Landgericht Arnsberg Beschluss, 11. Sept. 2014 - 6 Qs 81/14
Gericht
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss aufgehoben.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft betreffend eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wird abgelehnt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.
1
Gründe
2Die zulässige Beschwerde ist begründet.
3I.
4Nach Aktenklage sind keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass sich der Beschuldigte unerlaubt vom Unfallort entfernt hat:
51.
6Zwar sprechen erhebliche Gründe dafür, dass der Beschuldigte einen Unfall verursacht hat.
72.
8Auch sprechen erhebliche Gründe dafür, dass sich der Beschuldigte vom Unfallort entfernt hat, indem er zunächst weitergefahren ist.
9Für ein tatbestandsmäßiges Entfernen genügt eine Absetzbewegung derart, dass der räumliche Zusammenhang zwischen dem Beteiligten und dem Unfallort aufgehoben und seine Verbindung mit dem Unfall nicht mehr ohne Weiteres erkennbar ist, sodass der Beteiligte nicht mehr uneingeschränkt zu sofortigen Feststellungen an Ort und Stelle zur Verfügung steht, sondern erst durch Umfragen ermittelt werden muss (vgl. Burmann, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Auflage 2014, § 142 StGB Rn. 10 m. w. N.). Der Unfallbeteiligte darf sich nicht schon so weit von der Unfallstelle entfernt haben und es darf noch nicht so viel Zeit verstrichen sein, dass an dem inzwischen erreichten Ort feststellungsbereite Personen ohne Weiteres nicht mehr zu erwarten sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.10.2007 – III-2 Ss 142/07-69/07 III; eingrenzend BGH, Beschluss vom 15.11.2010 – 4 StR 413/10).
10Hier hielt der Beschuldigte ausweislich der Aussage des Zeugen C. erst „ca. 400 – 500 Meter nach der eigentlichen Unfallstelle“ (Bl. 43 d. A.) an. Ausweislich der Aussage der Geschädigten hat sie das beteiligte Unfallfahrzeug nach dem Unfallgeschehen lediglich „in einiger Entfernung“ wahrgenommen (Bl. 35 d. A.). Da ihr die Feststellung, ob das Fahrzeug fuhr oder stand, nicht möglich war, bestand jedenfalls kein eine sofortige Feststellung ermöglichender Sicht- und Rufkontakt fort. Ausweislich der Aussage der Zeugin N. war der Unfallbeteiligte „wohl schon über den Berg“ (Bl. 51 d. A.).
113.
12Allerdings kann nach Aktenlage nicht mit der hinreichenden Gewissheit davon ausgegangen werden, dass sich der Beschuldigte vorsätzlich entfernt hat. So lässt sich der Beschuldigte dahingehend ein, den Unfall jedenfalls nicht bemerkt zu haben (Bl. 66 ff. d. A.). Diese Einlassung ist nach Aktenlage nicht widerlegt: Ausweislich der Verkehrsunfallanzeige vom 21.05.2014 (Bl. 2 d. A.) hat jedenfalls der hinter dem Beschuldigten fahrende Zeuge C. angegeben, „er sei sich nicht sicher, ob der UB01 diesen Vorgang bemerkt haben muss (…)“ (Bl. 7 d. A.). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Zeuge später ausgesagt hat, dass er selbst den Schleudervorgang der Geschädigten im Rückspiegel gesehen habe (Bl. 43 d. A.). Sein Beifahrer, der Zeuge M., hat das Geschehen wie folgt beschrieben: „Ich konnte als Beifahrer nur noch erkennen, dass das Fahrzeug beim Vorbeifahren an uns weiter schleuderte. Mehr konnte ich von meiner Position aus nicht erkennen. Allerdings teilte mir Herr C. auf Nachfrage mit, dass der PKW erst kurz verschwunden wäre und jetzt wieder auf der Fahrbahn stehen würde“ (Bl. 46 d. A.). Dies spricht dafür, dass das Unfallgeschehen für den Beschuldigten lediglich durch aufmerksames Beobachten des rückwärtigen Verkehrsraums wahrnehmbar gewesen ist. Der Beschuldigte dürfte jedoch ausweislich der Aussage der Geschädigten abgelenkt gewesen sein („(…) und erst jetzt nahm der Mann seine rechte Hand ebenfalls ans Lenkrad“ (Bl. 34 d. A.), möglicherweise auf Grund eines Telefonats (vgl. Bl. 51 d. A.). Der Beschuldigte hat sich auch ausweislich der Aussage des Zeugen C. ihm gegenüber dahingehend eingelassen, dass er „von einem Unfall nichts bemerkt habe“ (Bl. 43 d. A.). Dies hat auch der – bislang noch nicht polizeilich vernommene – Zeuge P. so inhaltlich bestätigt (Bl. 88 d. A.).
134.
14Nach Aktenlage ist auch unerheblich, dass der Beschuldigte anlässlich seiner Rückkehr zu dem Unfallort keine Feststellungen ermöglicht hat und erneut weggefahren ist.
15a)
16Das erneute Wegfahren ist nicht tatbestandsmäßig. § 142 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass sich ein Unfallbeteiligter „nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt“. Der danach erforderliche zeitliche und sachliche Zusammenhang zwischen dem Sich-Entfernen und dem Unfallereignis war hier bereits durch das erstmalige Sich-Entfernen unterbrochen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15.11.2010 – 4 StR 413/10; Mitsch, JuS 2009, 341).
17b)
18Ein unvorsätzliches Entfernen vom Unfallort kann auch nicht mit einem berechtigten oder unentschuldigten Entfernen im Sinne des § 142 Abs. 2 StGB gleichgesetzt werden (BVerfG, Beschluss vom 19.03.2007 – 2 BvR 2273/06).
19II.
20Nach Aktenlage sind auch keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass ein anderes Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 StGB verwirklicht ist.
21III.
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(1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er
- 1.
zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder - 2.
eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne daß jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen,
(2) Nach Absatz 1 wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich
vom Unfallort entfernt hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht.(3) Der Verpflichtung, die Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, genügt der Unfallbeteiligte, wenn er den Berechtigten (Absatz 1 Nr. 1) oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle mitteilt, daß er an dem Unfall beteiligt gewesen ist, und wenn er seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines Fahrzeugs angibt und dieses zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung hält. Dies gilt nicht, wenn er durch sein Verhalten die Feststellungen absichtlich vereitelt.
(4) Das Gericht mildert in den Fällen der Absätze 1 und 2 die Strafe (§ 49 Abs. 1) oder kann von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, der ausschließlich nicht bedeutenden Sachschaden zur Folge hat, freiwillig die Feststellungen nachträglich ermöglicht (Absatz 3).
(5) Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann.
(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.
(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen
- 1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c), - 1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d), - 2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316), - 3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder - 4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
- 1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder - 2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.