der Betroffene in der persönlichen, beruflichen und sozialen Entwicklung zuletzt erheblich belastet und nicht mehr in der Lage gewesen, seine gesellschaftliche Stellung zu behaupten. Aus paranoiden Gründen sei es zum Wohnungsverlust mit konsekutiver Obdachlosigkeit gekommen. Der Betroffene kann infolge der paranoiden Realitätsverkennung seinen Willen nicht frei bestimmen und auch weder den Antrieb noch den Willen aufbringen, die Erledigung lebensnotwendiger Angelegenheiten selbstkritisch abzuwägen und zu besorgen.

Die Kammer schließt sich den ausführlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, der seit 1993 klinisch psychiatrisch tätig ist und damit über die erforderliche Sachkunde verfügt, nach eigener kritischer Würdigung vollumfänglich an. Insbesondere decken sich die Feststellungen mit dem sonstigen Akteninhalt. Bereits aus dem nervenärztlichen Attest des Gesundheitsamts Nürnberg vom 02.06.2016 ist ersichtlich, dass der Betroffene unter einer akut paranoid halluzinatorischen Schizophrenie leidet. Bei einem Hausbesuch beim Betroffenen habe dieser angegeben, dass er ständig Stimmen höre, welche ihm Befehle erteilen. Die Betreuungsstelle teilte mit Schreiben vom 14.11.2016 mit, dass ein konkreter Beschwerdegrund nicht ersichtlich sei. Wegen der starken psychischen Störung des Betroffenen habe im Rahmen der Obdachlosigkeit des Betroffenen das Gesundheitsamt eingeschaltet werden müssen. Der Betreuer teilte mit Schreiben vom 09.11.2016 mit, dass eine gesetzliche Betreuung für den Betroffenen unbedingt erforderlich sei, um diesen im Rahmen der festgelegten Aufgabenkreise weiterhin entsprechend unterstützen zu können. Im Rahmen der Betreuung seien bereits deutliche Fortschritte erreicht worden. So seien beispielsweise die Schulden aus der Wohnungsräumung bezahlt, die Haushaltsgegenstände bzw. das Räumungsgut eingelagert in einem angemieteten Lager bei SelfStorage.

2. Die Kammer hat von einer Anhörung des Betroffenen abgesehen, da dieser bereits im ersten Rechtszug angehört wurde und im Hinblick auf die Kürze der inzwischen verstrichenen Zeit und die Erkrankung des Betroffenen von der erneuten Vornahme einer Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG.

Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}


(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde

Annotations

(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.

(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:

1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.